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Die Straßenbeleuchtung war aus, der nächtliche Himmel mit dichten weißen Wolken überzogen, die ein schummriges Licht auf den überwucherten Vorgarten warfen und die Hitze wie eine Decke einschlossen. Atlanta im Sommer: schwül und stickig. Die Anspannung und die Feuchtigkeit ließen mir den Schweiß von der Stirn und über meine geschwärzten Wangen laufen. In meinen Tarnklamotten hockte ich mich neben die Eingangstür und kramte in meinem schwarzen Rucksack nach Tom. So nannte ich das Gerät, Tom, wie Peeping Tom, der Spanner. Es ist ein Miniaturbildschirm, der durch ein gut ein Meter langes Kabel mit einer Knopfkamera verbunden ist. Mit Toms Hilfe braucht man sich bei solchen Aufträgen nicht nur auf Vermutungen zu verlassen. Nachdem ich das Kabel mit der Kamera unter der Tür hindurchgeschoben und herumgedreht hatte, bekam ich einen ziemlich guten Blick ins Zimmer.

Der Gesuchte, Antonio Johnson, war ein Wiederholungstäter. Kaum zwei Monate aus dem Gefängnis entlassen, hatte er einen Laden überfallen. Vor drei Wochen hatte ich seine Fährte in Kanada aufgenommen und wieder verloren. Doch seine Exfrau lebte in Atlanta, und Johnson war dafür bekannt, ihr nachzustellen, und tatsächlich hatte er sie wieder belästigt. Über einen Freund bei der Polizei hatte ich herausgefunden, dass er sie von einem Münztelefon in einem schäbigen Motel in Atlantas drogenverseuchtem West End angerufen hatte. Dort spürte ich Leute auf, die Johnson kannten, und einer verpfiff ihn für vierzig Dollar. Er war in einer Wohnung an der Jonesboro Road in der Nähe des Bundesgefängnisses untergekommen, eine Gegend, in der selbst die Einheimischen ihre Autotüren verriegeln, wenn sie an einer Ampel stehen, und die jeder Pendler nach Einbruch der Dunkelheit lieber weiträumig umfährt.

Auf dem kleinen Monitor konnte ich ihn auf einem abgewetzten Sofa sitzen sehen, die Füße auf einem Couchtisch. Er schien allein zu sein, in der rechten Hand ein Bier, die linke lag in seinem Schoß und war teilweise verborgen. Was versteckst du da, Fettsack?

Während ich auf der Veranda in der Schwüle kauerte, genau über dem süßlichen Gestank des Mülls und leerer Bierdosen, roch ich etwas Synthetisches wie Sekundenkleber und Styropor.

Ich entsicherte die Glock und klopfte an die Tür. Ich wollte möglichst überzeugend wie eine Frau in Not klingen, wollte sagen, dass ich mal telefonieren müsste, dass ich eine Reifenpanne hätte, kurzum, ich wollte irgendwas sagen, damit er die verdammte Tür aufmachte. Ich war noch unschlüssig, aber ich hatte gelernt zu improvisieren, seit ich auf mich selbst gestellt war.

Johnson zögerte nicht. Auf meinem winzigen Monitor sah ich noch, wie etwas aus seinem Schoß hervorkam, und schon blies er ein faustgroßes Loch in die Tür, direkt neben meinem Ohr. Der Knall war laut wie ein Kanonenschlag und zersplitterte das Holz. Die Wucht schleuderte mich von der Veranda auf den Boden.

Ein weiterer Schuss. Das Vorderfenster ging zu Bruch, Scherben flogen umher. Ich kauerte mich an die Veranda, spürte Schnitte im Nacken und in den Armen, richtete mich dann so weit auf, dass ich ungefähr in Richtung des Fensters feuern konnte. Ich wollte ihn nicht erschießen. Ich wollte nur, dass er sich ein bisschen zurückzog.

Dann war alles still.

Geduckt lief ich die Stufen hoch. Noch immer kein Laut. Ich wollte gerade durch das Loch in der Tür greifen, um sie zu entriegeln, als ich es hörte. Er hatte eine verfluchte Pumpgun. Wenn man das Geräusch einmal gehört hat, vergisst man es nicht mehr. Der Vorderschaft wird zurückgezogen, der Verschluss öffnet sich, eine Hülse fliegt raus, der Vorderschaft wird zurückbewegt, eine neue Patrone wird geladen, der Verschluss schließt sich. Bei einem guten Schützen dauert das Ganze nur den Bruchteil einer Sekunde, und Johnson hatte eine Menge Übung.

Ich presste mich mit dem Rücken an die Wand, holte Luft und hielt einen Moment inne. In solchen Situationen ist es immer ratsam, eine kurze Kosten-Nutzen-Rechnung anzustellen. Wollte ich mich wirklich umbringen lassen, um diesen Kerl einzulochen? Verdammt, nein, das wollte ich nicht, doch der Adrenalinfluss, den solche Ereignisse hervorrufen, trieb mich vorwärts und nicht zurück, das illustriert vielleicht am besten den Unterschied zwischen Leuten meiner Branche und der normalen Bevölkerung.

Bum! Johnson hatte seine Pumpgun erneut abgefeuert. Wie bei einem Kanonenschlag spürte ich den Boden unter mir beben. Wahrscheinlich füllte er seine Patronen selbst. Wer weiß, womit er da auf mich schoss. Noch ein Teil der Tür flog heraus. Dann ertönte das rasche Knallen einer automatischen Waffe.

Auf drei, sagte ich mir.

Eins … zwei … zweieinhalb … zweidreiviertel. Scheiße! Drei!

Ich hob ein Bein und trat mit einem der Kampfstiefel, die ich bei solchen Jobs trage, so kräftig ich konnte gegen die Stelle direkt über der Klinke. Die Tür gab sofort splitternd nach und flog auf. Ich drückte mich wieder an die Wand und wartete.

Stille.

Ich umklammerte die Glock mit beiden Händen. Mein Herz schlug so heftig, dass ich spürte, wie eine Halsader gegen den Stoff pochte. Ich machte einen Schritt um die Ecke und inspizierte den Raum. Ein Wohnzimmer mit Essnische. Dahinter konnte ich die Küche erkennen sowie einen Flur. Wahrscheinlich gab es noch zwei weitere Zimmer und ein Bad. Kurz schaute ich nach draußen, ehe ich eintrat und die Türen und Fenster abzählte. Wo war er? Im Schlafzimmer, im Flur?

Dann Schüsse. Ich warf mich auf den Boden, rollte mich in die Essnische und feuerte ein paar Salven ab, damit er mir nicht zu nahe kam.

«Kautionseintreibung, Mr. Johnson! Lassen Sie Ihre Waffe fallen und kommen Sie mit den Händen hinter dem Kopf heraus! Sofort!»

«Eine Tussi?», rief Johnson zurück und lachte. «Nie im Leben!»

Ich hörte die Hintertür aufgehen und das Fliegengitter klappern. Ich lief in die Küche. Die Tür schwang noch, und ich sah die weißen Buchstaben auf Johnsons T-Shirt durch den dunklen Hinterhof zum Zaun wackeln.

Ich ging die Stufen zum Hof runter und schaute gelassen zu, wie sich Johnson dem Zaun und dem Tor näherte. Dort hatte ich etwas für genau diesen Fall installiert.

Es dauerte nicht lange. Der kleine Hof war mit einem Metallzaun umgeben, die Pforte mit einem hufeisenförmigen Riegel verschlossen. Johnson packte den Zaun, und als er sich gerade hinüberhieven wollte, warf die Explosion ihn zurück. Ich hatte nur ein bisschen Schwarzpulver, etwas Petrolatum, eine Batterie und ein paar Drähte benutzt. Noch in zwei Metern Entfernung klingelten mir die Ohren von dem Feuerwerk, und für ein paar Sekunden musste ich mir den Weg durch Millionen winziger Blitze bahnen.

Johnson lag reglos auf dem Bauch. Die Glock schussbereit in beiden Händen, ging ich vorsichtig zu ihm. Er war zwar ausgeknockt, atmete aber regelmäßig. Ich zog seine dicken Arme nach hinten. Die Handflächen waren versengt.

«So dramatisch sollte es eigentlich nicht werden», sagte ich zu seinem schlaffen Körper, während ich ihm die Handschellen anlegte, einen Gürtel durchzog und dann um seine Taille wickelte. «Aber ich habe eben überhaupt keine Ahnung von Sprengstoffen.»

Ich drehte Johnson auf den Rücken, hob seine riesigen Füße an und versuchte ihn wegzuziehen. Verdammt. Der Kerl wog mindestens hundertzwanzig Kilo und rührte sich nicht. Ich bin auf Zehenspitzen eins fünfundsechzig groß und wiege fünfzig Kilo. Nachdem ich ihn ungefähr zehn Zentimeter weit geschleift hatte, gab ich auf. Ich hätte über Handy die Polizei anrufen können, aber dort hätte man sich wochenlang über mich lustig gemacht.

Ich ließ seine Beine fallen und stieß ihm den Lauf der Glock in die Rippen. «Na los, du Riesenbaby, aufwachen.»

Es dauerte eine Ewigkeit, bis seine Lider aufgingen und er geradeaus gucken konnte.

«Hi», sagte ich fröhlich und leuchtete ihm mit der Taschenlampe in die blutunterlaufenen braunen Augen. «Erinnerst du dich an mich?»

Er krümmte sich wütend und grunzte wie ein Tier, als er merkte, dass seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren.

«So, willst du jetzt deinen fetten Arsch zum Wagen bewegen, oder soll ich die Bullen rufen?»

«Und wer bist du, wenn du kein Bulle bist?»

Gute Frage, dachte ich. «Sobald ich das herausgefunden habe, lasse ich’s dich wissen», sagte ich und stieß ihn erneut, damit er aufstand. Doch da er sich mit den Händen nicht abstützen konnte, hatte er Probleme. Ich stellte mich hinter ihn und zerrte ihn hoch.

«Schon mal über eine Diät nachgedacht?»

«Das gefällt dir doch, du Schlampe», lallte Johnson. Er schien ziemlich benebelt zu sein. «Du bist doch scharf auf Antonio. Gib’s doch zu.»

Aber sicher. Ich steh auf vorbestrafte, fette Arschlöcher.

«Okay, Fettsack. Dann machen wir beiden mal eine kleine Spritztour.»