KAPITEL 2
Sie kamen in Camp Rock bei Sonnenuntergang des nächsten Tages an, nachdem sie das Fahrzeug bis an die Grenze seines mittels Kollektoren geschaffenen Energievorrats belastet hatten. Joe war der Meinung, daß die beiden Vollmonde hell genug gewesen waren, um den Energievorrat auf hohem Niveau zu halten, aber Whitby und Leila hatten dem widersprochen. Diese unterschiedliche Bewertung sorgte für eine lebhafte Diskussion während der langen Fahrt, auf der sie nur lange genug anhielten, um dem Ruf der Natur zu folgen oder um ein paar Felsläufer zu erlegen. Es stellte sich heraus, daß Joe hinsichtlich der Energie recht gehabt hatte, allerdings hatte ihre Fahrt sich erheblich verlangsamt.
Der Wachtposten stieß einen lauten Ruf aus, als er sie sah, und läutete eine Glocke, damit Worrell und Mitford sie bereits auf dem Parkplatz, einer der neuesten Errungenschaften von Camp Rock, erwarteten. Ein großer Transporter und ein kleiner Rutscher, der alleine für Mitford reserviert war, besetzten den Platz.
»Wir haben das Schiff gehört«, sagte Zainal, während er den Platz des Fahrers verließ und heruntersprang. »Schon wieder ein Abwurf?«
»Ja, weitere dreizehnhundert unfreiwillige Kolonisten«, erklärte Mitford und verzog das Gesicht.
»Ihre Rasse sollte doch nicht allzu schwierig unter Kontrolle zu halten sein«, meinte Zainal grinsend.
»Wir mußten auch noch auf etwas anderes reagieren«, sagte Mitford und fletschte die Zähne.
»Erzählen Sie«, forderte Zainal ihn auf.
»Wir packen erst einmal aus«, sagte Joe taktvoll und gab den anderen ein Zeichen.
Zainal ergriff Kris’ Arm. Mitford und Worrell gingen die Steintreppe hinauf, die zum Büro auf der Anhöhe führte. Das mit zwei Räumen ausgestattete Steingebäude war auf einer ebenen Fläche errichtet worden. Es stand in sicherem Abstand über dem Niveau jeder möglichen Frühjahrsflut, die durch die Schlucht, die Camp Rock in der Mitte teilte, zu Tal schäumen könnte. Antennen und Solarzellen waren auf dem schiefergedeckten Dach des großzügig dimensionierten Bauwerks angebracht. Von einem Schreibtisch, der ebenso von Mitford wie von Worrell in seiner Funktion als Verwalter von Camp Rock benutzt wurde, hatte man durch das große Mittelfenster einen ungehinderten Blick auf das gesamte Lager. Durch das andere Fenster, es war ein wenig kleiner, konnte man zu den ersten Nutzäckern hinüberschauen.
Mitford lud seine Begleiter ein, auf den Hockern und Bänken, die bereitstanden, Platz zu nehmen. »Leon kommt gleich«, fügte er hinzu. »Ich will Sie nur kurz ins Bild setzen.«
Zainal nickte.
»Das Signal ertönte, kurz bevor wir den Transporter zur Landung ansetzen hörten.«
»Das alte Feld?« fragte Zainal.
Mitford nickte. »Wenigstens das haben sie richtig hingekriegt. Leon erhielt den Befehl, daß eine Kommandogruppe zum Transporter kommen und Sie in bewußtlosem Zustand abliefern sollte. Sicherlich hingen einige Leute an den Begrenzungshecken herum und taten nichts anderes, als die Augen offenzuhalten und auf ihre Handorganizer zu lauschen.«
»Was haben Sie erwidert?«
»Leon teilte ihnen mit, die Suche nach Ihnen wäre noch im Gange.«
Zainal runzelte die Stirn. »Welche Worte hat er benutzt?«
»Ich kannte die richtigen Formulierungen«, sagte Leon, der soeben eintrat und sich kurz an den Türrahmen lehnte, um nach dem anstrengenden Aufstieg zu Atem zu kommen. »Als ich mich um die verwundeten Catteni kümmerte, war ständig eine Gruppe in meiner Nähe, die mich genau beobachtete. Dabei konnte ich eine Menge Emassi-Jargon aufschnappen. Ich half mir mit einem heiseren Flüstern, für den Fall daß es die Frau war, die die Meldung machte.« Zainal schüttelte den Kopf. Seine Miene war ausdruckslos. »Ich sagte« – damit legte Leon eine Hand an seine Luftröhre, um den Klang seiner Stimme zu verändern – »Mekichak Zainal obli. Tik escag erich. Tikso tag.« Er ließ die Hand sinken und fuhr mit normaler Stimme fort: »Das heißt wohl soviel wie: ›Zainal viel unterwegs. Kehrt bald zurück. Dann Meldung.‹« Leon schaute Zainal fragend an.
Es geschah nicht oft, daß der Catteni wie jetzt in schallendes Gelächter ausbrach und sich offensichtlich köstlich amüsierte. »Sie können es zwar nicht wissen, Leon, aber ich bin tatsächlich viel unterwegs. Sie haben genau das gesagt, was sie glauben werden. Wo ist das Gerät?«
Leon holte es aus einer Brusttasche. »Da ich der einzige bin, der genug Catteni beherrscht, habe ich es an mich genommen.«
Der Kommunikator sah in Zainals Händen winzig klein aus und konnte leicht in einer Tasche oder in einem Stiefel versteckt werden. Zainal untersuchte das Gerät sorgfältig, dann grinste er triumphierend.
»Das ist gut – sehr gut!« Zainals Augen funkelten vor Vergnügen.
»Die Dinge wurden in einem Stiefel gefunden.«
Damit legte Dane die anderen drei Gegenstände auf den Tisch.
Zainal hielt eine Ampulle ins Licht und knurrte ungehalten. »Vikso. In kleinen Dosen kann es für Sie sehr nützlich sein, Dane. Es schwächt die Muskeln.« Dabei ließ er schlaff die Arme baumeln, um zu demonstrieren, was er meinte, ehe er die Ampulle dem Arzt zurückgab.
»Demnach waren sie also entschlossen, Sie zu betäuben«, stellte Chuck Mitford fest, kippte mit seinem Stuhl leicht nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. »Können Sie uns erklären, weshalb sie sich mit Ihnen soviel Mühe geben?«
Zainal lachte wieder verhalten. Er schien die Frage nicht gehört zu haben. »Das ist sehr nützlich«, sagte er und wedelte mit dem Kommunikator in der Luft, ehe er ihn auf die Steinplatte legte, die dem Sergeant als Schreibtisch diente. »Jetzt können wir eine Falle aufstellen. Zwei müßten wir kriegen.«
»Zwei Schiffe?« Kris begriff als erste, was gemeint war, noch bevor Mitford seinen Stuhl nach vorne kippen ließ und sich mit gespannter und hoffnungsvoller Miene über den Tisch lehnte.
»Zwei?« rief Worrell angesichts dieses kühnen Vorschlags verblüfft aus.
Zainal nickte und sah den Sergeant an. »Sie haben mich erfaßt. Du, Kris, wirst Nachricht sprechen, ich hätte gekämpft und zwei getötet. Du brauchst schnell Schiff, ehe Vikso« – damit tippte er gegen die Ampulle – »keine Wirkung mehr. Sie müssen landen, wo Emassi-Scout uns getroffen. Sie müssen leise landen.« Er senkte die Stimme zu einem dramatischen Flüstern. »Ohne Licht, und dann müssen sie zum Rand des Feldes gehen, um dir zu helfen, den gefangenen Zainal zu tragen.«
»Aber ich beherrsche nicht genug Catteni.«
»Du wirst, wenn du Nachricht schickst«, sagte Zainal, und sein Blick machte ihr klar, daß sie nicht aussteigen konnte. Schließlich hatte sie ihn Englisch gelehrt. Daß sie jetzt ein wenig Catteni lernen mußte, war nur fair. »Du hast mich gefangen.«
»Ich?« Kris schaute die anderen im Raum an, die sie beinahe schadenfroh angrinsten. »Hört damit auf, Leute«, sagte sie mit einem scharfen Unterton.
»Beruhigen Sie sich, Kris«, sagte Mitford, der für ihre heftige Reaktion Verständnis hatte. Dann wandte er sich wieder Zainal zu. Es stand außer Frage, daß der Sergeant eine Menge riskieren würde, um sich in den Besitz eines Raumschiffs zu setzen, aber der eher vage Plan überzeugte ihn nicht sonderlich. »Sie haben sie also aus dem Schiff herausgelockt, wo sie hoffentlich von den Aasjägern verarbeitet werden – was dann?«
»Dann haben wir ein Scout-Schiff.«
»Und keine Vergeltungsmaßnahmen?« Mitford war äußerst skeptisch.
»Weshalb? Das Schiff wird starten …« Die anderen schienen ihren Ohren nicht zu trauen, und Zainal grinste wieder. »Deshalb werden sie glauben, was als nächstes geschieht.« Er wandte sich an Kris. »Du schaffst es gerade noch, eine Meldung abzusetzen … und dann …« Er fuhr sich mit einem Finger quer über den Hals, sein Grinsen wurde noch breiter.
»Du hast uns schon wieder überwältigt?« Kris verdrehte verzweifelt die Augen. »Meinst du, das kaufen sie dir ab?«
»Abkaufen?« fragte Zainal. Er beherrschte die englische Sprache zwar schon erstaunlich gut, aber bestimmte Formulierungen waren ihm noch immer ein Rätsel.
»Uns glauben«, lieferte sie ihm die notwendige Erklärung.
»Auf Barevi habe ich dir demonstriert, wie schwer es ist, mich zu fangen.«
Kris lachte. »Okay. Ich sende also eine Nachricht, ehe du mich tötest …«
»Und ich ändere den Kurs …«
»Sie ändern den Kurs?« fragte Mitford mißtrauisch. Er verengte die Augen und musterte Zainal nicht gerade freundlich.
»Damit der Mond das Schiff verbirgt, wenn es hierher zurückkommt.« Zainal lächelte beruhigend. »Ich bringe Kris mit …« Mitfords Miene verdüsterte sich noch mehr, »und Bert Put und die Frau, Raisha Simonova – die von Ihrem Planeten aus in den Weltraum geflogen sind. Sie lernen, das Schiff zu bedienen. Es ist sehr einfach zu steuern. Sie können auch mitkommen«, fügte er hinzu und deutete vor Mitford eine Verbeugung an.
»Vielen Dank«, sagte Mitford und winkte kopfschüttelnd ab. »Ich bleibe lieber auf der guten alten Terra Firma. Aber die Raumfahrer mitzunehmen ist eine verdammt gute Idee.«
»Ich gehe an Ihrer Stelle, Sarge«, sagte Worrell, hob die Hand und schien es kaum erwarten zu können. »Wenn das möglich ist …«, fügte er hoffnungsvoll hinzu. »In diese Geschichte sollen doch wohl nicht allzu viele Leute eingeweiht werden, oder?«
Mitford schüttelte den Kopf, sucht nach irgendwelchen Fehlern in dem Plan und schaute wieder zu Zainal. »Und Ihre Leute kommen nicht her, um nach dem Scout-Schiff zu suchen?«
»Ein Scout hinterläßt nur eine schwache Spur, und sie sind nicht schnell genug, um hier nachzusehen.« Dabei vollführte er eine ausholende Geste, die ganz Botany einschloß. »Sie schauen nach, ob ich Freunde habe, die mich verstecken. Wenn sie zurückkommen, steht der Scout versteckt zwischen anderen Teilen aus Metall in Camp Narrow. So fällt er bei einer Scannersuche nicht auf.« Nach einem kurzen Moment fügte er hinzu: »Der letzte Ort, an dem sie mich vermuten würden, ist hier!« Er deutete auf den Boden und lächelte seine Zuhörer an.
»Nun, das denke ich auch«, erklärte Mitford, während sich seine Lippen ebenfalls zu einem Lächeln verzogen.
»Es wird funktionieren«, versprach Zainal mit derartiger Überzeugungskraft, daß auch Mitford Zuversicht schöpfte und Anstalten machte, sich von der Couch auf der anderen Tischseite zu erheben. Der Catteni grinste. »Danach …« Alle hörten ihm aufmerksam zu, »dürfte das nächste Transportschiff, das hier eintrifft, eine Überraschung erleben, und schon haben wir zwei Schiffe zur Verfügung.«
Alle reagierten mit sprachloser Verblüffung auf diesen Plan. Mitford fand als erster seine Sprache wieder.
»So dumm sind Ihre Leute niemals«, sagte er.
»Nein?« Zainal hob sarkastisch die Augenbrauen. »In den Transportern kommen ausschließlich Drassi zum Einsatz. Keine Emassi. Die Schiffe, die hierherkommen, sind allesamt in einem ziemlich schlechten Zustand.« Er konnte sich auch diesmal ein Grinsen nicht verkneifen. »Sie sind völlig verschlissen. Wenn nun ein Schiff nach dem Start explodiert …« Er spreizte die Hände und hob die Schultern.
»Das Schiff soll explodieren?« fragte Mitford und schob das Kinn vor.
»Eine Explosion wird vorbereitet, so daß Metall im Weltraum zurückbleibt, als Beweis für den Unfall. Deshalb müssen wir zuerst das Scout-Schiff in unsere Gewalt bringen. Es kann Trümmer ins All bringen. Dann haben wir zwei Schiffe.«
»Aber nur eins befindet sich in einem guten Zustand«, hob Mitford hervor.
Zainal schüttelte den Kopf. »Hier sind viele Leute ausgebildet, um an Maschinen zu arbeiten. Ich bin nicht nur Pilot. Ich weiß auch …« Zainal klopfte ungeduldig mit dem Finger auf die Tischplatte, während er nach dem richtigen Wort suchte. »Wie man … repariert.« Er lächelte. »Ich setze großes Vertrauen in Ihre Leute, Mitford. Also sollten auch Sie mir vertrauen.«
»Mein Gott, Zainal, das tue ich, glauben Sie mir«, erklärte Mitford mit Nachdruck und schlug mit beiden Handflächen auf die Tischplatte. »Und ich denke, das gilt für alle hier.« Die anderen nickten zustimmend. »Und es wäre toll zu wissen, daß wir hier nicht mehr festsitzen …« Er hielt inne, schaute überrascht in die Runde. »Wissen Sie, ich bin eigentlich gar nicht mehr so erpicht darauf wie früher, Botany hinter mir zu lassen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Werden die Emassi sich nicht an der Erde rächen, wenn sie hier auf Botany ein Scout- und ein Transportschiff verlieren?«
»Das glaube ich nicht.« Leon Dane hatte grinsend das Wort ergriffen. »Die Catteni, die ich kennengelernt habe, betrachten uns als höchstens eine Entwicklungsstufe über den Ureinwohnern rangierend. Unsere Sabotageakte und Aufstände hören ihrer Meinung nach in dem Augenblick auf, wenn sie die Anführer zusammengetrieben und hier abgeladen haben.«
»Oder woanders.« Diese Bemerkung Zainals rief sie unsanft in die Wirklichkeit zurück. »Es gibt noch andere Planeten, die … für eine Besiedlung getestet werden müssen. Nicht nur dieser. Ich habe nur eine Sorge«, meinte er und schaute Worrell an.
»Das freut mich fast zu hören«, sagte Mitford grinsend. »Und welche?«
»Daß Lenvec, der mich mit dem ersten Scout-Schiff holen sollte, mit einem höherrangigen Kommandeur spricht und verlauten läßt, daß wir hier über Technologien verfügen, die nicht mitgeschickt wurden, und daß dieser Planet ganz gut funktioniert. Das wäre schon ein weiterer Grund, um mich wieder einzufangen.«
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß er das getan hat?«
Zainal wiegte nachdenklich den Kopf. »Er kann ziemlich hartnäckig und überzeugend sein, aber …« Er schnaubte, »… viele Catteni glauben nur das, was sie glauben wollen.«
»Genauso wie einige Menschen, die ich kenne«, meinte Leon mit spöttischem Unterton.
»Demnach haben wir sogar etwas, womit wir uns verteidigen können, falls die Farmer hier nachschauen sollten«, sagte Worrell und war sichtlich erleichtert.
Zainal schüttelte den Kopf. »Nur der Scout verfügt über Waffen. Aber zwei Schiffe sind besser als keins, und außerdem gibt es für den Scout auch noch andere Verwendungen.«
»Zum Beispiel eigene Erkundungsunternehmen?« fragte Mitford.
»Ich für meinen Teil würde gerne wissen, wer die anderen Eigentümer sind. Sie nicht?« fragte Zainal. »Außerdem sind es nicht nur die Catteni, die Ihre wahren Feinde sind. Es sind die Eosi. Wer diesen Planeten landwirtschaftlich nutzt, wer den Kommandoturm zurückgelassen hat, könnte durchaus stärker, klüger und besser sein als die Eosi.« Er lehnte sich zurück und beobachtete, wie Mitfords Miene sich veränderte, als er diesen Gedanken weiterverfolgte. »Ich möchte nicht, daß die Eosi weiterhin mein Volk beherrschen. Oder Ihres. Es ist das erste Mal, daß ich berechtigte Hoffnung schöpfe, die Herrschaft der Eosi zu beenden.«
»Mich laust der Affe«, murmelte Mitford und ließ entspannt die Schultern sinken, nachdem er Zainals Plan kennengelernt hatte.
Er brach in schallendes Gelächter aus, in das auch Leon Dane und Worrell einstimmten.
»Das ist es also, was du dir während der gestrigen Rückfahrt ausgedacht hast«, sagte Kris und musterte ihn mit großen Augen.
»Ist das alles nicht ein wenig hoch gegriffen?« fragte Mitford, aber der Glanz in seinen Augen und das energisch vorgereckte Kinn verrieten, daß er durchaus einverstanden war.
»Ja, sicher«, sagte Zainal achselzuckend, »und warum nicht?«
Mitford schlug wieder krachend auf den Tisch. »Ja, warum eigentlich nicht?«
»Wir können es versuchen …«, sagte Leon und schlug sich mit der flachen Hand klatschend auf den Oberschenkel. »Bei Gott, ich will es!«
»Meinen Sie, wir sollten?« fragte Worrell. »Es wäre durchaus möglich, daß sie ziemlich sauer auf uns sind, weil wir uns in ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten eingemischt haben …«
»Aber wer hat uns denn hierhergebracht?« fragte Kris. »Warum mußt du so tun, als würde das Transportschiff explodieren? Und weshalb mußt du mit dem Scout auf Schleichwegen nach Botany zurückkehren?«
»Wir müssen den Satelliten austricksen.«
Mitford hob die Augenbrauen.
»Den Satelliten?« rief Worrell entsetzt.
Zainal hielt den schlanken Kommunikator hoch. »Sie haben einen, weil er die Nachrichten übermittelt. Ein Satellit gehört zu jedem Kolonialplaneten. Er sendet die Berichte. Er muß nur die richtigen abstrahlen, damit wir die Empfänger überzeugend täuschen.«
»Einen Punkt müssen Sie mir aber erklären, Zainal, okay?« sagte Mitford und fuhr fort, als Zainal bereitwillig nickte: »Weshalb wollen die, daß Sie etwas tun, wovon Sie nichts wissen wollen?«
Zainal lachte rauh. »Ich wurde von Eosi dafür ausgesucht. Sie können sich dafür nehmen, wen sie wollen.«
»Und was genau sollen Sie tun?« fragte Mitford direkt.
Die Veränderung in Zainals Körperhaltung und Miene ließ Kris einen eisigen Schauer über den Rücken rieseln und brachte Mitford dazu, sich unwillkürlich zu ducken.
»Die Eosi benutzen Körper.« Dann, indem er sich einen unmerklichen Ruck gab und sich straffte, signalisierte Zainal, daß er sich zu diesem Thema nicht mehr äußern wollte, und fuhr statt dessen fort: »Also, holen wir uns das Scout-Schiff?« Er schaute Kris, Dane und Worrell nacheinander fragend an, ehe er sich Mitford zuwandte. »Es ist zu schaffen, aber wir müssen sofort handeln. Kris muß auswendig lernen, was sie sagen soll. Und dann brauche ich Bert Put und eine Frau. Ist das möglich?«
»Klar«, sagte Mitford, griff nach dem Handy und tastete den Code für Camp Narrow ein. »Hey, Latore? Schicken Sie Bert Put und Raisha Simonova sofort hierher, klar? Es hat sich etwas Wichtiges ergeben. Wir brauchen sie hier vor …« er warf einen Blick zu Zainal, der zwei Finger in die Höhe streckte. »… dem zweiten Mondaufgang. Okay?« Dann hielt er inne und dachte angestrengt nach. »Wir nennen dies Phase Eins, und es bleibt alles unter uns.« Die anderen nickten. »Über Phase Zwei unterhalten wir uns, wenn Phase Eins so läuft wie geplant.«
»Das wird sie«, sagte Zainal mit dem Brustton der Überzeugung.
»Phase Drei …« Und dabei deutete Mitford mit dem Finger auf Zainal. »… muß weitaus gründlicher geplant werden.«
Zainal war voll und ganz seiner Meinung.
»Verdammt, Sarge«, sagte Leon Dane mit bebender Stimme, »allein der Gedanke an Phase Drei … macht mich ganz heiß. Stellen Sie sich mal vor, wie nachhaltig sich dieses Unternehmen auf die Moral unserer Leute auswirken wird.«
»Daran denke ich schon die ganze Zeit.« Mitford hatte die Stimme zu einem halben Flüstern herabgesenkt. »Ich möchte auch nicht den Anflug eines seligen Grinsens auf Ihren Visagen sehen, wenn Sie diesen Raum verlassen. Es geht uns im Augenblick sehr gut, viel besser als je zuvor, und ich möchte keine falschen Hoffnungen enttäuschen müssen. Immer schön einen Schritt nach dem anderen.«
»Sie meinen wohl eine Phase nach der anderen, nicht wahr?« sagte Kris.
Tatsächlich hätte sie am liebsten die sehnsüchtige Hoffnung hinausgeschrien, die Zainals Plan in ihr geweckt hatte. Das erste Schiff in ihre Gewalt zu bringen wäre ein ganz toller Coup. Danach auch noch ein Transportschiff zu entführen würde allen auf Botany beweisen, daß sie sich durchaus mit den Catteni messen könnten. Wie Phase Drei aussehen sollte, wußte sie nicht genau, aber über zwei weltraumtüchtige Schiffe zu verfügen versetzte sie in die Lage, herauszufinden, wer die Besitzer von Botany waren. Würde das Scout-Schiff der Catteni den riesigen Kreuzern folgen können, die die Farmer zum Einsammeln der Ernte nach Botany schickten? Zuerst, sagte sie sich, solltest du den Scout haben. Dann kannst du weiterträumen. Und falls es sich um eine Rasse handelte, die sich dagegen wehrte, daß ihre Versorgungsplaneten von einer anderen raumfahrtfähigen Macht übernommen wurden, dann käme es vielleicht zu Phase Drei. Und Erde und Catten würden sich von der Herrschaft der Eosi befreien können.
»Richtig.« Mitford lächelte sie seltsam an. »Raumschiffe zu erobern ist sicherlich um vieles besser, als herumzusitzen und auf den nächsten Abwurf zu warten.« Er fing Zainals Blick auf und begann die einzelnen Punkte an den Fingern abzuzählen. »Sie bringen Kris bei, was sie sagen soll, wenn der Scout während des zweiten Mondaufgangs landet, klar?« Zainal nickte. »Schön, wenn der Scout keinen Verdacht schöpft und tatsächlich landet und die Besatzung das Schiff verläßt … woher sollen sie wissen, daß Sie bereit sind, mitgenommen zu werden? Ich kann unmöglich nachts jemanden auf das Feld hinausschicken.«
»Luftkissenfahrzeuge locken keine Aasfresser an«, erinnerte Zainal ihn.
»Während unserer Rückfahrt«, fügte Kris hinzu, »haben wir festgestellt, daß das Licht des Vollmonds ausreicht, um die verbrauchte Energie zu ersetzen.«
»Sehr gut«, lobte Mitford. »Wir halten also Ersatzleute weit genug entfernt auf dem Feld bereit …«
»Fahrzeuge bewegen sich in Richtung Catteni«, sagte Zainal und nickte, »aber nicht so schnell, weil sie schwer beladen sind.« Er deutete mit dem Daumen auf seine Brust. »Nämlich mit mir.«
»Gut … damit haben die Aasjäger genügend Zeit anzugreifen. Und wenn die Catteni sie erschießen? Dieser Lenvec-Emassi dürfte bei seiner letzten Reise hierher gesehen haben, zu was diese Erdbestien fähig sind.«
Zainal zuckte die Achseln. »Im Winter sind Aasjäger sehr hungrig, sehr schnell und schnappen nach Füßen. Oder wir sind human«, und er grinste, als er die allgemeine Reaktion auf dieses Wort bemerkte, »und töten sie, ehe sie wissen, was los ist. Wir besitzen schnelle und leise Waffen. Lanzen, Pfeil und Bogen, Steinschleudern.«
»Werden Sie niemanden an Bord zurücklassen?« wollte Mitford wissen.
Zainal hob die Schultern. »Ich bin betäubt. Es werden zwei oder drei Leute nötig sein, um mich zu tragen. Wenn im Schiff einer ist, sobald wir die Luke öffnen, ist es aus für ihn.« Er klopfte auf das Messer an seinem Gürtel. Mitford nickte zustimmend. »In Ordnung … alles verläuft wie geplant, und Sie und Ihre Mannschaft starten zu Ihrer Irreführungsnummer. Ein kleiner Punkt noch. Kris mag ja nützlich sein, um die Mannschaft herunterzulocken, aber wenn Sie die Crew überwältigen, würden sie dann nicht als erstes die Frau töten, weil sie Sie betäubt hat?«
Zainal nickte langsam. Er wußte genau, was Mitford nicht auszusprechen wagte. »Leon spricht Catten. Ich kann nicht reden, weil sie von meiner Stimme eine Aufnahme haben. Leon kann die letzte Nachricht durchgeben.«
»In Ordnung.« Mitford musterte Kris mit einem fragenden Bück. »Sie haben verstanden, nicht wahr?«
Kris nickte und machte sich nicht die Mühe, die Bitterkeit zu überspielen, die sie bei diesem Gedanken empfand.
»Du wirst ein anderes Mal mitfliegen«, sagte Zainal zu ihr und betrachtete sie mitfühlend.
»Also, Moment mal, Mitford.« Dane setzte zu einem Protest an.
»Leon wird die notwendigen letzten Worte sprechen«, entschied Zainal und fixierte weiterhin Kris. »Das dürfte sie überzeugen.«
»Das sollte es auch lieber.« Kris starrte Mitford wütend an. Wie konnte er es wagen, den Verdacht zu äußern, daß sie und Zainal so egoistisch wären, das Schiff selbst in Besitz zu nehmen, sobald sie beide an Bord waren?
»Weshalb brauchen Sie Bert und Raisha?« fragte Worrell.
»Sie müssen schnellstens lernen, einen Scout zu lenken. Je mehr Leute dazu fähig sind, desto besser ist es.« Zainal zeigte wieder sein altes Grinsen. »Und das sollte möglichst bald geschehen.«
»Das sehe ich ein«, sagte Mitford und wagte es nicht, Kris in die Augen zu blicken. »Demnach gilt für Phase Eins grünes Licht … und höchste Geheimhaltungsstufe. Setzen Sie Ihr Team für die Steuerung des Schiffs und die … Exekutionen ein, Zainal. Slav und Fek können in der Dunkelheit sehr gut sehen. Ich schicke Bert und Raisha zu Ihnen, sobald sie hier eintreffen.« Dann fiel ihm noch etwas Wichtiges ein. »Hat Ihr Trupp eigentlich etwas Bedeutsames gefunden, ehe Sie zurückgerufen wurden?«
Verblüfft über diesen abrupten Wechsel zur Tagesroutine, starrte Kris den Lagerchef entgeistert an.
»Ein sehr interessantes Tal«, sagte Zainal und verstaute den Kommunikator in der Tasche, ehe er den Sack mit den Stiefeln hochhob. Leon packte die medizinischen Fundstücke zusammen. »Joe und die anderen können alles weitere besprechen.« Dann streckte er Kris seine freie Hand entgegen. »Sie müssen jetzt lernen, wie eine Catteni-Frau zu sprechen.«
»Nach allem, was Sie getan haben«, murmelte Leon Dane, während er hinter ihnen hinausging, »dürfte er wohl kaum Ihre Integrität in Zweifel ziehen, oder?«
»Keine Sorge, Leon«, sagte Zainal.
»Die Sorgen mache ich mir schon«, sagte Worrell, aber sein Tonfall machte deutlich, daß er Mitfords vorsichtige Haltung, aufgrund derer er Kris nicht gestattete mitzufliegen, als unnötig betrachtete.
»Aber nicht wegen heute nacht«, sagte Zainal und klang für Kris viel zu unbeschwert, wenn man sich vorstellte, was er soeben in Gang gesetzt hatte.
Dann dachte Kris wieder an seine völlig farblose Stimme, mit der er gesagt hatte: »Die Eosi benutzen Körper.« Kein Wunder, daß er sich dieser Pflicht entziehen wollte. Sie wußte genau, daß er es haßte, fremdbestimmt zu werden. Und dennoch ließen seine ursprünglichen Andeutungen über ›diese Pflicht‹ darauf schließen, daß sie für die Emassi eine Ehre war und daß es sie mit einem gewissen Stolz erfüllte, sie wahrzunehmen. Hatte die Zeit auf Botany ihn so grundlegend verändert, oder lag es einfach daran, daß er nun eine Möglichkeit sah, einer vielleicht schrecklichen Zukunft zu entgehen? Dann überlegte sie, wie weit dieses ›Besitzen‹, diese Fremdbestimmung, reichte. Wurde nur der Körper von den geheimnisvollen Eosi als eine Art Vehikel benutzt? Ober unterwarfen sie sich die gesamte Persönlichkeit, so daß von dem ursprünglichen Individuum nichts mehr übrigblieb? Oder … was?
»Denk nicht darüber nach«, sagte Zainal leise und ergriff sanft ihren Arm, als sie den Abstieg beendet hatten. »Ich meine nicht Mitford.« Dann winkte er den anderen Mitgliedern ihres Teams zu, die offensichtlich darauf warteten, Mitford ihre Berichte liefern zu können. »Geht ruhig rauf. Er wartet schon auf euch.«
»Wir sind wieder in unserem alten Quartier«, teilte Sarah ihm mit, während sie hinter Joe die Treppe hinaufstieg. »Wir haben Ihre Sachen schon dorthin gebracht.«
»Prima. Wir haben beim zweiten Mondaufgang noch etwas zu erledigen. Ich erzähle es Ihnen später.«
Kris wußte, daß Sarah es kaum erwarten konnte, endlich zu erfahren, weshalb Dane und Worrell anläßlich einer Abschlußbesprechung nach einem Erkundungsunternehmen ebenfalls in Mitfords Büro gewesen waren.
»Sollen wir erst baden gehen?« fragte Zainal, während sie zu ihrem Quartier in der Michaelstown-Höhle gingen.
»Das kannst du wohl annehmen. Ich denke viel schneller, wenn ich sauber bin«, sagte Kris, aber sie brauchte nicht nur das kalte, frische Wasser des Sees, um ihren Zorn zu dämpfen, sondern sie wollte endlich mal wieder mit Zainal allein sein … falls sie das Glück hatten, die einzigen im See zu sein.
Sie hatten Glück, und in ihrem Quartier fanden sie saubere Overalls. Zainal verstaute den Kommunikator der Catteni sorgfältig zusammen mit seinem Handy in der Tasche seines frischen Anzugs, ehe sie sich auf den Weg zu ihrem Badeplatz machten.
Er schien diese Gelegenheit ebenfalls zu etwas ganz Besonderem machen zu wollen. Sie seiften sich gegenseitig ausgiebig ab, dann schwammen sie im sicheren Teil des Sees, der abgetrennt war gegen die kräftige Unterströmung, ehe sie aus dem Wasser stiegen, um sich gegenseitig abzutrocknen. Das wiederum bot ihnen ausreichend Gelegenheit, ihre innere Anspannung abzubauen. In solchen Momenten staunte Kris, wie grundlegend Zainal von den anderen Catteni, sogar den Emassi, abwich. Sie wußte, daß ihre Verbindung mit Zainal nicht allgemein akzeptiert wurde, aber diese Haltung hatte sich – mit wenigen Ausnahmen – während der letzten Monate grundlegend geändert, da viele Siedler auf Botany erkennen mußten, wieviel sie Zainals Anwesenheit auf dem Planeten zu verdanken hatten. Fremdenhaß wurde von Mitford oder Easley bei ihrem Bemühen, die Welt den neuen Bewohnern zugänglich zu machen, in keiner Weise geduldet oder gar gefördert.
Ihre Überlegungen wurden in dem Augenblick unsanft gestört, als sie wieder in die Haupthöhle hinaufstiegen und Zainal ihr in rauhem Befehlston einige Anweisungen gab.
»Wir brechen schon auf?«
»Der zweite Mond geht bald auf. Du mußt bereit sein.«
»Ich muß wissen, was diese Laute bedeuten, Zainal«, beklagte sie sich.
»Sprich die Laute richtig aus, dann erkläre ich dir die Bedeutung«, sagte er und wiederholte die ersten vier stakkatohaften Silben. Sie gab sich alle Mühe, sie zu imitieren … obgleich sie an der Anhäufung von Reibelauten beinahe erstickte. Dieses Charakteristikum der cattennischen Sprache hatte sie bereits erkannt. Es klang so ähnlich wie Deutsch mit französischem Akzent … oder wie ein sehr kehliges Französisch mit einem ausgeprägten deutschen Akzent und einer kleinen Prise Chinesisch dazwischen.
Als sie die Haupthöhle erreichten, bewältigte sie die ersten Silben zu seiner Zufriedenheit. Die Essensausgabe war noch geöffnet, und sie stellten sich in die Warteschlange, um sich ihre Portionen zu holen. Sie fanden einen abseits stehenden Tisch auf einer der Aussichtsterrassen, außer Hörweite der anderen Esser, die ihre Mahlzeit in der milden Abendluft einnahmen. Die erste Sonne Botanys war noch nicht untergegangen, aber der erste Mond stand bereits über den Bergen im Osten als bleiches Gespenst dessen, was vom Sonnenschein noch übrig war. Das erinnerte Kris daran, daß die Zeit knapp bemessen war.
Weil sie schon immer besser hatte lernen können, wenn sie sich visueller Hilfen bediente, kratzte Kris mit einem scharfkantigen Stein die Laute, die Zainal ihr vorgesagt hatte, auf eine glatte Unterlage, und sprach sie nach, so gut sie konnte. Als sie glaubte, daß sie den Klang perfekt getroffen hatte, schüttelte Zainal den Kopf.
»Was ist denn daran nicht gut?«
Er schüttelte erneut den Kopf, klopfte ihr aber besänftigend auf die Schulter. »Du klingst nicht … böse genug.«
»Böse?«
Er knurrte die Worte, deren Bedeutung sie nun kannte. »Meldung. Zainal gefunden. Hat sich heftig gewehrt. Zwei Tote. Er ist betäubt. Landen, wo Lenvec war. Kein Licht. Warte auf Feld.«
Sie versuchte es erneut so kehlig wie möglich und erkannte, daß es alles andere als perfekt war.
»Sieh doch, ich knurre eben leise. Wie sollen sie irgend etwas bemerken?«
»Es könnte aber passieren.« Dann hob er die Hand. »Was hat Leon getan, um heiser zu klingen?«
»Er hat sich an den Hals gefaßt.« Sie versuchte es ebenfalls und wiederholte die Worte. Dabei hoffte sie, daß sie sich nicht selbst erwürgte.
»Das ist es!« rief Zainal und klatschte in die Hände. »Und jetzt hör genau zu …« Er rasselte einen Satz herunter, von dem sie gerade drei Worte verstand. »Meldung«, »Tote« und »landen«.
Sie sagte ihm, was sie verstanden hatte.
»Du könntest gefragt werden. Du mußt wissen, was du auf jede Frage antworten mußt.«
»Was ist mit ›ich weiß nicht‹?«
»Du mußt klingen, als wüßtest du alles. Also sag zuerst ›Chouma‹ – ›stül‹ –, als ob du belauscht werden könntest. Dann ›Schkelk‹ …« Kris richtete sich verblüfft auf, denn sie wußte, was es bedeutete.
»›Zuhören‹?«
Zainal lächelte überrascht und nickte. »Sag es so rauh du kannst, denn du redest mit einer sehr dummen Person.«
»Ich habe dieses Wort sehr oft auf Barevi gehört«, sagte Kris traurig, und dann stieß sie das Wort mit angemessener Heftigkeit hervor. Zainal lachte und gab ihr einen aufmunternden Klaps auf die Schulter.
»Sprich alle Worte in diesem Ton aus, und sie werden dir nicht widersprechen. Du klingst fast wie eine Emassi. Nach ›Schkelk‹ wiederholst du die erste Meldung, um sicherzugehen, daß sie dich richtig verstanden haben. Danach sagst du ›Kotik?‹, was soviel heißt, daß sie dir keine weiteren Fragen stellen sollen.«
»Verstanden.«
Er ließ sie ständig wiederholen, bis er zufrieden und ihre Stimme heiser genug war, ohne daß sie sich die Kehle zudrücken mußte. Sie stellte überrascht fest, daß der erste Mond schon hell und hoch am Himmel stand, als er endlich meinte, sie sei gut genug.
Er holte den Kommunikator hervor und hielt ihn hoch. »Jetzt!«
»Jetzt? Du meinst, wir machen es heute nacht?« Sie geriet in Panik. Sie war noch nicht soweit. »Aber Bert und Raisha …«
»Sie sind da. Ich habe gesehen, wie sie hineingefahren sind. Ich bereite sie ebenfalls vor. Daher schicken wir die Meldung jetzt gleich. Noch hast du alles frisch in deinem Kopf. Und in deinem Mund.«
Er drückte auf den Sensorknopf, und für Kris viel zu schnell antwortete eine Stimme. Sie schluckte, sagte ihren einstudierten Text auf und überging eine Frage mit einem harten, rauhen »Schkelk«, wie es ihr erklärt worden war. Zainal nickte und deutete ihr mit einer Geste an, daß die Unterbrechung nichts zu bedeuten hätte. Sie sagte »Chouma« – so bösartig sie konnte – und nahm sofort wieder den gelernten Text auf. Mittlerweile hatte sie soviel Angst, daß ihr abschließendes »Kotik?« genauso heftig und drohend herauskam wie aus dem Mund des schlimmsten cattenischen Gefangenenwärters.
Ein beinahe zaghaftes »Kotik« sowie zwei Silben, die sie nicht verstand, waren die Antwort, und Zainal unterbrach die Verbindung.
»Baby, du warst ganz toll!« Zainal fuhr ihr durchs Haar und drückte sie liebevoll an sich.
»Aber was war das zum Schluß?«
»Dein Name. Du bist – oder warst – Arvonk.«
Kris verzog das Gesicht. »Ein schrecklicher Name.«
»Aber nützlich zu wissen.«
»Sie haben aber furchtbar schnell geantwortet.«
Zainal nickte. »Klar, sie wollen Zainal schnellstens zurückhaben. Sie bleiben dort, bis sie mich kriegen.«
»In einem größeren Schiff?«
»Das Scout-Schiff reicht für dieses Unternehmen völlig aus.«
»Aber sie kriegen dich nicht!« sagte sie und sprang auf.
»Nein, das tun sie nicht«, meinte er, ergriff ihre Hand und lief mit ihr hinunter zu Mitfords Büro.
Mitford mußte aufgepaßt haben, denn die Leute, mit denen er sich unterhielt, wurden sofort hinauskomplimentiert. Überrascht gingen sie an Zainal und Kris vorbei. Bert Put, dessen schmales Gesicht einen gespannten Ausdruck zeigte, und Raisha Simonova eilten durch die Schlucht, die das Lager durchschnitt, um nicht zu spät zu kommen. Gleichzeitig mit Zainal und Kris erreichten sie Mitfords Büro.
»Sind Sie mit der Meldung durchgekommen?« fragte Mitford.
»Sie kommen. Kris hat gesprochen wie eine echte Emassi.« Zainal grinste mit unverhohlenem Stolz, während er für sie die Tür aufhielt.
»Ich mußte es ja auch oft genug aufsagen, ehe es richtig rauskam«, sagte sie unwirsch, und Mitford bot ihr zum Trost sofort eine Tasse Kräutertee an, von dem jeder, der ihn einmal gekostet hatte, voll des Lobes war.
Bert und Raisha setzten sich zaghaft hin. Kris erkannte sofort, daß sie keine Ahnung hatten, weshalb sie zu dem Treffen bestellt worden waren.
»Haben Sie schon mit Ihren Leuten gesprochen, Zainal?« erkundigte Mitford sich.
»Noch nicht. Sie werden tun, was getan werden muß, und das ohne Murren.«
Mitford gab einen undefinierbaren Laut von sich und kratzte sich am Hinterkopf. Er vermied es noch immer, Kris in die Augen zu blicken. Was sie irgendwie friedlich stimmte.
»Kann ich mal etwas zum Schreiben haben?« fragte Zainal, und Mitford reichte ihm schnell ein paar Bögen Papier und einen Bleistift. Mit kräftigen, klaren Strichen skizzierte Zainal das Innere des Scout-Schiffs. Berts Augen weiteten sich, während Raisha die Zeichnung mit wachsender Faszination betrachtete.
»Das Innere eines Catteni-Scouts?« fragte Bert und schaute Zainal ungläubig an. Raisha rutschte vor bis zur Kante ihres Hockers.
»Haben Sie ihnen nichts von Phase Eins erzählt, Sergeant?« wollte Zainal wissen, während er seine Zeichnung vervollständigte.
Kris verbarg ihr Grinsen hinter der Hand, denn Zainal hatte sich plötzlich in einen typischen Emassi verwandelt, und Mitford reagierte, indem er sich kerzengerade aufrichtete, wie es sich für einen Untergebenen gehört. Er warf einen spaßigen, aber respektvollen Blick in Zainals Richtung, ehe er das Wort ergriff.
»Bert, Raisha, wir haben die Absicht, uns heute nacht ein Scout-Schiff zu schnappen«, sagte er, und beiden sackte der Unterkiefer herunter. »Vor ein paar Nächten hat ein Schiff der Catteni vier Kommandorypen auf einem Feld abgeladen.«
»Oho!« sagte Raisha und wurde blaß.
»Das war dann wohl ihr erster Fehler«, sagte Bert mit einem selbstzufriedenen Grinsen.
»Und ihr zweiter Fehler war anzunehmen, es wäre einfach, Zainal zu finden«, sagte Mitford. »Glücklicherweise haben die Aasfresser Stiefel und einige andere ungenießbare Teile der Ausrüstung übriggelassen. Daher können wir das Scout-Schiff hierherlocken.«
»Sie meinen, heute nacht?« Raisha rutschte auf ihrem Hocker noch weiter nach vorne und atmete tief ein.
Kris konnte in diesem Moment nicht mehr an sich halten. »Ich habe sie angewiesen, leise zu landen, ohne Licht, um mich und den bewußtlosen Zainal abzuholen.
Ich brauchte Hilfe, um ihn zu transportieren; er hätte bei einem Fluchtversuch zwei Leute umgebracht, ehe ich ihn ausschalten konnte.« Raisha schaute ein wenig verwirrt drein. »Ein Paar Stiefel war erheblich kleiner. Cherchez la femme.«
»Ach, ich verstehe«, sagte Raisha. »Nur wie können wir den Aasfressern entgehen?«
Mitford schilderte den Rest von Phase Eins, und die beiden klatschten Beifall, als er geendet hatte.
»Sehen Sie, ich habe eine lange Ausbildung absolviert, bin aber nur einmal geflogen«, begann Raisha unsicher.
»Ich hatte nur zwei Flüge, aber einen als Navigator«, sagte Bert, obgleich beide trotz ihrer Unerfahrenheit unbedingt mitmachen wollten.
»Sie werden es schon schaffen«, sagte Zainal so überzeugt, daß sie ihre Einwände vergaßen. »Ein Scout-Schiff kann höchstens sechs Personen befördern. Vier wurden abgesetzt. Ich denke, es sind demnach nur noch zwei übrig. Beide können gebeten werden, Arvonk, der Kontaktperson, behilflich zu sein.« Er deutete auf Kris. »Vielleicht auch nicht. Wenn wir sie töten müssen und dann ins Schiff steigen, sieht es darin so aus.«
Er führte sie auf der Zeichnung ins Innere des Scout-Schiffs, machte sie mit der Kontrolltafel vertraut und erklärte ihnen die einzelnen Schritte der Flugvorbereitung. Er nannte ihnen die Farben der wichtigsten Schalter und zeichnete Diagramme der Symbole über den Kontrollen. Sie konzentrierten sich auf Mitfords Vortrag, und Kris konnte spüren, wie sie die Worte und die Zeichnungen in ihrem Gedächtnis speicherten.
»Wir nehmen Leon, der Catten spricht, um eine letzte Warnung vor Zainal und seinen Tricks zu senden …« Wieder führte er den Finger an seinem Hals vorbei und grinste. »Ich zeige Ihnen, wie Sie den Mond umkreisen und anschließend wieder landen.« Er wandte sich an Mitford. »Wir verstecken den Scout, und dann bringe ich Ihnen schnellstens bei, wie man ein Schiff der Catteni lenkt.«
»Das tun Sie?« Bert sprangen fast die Augen aus dem Kopf, während Raisha plötzlich gelassenes Selbstvertrauen demonstrierte und leise seufzte.
Zainal hatte zwei Menschen sehr glücklich gemacht. »Prägen Sie sich die Zeichnung ein. Kris und ich müssen nun unser Team vorbereiten.«