Kapitel 11
Zane Charles Bjornsen erblickte genau 222 Tage nach seiner Zeugung im Morgengrauen das Licht Botanys. Er war ein großes Kind – worin er seinem Vater ähnelte. Er kam mit Fingernägeln zur Welt, die schon bald nach seiner Geburt geschnitten werden mußten, da er sich sonst sein hübsches Gesicht zerkratzt hätte. Und er hatte volles dunkles Haar.
Er war nicht, wie Anthony Marley es gewesen war, puterrot, verschrumpelt und ein Wesen, das nur seine Mutter richtig lieben konnte.
»Zane ist ein absolut guter Name«, hatte Kris Zainal versichert. »Einer meiner liebsten Westernautoren war Zane Grey. Und ich bewundere Chuck Mitford.«
»Aber er ist nicht der Vater.« Zainal hob lediglich eine Augenbraue und ließ behutsam die Frage anklingen, die zu beantworten sie sich weigerte.
»Nein, aber ich sehe keinen Grund, weshalb … wir … ihm nicht die Freude machen sollten, Pate zu sein.«
»Pate?« Zainals Miene drückte Ratlosigkeit aus. »Was ist …«
»Jemand, der sich zur Fürsorge für das Kind verpflichtet, wenn es Gott geweiht wird …«
»Gott?«
»Ja, dem Gott, zu dem Pater Jacob betet, dem wahren Gott.«
»Gibt es denn so einen?«
Zainal hatte Schwierigkeiten, an den Allmächtigen zu glauben, obgleich die zahlreichen Geistlichen, die mit ihnen auf dem Planeten abgesetzt worden waren, ständig bemüht waren, regelmäßig Gottesdienste zu veranstalten. Die Protestanten hatten damit keine Probleme, aber Pater Jacob schon, da ihm nicht die Dinge zur Verfügung standen, die er brauchte, um eine Messe ordnungsgemäß zu zelebrieren. Er klagte immer wieder darüber, daß ihm vieles fehlte und er nicht wüßte, wie er ohne die notwendigen Utensilien seiner Verpflichtung gerecht werden könnte.
Marrucci entpuppte sich als frommer Katholik und gab sich alle Mühe, den guten Pater im Zuge einer der auf Botany nicht seltenen Rollenwechsel zu trösten.
»Wenn Gott überall ist, dann ist Er auch hier, Padre, und dann nimmt Er dankbar die Huldigungen derer an, die Ihn vertrauensvoll anrufen. Die ersten Katholiken hatten keinen Altar, kein Allerheiligstes, und die Kommunion bestand aus Brot und Wein. Das haben wir. Wir haben unseren Glauben. Sprechen Sie nur die Gebete, dann mache ich den Meßdiener.«
Mitford war einerseits erfreut, andererseits einigermaßen verunsichert, weil ein Kind nach ihm benannt werden sollte. »Jeder wird annehmen, es ist meins, dabei ist es das gar nicht«, meinte der Sergeant barsch. »Nicht, daß ich mir nicht wünschte, er wäre mein Sohn, Kris«, fügte er hastig hinzu. »Ich meine, ich hätte mich sehr geehrt gefühlt, wenn Sie den Wunsch geäußert hätten … nun, verdammt noch mal, Sie wissen genau, was ich meine.«
»Ja, das weiß ich, Chuck.«
»Und wer ist denn nun der Glückliche?«
»Erinnern Sie sich noch an dieses Gebräu, das Leon und Maycock etwa zu der Zeit hergestellt hatten, als ich mir den Arm brach?«
»Ja, ich erinnere mich.« Mitford weitete überrascht die Augen, dann verfinsterte sich seine Miene. »Sie meinen, Sie wurden vergewaltigt und haben es nicht gemeldet?« Er ballte die Fäuste, als umklammerte er damit den Hals des Übeltäters.
Kris tätschelte beruhigend eine der Fäuste. »Von einer Vergewaltigung weiß ich nichts. Aber ich weiß, daß ich sehr betrunken war.«
Chuck runzelte die Stirn. »Es war doch Pete Easley, der Sie zu Ihrer Hütte gebracht hat, oder?«
»Durchaus möglich, Chuck, aber ich erinnere mich an nichts mehr, und vielleicht ist es auch ganz gut so, oder meinen Sie nicht?«
»Nein, das meine ich nicht.«
»Nun, ich kann es nicht ändern. Aber vielleicht später, wenn Zane herangewachsen ist, wissen wir vielleicht mehr. Zainal ist es jedenfalls gleichgültig.«
»Ja, das stimmt wohl, und so wie er die ganze Sache hinnimmt, hat es seinem Ansehen in keiner Weise geschadet.« Zainal war im Augenblick damit beschäftigt, die Pflanzenfaserwindeln seines Sohnes zu wechseln. Die Büsche, die den nützlichen Grundstoff hervorbrachten, wurden überall in Retreat Bay, wo immer es möglich war, angebaut.
Der klebrige Saft, der ihnen während ihres letzten Erkundungstrips solche Schwierigkeiten gemacht hatte, war gesammelt worden und stellte, in entsprechende Formen gegossen, eine praktische wasserdichte Kleidung für Kleinkinder dar. Sie konnte gewaschen und vier- oder fünfmal benutzt werden, doch sie löste sich nach und nach auf – meistens genau im falschen Moment.
Mitford grinste und genoß den Anblick eines Catteni Emassi, der als Säuglingsschwester fungierte.
Zweitausendeinhundertdrei neue Leben waren erwartet worden, und bis auf fünf hatten es alle geschafft: zwei menschliche Babys waren tot zur Welt gekommen, eins der rugarianischen lebte nur drei Tage und starb dann, doch sogar der eine Rugarianer, der die speziellen Bedürfnisse seiner Rasse kannte, konnte dafür keine Erklärung liefern; ein viertes Baby wurde während der Geburt von seiner eigenen Nabelschnur erhängt, und das fünfte Kind, ein Deski-Baby, war extrem mißgebildet und starb gleich nach der Geburt.
Die versprochenen Kinderkrippen öffneten ihre Tore, und jede Frau war berechtigt, ihr Kind dorthin zu bringen, wenn sie tagsüber arbeitete oder irgendwelche Gemeinschaftsaufgaben wahrnahm. Manchmal gehörte dazu auch die Aufsicht in der Kinderkrippe. Kris rief einen Wickeldienst ins Leben, den sie aus Wildwestgeschichten und aus historischen Romanen über Indianer kannte. Es war ganz nützlich für Babys bis drei Monate, und für kürzere Perioden auch noch später.
»Ich sagte doch, du würdest eine gute Mutter sein«, stellte Zainal mit einem Anflug von selbstzufriedenem Stolz fest, wenn sie demonstrierte, wie geschickt sie Zane mit sich herumtrug.
Zu Kris’ Erstaunen war Zanes Pflege und Betreuung überhaupt nicht so mühselig, wie sie erwartet hatte, und das hatte nur wenig mit Zainals Begeisterung für das Kind zu tun. Sie hatte noch niemals etwas gehabt, das so total von ihr abhängig und das ihr gleichzeitig so wertvoll war. Ein- oder zweimal fragte sie sich, ob sie Pete Easley gegenüber unfair war, weil sie ihm nichts erzählt hatte. Aber er und eine der schwedischen Landwirtschaftshelferinnen hatten gemeinsam Ziegel gebrannt, was auf Botany mit einer Verlobung gleichbedeutend war. Wenn Kris ihn dabei ertappte, daß er ihren Sohn sehr aufmerksam betrachtete, ignorierte sie die Frage in seinen Augen und schilderte wortreich, was für ein guter Vater Zainal wäre, bis sogar Pete Easley davon genug hatte.
Der Babyboom löste eine ganze Reihe von Untersuchungen und Experimenten aus – ein sehr feiner Puder als Ersatz für Talkum, eine Salbe gegen Windelekzeme und andere harmlose Hautreizungen; eine Methode, Pflanzenfasern zu einem Stoff zu weben, aus dem man Babykleidung schneidern konnte, und ein Spinnrad, um aus Luh-Kuh-Haaren eine Art Strickwolle herzustellen. Den Tieren war als Schutz vor der winterlichen Kälte längeres und dichteres Fell gewachsen. Dieses wurde eingesammelt – ehe die Aasfresser sich der Kühe bemächtigen konnten – und gesponnen, dann gewaschen und/oder zu Filz verdichtet.
Die Nutzpflanzen gediehen auf beiden Kontinenten reichhaltig und in saftigem Grün. Die Catteni bauten weiterhin in ihrem Tal nichts an. Die Bergleute förderten tonnenweise Eisen, Kupfer, Zinn, Zink, Blei, Gold und Silber und gelegentlich auch ein paar ungewöhnlich klare Steine zutage, bei denen es sich laut der Juweliere um eine Variante des Turmalins handelte. Aber niemand suchte an den Stellen nach Schmucksteinen, an denen Rubine, Smaragde, Saphire oder Diamanten – die allein wegen ihrer Härte von Nutzen gewesen wären – hätten vorkommen können. Knochen waren viel nützlicher, und die schweren Knochen der vier hinteren Beine der Luh-Kühe wurden stets sorgfältig gesäubert und getrocknet und dienten schließlich als wertvolle Grundlage für kunstvolle Schnitzereien.
Zane war gerade fünf Monate alt, als der Deski-Wachtposten auf der Südseite von Retreat Bay alle mit einem warnenden Geheul aufschreckte. Für eine so schlanke Rasse, die über keine nennenswerte Lungenkapazität verfügte, konnte sie verdammt viel Lärm erzeugen. Das Baby bekam gerade die ersten Zähne, daher war Kris wach, um den Kleinen zu trösten. Zainals Komm-Einheit summte, und er richtete sich ruckartig im Bett auf, das Handy am Ohr, ehe Kris auch nur reagieren konnte.
»Was?« Er sprang aus dem Bett und hüpfte auf einem Fuß herum, während er zuhörte und sich dabei den Overall überstreifte. Selbst in einer so lächerlichen Haltung bewunderte Kris sein Erscheinungsbild. Wenn doch Zane nur ein einziges Gen von seinem Pflegevater hätte in sich aufnehmen können …
»Sie ist weg«, verkündete Zainal, während er das Handy zuklappte und sich so schnell wie möglich vollständig anzog.
»Was ist weg?«
»Die Blase.« Er war jetzt in die Stiefel geschlüpft und eilte zur Tür.
»Ich komme mit«, erklärte Kris.
»Doch nicht etwa so?« Er bedachte sie mit einem mißbilligenden Blick, denn sie war nur in eine Decke gehüllt.
Sie drückte Zane seinem Vater in den Arm und kleidete sich genauso schnell an wie er, wickelte die Decke zusammen, holte zwei zusätzliche Schilfkörbe und setzte das Baby in die Tragschlinge, in der sie es gewöhnlich herumtrug. Dann ließ sie sich in einen Passagiersitz des Luftkissenlasters sinken. Zainal kurbelte am Lenkrad, und das Fahrzeug startete ins fahle Licht des Morgengrauens und schlug die Richtung zum Hangar ein. Lichter flammten überall in der Siedlung auf, und gelegentlich rief jemand »Was ist los?«, wenn Zainal an den Kontrollen des Lasters erkannt wurde.
»Ist die Blase wirklich verschwunden?« fragte sie, als sie dahinjagten.
»Deski haben etwas gehört, das ganz anders klang als alles, was sie kannten«, berichtete Zainal, »und sie haben daraufhin die Kommandobrücke gewarnt. Die Brücken-Crew hatte bereits etwas auf dem Schirm beobachtet, konnte sich aber keinen Reim darauf machen.«
»Die Farmer?« fragte Kris, und plötzlich erwachte in ihr eine schreckliche Angst. Sie wiegte ihren Sohn, denn sie wußte, wenn man ihn bewegte, schlief er immer ein, auch wenn die Zähne ihn quälten, und selbst diese kurze Fahrt hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn.
Diejenigen, die geweckt worden waren, trafen mit Luftkissenfahrzeugen ein. Sie rannten, so schnell sie konnten, und teilweise sogar schneller als die einfachen Treträder, die zur Überwindung kurzer Strecken konstruiert worden waren. Das Prinzip der Luftreifen mußte noch verbessert werden, aber die Eisenringe funktionierten auf den Steinplatten und den unbefestigten Wegen gut genug, und so waren die Fahrer allemal schneller als die Fußgänger.
Sämtliche Lampen im Hangar brannten, und die Einstiegsluken von KDL, Baby und die Bürotür standen offen. Rutscher waren kreuz und quer geparkt.
Zainal begab sich mit Kris zum nächstliegenden Büro. Die dortige Kommandobrücke zeigte genauso viel wie die des Schiffs, und außerdem hätten sie und das Baby dort viel mehr Platz. Auch in solchen Situationen hatte Zainal stets Kris’ und Zanes Wohl im Auge.
Scott, Beggs, Fetterman, Yowell und Coo hielten sich im Büro auf, und Scott winkte Zainal zu sich.
»Eine Umkreisung ist bereits durchgeführt, und der Flugkörper ist nicht sehr groß. Nicht klein genug, um ein programmierter Satellit zu sein, aber das Ding bewegt sich zu schnell für uns. Wir können keinen klaren Eindruck von seiner Größe oder seiner Form gewinnen.«
»Das«, und Coo deutete auf die Spur, die die Orbitalkugel hinterließ, »ist nicht zu hören. Etwas ist gelandet.« Er sprach mit mehr Nachdruck, als ein Deski es gewöhnlich tat. Er hatte es wahrscheinlich für Scott wiederholt. Nun deutete Coo mit seinen spinnenartigen Fingern auf die Kommandostation der Farmer, die Kris, Zainal und die anderen vor gut einem botanischen Jahr untersucht hatten. Es war die Station, wo Dick Aarens absichtlich den Start einer Zielflugrakete ausgelöst hatte.
»Was …« Scott verfolgte den Kurs der Orbitalkugel mit einem Finger. In diesem Moment wechselte der Flugkörper die Richtung und schwenkte auf eine Nord-Süd-Bahn ein. Schnell führte er mehrere Umkreisungen von Botany durch. »Was ist das?«
»Das erfahren wir …« Und Zainal hielt inne und überwachte den Weg der Kugel auf dem Schirm, »genau jetzt.«
Sie verspürten das typische Kitzeln, als sie von einem Scannerstrahl abgetastet wurden. Zainal gluckste leise.
»Oh mein Gott«, stieß Fetterman hervor und setzte sich, als ob sämtliche Kraft aus seinen Beinen gewichen wäre.
Kris hatte es ebenfalls gespürt, und Zane hatte sich in seiner Tragschlinge für einen kurzen Moment aufgebäumt. Sie legte eine Hand auf seine Wange und fragte sich, ob der Scannerstrahl für einen so kleinen Körper nicht zu stark gewesen war. Zainal tätschelte beruhigend ihre Schulter. »Ich gehe freiwillig«, sagte Zainal.
Kris schaffte es gerade noch, den Einwand »Nein, das tust du nicht!« zu verschlucken, als Scott auch schon ablehnend beide Hände hob, wobei er den Blick keine Sekunde vom Schirm löste. Die Komm-Einheit piepte, und er aktivierte sie.
»Wurden wir gerade gescannt?« Es war Beverlys Stimme.
»Coo meldet, sie seien an der Kommando-Station gelandet.«
»Da oben ist aber nichts zu sehen«, sagte Beverly.
Coo nickte heftig und bekräftigte seine Meldung.
»Fek bestätigt alles«, fuhr Beverly fort. »Haben wir nicht festgestellt, daß sie Materietransmission benutzen?«
»Oh, oh«, sagte Yowell, und er machte ein paar unsichere Schritte rückwärts, um sich auf den nächstbesten Hocker fallen zu lassen. Sein Gesicht war eine Studie widerstreitender Gefühle: Hoffnung, Furcht, Unsicherheit und Verwirrung.
Coo drehte den Kopf zur Bürotür. Er stand auf, hob einen Arm und deutete hinaus.
»Sind sie da?« fragte Scott.
Kris schluckte und legte instinktiv die Arme schützend um Zane. Als Zainal sich in Bewegung setzte, war sie sofort dicht hinter ihm und damit noch vor den anderen, die einen Sekundenbruchteil länger gezögert hatten, ehe sie reagierten. Wenn ihr Schicksal sie heimsuchte, dann wollte sie es wenigstens sehen.
Während sie das Büro verließen, blickte sie hinüber zur KDL und entdeckte Feks unverwechselbare Gestalt in der Einstiegsluke, dann Balenquahs stämmige Figur als Silhouette im Lukenlicht, gefolgt von Worrells leicht gebückter Gestalt. Die kerzengerade Figur war vermutlich Rastancil, und die zierlichen Umrisse gehörten zu einer Frau, die sie nicht kannte, als letzter kam Slav. Von Baby näherten sich Mitford, Easley, Yuri und Richter Bempechat.
Sie bildeten einen Halbkreis.
Was sich vor ihren Augen abspielte, war überhaupt nicht mit dem zu vergleichen, was in einer Raumschiff Enterprise-Folge hätte stattfinden können. Keine farbigen Lichter oder Strahlen oder Säulen. Und auch keine sonstigen Spezialeffekte, wie Kris sie schon in zahlreichen Science-fiction-Filmen und -Videos gesehen hatte. Und dennoch … irgend etwas war da draußen, bildete eine solide Masse, die auf sie zukam, mit einem Nimbus um einen dunkleren Kern. Etwas, das sogar im matten Licht des frühen Morgens größer aussah als der größte der wartenden Menschen.
Dann war es doch nicht größer und schien sich auszudehnen. Sie erkannte die typische spinnenartige Gestalt eines Deski. Neben ihr stieß Coo einen erstickten gurgelnden Laut aus und erstarrte. Mit ihrer freien Hand erfaßte Kris Coos lange Finger und drückte sie. Mit der anderen Hand schirmte sie Zanes Gesicht ab. Zainal hatte seinen Körper halb gedreht, so daß er sie zum Teil abschirmte. Aber die meisten Gestalten, die sich aus dem Nebel herausschälten – nur war es kein richtiger Nebel –, hatten die äußere Erscheinung von Menschen, wie man an den Details der Gesichter und Gliedmaßen erkennen konnte.
»Sie können sich verändern«, flüsterte sie. »Sie nehmen unsere Gestalt an.«
Coo atmete zischend ein. Entsetzen? Erleichterung? Angst? Kris verstärkte ihren Griff und wußte nicht, ob sie Hilfe gab oder selbst suchte.
»Wie bitte?« fragte Scott leise und ließ nicht aus den Augen, was vor ihm erschien. Dabei lehnte er sich ein wenig zu Kris hinüber.
»Da sind ein Deski und ein Rugarianer, und alle anderen sind Menschen. Aber es sind nicht so viele wie wir.«
Als die Verwandlung vollzogen war und kein Zweifel mehr bestand, daß diese Besucher die drei Rassen darstellten, die ihnen gegenüberstanden, betrachteten die Gruppen einander.
»Ich sehe keinen Catteni.« Kris’ Bemerkung war kaum zu verstehen. Aber sie mußte nach dieser Feststellung unwillkürlich kichern, eine Reaktion, die sie schnellstens zu unterdrücken versuchte. Wenn das die Farmer waren – und alles deutete daraufhin, denn wer sonst hätte die Blase entfernen können? –, dann waren sie nicht vollkommen. Irgendwie stärkte diese Erkenntnis ihr Selbstvertrauen.
Niemand sagte etwas, und die Spannung nahm zu. Na schön, wenn die Besucher keinerlei Aggression an den Tag legten, dann sollte man sie vielleicht auch wie Besucher behandeln, und zwar alle acht. Wir sind in der Überzahl, dachte sie, allerdings ist das auch der einzige Punkt, in dem wir ihnen überlegen sind, wenn man bedenkt, was sie soeben getan haben. Es war so dumm, einfach nur dazustehen und sich gegenseitig anzustarren.
»Hallo«, sagte sie und verlieh dem Wort einen freundlichen, zugleich fragenden Unterton. Sie schob sich an Zainal vorbei und zog unabsichtlich Coo mit sich, während Richter Bempechat ebenfalls einen Schritt vorwärts machte. Sie wußte, daß sie einen ziemlich dummen Gesichtsausdruck hatte, als sie zu dem Richter hinüberblickte, um einen Hinweis darauf zu erhalten, was sie als nächstes tun sollte.
Der Richter lächelte sie flüchtig an – so daß sie den Eindruck gewann, nichts richtig falsch gemacht zu haben –, und sie hob beide Hände, eine, wie sie hoffte, in der gesamten Galaxis zu verstehende Geste, daß sie unbewaffnet war.
»Wir haben gehofft, daß wir Sie irgendwann kennenlernen würden, um unsere Anwesenheit auf einem Planeten zu erklären, den Sie offenbar schon seit mehreren tausend Jahren nutzen«, erklärte der Richter, während er eine leichte Verbeugung andeutete. »Mir ist klar, daß Sie nicht verstehen, was ich sage, aber ich hoffe, daß die Aufrichtigkeit meiner Worte offenbar wird. Wir wissen, daß wir Ihr Territorium widerrechtlich betreten haben, aber wir wurden gegen unseren Willen hierher gebracht und können nicht auf unsere eigenen Welten zurückkehren.«
Während der Richter redete, verspürte Kris einen ganz leichten Druck gegen ihre Stirn und im Nacken. Zane bewegte sich, und sie wiegte ihn sanft und streichelte seinen Rücken, was ihn gewöhnlich beruhigte.
»Wir sind auf diesen Kontinent umgezogen, weil Sie ihn zur Zeit nicht landwirtschaftlich nutzen. Wir wollten Sie und Ihre Einrichtungen auf keinen Fall stören. Wir möchten hierbleiben. Mit Ihrer Erlaubnis. Falls das überhaupt möglich ist, denn wir verfügen nicht über ausreichende Transportmittel, um von hier wegzugehen. Meinen Sie, Sie könnten uns verstehen? Irgendwie?« Er streckte ihnen wieder die Hände entgegen, eine Geste voller Würde, aber auch eine Bitte.
»Es wird verstanden«, erwiderte eine Stimme, die der des Richters erstaunlich ähnlich war.
Wer immer gesprochen hatte, mußte es sehr schnell getan haben, denn Kris hatte nicht gesehen, wie sich irgendein Mund bewegt hatte. Dann begriff sie, daß niemand gesprochen hatte. Die Stimme war direkt in ihrem Kopf erklungen. Zane bewegte sich wieder unruhig.
»Wir wollten mit Ihnen zusammentreffen. Haben Sie keine Angst. Wir verletzen nicht. Wir töten nicht. Wir besetzen nicht. Sie alle sind sehr jung.«
»Eine junge Rasse?« fragte Iri Bempechat belustigt.
»Ja«, und eines der männlichen Wesen benutzte den Mund, um das Wort auszusprechen, aber Kris hörte es immer noch mehr in ihrem Kopf als mit ihren Ohren. »Sehr jung.«
Richter Bempechat lächelte. »Das sind wir Menschen wohl. Ich glaube, die Deskis«, und er deutete auf Coo, »existieren schon viel länger als die Menschen«, und er deutete auf sich selbst und dann auf Kris.
»Wir haben die Deski gesehen und sie in Ruhe gelassen. Sie kommen ganz gut zurecht. Weshalb sind so viele von ihnen hier? Warum gibt es drei … nein, fünf … Rassen auf dem Planeten?«
»Wir wurden hier abgeworfen. Wir müssen hierbleiben«, sagte der Richter lapidar und schaute kurz zu Zainal.
»Weil die anderen, wie dieser dort«, und nun deutete der Sprecher mit einer wohlgeformten Hand auf den Catteni, »Sie gegen Ihren Willen hierher gebracht haben, damit Sie auf dieser Welt eine Kolonie gründen.«
»Ich sehe, daß wir Ihnen nicht viel zu erzählen brauchen«, sagte Richter Bempechat. »Sie lesen die Gedanken in unseren Köpfen.«
»Sofern welche da sind.« Freundlichkeit und nicht Herablassung lag in seiner Stimme, die nun weniger wie ein Echo des Richters klang, sondern mehr von der Persönlichkeit ihres Sprechers widerspiegelte.
»Wir versuchen Fortschritte zu machen«, sagte der Richter und verbeugte sich respektvoll.
»Ein sehr schwieriger Prozeß, der ewig dauert. Aber Sie tun es nicht.«
»Und Sie tun es?«
»Im Grunde ja.«
»Aber nicht so wie die Eosi«, sagte Zainal.
Das fremde Wesen wandte sich zu dem neuen Sprecher um. »Wir kennen weder den Namen noch Ihr geistiges Bild von diesen Eosi.«
»So ist es sicher am besten«, bemerkte jemand leise, und für einen Moment dachte Kris, daß die Bemerkung von Mitford gekommen war. Sie paßte zu ihm. Oder vielleicht auch von Yowell, da der Sergeant zu der mittleren Gruppe gehörte und Vic ihnen viel näher war.
»Wir bitten um Ihre Hilfe, um der Herrschaft der Eosi über mein Volk, die Catteni, und diese anderen Rassen zu entfliehen«, sagte Zainal und deutete mit einer ausholenden Bewegung auf die Umstehenden.
»Eine solche Hilfe schließt die Rassenschädigung ein, die wir nicht dulden.«
»Auch wenn weiterhin einer unschuldigen Rasse, die sich nicht vor der herrschenden Macht schützen kann, Schaden zugefügt wird?« fragte Richter Bempechat.
»Wenn Gewalt eingesetzt wird, können die Absichten und Wünsche, die den Einsatz der Gewalt ausgelöst haben, nicht geändert und umgeleitet werden.« Die Miene des Wesens hatte jetzt einen tadelnden Ausdruck.
»Wie soll man denn Gewalt vermeiden?« fragte Scott und meldete sich zum ersten Mal zu Wort.
»Es gibt Möglichkeiten. Erlernen Sie sie.«
Die Gestalten begannen sich aufzulösen.
»Wie werden Sie genannt?« fragte der Richter und machte einen schnellen Schritt vorwärts, um ihr Verschwinden aufzuhalten.
»Sie haben uns Farmer genannt. Das ist durchaus passend.« Der Sprecher lächelte überaus freundlich.
Kris kam der Gedanke, daß dieses Wesen in jedem Film als Jesus Christus perfekt besetzt gewesen wäre.
»Ist er nicht bei Ihnen?« lautete der Gedanke, der in ihren Geist gesetzt wurde.
»Gehen Sie nicht weg«, sagte Zainal, trat ebenfalls vor und hob eine Hand. »Noch nicht. Wie können wir die Gewalt vermeiden, wenn sie gegen uns eingesetzt wird? Wie befreien wir uns selbst und unsere Freunde von der eosianischen Herrschaft?«
»Dürfen wir hierbleiben? Auf Ihrem Planeten?« Kris sprang beinahe nach vorne und schreckte Zane aus dem Schlaf. Er stieß einen Protestschrei aus.
Einer der Farmer glitt heran. Die Beine bewegten sich, aber die Frau – sie kam Kris ausgesprochen feminin vor, als sie sich ihr näherte – berührte den Boden nicht.
»Sie beobachten sehr gut.« Erneut wurde ihr ein Gedanke eingepflanzt. Das Wesen schaute auf Zane hinunter. Obgleich Kris versuchte, ihn zu beruhigen, mündete der erste Schrei in ein leises, ängstliches Weinen. Natürlich konnte Zane nichts dafür, daß er auf die Spannung, die Enttäuschung und die Angst reagierte, aus der die Atmosphäre um ihn herum bestand.
»Wir haben Sie so viel zu fragen. Möchten so viel wissen«, sagte Easley flehend.
»Dies ist Ihr Kind!« sagte die Frau und wandte sich wieder zu Kris um.
Kris konnte sich ebensowenig weigern, ihren Sohn vorzuzeigen, wie sie die Wehen hätte unterdrücken können, die ihn aus ihrem Leib herausgepreßt hatten. Sie drehte Zane, dessen Gesicht sich vor Angst rötete, dem Wesen entgegen. Dieses beugte sich über den Jungen, strich mit einer grazilen, fast durchsichtigen Hand über sein Gesicht, und sofort lächelte er zufrieden und plapperte auf seine neueste Verehrerin ein.
»Hier sind viele Junge«, sagte sie, und Kris hatte den Eindruck, das sie irgendwie neidisch klang. »Und wir!«
»Dann dürfen wir bleiben?« fragte Kris ernst.
»Sie bleiben. Wir werden beobachten, aber wir mischen uns nicht ein.«
»Dürfen wir hinaus?« fragte Zainal und deutete mit den Händen die Form einer Kugel an.
»Das ist zu Ihrem Schutz«, erklärte der erste Sprecher.
»Wir danken Ihnen dafür«, erwiderte Richter Bempechat und schickte Zainal einen warnenden Blick.
»Damit tun Sie mehr, als die anderen getan haben.« Der Gedanke schlich sich in Kris’ Kopf, und das weibliche Wesen glitt zu seiner Gruppe zurück.
In dem Moment, als sie wieder zusammen waren, verschwanden sie auch schon.
Wie weggezaubert, dachte Kris, während ihr Sohn auf ihrem Arm selig vor sich hinprustete.
Wie auf Kommando redeten alle gleichzeitig, wobei der Haupteinwand der war, daß man eigentlich nur sehr wenig erfahren hätte, und wer überhaupt den Richter zum Sprecher bestimmt hätte und weshalb nicht mehr Fragen gestellt worden wären, so lange sie mit den Farmern hätten reden können? Und für wen Zainal sich eigentlich hielte, daß er sich mit seiner Bitte um Hilfe an offensichtliche Pazifisten wandte?
Scott bat um Ruhe. Richter Bempechat erklärte sachlich, daß er ganz gewiß nicht die Absicht gehabt hätte, für alle zu reden, sondern daß es sich rein zufällig ergeben hätte. Balenquah griff Kris wegen ihres ›dämlichen‹ Hallo an.
»Nun, ich konnte sie wohl kaum darum bitten, uns zu ihrem Anführer zu bringen, oder?« wehrte sie sich. »Und brüllen Sie nicht so vor meinem Baby!«
»Wollten Sie ihnen den Kleinen geben?« fragte Balenquah.
»Reden Sie keinen Quatsch. Sie wollte ihn nur betrachten«, sagte Kris und entfernte sich von dem streitsüchtigen Piloten. Aarens war schon schrecklich, aber Balenquah verlieh dem Begriff ›unerträglich‹ ganz neue Dimensionen.
»ALLE MAL HERHÖREN!« rief Scott und erhob seine Stimme über das allgemeine Gemurmel. »Wir haben die Erlaubnis hierzubleiben. Das ist doch das Wichtigste, was wir wissen mußten, nicht wahr?«
Mit einem Mal waren der Klang aufgeregter Stimmen und das Summen eines Luftkissenfahrzeugs, das sich dem Hangar näherte, deutlich zu hören.
»Hey, sie sind gekommen, und wir können hierbleiben!« rief Lenny Doyle, während er aus dem Fahrzeug heraussprang und in den Hangar rannte. »Sie sind soeben vor der Messe aufgetaucht und …« Er brach mitten im Satz ab, als er die Gesichter der Wartenden sehen konnte. »Wir dürfen sie Farmer nennen«, endete er. »Sie waren hier auch?«
Worrell, Leon Dane, Mayock und zwei Krankenschwestern tauchten als nächste aus dem Luftkissentieflader auf, der als Krankenwagen benutzt wurde. Ihre Gesichter erstrahlten selig, wie bei Leuten, die großartige Neuigkeiten zu verkünden haben. Das Strahlen ließ in dem Moment nach, als auch sie erkennen mußten, daß sie nichts Einmaliges erlebt hatten.
»Wie viele von diesen seltsamen Wechselwesen sind denn hier gewesen?« fragte Kris in die einsetzende Stille.
Dann begann die Komm-Zentrale aufgeregt zu summen. Alle Leitungen ins Büro waren gleichzeitig belegt.
»Dann war es wohl eher eine ziemlich ungewöhnliche Massenhalluzination«, stellte Dane fest. »Sollen wir mal unsere Erfahrungen miteinander vergleichen? Wir können hierbleiben, zumindest haben sie etwas Derartiges gemeint, und wir können sie Farmer nennen …«
»Da es zutreffend ist«, fügte der Richter hinzu.
»Haben wir denn alle dieselben Fragen gestellt?« fragte Leon und ließ den Blick zwischen Zainal und Scott hin und her wandern.
»Wir sollten tatsächlich unsere Erfahrungen austauschen«, sagte Scott, »nachdem wir die eingehenden Anrufe beantwortet haben. Kris, Yowell, Zainal … helfen Sie mir mal …« Dabei deutete er auf die blinkenden Lämpchen der Komm-Zentrale.
»Wie viele waren es?« fragte Kris, als sie Zeit hatten, sich über das erstaunliche gleichzeitige Erscheinen von Farmern bei allen wichtigen Gruppen auf Botany zu unterhalten. Sogar die Bergleute hatten Besuch von zehn Wesen erhalten. Keine Farmer-Gruppe war umfangreicher gewesen als die, die sich bei ihnen vorgestellt hatte. Die fünf Personen, die am Kommandoposten Wache gehalten hatten, berichteten von drei Besuchern. Die in der Messe, wo die meisten Leute sich zum Frühstück eingefunden hatten, hatten insgesamt dreißig Farmer gezählt. Das Krankenhaus war immerhin mit fünfzehn Besuchern bedacht worden.
»Alle zur gleichen Zeit?« fragte Leon verblüfft.
»Mindestens fünfzig, und die konnten unmöglich alle in dieser Kugel Platz gefunden haben«, sagte Beverly.
»Das kommt darauf an, wieviel Platz solche Wechselwesen brauchen«, meinte Kris.
»Wenn sie allen von uns erschienen sind, weshalb haben wir dann nicht mehr über sie herausbekommen?« wollte Scott wissen. »Wir hatten die einmalige Chance, aus dieser Begegnung eine Menge herauszuholen.«
»Wir hatten alle die gleiche Chance«, gab Rastancil ihm recht, »aber ich konnte gar nicht schnell genug reagieren, auch kann ich nicht behaupten, daß Sie ausgesprochen intelligente Fragen gestellt haben, Ray.«
Obgleich Rastancil seine Einschätzung sehr diplomatisch formuliert hatte, reagierte Admiral Ray Scott beleidigt.
»Unsinn«, sagte Kris, »sie hatten verdammt viel mehr Erfahrung mit solchen Begegnungen als wir. Wir sind wirklich jung.« Sie kicherte. »Aber glauben Sie denn wirklich, wir hätten von einer Rasse direkte Antworten erhalten, die über eine solche Technologie verfügt? Wir sind viel zu jung für sie, als daß sie uns mehr als nur ein paar Minuten an Aufmerksamkeit schenken.«
»Betrachten wir doch mal die positiven Aspekte dieser Begegnung«, sagte Pete Easley und gebot mit einer Handbewegung Scott Einhalt, der sich von allen am meisten über die vertane Gelegenheit zu ärgern schien. »Wir haben jetzt die offizielle Erlaubnis hierzubleiben. Ich habe sogar den Eindruck«, er wandte sich zu Zainal um, als erwartete er dessen Bestätigung, »daß wir vielleicht sogar aus der Blase herauskommen, aber andere, wie die Eosi, nicht.«
Zainal nickte.
»Ich möchte, daß Sie einen Flug organisieren, um das zu überprüfen, Zainal. Wenn möglich heute noch«, sagte Scott, der die Gelegenheit ergriff, sich wieder in einem Bereich bewegen zu können, in dem er sich auskannte. »Ich weiß nicht, ob das Ihren Plänen für Phase Drei nützt, aber …« Er zuckte die Achseln.
»Was haben sie damit gemeint, ›das ist mehr, als die anderen getan haben‹?« fragte Kris.
Scott, Zainal und der Richter musterten sie überrascht.
»Als du darum gebeten hast, daß die Blase entfernt werden sollte, Zainal, und der Richter erklärte, wir würden ihnen für den Schutz danken, meinte einer von ihnen: ›Damit tun sie mehr, als die anderen getan haben.‹ Haben Sie das gehört?« Kris schaute sich fragend um. »War ich etwa der einzige Mensch?«
»Was haben Sie sonst noch gehört, Kris?« fragte Richter Bempechat und lächelte sie auf eine Art und Weise an, die die Vermutung nahelegte, daß er vielleicht auch einige sehr private Gedanken verfolgte.
»Sie beneiden uns darum, daß wir Kinder haben«, sagte sie und schaute sich um. Und fing Pete Easleys Blick auf, und dann erinnerte sie sich an die Bemerkung des weiblichen Aliens: »Das ist Ihr Kind!« Dabei hatte die Frau Pete und nicht Kris angesehen.
Die Wahrheit will raus, nicht wahr? dachte Kris bei sich und nickte. Sie war gemein gewesen, es ihm nicht schon früher erzählt und ihm aus reinem Trotz das Wissen um die Tatsachen vorenthalten zu haben. Pete lächelte – es war ein ausgesprochen glückliches Lächeln –, ehe er auf Scott deutete, der gerade eine Frage an Kris wiederholte.
»Tut mir leid, Ray, was wollten Sie wissen?«
»Was haben Sie sonst noch ›gehört‹, wovon wir nichts wissen?«
»Keine Ahnung«, erwiderte sie achselzuckend. »Ich hatte niemals angenommen, daß ich telepathische Fähigkeiten habe. Ich dachte, wir hätten alle dasselbe gehört.
Wurde denn außer dem Richter und mir noch jemand anderem eine Sonderbehandlung zuteil?«
»Ich habe ganz deutlich gehört, daß sie diesen Quadranten nach vernunftbegabten Arten absuchen wollen, die sich hier seit ihrem letzten Besuch entwickelt haben«, sagte Zainal und schaute sich um.
»Ihrem letzten Besuch?« rief Pete Easley. Und stieß einen Pfiff aus.
»Sie waren auf der Deski-Welt«, verkündete Coo stolz.
»Demnach kommen Sie viel besser weg als wir Menschen«, sagte Richter Bempechat und grinste breit.
Kris bemerkte, daß Scott etwas hatte sagen wollen und daß der Richter dem Admiral mit einer diplomatischeren Bemerkung zuvorgekommen war. Scott preßte die Lippen zusammen.
»Ich denke«, fuhr der Richter fort, während er nach einem Schreibstift und einem Stück Papier griff, »wir sollten am besten dieses erstaunliche Gespräch, so gut es geht, rekonstruieren. Und hinzufügen, was jeder einzelne von uns aus den Bemerkungen der Allgemeinheit herausgehört hat.«
»Gute Idee«, sagte Leon.
»Insgesamt haben wir dann wahrscheinlich mehr, als in den jeweiligen Einzelgesprächen vermittelt wurde«, sagte der Richter. »Wir müssen die Bergleute und die Besatzung des Kommandopostens bitten, dasselbe zu tun. Im Grunde jeden, der mit diesen verwandlungsfreudigen Farmern zusammengetroffen ist.«
Zainal brach am Vormittag zusammen mit Marrucci, Balenquah und Beverly auf, um zur Blase zu fliegen und sich zu vergewissern, ob sie durchgelassen würden.
»Viel wichtiger ist, daß du wieder zurückkommst«, sagte Kris mit Nachdruck, als Zainal ihr von seinem Vorhaben erzählte. Es dauerte fast den ganzen Tag, um die verschiedenen Gespräche schriftlich zu fixieren, und am Ende, als alles zu Papier gebracht worden war, ergab sich tatsächlich, daß erheblich mehr Informationen ausgetauscht worden waren.
»Ich frage mich, ob sie während ihres Heimflugs eine ähnlich sorgfältige Rekapitulation vornehmen«, sagte Kris irgendwann während der mühsamen Rekonstruktion der verschiedenen Diskussionsbeiträge.
»Das bezweifle ich«, sagte Rastancil. »Sie haben sich ganz leicht aus unseren Gehirnen bedient, so daß sie wahrscheinlich auch über alles Bescheid wissen, was an anderer Stelle vor sich ging.«
»Wahrscheinlich schon in dem Moment, als es geschah«, sagte Worry und rümpfte die Nase. Dabei hatte er nicht wie sonst seinen zutiefst besorgten Gesichtsausdruck.
Fast jeder – oder zumindest all jene, die sich mit speziellen Problemen auseinandersetzen mußten – hatten ›private‹ Informationen erhalten. Leon Dane, der sich mit medizinischen Problemen herumschlug, für die er keine Lösung fand, und auf die Gelegenheit gewartet hatte, fremde Ratschläge einzuholen, hatte erfahren, welche Pflanzen er suchen müßte. Außerdem kannte er plötzlich – »es fuhr wie ein greller Blitz durch meinen Schädel« – die Methode der Gewinnung sowie die wirkungsvollste Dosierung der heilenden Substanzen.
»Wir haben die meisten Pflanzen bereits getestet und sie als giftig, wenn nicht gar tödlich eingestuft. Aber winzige und verdünnte Dosierungen ansonsten gefährlicher Substanzen haben oft einen therapeutischen Wert, wenn sie unter sorgfältiger Überwachung verabreicht werden. Ich habe soeben eine kurze Eillektion über die hiesigen botanischen Hilfsmittel erhalten. Es scheint, als gebe es hier einen Strauch, der ein allgemein anzuwendendes Anästhetikum liefert, aber sie sähen es lieber, wenn wir uns weiterhin auf unsere einzige Akupunkteurin verlassen würden. Sie soll anderen ihre Fertigkeit beibringen.«
»Sie begrüßen es, daß wir Ziegel herstellen«, sagte Sandy Areson, »und ich weiß jetzt, wo man fünf verschiedene Arten Lehm finden kann …«
»Und mir wurde erklärt, welche anderen Büsche Samenkapseln wie diese Faserflocken haben, die wir spinnen und zu Stoff weben können«, sagte Janet. »Irgendwie war er wie Jesus Christus.«
»Der bei uns ist«, fügte Kris hinzu.
»Was haben Sie gesagt?« Janet war leicht ungehalten.
›»Er ist nicht bei Ihnen?‹, wurde gefragt«, erzählte Kris.
»Und Sie müssen auch bedenken«, fuhr Janet fort und nahm eine würdige Haltung ein, »daß sie uns in menschlicher Gestalt erschienen sind. Demnach haben wir jetzt eine Bestätigung für die äußere Erscheinung Gottes erhalten. Sie ist menschlich!«
»Das lag nur daran, daß weder Rugarianer noch Deski zu jenem Zeitpunkt bei Ihnen waren«, sagte Sandy Areson, aber diesmal kam aus ihrem Mund keinerlei Anspielung auf Janets offensichtliche Religiosität. »Wir hatten sowohl Deski als auch Rugarianer, denn Vertreter dieser Rassen saßen mit uns Menschen beim Frühstück.«
Die Wache am Kommandoposten wurde freundlich davon in Kenntnis gesetzt, daß ihre Anwesenheit nicht länger nötig wäre. Den Bergleuten war versichert worden, daß die Farmer gegen die Ausbeutung von Mineral-und Erzvorkommen nichts einzuwenden hätten. Die Holzfäller wurden gebeten, nicht ausgerechnet die ältesten Bäume zu fällen, sondern erhielten die Erlaubnis, die Waldbestände auf dem zweiten landwirtschaftlich genutzten Kontinent auszudünnen, denn das Holz dieser Baumarten war weicher und eignete sich besser zur Herstellung nützlicher Gegenständen Allgemein war den Menschen erlaubt worden, auf dem zweiten Kontinent zu bleiben sowie die Herren des Planeten ›Farmer‹ zu nennen, und ihnen wurde versichert, daß sie auf keinen Fall eine ›Rassenschädigung‹ zu befürchten hätten.
»Sie waren sehr traurig, daß wir so weit weg von unserem Zuhause sind«, meinte Coo.
»Und?« fragte Richter Bempechat, als offensichtlich wurde, daß Coo noch mehr als das mitgeteilt worden war. »Haben Sie vorgeschlagen, Sie nach Hause zu bringen?«
»Nicht jetzt«, sagte Coo. »Hier haben wir es besser.« Dann lächelte er auf seine typische Art. »Sogar viel besser.«
»Wir auch«, fügte Slav hinzu. »Niemand ist bei den Catteni sicher.« Er zog die Augenbrauen zusammen und saugte die Lippen in den Mund. Auf diese Weise drückte er sein großes Mißfallen aus. »Sehen die Farmer keine Gefahr?« fragte er und ließ den Blick vom Richter über Scott und Worrell bis zu den anderen wandern, die sich noch im Büro aufhielten.
»Nicht, wenn es zu einer Rassenschädigung führt, derer sie sich noch nicht einmal gegenüber den aggressiven Rassen wie den Catteni schuldig machen wollen …«, begann der Richter und fuhr fort, als Kris sich vielsagend räusperte, »ich muß mich korrigieren, meine Liebe … wie die Eosi … die von den Catteni verlangen, genauso zu handeln.«
»Hey, er ist da, und ich denke, er tut es«, rief Bert Put.
Alle im Büro drängten sich vor den Sichtschirm, um den winzigen Fleck zu beobachten, der Baby darstellte. Der Fleck verschwand. Die meisten jubelten und applaudierten angesichts dieser Bestätigung, daß die Erlaubnis der Farmer ernstgemeint war. Kris hielt jedoch den Atem an.
»Das würde ich nicht tun«, sagte Easley, der neben ihr stand. »Es könnte sein, daß er längere Zeit draußen bleibt.«
Unwillkürlich drehte Kris sich zu ihm um und atmete mit einem matten Lächeln aus. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, ein Gespräch mit ihm zu vermeiden.
»An dem Tag ist soviel Schnaps geflossen, daß ich mich nicht mehr daran erinnern kann, was ich getan habe oder daß ich etwas getan habe«, meinte er mit leiser Stimme. »Ist er ein gutes Baby für dich?«
»Es könnte nicht besser sein«, sagte sie und schaute zärtlich auf den schlafenden Zane hinunter. »Vielen Dank.« Und dann fügte sie hinzu, um bei ihm keine falschen Hoffnungen zu wecken, »glaube ich zumindest.« Pete Easley lachte leise über ihre Einschränkung und tätschelte ihre Schulter, ehe er sich entfernte. Fast wäre es ihr lieber gewesen, wenn er noch ein wenig bei ihr geblieben wäre, denn die Wartezeit war ziemlich lang. Sie hätte alles darauf verwettet, daß Zainal darauf abzielte, den Eosi zu zeigen, daß er sich außerhalb der Blase aufgehalten hatte. Wahrscheinlich ließ er das Scout-Schiff sowohl um die Orbitalkugel wie auch um den geosynchronen Satelliten kreisen. Das sähe ihm ähnlich! Trotzdem war sie sich nicht ganz sicher, zu was er in der Lage wäre. Eines wußte sie jedoch genau, daß er irgendeinen neuen Plan für Phase Drei hatte. Und den Eosi eine lange Nase zu ziehen war ein Teil davon. Natürlich verdarb das die falsche Spur, die er gelegt hatte, um ihnen vorzugaukeln, daß er sich längst ganz woanders in der Galaxis aufhielt. Aber ging er für sie alle nicht ein schrecklich hohes Risiko ein? Was wäre, wenn die Blase dem Eosi-Kriegsschiff nachgeben würde?
In ihrem Arm seufzte Zane und drängte sich dichter an sie. Nein, dachte Kris, er würde nichts tun, das seinen Sohn in Gefahr brächte.
»Ah, er ist wieder drin!« rief Bert jetzt, woraufhin Zane erneut zusammenzuckte. »Und er kommt zurück!«
Erleichtert, daß Zainal mit seinem Vorhaben offensichtlich Erfolg gehabt hatte, entschied Kris, daß sie endlich verschwinden konnte. Wenn er jetzt aufwachte, müßte Zane gefüttert werden. Außerdem brauchte er eine frische Windel, und ihr gingen allmählich die Pflanzenfaserbüschel aus. Außerdem war sie nach der aufregenden Begegnung mit den Farmern und der anschließenden Diskussion rechtschaffen müde. Wenn sie ihren Sohn erst einmal gefüttert hätte, dann bliebe ihr noch ein wenig Zeit zum Ausruhen, ehe Zainal landete.
Die Orbitalkugel meldete pflichtschuldigst das Auftauchen eines kleinen Flugkörpers aus dem schützenden Mantel. Sie meldete das Auftauchen, den kurzen Flug zu dem stationären Satelliten und danach wieder sein Eindringen. Jenseits des Hindernisses konnte nichts aufgezeichnet werden, aber dieser kurze Rüg war für die Orbitalkugel ein derartiges Phänomen, daß sie sofort eine Nachricht an ihre Basis absetzte.
Als der Bericht eintraf, wanderte er sofort zum Ix Mentat, das in Rage geriet. Sehr schnell wurde das Vehikel als konstruktionsmäßig ähnlich dem Scout-Schiff identifiziert, in dem Zainal, wie man vermutete, das System verlassen hatte.
»Das Entfernen der Markierungen täuscht niemanden«, sagte das Ix. »Und wenn ein Scout-Schiff mit seinem bescheidenen Energievorrat das Hindernis in beiden Richtungen durchdringen kann, dann können wir das erst recht!«
Das Kriegsschiff, die AA1, sowie ihr Schwesterschiff, das soeben seine Testflüge absolviert hatte, wurden für die schnellstmögliche Rückkehr ins fragliche System mit Vorräten und Mannschaften versehen. Die gegenüber dem ersten Besuch doppelte Feuerkraft würde sicherlich ein Loch in das bohren, was ihren Ausflug behindert und die anschließende Rückkehr der AA1 nicht mehr zugelassen hatte.
»Diesmal wird Zainal zurückkommen, um angemessen bestraft zu werden«, sagte das Ix Mentat und dachte sich alle möglichen physischen Mißhandlungen aus, die dem Auserwählten die schlimmsten Schmerzen und die totale Erniedrigung zufügen würden. Es war die Strafe dafür, daß er es versäumt hatte, sich bei der Führung der Eosi zu melden. Das Mentat stellte sich Szenen der Mißhandlung, der Zerfleischung, der Folter besonders empfindlicher Körperstellen der cattenischen Anatomie mit giftigen Substanzen vor.
Unterdessen erfüllte der Drang, neue Erfolge technologischer Entwicklung zu erzielen, jeden einzelnen Eosi. Sie waren zu lange untätig gewesen, hatten sich mit der Beherrschung von sieben Sonnensystemen, mit der Ausbeutung ihrer Reichtümer zufrieden gegeben. Aber es gab noch so viele Welten zu entdecken und für eosianische Zwecke umzuwandeln. Sie standen auf der Schwelle zu einer neuen Epoche eosianischer Dominanz! Niemand durfte sich ihrem Drang nach Fortschritt entgegenstellen. Am Ende würde die Galaxis ihnen gehören!
Als die Barriere von der geballten Wucht eosianischer Marinekampfkraft attackiert wurde, erwies sie sich als undurchdringlich für jedwede Kombination von Raketen, Strahlen und Energie. Der Angriff gegen die Barriere war erfolglos, und das Bombardement mit Waffen aller Art erwies sich als nicht ausreichend, um die Barriere auch nur anzukratzen. Diejenigen, die sich auf dem Planeten aufhielten, bekamen von dem Versuch nichts mit.
In sämtlichen von den Eosi beherrschten Systemen wurden Kapitäne und Gouverneure von dieser unerwarteten Beleidigung in Kenntnis gesetzt. Die Nachricht gelangte auch zu den Unterdrückten auf den rugarianischen, deskischen, ilginishen, turischen und terranischen Heimatwelten und sogar auf die verschiedenen kolonisierten Planeten. Hoffnung flackerte auf! Aber sie wurde durch die Heftigkeit der eosianischen Reaktion auf diese ihnen zugefügte Schlappe gleich wieder erstickt. Die Eosi konzentrierten sich jetzt darauf, irgendeine Möglichkeit zum Durchdringen der Barriere zu suchen, ganz gleich, wo sie sie finden könnten. Die Eosi waren schon immer unangenehm gewesen, doch nun wurden sie bösartig. Alle Mühe wurde nun auf das Bestehen der ersten echten Prüfung eosianischer Vorherrschaft konzentriert, seit die Mentats ihre Körper aufgegeben hatten, um Unsterblichkeit zu finden, indem sie sich der starken Catteni-Körper bedienten.
Und immer noch erwies die Barriere sich als undurchdringlich.
Daher schickte das Ix Mentat jedes verfügbare Scout-Schiff bis weit hinter die schon früher erforschten Sektoren, um eine Spur jener zu suchen, deren hochentwickelte Technologie es daran hinderte, die Rache zu üben, nach der es sich sehr sehnte.