Kapitel 6
Nachdem Zainal den Technikern und Ingenieuren ausführlich erklärt hatte, wofür das geborgene Gut benutzt worden war, konnten sie es geschickter ihren eigenen Bedürfnissen anpassen. Sobald die Brücke aufgebaut und wieder funktionsfähig war, verlangte Scott von ihm, die Angaben in den Datenspeichern des Transportschiffs zu übersetzen.
»Das meiste sind Routineangaben«, sagte Zainal und scrollte schnell durch die Einträge.
»Aber wir müssen wissen, wo sie waren, wie lange es dauert, an welche Regeln und Anweisungen sie sich halten …«, sagte Scott mürrisch.
»Ich glaube, ich habe im letzten Abwurf jemanden gefunden, der Routineberichte übersetzen kann«, sagte Easley und versuchte erneut, sich so diplomatisch wie möglich ins Gespräch zu bringen. »Es sind Leute, die sich in den Symbolen ganz gut auskennen. Sie können die cattenischen Dokumente entziffern, die während der Razzien ebenfalls erobert wurden.«
Beth Osbell war die einzige Unversehrte von den drei »Leuten«, die zu Rate gezogen wurden. Sally Stoffers, eine zierliche Brünette mit einem außerordentlich unschuldigen Gesichtsausdruck, erschien wegen eines gebrochenen Beins auf Krücken, Francois Chavell trug den linken Arm in einer Schlinge. Scott wollte sie zuerst über ihre Tätigkeit auf der Erde befragen. Danach schickte er sie zu Zainal, der ihr Können testete, indem er sie laut aus den Datenbanken vorlesen ließ.
»Sie beherrschen Catteni sehr gut.« Zainal stellte allen ein gutes Zeugnis aus.
Später erkundigte Easley sich, ob er die Wahrheit gesagt hatte oder ob er sie nur deshalb wohlwollend beurteilt hatte, um sich von einer sehr langweiligen Aufgabe zu befreien.
»Ich habe die Wahrheit gesagt. Sie können aufschreiben, was sie nicht verstehen, und ich übersetze … wenn ich kann.« Zainal blickte lächelnd von Easley zu Kris.
Scott ließ ihn dann mit jedem männlichen AbwurfOpfer reden, das während der ersten Befragungen nach dem Abwurf auf Kenntnisse der cattenischen Sprache hingewiesen hatte.
Mit Kris’ Hilfe legte Zainal eine Liste von über siebzig Männern und deren Fähigkeiten in Schrift und Wortschatz an. Scott konnte sich dann diejenigen aussuchen, die er als besonders nützlich für die Kommandotruppe ansah, die er ausbildete, um die Crew des gestrandeten Transportschiffs zu ersetzen.
»Sind Sie sicher, daß sie tatsächlich zurückkommen, um die Mannschaft zu holen?« hatte Beverly von Zainal zu Beginn dieses neuen Unternehmens wissen wollen.
»So lautete die Nachricht.« Zainal hatte die Achseln gezuckt. »Sie werden es damit nicht eilig haben. Die Crew wäre nämlich im Schiff in Sicherheit und auf Distanz zu uns, die abgeworfen wurden.«
Scott war vielleicht nicht davon überzeugt, daß die Catteni die gestrandete Crew aus Fürsorge abholten, aber er betrachtete sie auch als Ersatz für den nutzlosen Haufen Blech auf dem Abwurf-Feld.
Zainal gab Kris eine Liste mit den häufigsten Kommandos, die sie in phonetische Symbole übertrug, so daß alle sie erlernen konnten, außerdem die richtigen Antworten auf sowohl die Drassi – wie auch die gewöhnlichen Mannschaftsbefehle. Wer einen hohen Rang bekleidete, konnte sich auch gewisser Privilegien erfreuen.
»Die Catteni-Crew redet nicht viel«, sagte Zainal. »Sie gehorchen nur.«
»Sie müssen auch wissen, was gesagt wird, damit sie aus eigenem Gutdünken handeln können, falls es sich als notwendig erweisen sollte«, lautete Scotts Forderung.
»Nicht Catteni«, erwiderte Zainal und schüttelte den Kopf.
»So lange Sie wie die echten Catteni gehorchen, gibt es keine Probleme«, sagte Scott, und ein harter Ausdruck trat in seine Augen.
»Dann wird die Überraschung um so größer sein«, meinte Easley und lächelte Scott entwaffnend an, »und das dürfte doch für uns von Vorteil sein, oder?«
Scott knurrte ein unfreundliches »Ja« und kehrte zu den Zeichnungen zurück, die nach Zainals Dafürhalten das Innere des neuen Transportschiffs darstellten. Er selbst hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt, ein solches Schiff zu besichtigen.
»Es soll mehr Personen transportieren, dafür mit weniger Todesopfern«, sagte er abschließend. »Allein daß es neuer ist, wird schon als Verbesserung gewertet.«
Die Ingenieure und Techniker stimmten dem zu.
»Einige Kontrollen wurden zusammengefaßt, und ich weiß nicht, womit sie die Antriebsaggregate steuern«, sagte Peter Snyder.
Er hatte auf der Erde als Spezialist für Düsenantriebe gearbeitet und war von der Catteni-Technik fasziniert -vor allem davon, wie sie in dem Zustand funktionieren konnte, in dem sie sich befand. Unter Verwendung der Schemazeichnungen in den Handbüchern versuchten er und andere Luft- und Raumfahrttechniker aus den vier geborgenen Antriebsaggregaten ein funktionsfähiges Modell zusammenzubauen.
»Nur um zu begreifen, wie es arbeiten soll«, hatte Snyder gemeint. Er war ein umgänglicher Zeitgenosse von mittlerer Statur und pfiff oder summte gewöhnlich leise vor sich hin, während er und seine Leute das Triebwerk zusammenzubauen versuchten. »Wir befinden uns hier im Niemandsland, haben Teile zur Verfügung, die nach unserem Wissen in einer hochtechnischen Ära funktioniert haben und funktionieren sollten, wenn wir sie richtig zusammenfügen, aber wir haben dafür Werkzeug, das vergleichsweise aus der frühen Eisenzeit stammt. Manchmal vollbringt Aarens wahre Wunder – wenn man ihm erklärt, was man mit einem bestimmten Werkzeug machen will, schafft er es, eins anzuschleppen, das diese Arbeit tatsächlich ausführt. Das Problem ist, zu wissen, welches Werkzeug man als nächstes braucht und wie lange man warten muß, bis er es heranschaffen kann.«
Kris, die mit verbundenen Füßen und einer bandagierten Hand auf Krücken umherhumpelte, begleitete Zainal zu den zahlreichen Beratungen. Sie schien noch immer die unverzichtbare Hilfe bei der Vervollkommnung seines Vokabulars zu sein. Die Hälfte der Zeit versuchte sie sich mit dem technischen Kauderwelsch, aber sie war nicht bereit, offen zuzugeben, daß ihr das nicht immer gelang. Easley vermutete das sicherlich, aber er war auf ihrer Seite. Kris wäre wirklich froh gewesen, wenn sie, Zainal und ihr Team wieder das hätten tun können, worin sie am besten waren, nämlich im Erkunden.
Manchmal schien es ihr, daß Scott das ablehnte, was Zainal nicht zu erlernen brauchte – soweit es die verschiedenen Aspekte der Antriebstechnologie seiner eigenen Rasse betraf –, weil er immer noch gezwungen war, den Catteni aufgrund seines wenn auch nur geringen Wissens und der Informationen, die er zu anderen Bereichen geben konnte, zu allen wichtigen Besprechungen hinzuziehen.
»Scott hat einen ausgeprägten Sinn für Kleinigkeiten«, meinte Easley eines Abends während einer extrem langen Besprechung zu Kris.
»Er kommt mir übertrieben mißtrauisch und geradezu abfällig vor«, erwiderte sie flüsternd.
»Mißtrauen ist auch wichtig, wissen Sie, aber ich weiß zufälligerweise, daß er von Zainal tief beeindruckt ist.«
»Das hätte ich fast nicht bemerkt«, erwiderte Kris und schaute zum Ende des Tischs, wo Scott, Rastancil, Ainger, Marrucci und Beverly die Köpfe zusammensteckten und leise diskutierten.
»Aber ich weiß es«, sagte Easley, und seine leise Stimme vibrierte geradezu vor Ernsthaftigkeit. »Er erkennt sofort, wenn er einer integren Persönlichkeit begegnet, und so betrachtet er Zainal. Ich glaube nicht, daß viele von uns eine Vorstellung von der Rolle hatten, die die Eosi bei den Catteni spielen. Daher wirft er den Catteni nicht mehr vor, was sie auf der Erde getan haben, sondern betrachtet sie als Werkzeug für andere. Zainal hat dieses Umdenken bewirkt, ohne in Scotts Augen seine Würde oder Ehre verloren zu haben.«
Kris freute sich über diese Einschätzung und sah Scotts abweisende Haltung gegenüber Zainal nicht mehr in einem so kritischen Licht. Aber richtig zufrieden war sie noch immer nicht.
Wieder einmal, als ihr hochempfindliches Gehör den ersten Laut eines herannahenden Schiffs wahrnahm, alarmierten die Deski-Wachen die Lager, ehe das landende Schiff seine unmittelbar bevorstehende Ankunft über Funk bekanntgab.
Die ›Brücke‹ nahm die Nachricht mit typischer Catteni-Gelassenheit auf, wie Zainal es eingeübt hatte, und bestätigte die Koordinaten der Position des gestrandeten Schiffs. Obgleich Leon einen Bericht über die Ursache des Schadens vorbereitet hatte, wurde er nicht danach gefragt. Zainal hatte ihm zwar erklärt, daß diese Angaben nicht verlangt würden, hatte ihm jedoch dabei geholfen, die entsprechenden Begriffe auswendig zu lernen.
Die Lager, die sich auf dem Kurs des anfliegenden Schiffs befanden – Bella Vista, Ayers Rock und Shutdown – entfernten sofort jegliche Zeichen eines geordneten Lebens. Alle Luftkissenfahrzeuge wurden versteckt, und es herrschte eine allgemeine Sorge wegen der Leute, Scouts und Jäger, die vielleicht beobachtet werden konnten. Vor allem Camp Narrow mußte aus der Luft völlig verlassen erscheinen.
»Sie erkennen an der Wärmestrahlung, daß Leute sich auf der Oberfläche aufhalten«, hatte Zainal gewarnt, »aber nicht, was sie tun oder wo sie wohnen. Es wäre klüger, sie sehen Männer auf der Jagd.«
»Heißt das, sie zählen?« hatte jemand gefragt.
Zainal lachte über diese Vorstellung. »Nein, nur das Vorhandensein von Lebenszeichen, die angeben, daß hier unten Überlebende sind.«
»Damit sie uns mehr Leute schicken können?« fragte Mitford ungehalten.
»Zu diesem Zeitpunkt gilt, je mehr, desto schöner«, hatte Easley gesagt und so fröhlich gelacht, daß Mitford davon angesteckt wurde und ebenfalls lächelte.
Die Instrumente auf der Kommandobrücke im Hangar arbeiteten jetzt so optimal wie während vieler Reisen nicht, und der Sinkflug des Schiffs ließ sich leicht berechnen. Das Angriffsteam, seit Eingang des ersten Deski-Alarms in Stellung, trieb sich am gestrandeten Transportschiff herum. Einige waren draußen, andere saßen auf der Rampe, und die ›Drassi‹ würden nicht erscheinen, bevor sie von ihren Kollegen gerufen würden.
In den Hecken und auf den Bäumen in strategischen Positionen getarnt, befanden sich Scharfschützen mit Bögen und Lanzen. Zainal hatte keinerlei Informationen über die Mannschaftsstärke des neuen Transports ausfindig machen können. Die ›Catteni‹, die der Rettung harrten, waren mit Stürmern bewaffnet, die wahrscheinlich völlig ausreichten. Hinzu kam das Überraschungsmoment. Die Eroberung des Transportschiffs verlief noch glatter als die Kaperung des Scouts. Die besorgten Drassi des Rettungsschiffs waren so eifrig darauf bedacht, den gestrandeten Kapitän nachzuahmen, daß sie als erste die Rampe hinunterkamen, gefolgt vom restlichen Drassi-Stab, während die Mannschaft damit begann, auszuladen, was an Passagieren noch übrig war. Sie lachten und schwatzten miteinander, waren sie doch froh, nach diesem letzten Zwischenstopp endlich die Heimreise antreten zu können. Sie freuten sich außerdem darauf, die geretteten Catteni arbeiten zu lassen, während sie herumlungerten.
Im nächsten Feld auf dem Bauch hegend und Zainal, der leise vor sich hinlachte, neben sich, beobachtete Kris, wie die Catteni-Drassi in überheblicher Haltung zu dem beschädigten Transporter hinüberschlenderten.
Die falsche Catteni-Crew hatte sofort Haltung angenommen und rief – in hervorragender Aussprache, wie Kris voller Stolz vermerkte – den im Schiff Wartenden zu, daß der Drassi-Kapitän an Bord käme. Sie folgten ihm in respektvollem Abstand, und einer blieb an der offenen Luke stehen und lehnte sich dagegen, während die Retter die letzten bewußtlosen Abwurfpassagiere ausluden. Sie hatten die Arbeit kaum abgeschlossen, als sie an Bord des Wracks gerufen wurden.
»Was müssen wir jetzt tun?« wollte ein Catteni von einem anderen wissen, während sie über das Feld gingen. Zainal übersetzte den Dialog für Kris.
»Wahrscheinlich alles abmontieren, was die Tiere gebrauchen könnten«, erwiderte der andere.
»Tiere, häh?« murmelte Joe, der ebenfalls in Zainals Nähe wartete. »Wir werden ihnen Tiere geben.«
Zainal übersetzte den ersten Teil der Catteni-Antwort. »Hoffentlich dauert es nicht zu lange. Ich brauche mein …« Und er weigerte sich, Kris diesen ziemlich langen Satz zu übersetzen. Aufgrund des häßlichen Lachens der beiden Catteni war Kris froh, daß er darauf verzichtete.
Nachdem die Beobachter eine, wie es ihnen vorkam, halbe Ewigkeit gewartet hatten, erschien der falsche Drassi-Kapitän – in Wirklichkeit Vic Yowell, der nicht nur die richtige Größe hatte, sondern genug Catteni beherrschte, um das Begrüßungsgespräch zu führen -und begab sich mit seinen Männern zu dem soeben eingetroffenen Schiff und ging die Rampe hinauf.
Es dauerte nur kurze Zeit, ehe er wieder auftauchte, seine Mütze schwenkte und damit den Unterschied zwischen Catteni-Schminke und seiner eigene Hautfarbe offenbarte.
»Es gehört uns!«
Aus den Hecken tauchten Terraner auf, jubelten und tanzten vor Freude über den zweiten erfolgreich abgeschlossenen Angriff von Phase Zwei. Dann beeilten sie sich, den Neuankömmlingen behilflich zu sein. Es waren insgesamt 114, alle von der Erde und in einem weitaus besseren Zustand als die jüngsten Neuankömmlinge. Die gefangenen Catteni wurde gleich zu ihren Leidensgenossen ins Tal gebracht.
Yuri Palit, ein weiterer falscher Catteni, dessen Haut wieder ihre normale Farbe hatte, führte die Wächter, die die Gefangenen begleiteten. Unterwegs wurden ihnen die Aktivitäten der nächtlichen Aasfresser vorgeführt und die anderen Gefahren Botanys so farbig geschildert, daß sie ziemlich kleinlaut waren, als sie ihr Ziel erreichten.
Nachdem das neue Transportschiff einer Inspektion unterzogen worden war, lächelte Scott jeden der Umstehenden an. Dies war die Jungfernfahrt der KDL, wie aus dem Logbuch hervorging und wie man am Geruch der immer noch neuen Ausrüstung feststellen konnte. Zainal, Kris, Bert Put, Peter Snyder, Rastancil und Beverly blieben die ganze Nacht auf, übersetzten die Handbücher und machten sich mit den Verbesserungen vertraut, die das System aufwies. Bei weitem das beste war die Entdeckung zweier kleiner Schiffe für interplanetare Kurzstreckenflüge und eines bestens ausgestatteten Bodenfahrzeugs, geeignet für unwegsames Gelände, mit einer Panzerung, die vielen korrosionsauslösenden Atmosphären widerstand. Nach einem Blick auf die Anzeigen der Kontrolltafel sagte Zainal, daß es wahrscheinlich auch ›wassergängig‹ wäre.
»Amphibisch«, murmelte Kris, und sie sahen sich an und lächelten. Sie brauchten also nicht das Risiko einzugehen, das Scout-Schiff zu benutzen und vielleicht gesehen zu werden, wenn sie andere Kontinente aufsuchten. Dieses Vehikel faßte zwölf Passagiere und drei Crewmitglieder und würde sie sicher mindestens zum nächsten Festland bringen. Sie sollten sich dazu lieber einen Tag aussuchen, wenn das Wasser ruhig war, denn Kris hatte keine Lust, in einer solchen Enge seekrank zu werden.
Aber diese Art der Erkundung würde in näherer Zukunft sowieso nicht stattfinden. Als nächstes Szenario war vorgesehen, daß der brandneue Transporter startete und nach Barevi, seiner Basis, zurückkehrte.
So viele, wie in dem Schiff Platz fanden, wozu fast jeder gehörte, der bei der NASA oder in Luftwaffenjets in verschiedenen Länder gearbeitet hatte, bestiegen die KDL 45A – wie aus den Symbolen am Rumpf hervorging – und starteten. Die Decks konnten in Höhe und Grundriß, je nach Fracht oder Passagieren, wach oder bewußtlos, verändert werden. Eine ziemlich sinnreiche Konstruktion, darin waren Marrucci und Beverly sich einig, als Zainal ihnen zeigte, wie die verschiedenen Kombinationen hergestellt werden konnten. So konnte die KDL tatsächlich allem und jedem, der einen Grund oder die Verpflichtung hatte, an der Reise teilzunehmen, ausreichend Platz bieten. Einige würden das Schiff im Raum lenken dürfen, andere mußten sich darüber informieren, wie das Schiff bedient wurde, und alle würden mithelfen, die Spuren einer plötzlichen und totalen Vernichtung eines nagelneuen Schiffs zu erzeugen. Zainal hatte Logbucheintragungen über mehrere kleine Störungen der Antriebsaggregate auf der Herreise gefunden. Ein Zwischenfall war sogar so ernst, daß der Kapitän die Triebwerke ausschalten und ein Reparaturteam nach draußen schicken mußte, um die Düsen zu reinigen. Das war an die Basis gemeldet worden, da sich dadurch die Landung auf Botany, um die Transporter-Mannschaft abzuholen, verzögert hatte.
Pete Snyder leitete ein Team, das herausfinden sollte, welche Fehlfunktion zu einem tödlichen Unfall führen konnte. Sie hatten eine Menge Schrott des defekten Schiffs geladen, glücklicherweise bestanden die Teile alle aus gleichen Legierungen. Sie würden einige Meldungen an die Basis senden, in denen auf weitere Probleme hingewiesen würde, und dann … würde eine Explosion stattfinden, und genügend Schrott würde durch den Weltraum treiben und jeden, der ihn untersuchte, davon überzeugen, daß die KDL tatsächlich während ihres Heimwegs explodiert war. Eine passende Außenplatte war von dem alten Transportschiff abmontiert worden, und mit Farbe, die man im Magazin der KDL gefunden hatte, hatte man ihre Glyphen aufgezeichnet. Die falsche Reise in den Weltraum sollte eine Woche dauern, da Zainal den Wunsch hatte, die Heliopause des Systems hinter sich zu lassen und den Aufzeichnungsbereich des Satelliten zu verlassen, ehe die Explosion ausgelöst wurde.
Kris war zurückgeblieben, da ihre Hand nur ungenügend geheilt war, um während der Reise nützlich zu sein … vor allem, wenn so viele wie Raisha und andere im Raum ausgebildete Pilotinnen eine solche Chance verdient hatten. Ehrlich gesagt, war sie müde nach langen Nächten und endlosen Übersetzungssitzungen. Und dann hatte Mitford um das Landfahrzeug für seine Erkundungsteams gebeten und es auch erhalten. Sie wäre von viel größerem Nutzen, wenn sie sich mit dieser Art von Maschine vertraut machte, als Statistin während eines Raumflugs zu sein.
»Sie sollten doch längst wieder zurück sein, nicht wahr?« fragte sie Mitford, während sie ihre Ausrüstung in das Land-Wasser-Fahrzeug luden, das den Spitznamen ›Tub‹ trug, was soviel wie Badewanne bedeutete. Als Zainal zurückkehrte, plante Mitford einen Ausflug mit ihm als Anführer, um den Kanal zu überqueren, der diesen Kontinent von seinem nächsten Nachbarn trennte. Er stellte für dieses Projekt zwei Teams zusammen und war glücklicher, als Kris ihn je gesehen hatte, seit er Neuankömmlinge befragt und zu Peter Easley geschickt hatte.
»Ja, sie sind tatsächlich drei Tage überfällig. Aber die Vernichtung ist einwandfrei erfolgt. Das wissen Sie.«
Die Verbindung zwischen der Brücke des alten Transporters und der KDL war offen, und die gesamte aufbrandende Hysterie, die Befehle und Gegenbefehle, als das Antriebssystem ›versagte‹, war pflichtschuldigst von denen auf dem Boden verfolgt worden … der letzte große Knall inklusive. Dieser Teil hatte perfekt geklappt.
Die Deski-Wachen erhielten den Befehl, die Ohren offen zu halten, da ihren Sinnen viel mehr vertraut wurde als dem veralteten und unberechenbaren Überwachungssystem auf der Brücke im Hangar.
Kris begleitete Mitford, als sie das Gefangenental überprüften und die Catteni lebend antrafen, die in keiner Weise daran dachten, es sich häuslich einzurichten.
»Keine Initiative«, meinte Mitford leise zu Kris. »Genauso wie Zainal gesagt hat. Noch nicht einmal diese beiden Drassi-Kapitäne.«
Diese schienen sich auf einen kleinen Erdfleck vor sich zu konzentrieren, aber keiner rührte sich.
»Schach?« fragte Kris, denn sie hatte diese Art von Konzentration schon bei ihnen beobachtet.
»Schach?« Mitford schaute sie überrascht an. »Sie haben noch nicht einmal genug Grips für Dame, geschweige denn Schach.«
»Nun, einer versucht zu fischen«, sagte Kris und deutete auf den einen Mann, der sich mit einer dünnen Lanze in der Hand über den Bach beugte.
»Das tut er. Sogar Catteni sind irgendwann diesen Trockenproviant leid«, sagte er und wandte sich ab.
Yuri Palit, Chef der Wiederansiedlung, hatte sich bei den Turs umgeschaut und kehrte mit der Information zurück, daß sie bereits ein paar Hütten gebaut hätten, nachdem sie einige Zeltstangenbäume gefällt hatten. Es lagen auch einige Verletzte in der Sonne mit gebrochenen Armen und Beinen und einer mit einer deutlich sichtbaren tiefen Wunde in der Seite.
»Haben Sie versucht rauszuklettern?« fragte Astrid.
»Wie stur können Turs sein?« wollte Yuri Palit von Mitford wissen.
Der Sergeant zuckte die Achseln. »Verdammt stur. Lassen Sie sie lieber in Ruhe.«
»Damit sie dieses schöne Tal ruinieren?« fragte Kris.
Mitford deutete mit einem Kopfnicken auf die Fotos, die die Rückwand seines Büros schmückten. Sie zeigten die anderen abgeschlossenen Täler, die Zainal auf seinem Anflug gesehen hatte. »Es gibt doch auch noch andere, und auch die anderen Kontinente.«
»Also, was das betrifft …«, begann Astrid.
Mitford hielt eine Hand hoch und grinste die hochgewachsene attraktive Schwedin an. »Das muß warten, bis Zainal uns mit dem Amphibienfahrzeug rausgeschmuggelt hat.«
Was jeden daran erinnerte, daß KDL nun schon sechs Tage überfällig war. Kris versuchte unbesorgt zu erscheinen, aber mögliche Katastrophenszenarios raubten ihr fast jede Nacht den Schlaf.
»Was mag da passiert sein?« fragte Astrid sie am Morgen des siebten Tags. »Sie müßten doch längst zurück sein.«
»Dieser Knall war keine echte Explosion«, sagte Mitford und vermied es, Kris in die Augen zu schauen, er redete vielmehr so zuversichtlich, als wäre er absolut sicher, daß Zainal zurückkommen würde.
»Für diese Verspätung wird es einen guten Grund geben, dessen bin ich mir sicher«, sagte Kris so überzeugt, daß Mitford sie skeptisch ansah.
»Ja, den wird es wohl geben, Kindchen. Ich kann mir nur nicht vorstellen, welchen.«
»Asteroiden, irgendwelche technischen Schwierigkeiten oder sonstige Probleme. Es gibt Dutzende von plausiblen Gründen.«
»Ja.«
»Es wäre keine gute Idee, wenn er mit uns Verbindung aufnehmen und alles verraten würde, da das Schiff als zerstört gelten muß und der verdammte Satellit jede Nachricht aufschnappen würde, die er sendet.«
»Da haben Sie recht«, meinte Mitford und wandte sich dann einer anderen Beschäftigung zu.
»Neuer Satellit«, warnte Zainal, sobald die Luke für die gespannt wartende Menge geöffnet wurde. »Wir sind so geflogen …« Er deutete mit der Hand einen Ausweichkurs an. Er suchte Kris und fand sie neben der Luke. »Lenvecs Werk.« Er sprang neben ihr hinab, berührte kurz ihre Wange. Die Raumfahrer stiegen aus und begrüßten begeistert das Empfangskomitee.
Das strahlendste Lächeln lag auf Scotts Miene, während er die Rampe hinunterging. Beverly, Rastancil und diejenigen, die nun als Oberkommando bezeichnet wurden, folgten dichtauf.
»Mitford, Easley!« rief Scott und nannte weitere Namen. »Besprechung um neunzehn Uhr dreißig in Narrow. Beggs!« Der diensteifrige Lieutenant, der Kris so unsympathisch war, kam mit dem obligatorischen Klemmbrett in der Hand herbeigeeilt. »Ich möchte, daß all diese Männer und Frauen an der Besprechung teilnehmen …« Danach gab er Anweisungen, während er das nächste Luftkissenfahrzeug bestieg und es in Richtung Camp Narrow starten ließ.
Zainal ergriff Kris’ Arm und führte sie auf die Seite, weg vom allgemeinen Trubel an der Luke.
»Hat Lenvec sie dazu gebracht, einen leistungsfähigeren Satelliten zu starten und in Position zu bringen?« fragte sie.
»Irgend jemand hat es getan. Wir mußten seine wechselnde Bahn genau berechnen, um unbemerkt zurückkommen zu können. Dabei hat KDL einzigartige Gleitflugeigenschaften bewiesen.«
»Ihr seid ohne Antrieb geflogen? Von wo?«
Zainal quittierte ihr Erstaunen mit einem nachsichtigen Lächeln. »Es war nicht schwierig. Eure Raumfähren sind früher genauso gelandet. Catteni sind noch bessere Raumjockeys.«
»Jockeys?« Kris mußte sich eingestehen, daß es ihr gar nicht gefiel, wenn er aus anderen Quellen Slangausdrücke aufschnappte, aber sie ließ sich absolut nichts anmerken.
»Bert brachte sie runter. Ein guter Mann. Wo sollen wir das Schiff verstecken?« Zainal dachte angestrengt über dieses Problem nach.
Kris blickte über das Feld zu dem alten Wrack, das immer noch auf seinem Platz stand. »Stellt sie dorthin. Sie erwarten sowieso an dieser Stelle ein gestrandetes Schiff. Welche Details kann der Satellit hier auf der Oberfläche deutlich aufzeichnen. Erkennt er die Namenssymbole?«
Zainal lachte. »Warum nicht? Die KDL ist zwar größer, aber nicht sehr viel.«
»Wenn man etwas wirkungsvoll verstecken will, dann muß man es ganz offen dem Suchenden vor die Nase stellen«, sagte Kris.
»Ist Scott einverstanden?«
Kris zuckte die Achseln. »Das Ding ist zu groß für jede Garage – bis vielleicht auf die am Meer, in die wir nicht reinkommen. Wer sucht danach? Du hast uns mit deinen ständigen Befehlen und Gegenbefehlen und der ganzen Hysterie ziemlich aufgescheucht …«
Zainal lachte jetzt noch offener, seine gelben Augen funkelten nach typischer Catteni-Art.
»Und wenn ihr auf dem Herweg den Satelliten überlistet habt, dann haben wir es ganz bestimmt geschafft, ihn zu täuschen.«
»Einer von euren Weisen sagte mal …« Er schloß für einen Moment die Augen, rief sich den genauen Wortlaut ins Gedächtnis und fuhr fort: »… daß man den meisten Leuten für einige Zeit etwas vormachen kann, aber nicht allen Leuten für immer.«
Sie mußte darüber lächeln, wie sehr er sich freute, richtig zitiert zu haben. Und sie war froh, daß er heil zurückgekommen war. »Meinst du, Lenvec ist so rachsüchtig?«
»Ich meine es nicht nur, ich weiß es. Als ich ausgewählt wurde …« Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Ich hatte Privilegien der Auserwählten. Lenvec war neidisch. Wenn er jetzt meinen Platz als Auserwählter einnehmen muß, fühlt er sich, als hätte man ihn beraubt.« Er musterte sie verstohlen und erwartete eine Reaktion auf seine Ausdrucksweise. Kris grinste. Auch seine Aussprache war nicht mehr so rauh. Nicht mehr lange, und er würde sprechen wie ein eingeborener Terraner.
»Hmm, ja, wenn er von der neidischen Sorte ist, wird er sich ganz gewiß vorkommen wie beraubt. Aber vielleicht wurde er … bereits auserwählt? Wieviel von ihm ist in dem Eosi noch vorhanden?«
Zainal nickte und ließ sich diesen Punkt durch den Kopf gehen. »Das weiß ich nicht. Glücklicherweise …« Und nun schmiegte er seine Wange an ihre und drückte sie an sich, »wurde ich hier abgeworfen – und ich bleibe.«
Kris war nicht die einzige, die die Idee hatte, die KDL ganz offen zu parken. Ein kunstvoll auf verbrannt getrimmtes Modell nahm den Platz der Kommandobrücke der neuen KDL 45 ein, aber es gab eigentlich keine andere Möglichkeit, selbst wenn sie ein Bauwerk der Farmer hätten finden können, das groß genug gewesen wäre, um das Schiff aufzunehmen. Das Schiff war nicht nur eine Trophäe, die Staub ansetzte, obgleich über seine weitere Nutzung erst noch entschieden werden mußte. Scott hatte Phase Zwei zugestimmt, aber wer wußte schon, ob der Admiral, der die Führung des militärischen Oberkommandos übernommen hatte, bereit war, es auch mit Phase Drei zu versuchen?
Die KDL senkte sich auf das Wrack hinab und drückte den leeren Rumpf zusammen. Die Deski-Wachen würden die Annäherung eines anderen Transportschiffs so rechtzeitig wahrnehmen …, daß die KDL aufsteigen und ein paar Felder entfernt landen und getarnt werden könnte, um vor einer oberflächlichen Suche sicher zu sein. Die Catteni schauten sich während des Abladens ihrer Passagiere und der wenigen Vorräte, die ihnen zugeteilt waren, kaum einmal um. Ein gewisses Risiko war vorhanden, aber Scott hatte sich Zainals Einschätzung der Drassi angeschlossen: Arbeite so wenig wie möglich und sieh zu, daß du schnellstens zur Basis zurückkehrst.
»Wissen Sie, jemand könnte meinen, es wäre ziemlich seltsam, daß in diesem Gebiet kurz hintereinander drei Schiffe explodiert sind«, meinte Leon Dane gegen Ende der Abschlußbesprechung, »und entscheiden, daß es sich nicht lohnt, diesen Teil des weitläufigen Eosi-Catteni-Reichs aufzusuchen, und uns in Ruhe läßt.«
»Das bezweifle ich«, entgegnete Easley mit einem traurigen Lächeln. »Laut Aussage der jüngsten Neuankömmlinge nimmt der Widerstand auf der Erde zu, und die Catteni nehmen immer noch jeden, der in ihren Augen ein Saboteur oder ein Rädelsführer ist, in Haft. Bei der letzten Gruppe befand sich auch ein Trupp Sea Scouts, und die hatten nichts anderes getan, als ihre monatliche Versammlung abzuhalten. Am Ende haben wir hier … oder wo immer sie sonst noch abgeladen werden … mehr Erdbewohner als auf der Erde selbst.«
»Ich hoffe nur, wir schaffen auf Botany einen neuen Anfang und legen die Verhaltensweisen ab, die uns auf der guten alten Erde so viel Verdruß bereitet haben«, sagte Mitford. Er hatte gute Gründe, an der Fähigkeit der Menschen zu zweifeln, ihre tief verwurzelte Intoleranz und Scheinheiligkeit abzulegen. Drei Männer und zwei Frauen saßen zur Zeit Strafen ab, weil sie wegen irgendwelcher alter Vorurteile in einen heftigen Streit geraten waren. Die, die dabei verletzt worden waren, würden später ihre Strafe verbüßen, nachdem sie wieder gesund waren. »Je mehr Leute zu uns kommen, desto mehr Ärger haben wir.«
»Wir haben vier Kontinente … nun ja, zwei, wenn wir den Farmern ihre Gebiete überlassen«, sagte Leon. »Damit ist doch genügend Platz für jeden da, oder nicht?«
»Für einige Typen ist nie genug Platz da«, sagte Sarah.
»Das stimmt«, sagte Dane und seufzte müde.