Kapitel 10
Baby kehrte wohlbehalten und mit einer ausreichenden Menge an Informationen zurück, um alle hohen Militärs, Ingenieure, Bergbauexperten und sonstige Spezialisten in Atem zu halten. Die Missions-Crew brauchte etwas länger, um wieder zur gewohnten Routine zurückzufinden, so begeistert war sie von ihrem Unternehmen. Zainals Kurs hatte ein Minimum an Treibstoff gekostet und bei Fliegern und Raumfahrern allgemein Beifall gefunden. Jeder an Bord hatte von ihm Instruktionen zur Steuerung von Baby erhalten und Gelegenheit bekommen, das Schiff eine Strecke lang selbst zu lenken.
»Wir haben zwar keine Flugsimulatoren, aber was sind die schon gegen das echte Fliegen?« fragte Balenquah. »Zu schade, daß wir die KDL nicht benutzen können. Zainal meint, sie sei noch viel einfacher zu lenken -durchaus einleuchtend, weil mit dieser Baureihe vorwiegend Drassi geflogen sind. Die gesamte Operation zur Eroberung der KDL war reine Zeitverschwendung.«
»Nein«, widersprach Bert Put, der offensichtlich von Balenquahs Meinungsäußerungen genug hatte, »wir haben dadurch einiges an Treibstoff, eine neue Kommandobrücke und jede Menge Werkzeug gewonnen, das wir sonst hätten mühsam nachbauen müssen.«
»Nun ja, das hatte ich vergessen«, lenkte Balenquah ein. »Schön, wenn wir die Bevölkerung verlegen müssen, wird es sich bestimmt als nützlich erweisen.«
»Es wird sicherlich Rüge mit der KDL geben«, sagte Marrucci, »und wenn auch nur für den Bergbaubetrieb oder die Landwirtschaft, aber auf jeden Fall hängen wir nicht vollkommen am Boden fest.«
»Wir denken eher an richtige Raumflüge«, fuhr der Mann fort und redete sich selbst in eine mürrische Stimmung. In diesem Moment erhob Zainal sich, murmelte etwas davon, daß er den Admiral aufsuchen müßte, und nahm Kris gleich mit. Als sie sich noch einmal umdrehte, während sie mit Zainal die Messe verließ, sah sie, daß auch andere vom Tisch aufstanden und Balenquah alleine zurückließen.
Zainal war wie vom Donner gerührt, als er die Hütte sah. Die Tür – die er schon bewunderte, noch ehe er sie öffnete, wobei Kris kaum an sich halten konnte mit einer Beschreibung dessen, was sich dahinter befand – fesselte sein Interesse. Er betrachtete sie eingehend und bediente die Schnur der Riegelsicherung, an der er zu seinem großen Vergnügen immer wieder zog.
Dann betrat er den Wohnraum und entdeckte den Tisch und den Sessel, das Geschirr und die Gläser, die Kris auf den Kaminsims gestellt hatte, da kein anderer Platz zur Aufbewahrung dieser Gegenstände vorhanden war – noch jedenfalls. Lenny hatte ihr versprochen, ihr beizubringen, wie man Nut-und-Feder-Verbindungen in Holz ausführte, so daß sie sich die nötigen Schränke und Schubladen selbst bauen konnte. Aber der Tisch und der Sessel überwältigten ihn geradezu, und er verharrte mitten in der Bewegung, starrte die Möbelstücke an und erkundigte sich dann stammelnd, woher diese Teile kämen.
Während sie ihm Rede und Antwort stand und immer wieder in ein belustigtes Kichern ausbrach, wenn sie an die Überraschung dachte, die ihn noch erwartete, inspizierte er alles und versuchte sogar, den mit der Schieferplatte versehenen Tisch anzuheben. Er setzte sich in den Sessel, erhob sich, stellte ihn auf den Kopf, um sich anzusehen, wie die Beine und die Verstrebungen montiert worden waren, dann stellte er ihn wieder an seinen Platz, um sich darin niederzulassen, wobei er die Armlehnen mit seinen großen Händen andächtig streichelte.
Vielleicht hatten Catteni keine Tränenkanäle oder weinten niemals, aber Zainals Augen waren unübersehbar feucht geworden, und obgleich er ständig etwas zu sagen versuchte, schüttelte er nur hilflos den Kopf und brachte keinen Ton hervor.
»Das Beste habe ich bis zuletzt aufgespart«, sagte Kris und ergriff eine Hand. Sie führte ihn zu einer Stelle, von der aus er das neue Bett nicht übersehen konnte. Darauf reagierte er jedoch sofort. Mit einem verwegenen Ausdruck in den Augen schloß er sie in die Arme und trug sie, genauso wie John Wayne es mit Maureen O'Hara in Der Sieger getan hatte, zum Bett und demonstrierte ihr, zu was er auf einer standfesten Unterlage fähig war.
Mitford strich Kris von der Krankenliste, als er ihr Team losschicken wollte, damit es einen Paß durch die Berge im Westen zur Küste suchte. Sie sollte mitgehen. Er wußte, daß sie besser dabei aufgehoben war, Entfernungen zu messen und einzutragen, was sie auch mit der linken Hand tun konnte, als in Retreat zurückzubleiben und sich einzureden, sie wäre zu gar nichts nütze.
Während die Tour vorbereitet wurde, beteiligte sie sich an der Ziegelherstellung, da sie die Formen auch mit einer Hand füllen konnte. Sie war Sarah und Joe für ihre Beteiligung an der großen Möbel-Überraschung einiges schuldig. Als bei einem Unfall einige Holzfäller verletzt wurden – zwei sogar schwer –, hielt sie bei ihnen im Krankenhaus Wache, maß Puls und Temperatur. Da es keine Blutdruckmesser oder Thermometer gab, mußte sie sich auf das Gefühl ihrer linken Hand verlassen. Sie fütterte außerdem Boris Slavinkovin, der sich beide Arme und die meisten Rippen gebrochen hatte, als ein bergab rollender Baumstamm seinen Körper verletzt hatte. Von einer einhändigen Helferin gefüttert zu werden machte ihm nicht allzuviel aus, denn, wie er zu ihr meinte, damit beschäftigte er niemanden, der mehr leisten konnte, als ihn zu füttern. Dann fragte er sie, ob sie ihm nicht besseres Englisch beibringen könnte, da er ohnehin im Bett läge und nichts anderes zu tun hätte.
Ehemalige Lehrer hatten sich mit einem ehemaligen Karikaturisten zusammengetan und ein bebildertes Sprachlehrbuch für all jene entwickelt, die Englisch lernen wollten. Dank der Nachschubgüter in der KDL waren fünfzig Exemplare gedruckt worden, die schon ziemlich abgegriffen waren, als Kris ein Exemplar für Boris besorgte.
Leon und Maycock schafften es, ihr Gebräu derart zu verfeinern, daß es nicht nur einen nussigen Nachgeschmack hatte, sondern daß seine berauschende Wirkung einen nicht gleich von den Beinen holte.
Der einzige, dessen Organismus den anfangs angebotenen Gärungswhiskey problemlos vertrug, war Zainal, so daß man ihm das letzte Faß schenkte, anstatt seinen Inhalt mit Wasser zu verdünnen – was in Leons Augen ein Verbrechen gewesen wäre. Als er das erste Mal davon kostete, erzählte Kris ihm, wie Pete Easley sie mit kaum zwei Gläsern davon betrunken gemacht hatte und was für ein Kater am nächsten Tag daraus resultierte. Das erinnerte sie daran, daß sie in den letzten Tagen von Pete Easley nicht allzuviel gesehen hatte. Aber sie dachte sich nicht viel dabei, sondern ging weiter ihren Tätigkeiten in Krankenhaus und Ziegelei nach.
Dann waren sie endlich soweit, zu ihrer Erkundungsfahrt aufzubrechen, und es war für alle eine große Erleichterung, daß das Team wieder zusammen und unter sich war.
»Man gewöhnt sich zu leicht an die häuslichen Annehmlichkeiten«, stellte Sarah fest und machte es sich in ihrem Sessel in dem großen Luftkissenlaster gemütlich. »Allerdings hätte ich es lieber gesehen, wenn wir mit unserer Hütte noch vor dieser Fahrt hätten anfangen können. Und noch mal vielen Dank, Kris, für die Ziegelsteine. Worry hat hundert für uns besorgt und Jay Greene ebenfalls. Ich denke, wir haben sicherlich genug, wenn wir zurück sind.«
»Wir sind auch sehr froh über die, die Sie für uns gemacht haben«, sagte Leila mit ihrer oft kaum zu verstehenden Stimme. Sie hielt krampfhaft Whitbys Hand fest, während sie sich mit der anderen an einen Haltegurt klammerte. Sie ist ein wenig blaß, dachte Kris, und sie fragte sich, ob sie ebenfalls schwanger war. Sarah war es, und es schien ihr zu gefallen, nahm sie diesen Zustand doch so gelassen hin, wie es für die modernen Frauen typisch war.
»Das war doch klar, Leila. Außerdem hat es mir einigen Verdruß erspart«, sagte Kris.
Und das stimmte tatsächlich, denn keiner der aufdringlichen Männer, der versuchte, bei ihr zu landen, arbeitete in der Ziegelei oder fütterte einen bettlägerigen Kranken, was wohl kaum die geeignete romantische Umgebung für die Art von Angebot war, für das sie Kris zu erwärmen hofften. Boris Slavinkovin brachte sich in dieser Hinsicht ebenfalls in Erinnerung, und sie mußte ihm damit drohen, ihn bei den Mahlzeiten sich selbst zu überlassen, wenn er nicht sofort damit aufhörte.
»Irgendwann werden Sie nachgeben müssen«, sagte Sarah ganz offen.
»Oh, das werde ich, bestimmt«, meinte Kris fröhlich und wich Zainals Blick aus, als er sich halb zu ihr umdrehte. »Aha, das war schon wieder ein Klick, nicht wahr? Und schon wieder haben wir tausend Plegs geschafft.« Sie machte einen weiteren Strich auf ihrem Notizblatt.
Sie fanden einen Weg durch die Berge, indem sie den gewundenen, aber miteinander verbundenen Schluchten folgten, die das Luftkissenfahrzeug ohne Schwierigkeiten bewältigen konnte. Sie markierten die leichter benutzbaren Routen mit prägnanten O’s in einer leuchtendblauen Farbe, die sie erst kurz zuvor entwickelt hatten. Die Farben Rot und Gelb wurden bereits aus einheimischen Pflanzenfarben gewonnen. Die Sacktäler und -Schluchten wurden jeweils mit einem X gekennzeichnet. Aus irgendeinem Grund, den er aber nicht nennen wollte, fand Zainal diese Prozedur sehr amüsant. Sie fanden keine Sacktäler oder Aasfresser, aber sie stießen auf eine neue Felsläuferart und einige Flugtiere, die fast genauso gut schmeckten wie Hühnerfleisch. Einige, die in nächster Nähe der See gefangen wurden, wiesen einen leichten Fischgeschmack auf.
Sie drangen weiter in Richtung Küste vor, bis die Felslandschaft sogar für ihr erstaunlich leicht manövrierbares Fahrzeug zu unwegsam wurde. Sie befanden sich zwei Wochen später wieder auf dem Rückweg entlang der Küste im Osten, als Kris zum ersten Mal morgens eine leichte Übelkeit verspürte. Zwei Tage lang war sie überzeugt, daß die Ursache die reifen weichen Früchte waren, die in dem fast tropischen Klima sogar so weit im Osten gediehen. Sie ignorierte dieses Unwohlsein bis zu dem Morgen, an dem Joe die Schiene und die Bandagen an ihrem Arm auswechselte. Das Material für die Bandagen stammte von Ärmeln und Beinen von Catteni-Overalls, die in Streifen geschnitten und häufig gewaschen worden waren, so daß der Stoff sich angenehm weich anfühlte und für ihre Zwecke genau die richtige Beschaffenheit aufwies. Ihr Arm schwitzte in der Hitze so sehr, daß sie froh war, den Verband mit Hilfe der zusätzlichen Verbandsrolle in Joes Medizinkoffer wechseln zu können.
»Der Arm heilt hervorragend«, sagte er und tastete behutsam die Bruchstelle ab. »Ich kann die Verdickungen der Knochen spüren, wo sie zusammengewachsen sind.«
»Es tut auch nicht mehr weh«, erklärte sie, obgleich sie einen leisen Seufzer ausstieß, als er Schiene und Verband wieder anlegte.
Er betrachtete sie prüfend von der Seite. »Der Ausflug hat Ihnen gutgetan. Sie haben vor unserer Abreise ein wenig blaß ausgesehen.«
»Apropos … Hatte irgend jemand Probleme nach Verzehr dieser rosafarbenen Frucht gestern abend?« fragte sie.
Joe war nicht nur Arzt, sondern auch Botaniker.
»Nein, aber wir haben auch nicht allzuviel davon gegessen. Weshalb? Haben Sie Durchfall?«
»Nein, aber so etwas wie Verdauungsstörungen, nehme ich an.« Sie ging mit einem Achselzucken darüber hinweg, aber Sarah hatte ihre Frage mitgehört, kam zu ihnen herüber und musterte sie mit einem beunruhigenden Grinsen. »Und?« fragte Kris, als Sarah sich nicht äußerte.
»Tun die Brüste weh? Hatten Sie Ihre Periode? Wie lange ist Ihnen schon übel?«
Schützend verschränkte Kris die Arme vor ihrer Brust, und, als wäre Sarahs Bemerkung ein Fluch gewesen, sie war tatsächlich schmerzempfindlich. Sie wagte es nicht, die Haltung ihrer Arme zu ändern, als sie zu dem Schluß gelangte, den Sarah offensichtlich längst gezogen hatte.
»Ich kann nicht schwanger sein«, sagte sie und reckte das Kinn vor. »Ich habe niemals …«
»Niemals was?« fragte Sarah mit einem hinterlistigen Grinsen.
Kris schloß die Augen, erinnerte sich an den Alkohol, den sie zur Schmerzbetäubung in ihrem Arm getrunken hatte, erinnerte sich weiter, wie Pete Easley ihr immer mehr davon eingeschenkt hatte, und daß es schließlich genug gewesen war, um …
»Ich bringe ihn um«, sagte sie wütend. Kein Wunder, daß er ihr die ganze Zeit aus dem Weg gegangen war. Wenn sie erst mal nach Retreat zurückkäme … dann würde sie …
»Stimmt etwas nicht mit Kris’ Arm?« erkundigte Zainal sich, und Kris wäre am liebsten wie ein Aasfresser im Boden verschwunden.
»Es ist nichts. Mit meinem Arm ist alles in Ordnung!« Sie schoß hoch und erdolchte Sarah und Joe mit ihren Blicken.
»Nein, aber sie ist schwanger«, sagte Sarah schadenfroh. Kris holte mit dem linken Arm aus, um Sarah mit einem gezielten Hieb zum Schweigen zu bringen, aber Zainal schlang ihr einen Arm um die Taille.
»Mußten Sie es unbedingt ausposaunen?« rief sie und versuchte an Sarah heranzukommen, die lässig zurückgewichen war. Grinsend schob Joe sich dazwischen, um seine Gefährtin zu beschützen. Er hob beschwichtigend die Hände.
»Kris, regen Sie sich doch nicht so auf«, sagte er, während Leila und Whitby angerannt kamen, um nachzusehen, was im Gange war.
»Kris ist ebenfalls schwanger«, krähte Sarah.
Dann drückte Zainal sie fest an seine Brust und hob sie hoch. Sie strampelte mit den Beinen in der Luft, und ihr blieb nichts anderes übrig, als stillzuhalten.
»Vielen Dank, Kris«, murmelte er ihr ins Ohr, und schlagartig erlosch in ihr jeglicher Wille zur Gegenwehr.
Sie hing nun schlaff in seinen Armen, seine Hände streichelten sie liebevoll. Es gab sicherlich nicht viele Männer, die sich bei einer Frau dafür bedanken würden, daß sie sich von einem anderen Mann hatte schwängern lassen.
»Nichts zu danken, glaube ich«, fügte sie hinzu und bäumte sich auf, damit er sie endlich losließ. Als er sie wieder auf die Füße stellte, entschuldigte sie sich so würdevoll wie möglich bei Sarah und Joe. »Ich wollte nur ganz sicher sein«, sagte sie kleinlaut. »Es hätte ja auch ein verdorbener Magen sein können.«
»Dann verraten Sie uns doch mal, wer der Glückliche war?« fragte Joe mit dem vertraulichen Tonfall eines alten Freundes.
Kris lachte. Sie würde sich einerseits niemals öffentlich abfällig über einen Schwerenöter wie Pete Easley äußern, noch würde sie die Wahrheit ihm oder jemand anderem gegenüber jemals durchblicken lassen … es sei denn, natürlich, das Neugeborene hätte etwas an sich, das Rückschlüsse auf die Vaterschaft zuließe. Das geschähe dem Betreffenden nur recht. Die vorübergehende Schwäche einer Frau derart schamlos auszunutzen … und dennoch … Sie unterdrückte jegliche Anspielung auf einen Vorfall, für den schon bald ein dauerhafter und für alle sichtbarer Beweis vorliegen würde.
»Ich weiß es, und Sie dürfen in Kürze raten«, sagte sie und freute sich diebisch, daß sie sich auf diese Art und Weise bei Sarah dafür revanchieren konnte, daß sie etwas publik gemacht hatte, was Kris viel lieber für sich behalten hätte.
Die lange Fahrt an der Ostküste entlang verlief ohne größere Zwischenfälle. Alle fanden sich mit Kris’ Schwangerschaft ab. Zainal behandelte sie mit einer Zärtlichkeit und Fürsorge, die sie niemals von ihm erwartet hätte. Sie war zu Tränen gerührt und hatte den tiefen Wunsch, sie hätte die biologische Schranke überwinden und von ihm schwanger sein können. Als sie schließlich nach Retreat Bay zurückkehrten, fühlte sie sich besser als je zuvor in ihrem Leben. Sie zeigte Leon ihren Arm, und er freute sich sichtlich über die Fortschritte, die seine Heilung gemacht hatte. Er wollte die Schienen noch an Ort und Stelle belassen, da sie darauf bestand, wieder ihre Arbeit aufzunehmen, aber sie konnte jetzt wenigstens ihre rechte Hand teilweise wieder benutzen. Er bestätigte außerdem ihre Schwangerschaft und hatte immerhin soviel Anstand, ihr dazu keine weiteren Fragen zu stellen.
»Eigentlich haben Sie hier auf Botany sogar eine Menge Glück damit. Es dauert nämlich nicht so lange«, fügte Leon lächelnd hinzu.
»Was meinen Sie damit, daß es nicht so lange dauert?«
»Eine durchschnittliche Schwangerschaft dauert zweihundertsechzig bis -achtzig Tage. Aber hier auf Botany brauchen Sie nur zweihundertzwölf Komma acht Tage auf die Niederkunft zu warten.« Als sie ihn verwirrt anblinzelte, fügte er hinzu: »Ein Dreißig-Stunden-Tag verändert zwar nicht die Entwicklungsgeschwindigkeit eines Fötus, aber er verringert die Anzahl von Tagen, die man schwanger ist.«
»Oh!«
»Die meisten meiner Patientinnen finden das sehr angenehm.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
Die Nachricht von ihrer Schwangerschaft machte die Runde, und sie fand zusätzlichen Trost in der Tatsache, daß ihre ›Verehrer‹ ihre Wünsche anderweitig anzubringen versuchten. Und als sie Pete Easley eines Abends in der belebten Messe sah, winkte sie ihm flüchtig zu und ließ ihn weiterhin im unklaren. Sie mochte den Mann trotz seines üblen Tricks. Er hatte an jenem Tag ebenfalls getrunken. Vielleicht hatte seine damalige ›Zuneigung‹ rein äußerliche Ursachen gehabt, denn er hatte schließlich ebensoviel von dem Fusel konsumiert wie sie. Wie konnte sie ihm vorwerfen, sich betrunken und das getan zu haben, was in dieser Situation völlig natürlich gewesen war? Die Schwangerschaft schien sie überdies auch noch ausgesprochen milde zu stimmen.
Es wurde deutlich wärmer, und die Büsche begannen zu blühen und einen betäubenden Duft zu entwickeln, den der Wind in die Bucht wehte. Die landwirtschaftlichen Arbeitstrupps hatten das Land gepflügt und Saatgut auf den Feldern verteilt, das mit der KDL aus dem nun verlassenen Camp Bella Vista geholt worden war. Da kein anderes Schiff erschien, um das restliche Getreide abzuholen, übernahm die KDL diese Aufgabe, denn die Vorräte, die über den Kanal transportiert worden waren, gingen allmählich zur Neige.
Die Silos wurden geleert, um die neue Jahresernte aufzunehmen.
Auf dem Kontinent, der evakuiert worden war, hatten die Maschinen ebenfalls gepflügt und zahlreiche Felder besät. Irgendeiner von den Agrariern rief einen – allerdings ziemlich einseitigen – Wettstreit zwischen ihren und den Feldern der Farmer hinsichtlich der zu erwartenden Erträge aus. Die Agrarier hatten sich bereits entschieden, ebenso große Felder wie die Farmer zu bestellen, da das urbare Land sich in genau solche Flächen aufteilen ließ. Es war ein weiterer Hinweis darauf, daß dieser Kontinent ebenfalls Farmland gewesen war. Die zusammengetriebenen Luh-Kühe weideten auf den weniger fruchtbaren Feldern und an den Berghängen.
Etwa zu der Zeit, als das Getreide fünfzehn Zentimeter hoch stand und kräftig wuchs, wurde die beunruhigende Entdeckung gemacht, daß plötzlich wieder Aasfresser vorkamen. Nicht viele, aber genug, um sie daran zu erinnern, daß die Gefahr wieder allgegenwärtig war.
Astrid äußerte die Vermutung, daß die Luh-Kühe Parasiten ausschieden, die einen zweiten Lebenszyklus als Aasfresser hatten. Es gab nur wenige, die sich ihrer Meinung anschlossen, aber es war ein beliebter Gesprächsstoff für die langen Abende und brachte all jene mit Holzfußböden in ihren Hütten dazu, die Bohlen oder Bretter gegen dicke Schiefer- oder andere Steinplatten auszutauschen. Und viele von denen, die noch nicht mit dem Bau ihrer Behausungen begonnen hatten, suchten sich Bauplätze in den etwas belebteren Regionen. Niemand wagte sich mehr nachts auf ein Feld, und die Stellungen der Wachtposten wurden entweder aus solidem Stein gebaut oder auf hohen Pfählen errichtet.
Das alles waren jedoch eher harmlose Einschränkungen. Komposthaufen wurden umgehend in Steinwannen angelegt, und die Vernichtung unangenehmer Abfälle war kein Problem mehr. Nicht daß jemand sich Aasfresser in einer Latrine wünschte. Da solche Einrichtungen nicht mehr künstlich angelegt werden mußten, wurde die allabendliche Entsorgung dieser menschlichen Rückstände als Strafe verhängt. Dies geschah weit genug von der wachsenden Gemeinde entfernt, um die Gefahr der Aasfresser-Verseuchung bewohnter Gebiete auf ein Minimum zu reduzieren.
Der Frühling dauerte Monate, aber das schöne Wetter verhieß den Agrariern eine hervorragende Ernte, sogar reichhaltiger als die der Farmer. Die verschiedenen Hülsenfrüchte und Knollengewächse belegten mindestens genauso viele Felder wie die Getreidesorten, und es wurden Höhlen hergerichtet, um die Ernte zu lagern, anstatt nach immer neuen wildwachsenden nahrhaften Nutzpflanzen zu suchen. Die Aasfresser wurden nur dann von Grünpflanzen angelockt, wenn sie mit irgendwelchen blutigen Substanzen vermischt waren, so daß die Feldfrüchte nicht beschädigt wurden. Die Felsläufer- Familie wurde stetig umfangreicher, und es wurde festgestellt, daß das Fleisch ganz junger Felsläufer in Aroma und Zartheit dem der erwachsenen Tiere überlegen war.
Abendkurse in verschiedenen Fertigkeiten wurden abgehalten. Die Abende, als Admiral Scott seinen ersten als solchen erkennbaren Topf zeichnete oder als Bull Fetterman seinen ersten Satz von sechs Eßzimmerstühlen fertigstellte oder als Marrucci eine tatsächlich benutzbare, mit Nut-und-Feder-Technik hergestellte Schublade in seinen Schrank einsetzte, stellten Sternstunden der Verwandlung von des Zivildaseins unkundigen Ex-Profis in echte Kolonisationstechniker dar.
Es gab natürlich Versager, wie Mitford sie nannte: Leute, die sich weigerten, ihren Anteil an Arbeit zu leisten, oder die sich darüber beklagten, daß die ›Obrigkeit‹ ihnen stets die wenig reizvollen Aufgaben zuwies. Richter Bempechat gab jedem Übeltäter drei Chancen, sich in den Augen der Gemeinschaft zu rehabilitieren. Danach gab es für den Uneinsichtigen nur noch die Rückkehr auf den alten Kontinent, wo er, ausgerüstet mit einer Tasse, einer Schlafdecke, einem Messer und einem Hackbeil, seinen individuellen Überlebenskampf führen durfte. Als das erste Dutzend von Delinquenten verstoßen wurde, nahm die Zahl der Uneinsichtigen rapide ab.
Einmal im Monat wurden die zwei Tal-Gefängnisse inspiziert. Die Turs verschwanden nach und nach, bis das Tal leer war. Die Catteni bauten am Ende Schutzhütten, und als sie um Versorgungsgüter baten, wie Nägel oder Fleisch, wurden ihnen diese Wünsche erfüllt. Aber sie erhielten nichts, was ihnen zu einer Flucht hätte verhelfen können. Zainal bezweifelte, daß sie es überhaupt versuchen würden.
»Es sind Drassi und Tudo. Sie haben genug zu essen, einen Platz zum Schlafen, und das reicht ihnen.«
»Ich kann mir niemanden vorstellen, der nicht bessere Lebensumstände anstrebt«, hatte Marrucci gesagt, denn er saß sehr oft im Pilotensessel eines der beiden kleinen Flieger, die den kurzen Flug ausführten. »Ich meine, wenn man bedenkt, daß wir nun schon fast so groß wie eine kleine Stadt sind und sogar über eine eigene Schnapsbrennerei verfügen …« Marrucci hatte die Hoffnung, zusätzlich zum Alkohol auch noch Wein anbieten zu können, und er hatte sich bereits im Süden nach den Früchten als Grundlage für seinen ›edlen Tropfen‹ umgesehen.
»Es gefällt ihnen so, wie es im Augenblick ist.« Zainal zuckte die Achseln.
»Meinen Sie, daß die Turs geflüchtet sind?« fragte Marrucci.
»Wen interessiert das?«
»Da haben Sie auch wieder recht.«
Das Tub flog regelmäßig die Minen mit Nachschub für die Männer und Frauen an, die dort arbeiteten, oder um Personal auszutauschen und Erz zurückzubringen. Die vom Richter am häufigsten wegen irgendwelcher geringerer Vergehen verhängte Strafe betrug einen Monat Zwangsarbeit in den Bergwerken, und nur ein einziger Delinquent betrachtete die Tätigkeit des Bergmanns als so angenehm und befriedigend, daß er freiwillig dabei blieb und nicht mehr zurückwollte.
Als Abendunterhaltung produzierten talentierte Zeitgenossen kleine Bühnenshows. Entweder sie erinnerten sich an lange Passagen aus Musicals oder Schauspielen, um verkürzte Versionen davon darzubieten, oder sie erfanden Dialoge und Aktionen, die sie dem hinzufügten, woran sie sich jeweils erinnern konnten. Kartenspiele wurden aus den stabilen Verpackungen in den Vorratslagern von KDL und Baby hergestellt. Die Karten ließen sich nicht allzugut mischen, aber das hielt die Spieler nicht davon ab, einen Stundenlohn oder irgendeine besondere Schnitzerei zu verwetten, um die Sache interessanter zu gestalten.
Es wurde auch Gold gefunden, aber man kam nach einer hitzigen Debatte überein, daß Tauschhandel ein weitaus besseres Zahlungssystem für eine so kleine Gemeinde wie die ihre wäre, in der jeder auch für die Gemeinschaft arbeiten mußte und sich nicht von dieser Pflicht freikaufen konnte. Unter den Kolonisten befanden sich auch mehrere Juweliere. Sie stellten Schmuck für jene her, die Gold und vielleicht sogar Edelsteine gefunden hatten, und setzten untereinander fest, wieviel Gramm des gelben Metalls als angemessener Preis gelten sollte.
Iri Bempechat hatte mehrere Assistenten als Rechtsberater für Streitigkeiten ausgebildet, die sich meistens einvernehmlich regeln ließen. Die ehemaligen Militärs hatten einen niederen Gerichtshof eingerichtet, gegen dessen Entscheidungen Einspruch eingelegt werden konnte, woraufhin Richter Bempechat die Aufgabe zufiel, die letzte Entscheidung in der jeweiligen Streitsache zu fällen.
»Wir brauchen keine formelle Regierung«, hatte Beverly eines Abends erklärt, als in einer Messe, in der aufgrund eines heftigen Regens mehr Betrieb als üblich herrschte, das Gespräch auf dieses Thema kam. Es war der Beginn einer Art Regenzeit, in der die Niederschläge jedoch vorwiegend in den Nachtstunden fielen. »Warum sollten wir etwas, das bisher ganz gut funktioniert hat, komplizierter machen?«
»Wenn es nicht kaputt ist, braucht man es nicht zu reparieren!« rief Mitford und wurde für diese alte Soldatenweisheit mit allgemeinem Gelächter belohnt.
»Wir haben eine Art Regierung, auch wenn die meisten von Ihnen es gar nicht merken. Wir haben lediglich keine gewählten Vertreter oder einen nominellen Staatschef. Ich glaube auch nicht, daß so etwas nötig ist«, stellte Iri mit seiner kultivierten und wohl tönenden Stimme fest, die bis in den entferntesten Winkel des Saals reichte. »Diejenigen unter uns mit speziellen Erfahrungen haben die Aufgabe übernommen, für Frieden und Ruhe zu sorgen. Gemeinschaftsarbeit regelt all das, was sonst der öffentliche Dienst wahrnimmt, und ansonsten sind wir alle jeweils dort tätig, wo wir uns nützlich machen und wo wir Kenntnisse aus unseren früheren Berufen anwenden können, auch wenn wir ständig gegen eine allgemeine Materialknappheit ankämpfen müssen. Ich denke, wir sollten unserem Schicksal dankbar sein, daß wir über eine Vielfalt an Fertigkeiten verfügen. Praktisch jeder Bereich des Lebens ist bei uns vertreten. Unsere außerirdischen Gefährten«, – er deutete auf die Rugarianer, die wie immer als Gruppe zusammensaßen, und die Deski, die eher bereit waren, sich unter die Menschen zu mischen – »haben uns in jeder erdenklichen Weise geholfen. Ich denke, viele würden sich köstlich darüber amüsieren, wenn sie unser früheres Dasein mit dem vergleichen, was wir jetzt treiben, aber es war sowohl zu unserem Besten wie auch sehr aufschlußreich. Es geht uns allen sehr gut. Und wir können im großen und ganzen alles tun, was wir wollen. Natürlich ohne irgendwelche bürokratischen Hürden und ohne irgendwelche offiziellen Genehmigungen oder Verbote. Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich darüber bin.«
Gelächter quittierte dieses scherzhafte Geständnis.
»Und in der Tat, warum sollen wir etwas verändern, das eigentlich völlig in Ordnung ist?« fragte er und hob beschwörend die Hände.
»Schön und gut, aber was geschieht mit unserem wunderschönen utopischen Traum, wenn die Farmer hierher kommen?« fragte Balenquah und schaute sich herausfordernd um.
»Das sollten wir Balenquah überlassen«, bemerkte eine anonyme männliche Stimme.
»Was soll das denn heißen?« fragte der Pilot, erhob sich von seinem Stuhl und schaute sich suchend um.
»Es heißt«, sagte Marrucci und zog Balenquah auf seinen Platz zurück, »daß Sie mal wieder völlig auf dem Holzweg sind und unangenehm auffallen. Sie leben, Sie können sich frei bewegen, Sie können sogar wieder fliegen, und wenn das nicht viel besser ist, als in einem cattenischen Gefängnis zu verhungern, weil Sie deren Frachter gesprengt haben, dann stimmt irgend etwas in Ihrem Kopf nicht.«
»Sagen Sie lieber nichts mehr«, ergriff Beverly an einem anderen Tisch das Wort, »wenn Sie weiterhin fliegen wollen.«
»Das ist ja genau das, was ich meine«, sagte Balenquah. »Wir brauchen eine formelle Regierung, damit man weiß, wer das Recht hat, Befehle zu geben.«
»Das reicht jetzt, Balenquah«, sagte Scott und schloß sich Beverlys Warnung an.
»Sie sind hier kein Admiral von irgendwas, Scott«, stellte Balenquah fest.
»Oh, wie laaaangweilig«, meinte eine der ›Ladies‹ zwei Tische weiter. Und sie gähnte demonstrativ, woraufhin die anderen an ihrem Tisch in brüllendes Gelächter ausbrachen.
»Sie können«, sagte Marrucci und schaute Balenquah kopfschüttelnd an, der sich angesichts des unverhohlenen Spotts allmählich zu verfärben begann, »einem mit Ihrem dummen Gefasel verdammt auf die Nerven gehen, und ich bin offensichtlich« – damit schaute er zum Frauentisch hinüber – »nicht der einzige, der so denkt.« Balenquah erhob sich, holte mit dem rechten Arm aus, aber noch ehe Marrucci aufspringen konnte, um sich zu verteidigen, hatte Scott schon dem Mann neben Balenquah zugenickt. Sie standen auf, fingen Balenquahs Arm ab und schleiften den Mann aus der Messe hinaus in den Regen.
»Sie können auch noch ›Rausschmeißer‹ auf die Liste meiner Tätigkeiten in der neuen Welt setzen«, sagte Scott zu Beverly, als sie zu ihren Plätzen zurückkehrten.
Kris teilte Balenquahs Pessimismus ein wenig. Das Problem mit den Farmern lauerte im Bewußtsein aller und bestimmte ihr Denken, auch wenn die meisten Leute so taten, als beträfe sie diese Drohung gar nicht. Zainal beharrte auf seiner Meinung, daß die Farmer durchaus wohlwollend und freundlich wären. Er konnte für seine Meinung keine andere Begründung anführen als die Art und Weise, wie dieser Planet seit Tausenden von Jahren bearbeitet wurde, wenn man zum Beispiel den neuen Wald von Zeltstangenbäumen als Indiz betrachtete.
»Und dann ist es schon einige Monate her, daß die Blase gesprengt wurde«, erinnerte er sie, während sie zu ihrer Hütte zurückschlenderten, nachdem der Regen aufgehört hatte. Überall in Retreat Bay waren mittlerweile Steinplattenwege angelegt worden, um Aasfresser abzuhalten, aber die Fußgänger hatten immer noch die Angewohnheit, bei jedem dritten Schritt möglichst hart aufzustampfen.
Kris überließ Zainal diese Vorsichtsmaßnahme, denn sie wollte das Baby, dessen Bewegung sie bereits ganz sacht in ihrem Leib spüren konnte – eine normale Erscheinung im fünften Schwangerschaftsmonat – nicht über Gebühr erschüttern. Sarah beklagte sich ständig, daß ihr Kleines um sich trat wie ein Fußballstar, aber sie war immerhin schon im achten Monat. Mittlerweile war fast jede Frau im zeugungsfähigen Alter – darunter auch die Deski und Rugarianer – schwanger, was zur Folge hätte, daß auf Retreat ein Babyboom von 2.103 neuen Mitbürgern zukäme. Anna Bollinger mochte zwar dem ersten menschlichen Baby auf Botany das Leben geschenkt haben, aber es hatten seitdem vierunddreißig Geburten stattgefunden, da die betreffenden Frauen bei ihrer Gefangenschaft bereits schwanger gewesen waren. Nun stand die neue Ernte – die auf Botany gesät worden war, wie jemand die Bibel zitierte – vor der Reife. Patti Sue war die erste und stolz darauf, Jay Greene einen Sohn zu schenken.
Kris wußte nicht, was sie sich, abgesehen von Gesundheit und keiner allzugroßen Ähnlichkeit mit seinem Erzeuger, von ihrem Kind wünschen sollte. Irgendwie brachte sie es nicht über sich, Zainal zu fragen, was ihm am liebsten wäre. Und dennoch, er würde bei allem, was sie zur Welt brächte, die Vaterrolle spielen.
Die meisten schwangeren Frauen arbeiteten in ihrem jeweiligen Bereich so lange wie möglich, und Kris, Sarah und Leila bildeten darin keine Ausnahme. Tatsächlich gerieten sie sogar mit dem Sergeant darüber in Streit, als er zunehmend darauf achtete, sie nur noch mit ›leichten‹ Aufgaben zu betrauen. So sorgte er dafür, daß Zainal mit Baby zum kleinsten Kontinent flog – eher eine sehr große Insel als eine kontinentale Landmasse –, um ihn gründlich zu erforschen, da der Küstenstreifen die einzige grüne Region war.
»Es erinnert ein wenig ans australische Outback«, meinte Sarah. Zainal ließ das Scout-Schiff einen Zick-Zack-Kurs über das Binnenland fliegen. »Wie Nullarbor. Klickweit überhaupt nichts! Kein Gras, keine Büsche … nur Sand und Steine«, fügte sie hinzu und schüttelte sich voller Abscheu.
»Hm, ja, ich verstehe«, sagte Joe, ohne sich zu seiner rätselhaften Reaktion näher zu äußern. Er schaute durch die Steuerbordscheibe der Pilotenkanzel hinaus. »Echte Steine!« Er deutete auf einen Felsengrat, der unter ihnen verlief und aussah wie ein Rückgrat mit Vertiefungen und Spitzen. »Saurierskelette.«
»Hm, so sehen sie tatsächlich aus«, stimmte Kris zu.
Whitby machte den Vorschlag, zu landen und eine Nacht am Fuß dieser Bergkette zu verbringen, weil die Landkarten an dieser Stelle auf Erzvorkommen hinwiesen. »Wir sollten frühzeitig in Erfahrung bringen, wo Kupfer und Zink zu finden sind, denn genau die sollen da unten vorkommen. Wenn die Adern dicht unter der Oberfläche liegen, dann wäre es sicherlich vernünftig, eine Woche zu bleiben, um eine Schiffsladung zutage zu fördern.«
Also landeten sie, und es war heiß draußen.
»Genauso wie zu Hause in der Trockenzeit«, sagte Sarah begeistert, reckte die Arme, streckte ihren hochschwangeren Leib vor und wandte das Gesicht der Sonne zu.
»Das ist der beste Weg, sich einen Sonnenstich zu holen«, sagte Joe und setzte ihr unsanft ihren aus Gras geflochtenen Sonnenhut auf den Kopf. »Du wirst auf keinen Fall in der Enge unseres Scout-Schiffs das Kind zur Welt bringen.«
»Ich darf in Baby kein Baby kriegen?« Sarah bekam einen Lachanfall.
Whitby, Leila, Joe und Zainal machten sich auf den Weg, um die Erzvorkommen zu suchen. Sie waren beladen mit Gefäßen, um Gesteins- und Erdproben zu nehmen. Sarah und Kris, die die Hitze als sehr unangenehm empfanden, suchten Schutz im Schatten Babys, indem sie eine kleine Vertiefung gruben, so daß sie unter dem Landegestell auf einer Decke sitzen konnten. Kris hielt ein Nickerchen, während Sarah im Geröll herumrührte und nach interessanten Steinen Ausschau hielt.
Schließlich nickte auch Sarah ein, und beide Frauen erwachten vom Gelächter der zurückkehrenden Erzsucher. Jeder hatte ein totes Tier auf der Schulter, das einer großen Ratte glich.
Kris wich zurück, als Zainal drei Paar Kadaver neben ihr auf den Boden fallen ließ. Die Pelze weckten ihre Neugier, denn sie waren in verschiedenen Beigeschattierungen gefleckt.
»Tarnung? Wovor?« fragte sie und berührte das nächstliegende Tier. Das Fell war rauh von Erde und Sand.
»Sie graben sich ein«, sagte Joe erklärend. »Aber sie sind genießbar. Wir dachten, wir sollten es mal mit ihnen versuchen. Sie leben von Insekten, und davon hat der Kontinent im Überfluß. Ich habe mindestens fünfundzwanzig verschiedene Arten gesehen und nur ein paar gefangen.« Er hielt mehrere Glasbehälter hoch, die er mit einer Schnur zusammengebunden hatte. »Ich will sie untersuchen. Man weiß ja nie, ob das eine oder andere Tier nicht vielleicht von Nutzen ist.« Er grinste. »Oder besonders gut schmeckt. Oder nahrhaft ist.«
»Woher wollen Sie das wissen? Sie sind doch noch nie im Outback mit den Aborigines auf die Jagd gegangen«, sagte Sarah.
»Sie auch nicht.«
»Aber ich habe einen Aufsatz über die Arten geschrieben, die die Aborigines bevorzugen«, erwiderte sie hitzig, und schon war zwischen ihnen wieder der schönste Streit im Gange.
Die Wüstengraber – Kris weigerte sich, sie in Gedanken als Ratten zu bezeichnen – wurden abgehäutet und, nachdem Joe mit Hilfe der Instrumente im Scout-Schiff noch ein paar weitere Untersuchungen vorgenommen hatte, in der Küche zubereitet und als Teil des Abendessens serviert. Das Fleisch war in Konsistenz und Geschmack anders als alles, was sie aus der Fauna Botanys bisher gekostet hatten. Es war glatt und schmeckte nach Nüssen. Man konnte kaum richtig hineinbeißen.
Bei Einbruch der Dämmerung tauchten auch ihre natürlichen Feinde auf, fledermausähnliche Lebewesen, die sich mit Hilfe langer, dreieckiger Flügel von den Felsspitzen hinabschwangen, um die Nachtgraber zu fangen. Die kühlere Luft lockte auch ganz andere Insektenarten aus ihren Verstecken, und zwar vorwiegend eine Gattung, die schmerzhafte, juckende Bisse austeilte und die Forscher zwang, im Scout-Schiff Zuflucht zu suchen. Aber vorher konnten sie noch verfolgen, wie die Nachtgraber unglaublich hohe Sprünge vollführten und sich ihre Mahlzeit mit ihren verlängerten Zungen einfingen, um schon im selben Moment im Erdreich zu verschwinden, wenn sie über sich das Schlagen von Fledermausflügeln hörten.
»So etwas wie die hatten wir auch auf der guten alten Erde«, sagte Joe und schaute aus dem Scout hinaus.
Die Männer waren mit dem Verlauf ihrer Suche zufrieden und hatten die Bereiche, in denen sie fündig geworden waren, mit blauer Farbe markiert, obgleich Whitby und Joe sich hinsichtlich der Haltbarkeit in der unbarmherzigen Sonne nicht einig werden konnten.
»Na schön, dann testen wir die Farbe eben unter realistischen Bedingungen«, sagte Joe achselzuckend. »Und wenn sie versagt, kennen wir auf jeden Fall noch die Koordinaten.«
Zainal machte sich am nächsten Morgen auf den Weg zur Küste. Er hielt Baby in niedriger Höhe und landete immer an den Stellen, die anders aussahen als die Umgebung. Diese tropische Gegend hielt Früchte und Nüsse bereit – Zitrusfrüchten und Kokosnüssen nicht unähnlich –, und davon wurden Proben eingesammelt, dazu auch eine völlig andere Insektenart. Kris empfand den Geruch von faulendem Gemüse und Obst ziemlich ekelerregend, sagte aber nichts, bis sogar die stets zurückhaltende Leila murmelnd einen Protest vorbrachte.
»Voraus scheint es Hochebenen oder so etwas zu geben.« Whitby deutete nach vorne. »Vielleicht ist es da oben kühler, und es weht ein Wind, der uns die Mücken und Schnaken vom Leibe hält.«
Kris haßte es, ihre Schwangerschaft als Begründung dafür anzuführen, daß sie alle anstrengenderen Arbeiten mied, aber sie war doch froh, daß die Männer auf einer Anhöhe mit Blick auf eine sehr idyllisch anmutende Bucht mit weißem Sandstrand aus dicken Ästen der üppig wuchernden Vegetation einen schützenden Unterstand aufbauten. Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, daß sich in dem Sand besonders bösartige bissige Insekten aufhielten, daher verminderte der Reiz dieser Gegend sich beträchtlich, und Sarah und Kris konnten beruhigt in sicherer Entfernung von diesen Störenfrieden das Nichtstun genießen. Es gab auch kleinere Äste, die man als Fächer benutzen konnte, und der Wind war tatsächlich kühl und erfrischend und duftete sehr angenehm nach dem, was weiter landeinwärts in voller Blüte zu stehen schien. Leila startete mit Whitby zu einem Erkundungsgang, kam jedoch schon bald wieder zurück. Ihr Gesicht und ihre nackten Arme waren mit roten Flecken übersät, da sie mit den Pflanzen in Berührung gekommen waren, durch die sie sich mit ihren Haumessern hatten einen Weg bahnen müssen.
»Der Saft, der mich so zugerichtet hat«, erzählte Leila, während Kris und Sarah ihr die Arme und das Gesicht wuschen, »ist sehr klebrig, und Joe hofft, daß wir einen Kautschukersatz gefunden haben.«
»Das ist sicherlich kein großer Trost für Sie, nicht wahr?« sagte Sarah mitfühlend. »Hilft ihnen das?«
Leila seufzte leise. »Und wie! Hauptsache es ist naß und kühlt meine Haut.«
»Was würden wir jetzt für ein anständiges Antihistamin geben!« sagte Sarah sehnsuchtsvoll.
»Wir haben doch genug Chemiker …«, wandte Kris ein.
»Und nur ein einziges Mikroskop, das offenbar nicht stark genug ist, um damit irgend etwas Sinnvolles anzufangen, daher müssen wir uns wieder der alten Methode des Ausprobierens bedienen.«
Da der Versuch mit kalten Kompressen erfolgreich war, wurden weitere aus Verbandsstreifen aus dem Erste-Hilfe-Kasten hergestellt und um Leilas Arme gewickelt und auf Gesicht und Hals gelegt.
Genau diesen Zeitpunkt suchte sich Sarahs Baby für seine Geburt aus. Und es kam tatsächlich, bevor sein Vater und die anderen zurückkehrten, obgleich Kris sofort einen Hilferuf nach Joe über das Handy absetzte.
»Ich habe mich offenbar verzählt«, entschuldigte Sarah sich bei ihren Hebammen, als ihr klar wurde, daß die Wehen eingesetzt hatten. »Es ist auch ziemlich kompliziert bei Dreißig-Stunden-Tagen und Sieben-Monats-Schwangerschaften.«
»Unsinn«, entgegneten Kris und Leila wie aus einem Mund. »Es ist ja nicht so, daß wir nicht wissen, was wir tun sollen«, fügte Kris hinzu, auch wenn sich ihre Gedanken in einem panischen Wirbel überschlugen und sie an all die Dinge dachte, sie sich nicht an Bord des Scout-Schiffs befanden und die sie höchstwahrscheinlich dringend brauchte.
Aber gar nichts wurde gebraucht, da Sarahs hübsches, kräftiges und gesundes Baby für seine Geburt nur ein Minimum an Zeit brauchte. Mutter und Kind waren bereits gesäubert, als der Kindesvater auf die Lichtung hinuntersprang, das Gesicht hochrot und schrecklich zerkratzt, weil er alles getan hatte, um rechtzeitig zurück zu sein. Dann gratulierten Whitby und Zainal ihm und Sarah und bewunderten das Baby. Kris beobachtete Zainal und fragte sich, ob menschliche Babys sich in irgendeiner Weise von neugeborenen Catteni unterschieden.
»Klein«, murmelte Zainal, der wußte, daß von ihm ein Kommentar erwartet wurde.
»Klein?« rief Joe indigniert, während sein Sohn sich auf seinem Arm rührte.
»Er ist überhaupt nicht klein«, sagte Leila bestimmt und verblüffte damit das gesamte Team, weil sie überaus selten jemandem widersprach. »Er wiegt acht Pfund und ein paar Gramm. Und er ist gesund.«
»Und ich fühle mich blendend«, sagte Sarah. »Und es tut so gut, daß ich dies wieder tun kann«, fügte sie hinzu. Sie hatte sich aufgesetzt und die Arme um die Knie geschlungen, eine Haltung, die sie seit mehreren Monaten nicht mehr hatte einnehmen können.
»Wie groß sind denn Cattenibabys, wenn du dies für klein hältst?« fragte Kris. Sie hatte beschlossen, Zainal lieber den Kopf zurechtzusetzen, ehe er vielleicht noch von dem enttäuscht war, was sie hervorbringen würde.
Zainal deutete mit den Händen einen Abstand an.
»Ich bedaure zutiefst die Frauen, die so viel mit sich herumschleppen müssen«, sagte Sarah und schüttelte den Kopf.
»Ein größerer Kopf, eigentlich durchaus wahrscheinlich, und größere Knochen«, sagte Joe sachlich.
»Er ist gesund, und das alleine zählt«, stellte Whitby entschieden fest.
Aber der kleine Anthony Marley sorgte dafür, daß das Team die ungesunde Gegend verließ und nach Retreat Bay zurückkehrte. Sarah versuchte ihnen eine frühe Rückkehr auszureden, weil sie und Anthony sich wohlfühlten und die Erkundung fortgesetzt werden könnte, wenn es nach ihr ginge. Joe wollte davon jedoch nichts wissen, sondern dachte nur daran, seine Frau und das Kind von den Ärzten untersuchen zu lassen.
Leon Dane bescheinigte Sarah einen hervorragenden postnatalen Zustand, und Fawzia Johnston, die diensthabende Kinderärztin, meinte, daß der kleine Anthony so gesund und normal wäre, wie eine Mutter es sich nur wünschen könnte. Die Doyle-Brüder, die sich nun vorwiegend als Zimmerleute und Schreiner betätigten, schenkten Sarah und Joe eine Wiege für den Säugling.
»Wir haben alle Hände voll zu tun, die Nachfrage hier auf Botany zu befriedigen«, sagte Lenny, nachdem er pflichtschuldigst den kleinen Anthony bewundert und den Eltern gratuliert hatte. »Wissen Sie, dieser Ort hier wird immer mehr zu einem Zuhause, zumal jetzt auch die Babys kommen.« Er wiegte den Kopf mit melancholischer Miene.
»Sie vermissen sicherlich Ihre eigene Familie, nicht wahr?« sagte Sarah und legte ihm mitfühlend eine Hand auf den Arm.
Lennys Gesicht hellte sich auf, und er lächelte. »Irgendwie schon, aber wer hat Zeit, an das zu denken, was er zurückgelassen hat, wenn es hier noch so viel zu tun gibt?«