Kapitel 3
Dafür, daß der Plan ziemlich überstürzt aufgestellt worden war, hätte er nicht besser funktionieren können. Kris zitterte furchtbar, als die Komm-Einheit summte. Aber Zainal hatte ihr noch zwei weitere Äußerungen beigebracht.
»Arvonk«, sagte sie mit der Hand an der Luftröhre und fügte in hartem Catten hinzu: »Bis gleich. Kommt rein. Chouma.« Letzteres hängte sie von sich aus an.
Sie konnten das Schiff im hellen Schein des aufgehenden Mondes kaum erkennen, als es leise in einer Ecke des Feldes aufsetzte. Ein kurzes Aufblitzen gedämpften Lichts, dann wurde die Luke geschlossen.
Zainal tat so, als wäre er einer von seinen eigenen Häschern, Kris der andere, während Leon, der sehr groß war, sich an Zainal lehnte, als wäre er bewußtlos. Joe Marley, dessen Gesicht geschwärzt worden war, kauerte über den Kontrollen von Mitfords Luftkissenfahrzeug und lenkte es im Schrittempo vorwärts.
Der erste überraschte Ausruf des Catteni war das Signal für Fek und Slav, sich aus ihrer kauernden Haltung aufzurichten und beide Eindringlinge mit ihren Lanzen auszuschalten. Dann steigerte Joe das Tempo des Fahrzeugs, und sie flitzten über das Feld zum Scout-Schiff. Zainal betätigte den äußeren Einlaßmechanismus, und Bert und Raisha stürmten durch die Luke, sobald sie weit genug geöffnet war. Jetzt war Leon an der Reihe.
»Stolix Zainal!« rief er, versuchte einen Unterton des Triumphs in seine Stimme zu legen, lauschte aber gleichzeitig, um sich zu vergewissern, daß sich keine andere Person mehr an Bord aufhielt.
Zainal drängte sich an ihm vorbei, das Messer kampfbereit in der Faust, und marschierte ganz und gar nicht heimlich, still und leise zur Brücke im Bug des kleinen Raumschiffs. Diejenigen, die draußen lauschten, hörten, wie er eine Tür aufschob.
»Wir sind nur zu zweit«, rief er zurück.
»Ist es gestattet, an Bord zu kommen, Sir?« fragte Bert überhaupt nicht scherzhaft, da er sich an das allgemeingültige Protokoll hielt.
»Erlaubnis erteilt«, sagte Zainal, und Kris hörte die Erleichterung in seiner Stimme.
»Ich will mich nur schnell umschauen«, sagte sie und folgte Raisha und Bert den Gang hinunter. Sie fragte sich, ob die Besatzungen von Scout-Schiffen danach ausgewählt wurden, ob sie klein genug waren, um sich in solchen engen Räumlichkeiten ungehindert bewegen zu können. Zainal kam hier allenfalls seitwärts gehend vorwärts.
Raisha hatte sich bereits in einen Sessel sinken lassen, während Bert mit dem Finger über die eine oder andere Kontrolltafel strich, als wollte er den Vortrag rekapitulieren, den Zainal ihnen gehalten hatte. Der Ausdruck in seinem Gesicht ließ Kris unwillkürlich schlucken. Es fiel ihm offensichtlich schwer zu glauben, daß er sich tatsächlich darauf vorbereitete, wieder in den Weltraum hinauszugehen – diesmal nicht als bewußtloser Passagier. Sie beneidete ihn.
»Kris, eine letzte Nachricht«, sagte Zainal und drehte sie zu den Kontrollen um. »Sag ›Arvonk icts, stolix Zainal Escag. Klotnik.‹«
Sie murmelte die Worte vor sich hin, und dann deutete Zainal auf den Lautsprechergrill und legte einen Schalter um. Sie vergaß beinahe, die Luftröhre zusammenzudrücken, doch die Tatsache, daß sie die Worte im Befehlston aussprechen konnte, verlieh ihrer Stimme einen überzeugend triumphierenden Unterton. »Was habe ich überhaupt gesagt?«
Zainal fuhr ihr durchs Haar. »Hier ist Arvonk. Habe Zainal. Komme zurück. Ende.«
»Ende klingt zu sehr wie ›Kotik, verstandene«
»Aber nicht für einen Catteni. Jetzt nichts wie weg. Der Satellit muß den Start melden.« Er geleitete sie durch den engen Gang zur Luke. Dort drückte er sie kurz an sich, ehe er den Knopf betätigte, der die Luke öffnete.
Obwohl sie benommen war von dem nächtlichen Erfolg und von der Aussicht, ein oder zwei Tage lang auf ihn verzichten zu müssen, dachte sie immerhin noch daran, sich in acht zu nehmen, als sie auf die Plattform des Luftkissenfahrzeugs hinuntersprang. Sie legte eine Hand auf ihre Wange, die er gerade noch berührt hatte, während Joe das Fahrzeug weglenkte.
Er beschleunigte, als Fek einen lauten Ruf ausstieß. »Stopp!« Verblüfft bremste Joe so abrupt, daß seine Passagiere sich aneinander festhalten mußten, um nicht aus dem Fahrzeug zu stürzen. Fek beugte sich über den Rand und blickte auf etwas hinunter. Kris war froh, daß sie nicht so gut sehen konnte wie die Deski. Mit einem Griff, genauso zielsicher wie Whitbys Griff beim Fischen, zog Fek etwas an Bord, das klappernd auf die Plattform fiel. Sie reichte noch einmal nach unten, hielt sich dabei an Joe fest, und ergriff etwas anderes. Ein Lichtstrahl glitt über einen Teil des Feldes, zuckte wütend und zischte, denn es war ein Handstrahler, den sie geborgen hatte. Die Aasjäger stießen bei ihrer vergeblichen Suche nach weiterer Beute gegen den Boden des Luftkissenfahrzeugs.
»Sehen Sie das, Slav?« fragte sie und zeigte ihr dreieckiges Deskilachen, während sie den Lichtstrahl auf die andere Seite des Fahrzeugs und das andere Opfer richtete.
»Ich sehe. Ich hole.« Und Slav barg ebenfalls mit schnellen Griffen zwei Gegenstände. Einen hielt er hoch, so daß Kris ihn im Lichtschein erkennen konnte, und sein Grinsen war das breiteste, das sie je auf einem rugarianischen Gesicht gesehen hatte. »Stunner.« Und wie ein ausgelassenes Kind legte er den Lauf der Waffe auf seinen Arm und erzeugte mit dem Mund das Zischen eines Stunnerschusses.
»Können wir jetzt endlich abhauen?« fragte Joe Marley mit einem scharfen Unterton. Er wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern schob den Antriebsregler nach vorne. »Wir hätten ruhig bis morgen früh warten können. Aasjäger verzehren kein Metall.«
»Ich wollte es aber schon heute nacht versuchen«, erklärte Fek mit ungewöhnlichem Nachdruck.
»Und hören Sie auf, damit in der Gegend herumzuleuchten«, fügte Joe gereizt hinzu, während sie über ein Feld jagten, das ebenfalls zuckte und feucht glänzte.
Mitford wartete auf dem Parkplatz, als traute er den Teilnehmern an der Mission nicht, daß sie die Aktion für sich behielten. Kris spürte, daß sie sich fast in einem Adrenalinrausch befand, daher hatte seine Anwesenheit eine ernüchternde Wirkung auf sie. Er bedeutete ihnen mit energischen Handzeichen, das stille Lager zu durchqueren und in sein Büro zu kommen. Vorsichtshalber hatte er für Bier und Salzgebäck zum Knabbern gesorgt. Rugarianer und Deski mochten gelegentlich einen Krug Bier, aber sie achteten darauf, nicht zuviel und nicht zu oft zu trinken. Es hatte irgendeine nachteilige Wirkung auf ihren Metabolismus – nicht mit einem Kater zu vergleichen, wie Leon Dane zu wissen schien, aber ähnlich in der Wirkung, worunter ihr Wohlbefinden sehr zu leiden schien. Kris trank einen tiefen Schluck von ihrem Bier, um ihren Magen zu beruhigen, und bemerkte, daß Joe ihrem Beispiel folgte. Mitford wartete geduldig, da er am Ausdruck ihrer Gesichter erkannte, daß die Aktion erfolgreich verlaufen war.
»Ich würde sagen, daß ich mittlerweile getötet wurde und daß Leon im Sterben ist«, begann sie. »Ansonsten lief alles wie geplant … mit einem kleinen Intermezzo von Fek und Slav.« Sie fröstelte, als die beiden die geborgenen Gegenstände auf Mitfords Tisch legten.
Er warf nur einen kurzen Blick auf die Handstrahler, die nach Kris’ Auffassung viel nützlicher waren als Stunner. Aber bei einem Vertreter des Militärs war das Interesse für Waffen natürlich viel größer. Er nahm den Stunner hoch, drehte ihn hin und her, überprüfte die Kontrollen und ließ irgend etwas zuschnappen. »Das war die Sicherung – jetzt ist sie aktiviert –, aber das konnten Sie nicht wissen.« Er tätschelte die Waffe beinahe verliebt, bevor er sie beiseite legte und die andere hochhob, um sie ebenfalls zu sichern.
»Bert und Raisha sahen aus, als würden sie vom Christkind beschenkt«, erzählte sie weiter. »Ich habe mich nur einmal umgeschaut, als Zainal meinte, die Luft wäre rein.« Mitford ruckte. »Ziemlich beengt. Nur gut, daß Leon keinen Zentimeter größer ist.« Mitford nickte erneut. »Er kommt zurück, ganz bestimmt.« Mitford nickte ein drittes Mal.
Sie leerte ihren Bierkrug, nahm eine Handvoll Salzbrezeln und stand auf. »Ich bin kaputt«, sagte sie. »Gute Nacht und vielen Dank, Joe, Fek und Slav. Wir sind das beste Team auf Botany.«
Mitford widersprach nicht.
Erst als sie in ihr Bett kroch, bemerkte Kris, daß sie immer noch den Kommunikator bei sich hatte. Er nutzte ihr wenig, auch wenn er eine Verbindung mit Zainal oben im Scout-Schiff darstellte, der gerade den nächsten Schritt von Phase Eins vorbereitete. Sie legte ihn in ihr Regal und ließ sich schließlich in einen tiefen Schlaf sinken.
Mitford begab sich mit ihr am nächsten Tag, als mit Zainals Rückkehr zu rechnen war, zum Abwurffeld. In Camp Rock brodelte die Gerüchteküche, obgleich jeder, der mit Phase Eins in Verbindung stand, sich bemüht hatte, sich so normal wie möglich zu benehmen. Um ganz sicher zu gehen, daß sie nichts verriet, hatte Kris so tun müssen, als hätte sie sich den Knöchel verstaucht. Sarah holte ständig frisches kaltes Wasser, um die Schwellung zu kühlen. Joe, Fek und Slav warteten ihr großes Erkundungsfahrzeug oder schrieben Berichte. Von Leon Dane hieß es, er halte sich mit Zainal, Bert und Raisha wegen irgendeines Notfalls in Camp Shutdown auf. Aber die Gerüchte wollten nicht verstummen.
»Es wird für sie trotzdem eine Überraschung sein«, sagte Mitford, während er den kleinen Luftkissenrutscher an die Hecke heranlenkte. Sie hatten auf ihrem Weg einige Flugräuber gesehen, daher nutzte er jede sich ihm bietende Deckung. »Ich hoffe es jedenfalls.«
»Wir sind jetzt allein, Sarge, daher möchte ich Ihnen nur kurz mitteilen, was ich von der Nummer halte, die Sie mit mir abgezogen haben …« Kris konnte voller Genugtuung verfolgen, wie Mitford vor Scham errötete. »Sie hatten kein Recht, Zainal auf diese Art und Weise zu beleidigen … und erst recht nicht durften sie mich als Pfand für ihn benutzen. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte Sie k.o. geschlagen …« Sie ballte die Hand zur Faust.
»Verdammt noch mal, Kris Bjornsen …« Mitford erholte sich schnell von seiner Verlegenheit und reagierte ungehalten auf ihren Vorwurf. »Ich mußte es tun! Ich traue Zainal – höchstwahrscheinlich sogar mehr, als ich je einem Menschen getraut habe … und für mich ist er ein Mensch …« Mitfords Erwiderung klang genauso leidenschaftlich wie ihr Vorwurf, und seine Augen blitzten. »Aber ich kann und darf nicht das geringste Risiko eingehen. Weder bei ihm noch bei Ihnen.« Er fuhr sich mit einer Geste nur mühsam gebändigter Erregung und, seltsamerweise, Hilflosigkeit durchs Haar. »Und ich brauche ihn sehr. Wir« – und damit meinte er die gesamte Kolonie – »… brauchen ihn sehr.« In einem seiner schnellen Stimmungsumschwünge lächelte er sie herausfordernd und melancholisch zugleich an. »Ich wäre schon verdammt gerne dort, wo er jetzt bei Ihnen steht …« Er hob abwehrend beide Hände. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Kris. Aber Sie sind eine tolle Frau, und Zainal ist der einzige Mann, den zu verdrängen ich niemals wagen würde.«
Nun war es an Kris, verlegen zu sein. Sie hatte schon immer irgendwie geahnt, daß Mitford eine Schwäche für sie hatte, dann allerdings, als er sie mit Zainal auf ihre Mission geschickt hatte, entschieden, sie habe sich dies nur eingebildet.
»Das tut mir leid, Chuck«, erwiderte sie, wobei ihr Zorn blitzschnell verflog. »Es ist einfach passiert, zumal Sie mich ihm geradezu in den Schoß gelegt haben … mehr oder weniger jedenfalls.«
»Eher mehr.« Mitford verzog sein zerfurchtes Gesicht. »Ich hätte es nicht tun sollen. Aber Sie waren die einzige, bei der ich mich darauf verlassen konnte, daß sie ihn am Leben lassen, bis den anderen klar wurde, daß er lebendig viel wertvoller ist als tot.«
»Wir sind Ihnen eine Menge schuldig, Sarge«, sagte sie und legte eine Hand auf seinen Ann. »Aber ich war gestern trotzdem furchtbar wütend auf Sie.«
Mitford lachte und streckte die Beine aus dem geparkten Fahrzeug.
»Tja, aber manchmal muß ich tun, was getan werden muß, und es blieb uns keine Zeit, die Lamettaträger zusammenzutrommeln, die hier mittlerweile herumschwirren.«
»Ha.« Sie erwiderte sein Lächeln. »Sie wollten die Sache ganz alleine durchziehen, völlig ohne Lamettaträger. Aber Sie wären dumm, wenn Sie die anderen bei der Planung von Phase Zwei nicht beteiligen …«
»Und Phase Drei«, fügte Mitford hinzu und drehte den Kopf ein wenig, um seinen Bück über das Feld schweifen zu lassen, dessen Bewuchs durch die zahlreichen Landungen der Transportschiffe und die Abwürfe der bewußtlosen Körper plattgewalzt war. Er kratzte sich noch einmal am Kopf und sah Kris wieder an. »Ich wäre wirklich dumm, wenn ich die Strategen nicht an der Vorbereitung von Phase Zwei beteiligen würde. Aber diese erste … die …« – und damit deutete er mit einem Daumen auf seine Brust – »… war für mich! Und für Sie!« fügte er großmütig hinzu. »Um ganz ehrlich zu sein – ich versuche mich aus der ganzen Sache rauszuziehen.«
»Ach, kommen Sie, Chuck …«
»Nein, ich meine es ernst, Kris. Wir haben hier jetzt an die neuntausend Leute. Ich wußte, was ich für fünfhundertzweiundachtzig getan habe, auch noch für zweitausend, aber … verdammt noch mal, ich möchte auch zu denen gehören, die die interessanten Dinge finden, und das nicht nur Ihnen oder Zainal oder den Doyles oder den Skandinaviern überlassen. Ich, Chuck Mitford, möchte auch meinen Spaß haben.«
»Wen wollen Sie denn in Ihrem Team haben?« fragte sie, um dieses überraschende Geständnis zu verarbeiten. Sie wußte sehr wohl, daß die Kolonie über ausgebildete Leute wie Easley und Rastancil und Gouverneure wie Ayckburn und Chavell verfügte, aber Mitford hatte dafür gesorgt, daß die Kolonie funktionierte.
»Es wird ohne Sie nicht mehr so sein wie sonst. Ganz und gar nicht«, sagte sie mit einem Ausdruck tiefen Bedauerns.
Er legte eine Hand auf ihren Arm und zwinkerte ihr zu. »Sie werden gar nicht wissen, daß ich nicht mehr da bin, bis ich wieder zurückkomme. Es wäre mir, ehrlich gesagt, viel lieber, wenn jemand, der Erfahrung im Planen solcher Unternehmungen hat, Phase Zwei und Drei durchziehen würde. Aber Sie können sich darauf verlassen, daß auch ich mein Scherflein dazu beitragen werde.«
»Es würde auch gar nicht zu Ihnen passen, wenn Sie das nicht täten.«
»Zum Teufel, Kris«, meinte er nun wieder mit ernster Miene. »Als ich am ersten Tag das Kommando übernahm, habe ich den Leuten versprochen, daß wir irgendwann unsere Freiheit zurückgewinnen würden.« Sein Blick schweifte in die Feme und verlor sich über den vom morgendlichen Dunst bedeckten Feldern. »Freiheit, ja. Aber von hier weggehen? Dessen bin ich mir gar nicht mehr so sicher.« Er schaute sich um und sah eine Landschaft, die ihm nicht mehr fremd und unwirklich erschien.
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte sie.
»Wenn wir mit unseren Wirten hier – wenn ich sie so nennen darf – zu irgendeiner Einigung kommen können, sei es nun mit einer oder mit beiden Parteien, dann wäre dies hier ein ganz toller Ort, um sich niederzulassen, nämlich ohne diese verdammten Minderheiten, die ihren eigenen Lebensraum vernichten. Es wäre für alle ein vielversprechender Neuanfang.«
»Den haben wir doch längst gemacht.«
Er nickte und massierte seine Nase. »Das weiß ich. Aber in Freiheit. Ich habe es versprochen, und jetzt haben wir die Chance, das auch zu schaffen.«
»Phase Drei könnte bedeuten, daß wir von hier weggehen, falls die hohen Tiere sich für Zainals Plan entscheiden, die Erde – und Catten – von diesen Eosi zu befreien.«
Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
»Zur Hölle, Mädchen, es gilt, zumindest einen weiteren Krieg auszufechten. Ich habe keine Ahnung vom Kampfgebiet oder von den Waffen.« Er drohte ihr mit dem Finger, und seine Miene war ernst. »Glauben Sie nur nicht, daß ich der einzige bin, der sich Zainals Bericht mit allen Details und auch dem Kleingedruckten anhört. Es gibt noch verdammt viel, was wir nicht über die Catteni wissen – von den Eosi ganz zu schweigen.«
»Und von unseren Wirten, den Farmern.«
Sie hörten beide den leisen Donner über ihren Köpfen, gefolgt von einem heftigen Rascheln, als Slav, Fek, Joe, Sarah, Whitby und Leila durch die Hecken hinter ihnen brachen.
Kris warf Mitford einen erschrockenen Blick zu und fragte sich, ob ihr sehr privates Gespräch vielleicht belauscht worden war. Er schüttelte unmerklich den Kopf und deutete auf die Gruppe, die kurzatmig keuchte, als wäre sie eine beträchtliche Strecke gerannt.
»Fek hat gehört«, erklärte die Deski grinsend. »Scout kommt zurück.«
Slav deutete nach oben, und sie konnten den Fleck am Himmel sehen, der schnell an Größe gewann. Der Lärm wurde lauter, aber nicht klarer erkennbar. Plötzlich erschienen mehr Flugräuber, als sie jemals auf einmal gesehen hatten, und umschwärmten das Schiff. Einige stürzten flatternd ab, andere fielen wie Steine vom Himmel. Die, die übrigblieben, vollführten erstaunliche Flugmanöver und segelten so schnell sie konnten davon.
»Das ist gut zu wissen«, sagte Mitford mit einem zufriedenen Knurren und kletterte aus dem Rutscher. Er verschränkte die Arme vor der Brust und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen den Anflug des Schiffs.
Saß Zainal an den Kontrollen, fragte Kris sich, oder hatte er Bert den Platz überlassen? Wer immer es war, er absolvierte in etwa zwanzig Metern Entfernung eine saubere Landung und setzte in einer letzten Wolke aus Abgasen aus den Heckdüsen auf dem Feld auf. Die Luke wurde geöffnet, und Raisha sprang, übers ganze Gesicht strahlend, heraus. Sie salutierte vor Mitford, und dieser erwiderte den militärischen Gruß.
»Mission erfolgreich abgeschlossen, Sir. Alle heil und unversehrt zur Stelle.« Dann reckte sie die rechte Faust in die Luft und stieß einen unmilitärischen Triumphschrei aus.
Kris und die anderen gingen auf sie zu und hielten Ausschau nach Zainal und Bert.
»Dieser Zainal … er hat das Schiff von Bert lenken lassen!« rief Raisha, schüttelte allen die Hand, sogar Fek und Slav, die sich mittlerweile an diese seltsame menschliche Geste gewöhnt hatten. »Sie sollten sich diesen Ort mal aus dem Weltraum ansehen, Sarge. Er ist noch schöner als Terra. Ich weiß, daß es ziemlich unglaubwürdig klingt, aber es ist so! Und wir wissen, wo der Satellit steht, daher meint Zainal, daß es keine Probleme gibt, ihn zu meiden, indem wir uns andere Startfenster suchen, da er geosynchron für diese Region positioniert wurde. Es gibt keinen Hinweis darauf, wie lange er schon da oben ist, daher ist es durchaus möglich, daß er auch von den Farmerschiffen noch nichts mitbekommen hat.«
Kris grinste Raisha an, erkannte sehr wohl, in welcher Hochstimmung sie sich befand, suchte aber weiterhin nach Zainal.
»Ach, er erklärt Bert noch einige Kleinigkeiten. Sie müssen die beiden mit Gewalt dort herausholen«, sagte Raisha. »Sarge, wir haben während unseres Landeorbits auch einen Blick auf die anderen Kontinente werfen können. Es sieht so aus, als würde nur noch ein weiterer landwirtschaftlich genauso intensiv wie dieser genutzt.
Es wäre sicherlich nicht unklug zu überlegen, ob es nicht besser wäre, alles auf einen unbewohnten Kontinent zu schaffen und die Farmen in den Zustand zurückzuversetzen, in dem wir sie vorgefunden haben. Stellen sie sich nur mal vor, wie verwirrt die Catteni wären.«
»Nun mal langsam, Raisha«, versuchte Mitford das aufgeregte Geplapper der Frau einzudämmen.
»Oh!« Sie schaute zu den anderen hinüber. »Ich sollte eigentlich nur Ihnen Bericht erstatten, oder? Aber sie wissen doch alle über Phase Eins Bescheid, nicht wahr? Es ist …« Und sie hielt inne, machte einen tiefen Atemzug und wischte sich ein paar Tränen aus ihren Augen. »Es ist nur so, daß ich, seit die Catteni die Macht übernommen haben, nicht mehr geglaubt habe, jemals in einem richtigen Raumschiff zu sitzen.« Weitere Tränen rannen über ihre Wangen, und sie gab sich Mühe, sich zusammenzureißen. »Ich bin wirklich eine tolle Astronautin.«
»Sie haben Ehre Sache sehr gut gemacht, Ma’am«, lobte Mitford sie in militärisch knappem Tonfall, und damit erreichte er sein Ziel.
»Danke, Sergeant. Ich betrachte es als eine Ehre, an der Mission teilgenommen zu haben.«
»Und dorthin zu gehen, wo noch kein Mensch gewesen ist«, Kris zitierte unwillkürlich eine Dialogzeile aus einer uralten terranischen Fernsehserie namens Raumschiff Enterprise.
Mitford ging weiter zur offenen Raumschiffluke, aber Kris erreichte sie noch vor ihm.
»Zainal?« rief sie und schalt sich im stillen dafür, daß sie sich benahm wie eine Frau mit Besitzansprüchen auf ihren Partner.
»Auf der Brücke.« Er klang ebenfalls euphorisch.
Wie Raisha gesagt hatte, erklärte er Bert bestimmte Flugmanöver und Bedienungselemente.
»Sie haben das Schiff praktisch auf einer Briefmarke gelandet«, sagte Kris und schaute von einem zum anderen. Bert lächelte stolz.
»Zainal hat darauf bestanden – und ich hätte beinahe in die Hose gemacht«, sagte er, aber Kris lachte nur. »Es gibt eigentlich kaum eine Möglichkeit, beim Bedienen der Kontrollen einen Fehler zu machen, deshalb war es am Ende gar nicht so schwierig. Nicht daß Zainal bestimmt übernommen hätte, wenn mir doch ein Fehler unterlaufen wäre …« Er deutete auf die rechte Seite der Brücke. »Ich kann Ihnen flüstern, diese Raubvögel, die wie Düsenjäger auf mich herabstießen, boten schon einen furchterregenden Anblick …«
»Ich glaube kaum, daß sie so bald wieder zurückkommen«, sagte Kris. »Diejenigen, die die Begegnung überlebt haben, sind davongeflogen.«
»Das tun sie aber offenbar nicht, wenn ein Transportschiff landet«, sagte Zainal nachdenklich.
»Der Scout gibt eine Art Pfeifen von sich …«, meinte Kris, und er nickte. Sie wollte mehr tun als nur dastehen, wollte Zainal irgendwie zeigen, wie sehr sie sich freute, ihn wiederzusehen. Sie wünschte sich, daß Bert woanders wäre als ausgerechnet auf der Brücke.
Dann ging Zainal zu ihr, zog sie an sich, so daß ihre Wangen sich berührten und er mit den Lippen ihr Ohr streifte, ehe er wieder zurücktrat. »Ich erstatte Mitford jetzt meinen Bericht.« Er wandte sich an Bert. »Gehen Sie noch einmal den ganzen Check durch. Wir müssen das Schiff verstecken, ehe wir alles stillegen.« Danach schob er Kris durch den engen Verbindungsgang vor sich her. »Wir wissen jetzt viel mehr über Botany, was sich als nützlich erweisen kann.«
Kris konnte nur daran denken, daß er wieder zurück war und daß Phase Eins als Erfolg gewertet werden konnte und daß Mitford entschlossen war, mit Phase Zwei weiterzumachen. Als sie wieder draußen auf dem Feld stand, auf dem sie vor neun Monaten aus ihrer Bewußtlosigkeit aufgewacht war, konnte sie kaum fassen, wie grundlegend sich alles verändert hatte. Und alles nur, weil sie einen Catteni gerettet hatte.
Kris stellte fest, während die Schaulustigen – und sie kamen in Scharen von Camp Narrow herüber – das Scout-Schiff besichtigten, daß Zainals abschließendes Gespräch mit Mitford sich vorwiegend um das drehte, was er vom Rest des Planeten gesehen hatte, und nicht so sehr um den Flug selbst. Er hatte anfangs das Schiff selbst gelenkt, nachdem er sich am Satelliten vorbeigeschlichen hatte, einige akrobatische Manöver ausgeführt, um die Maschine zu testen.
»Damit es aussah, als hätte ich die Kontrolle über die Kiste verloren«, erklärte Zainal grinsend. »Und dann versteckte ich mich hinter dem Mond und war außer Reichweite des Satelliten.« Von Bert und Raisha erzählte er: »Sie wissen mehr, als ihnen bewußt ist. Sie sind bestens ausgebildet. Sie konnten das Schiff lenken, während ich mich umsah. Der Scout macht schnelle … Skizzen …« Er sah Kris fragend an, die mit dem Begriff ›Photos‹ aushalf. »Ja, Photos vom anderen Kontinent. Wir sind beim letzten Überflug ziemlich nahe herangekommen.« Zainal grinste. »Viel besser als das, was wir erhielten.« Er schüttelte ungehalten den Kopf, als er daran dachte, wie inständig er um Informationsmaterial hatte bitten müssen.
»Raisha erwähnte, daß nur zwei Kontinente landwirtschaftlich genutzt würden.«
Zainal nickte. »Einer ist leer, aber grün. Der andere ist nicht so gut, nehme ich an. Aber ich bin kein Farmer.«
»Wollen Sie, daß wir umziehen?« fragte Mitford und machte mit dem Arm eine Geste, die die Lagerplätze der Kolonisten einschloß. »Damit wir mit den eigentlichen Betreibern dieses Planeten keinen Ärger bekommen?«
»Be …« Zainal teilte die Silben ein wenig ratlos, »trei … ber?«
»Die Rasse, die als erste diesen Planeten für sich beanspruchte.«
»Aha, Betreiber. Ja. Das wäre zu überlegen. Ein Volk, das aus dem Tal, das wir erkundet haben, ein Gefängnis gemacht hat, handelt nicht wie Catteni oder Eosi. Sie haben dort etwas festgehalten oder etwas davon abgehalten, einzudringen. Das ist nicht das, was Catteni oder Eosi tun würden.«
»Nicht einmal Terraner, wenn Sie einen Blick auf deren Geschichte werfen«, sagte Mitford mit einem leicht spöttischen Unterton und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Dann schaute Zainal den Lagerchef von der Seite fragend an.
»Phase Zwei, Sarge?«
Mitford lachte verhalten, ließ die Arme sinken. »Haben Sie Waffen gefunden?«
»Genug, um die dummen Drassi zu überwältigen«, stieß Zainal abfällig hervor.
»Allmählich wird es hier interessant, nicht wahr?« bemerkte Mitford.
Jemand räusperte sich in der Nähe. Kris bückte über die Schulter und entdeckte ein paar Männer, die, soweit sie sich erinnern konnte, früher zum Führungsstab von Armee und Marine gehört hatten. Sofort wurde sie aus Sorge um Mitford wachsam. Sie wollte nicht, daß er durch Neuankömmlinge ersetzt wurde, die meinten, sie wüßten besser, wie diese Welt zu verwalten wäre. Es war Peter Easley, der sich geräuspert hatte.
»Sergeant, wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, würden wir uns gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Mehr als nur einen Augenblick, und daß Sie hergekommen sind, erspart mir die Mühe, Sie holen zu lassen«, sagte Mitford und schwang sich aus dem Fahrersitz nach unten. »Kennen Sie schon Emassi Zainal und Kris Bjornsen?«
Ein allgemeines Händeschütteln folgte, und Kris stellte fest, daß die Hände, die sie ergriff, voller Schwielen und durch ›zivile‹ Arbeiten abgehärtet waren. Sie registrierte, daß man ihr und Zainal durchaus respektvoll begegnete, und sagte sich, daß sie sich eine ›feindliche Übemahme‹ nur einzubilden schien. Die Herzlichkeit der neun Männer wirkte überhaupt nicht gezwungen. Die Bemerkungen reichten von »Gut gemacht« bis »Das hebt die Moral aller beträchtlich«.
»Welcher Rang entspricht auf der Erde dem eines ›Emassi‹, Zainal?« fragte Mitford und zwinkerte Kris zu.
»Ein Emassi ist soviel wie ein Captain«, antwortete Zainal und sah Mitford ausdruckslos an. »Ein Emassi steht über dem Sergeant«, fügte er hinzu und grinste.
»Wie bitte?« fragte Peter Easley und beugte sich vor, als glaubte er, etwas Wichtiges überhört zu haben.
»Ein alter Scherz«, sagte Mitford. »Haben Sie sich schon das Schiff angesehen, Gentlemen?«
Sie nickten lächelnd.
»Würden Sie uns ein wenig ins Bild setzen?« fragte ein Mann mit silbergrauem Haar – einer der Generäle, dachte Kris. Seine Blicke wanderten von Zainal über Kris und Mitford bis zu Easley. »Die Möglichkeiten, die sich durch einen solchen Coup ergeben, sind unendlich. Rastancil, Generalmajor«, stellte er sich vor und fügte mit trauriger Miene hinzu: »Außer Dienst.«
»Wie ich schon sagte«, begann Mitford, »wollte ich Sie so bald wie möglich zu Rate ziehen, sobald ich den erfolgreichen Abschluß von Phase Eins melden konnte.« Er deutete auf das Schiff und runzelte die Stirn, als an der Luke ein kurzes Handgemenge entstand. Er legte seine Hände wie einen Trichter an den Mund und brüllte mit lauter Exerzierplatzstimme: »IMMER LANGSAM DA UNTEN! ODER NIEMAND KOMMT REIN! LATORE, DOYLE, SORGEN SIE DAFÜR, DASS SIE EINE WARTESCHLANGE BILDEN! Tut mir leid«, sagte er, während er sich wieder den Militärs zuwandte. »Es ist erfolgreich verlaufen, und ich denke, es ist an der Zeit, daß ich die Angelegenheit den Taktikern oder den Strategen oder wem auch immer übergebe.«
»Sergeant, wenn Sie das schon geschafft haben«, sagte Rastancil, »dann haben Sie sich das Recht mehr als verdient, auch eine Phase Zwei zu organisieren, wenn Sie das meinen, was ich annehme.«
Mitford nickte heftig. »Eine Phase Zwei und eine Phase Drei.« Er deutete wieder auf Zainal. »Ja, wir müssen miteinander reden.« Weitere laute Rufe klangen vom Raumschiff herüber. »Lassen Sie mich das da hinten erst mal regeln«, sagte er, stieg wieder in seinen Luftkissenrutscher und lenkte ihn zu den Leuten an der Einstiegsluke des Raumschiffs hinunter.
»Was hatten Sie sich denn für Phase Zwei gedacht, Emassi Zainal?« fragte einer der Marinevertreter. Er hatte einen deutlichen britischen Akzent, daher identifizierte Kris ihn als Geoffrey Ainger.
»Ich bin Zainal und kein Emassi mehr«, erwiderte er. »Ich werde Ihnen von Phase Eins erzählen.«
»Dann tu das doch oben in Narrow, oder was meinst du?« schlug Kris vor, als weitere Leute herbeiströmten, um das Raumschiff zu besichtigen. »Ich warte hier auf den Sergeant.«
»Wir werden alle auf den Sergeant warten«, sagte Easley, doch er deutete auf einen Punkt auf dem Feld, ein Stück von dem Betrieb zwischen dem Lager und dem Raumschiff entfernt, wo ein kleiner Abhang zur Hecke hinaufführte, der Platz zum Sitzen bot. Falls es ein oder zwei Männer gab, die sich wegen dieses sehr nachdrücklich vorgebrachten Vorschlags ungehalten räusperten oder die Augenbrauen hoben, so war Easley geschickt genug, dorthin zu lenken, wo er sie haben wollte, so daß sie schließlich bereitwillig nachgaben. Als sie die Stelle erreichten, schlug Zainal die Füße übereinander und ließ sich elegant nieder. Kris und Easley setzten sich neben ihn, den anderen gegenüber, die es sich ebenso gemütlich machten. Zainal lieferte einen Bericht über Phase Eins von der ersten Meldung durch Coo bis zu dem Augenblick, als das Schiff landete. Kris war besonders stolz auf sein Englisch, das manchmal vielleicht nicht gerade perfekt, dafür aber sehr präzise war.
Als er geendet hatte, zeigte ein Mann mit beginnender Glatze, untersetztem Körperbau, einem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht und einer dünnen Narbe vom Unterkiefer bis zur Schläfe auf. »Weshalb könnten Sie das Objekt eines solchen Entführungsversuchs sein, Zainal?«
»Wieviel wissen Sie von den Eosi?«
»Mehr als mir lieb ist, aber nicht genug, um zu wissen, weshalb sie Jagd auf einen ganz bestimmten Mann machen«, lautete die Antwort.
»Sind Sie der amerikanische General Bull Fetterman?« Ein Nicken beantwortete Zainals Frage, und Kris staunte, wie schnell er sich die Namen und die Dienstränge eingeprägt hatte. Zainal informierte sich stets über die Leute, die abgeworfen wurden, und er wußte aus Mitfords Berichten von der Anwesenheit einiger Armee-und Marineoffiziere. »Dann wissen Sie sicherlich auch, daß die Eosi den Catteni Anweisungen geben.« Fetterman war nicht der einzige, der jetzt nickte. »Sie suchen sich Emassi aus, um ihr Leben zu verlängern.«
»Wie bitte?« Bull Fetterman nahm eine Haltung ein und zeigte einen Gesichtsausdruck, denen er zweifellos seinen Spitznamen zu verdanken hatte.
»Sie übernehmen die Catteni total«, sagte Kris. »Zainal würde zu einem Zombie … oder etwas Schlimmerem … Er wäre nicht tot, aber von seiner Persönlichkeit wäre nichts mehr da. Er wäre wie eine Puppe, eine Marionette.«
»Und das erste Scout-Schiff war hier, um Sie mitzunehmen, weil Sie auserwählt waren?« fragte Easley.
Zainal nickte.
»Ich habe gehört, es wäre eine Art Ehre«, sagte Rastancil, obgleich sein Gesichtsausdruck verriet, daß er es nicht so empfand.
»Das ist es.« Und dann grinste Zainal. »Aber ich wurde abgeworfen, also bleibe ich.« Er imitierte mit seinen Händen eine Schere. »Ich bin nicht mehr auf der Ehrenliste.«
Easley blinzelte und grinste, Rastancil ebenfalls.
»Aber es war doch eine Pflicht«, sagte Fetterman.
»Nicht mehr, als ich hier abgeworfen wurde.« Zainal deutete feierlich auf den Untergrund, auf dem er saß.
»Jemand muß doch Ihren Platz einnehmen, nicht wahr?« fragte ein schwarzer Offizier – Kris schätzte sein Alter auf Ende Vierzig.
»Ein anderer Mann aus meiner Familie. Davon gibt es mehrere«, meinte Zainal achselzuckend.
»Aber wie sieht es mit Vergeltungsaktionen aus?« fragte ein anderer Mann. Kris vermutete, daß es Reidenbacker war. Sie war in Gedanken sämtliche Namen und Berufe auf der Abwurfliste durchgegangen und versah sie nun mit Gesichtern.
»Der letzte Ort, an dem sie nachschauen würden, ist hier«, sagte Zainal.
»Sind Sie sich ganz sicher?« fragte Admiral Scott in einem auffallend militärischen Tonfall.
»Er hat nicht ganz unrecht, Ray«, erwiderte Rastancil. »Wenn Sie desertieren würden, würden Sie sich auf keinen Fall an dem Ort verstecken, von dem Sie desertiert sind.«
»Ich desertiere nicht«, sagte Zainal und runzelte ungehalten die Stirn. »Ich wurde abgeworfen und bleibe jetzt hier.«
»Handelt es sich um eine Art Pflicht oder lediglich um einen persönlichen Wunsch?« wollte Scott wissen.
»Zainal spielt darauf an, daß niemand, der in eines dieser planetaren Testuntemehmen gesteckt wurde, jemals seine Freiheit zurückerhält«, sagte Kris mit Nachdruck und bemühte sich, Scott nicht mit Blicken zu töten. »Dies ist im Grunde eine Strafkolonie, wissen Sie. Zainal wies die Möglichkeit zurück, von hier weggeholt zu werden, denn damit wurde eine andere Regel übertreten: nur weil es seinen Vorgesetzten ganz gut paßte. Wenn sie ihn geborgen hätten, ehe er mit uns anderen Dissidenten weggeschickt wurde, hätte es grundlegend anders ausgesehen. Aber sie ließen zu, daß er weggeschickt wurde.« Sie fügte das hinzu, ganz gleich ob es stimmte oder nicht, nur um dafür zu sorgen, daß Scott Zainal niemals als einen Deserteur oder Feigling oder etwas Ähnliches bezeichnete.
»Wir lassen diesen Punkt am besten auf sich beruhen«, sagte Rastancil lächelnd.
»Wir können also sicher sein, daß es keine gegen uns gerichteten Vergeltungsmaßnahmen geben wird, weil Sie das Scout-Schiff hergebracht haben«, fügte Scott hinzu.
»Ich denke, wir haben dafür gesorgt, daß es eher unwahrscheinlich ist«, sagte Easley und versuchte, das Thema damit abzuschließen, »da Zainal bewußt einen Kurs eingeschlagen hat, der ihn aus dem System hinausführte. Aha, da ist der Sergeant.«
Mitford glättete den Ausdruck des Zorns in seinem Gesicht, als er aus seinem Rutscher herabstieg. »Der verdammte Aarens nimmt Sonderrechte für sich in Anspruch …«, murmelte er Kris zu, während er sich neben ihr niederließ. »Haben Sie ausgiebig über Phase Eins diskutiert?«
»Das haben wir …«, begann Easley.
»Können wir darüber einen schriftlichen Bericht haben? Nur für die Ablage«, fragte Scott.
»Für ein Exemplar ist noch Papier übrig«, sagte Mitford ohne Bedauern in der Stimme. »Kris, können Sie das für mich erledigen? So, Zainal, wenn Sie Phase Zwei jetzt genauso beschreiben könnten, wie Sie es vor drei Tagen getan haben …«
Zainal stand plötzlich auf. Obgleich die meisten hohen Tiere des Militärs auf einem Schräghang saßen, zwang seine neue Position sie, zu ihm aufzuschauen – eine raffinierte Strategie, wie Kris sie selten erlebt hatte.
»Die Transportschiffe, die die Abwürfe vornehmen, erscheinen öfter. Ihr Planet macht den Catteni Schwierigkeiten, die sie nicht erwartet haben. Die Schiffe sind in keinem guten Zustand. Wir haben jetzt Waffen. Wir können ein zweites Schiff übernehmen.« Er hob die Hand, um Fragen zuvorzukommen, die dieses Vorhaben sicherlich aufwarf. Die Geste drückte soviel Würde und Befehlsgewalt aus, daß sogar Scott sich widerstrebend zurückhielt. »Wir nehmen ein Transportschiff. Dann lädt der Scout Metall und eine Bombe und erzeugt weit genug im Raum eine Explosion …« Er deutete nach oben. »Satellit ist geo-synchron.« Er schaffte es, die Silben in der richtigen Reihenfolge auszusprechen. »Er kann daher nur diese Seite sehen. Er sieht die Explosion.« Er vollführte wieder die Scheren-Geste.
»Erzählen Sie mir bloß nicht, daß die Catteni die Angelegenheit ohne eine gründliche Untersuchung auf sich beruhen lassen!« sagte Scott und unternahm nicht den Versuch, seine Skepsis und seine Ablehnung zu kaschieren.
»Nicht wenn die letzte Meldung der Crew auf ein … Versagen des Systems hinweist.« Zainal mußte angestrengt überlegen, um die richtigen Worte zu finden.
»Zwei letzte Meldungen, und jedesmal verschwindet ein Raumschiff?« fragte Scott mit offenem Spott.
»Nur Drassi sind im Transportschiff. Kein großer Verlust«, sagte Zainal kühl. »Catteni …« und er verlieh diesem Wort eine besondere Betonung, »zerbrechen sich nicht den Kopf über geringe Verluste. Schiff oder Drassi. Sie sollten das mittlerweile wissen.«
»Soll das heißen, daß Sie, ein hochrangiger Catteni-Offizier, bereit sind zuzulassen, daß wir Catteni töten?« fragte Scott und fixierte Zainal mit zu Schlitzen verengten Augen.
Zainal zuckte die Achseln. »In jedem Krieg gibt es Verluste. Sie wissen das. Ich weiß das. Oder …« – ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen – »… machen Sie es wie die Catteni. Lassen Sie die Crew laufen, jedenfalls die, die am Leben bleiben. Wenn sie nach einem Tag nicht gefunden wurden …« – und er reckte einen Finger in die Höhe – »… bleiben sie am Leben und kommen zu uns. Sie wurden abgeworfen. Also bleiben sie hier.«
Kris schlug hastig die Hand vor den Mund und betrachtete verstohlen die Gesichter, um festzustellen, wer Zainals List verstand. Die Zahl derer, die begriffen hatte, überwog. Diese Leute waren intelligent genug. Scott schien als einziger ernsthafte Kritik zu üben.
»Sie kannten diese Catteni-Regel offensichtlich nicht, oder, Admiral?« fragte Mitford ausgesucht höflich.
Scott nickte kurz.
»Mit allem Respekt, Sir, für den Fall, daß niemand Sie aufgeklärt hat«, fuhr der Sergeant fort, »Zainal wurde gegen die Regel und gegen seinen Willen ins Schiff getrieben. Das nur für den Fall, daß einer von Ihnen sich fragen sollte, weshalb er sich nicht dazu verpflichtet fühlt, irgendwelche weiteren Befehle der Emassi zu befolgen.«
»Vielen Dank für diese Erklärung, Sergeant«, sagte Easley. »Ich denke, damit sollten sämtliche Zweifel hinsichtlich der Frage, auf wessen Seite Zainal steht, ausgeräumt sein. Um wieder zu Phase Zwei zurückzukehren – welchen Vorteil hätte es für uns, ein Schiff zu besitzen, daß vielleicht gar nicht einsatzfähig ist? Selbst wenn Zainal glaubt, daß wir nicht mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen müssen.«
»Ich denke an die Farmer«, sagte Zainal, und alle Blicke waren wieder auf ihn gerichtet. »Bei zwei Schiffen können wir eins mit ihrem Transportschiff mitschicken …«
Scott verwarf diesen Vorschlag und senkte den Blick.
»Moment mal, Scott«, meldete Fetterman sich zu Wort. »Ich bin mir in bezug auf diese Farmer oder Mechano-Bauern, oder wie immer man sie nennen will, nicht ganz im klaren.« Dann wandte er sich wieder an Zainal. »Sie wollen, daß sie erfahren, daß wir ihr Land besetzen?«
»Besetzen?« Zainal schaute fragend zu Kris.
»Das hat nichts mit kriegsmäßiger Besetzung zu tun. Es ist ein Ausdruck für die Übernahme und Nutzung von Land, das einem nicht gehört«, erklärte sie schnell. »Das ist eigentlich schon Phase Drei.« Ehe sie mit der Diskussion über Phase Zwei begannen, wollte Kris ihnen wenigstens Zainals Plan verständlich machen. »Es geht um ein Bündnis mit den Farmern gegen die Eosi, denn wenn sie einen Planeten landwirtschaftlich nutzen können, ohne daß ein vernunftbegabtes Wesen die Kontrolle innehat, verfügen sie nach Zainals Auffassung vielleicht auch über eine ausreichend hochentwickelte Technologie, um den Catteni dabei behilflich zu sein, die Herrschaft der Eosi abzuschütteln – und den Zwang, sich in Zombies verwandeln zu lassen und Dinge zu tun, die die Eosi von ihnen verlangen. Wie zum Beispiel die Erde zu überfallen und zu unterdrücken.«
»Donnerwetter, junge Dame«, sagte Fetterman, aber er grinste ebenso wie Rastancil, während Scott unwirscher als vorher dreinschaute. »Ganz schön ehrgeizig, wenn Sie mich fragen.«
»Jede lange Reise beginnt mit einem ersten Schritt«, sagte sie mit fester, klarer Stimme und deutete über die Schulter auf das Raumschiff. »Das ist Schritt Nummer eins.«
»Kris’ Argument hat etwas für sich«, sagte Easley und übernahm wieder die Gesprächsleitung, was ihm immer wieder mühelos zu gelingen schien. »Bis heute hätte niemand von uns auch nur in seinen kühnsten Träumen an die Möglichkeit gedacht, ein Catteni-Schiff zu kapern …«
»Ein schadhaftes Transportschiff zu besitzen ist wohl kaum eine Hilfe um Catteni, Eosi oder diese Farmer anzugreifen«, sagte Scott und erhob sich.
»Aber das Transportschiff gestattet es uns, viele Menschen auf einen der anderen Kontinente zu bringen, die die Farmer nicht ausbeuten«, sagte Mitford und machte aus seiner Verärgerung keinen Hehl mehr. »Es ist ein weiterer Schritt, der uns dem Ziel näherbringt, unsere eigenen Herren und keine verdammte Catteni-Kolonie mehr zu sein, die sie übernehmen können, sobald sie sich erfolgreich etabliert hat. Das ist doch die übliche Vorgehensweise, nicht wahr, Zainal?«
Kris verfolgte, wie Mitford wieder verstärkt in die Diskussion eingriff, und schaute besorgt zu Easley, doch dieser schien aufrichtig daran interessiert zu sein, Mitfords Argumente zu hören.
»Nun, ein Scout-Schiff ist ein Anfang für unsere Botany Verteidigungs-Initiative, und ich werde Phase Zwei mit jedem Mann und jeder Frau unterstützen, die mir in den vergangenen neun Monaten gefolgt sind.« Dann sammelte Mitford sich für einen kurzen Moment und machte einen riefen Atemzug. »Wenn wir dort erfolgreich sind, können wir die Lage überdenken und neu bewerten. Und es gibt nicht nur die Catteni, über die wir uns Sorgen machen müssen. Da sind auch die Farmer und ihre Reaktion darauf, daß wir ohne ihre Zustimmung auf ihrem Land abgeladen wurden und werden. Ich habe schon des öfteren angeregt, daß wir die Einrichtungen der Farmer unangetastet lassen und einen eigenen Betrieb nach ihrem Muster aufbauen sollten. Das ist der Grund, weshalb ich Erkundungstrupps über den ganzen Kontinent schicke.«
»Moment mal, Sergeant«, sagte Rastancil und erhob sich. »Ich dachte, sie hätten die Mechanos auseinandergenommen, damit die Farmer herkommen, um nachzusehen, wer sich an ihrem Planeten vergreift.«
»Das war damals unsere einzige Möglichkeit, Sir. Aber seitdem haben wir ausführlich darüber diskutiert.« Mitford deutete auf Easley, Fetterman und hinauf zum Camp Narrow auf dem Berg. »Ich war damals nicht der einzige, der so schnell wie möglich von diesem Planeten weg wollte.« Er hielt für einen Moment inne. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich immer noch weg will. Und ich weiß, daß viele andere ähnliche Überlegungen anstellen wie ich. Aber das …« – damit zeigte er wieder auf das Scout-Schiff – »… ändert vieles grundlegend. Oder.. zum Teufel, das müßte Ihnen doch genauso klar sein wie mir.« Er verstummte und wartete auf eine Reaktion.
»Die Situation hat sich tatsächlich verändert«, sagte Easley und löste damit ein Gemurmel der Zustimmung aus. Er lächelte zufrieden. »Phase Zwei scheint durchaus durchführbar zu sein, aber wie Sergeant Mitford sagt, sind dazu intensive Planung und ein gutes Tuning nötig … selbst mit den Waffen, die uns zur Verfügung stehen. Ich schlage vor, wir vertagen dieses Treffen und unterhalten uns als nächstes über Wege und Hilfsmittel.«
»Scout muß versteckt werden«, sagte Zainal und zeigte in Richtung Camp Narrow.
»Fliegen Sie damit hin?« fragte ein Mann mit einem ziemlich verwegenen Schnurrbart, während er aufsprang und die Sitzfläche seines Overalls abklopfte. »Ich bitte darum, Sie begleiten zu dürfen, Sir. Ich saß während des letzten Raumfahrtunternehmens der Erde im Kontrollzentrum. Ich bin ausgebildeter Testpilot – Gino Marrucci.«
Zainal schickte einen fragenden Blick zu Mitford, der ihm zunickte. Dann ließ Zainal seinen Blick zu Scott wandern. »Kommen Sie auch mit?«
Jemand kicherte leise, aber Scott nickte gemessen. »Gerne.«
»Im Schiff ist Platz für höchstens acht Personen«, erklärte Kris, wobei sie hoffte dazuzugehören. »Sie müssen ebenfalls mitfliegen, Sergeant.«
»Dann Sie aber auch.« Mitford schob das Kinn vor.
»Noch einer«, sagte Zainal. »Jemand von der Luftwaffe?«
»Ich gehörte mal zu dem Verein«, sagte der schwarze General, stand ebenfalls auf und stellte sich vor: »John Beverly.«
»Damit wäre das entschieden«, sagte Peter Easley. »Soll ich den Rutscher ins Camp Narrow zurückbringen, Sarge? Und dafür sorgen, daß die Garage … oder soll ich lieber der Hangar sagen … bereit ist?«
»Gute Idee«, sagte Mitford.
Zainal machte kehrt und ging voraus, ohne sich zu vergewissern, wer ihm folgte.
»Ich wollte mir immer mal die Anlagen in Houston ansehen, hatte aber nie die Zeit dazu«, sagte Mitford zu der Gruppe, die sich ihm anschloß. Er grinste, als Kris schnell einen Fußwechsel vornahm, um mit den anderen im Gleichschritt zu sein. »Das passiert uns Leuten vom Militär immer wieder.«
»Okay, okay«, sagte Joe Latore, als er die Gruppe sah, die ins Raumschiff drängte, und winkte den Neugierigen zu, die das Schiff besichtigen wollten, sie sollten Platz machen. Protest regte sich, bis Mitford erschien, und verwandelte sich in begeisterte Hochrufe für Zainal und ihn.
»Wir bringen dieses Baby jetzt nach Camp Narrow«, gab Mitford bekannt. »Sie können sich das Schiff später eingehend ansehen.«
»Heißt das, die Catteni werden danach suchen?« fragte ein Mann in nervösem Tonfall.
»Nee«, antwortete Bert, der in der offenen Luke erschien. Er grinste, als er die Delegation entdeckte, sprang hinunter auf das Feld und bedeutete den Teilnehmern der letzten Besuchergruppe, sie sollten schnellstens das Schiff verlassen. »Weshalb sollte ein halbwegs vernünftiger Catteni auf Botany leben wollen, wenn er die Chance hat, den Planeten zu verlassen?«
Gelächter erklang, als diejenigen, die gehofft hatten, die Beute noch an diesem Tag besichtigen zu können, wieder den Berg hinaufstiegen.
»Gentlemen.« Bert winkte die neue Gruppe herein. »Soll ich …«, sagte er zu Zainal, als rechnete er damit, abgelöst zu werden.
»Sie müssen mir zusehen«, sagte Zainal. »Die dort ebenfalls.«
»Das tun sie ganz bestimmt«, murmelte Bert leise genug, so daß nur Kris und Zainal ihn verstanden, als sie an ihm vorbeigingen. Kris schob sich vor den Militärs durch die Einstiegsluke. Diesmal würde sie nicht zurückbleiben. Mitford ließ Scott, Beverly und Gino Marrucci den Vortritt. Als sie die Brücke betraten, sprang Raisha, die den zweiten Sessel eingenommen hatte, hastig auf.
Zainal nickte ihr zu und gab Bert ein Zeichen, er sollte ihren Platz übernehmen, während er selbst sich in den Pilotensessel sinken ließ.
»Luke schließen, Raisha«, befahl Zainal und drehte sich zu seinen Begleitern um, die sich im begrenzten Raum der Brücke um ihn drängten. Er nickte und bedeutete ihnen, sie sollten dort stehenbleiben, wo sie gerade standen.
Kris schob sich näher an Mitford heran, der dicht hinter Zainal stand.
»Passen Sie auf?« sagte Zainal zu Bert, während seine Finger sich in langsamer Folge über Knöpfe und Schalter bewegten. »Verstanden?«
»Ja, ja …«
Ein schneller Blick in die Runde verriet Kris, daß Bert nicht der einzige war, der sich die Bedienungssequenz einprägte. Beverly und der Testpilot zeigten das größte Interesse, und Scotts Miene war weniger ablehnend.
»Sehr glatt«, sagte Beverly. Er bemerkte als erster, daß sie senkrecht nach oben gestartet waren.
»Es ist ein außerordentlich leicht lenkbares und wendiges Schiff«, erklärte Zainal, während er den Steuerknüppel mit zwei Fingern bediente. »Einer seiner größten …« Er drehte sich halb zu Kris um, damit sie ihm das Wort nannte, nach dem er suchte.
»Vorzüge«, lieferte Kris den gewünschten Begriff.
»Auch im Weltraum?« fragte Beverly.
»Im Raum läßt sich das Schiff noch besser manövrieren«, entgegnete Zainal, während er auf einen Knopf auf der Kontrolltafel drückte und auf horizontale Fortbewegung umschaltete. Das Schiff glitt über die Köpfe derer hinweg, die nach Camp Narrow zurückkehrten.
»Bemerkt der Satellit nichts von dieser Bewegung?« wollte Scott wissen.
Kris fragte sich, ob der Admiral denn niemals nachlassen würde, Zainal wie einen unerfahrenen Prüfling zu behandeln.
»Nicht diese Art. Sehr grob und geo-synchron«, erwiderte Zainal und hob eine Schulter. »Ich benutze nur … Lenk – …« Er suchte Kris’ Hilfe.
»Lenkung«, sagte Beverly. »Korrekturtriebwerke? Oder Raketen?«
Zainal vollführte mit der freien Hand eine Bewegung, als drücke er den Planeten von sich weg.
»Ich glaube, wir nennen sie Korrekturtriebwerke«, sagte Beverly. »Sind sie beweglich?« Er drehte die Hände, um damit unterschiedliche Positionen anzudeuten. Zainal verfolgte die Demonstration aus den Augenwinkeln und nickte. Dann konzentrierte er sich wieder auf das Gelände, das sie überflogen.
»Ist noch genug Treibstoff vorhanden?« fragte der Testpilot und ließ den Blick über die Anzeigeinstrumente gleiten. »Welche Skala?«
»Diese«, sagte Bert und tippte darauf – ein leuchtender Punkt knapp über der Markierung für die Hälfte des Tankinhalts.
»Zweiter Grund für Phase Zwei. Das Transportschiff hat Treibstoff«, sagte Zainal.
»Wie weit kommen wir damit?«
Zainal zuckte die Achseln. »Nicht zurück zu Ihrer Erde.«
»Und was für einen Treibstoff benutzen Sie?« fragte der Testpilot weiter.
Zainal rasselte einige cattenische Kehllaute herunter und grinste den Piloten an.
»Kann hier nicht hergestellt werden.« Er nahm eine weitere Kurskorrektur vor, legte einen Schalter um, und dem Piloten verschlug es den Atem.
»Sie schweben ein?«
»Nicht nötig, Treibstoff zu vergeuden«, sagte Zainal und deutete voraus, während der Einlaß zu Camp Narrow im Berghang erschien. Zahlreiche Leute beobachteten nun das Geschehen, winkten mit weit geöffnetem Mund, doch kein Laut drang bis in das Scout-Schiff.
»Verdammt«, murmelte Mitford, bleich im Gesicht, während er sich krampfhaft festhielt, als das Scout-Schiff durch einen Korridor jagte, der früher einmal viel breiter gewesen zu sein schien.
»Kinderleicht, Sergeant«, sagte Beverly und grinste breit, während sie unaufhaltsam auf die weit geöffneten Tore der Zielscheune zuglitten.
»Paßt es rein?« fragte Mitford und klammerte sich noch verzweifelter an den Deckengriff, den er gefunden hatte.
»Kein Problem«, beruhigte Bert ihn.
Kris hatte Mitleid mit Mitford. Sie bemühte sich, nicht den Atem anzuhalten. Die Stabilisierungsflossen am hinteren Teil des Rumpfs waren sicherlich nur wenige Zentimeter von der Gangwand entfernt. Dann bemerkte sie jemanden, der sie mit Handzeichen vorwärts winkte, während er rückwärts in die Scheune hineinging. Zainal hob eine Hand, machte den Mann auf sich aufmerksam und bedeutete ihm, er solle zur Seite treten. Indem er mit äußerster Behutsamkeit die Regler der Korrekturtriebwerke bediente, ließ Zainal das Schiff wenige Zentimeter hochsteigen, drehte es herum, sank wieder herab und bugsierte es rückwärts in die Scheune hinein. Die Bodenmannschaft erschien vor dem Schiff und deutete ein Schieben an, während Zainal auf die Seite ging, um erkennen zu können, wann er abwinken mußte.
»Das Ding hat keine Rückspiegel, nicht wahr?« murmelte Mitford in Kris’ Ohr. Sein Gesicht zeigte wieder Farbe, da sie nun fast in sicherer Parkposition standen.
Zainal gab das Zeichen zum Beenden der Aktion, und dann spürten sie, wie das Scout-Schiff auf dem steinigen Untergrund aufsetzte.
Zu Kris’ Überraschung klatschten die Beobachter -sogar Scott – lautstark Beifall.
»Sie wären ein hervorragender Atlantis-Pilot«, stellte Marrucci fest.
Zainal stand auf und drängte sich in der engen Brücke an Mitford und Kris vorbei.
»Bert, zeigen Sie Marrucci, wie das Schiff stillgelegt wird.«
»Dürfen wir zuschauen?« fragte John Beverly.
Zainal blickte achselzuckend zu Mitford.
»Klar, warum nicht«, sagte der Sergeant und begab sich in Richtung Verbindungsgang, damit die anderen mehr Platz hatten. Aber er blickte über die Schulter und bekam mit, daß auch Scott zurückblieb.
»Hat alles wunschgemäß geklappt?« fragte Raisha vom Verbindungsgang. »Bei all den Leuten, die mir im Weg standen, konnte ich nichts erkennen, aber ich habe wohl gespürt, wie das Schiff gewendet wurde.«
Zainal öffnete die Luke, trat hinaus in die Scheune, half zuerst Kris nach unten und dann Raisha.
»Kann das Schiff abgeschlossen werden, Zainal?« erkundigte Mitford sich halblaut, als der Mann, der als Bodenmannschaft fungiert hatte, auf sie zukam.
»Es gibt sechs von diesen Dingern«, sagte Zainal und zeigte Mitford die kleinen graubraunen Rechtecke in seiner Hand. »Drei habe ich versteckt. Bert und Raisha haben je eins. Ist das okay?«
Mitford schaute beinahe traurig drein. »Einstweilen schon, aber ich glaube, daß die Jungs von der Luftwaffe und die hohen Offiziere am Ende entscheiden werden, wer das Baby fliegen darf.«
»Baby?« fragte Zainal und wandte sich an Kris. »Ist das das gleiche wie ›Junge, Junge‹ oder ›Mann-o-Mann‹?«
»Schiffe sind gewöhnlich weiblich«, sagte sie grinsend. »Und spezielle Schiffe werden ›Babys‹ genannt. Vor allem sehr gute Schiffe!«
»Das ist sogar ein ganz besonderes Baby«, sagte Zainal, und in seinen Augen funkelte ein Lachen, als er den Scout betrachtete.
»Hey, Zainal, Sie sind der geborene Pilot«, meinte der Mann, der sie eingewunken hatte, und ging auf Zainal zu, um ihm zu gratulieren. »Ich war mal Flugdeckoffizier auf der George Washington …«
»Ein Flugzeugträger«, erklärte Kris.
»Junge, Junge, Sie sind mit dem Schiff umgegangen, als hätten Sie in Ihrem ganzen Leben nichts anderes gemacht!«
Zainal zuckte erneut die Achseln. »Ich habe eine Menge lernen müssen. Und ich mußte jeden Schaden bezahlen, den ich verursacht habe.«
»Tatsächlich?« Das schien dem Mann zu gefallen. »Wenn Sie irgendwelche Hilfe brauchen, dann bin ich Ihr Mann. Vic Yowell heiße ich.« Er schüttelte Zainal noch einmal die Hand und ging dann hinüber zum Schiff.
»Die hohen Tiere werden uns das Schiff niemals wegnehmen, oder?« fragte Raisha mit leiser Stimme und schaute Mitford prüfend an.
»Hört mal zu, Leute.« Mitford hob die Stimme und musterte alle mit ernstem Blick. »Das Schiff ändert die Lage vollständig. Ich kenne General Rastancil dem Ruf nach, und der ist ganz hervorragend – er gilt als guter Mann. Ich habe auch viel Gutes über General Beverly gehört … über die Marine kann ich nicht viel sagen, aber eins weiß ich …« Er drohte ihnen scherzhaft mit dem Finger, »… es wird einige Veränderungen geben, und wir müssen flexibel sein. Also sollten wir die Dinge auf uns zukommen lassen. Okay?«
»Ich mache alles mit, was Sie mitmachen«, versprach Zainal und bohrte Mitford bei jedem Wort einen Finger in die Schulter. »Klar?« Mitford lachte, aber Kris wußte genau, wieviel ihm Zainals Treuegelöbnis bedeutete.
»Ich weiß nicht, wie es mit Ihnen ist, aber ich brauche um diese Tageszeit etwas zu essen.« Er marschierte aus dem Hangar hinaus.
»Ich auch«, schloß Raisha sich an. »Die Schiffsrationen der Catteni konnten mich nicht gerade begeistern. Sie haben geschmeckt wie aufgeweichte Pappe.«
»Gesund«, sagte Zainal, während er Kris’ Arm ergriff, um den anderen zu folgen.
»Wird es überhaupt zu einer Phase Zwei kommen?« erkundigte Raisha sich und schaute über die Schulter.
»Allein schon um Treibstoff zu organisieren ist sie nötig«, erwiderte Zainal.
»Wenn ich also die Chance bekäme, zu lernen, wie man den Scout fliegt, könnte ich dann auch ein Transportschiff steuern?«
»Das können Sie jetzt schon«, sagte Zainal und mußte grinsen, als er ihr überraschtes Gesicht sah. »Die Drassi können nur mit sehr einfachen Kontrollen umgehen.«
»Sagen Sie mal, Zainal«, fragte Mitford, »was meinen Sie, wie viele Schiffe wir kapern können, ehe sie Zerstörer aussenden, um hier nach dem Rechten zu sehen?«
Zainal grinste nur.
Sie hatten das Mittagsmahl beendet, als Bert und die anderen, die im ›Baby‹ geblieben waren, wie das Schiff einstimmig getauft worden war, an ihren Tisch kamen.
Marrucci und Beverly hatten jede Menge Fragen an Zainal zu den Leistungsdaten des Schiffs: seine Reisegeschwindigkeit, seine Ladekapazität, seine Bewaffnung und die Wartungszyklen. Kris übersetzte so gut es ging mit Unterstützung durch Bert und Raisha, wenn sie bei unbekannten technischen Begriffen und Bedeutungen hängenblieb. Mitford schickte jemanden los, Papier und Bleistift zu holen.
»Gibt es vielleicht so etwas wie eine Bedienungsanleitung?« erkundigte Ray Scott sich irgendwann.
»Was hätten wir von einer cattenischen Bedienungsanleitung?« fragte Kris beinahe feindselig, obgleich Scotts Haltung sich seit dem Parkmanöver im Hangar beträchtlich gebessert hatte. »Ich dachte an Diagramme«, sagte Scott, und Kris schämte sich, das Nächstliegende übersehen zu haben.
Daher erklärte Zainal Bert, wo die Wartungshandbücher in der Pilotenkanzel aufbewahrt wurden. Der Tag war ausgefüllt mit der Klärung fremdartiger Terminologien und ihrer Übersetzung. Ingenieure wurden hinzugezogen, um die technischen Zeichnungen zu entschlüsseln, während Zainal sich bemühte, trotz seines unzureichenden technischen Vokabulars verständliche Erklärungen zu liefern. Kris konnte stets nur raten, aber sie gab viel öfter richtige Tips ab als die anderen. Zainal kannte die grundlegenden Wartungschecks, da er diesen Schiffstyp schon oft geflogen war und zahlreiche Reparaturen hatte durchführen müssen.
Irgendwann erschien Worrell und holte Mitford weg. Reidenbacker verabschiedete sich später zusammen mit Fetterman, aber Kris war viel zu sehr mit der Klärung flug- und raumfahrttechnischer Begriffe beschäftigt, als daß sie darauf achtete, wer diese Männer im einzelnen ablöste. Es war keine Frage, daß die Eroberung von Baby das beste war, was der Kolonie auf Botany zu diesem Zeitpunkt hatte passieren können. Es war schon dunkel, als Zainal sich plötzlich schüttelte und aufstand.
»Ich kann nicht mehr. Für heute reicht es mir.«
Alle reagierten verständnisvoll und dankbar und meinten, er solle sich gründlich ausruhen.
»Sie aber auch«, sagte er zu Raisha und Bert. »Kein Schlaf vergangene Nacht. Das ist nicht gut. Der Geist muß ausgeruht sein, um lernen zu können, wie Baby gesteuert wird.« Er faßte Kris und Raisha bei den Händen und bedeutete Bert mit einem Kopfnicken, er solle mit hinauskommen.
Während sie aufstanden, kam es zu einer kurzen Unterbrechung im angeregten Gemurmel, das jedoch, als sie die Tür erreicht hatten, schon wieder in vollem Gange war, wobei Diagramme zusammen mit dem Wartungshandbuch von Hand zu Hand wanderten.
Die vier marschierten zu einer der weniger stark frequentierten Endscheunen. Eine kleine ›Kolonisten‹-Tür war in das Tor hineingebaut worden. Außerdem gab es einen schmalen Vorraum, von dem aus drei Gänge die Scheune aufteilten. Wandschirme aus geflochtenen Gräsern schufen Wohnbereiche und spendeten einen gewissen Grad von Privatsphäre. Einzelne Matratzen, die mit weichem Gras gefüllt waren, Reservedecken, ein Kasten für die persönliche Habe und zwei Hocker bildeten die Möblierung des Wohnraums, den Zainal und Kris sich teilten. Er schob zwei Matratzen zusammen. Kris schlüpfte aus den Stiefeln, nahm die Komm-Einheit und andere Gegenstände aus den Taschen und streckte sich aus. Zainal breitete eine Decke über sie, ehe er ebenfalls seine Stiefel auszog und sich neben sie legte. Er ergriff ihre Hand, machte einen tiefen Atemzug und schlief sofort ein. Sie folgte nicht viel später seinem Beispiel.
Sogar nach neun Monaten war Kris immer noch nicht an die längere Tagesperiode Botanys gewöhnt, und trotz der Aufregungen und Strapazen des vergangenen Tages und der Nacht erwachte sie bereits vor Sonnenaufgang. Zainal war ebenfalls schon wach, lag auf dem Rücken und hatte die Hände hinterm Kopf verschränkt.
»Was ist los?« fragte sie leise.
Er streichelte ihre Wange. »Ich denke nach.«
»Gute Gedanken?«
Er nickte.
»Verrätst du sie mir?«
Wieder streichelte er ihre Wange. In der Dunkelheit konnte sie seine Zähne leuchten sehen, als er lächelte. »Ich muß Catteni überlisten.«
Sie hielt seine Hand fest, drückte sie gegen ihre Wange, während sie sich halb zu ihm hindrehte, so daß ihre Lippen sich dicht an seinem Ohr befanden. »Demnach könnte es wegen des Scout-Schiffs Ärger geben.«
»Noch nicht hier.« Sie spürte, wie seine Gesichtsmuskeln sich spannten, als sein Lächeln sich vertiefte. »Vielleicht kann Lenvec nicht … getäuscht werden. Ist das Wort richtig? Getäuscht?«
»Ja. Warum?« Sie bemühte sich, sich nicht in einem Anflug von Besorgtheit zu verkrampfen, aber er spürte es, da er ihre Körpersprache viel zu gut kannte. Seine Hand schmiegte sich tröstend um ihren Kopf.
»Er möchte den Eosi-Dienst nicht wahrnehmen.«
»Ist er der andere Mann, von dem du gestern gesprochen hast?«
Sie spürte, wie Zainals Schulter zuckte und seine Brust von einem stummen Lachen erbebte. »Er ist der nächste, wird aber vielleicht nicht ausgewählt.« Das schien ihn noch mehr zu amüsieren. »Er hat einen Lebenspartner und schon mehrere Kinder«, fügte Zainal hinzu, als sollte das ein Trost sein.
»Du denn nicht?« hörte sie sich fragen.
»Ich habe noch keine Lebenspartnerin ausgewählt, aber ich habe zwei Männer. Ich bin zu jung, um ausgewählt zu werden.«
»Demnach brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, wenn Lenvec ausgewählt wird, oder?«
»Er hat nicht gesagt, wie schnell die Ausgewählten sich melden müssen. Wenn genügend Zeit ist, vielleicht. Ihm wird erklärt, wo er zuerst suchen muß.« Dann hielt Zainal inne, und sie spürte, daß er überlegte, ob er fortfahren sollte oder nicht. Er streichelte ihren Kopf. »Vielleicht … kriegt er einen besseren Satelliten über Botany.«
»Bessere Technik? Leistungsfähiger?«
Zainal nickte. »Aber auch das dauert einige Zeit.« Und sie spürte sein Lachen. Spürte auch, daß es abbrach. »Ich muß vorsichtig sein.«
»Sollten wir das alles nicht lieber Mitford erzählen?«
Zainal schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt. Er hat genug Probleme mit – wie hast du sie genannt? – mit den ›hohen Tieren‹. Beverly, Scott, Rastancil, mit denen, nicht wahr?«
»Ja, das sind alles hohe Tiere, Admiräle, Generäle. Ich glaube, Marrucci war Colonel. Nimm dich vor Scott in acht.«
Zainal gab einen zustimmenden Laut von sich und überraschte sie, indem er lächelte. »Für einen guten Kampf bin ich immer zu haben.«
»Du meinst, du willst Scott davon überzeugen, daß du für einen Catteni ganz in Ordnung bist? Oder daß Phase Zwei genau das richtige ist, um Treibstoff für das Scout-Schiff zu beschaffen?«
»Beides.« Er drückte ihre Hand. »Das wird noch interessant.«
»Sei nicht zu selbstsicher, Emassi Zainal.«
»Ich? Niemals. Dieses Catteni-Schwein paßt verdammt gut auf.«
»Zainal! Wo hast du diese Sätze aufgeschnappt?«
»Sind sie nicht korrekt?«
Sie wußte, daß er sie neckte, und lachte. »Ich bin verdammt froh, daß du schon soviel weißt, vor allem jetzt …«
»Wo diese hohen Lamettaschädel hier sind.«
Sie kicherte und drückte ihr Gesicht an seine Brust, um das Geräusch zu dämpfen. ›Lamettaschädel‹ – das mußte sie unbedingt dem Sergeant erzählen.
Auf Lenvecs Drängen, das Perizec sowohl als Patriarch wie auch als Kommandeur allmählich auf die Nerven ging, hörte jener sich das Tonband an und spielte noch einmal die Aufnahme des Satelliten ab. Da war der Start des Scout-Schiffs, der plötzlich so seltsame Kurs, der in einen Sturz des Schiffs auf den Zweiten Mond überging, bis er aus dem Überwachungsbereich des Satelliten verschwand.
»Aber die Analyse ergibt, daß es nicht Zainals Stimme war. Keine ist es. Was sagt die Personalabteilung über Arvonk?«
Das war der einzige Schwachpunkt in Lenvecs Argumentation. »Es gibt nichts über Arvonk. Sie war lediglich eine Frau und versah keinen Dienst als Emassi. Sie wurde mitgeschickt, weil Zainal sie mehrmals zum Geschlechtsverkehr ausgewählt hatte.«
»Da unten gibt es sonst keine Catteni. Wer sonst als ein Scout könnte geantwortet haben?«
»Einige Terraner haben unsere Sprache erlernt.«
Perizec schnaubte. »Aber sie wissen nicht, wie man Komm-Einheiten bedient.«
»Zainal könnte es ihnen beigebracht haben.« Lenvec sprach wütend und mit zusammengebissenen Zähnen -ein unkluges Verhalten gegenüber seinem Vorgesetzten und Vater, aber er zweifelte nicht im mindesten daran, daß Zainal sich irgendwie der Gefangennahme entzogen hatte. Wahrscheinlich hatte er sogar das Scout-Schiff vom Planeten weggesteuert. Und dann, aus Gründen, die Lenvec bei einem cattenischen Emassi, der auserwählt worden war, um den Eosi zu dienen, nicht verstehen konnte, war Zainal auf den Planeten zurückgekehrt. Er hatte keine Zuflucht im Catteni-Raum gesucht, denn überall würde er verfolgt werden. Er würde nirgendwo Ruhe finden.
Zainals Erklärung ›Ich wurde abgeworfen, ich bleibe‹ ertönte wie ein Pulsschlag in Lenvecs Hinterkopf. Was nutzte es Zainal, auf den Planeten zurückzukehren, ganz gleich welche Technologie er dort vorgefunden hatte? Kannte Zainal vielleicht die Herkunft der ursprünglichen Bewohner des Planeten? Hatte er sich deshalb des Scouts bemächtigt? Was hätte er von einer solchen Aktion?
»Er hat sich irgendwie mit den terranischen Dissidenten angefreundet«, fuhr Lenvec fort, in dem verzweifelten Bemühen, seinen Vater von der Richtigkeit seiner Vermutungen zu überzeugen. »Jetzt hat er ein Verkehrsmittel. Er scheint irgendeinen Plan zu verfolgen.«
Perizec verwarf diese Möglichkeit und erhob sich. »Das nutzt ihm überhaupt nichts.«
»Sir, um der Ehre der Familie willen, bestehen Sie auf einem zweiten orbitalen Satelliten. Ein geosynchroner Satellit kann auf keinen Fall seine nächsten Aktionen überwachen.«
»Nächste Aktionen?« Perizec musterte seinen Sohn derart zornig, daß Lenvec sich am liebsten instinktiv geduckt und an einen möglichst sicheren Ort verkrochen hätte. »Deine nächste Aktion ist die Teilnahme an der Eosi-Selektion. Ein weiterer Aufschub wird nicht gewährt. Hast du verstanden?«
»Vielleicht sind die Eosi nicht so blind«, sagte Lenvec in bitterem Ton, und als die Nervenpeitsche plötzlich in der Hand seines Vater erschien, wappnete er sich gegen den Schlag. Trotzdem ließ der Schmerz ihn auf die Knie fallen.
Er mußte sich von seiner Lebenspartnerin in seine Behausung bringen lassen, wo er gegen das Protokoll, das vom Bestraften verlangte, einen Peitschenschlag zu ertragen, verstieß, indem er sich einen Nervenblock nahm, dem blieb an seiner Seite, bis die Arznei ihre Wirkung entfaltete. Was mehr war, als sie hätte tun sollen, aber sie schaffte es nicht, wie sie wahrscheinlich gehofft hatte, seine bitteren Gefühle für ein letztes sexuelles Zwischenspiel zu lindern. Lenvec konnte nur daran denken, um was er gebracht worden war, da Zainal der Auserwählte ihrer Blutlinie gewesen war. Die Gelegenheiten und Beförderungen, derer Zainal sich hatte erfreuen können, weil er ausgewählt worden war. Eosi begrüßten es, wenn ihre ›Subjekte‹ reichhaltige Erfahrungen hatten, an denen sie sich erfreuen und die sie als Leitlinien bei ihrer Behandlung der unterworfenen Rassen benutzen konnten. Lenvec hatte mit einem überschaubaren Lebensplan zufrieden sein müssen, indem er sich um die Verwaltung des Familienvermögens kümmerte und mit einfacheren Belohnungen zufrieden sein mußte, als Zainal sie einheimste. Lenvec mußte sogar Zainals Kinder zusammen mit seinen eigenen aufziehen, da sein Dasein als Auserwählter es Zainal verbot, eine Partnerin zu haben. Das war das einzige Privileg, das Lenvec hatte und das Zainal versagt blieb. Und nun stand die Trennung von Clem bevor, weil Zainal geflohen war.
Während jener langen letzten Stunden seiner Eigenexistenz hatte Lenvec mit der Möglichkeit des Selbstmordes gespielt, doch dieses unehrenhafte Ende hätte Clem um Reichtum und Schutz und seine Söhne um ihr Erbe gebracht, das beträchtlich war. Wenn Lenvec damit auch seinen Vater hätte entehren können, hätte er diesen Schritt wahrscheinlich vollzogen.
Sein Haß auf Zainal, das Gefühl, verraten worden zu sein, sein Gespür für das ihm widerfahrene Unrecht erfüllte Lenvec sogar, als er, innerlich gestützt vom Stolz auf sein Blut, den in dieser Intensität zu besitzen er niemals für möglich gehalten hatte, von seinem Vater zu dem ausgedehnten Komplex begleitet wurde, der für die Eosi reserviert war. Er betrat ihn zusammen mit den drei anderen Catteni, die ebenfalls von ihren Vätern gebracht wurden, und Lenvecs Zorn loderte noch einmal heftig auf. Sie waren auserwählt; sie hatten die Privilegien gehabt, die auch Zainal ausgekostet hatte und die ihm versagt worden waren. Aber er besaß mindestens ebensoviel Emassi-Stolz wie jeder einzelne von ihnen, und so ging er hinein, erfüllt von glühendem Haß und dem leidenschaftlichen Wunsch, sich bei Zainal zu revanchieren.
Das hielt seinen Rücken gerade, seine Knie steif, als er vor den Eosi Mentat trat, der ihn umschließen und dafür sorgen würde, daß er nicht mehr Lenvec, sondern ganz Eosi wäre. Eine furchteinflößende Wesenheit selbst für einen Emassi, der gesehen hatte, was aus einem Catteni wurde, wenn er von eosianischen Mentats übernommen wurde: diese glänzende Riesenhaftigkeit in einer aufgeblähten cattenischen Gestalt. Dieser eine Gedanke, dieser letzte Triumph reichte Lenvec aus, als die Übernahme stattfand. Es hielt ihn davon ab zu schreien, wie die beiden anderen, vorher durchaus bereite und stolze junge Männer es taten, als sie verschlungen wurden.
Gewiß reizte diese intensive Emotion den Eosi, als er sich in dem starken neuen Körper einrichtete, und die Hülle, die er benutzt hatte, schwebte wie das tote Ding, das sie seit Jahrhunderten gewesen war, auf den auf Hochglanz polierten Boden der Kammer hinab. Sehr ungewöhnlich, denn der Eosi hatte solche Transfers schon häufiger vollzogen und genoß diese völlig neue Erfahrung, als der letzte Rest Persönlichkeit, die einst Lenvec gewesen war, sich im Mentat endgültig auflöste.
Die Hülle, die schließlich schlaff dalag, wurde in ein Behältnis gepackt und mit einer angemessenen Zeremonie zu Perizec zurückgebracht, der mit den anderen Vätern darauf wartete, sie entgegenzunehmen. Von allen war Perizec derjenige, der am erleichtertsten reagierte. Er hatte große Angst gehabt, daß Lenvec als inakzeptabel bewertet würde, und diese Schande wäre für ihre Blutlinie eine Katastrophe gewesen. Aber der Ehre war Genüge getan worden, und seine Familie würde fortfahren, den Eosi junge Männer zuzuführen und dafür weitaus mehr irdische Güter als Belohnungen zu erhalten als andere, weniger bevorzugte Familien.
Perizec mußte jedoch immer noch nachforschen, wo der feige Zainal sich versteckte, und dafür sorgen, daß er den Preis für seine Flucht bezahlte. Perizec lächelte bei dem Gedanken an eine angemessene Exekution. Privat, natürlich, aber ausgekostet von Clem, die um ihren Lebenspartner gebracht worden war, und verfolgt von Zainals Söhnen, die mit dieser Schande als lebenslange Last ihr zukünftiges Dasein fristen mußten.
Er brachte das Behältnis mit den Überresten seines Urgroßvaters zum Familiengrab und stellte es in die dafür vorbereitete Nische. Er betrachtete die Reihe von Vorfahren, die stets ihre Pflicht getan hatten. Dann nahm er seine letzte Handlung vor: er registrierte zuerst Zainal und dann Lenvec als tot. Schade, daß er Zainals Söhnen keine Strafe zuteil werden lassen konnte, aber das hätte den Grund offenbart, weshalb Lenvec für seinen Bruder hatte einspringen müssen. Es gab andere, subtilere Arten, wie man sie für die Tat ihres Vaters würde bezahlen lassen können.
Immer noch eine beträchtliche galaktische Strecke vom eosianischen Heimatplaneten und seiner sich ausdehnenden Einflußsphäre entfernt, traf die Zielflugeinrichtung in der Öffnung ein, die geschaffen worden war, um sie in der großen Mondanlage aufzunehmen, wo solche Einrichtungen untersucht und bearbeitet wurden. Als keine Nachricht erschien, wurde der Behälter routinemäßig auf diese Fehlfunktion untersucht. Solche Zielflugeinrichtungen wurden nur höchst selten ohne Grund auf die Reise geschickt. Eine Fehlfunktion wurde nicht festgestellt. Die Einrichtung war technisch einwandfrei und hatte stets innerhalb ihrer Leistungsgrenzwerte funktioniert. Das Fehlen einer Nachricht war ungewöhnlich. Der Behälter wurde auf seine Herkunft untersucht. Da dieser Planet in keiner Hinsicht kritisch oder gar bedeutend war, wurde der Irrläufer an die Organe weitergeleitet, die von Zeit zu Zeit solche Anomalien untersuchten. Die entsprechenden galaktischen Koordinaten wurden für eine genauere Überprüfung beim nächsten regulären Wartungszyklus markiert.