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Es war ein ziemlich kalter Januartag, die Windgeschwindigkeitbetrug fünf Meter pro Sekunde, als Lena Lundmark und Hermanni Heiskari auf dem Ukonkivi im Inarisee getraut wurden. Ein riesiger Heißluftballon der Speditionsfirma, versehen mit einem wunderschönen und leuchtenden roten Kreuz, vibrierte ungeduldig im Wind. Etliche Menschen waren auf den Opferstein geklettert, um bei der Trauung Zeuge zu sein. Da waren Hermanni Heiskaris Kinder, ferner Oberst Ragnar Lundmark im Halbgips, eine kleine Auswahl åländischer Herren aus der Reedereibranche samt Gattinnen, fünf Taxifahrer aus verschiedenen Gegenden Lapplands, dazu Vertreter des Roten Kreuzes, Doktor Seppo Sorjonen mit Frau, die erwachsenen Kinder der Heikkinens, deren Hände in den bunten Handschuhen steckten, die ihre Mutter Liisa gestrickt hatte, und schließlich der große fromme Bär Beelzebub und sein treuer Gefährte Pastor Huuskonen. Die beiden Letztgenannten waren eigens vom Berg Kälmitunturi aus dem Winterschlaf geholt worden, um Frau Lena Lundmark und ihren auserwählten Lebensretter, den fliegenden Holzfäller Hermanni Heiskari, zu trauen und ihrer Ehe zum luftigen Start zu verhelfen. Erschienen war auch ein alter Bekannter des Brautpaares, der russische General, mit einer tüchtigen Fuhre Hochzeitswodka, sowie direkt auf dem Luftwege ein Unglückshäherpärchen aus Utsjoki. Diese beiden beteiligten sich an der Zeremonie, indem sie jene bekannten Melodien flöteten, die die fliegenden Holzfäller so liebten.
Die Braut trug Nerz, der Bräutigam einen festlichen halblangen Mantel.
Der Bär hielt mit einer Tatze die Gondel des Ballons fest, damit der nicht vom launischen Nordwind hochgehoben und womöglich gegen die Klippen geschlagen wurde. Nun wurde alles eingeladen, was mit auf die Hochzeitsreise sollte: je ein Korb mit Champagner, mit kalten Speisen, mit Wasser, ferner mehrere Decken, eine Erste-Hilfe-Tasche, ein Nachtgeschirr aus Porzellan sowie ein Aluminiumkoffer, der Tausende ausgedruckter Seiten mit Aufstandsplänen und Landkarten und zwanzig proppenvolle Disketten desselben Inhalts enthielt. Man half dem Hochzeitspaar beim Einsteigen, dann wandten sich die beiden dem Pastor und Beelzebub zu.
Alle schmetterten zusammen die Nationalhymne, worauf Pastor Huuskonen eine kurze Rede hielt. Er sprach über die prinzipielle Bedeutung der Ehe, beleuchtete die Beschäftigungssituation im Land und nannte dann jene vorläufig noch unbekannten außerirdischen Kräfte, die stets und unentgeltlich ihre schützende Hand über die jetzt und hier zu schließende Ehe halten sollten, in guten wie vor allem auch in schlechten Zeiten.
Die Gasflamme in der Gondel begann zu fauchen.
Beelzebub kramte einen Beutel aus dem Rucksack des Pastors, öffnete ihn mit flinken Fingern und förderte ein kleines Samtkissen zutage, auf dem zwei goldene Ringe lagen. Währenddessen musste er ständig mit einer Hintertatze die Gondel festhalten, und ihn überkam ein leises Gähnen, wie es bei Hilfspastoren häufig der Fall ist. Als sich schließlich unter den Hochzeitsgästen mehrere Freiwillige fanden – der russische General und ein paar schwedische Herren aus Åland –, die sich statt seiner um die Gondel kümmerten, konnte die schöne Zeremonie fortgesetzt werden.
Pastor Huuskonen sprach die Trauformel, der Bär überreichte dem Bräutigam die Ringe, sie wurden zum Zeichen des Bündnisses angesteckt, dann küsste Beelzebub die Braut und schleckte auch den Bräutigam ab. Zum Schluss wurde das Lied Nummer 347 gesungen. Beelzebub faltete die Tatzen und schaukelte seinen Oberkörper andächtig im Takt des Liedes.
Nun wurde Pastor Huuskonen, diesem als »Komet vom Kälmitunturi« weithin bekannten Kirchenmann, eine gut geschliffene Sichel übergeben, mit der er das Halteseil des Heißluftballons durchschlug wie den Gordischen Knoten.
Der Hochzeitsballon erhob sich leicht wie der flüchtige Gedanke eines fliegenden Gesellen, stieg geräuschlos auf und verschwand bald hinter dem südlichen Horizont. Die Hochzeitsgäste stiegen vom heiligen Opferstein der Lappländer aufs Eis des Inarisees hinunter, wo fünfzig Eisbohrer bereitlagen. Die Leute schickten sich an, Saiblinge zu angeln, sie brachten es auf insgesamt hundert Kilo und verspeisten die Fische später geräuchert draußen auf der schönen Salanuorainsel. Beelzebub servierte.
Die Sonne ging auf und beleuchtete Lapplands schneebedeckte Fjälls, die gewundenen Flussläufe und die weiten Eisflächen der künstlichen Wasserreservoire. Das Hochzeitspaar überflog die verbrannte Hütte von Porttipahta, dann trieb der Wind die beiden immer weiter südwärts in Richtung Sompio, Keminhaara, Kuusamo und Savo. Unten in der weißen Landschaft trabten Rentierherden umher, gelegentlich war auch ein Elch zu sehen, und auf dem Eis eines jeden Sees hockten schwarze Gestalten, Eisangler, ausgerüstet mit kleinen Angelruten, um damit Fische heraufzuziehen und sie anschließend zu verspeisen.
Nach halbstündigem Flug ließ das Paar den ersten Champagnerkorken knallen. Die Unglückshäher erschraken, flatterten für einen kurzen Augenblick in die bereiften Wolken, ließen sich aber bald wieder auf dem Rand der Gondel nieder, um sich gegenseitig die Federn zu putzen. Der gute Butler Ragnar Lundmark hatte als Hochzeitsgetränk eine Kiste mit dem nach klassischer Methode (fermentation en bouteille selon la methode champenoise) hergestellten Krug Grande Cuvee Brut ausgewählt. Der Champagner war goldgelb, hatte einen reichen Duft und einen entwickelten, üppigen Geschmack, er war vollkommen trocken und leicht fruchtig. Das Paar stieß miteinander an, und Hermanni sagte:
»Auf deine ewige Schönheit.«
Nun öffneten sie den Proviantkorb, und Lena richtete auf dem Deckel an: geräucherte große Maränen, in Semmelmehl frittierte kleine Maränen, Lachs, Saiblingsrogen, Savolaxer Räucheraal, pochierte Tervolazwiebeln, glasierte Mandelkartoffeln, Kainuu-Brot, Aura-Käse, Gewürzmayonnaise und gehackten Estragon.
Die Unglückshäher bekamen den ihnen gebührenden Anteil.
Während des Hochzeitsmahls unterhielten sich die beiden über Hermannis Volksaufstand. Sie öffneten die zweite Champagnerflasche.
Mit großem Ernst reflektierten sie das Wesen des Bürgerkrieges. Wie viele Mütter würden ihr einziges, wenn auch arbeitsloses, Kind verlieren? Nachbarn würden sich gegenseitig umbringen, Brüder ihre Brüder töten. Die Wunden des Krieges würden frühestens im zweiundzwanzigsten Jahrhundert vernarben. Sie stellten sich das zerstörte Land vor, Waisen, verbrannte Dörfer und Häuser. Streunende Hunde würden gemeinsam mit Kriegsinvaliden Misthaufen durchwühlen.
Die Frage nach der ethischen Verantwortung für den Krieg regte sich. Welche genetische Auswirkung würde dieses Schlachten auf kommende Generationen haben? Wie würden die Götter auf all das reagieren?
Lena öffnete den Aluminiumkoffer mit den Aufstandsplänen und las die Übersicht über den chronologischen Ablauf laut vor: »Kampfbefehl mitten im Winter – im Frühjahr Ausweitung der Revolte – Kriegshandlungen im Sommer – im Herbst gründet der finnische Staat Konzentrationslager für die Arbeitslosen – im nächsten Winter die ersten Gerichtsprozesse – im Frühjahr Beginn der Hinrichtungen von Kriegsschuldigen – im Sommer erneutes Aufflammen der Kämpfe.«
»Trinken wir auf den Krieg oder auf den Frieden?«, fragte Hermanni ernst.
Sie erhoben die Gläser.
Die Unglückshäher hatten die Idee, durch die Ballonöffnung nach unten in das geräumige Herz zu fliegen, wo größere sommerliche Hitze als in Tahiti herrschte. Dort veranstalteten sie ein regelrechtes Flötenkonzert.
»Ist das hier Pudasjärvi?«, fragte die frischgebackene Ehefrau.
Hermanni schätzte, dass sie sich vielleicht in Iisalmi befanden, aber ebenso gut konnten sie auch in Ranua oder Tyrnävä sein. Ein Gentleman studiert auf dem Hochzeitsflug keine Landkarten.
Ihrer beider Schicksal während der Revolte und vor allem danach kam ebenfalls zur Sprache. Hermanni vermutete, dass er hingerichtet würde, und dasselbe Los prophezeite er seiner Frau. Ragnar bekäme lebenslänglich, was in seinem Alter höchstens zwanzig Jahre Zuchthaus, wenn überhaupt, bedeutete.
Lena ließ den Dokumentenkoffer zuschnappen und schleuderte ihn ohne ein Wort nach unten in die winterliche Wildmark. Ein pfeifendes Geräusch war zu hören, als er die Frostluft durchschlug.
Als die Gondel um das Gewicht der Kriegspläne erleichtert war, stieg der Ballon zu neuen Höhen auf.
Hermanni Heiskari war schockiert. Sein Krieg, über Jahre erdacht, war auf die Erde gefallen und verschwunden. Beinahe wäre der erste eheliche Sturm ausgebrochen. Hermanni konnte sich nur mit Mühe beherrschen, rasch überdachte er das Geschehene, und plötzlich überkam ihn grenzenlose Erleichterung. Er hob sein Champagnerglas und sagte:
»Auf den Krieg kommt es beim Mann nicht an.«
Im hellen Sonnenlicht löste sich der blinkende Aluminiumkoffer von dem großen roten Ballon und sauste wie ein Meteorit nach unten. In der Nähe von Kiuruvesi landete er in einem einsamen Moor. Das Geschenk des Himmels bohrte sich in den Schnee, der Deckel wurde platt gedrückt, aber sonst blieb die Sendung unversehrt.
Gerade in diesem Moment war in der Gegend ein Mann auf Skiern unterwegs, es war Onni Ynjevi Schmuck, der einfältige und ungebärdige Enkel des Schmucken Jussi, der seine Wehrpflicht als Jägerpionier absolviert hatte. Brennend vor Neugier inspizierte er den Inhalt des Koffers und erkannte sofort, dass es sich um einen detaillierten Kriegsplan handelte, der nur darauf wartete, verwirklicht zu werden.
Onni sauste los wie ein geölter Blitz. Nur keine Zeit verlieren!
Er hatte beschlossen, dass der Jüngste Tag nun anbrechen würde, und zwar noch vor dem Abend.