Als Jan den Beschluss gefasst hatte, Bauer zu werden, war für ihn klar, dass die Tierhaltung auf Butenland wesentlich artgemäßer werden sollte. Außerdem stellte er auf biologische Wirtschaftsweise um. Nach der Übernahme des Hofes erneuerte er den alten, dunklen und schlecht belüfteten Stall. Die Kühe standen fortan auf Einstreu statt auf Beton und Gummimatten. Im Winter blieben sie nicht mehr durchgängig an der Kette und durften stundenweise auf den Hof. Er richtete ihnen eine Abkalbebox für die Geburt der Kälber ein und sorgte dafür, dass sie ihre Kälbchen zumindest 14 Tage lang behalten durften. Für das Kalb sei jeder Tag bei der Mutter ein Gewinn, sagt Jan. Besser seien neun Monate. Aber ein Bauer, der überwiegend von der Milchwirtschaft lebe, habe gar keine andere Wahl, als die Kälber möglichst bald nach der Geburt wegzunehmen. Wenn sich Mutter und Kalb schon kennengelernt hätten, sei das unheimlich dramatisch. Die Trennung sei dann immer brutal, egal ob nach 14 Tagen oder drei Monaten. Kühe und Kälber riefen einander, und sie würden ihre Stimmen auch über Hunderte von Metern erkennen. Einige wenige Milchviehbetriebe betreiben eine sogenannte muttergebundene Kälberaufzucht. Dort dürfen die Kälbchen in einem Zeitraum von einigen Wochen bis zu wenigen Monaten bei ihren Müttern saugen. Zusätzlich werden die Mutterkühe gemolken. Allerdings ist die Milch-Ertragsmenge so natürlich geringer, die Wirtschaftlichkeit daher zweifelhaft, und nach der Trennung leiden Kühe wie Kälber dort ebenfalls.

Nach 20 Jahren Kühemelken, Kälbermästen und Zum-Schlachten-Verkaufen konnte er dem Bauerndasein nichts mehr abgewinnen. »Ich war nie zufrieden«, sagt Jan. »Ich hatte doppelte Arbeit, aber es war nicht wirklich artgemäß. Irgendwann kam der Punkt, wo ich keiner mehr sein wollte, der für die Menschen Fleisch produziert.« Auch mit den Milchkühen hatte er zunehmend Mitleid. »Weil es Säugetiere sind, denen man immer die Kinder nimmt. Das ist schon ein ziemlicher Schmerz«, glaubt er. »Und keine Kuh lässt sich freiwillig vom Bauern melken. Der muss erst mal den Willen der Kuh brechen. Das geht bei Kühen sehr einfach, weil das sehr liebe, sanftmütige Wesen sind.« Dazu fixiere man ihre Beine mit Seilen, oder zwei Männer hielten sie fest und bögen den Schwanz nach oben, bis sie sich das Melken gefallen lasse. Nach dem vierten oder fünften Mal lasse sie sich dann »freiwillig« melken, weil sie merke, dass Widerstand zwecklos ist. Auch bei anderen Nutztieren kann Jan sich nicht vorstellen, dass sie neben dem eigenen Kind freiwillig ein anderes Lebewesen an ihr Euter lassen. Er weiß, dass Schafe sich energisch zur Wehr setzen, wenn ein fremdes Lamm saugen will. »Da wird gestoßen und getreten. Und warum sollte der Mensch das dürfen? Das geht nur mit Gewalt.«

Willems Rettung

Noch ohne Plan für die Zukunft beschloss Bauer Jan, alle seine Tiere an den Schlachter zu verkaufen. Die Kühe wurden in einen großen doppelstöckigen Transporter getrieben. Karin konnte das nicht mit anschauen, sie hätte den Lastwagenfahrer am liebsten weggeschickt. Zwölf Tiere gingen dann aus Platzgründen nicht mehr rein, unter ihnen der Ochse Willem. Sie sollten ein paar Wochen später abgeholt werden. Nachdem fast die ganze Herde abtransportiert worden war, ging es auch Bauer Jan schlecht. »Das war schon schlimmer, als wenn man drei, vier Kühe weggibt.« Und weil Tiere getötet worden seien, die gar nicht hätten getötet werden müssen, habe er ein verdammt schlechtes Gewissen gehabt, erinnert er sich. »Da war ich richtig fertig.« In den darauffolgenden Tagen reifte der Entschluss, die übrig gebliebenen Tiere als Hoftiere zu behalten und ihnen ein langes Leben zu versprechen. Das war der Anfang des Kuh-Altersheims.

Natürlich sind sie seither Gesprächsstoff in der Nachbarschaft. Und man wundert sich, dass sie beide erst morgens um neun Uhr aufstehen, wohingegen andere schon ab sechs arbeiten müssen. Sie haben aber auch Zuspruch von anderen Bauern erhalten, die aus den gleichen Gründen wie Jan keine Tiere mehr halten. Und die irgendwann auf freien Flächen Kühen die Chance geben wollen, alt zu werden, weil sie es ebenso fürchterlich finden, was in der Landwirtschaft passiert. Inzwischen gibt es keine Form der Tierhaltung mehr, die für Bauer Jan akzeptabel wäre. »Ich bin so weit zu sagen, wir haben als Lebewesen überhaupt nicht das Recht, andere Tiere zu züchten und zu nutzen.« Seit Bauer Jan auf dem eigenen Hof mitbekommen hat, wie ausgepowert selbst die Biohennen sind und wie früh sie sterben, mag er selbst deren Eier nicht mehr essen. Seit ein paar Jahren ernähren er und Karin sich daher vollständig vegan. Nicht von heute auf morgen. Es fing vor 25 Jahren mit einem vegetarischen Tag in der Woche an. »Als erster Schritt ist vegetarisch immer gut«, sagt Jan. »Keiner wird vom normalen Esser zum Veganer. Wenn jemand sagt, ich bin Vegetarier, aber irgendwann werde ich Veganer, ich schaffe es nur noch nicht, dann finde ich das o.k.« Er versteht auch Vegetarier, die sich aus gesundheitlichen Gründen so ernähren. »Aber wenn einer sagt, ich bin Vegetarier, weil ich nicht mit ansehen kann, wie Tiere gehalten werden, und das Tierleid verhindern will, kann ich das nicht akzeptieren. Es fängt an bei den Eiern, ob es nun Bioeier sind oder konventionelle. Die männlichen Küken sind grundsätzlich über und werden vernichtet. Und bei der Milch, beim Käse und bei der Butter ist es ja ebenfalls so, dass die männlichen Kälber und auch die weiblichen Tiere, die nicht mehr genug Milch produzieren, alle geschlachtet werden.« Er sei aber schon froh über alle, die sich überhaupt Gedanken machten über das Leben und über die Gesundheit und die über Tiere und Tierschutz nachdächten. »Ich weiß nicht, ob das eine Frage von Intelligenz oder von Sensibilität ist«, sagt Jan. »Auf der anderen Seite hast du Menschen, denen ist das so was von egal. Die freuen sich aufs nächste Grillen, Bierchen dabei, und Ruhe ist.«