Kapitel 9
Während die hohen Offiziere zusammen mit Peter Easley, Yuri Palit und Chuck Mitford die verschiedenen Messen rund um die Retreat Bay und weiter landeinwärts aufsuchten, um Gerüchten entgegenzutreten und zu schildern, was geschehen war, berieten Zainal und die Flieger über einen kurzen Ausflug mit dem Scout-Schiff, um die Blase zu untersuchen. Bert Put, Marrucci, Raisha, Beverly und Vic Yowell konnten es kaum erwarten, sich das Phänomen aus nächster Nähe anzusehen. Für einen Ausflug sprach das Argument, daß, wenn die Satelliten nicht mehr aufzeichnen konnten, was die Neusiedler auf der Oberfläche des Planeten trieben, es sicherlich nicht schlimm wäre, wenn das Schiff für Forschungszwecke eingesetzt würde. Und eine der ersten Erscheinungen, die untersucht werden müßte, wäre nun mal die Blase. »So eingehend wie irgend möglich.«
»Vielleicht kann man auch in sie hinein«, fügte Kris hinzu, die sich zwar im Hintergrund hielt, aber entschlossen war, aus einer ganzen Reihe von Gründen an dieser Mission teilzunehmen. Sie hatte sich alles verfügbare Wissen über die neuen Geräte angeeignet und das Tub oft genug gelenkt, um ein Gefühl für die für Catteni dimensionierten Fingerauflagen auf den Armaturenbrettern zu entwickeln. Sie würde das Fliegen vielleicht niemals mehr erlernen, aber es gab während eines Flugs genügend Aufgaben und Tätigkeiten, für die sie sich ausreichend qualifiziert fühlte.
Sie harte außerdem eine vage Ahnung, daß Zainal seinen Plan, mit einem der nächsten Vehikel der Farmer mitzufliegen, das den Himmel von Botany verdunkelte, auf keinen Fall aufgegeben hatte. Wie er das schaffen wollte, das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, und er lieferte ihr auch keinerlei Hinweise. Allerdings gab es Momente, da starrte er vor sich hin, auf nichts Bestimmtes, und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er gerade nach Möglichkeiten suchte, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Wenn man bedachte, wie schnell das Versorgungsschiff seine Ladung gelöscht hatte, würde er genügend Zeit haben, bis zu ihm zu gelangen, ehe es startete und seine unglaubliche Geschwindigkeit aufnahm? Das Scout-Schiff war mit einem Traktorstrahl ausgerüstet, und sie vermutete, daß er diesen einzusetzen hoffte, um sich an dem großen Schiff festzuklammern. Aber was wäre, wenn er losgerissen würde, sobald das Schiff der Farmer beschleunigte oder die Technik aktivierte, die es brauchte, um die immensen Strecken zu reisen, die es nach Auffassung aller zurücklegen mußte?
Sie hoffte, daß, wenn er seine Planung abgeschlossen hatte, sie ein Teil davon wäre. Trotz all der guten Freunde, die sie mittlerweile auf Botany gefunden hatte, wollte sie auf keinen Fall alleine zurückbleiben. Zumal Zainals Anwesenheit sie vor gewissen Unverschämtheiten schützte. Sie hatte bereits mehrere unangenehme Gespräche mit Männern geführt, die gerne auf ihrer ›Vaterschaftsliste‹ stehen würden. Sie hatten sich zwar bereit erklärt, auf den Weg der natürlichen Befruchtung zu verzichten, aber sie wollten, daß sie ihr Kind austrug.
Sie hatte es geschafft, sich für ihr Interesse zu bedanken – während sie in Wirklichkeit am liebsten so fest sie konnte zugeschlagen hätte – und versprach ihnen, sich ihr Angebot durch den Kopf gehen zu lassen. Und sie sorgte dafür, daß sie noch häufiger mit Zainal zusammen war, auch wenn es zur Folge hatte, daß sie ihre Arbeit an der Einrichtung ihres neuen Zuhauses mehr oder weniger einstellen mußte. Sie machte, so lange es ging, ohne seine Hilfe weiter – bis die ersten Männer erschienen und ihre Hilfe anboten … und von Vaterschaft zu reden begannen.
Dann stellte Raisha fest, daß sie schwanger war, und stellte ihren Platz jedem, der sich dafür interessierte, zur Verfügung.
»Ich war oben, und es war wundervoll«, sagte sie, und ihre Augen glänzten, als sie in Erinnerungen schwelgte, »aber ich möchte es nicht bei Schwerelosigkeit treiben, vielen Dank.«
Dieser Zustand war schon bald weitverbreitet, als Astrid, Sarah und die drei jungen Frauen, die für die Catteni Nachrichten entschlüsselt hatten, verkündeten, daß sie ebenfalls schwanger waren. Kris hielt sich noch enger an Zainal und nahm sogar an ausgedehnten Unterweisungen am Armaturenbrett des Scout-Schiffs teil, um der ›Ansteckung‹ durch diese Krankheit zu entgehen. Kein Wunder, daß ausgerechnet in der Region um die Bucht so viele individuelle Behausungen gebaut wurden.
Raishas Platz zu füllen stellte keinerlei Problem dar, und Bert bot edelmütig an, ebenfalls zurückzutreten. Beverly und Marrucci gingen alle Referenzen von denen durch, die sich freiwillig zur Teilnahme an dem Flug gemeldet hatten, und entschieden sich für Antonio Gedes als Raishas Ersatz, aber Zainal bestand darauf, daß Bert auf seinem Posten bleiben sollte, da er ja immerhin einige Erfahrung mit dem Schiff und dem Weltraum hatte, während zwei andere Piloten, Alejandro Balenquah und Sidi Ahmed, auf die Teilnehmerliste aufgenommen wurden.
»Wahrscheinlich werden wir nie weit fliegen«, meinte Balenquah düster.
Er hatte dunkle Haut und tiefgründige schwarze Augen, mit denen er reserviert seine Umwelt betrachtete. Kris war sich nicht ganz im klaren darüber, ob ihr diese unbeteiligte Haltung zusagte, als ihm etwas angeboten wurde, das zu erhalten ein halbes Dutzend weniger qualifizierter Männer und Frauen sicherlich sogar einen Mord begangen hätte.
»Betrachten Sie es doch mal so, mein Freund«, sagte Bert Put, dem diese Haltung des Mannes ebensowenig gefiel, »man kann nie wissen, oder? Hatten Sie erwartet, jemals wieder ein Schiff durch den Weltraum zu lenken? Nun, Sie erhalten diese Möglichkeit – hier und jetzt.«
»Eigentlich nicht.« Und Balenquah änderte seine Haltung. Er war tatsächlich der schnellste der drei neuen Männer, die sich mit der ungewöhnlichen Ausrüstung und mit den Fingerdruckschaltern anzufreunden versuchten.
Der Flug war trotz erheblicher Bedenken von Seiten Reidenbackers und Aingers geplant worden. Sie seien typisches Bodenpersonal, hatte Marrucci einmal zu Kris bemerkt, und stünden der Luftfahrt und dem Raumflug überaus skeptisch gegenüber. Wenn die Satelliten auf den Schirmen der KDL und des Scouts nicht mehr zu sehen waren, dann konnte man wohl davon ausgehen, daß die Satelliten innerhalb der Blase nichts erkennen würden. Daher war es nicht nur ungefährlich, sondern auch eine kluge Vorsichtsmaßnahme, sich anzusehen, wie die Barriere sich, aus der Nähe betrachtet, darbot.
»Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß Sie sich geradezu danach verzehren, wieder starten zu dürfen«, sagte Kris, und Marrucci grinste noch jungenhafter als je zuvor, obgleich er mittlerweile den Rang eines Colonel in der Luftwaffe bekleidete.
»Sie haben es erfaßt, Bjornsen«, sagte er und formte mit der Hand eine Pistole, zielte auf sie und ließ einen mit zwei Gelenken versehenen Daumen nach unten zucken. Er hatte außerdem die Angewohnheit, mit den Knöcheln zu knacken, wenn er nervös war, eine Angewohnheit, die Zainal immer wieder in Erstaunen versetzte. Zu Kris’ großer Erleichterung konnte er das nicht nachmachen. Es reichte vollauf, wenn nur einer in der Enge einer Pilotenkanzel dazu fähig war.
Zainal wollte außerdem versuchen, einen Satelliten der Farmer zu lokalisieren, oder was immer die Blase steuerte.
»Wenn sie uns ausspionieren, dann ist es gut. Sie wollen schließlich mehr wissen, ehe sie zu uns kommen.«
»Das ist deine Interpretation«, sagte Kris.
Er musterte sie mit seinen gelben Augen, und ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen. »Und wie lautet deine?«
Sie überlegte einen Moment lang und lachte dann. »Ja, wir könnten tatsächlich weiße Mäuse sein.«
»Was?« fragte Zainal verwirrt, daher schlug sie vor, während ihres Hausbaus eine kleine Pause einzulegen, und sie erzählte ihm von Labormäusen und Labyrinthen, mit denen ihre Intelligenz und ihr Lernvermögen getestet wurden.
»Um noch mehr über uns zu erfahren, als sie mit Hilfe des Scanners bereits herausgefunden haben.«
»Aber wir tun doch das, was wir wollen«, sagte Zainal immer noch verwirrt.
»Vielleicht glauben wir das nur«, entgegnete sie.
»Scott würde es nicht gefallen, sich vorstellen zu müssen, daß jemand anderer ihn lenkt.« Er lachte verhalten, während er wieder aufstand und nach dem nächsten Ziegelstein griff.
»Nein, das würde es ganz bestimmt nicht«, pflichtete Kris ihm bei und lachte, während sie ebenfalls aufstand, um die Arbeit wieder aufzunehmen. »Wir haben genug Mörtel für die nächste Lage«, sagte sie und holte sich eine Kelle voll aus der Wanne. »Ich bin darin schon richtig gut.«
Dann erinnerte sie sich an Sandy Aresons Bemerkung, daß Verputzen und Mauern ungefähr das gleiche war, als würde man einen Säugling füttern, und daß sie diese Fertigkeit hatte anwenden können, als sie ein eigenes Kind hatte. Kris knallte den nächsten Ziegelstein derart heftig auf seinen Platz, daß er entzweibrach.
»Das ist heute schon der vierte«, stellte sie ungehalten fest. »Vielleicht sollten sie die Steine noch etwas länger brennen.«
Sandy war für die Ziegelsteinherstellung verantwortlich, daher wußte Kris, daß die Schuld nicht in der Fabrik zu suchen war. Die Ziegelherstellung war eine der zahlreichen Aufgaben, an der sich jedes Mitglied der Gemeinschaft auf die eine oder andere Art beteiligte. Aber es lag etwas Tröstliches darin, den feuchten Lehm in die Formen zu schaufeln und zu wissen, daß man damit sein eigenes Haus praktisch aus dem Nichts bauen konnte, auch wenn man am Ende mit zerschundenen Händen und Armen dastand.
Trotzdem wäre es eine hübsche Bleibe, wenn es erst einmal fertig war. Sie und Zainal hatten damals, während ihres ersten Ausflugs, die Stelle gemeinsam ausgewählt. Sie hatten von dort einen herrlichen Blick auf die Bucht. Das Grundstück war groß genug, um Gemüse und Beerensträucher anzupflanzen, und hinter ihnen befand sich eine Gruppe ›junger‹ Zeltstangenbäume. Nach Monaten des Barackenlebens wünschte sich jeder auf Botany so etwas wie eine Privatsphäre, und die Region um die Bucht konnte damit aufwarten.
Die Messe von Narrow Valley war zerlegt und in die KDL geladen und anschließend auf einer Anhöhe über der Bucht wieder aufgebaut worden. Kleinere ›Büros‹ drängten sich auf natürlichen Terrassen und Etagen darunter und darüber. Das Krankenhaus war das einzige andere größere Bauwerk. Leon Dane verkündete, daß das medizinische Personal nicht die Zeit hätte, eine separate Entbindungsstation zu bauen und einzurichten. Er sei jedoch im Begriff, Hebammen für Hausgeburten auszubilden, denn alle Babys würden ungefähr zur gleichen Zeit zur Welt kommen.
Private Behausungen breiteten sich rund um die Bucht in allen Richtungen aus. Zuerst wurden sie aus dem Holz der Zeltstangenbäume gebaut, ehe die Ziegelei eine ausreichende Produktion vorweisen konnte. Diejenigen, die im Holzeinschlag beschäftigt waren, machten die interessante Entdeckung, daß sogar die kleinsten Zeltstangenbäume, die auf dem Plateau gefunden wurden, mindestens tausend Jahre alt waren.
»Genauso wie die Bäume auf der Erde haben sie Jahresringe«, erklärte Vigdin Elsasdottir, die Umweltexpertin, die den Holzeinschlag überwachte, und zeigte nur zu gerne ihr Demonstrationsobjekt vor, das sie immer bei sich trug. »Und schmale Ringe deuten darauf hin, daß das Klima während des letzten Jahrtausends kaum nennenswerten Schwankungen unterworfen war. Es gab keine Dürreperioden, keine extrem harten Winter, keine zu heißen Sommer. Einige der größeren Bäume dürften schon zehntausend Jahre alt sein.«
Erneut kam die Frage auf, wie lange die Farmer diesen Planeten schon besaßen. Vor allem da der ›neue‹ Wald ›junger‹ Bäume von den viel älteren abstammte. Sogar Worrell zeigte wenig Lust, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
»Ich habe wichtigere Dinge, mit denen ich mich beschäftigen muß«, hatte er eines Abends in der Messe erklärt. »Zum Beispiel wie ich Glas für die Leute beschaffen soll, die sich Fenster und Duschkabinen wünschen. Ausgerechnet«, klagte er und deutete theatralisch auf die Bucht, »als hätten wir da draußen nicht eine einzige riesengroße Badewanne für alle!«
Diejenigen, die schon auf der Erde im Baugewerbe tätig gewesen waren, wie zum Beispiel die Doyle-Brüder, hatten alle Hände voll zu tun, Ratschläge zu erteilen und Neulingen alles zu zeigen, was sie, wie Lenny es ausdrückte, ›von der Pike auf‹ gelernt hatten. Einige Asiaten hatten große Probleme, denn sie waren an ganz andere Baumaterialien gewöhnt. Nachdem die zugewiesenen Aufgaben erledigt worden waren und die Abende allmählich länger wurden, arbeitete jeder an seinem neuen Zuhause und half Nachbarn, soweit für bestimmte Projekte zusätzliche Arbeitskräfte nötig waren.
Obwohl einige hohe Militärs im Felsenhangar wohnten und auf Matratzen in ihren Büros schliefen, hatten sie alle sich zwar Bauplätze ausgesucht, aber das Einteilen von Arbeitsgruppen für rund zehntausend Menschen und Aliens nahm fast ihre gesamte Zeit in Anspruch.
»Jemand muß es tun«, meinte Mitford, als Kris sich einmal beschwerte, daß der Admiral sich, ohne gewählt zu sein, zum Chef von allem aufschwang. »Und zum Teufel, Kris, ich hätte vielleicht das Bataillon in jeder Hinsicht führen können und hätte es sicherlich auch geschafft, am Anfang so etwas wie Ordnung in den ganzen Haufen zu bekommen, aber er hat schließlich einen Flugzeugträger geleitet, und dort sind mindestens zehntausend Mann Besatzung. Er ist an den Umgang mit so vielen Leuten gewöhnt. Ich bin das nicht. Ich war froh, daß ich die Verantwortung an ihn abtreten konnte.«
Mitford war weiterhin für die Erkundung und das Kartographieren verantwortlich, und er versuchte ständig, die Übersichtskarte mit den nötigen Details zu vervollständigen, die nötig waren, um die Landwirtschaftsfläche zu vergrößern. »Das betrifft auch die Viehzucht, sofern man Luh-Kühe als normales Vieh bezeichnen kann.«
Da sie wußte, daß der Sergeant sich am wohlsten fühlte, wenn er mit dem Tub auf Erkundungsfahrt war, wollte Kris gegen Ray Scott keinen allzu großen Groll in sich aufkommen lassen. Ohne Frage arbeitete er hier auf Botany praktisch rund um die Uhr. Und an manchen Tagen wirkte er sogar richtig umgänglich, als übte Botany eine besänftigende Wirkung auf ihn aus. Bei anderen Gelegenheiten war sie überzeugt, daß er Zainal verabscheute und ihm mißtraute und ihr wegen ihrer engen Verbindung mit dem ehemaligen Emassi-Offizier gleich mit. Er schwankte zwischen übertriebener Herzlichkeit, wenn er sich Zainals Kenntnissen in bestimmten Bereichen bediente, und totaler Ignoranz hinsichtlich Zainals Ansichten und Meinungen. Er führte das Kommando nicht ausschließlich nach seinen eigenen Vorstellungen, was Kris einigermaßen gnädig stimmte, und sie dachte, daß er nach Führung eines Flugzeugträgers trotz allem die nötige Erfahrung besaß. Sie konnte im Grunde dankbar sein, daß es Scott war, der die meisten Befehle erteilte, und nicht Geoffrey Ainger, den sie überhaupt nicht leiden konnte. Er war so englisch, daß er einem beinahe wie eine Karikatur eines leitenden Offiziers vorkam, und sie wußte, daß er Zainal als gefährlichen Fremdkörper betrachtete. Gut zurecht kam sie mit Rastancil, Fetterman und Reidenbacker; John Beverly war der netteste von allen, denn er sah ihr immer gerade in die Augen, wenn er sie etwas fragte oder ihr eine Frage beantwortete. Mit Easley hatte sie überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, Versammlungen schienen viel besser zu laufen, wenn er daran teilnahm, und sie erwiesen sich meistens auch als deutlich produktiver. Er hatte die Gabe, Spannungen abzubauen und Vorschläge zu machen, die die Diskussionen vorantrieben, anstatt ständig zu unterbrechen und sich mit Ray Scott zu beraten.
Womit sie wieder in die Gegenwart und zu dem Treffen zurückkehrte, zu dem Scott und Rastancil sie gebeten hatten. Sie wollten, daß Zainal die bergigere Region untersuchte, die während des Flugs noch nicht ausgekundschaftet worden war. Aus der ursprünglichen Absicht, einen Flug zur Blase und zurück zu unternehmen, hatte sich der Plan zu einer fünftägigen ausführlichen Erkundung des gesamten Planeten entwickelt.
»Sehen Sie nach, ob es auf unserem Kontinent Sacktäler oder Mineralienvorkommen gibt. Wir könnten Blei, Kupfer, Zink und Zinn gut gebrauchen, falls der Kontinent über so etwas verfügt.«
»Ich glaube, das tut er«, sagte Zainal. »Der Bergbauexperte, Walter Duxie, besitzt Kopien von den ursprünglichen Übersichtskarten.«
»Duxie? Kenne ich den?« fragte Scott über die Schulter seinen allgegenwärtigen Adjutanten.
»Ja, er war damit einverstanden, den anderen Ort zu verlassen und hier den Bergbau zu organisieren«, murmelte Beggs. »Ein stämmiger Mann, beginnende Glatze, in den Vierzigern, Engländer.«
»Ach ja, lassen Sie sich von ihm die Karten geben, damit ich sie mir anschauen kann.« Danach wandte Scott sich wieder zu Zainal und Kris um.
Kris fragte sich, wie Beggs’ Beschreibung von Zainal -und von ihr selbst – aussehen mochte. Dann entschied sie, daß sie es eigentlich gar nicht wissen wollte.
Zwei Tage später stellte Zainal zufrieden fest, daß diejenigen, die ihn auf der Blasen-Mission, wie die Teilnehmer sie getauft hatten, begleiteten, hinreichend ausgebildet waren, um das, was sie gelernt hatten, in die Praxis umzusetzen. Er gab bekannt, daß sie bei Tagesanbruch starten würden, und riet allen, den Rest des Abends in Ruhe zu verbringen. Er selbst hatte nicht die Absicht, seinen eigenen Rat zu befolgen, denn sie würden das Dach ihrer Zwei-Zimmer-Hütte decken. Kris entschied, daß sie dadurch so müde sein müßte, so daß sie gar nicht wachbleiben konnte. Sie erwartete den Start zu ihrem Ausflug viel aufgeregter, als sie zuzugeben bereit war.
Zainal hatte soeben einen Stapel Dachschindeln bereitgestellt und die Leiter gegen das Giebelende des Hauses gelehnt, als Mitford, Worry, Tesco, Sandy Areson, Sally Stoffers und die beiden Doyles erschienen. Jeder hielt einen Hammer in der Hand, und sie hatten eine zweite Leiter bei sich.
»Ich kann nicht zulassen, daß Sie sich am Tag vor der Blasen-Mission noch irgend etwas brechen«, hatte Mitford unwirsch geknurrt.
Kris lächelte dankbar. Zainal mochte zwar einige Grundlagen des Hausbaus beherrschen, aber sie hatte schreckliche Angst, daß er vom Dach stürzte oder durch das Gebälk brach. Außerdem wollte er ihr nicht gestatten, ebenfalls hinaufzusteigen und Schindeln festzunageln.
»Sie dürfen nicht mitmachen«, erklärte Kris den beiden Frauen in einem Ton, der keine Widerrede duldete.
»Ich habe von Ihren Versuchen mit meinen roten Ziegeln gehört«, sagte Sandy. Sie war von dem Aufstieg ein wenig außer Atem. Sie stellte ihren Hocker vor der Hütte ab und nickte anerkennend. »Ich hatte gar keine Ahnung, daß wir eine solche Farbenvielfalt haben … Wahrscheinlich solltet Ihr Neuen euch euer Baumaterial selbst einfärben.«
»Das Rot gefiel mir gut, daher habe ich die roten Ziegel einfach nachgefärbt«, sagte Kris und begutachtete kritisch die Wirkung. Sie hatten die dunkleren Ziegel um die Tür, die Fenstersimse, an den Ecken, am Schornstein und um den offenen Kamin vermauert. Sie hatten im kleineren Zimmer eine Hintertür eingebaut, durch die sie schneller die Latrine erreichen konnten. Und es gab einen Schlafspeicher, der sich vor allem bei Familien, die mit Zuwachs rechneten, großer Beliebtheit erfreute. »Ich finde, es sieht sehr gut aus.«
»Tut es auch. Ich kann Nägel anreichen. Ich habe außerdem meine praktische Nagelschürze mitgebracht.« Sie reichte Kris das Kleidungsstück, und diese band es sich lachend um, während Sandy damit begann, die drei geräumigen Taschen mit den Nägeln zu füllen. »Will Zainal sich die Nägel in seinen großen Mund stecken?«
Kris schüttelte grinsend den Kopf. »Nein. Lenny hat ihn schon davor gewarnt, daß er ja keinen verschluckt. Selbst ein Catteni würde das nicht überleben. Er hat sich für einen Eimer entschieden.«
Zainal hatte die Leiter mittlerweile gesichert, und ehe er seinen Eimer hochheben konnte, war sie schon mit einem Stapel Schindeln und dem Hammer die Leiter hinaufgeeilt.
»Hey!« protestierte Zainal.
»Man wüßte gar nicht, daß er ein Catteni ist«, meinte Sandy beiläufig zu Sally, »wenn man es ihm nicht deutlich ansehen würde.«
Sally verschluckte ein Kichern, während Zainal mindestens genauso elegant wie Kris vor ihm die Leiter hinaufturnte. Mitford und Lenny Doyle erschienen am anderen Ende des Dachs, und dann begann das große Hämmern, das mittlerweile auch auf zahlreichen anderen Dächern im Gange war.
Bei so tatkräftiger Hilfe beim Anreichen neuer Schindeln und der Erneuerung des Nagelvorrats war die Hütte bis zum Sonnenuntergang vollständig gedeckt. Anschließend schenkte Zainal Bier für die durstigen Kehlen aus, und Kris verteilte Tee aus einer großen Kanne, die im Kamin gestanden hatte.
»Mit dem Dach darauf wirkt die Hütte viel größer«, stellte Kris fest, blickte nach oben und atmete genußvoll den Duft des frischen Holzes ein, aus dem die Schindeln geschnitten worden waren. Sie hätten auch ein Schieferdach haben können, aber Mitford meinte, Holzschindeln wären viel hübscher und einfacher anzubringen.
Sie saßen zusammen, bis der erste Mond aufging, dann verabschiedeten sich die Gäste.
»Wir sollten lieber jetzt schon zum Hangar marschieren und im Scout schlafen«, sagte Kris und ging zur Türöffnung. Noch hatten sie keine richtige Tür.
Zainal hielt sie zurück. »Ich möchte unter meinem eigenen Dach bleiben, das ich selbst gebaut habe …«
»Bei dessen Bau du mitgeholfen hast«, neckte Kris ihn.
»Wie du meinst«, sagte er lächelnd und deutete auf den Stapel Decken, den sie noch nicht bemerkt hatte.
»Damit wäre der Tag komplett.«
»Nicht ganz«, sagte Zainal mit leiser Stimme und schloß sie in die Arme. »Es ist immer gut, sein eigenes Heim zu haben. Sehr gut sogar.«
Es hätte für sie eigentlich ein idyllischer Tagesabschluß sein sollen. Aber als sie nachts, zwischen den Mondaufgängen, aufstand und sich dabei bemühte, Zainal, der fest schlief, nicht aufzuwecken, stolperte sie auf dem Rückweg von der Latrine über die übriggebliebenen Schindeln und brach sich den rechten Arm.
Sie war wütend auf sich selbst, weil sie so unvorsichtig war und sich selbst der Chance beraubt hatte, an der Mission teilzunehmen.
»Warum konnte es nicht der linke Arm sein? Wo ich doch Rechtshänderin bin«, schimpfte sie und weinte mehr vor Enttäuschung als vor Schmerzen, während Zainal sie zum nächsten verfügbaren Luftkissenfahrzeug trug und sie damit zum Krankenhaus brachte. Beide Knochen waren gebrochen, allerdings tröstete Leon Dane sie mit der Feststellung, daß es kein komplizierter Bruch sei. Das hätte bei ihren begrenzten Möglichkeiten Probleme geben können.
Dann schenkte er ihr eine reichliche Portion von dem Gärungsalkohol ein, der vorwiegend als Schmerzmittel eingesetzt wurde. Das Zeug hatte einen leicht rauchigen Geschmack, aber Kris beklagte sich nicht.
»Das ist schon schlimm genug«, sagte sie, während Zainal sie festhielt und Leon die Knochen vorsichtig in die richtige Lage schob. Sie wurde ohnmächtig – anschließend, nicht während der Prozedur – und wachte wieder auf, als er gerade die letzte Bandage um die Bruchstelle wickelte.
»Ich hätte den Arm am liebsten mit Gips ruhig gestellt, nur kann ich damit noch nicht dienen«, sagte Leon. Er schenkte ihr noch eine kleine Portion Alkohol ein, »damit Sie ruhig schlafen können«, wie er meinte.
Danach zeigte er Zainal, der sie auf den Armen trug, ein freies Krankenzimmer. Zainal setzte sie ans Fenster und schob dann das nächste Bett neben ihres.
»So etwas sollten wir nicht zur Gewohnheit werden lassen«, sagte Leon mit gespieltem Ernst, während er Zainals Vorbereitungen verfolgte. Doch er knipste die mit Sonnenenergie gespeiste Beleuchtung aus und schloß leise die Tür hinter sich.
Kris hätte es lieber gesehen, wenn Zainal sie alleine ihrem Leid überlassen hätte, doch der Whiskey hatte den Schmerz in ihrem Arm betäubt, und die Wärme seines Körpers und seine Fürsorge trösteten sie, so daß sie schon bald einschlief.
Als sie am nächsten Morgen vom Startlärm des Scout-Schiffs geweckt wurde, war Zainal bereits verschwunden. Sein Bett war wieder an seinen alten Platz geschoben worden. Der Morgen graute, und er war pünktlich aufgebrochen. Sie fragte sich, wer nun ihren Platz einnahm, entschied jedoch, daß sie es lieber gar nicht wissen wollte. Sie versuchte wieder einzuschlafen, konnte es aber wegen der Schmerzen nicht, daher stand sie auf, wickelte sich in eine Decke und machte sich auf die Suche nach jemandem, der ihr helfen könnte, eine Tasse Kräutertee zuzubereiten. Vielleicht milderte dies die Schmerzen in ihrem Arm.
Was letztendlich die gewünschte Wirkung hatte, war ein kräftiger Schuß Alkohol im Tee.
»Ich kann doch wohl kaum die nächsten Wochen ständig betrunken sein«, sagte sie zu der Helferin in der Krankenhausküche.
»Ach, der Schmerz läßt mit der Zeit nach«, beruhigte Mavis, die diensthabende Krankenschwester, sie grinsend. »Und wenn nicht, dann haben wir ja unser Schmerzmittel. Und jetzt zurück in Ihr Zimmer. Ich gehe mit und helfe Ihnen beim Anziehen. Kann ich Ihren alten Overall zu Ihrer Hütte bringen, sobald er gereinigt ist? Und mich dort einmal umsehen? Cumber und ich bauen ebenfalls, und ich möchte mir ansehen, was die anderen geschafft haben. Haben Sie Ziegel oder Holz verwendet?«
Mavis ging Kris beim Ankleiden sehr geschickt zur Hand und schaffte es, sie von ihren Schmerzen abzulenken.
»Schauen Sie bei der Apotheke rein, und man wird Ihnen dort ein Flasche mitgeben – natürlich nur zum medizinischen Gebrauch«, sagte Mavis mit einem verschmitzten Lächeln und deutete zur Tür. »Ich kann eine Fahrgelegenheit rufen, aber Sie müssen einen Moment warten …«
»Ich kann sehr gut zu Fuß gehen …«
»Das können Sie eben nicht«, widersprach Pete Easley, der soeben das Krankenhaus betrat. »Ich habe Leon versprochen, Sie mitzunehmen. Haben Sie Ihre Flasche Medizin? Setzen Sie sich, ich hole Ihnen eine. Ich weiß, wo sie aufbewahrt werden.« Er verschwand in der Apotheke und war schon wieder zurück, ehe Kris einen Platz gefunden hatte. Dann geleitete er sie nach draußen zum Rutscher.
»Hat Mitford Ihnen den geliehen?«
»Für Sie würde Mitford noch viel mehr tun. Außerdem …« Easley betrachtete sie mit einem hinterlistigen Grinsen, »… hat er Zainal versprochen, sich um Sie zu kümmern.«
»Hmm, wie nett«, zischte sie giftig, wußte sie doch, welche Absicht Zainal verfolgte, indem er Mitford bat, auf sie aufzupassen.
»Sie können ruhig noch einen Tag im Krankenhaus bleiben«, meinte Easley und musterte sie besorgt.
»Ich bin nicht krank«, entgegnete sie spitz und kletterte vor ihm in das Luftkissenfahrzeug.
Der Platz auf dem Fahrersitz war nicht sehr groß, obgleich dort gewöhnlich zwei Leute sitzen konnten. Aber nicht jemand mit einem sperrigen Verband und einer braunen Flasche Fusel. Easley hockte schließlich schräg auf der Sitzkante, damit er nicht unabsichtlich gegen sie stieß. Sie kam sich unbeholfener vor als je zuvor in ihrem Leben und fühlte sich ausgesprochen unwohl. Es war kaum denkbar, daß sie nach dem Alkohol in der Nacht vorher einen Kater hatte, aber sie hätte in diesem Moment wer weiß was für ein Aspirin gegeben. Dann erinnerte sie sich daran, wie Zainal immer wieder über ihre Bereitschaft lachte, alles mögliche zu verschenken, um irgend etwas Bestimmtes zu erhalten, und irgendwie besserte sich ihre Laune daraufhin erheblich.
»Ist er gut weggekommen?« erkundigte sie sich.
»Pünktlich, wie geplant. Laughrey hat Ihren Platz eingenommen.«
»Laughrey, der ehemalige Pilot der Concorde?« Ihre gute Laune steigerte sich. Sie mochte Laughrey, und er war sicherlich im siebten Himmel. »Wenigstens war es nicht Scotts kleines Würstchen …« Sie hätte es nicht ertragen, wenn Beggs auf ihrem Platz gesessen hätte.
Pete Easley lachte. »Der Knabe ist ganz gut in dem, was er tut, aber Scott erträgt ihn nur, weil er auf diese Weise die anderen Leute in Ruhe läßt. Er ist der typische Jasager, aber er hat ein fotografisches Gedächtnis.«
Frühaufsteher winkten Kris und Pete zu, und einige deuteten auf ihren Arm und riefen ›So ein Pech‹. Sie wußte nicht, wie sie auf diese Welle der Sympathie reagieren sollte, daher winkte sie nur zurück und lächelte. Sie blickte zum Himmel und stellte sich vor, daß Baby wahrscheinlich jetzt schon über der anderen Halbkugel schwebte.
»Meinen Sie, ich käme auf eine der Kommandobrücken?«
»Nur wenn Sie vorher gefrühstückt haben. Sie sind käseweiß«, sagte er und bog auf den Parkplatz vor der Messe ein.
So nahm sie ihr Frühstück ein, das Pete ihr an den Tisch brachte, wo er sie, von der Tür aus nicht direkt zu sehen, plaziert hatte.
»Ich glaube nicht, daß Sie Lust auf Beileidsbezeugungen haben«, sagte er und setzte sich so zu ihr, daß sie vor neugierigen Blicken geschützt war.
»Hat die Nachricht von meinem Unfall sich denn schon in der ganzen Bucht herumgesprochen?« wollte sie wissen, und ihre Laune sackte gleich wieder auf einen Tiefpunkt.
»Nun, es bedurfte schon einer Erklärung, weshalb Zainal plötzlich mit Laughrey im Schlepptau erschien. Wir wissen doch alle, wie scharf Sie auf die Teilnahme an dieser Mission waren«, sagte er. »Und Sie wissen ja selbst, wie schnell Neuigkeiten sich in Retreat verbreiten.«
»Nun ja, das weiß ich wohl.« Sie verzog das Gesicht, denn nun kam sie sich schon selbst ein wenig seltsam vor.
»Ärgern Sie sich nicht, Kris«, sagte Pete. »Ich würde mich an Ihrer Stelle sogar noch verrückter anstellen.« Und er brachte sie wieder zum Luftkissenrutscher zurück, wobei er darauf achtete, daß sie nicht allzu vielen Leuten über den Weg liefen.
»Ich finde, ich sollte Sie jetzt nach Hause bringen, Kris«, sagte er und schlug dort, wo er zum Hangar hätte abbiegen müssen, die Richtung zu ihrer Hütte ein. »Sie sehen noch immer ein wenig mitgenommen aus.«
»Das bin ich auch«, gab sie zu. »Ich habe das Gefühl, als stünde ich total neben mir.«
Aber sie wollte auch nicht in einer Hütte herumsitzen und ständig an Zainal denken. Sie versuchte sich auf die Dinge zu konzentrieren, die sie mit einer Hand vollbringen konnte, und fand nur sehr wenige. Sogar zum Geschirrspülen brauchte man zwei Hände.
»Sehen Sie, Kris, sie erreichen die Blase frühestens in zwei Stunden. Wie wäre es, wenn ich Sie zu Ihrer Hütte bringe und rechtzeitig wieder abhole? Okay?«
»Ja, das klingt gut«, sagte sie, während er den Rutscher vor ihrer Tür abbremste. Sie war im Begriff auszusteigen, als sie erkannte, daß die Türöffnung nicht mehr leer war. »Hey, wie ist das denn dorthin gekommen?« Sie deutete verblüfft auf das nagelneue Teil.
Pete grinste. »Lenny Doyle hat sie bei Tagesanbruch hergebracht. Er meinte, Sie wären beim Traurigsein sicherlich lieber alleine und ungestört.« Sie war außer sich vor Freude und betätigte prüfend den Riegel.
»Wenn Sie die Schnur auf der Innenseite ziehen, ist es genauso, als würden Sie abschließen«, sagte er und zeigte ihr, was er meinte.
»Genauso haben es früher die Pioniere im Wilden Westen gemacht.« Sie grinste selig, während sie an der Schnur zog.
Pete schob sie mit sanfter Gewalt über die Schwelle in die Hütte hinein. »Ruhen Sie sich aus. Ich hole Sie schon bald wieder ab.«
Er schloß die Tür, und sie zog wieder an der Schnur.
»Danke, Pete!« rief sie und hörte sein fröhliches »Nullo problemo« und anschließend das leise Zischen, als das Luftkissenfahrzeug sich entfernte.
Jemand hatte außerdem die Betten gemacht und die Pflanzenfaserfüllung der Matratze verstärkt. Sie bedankte sich im stillen bei diesem wohltätigen Unbekannten. Sie schob mit dem Fuß einen der Hocker über den Steinfußboden, kippte ihn dabei um und schob ihn weiter zum Bett. Dann richtete sie ihn wieder auf, stellte die ›Medizinflasche‹ darauf und setzte sich aufs Bett, um die Stiefel auszuziehen. Sie würde nicht einschlafen, das wußte sie genau, aber sie nahm einen Schluck aus der Flasche, ehe sie sich auf der Matratze ausstreckte.
Ein energisches Klopfen und eine Stimme, die ihren Namen rief, weckten sie, und sie setzte sich auf und stieß sich schmerzhaft ihren Arm.
»Ich komme ja schon«, antwortete sie und stellte fest, daß es nicht so einfach war, mit einem Arm in einer Tragschlinge auf die Füße zu kommen. Als sie die Tür öffnete, lehnte Pete Easley im Rahmen und strahlte sie an.
»Sie haben geschlafen und sehen um mindestens hundert Prozent besser aus«, sagte er, doch dann holte er einen Kamm hervor – er war aus Luh-Kuh-Knochen herausgefräst worden – und ging ihr damit durchs Haar. »So ist es fast perfekt. Kommen Sie. Wir sollten zusehen, daß wir im Hangar sind, ehe sie die Blase erreichen.«
Als sie die Kommandobrücke der KDL betraten, war sie bereits mit einem gespannten Publikum bevölkert, doch Scott bat die Anwesenden durch unmißverständliche Gesten, für sie Platz zu machen, und bot ihr einen der Sessel an.
»Es wird Sie sicherlich interessieren«, meinte Beverly aus der Pilotenkanzel des Scout-Schiffs, »daß die Blase von keinem der Suchinstrumente wahrgenommen wird. Aber sie ist deutlich sichtbar … wie Sie alle sich überzeugen können.«
Was sie auch taten … und zwar aus Babys Perspektive. Sie konnten außerdem das Scout-Schiff auf dem Sichtschirm der KDL erkennen. Seine Nase war kaum zehn Meter von der Barriere entfernt.
»Wir wollen sie mal probeweise anstoßen«, sagte Zainals Stimme, und Baby trieb auf die milchige Masse der Blase zu, tauchte leicht ein und federte langsam zurück.
»Moment mal, ich justiere nur den Schirm, damit Sie sehen können, was das Kriegsschiff hinterlassen hat«, sagte Marrucci, und seine Stimme bebte vor Lachen.
»Wir müssen ein kleines Stück zurücksetzen, um einen genauen Überblick zu erhalten.« Das war Laughreys amüsierter Bariton. Er lachte, während der Sichtschirm des Scout-Schiffs langsam nach Steuerbord und anschließend wieder zurückwanderte.
»Sehen Sie, was ich meine?« fragte Bert Put, und Kris konnte das Grinsen im Gesicht des Australiers deutlich vor sich sehen. »Sie haben jede Antenne und jeden Mast verloren, den sie besaßen.«
»Für immer in der Blase verewigt«, sagte Balenquah. »Madre de Dios, die Farmer haben aber schon verrückte Dinge geschaffen!«
»Können Sie eine Analyse durchführen?« fragte Scott.
»Geht nicht, wenn Sensoren nichts wahrnehmen können«, sagte Bert Put. »Es sei denn, wir gehen raus und versuchen, ein Stück herauszuschneiden.«
»Nein«, sagte Zainal. »Wenn Sie wollen, geht jemand raus, aber wir werden uns keine Probe holen.«
»Zustimmung zu Ihrem Vorschlag, Zainal«, sagte Scott. »Aber ich möchte, daß eine EVA-Untersuchung durchgeführt wird.«
»Ich gehe«, sagte Zainal, und sofort wurde sowohl unter den Beobachtern im Scout-Schiff wie auch in der KDL Protest laut.
Kris stellte fest, daß sie die linke Hand auf ihre Lippen preßte, damit sie nicht ebenfalls protestierte. Dann unterdrückte sie schließlich ihre Angst.
»Er ist derjenige, der gehen muß, Ray«, erklärte sie mit Nachdruck. »Er kennt die Ausrüstung und das Schiff. Niemand sonst hat sich auf einen Spaziergang im Raum vorbereitet, oder etwa doch?«
»Ich habe es getan«, sagte Bert Put, »aber nicht mit diesem Gerät. Zainal ist schon der richtige dafür, Kris. Er ist bereits dabei, sich umzuziehen.«
Zainals Raumanzug verfügte über eine eigene Kamera, daher wurde nach einer kurzen Wartezeit auf Zainals Helmoptik umgeschaltet, und sie sahen den schimmernden Schleier der Blase, als Zainal sich ihr langsam näherte. Sie konnten seine Hände sehen, wie sie vorgestreckt wurden, um die Blase zu berühren, und die Reaktion darauf, als Zainal von der Blase wegtrieb.
»Können Sie mit Ihrem Helm dagegenstoßen, Zainal?« fragte Scott, nachdem ihm eine Bitte der Techniker übermittelt worden war, die ebenfalls den Weltraumspaziergang beobachteten.
Allmählich füllte die Blase den gesamten Schirm aus. Von dem schwarzen Raum dahinter war durch die Substanz nichts zu erkennen, und sie war glatt.
»Wie eine Ballonhülle«, murmelte Kris halblaut.
»So würde ich es auch beschreiben«, sagte Scott.
Dann wich Zainal wieder zurück. »Es gibt keine Unregelmäßigkeiten, nicht einmal in der Umgebung der abgebrochenen Teile des Kriegsschiffs.«
»Können Sie uns mal diese Stelle zeigen?« fragte Scott.
»Weiter reicht die Lebensleine nicht, Ray«, sagte Beverly. »Wir haben sämtliches Fotomaterial, das Sie für eine genaue Untersuchung dieses Treibguts brauchen. Es ist nicht nötig, Zainal deswegen in Gefahr zu bringen.«
»Einverstanden«, sagte Scott gleichmütig. »Vielen Dank für Ihre Bemühungen, Zainal.«
»Gern geschehen«, antwortete Zainals tiefe Stimme. Sein Helm drehte sich und fing Babys Bug sowie die Fenster der Pilotenkanzel ein.
Kris’ Mund wurde schlagartig trocken. Er war unendlich weit vom Schiff entfernt, auch wenn er langsam wieder darauf zutrieb. Sie spürte, wie sich eine Hand beruhigend auf ihre Schulter legte, und sie schaute zu Pete Easley hoch. Sie seufzte und versuchte, das Flattern in ihrer Magengrube unter Kontrolle zu bekommen. Die Bruchstelle begann wieder zu pulsieren, aber sie beschloß, es zu ignorieren: der Schmerz war nicht vorhanden. Dafür hatte sie jetzt keine Zeit.
Dann war Zainal wieder im Scout-Schiff, und seine Kamera wurde abgeschaltet. Kris atmete erleichtert auf, desgleichen alle anderen, die sich auf der Kommandobrücke eingefunden hatten. Es waren einfach zu viele für ihren Geschmack, und sie erhob sich von ihrem Platz und warf Pete einen flehendlichen Blick zu.
»Danke, Admiral«, sagte sie und nickte all denen zu, die sie persönlich kannte.
Eine Gasse bildete sich für sie, als Easley sie aus der Kommandobrücke hinaus und von der KDL hinunter führte. Die Knie gaben beinahe nach, als sie die Leiter hinunterkletterte und sich nur mit der linken Hand festhalten konnte. Ihr rechter Arm schmerzte, und es gelang ihr nicht, den Schmerz zu verdrängen.
»Es gibt Sandwiches und Tee«, sagte Pete und deutete in eine Ecke, wo ein Zeichentisch als Büfett hergerichtet worden war. »Und ich weiß, wo im Hangar der Schnaps aufbewahrt wird«, fügte er hinzu.
»Davon will ich nichts hören«, sagte sie mürrisch.
»Brauchen Sie auch nicht«, meinte Pete. »Aber Sie wissen, was ich meine. Setzen Sie sich. Ich bin gleich wieder zurück.« Er präparierte eine Tasse Tee und brachte mehr Sandwiches mit, als ihr lieb war, aber sie verzehrte zwei Stück und trank zwei Tassen des mit Whiskey verfeinerten Tees. Die Schmerzen an der Bruchstelle ließen schlagartig nach.
»Wollen Sie wieder zurückgehen und sich die nächste Übertragung ansehen?« fragte Easley.
Er war wirklich sehr nett, dachte Kris, aber sie schüttelte den Kopf.
»Dann bringe ich Sie wieder in Ihre Hütte.« Er griff nach ihrem Ellbogen und führte sie hinüber zum Rutscher, den er in nächster Nähe geparkt hatte.
Er war wirklich ein netter Kerl, dachte sie. Sie fragte sich, wer ihn wohl als Vater eines oder mehrerer Kinder aussuchen würde. Er war einen ganzen Kopf größer als sie und erheblich athletischer, als man bei seiner jungenhaften Art, die er an den Tag legte, erwartet hätte. Er sah auch gar nicht so übel aus, wenngleich er nicht annähernd so attraktiv war wie Dick Aarens. Oder Yuri mit seinen slawischen Zügen und seinen eindringlichen schwarzen Augen. Allerdings war keiner eine echte Konkurrenz für Zainal.
Das Handy summte, und Pete meldete sich. »Oh, tatsächlich? Das ist ja toll … Ich bringe Kris nach Hause. Sie braucht Ruhe. Okay? … Prima. Bis gleich … Nein, sie wissen nicht, woraus die Blase besteht … außer daß es der verdammt größte Ballon ist, der je hergestellt wurde. Ende.«
»Ja …« Kris kicherte. »Es ist der größte verdammte Ballon, und wir wissen nicht, wer ihn aufgeblasen hat.«
Pete grinste sie an, und sie wußte, daß sie sich ziemlich albern benahm, aber es war besser, als ständig mürrisch zu sein.
»Ich liebe diese Tür«, sagte sie, als der Rutscher genau davor stehenblieb. »Es ist die beste Tür, die ich je gesehen habe. Zainal wird sie bestimmt gefallen. Sagen Sie, wieviel Fusel haben Sie in meinen Tee geschüttet?«
»Nur soviel, um den Schmerz in ihrem Arm zu betäuben. Und er ist doch verschwunden, oder?«
Sie blickte auf den weißen Verband. »Das ist er tatsächlich.«
Pete drückte die Tür auf, und sie hatte schon einen Schritt gemacht, ehe sie erkannte, daß das Innere sich verändert hatte.
»Mein Gott, was ist denn hier hinter meinem Rücken passiert?« wollte sie wissen und schwankte ein wenig, als sie sich zu Pete umwandte.
Er griff nach ihrem gesunden Arm und führte sie in die Hütte hinein. »Nun, wir wollten mit unserer Überraschung warten, bis Zainal wieder zurück war, aber da Sie außer Gefecht gesetzt sind, dachten Sandy, Lenny, Ninety, Chuck, Sarah, Whitby und Leila, daß jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, das Zeug reinzubringen.«
»Zeug?« Sie blinzelte und betrachtete zuerst den Tisch mit sechs Gläsern, alle von fast der gleichen Machart, und einer Steingutgarnitur – offenbar Sandys beste Qualität – aus zwei Töpfen, einem großen und einem kleinen, und einer gußeisernen Bratpfanne. Am Tisch standen Bänke und an einem Ende ein Sessel, der groß genug war für Zainal. Sie preßte überrascht die Hand auf den Mund. Doch als ihr staunender Blick zum kleineren Zimmer wanderte und sie die aus Holz gezimmerte Bettstatt mit handgeschnitzten Pfosten und einer dicken mit Pflanzenfasern gefüllten Matratze entdeckte, die darauf lag, kamen ihr die Tränen.
»Aber, aber, Kris«, sagte Pete irritiert und zog sie an sich. Er strich ihr mit der Hand tröstend über den Rücken und murmelte viele Dinge, die sie gar nicht richtig verstand, weil die Großzügigkeit ihrer Freunde und Kollegen sie total überwältigte.
Dann reichte er ihr eins der Gläser und drängte sie, einen Schluck zu trinken. Sie tat es nur, weil sie nicht so kindisch reagieren wollte, wo doch alle so nett zu ihr waren. Und dann bekam sie weiche Knie, und Pete fing sie auf – genauso leicht und sicher wie Zainal – und hob sie auf ihr Bett, schob ihr ein Kissen hinter den Rücken und nötigte sie, das Glas zu leeren.
»Das Bett – es ist so wunderschön … und sie alle wissen, daß ich mir eine richtig dicke, weiche Matratze gewünscht habe …« Und sie klammerte sich an Pete, der in diesem Augenblick das einzig Sichere in einer sich rasend schnell drehenden Welt war.
Sie spürte Arme um sich und, aus alter Gewohnheit und weil sie vergaß, daß Zainal weit weg im Weltraum war, hob ihr Gesicht, um geküßt zu werden. Und es geschah. Und auch ihre Wangen und ihr Hals und jeder Punkt, wo es ihr gefiel, und sie küßte das männliche Gesicht, leicht stoppelig, was sie überraschte, denn Zainal hatte keinen Bartwuchs, aber sie brauchte in diesem Moment Trost, und die Küsse waren wirklich sehr schön, und sie konnte nicht widerstehen und erwiderte sie … und sie konnte auch nicht protestieren, obgleich ihr rechter Arm so schwer war und sich anfühlte, als gehörte er ihr gar nicht, und dann wurde ihr Overall abgestreift und sie spürte die warme Haut. Das alles war irgendwie unausweichlich und, am Ende, überaus angenehm.
Sie wachte mit einem schrecklichen Kater auf. Der Schmerz, als sie sich den rechten Arm beim Versuch sich aufzurichten heftig stieß, verriet ihr, daß er immer noch von einer Schiene fixiert wurde. Der Schmerz ließ schnell wieder nach. Die Mühe beim Aufrichten verstärkte allerdings das Dröhnen in ihrem Schädel.
Sie entsann sich, auf der Kommandobrücke der KDL gewesen zu sein, dann war sie in ihre Hütte getreten und hatte all die hübschen Geschenke gesehen, und sie hatte geweint, war aufs Bett gesetzt worden, und da war Pete Easley gewesen.
Ein Schreck durchzuckte sie, und sie krümmte sich sofort wieder, als ihr Kopf sich schmerzhaft meldete, und sie versuchte, sich an mehr zu erinnern. Und ihr Gedächtnis ließ sie nicht im Stich. Es war nicht Zainal gewesen, mit dem sie in der vergangenen Nacht zusammengewesen war. Es war Pete Easley gewesen! Und sie hatte es viel intensiver genossen, als sie es gedurft hätte. Tatsächlich tat es ihr leid – nicht richtig, aber fast –, daß ihre Skrupel von ihr verlangten, die Bindung, die sich zwischen ihr und Zainal entwickelt hatte, zu achten, als wäre es eine vor dem Gesetz geschlossene. Und das bedeutete, daß sie nicht mit jemand anderem ins Bett hüpfen durfte. Nun, in der vergangenen Nacht hatte es außergewöhnliche Umstände gegeben, zu denen es nie mehr kommen würde. Außerdem würde sie sich in Zukunft von jeglichem ›medizinischen‹, enthemmenden Alkohol fernhalten. Und zwar sowohl wegen der Kopfschmerzen, die er auslöste, als auch wegen seiner Wirkung auf ihre Selbstkontrolle.
Nun ja, dachte sie gleichmütig und lachte leise. Wenigstens kann ich mich daran erinnern, daß es Spaß gemacht hat. Dann seufzte sie. Sie hoffte, daß ihr nächstes Zusammentreffen nicht zu einer Peinlichkeit würde. Oder daß sie Pete nicht würde erklären müssen, daß die vergangene Nacht etwas Einmaliges gewesen wäre! Sie hatte nicht vor, Zainal zu betrügen. Auch nicht mit jemandem, der so gut im Bett war wie Pete Easley. Die Frau, die ihn bekäme, könnte sich glücklich schätzen. Sie machte eine weitere unvorsichtige Bewegung und dachte sehnsüchtig an eine kalte Kompresse für ihre Stirn und vielleicht auch für ihren Nacken.
Vielleicht ein Schluck Alkohol, um den Kater zu vertreiben? Sie schob die Decke zurück und bemerkte, daß Pete ihren Overall in Reichweite auf den Hocker gelegt und ihre Stiefel daneben gestellt hatte.
Ja, die Flasche mit der ›Medizin‹ stand auf dem Tisch, desgleichen das Glas, in dem sich noch ein kräftiger Schluck befand. Hatte er etwas getrunken, ehe er weggegangen war? Für einen kurzen Moment dachte sie besorgt, daß jemand sein Weggehen beobachtet haben könnte. Na, wenn schon. Sie setzte das Glas an die Lippen, leerte es in einem Zug und schüttelte sich von dem Geschmack. Es war ein kleines Wunder, daß sie überhaupt etwas von dem Zeug runterbekam.
Sie ging langsam zum Kamin und achtete darauf, ihren Kopf möglichst ruhig zu halten. Langsam ging sie in die Knie, um das Holz anzuzünden, das dort schon aufgeschichtet war. Eine weitere umsichtige Tat des netten Mr. Easley. Und der Kessel war auch schon mit Wasser gefüllt.
Eines Tages gäbe es in den Häusern fließendes Wasser, aber das lag noch in ferner Zukunft.
Sie kehrte zum Tisch zurück, um die Geschenke zu betrachten, die sie vorhin nur kurz gesehen hatte. Nun wurden sie von der Sonne beschienen, die durch das kleine Fenster über dem Bett hereindrang. Das mit Schlieren durchsetzte Glas zauberte ein Muster in allen Regenbogenfarben auf den Tisch. Dann wurde ihr bewußt, aus welcher Richtung die Sonne schien – aus Osten! Demnach hatte sie den halben Vortag und eine ganze Botany-Nacht verschlafen! Kein Wunder, daß die Schmerzen in ihrem Arm derart abgeklungen waren.
Als das Wasser im Kessel zu sieden begann, hatten auch die Kopfschmerzen merklich nachgelassen. Sie nahm Kräuter aus dem kleinen Gefäß auf dem Kaminsims und bereitete sich eine Tasse Tee, mit der sie sich in Zainals Sessel sinken ließ, um in Ruhe zu trinken. Es war ein gemütlicher Sessel, und sie kuschelte sich in ihn hinein. Ein oder zwei Kissen fehlten noch, aber nein … sie konnte sich Zainal wirklich nicht auf Kissen sitzend vorstellen. Das Holz, über das sie mit der linken Hand strich, war glattgeschliffen worden und roch leicht nach Pflanzenöl, das benutzt worden war, um ihm einen matten Glanz zu verleihen. Sie fragte sich, wer dieses Prachtstück angefertigt hatte.
Dann sah sie sich die Konstruktion des Tisches an. Er bestand aus einer etwa sieben Zentimeter dicken Schieferplatte, die aus dem nahegelegenen Steinbruch stammte. Sie ruhte auf sich leicht verjüngenden Zeltstangenbaumstempeln. Diese waren durch Nägel mit der Platte verbunden, damit diese nicht verrutschen konnte.
Ein leises Klopfen ertönte an der Tür.
»Herein«, sagte sie und sah, daß die Schnur, die den Riegel sicherte, nach innen gezogen worden war. Offenbar war sie noch wach genug gewesen, um daran zu denken, als Pete die Hütte verlassen hatte. Sie öffnete die Tür, und vor ihr stand Mavis Belton aus dem Krankenhaus mit einem sauberen Overall unterm Arm.
»Kommen Sie herein«, forderte Kris sie auf. »Das Wasser kocht schon. Ich wollte gerade eine Tasse Tee trinken, um meinen Kater zu vertreiben.«
»Wie geht es Ihrem Arm?« erkundigte Mavis sich lächelnd.
»Nicht so schlecht wie gestern, das ist schon mal sicher. Aber kommen Sie doch.« Mavis folgte der Einladung, wobei sie sich aufmerksam im großen Raum der Hütte umsah. Dann entdeckte sie die Möbel und stieß einen überraschten Ruf aus. Sie strich mit den Fingern über die Schieferplatte und bewunderte die stämmigen Tischbeine, die das schwere Gewicht trugen.
»Den wirft so leicht nichts um«, stellte sie fest, begutachtete den Schrank und anschließend Zainals Sessel. »Der ist wirklich groß genug für ihn, würde ich meinen.«
»Er wird begeistert sein. Wenn er auf einem Stuhl sitzt und seine Knie hochragen wie bei Arnie Schwarzenegger, wenn der auf einem Kinderstuhl hockt, sieht man ihm geradezu an, wie unwohl er sich fühlt. Da ist Ihr Tee – und ich benutze einstweilen Zainals Platz, weil ich den Arm auf die Lehne legen kann.«
»Meine Schicht ist gerade zu Ende gegangen, aber ich dachte, daß es Sie vielleicht interessiert, daß das Scout-Schiff seine Mission tadellos ausführt.«
»Ich habe mitbekommen, wie sie zur Blase gelangten und wie Zainal seinen Spaziergang unternahm«, erzählte Kris. »Das war, bevor Pete Easley mich mit soviel Alkohol traktierte, daß ich offensichtlich umgekippt bin.«
»Ich denke, wir sollten das Rezept ein wenig abändern. Dieser Stoff hat offenbar doppelte Stärke. Ich habe Leon und Mayock sofort geraten, das Destillat noch stärker zu verschneiden.«
»Das sollten sie tun«, pflichtete Kris ihr bei und massierte ihren Nacken. »Mein Kater sagt das auch.«
»Setzen Sie sich doch nach draußen in die Sonne. Es ist ein herrlicher Tag.« Mavis erhob sich. »Darf ich mich mal umsehen? Drinnen und draußen?«
»Na klar, aber stolpern Sie nicht auch noch über den Stapel Dachschindeln hinterm Haus vor der Latrine.«
Gegen Abend, als Mitford in seinem Rutscher vorbeikam, um sie zur Messe hinunterzubringen, hatte sie sich wieder völlig erholt. Aber sie stellte ihn zur Rede und wollte wissen, wer die Möbel angefertigt hatte, die sie nach ihrer Rückkehr vom Hangar in ihrer Hütte vorgefunden hatte.
»Wessen Idee war dieser Tisch? Nicht einmal Zainal könnte ihn umkippen, und wie haben Sie die Platte dort hinaufgeschafft?« fragte sie.
»Wir wollten es eigentlich machen, während Zainal und Sie unterwegs waren, und Sie nach Ihrer Rückkehr überraschen«, erklärte Chuck Mitford mit einem hinterlistigen Grinsen. »Aber da Sie plötzlich auf der Krankenliste standen, hielten wir es für eine gute Idee, das Bett aufzustellen … und was ist schon ein Bett ohne einen Tisch und die Stühle?«
»Nun, die Freude war wirklich riesengroß. Vor allem die dicke Matratze auf dem breiten Bett! Ich war zwar ziemlich betrunken, aber ich habe mich unheimlich darüber gefreut!« Dann bemerkte sie Mitfords seltsamen Gesichtsausdruck. »O ja, Pete Easley hat mich abgefüllt, für den Fall, daß Sie Gerüchte hören, ich wäre betrunken gewesen. Ich war’s wirklich. Ich habe eine ganze Botany-Nacht durchgeschlafen, ohne mich zu rühren. Mavis kam heute morgen vorbei und sagte, sie wären gerade dabei, die letzten Untersuchungen durchzuführen. Ich meinte, das wollte ich ihnen auch geraten haben … es war verdammt nochmal beinahe tödlich. Wer hat das Bett gezimmert?«
»Ach, die Doyles und ich. Ich habe das Holz geschnitten, und Lenny hat sich um die Pfosten gekümmert und mir gezeigt, wie man die Verbindungen herstellt und so weiter. Er und Ninety haben auch den Tisch und den großen Sessel gebaut. Sie meinten, es wäre das mindeste, das sie für jemanden tun könnten, der sie davor bewahrt hat, als Steaks in einer Tiefkühltruhe der Farmer zu landen. Joe und Sarah haben die Matratze und die Kissen gefüllt, Sandy Areson lieferte natürlich das Steingut und die Gläser, Whitby die Bänke. Coo besorgte die Töpfe und die Bratpfanne. Also überhaupt nichts Großartiges.«
»Nichts Großartiges?« rief sie aus, und ein letztes Nachbeben ihres Katers ließ ihre eigene Stimme im Kopf schmerzhaft widerhallen. »Sie möblieren unsere Hütte, und das soll nichts Großartiges sein? Für mich ist es das aber.« Sie beugte sich vor und küßte den Sergeant auf die Wange, ehe ihr überhaupt bewußt wurde, was sie tat. »So. Und jetzt werden Sie nur nicht rot, Chuck Mitford. Ich bin Ihnen für alles dankbar, was Sie getan haben, und abgesehen davon – niemand hat gesehen, daß ich Sie geküßt habe.«
Sie kicherte, als der Sergeant eine Hand auf seine Wange legen wollte, aber auf halbem Weg innehielt und sie schnell wieder in seinen Schoß fallen ließ. Er war immer noch puterrot.
»Ihre Hütte ist als erste fertig. Deshalb können Sie den anderen beim Einrichten behilflich sein, wenn deren Häuser fertig sind«, sagte er in barschem Ton. »Übrigens war ich die ganze Zeit in der KDL – die Mission verläuft wunschgemäß. Soweit sie bis jetzt haben feststellen können, weist der Ballon nicht die kleinste Falte auf. Rundum nahtlos. Die Techniker zerbrechen sich den Kopf darüber, welches Material hier benutzt wurde.«
»Wie ist denn die allgemeine Stimmung? Oder ist das alles noch viel zu weit weg, um die Klaustrophobiker zu beunruhigen?« fragte sie und versuchte, sich nicht darüber zu ärgern, daß sie nicht bei den anderen – und bei Zainal – war.
»Ich denke, die Leute sind froh. Die Deski haben offensichtlich eine Nacht voller Tanz und Gesang … falls man dieses Geknödel überhaupt Gesang nennen kann … hinter sich, und Coo sagt, wir würden von Riesen beschützt.«
»Hat er die Eosi gesehen?«
»Nein.« Mitford schüttelte den Kopf. »Und offen gesagt, bin ich froh, daß auch ich sie nicht gesehen habe. Worry hat noch immer Alpträume, und ich denke, das war auch der Grund, weshalb Leon den letzten Fusel so stark gemacht hat.« Er stieß einen langen Pfiff aus. »Sie können ihnen die Schuld daran geben, daß sie betrunken waren, nicht Pete Easley. Wobei mir noch etwas einfällt … Offiziell sind Sie krank, Bjornsen, also kommen Sie ja nicht auf die Idee, irgend etwas mit Ihrem lädierten Arm zu versuchen, ehe Leon das Okay gibt. Verstanden?«
»Jawohl, Sir, Sergeant, Sir«, sagte sie und salutierte mehrmals mit der linken Hand.
Die Bastler und Spender der Möbel hielten ihnen an einem Tisch in der Messe Plätze frei. Kris bedankte sich überschwenglich bei allen dafür, daß sie aus einer Hütte ein richtiges Zuhause gemacht hatten, und versprach, sich bei ihnen zu revanchieren, wenn deren Hütten erst einmal standen. Dann wandte sich das Gespräch der Scout-Schiff-Mission zu, und Mitford, der, wie er Kris versicherte, reichlich mit Wasser gestreckten Fusel trank, setzte sie über den neuesten Stand der Dinge in Kenntnis.
Der Monitor verfolgte ebenfalls das kleine Schiff bei seiner Erkundung, vor allem bei der Untersuchung der Barriere, und zeichnete seinen weiteren Flug auf, bis es wieder wohlbehalten auf dem westlichen Kontinent gelandet war.