Schmerzhafter Vorteil

Um das Vorhandensein einer psychologischen Dimension des Schmerzreizes bei nicht menschlichen Lebewesen zu untermauern, gibt es neben den bereits genannten wie Erinnerung, Lernen und Abwägen gegen andere Bedürfnisse noch ein weiteres entscheidendes Kriterium. Die Fähigkeit einer bewussten Schmerzempfindung sollte dem Organismus von Nutzen sein. Bewusste Schmerzen dürften vermutlich einen guten Langzeitschutz vor Gefahren und Verletzungen bieten, indem sie einem Tier helfen, sich an eine unangenehme Situation zu erinnern, die es fortan meidet. Dazu muss ein Tier zwischen Situationen und Objekten unterscheiden können, die nützlich oder schädlich für es sein können, also gleichzeitig mehrere Informationsquellen auswerten. Die Professorin für Tierverhalten an der Universität Oxford, Marian Stamp Dawkins, glaubt, dass bewusste Erlebnisse von Hunger, Angst oder Schmerz dem Überleben dienen. Auch erfreuliche Empfindungen wie Vergnügen oder Erfüllung können Tieren helfen, ein dem Überleben oder Fortpflanzungserfolg dienliches Verhalten an den Tag zu legen.

Bewusste Erlebnisse sind starke Motivationshilfen, Situationen zu suchen oder zu vermeiden. Die Stärke einer Motivation oder die subjektive Bedeutung eines Gefühls ist durchaus messbar, wenn man Tiere in Situationen bringt, in denen sie verschiedene Handlungsmöglichkeiten haben und Bedürfnisse gegeneinander abwägen können. Es gibt eine Vielzahl von Beobachtungen und einige systematische Untersuchungen, die ein Bewusstsein bei Fischen nahelegen. Forellen etwa sind bereit zu hungern, wenn die Futteraufnahme mit einem Schmerzreiz verbunden ist. Dagegen nehmen sie leichte Stromstöße in Kauf, wenn sie dafür in der Nähe eines Artgenossen bleiben dürfen. Siamesische Kampffischmännchen, die einen Revierkampf mit einem Artgenossen verloren haben, verbringen weniger Zeit mit der Werbung um ein Weibchen, das ihre Niederlage beobachtet hat, als mit anderen Weibchen – womöglich, weil sie sich bei Ersterem geringere Chancen ausrechnen. Ein Fischbewusstsein scheint also durchaus möglich. Verschiedene Fischarten sind darüber hinaus in der Lage, Schwarmmitglieder und Verwandte individuell zu erkennen und soziale Rangordnungen zu etablieren. Manche können sich in beeindruckender Weise räumlich orientieren und sogar Werkzeug benutzen: Forschern gelang es, einen Lippfisch dabei zu filmen, wie er einen Stein verwendete, um eine Muschel zu knacken. Einige Fische verfügen erwiesenermaßen über ein Langzeitgedächtnis. Sogar Spielverhalten wurde bei einigen Fischarten dokumentiert, unter ihnen der Weiße Hai. Der will also auch nur spielen.

Krebsleiden

Alle Kriterien, die für ein bewusstes Schmerzempfinden sprechen, finden sich auch bei zumindest einigen Gruppen von Wirbellosen. Die Gehirne einiger Arten sind erstaunlich komplex und haben funktionell klar getrennte Bereiche, um Schmerzempfindungen zu ermöglichen. Verhaltensexperimente, besonders mit Krebstieren und Weichtieren, weisen auf ein bewusstes Schmerzempfinden hin. Bei Garnelen und Einsiedlerkrebsen konnte man beobachten, dass leichte Stromstöße sie motivierten, ihre bisherige Behausung schneller zu wechseln. Dies geschah jedoch nicht unmittelbar nach dem Elektroschock, sondern erst, als ihnen die Situation geeignet erschien – weil die Beleuchtung schwächer bzw. ihnen eine alternative Behausung angeboten wurde. Weniger bevorzugte Gehäuse verließen die »geschockten« Einsiedlerkrebse eher. War jedoch der Geruch eines Fressfeindes wahrnehmbar, zögerten sie länger, ihre alte Behausung zu verlassen. Sie haben sich den Schmerz der Elektroschocks gemerkt und gegen andere Gegebenheiten abgewogen. Auch die Fressfeinde der Einsiedlerkrebse können das offenbar. Kraken ändern die Taktik, sich ihrer Beute zu nähern, wenn die Krebse eine nesselnde Seeanemone auf das von ihnen bewohnte Schneckengehäuse »gepflanzt« haben. Dann blasen die Kraken einen Wasserstrahl auf die Anemone und versuchen, den Krebs mit einem einzelnen ausgestreckten Arm zu erwischen. Auch wenn dieses Vorgehen weniger effizient ist, vermeiden sie damit schmerzhafte Berührungen mit der Anemone. Zumindest einige Krebs- und Weichtiere können demnach interne wie externe Informationen kombinieren und komplexe Entscheidungen treffen. Das lässt sich schwerlich allein mit reflexhaftem Verhalten auf einen unbewussten Schmerzreiz erklären.

Fischen fehlt zwar der Neocortex, also die Großhirnrinde, die bei Säugetieren die entscheidende Rolle bei der bewussten Schmerzwahrnehmung spielt. Offenbar ist der Neocortex aber keine Voraussetzung hierfür, da andere Hirnteile diese Aufgabe übernehmen können. Analoge Entwicklungen bei anderen Tiergruppen wie Krebsen und Weichtieren sind wahrscheinlich. Das bestätigt auch der philosophische Tierarzt Professor Jörg Luy. Auch bei Insekten sei das Artenspektrum so riesig und unterschiedlich, dass es von einer Art Biorobotern bis zu bewusst empfindenden Lebewesen reichen dürfte, glaubt er. Bei Bienen und anderen sozialen Insekten kann sich ein guter Teil der damit beschäftigten Wissenschaftler ein Schmerzempfinden vorstellen. Möglicherweise fühlen Fische und andere Tiere Schmerz und vielleicht auch Freude anders, als wir es kennen. Aber sie müssen keineswegs unfähig sein, vergleichbare Gefühlszustände zu erleben.

Fehlende Konsequenzen

Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kennt wissenschaftliche Belege, die die Annahme stützen, dass zumindest einige Fischarten von ihren Hirnstrukturen her in der Lage sind, Schmerz und Angst zu empfinden. Allerdings sind nur wenige der etwa 20000 bekannten Knochenfischarten im Detail untersucht worden, weswegen die Behörde Verallgemeinerungen, die das gesamte Spektrum an Fischarten einschließen, für unzulässig hält. Im österreichischen Tierschutzgesetz sind inzwischen Kopffüßer wie Kraken und Tintenfische sowie Zehnfußkrebse wie Hummer und Garnelen den Wirbeltieren in vielen Punkten gleichgestellt. Politisch sind echte Konsequenzen aus dem Schmerzempfinden von Meeresbewohnern dennoch ein Tabuthema. Zwar fordert die deutsche Tierschutz-Schlachtverordnung, wenn auch wiederum mit Ausnahmen, auch Knochen- und Knorpelfische vor der Schlachtung grundsätzlich zu betäuben. In der Praxis ist das aber eher selten der Fall und gerade bei Massenfängen auf See praktisch unmöglich. Wörtlich heißt es dazu: »Die Vorschriften dieser Verordnung sind nicht anzuwenden bei … einem Massenfang von Fischen, wenn es auf Grund des Umfangs und der Art des Fangs nicht zumutbar ist, eine Betäubung durchzuführen.« Auch wirbellose Meerestiere wie Hummer, Garnelen und Miesmuscheln braucht man gesetzlich bisher nicht zu betäuben, bevor man sie durch kochendes Wasser oder 100 Grad heißen Dampf tötet.

Tiere essen

Bis sich theoretisches Wissen in persönlichem Handeln niederschlägt, dauert es offenbar auch bei mir eine ganze Weile. Oder dieses Wissen löst sogar erst einmal eine gegenteilige Reaktion aus. In den letzten Tagen habe ich nämlich für meine Verhältnisse richtig oft Fleisch gegessen. Sogar ganz offen am Abendbrottisch meiner westfälischen Verwandten – ein Brot mit rohem Schinken. Doch irgendwas passiert gerade mit mir. Vielleicht liegt es an meiner aktuellen Lektüre, dem Buch Eating Animals (»Tiere essen«) von Jonathan Safran Foer, oder an meinen bisherigen Recherchen wie etwa den Berichten über die Probleme in deutschen Schlachthöfen. Irgendetwas hat wohl einen Prozess bei mir in Gang gesetzt. Plötzlich möchte ich kein Fleisch mehr essen und auch keinen Fisch mehr. Ich will da nicht mehr mitmachen, ausnahmslos. Vielleicht waren die vergangenen Tage wirklich meine letzten mit Fleisch. Wieder daheim, habe ich auf meine eigene allwöchentliche Öko-Räucherknacker verzichtet und wohlweislich nur zwei statt drei gekauft. Meine Tochter hat noch vor dem Mittagessen nahezu beide verputzt. Lediglich die Hülle der Wurst habe ich gekaut wie ein Kaugummi mit Wurstgeschmack. Warum gibt es so was eigentlich nicht? Es gibt ja auch Nikotinkaugummis für die Entwöhnung von Rauchern. Ein paar Tage später habe ich noch einmal Fisch gegessen, ein Lachsfilet, das noch bei uns im Tiefkühlfach gelegen hatte. Meine Tochter mochte es nicht, was meinen Anteil vergrößerte. Beim Einkauf für die Osterfeiertage habe ich dann die für mich üblichen Meeresprodukte wie Krabben, Sardellenpaste und Seehasenrogen-Kaviar im Supermarktregal liegen lassen. Es fiel mir nicht einmal schwer. Mal sehen, wie es weitergeht. Auf jeden Fall möchte ich mich erst einmal genauer mit den Methoden des Fischfangs beschäftigen.

Fisch ahoi

Unter Tierschutzaspekten ist der Umgang mit Meerestieren von enormer Bedeutung, allein schon durch die schiere Masse an getöteten Fischen und anderen Meeresbewohnern. Allein bei den registrierten Wildfängen – also den Fischen, die man im Süß- und Salzwasser als Nahrung für Menschen, Zuchtfische und andere Nutztiere sowie als Köderfische und für industrielle Zwecke fängt – kommen Schätzungen auf eine jährliche »Ausbeute« von 1 bis fast 3 Billionen (3000000000000!) Fischen. Daneben wirken die weltweit jedes Jahr für den menschlichen Verzehr getöteten 3 Milliarden Säugetiere und 57 Milliarden Vögel (nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO) fast wie eine Petitesse. Die Zahl der Fische wird anhand der jährlich gemeldeten Fangmengen in Tonnen grob berechnet. 90 Prozent der Fänge stammen aus dem Meer. Zu der jährlich gemeldeten Fangmenge von etwa 90 Millionen Tonnen Fisch kommen noch zwischen 11 und 26 Millionen Tonnen durch illegale Fischerei hinzu. Das bedeutet, dass vielleicht jeder fünfte Fisch aus illegalen Fängen stammt. Bei diesen Zahlen ebenfalls nicht berücksichtigt sind die nicht registrierten Fänge von Fischen, die als Lebendköder oder als Futter für Fisch- und Shrimpsfarmen dienen, sowie die Fische, die tödlich gestresst, erschöpft oder verletzt den Fangvorrichtungen entkommen oder in verloren gegangenen Fangvorrichtungen sterben. Zu der Zahl getöteter Fische kommen noch zahllose, aber nicht unbedingt schmerzlose Wirbellose und etliche Milliarden an Zuchtfischen hinzu. In den Mägen der Zuchtfische und anderer Nutztiere landet übrigens ein gutes Drittel der Wildfänge. Auch der Beifang darf nicht vergessen werden. Der ist oft unerwünscht und kann oder darf nicht vermarktet werden, weswegen man ihn meist tot oder sterbend zurück ins Meer kippt. Laut WWF (World Wide Fund for Nature) liegt pro Kilo der gefangenen »Zielart« der Beifang bei bis zu 20 Kilo. Nach vorsichtigen Schätzungen des WWF macht der Beifang um die 40 Prozent des weltweiten Fischfangs aus. Die FAO spricht von jährlich bis zu 30 Millionen Tonnen. Der WWF-Beifangrechner im Internet zeigt anschaulich, welche Fischarten und »Meeresfrüchte« wie viel Beifang verursachen. Wer also ungern Lebensmittel wegschmeißt, sollte effiziente Nahrung kaufen. Die meisten Meerestiere gehören nicht dazu. Da überlässt man das Wegschmeißen lediglich den anderen.

Tröstlich finde ich den Gedanken, dass zumindest die Wildfänge ein artgemäßes Leben hatten und nicht mit Antibiotika und ressourcenverschwendendem Mastfutter hochgepäppelt werden mussten. Ein natürlicher Tod in freier Wildbahn dürfte zudem nicht wirklich angenehm sein, doch damit begebe ich mich wieder auf das Argumentationsniveau von »Der Wolf frisst ja schließlich auch das Lamm«. Hurz!

Raue See

So freundlich, wie der kürzlich verstorbene Käpt’n Iglo dreinschaute, geht es auf hoher See nicht zu. Bis die Fischstäbchen in der Pfanne brutzeln, muss einiges passieren, das mit Tierschutz aber auch rein gar nichts zu tun hat. Da mag der Fisch so nachhaltig gefangen worden sein, wie er will. Ökologische Labelprogramme für Wildfisch wie das Marine Stewardship Council (MSC) wollen sich bislang nicht auch noch um das Thema Tierwohl kümmern, wie es der Schweizer Verein fair-fish.ch fordert. Daher gibt es keine Kennzeichnung von Wildfisch, der auf schonendere Weise gefangen und getötet wurde. Ohnehin gibt es davon nicht viel, denn schonende Fangmethoden sind bislang wenig im Einsatz und für den Massenfang ungeeignet. Die verbreiteten Fangmethoden sind ziemlich rüde:

Fischfangmethoden

Schleppnetz

Mit riesigen, eng zulaufenden Netzen verfolgen Schiffe Fischschwärme, die sie mit Hightech orten oder anlocken. Zusammengetrieben im vollgestopften Ende des Netzes, ersticken etliche Fische oder sterben an Kreislaufversagen, weil sie unter dem Druck der anderen Leiber ihre Kiemen nicht mehr bewegen können. Bis die Schleppnetze herausgeholt werden, können Stunden vergehen. Schon beim Heraufholen aus 20 Metern Tiefe können bei Fischen mit geschlossenen Schwimmblasen diese durch den schnellen Druckabfall platzen oder die Organe aus Mund und After drücken. Die Verfolgung und das Einfangen mit Schleppnetzen dürfte bei den Tieren erhebliche Angst und Schmerzen verursachen. Viele Grundschleppnetze, wie sie für Scholle, Krabbe und Seezunge Verwendung finden, zerstören zudem den Lebensraum vieler Lebewesen, indem sie durch den Meeresboden pflügen. Der ungewollte Beifang an Krebsen, Muscheln, Seesternen und Jungfischen ist enorm hoch. Der Einsatz solch rabiater Grundschleppnetze hat die gleiche verheerende Wirkung, als würde man den Wald niederbrennen, um Rehe zu fangen.

Ringwadennetz

Mit diesem Netz wird ein Schwarm umkreist. Ist der Kreis geschlossen, ziehen die Fischer das Netz unten zu. Gegenüber den Schleppnetzen haben die Ringwaden den Vorteil, dass sie einzelne Fischschwärme selektiver fangen können und sie schneller an Deck holen. Allerdings zeigen die Fische hier, wenn das Netz den Schwarm umschlossen hat und zusammengezogen wird, ebenfalls deutliche Panikreaktionen. Auch beim Hieven auf Deck werden Tiere zerdrückt oder verletzt. Ringwadennetze nutzt man etwa zum Thunfischfang. Da sich im Ostpazifik Thunfische unterhalb von Delfinschulen (so heißen deren Schwärme) aufhalten, treibt man die Delfine teils mit Schnellbooten bis zur Erschöpfung zusammen. Dann schließt man das Netz um die Thunfische. Erlaubt man den im Netz mitgefangenen Delfinen zu entkommen, bevor der Fang eingeholt wird, kann der Thunfisch als delfinfreundlich gekennzeichnet werden. Es kann aber passieren, dass bei der Hetzjagd Delfinbabys von ihren Müttern getrennt werden und allein keine Überlebenschance haben. Alternativ setzt man zum Anlocken von großen Fischschwärmen Geräte ein. Das führt allerdings zu anderem unerwünschten Beifang wie Haien, Schildkröten und jungen Thunfischen.

Kiemennetz

Es hängt als unsichtbarer Filter im Wasser und lässt Fische ab einer gewissen Größe nur mit dem Kopf durch die Maschen. Bei der Rückwärtsbewegung bleiben diese mit den Kiemen hängen und verheddern sich in ihrer Panik immer stärker. Es lässt sich schwer verhindern, dass sich Schildkröten, tauchende Vögel und Meeressäuger ebenfalls in den Maschen verfangen. Kleinmaschigere Netze führen zu größeren Beifängen, verletzen aber die gefangenen Tiere nicht so sehr. Kiemennetze können verloren gehen und über Jahre weiter Tiere fangen und töten (Ghost Fishing). Kiemennetze nutzt man in der deutschen Küstenfischerei als sogenannte Stellnetze zum Fang von Dorsch und Hering. Laut Bundesamt für Naturschutz verheddern sich viele der Vögel, die in den Fanggebieten rasten oder überwintern, in den feinen Maschen der Stellnetze und ertrinken. Die Bestände einiger Entenarten sind dadurch möglicherweise bereits gefährdet. Viele Beifänge gehen auf das Konto der Stellnetzfischerei von Zander, Hecht und Barsch. Allein in Mecklenburg-Vorpommern geht man – nach vorsichtigen Schätzungen – von rund 20000 getöteten Seevögeln pro Jahr aus.

Langleine

Sie trägt ihren Namen zu Recht. Tausende Haken hängen hier an Leinen von bis zu 100 Kilometern Länge. Üblicherweise werden lebende Köderfische maschinell auf die Haken gespießt. Die Fischer holen die Leinen oft erst nach Tagen ein. Beifang von Seevögeln, Schildkröten und anderen Fischen kommt auch bei Langleinen häufig vor. Dass auch Haie mitgefangen werden, ist nicht zum Nachteil der Fischer. Man schneidet ihnen beim sogenannten Finning die Flossen ab, um sie auf dem asiatischen Markt zu verkaufen. Haifischflossen zählen zu den teuersten Fischereierzeugnissen. Der »Rest« des Haies landet dann zum Sterben im Meer. Laut der Weltnaturschutzorganisation IUCN – das ist die mit der Roten Liste für bedrohte Arten – fallen jährlich über 30 Millionen Haie dieser Fischereimethode zum Opfer. Auch in der EU-Fischerei ist sie noch weitverbreitet, ja die EU ist sogar einer der wichtigsten Exporteure von Haifischflossen. Die EU-Kommission will die bedrohten Haie nun besser schützen: Die Fischer sollen künftig das ganze Tier anlanden müssen! Der Platz auf dem Schiff begrenzt somit ihre Fangmenge. Damit sich die Haie an Bord besser lagern lassen, soll es den Fischern erlaubt werden, die Flossen einzuschneiden und an den Haikörper zu »klappen«.

Angel und Leine

Schleppangeln an Schiffen, Angeln und Leinen oder Handleinen sind zum Teil beim Thunfischfang, ansonsten vorwiegend bei der handwerklichen Fischerei oder dem Freizeit-Angeln im Einsatz. Hier kommt es seltener zu unerwünschtem Beifang, eine automatische Entfernung des Hakens verstärkt jedoch die Verletzungsgefahr erheblich. Unter Tierschutzaspekten »unschön« ist dabei auch das Fangen größerer Fische mittels Spießen und die verbreitete Verwendung von lebenden Ködern. Köderfische haben bereits den Stress des Fanges und der zum Teil wochenlangen Aufbewahrung in engen Tanks hinter sich. An Haken aufgespießte Lebendköder leiden natürlich, doch das Freilassen von Köderfischen im offenen Meer, etwa um Thunfische anzulocken und bei ihnen einen Fressrausch auszulösen (die Thunfische schnappen im Rausch nach allem, auch nach Angelhaken), ist aus Sicht der Köderfische auch kein Gewinn. Der Mensch bedient sich nicht allein der Brutalität der Natur, er schafft es, diese noch zu steigern.

Und wenn sie nicht gestorben sind

Etliche Fische bleiben über Stunden und Tage verletzt in den Fangvorrichtungen. Tierschützer fordern daher vor allem, die Fangdauer stark zu verkürzen. Aber auch das Töten der Tiere in der industriellen Wildfisch-Fischerei läuft bisher alles andere als »human« ab. Schonende Methoden zur Massenschlachtung auf See gibt es noch nicht. Leben die Fische an Bord oder Land noch, dauert es einer niederländischen Untersuchung zufolge zwischen einer und vier Stunden, bis die erstickenden Tiere ihr Bewusstsein verlieren. Werden die Fische derweil auf Eis gekühlt, verlängert und verstärkt das vermutlich ihr Leiden. Viele Fische tötet man durch Ausnehmen bei lebendigem Leib oder indem man, etwa bei Wildlachs, die Kiemenbögen herausreißt. Eine vorherige Betäubung ist die Ausnahme. Sogar ausgenommene Fische sind nicht unbedingt sofort tot. Bei dem bei Heringen üblichen Kehlen zieht man die Eingeweide durch den Schlund heraus – dabei bleiben durchaus Teile davon im Bauch zurück. Gekehlte Heringe werden laut der holländischen Studie erst nach 25 Minuten, manchmal erst nach über einer Stunde empfindungslos.

Wenn ich mir diese Fangmethoden so anschaue, erscheint mir mein Angeln im Urlaub damals wenig brutal. Woher auch immer mein Anglerwissen stammte, bei der Tötung wendete ich die als schonend geltenden Methoden an: entweder einen festen Betäubungsschlag auf den Kopf mit sofortigem Ausnehmen oder Entbluten, oder das Spiking, bei dem der Angler einen Metalldorn ins Fischhirn rammt. Sushi-Köche verlangen oft Fische, die auf diese Weise getötet wurden, weil sie für die beste Fischfleischqualität sorgt.

Zuchtfische aus Fischzuchten

Eine »humane« Tötung ist auch bei Zuchtfischen leider nicht die Regel. Elektrische Betäubungsbäder sind im Prinzip dafür gut geeignet. Sie setzen die Fische unter Strom und betäuben oder töten sie. So kann eine große Zahl von Fischen getötet werden, ohne sie bei Bewusstsein aus dem Wasser nehmen zu müssen. Die Methode findet zunehmend Verbreitung, birgt aber dennoch einige tierschutzrelevante Probleme. So warnt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), dass die Fische bei unsachgemäßer Anwendung leiden könnten, etwa wenn die Stromstärke zu gering ist oder – bei Einzelbetäubungen – die Fische mit dem Schwanz zuerst in die Anlage kommen. Die EFSA ist zudem unsicher, ob die gängigen Anlagen so arbeiten, dass die Fische vor dem Ausbluten richtig betäubt werden. Kennen wir dieses Problem nicht auch von den Schweinen? In einigen außereuropäischen Ländern wie Neuseeland und Chile narkotisiert man Fische mit Nelkenöl, das ins Beckenwasser geleitet wird. In Europa schrecken wohl die hohen Kosten für die Zulassung des Betäubungsmittels vor dieser Methode ab. Den Schlag auf den Hinterkopf gibt es auch bei Zuchtfischen. Bei der Betäubung per Hand muss der Fisch aus dem Wasser geholt werden, was für ihn Stress und Sauerstoffmangel bedeutet. Bei der automatischen Variante mit Betäubungsmaschinen muss sichergestellt sein, dass diese korrekt auf die jeweilige Größe des Fisches eingestellt ist, sonst trifft der Schlag nicht richtig. Weniger Stress vor der Tötung ist nicht nur gut für den Fisch, es verbessert bei Zuchtfischen und vermutlich auch bei Wildfängen die Fleischqualität. Aber darauf kommt es ja nicht unbedingt an, entscheidendere Kriterien sind meist geringe Kosten und eine einfache Anwendung.

Auch Zuchtfische lässt man zum Ersticken an Land liegen oder ohne Betäubung ausbluten, auch sie werden bei Bewusstsein ausgenommen. Lebende Aale in Salz zu entschleimen oder in Ammoniak zu betäuben, ist genauso barbarisch und zwar in Deutschland, nicht aber in der EU verboten. Viele Zuchtfische sterben »on the rocks«, sie ersticken in einem Eisbrei, der ihre Muskulatur lähmt. Der Temperaturschock dürfte zusätzliches Leiden verursachen. Gleiches gilt für die Umsetzung in sehr kaltes Wasser. Die Fische verlieren dadurch nicht das Bewusstsein, sondern nur die Fähigkeit, sich zu regen. Zur schnellen Tötung oder verlässlichen Betäubung sind diese Methoden völlig ungeeignet. Fischfarmbetreiber beabsichtigen mit der Kühlung, den Beginn und das Ende der Leichenstarre zu verzögern, um das Fleisch länger frisch zu halten. Auch die CO2-Betäubung verursacht keine verlässliche Bewusstlosigkeit vor dem Entbluten. Während sie CO2 ausgesetzt sind, zeigen Lachse Reaktionen, die auf erheblichen Stress hinweisen. Werden sie zuvor gekühlt, können sie die Reaktionen vermutlich nur aufgrund der Muskellähmung nicht mehr zeigen. Die CO2-Betäubung ist daher ebenfalls eine Qual, mit oder ohne Unterkühlung, dies bescheinigt auch die EFSA, auch wenn ihr Gremium für Tiergesundheit und Tierschutz das etwas anders ausdrückt. Es spricht von »hohen Risiken einer Verletzung von Tierschutzprinzipien«. Dennoch ist in Deutschland die CO2-Betäubung für Lachsartige wie die Regenbogenforelle zugelassen.

Die Vorbereitung auf die Schlachtung ist bei Zuchtfischen häufig ebenso wenig tiergerecht: Das Zusammendrängen der Fische, der Transport über Pumpen oder in Tanks, die vorübergehende Entnahme aus dem Wasser und besonders das Herausnehmen großer Mengen aus den Netzgehegen kann zu großem Stress und Verletzungen führen. Damit die Fische beim Transport durch einen verlangsamten Stoffwechsel weniger aktiv sind und die Wasserqualität der Transportbehälter durch ihren Kot nicht so beeinträchtigt wird, müssen die Tiere zudem einige Tage zuvor fasten.

Dreidimensionale Massentierhaltung

1970 stammten laut der Welternährungsorganisation FAO gerade einmal 4 Prozent der Fische und »Meeresfrüchte« aus der Zucht. Inzwischen ist es mit etwa 55 Millionen Tonnen im Jahr etwa die Hälfte aller vom Menschen verspeisten Meerestiere. Den größten Anteil an der Fischzucht nehmen mit etwas über 50 Prozent die Süßwasserfische wie der zu den Buntbarschen zählende Tilapia sowie Karpfenartige und Welse wie der Pangasius ein. Vietnam produziert 90 Prozent des Pangasius. Gut ein Viertel der in Aquakulturen gezüchteten Tiere sind Weichtiere wie Seeohren (eine Meeresschnecke), Miesmuscheln und Austern. Der Anteil von Krebstieren wie Garnelen, Wanderfischen wie Lachse und Meerforellen sowie von anderen Meeresfischen liegt zum Teil deutlich unter 10 Prozent.

Aquakultur reicht von Netzgehegen im offenen Meer bis zu geschlossenen Tanks an Land. Manche Arten lassen sich nicht künstlich züchten. Aale oder Thunfische werden daher als Jungfische in der Natur gefangen. Wie man es aus anderen industrialisierten Tierhaltungssystemen kennt, kontrollieren auch hier häufig Hightech-Systeme Futter, Licht und Wachstum. Um das Wachstum zu beschleunigen und das Fortpflanzungsverhalten zu ändern, nutzt man zudem Medikamente, Hormone und Gentechnik. Die Nutztierhalter in der Aquakultur ziehen keine verhaltensbiologischen Kriterien heran, um das Wohlbefinden der Tiere zu beurteilen. Ihnen reicht es, wenn es zu keinen offensichtlichen Erkrankungen kommt. Das gelingt allerdings zu Wasser oftmals ebenso schlecht wie an Land, denn in der intensiven Aquakultur ist die Besatzdichte ebenfalls sehr hoch, was zu den auch bei Landwirbeltieren bekannten Phänomenen führt.

Wenn sich Fische in der Natur in dichten Schwärmen aufhalten, sind alle Tiere in Bewegung. Das ist bei einem Schwarm intensiv gehaltener Zuchtfische kaum möglich. Eine reizarme, unstrukturierte Umgebung, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, ein eingeschränktes Sozialverhalten, Verletzungen durch andere Tiere und das Becken sowie eine schlechte Wasserqualität verursachen Dauerstress und erhöhen damit die Infektionsgefahr. Der Befall mit Parasiten ist daher ein großes Problem, zumal diese sich in der Enge leicht ausbreiten können. Die Besatzdichte in vietnamesischen Pangasius-Zuchtteichen reicht von 20 bis zu 80 Fischen je Kubikmeter Wasser. Gegen das Infektionsrisiko aufgrund der hohen Tierdichte setzen die Halter Unmengen an Antibiotika ein, die häufig ungefiltert in die Umwelt gelangen und zur Resistenzentwicklung von Krankheitserregern führen können. Nur 0,2 Prozent des Pangasius stammen aus ökologischen Aquafarmen. In allen Fischfarmen verbreitet sind Meerläuse, die Haut und Schuppen verletzen, sodass die Fische von weiteren Infektionen befallen werden können. Züchter bekämpfen Meerläuse mit Chemikalien, allerdings haben sich auch hier schon Resistenzen ausgebildet.

Eine biologische Alternative zu diesen Chemikalien wären sogenannte Putzerfische, die Parasiten von der Hautoberfläche anderer Fische fressen, allerdings wären die Putzerfische unter den unnatürlichen Bedingungen ebenfalls großem Stress ausgesetzt. Bei Lachsen und Regenbogenforellen kommt es aufgrund aggressiver Auseinandersetzungen oft zur Flossenfäule. Und natürlich sind auch hier, wie bei den Nutztieren zu Lande, reichlich Medikamente im Einsatz. Fadenscheinige Argumente, die etwa bei Raubfischen vor einer zu geringen Besatzdichte warnen, weil die Tiere sich dann aufgrund des einsetzenden Territorialverhaltens gegenseitig noch mehr verletzen würden, klingen vertraut. Warum kupiert man eigentlich bei Fischen »aus Tierschutzgründen« noch nicht die Flossen und Schwänze? Es liegt auf der Hand, dass wandernde Arten wie Lachse, Forellen, Aale und Thunfische selbst in extensiven Biozuchten nie artgemäß gehalten werden können. Und über die Bedürfnisse anderer Arten weiß man längst noch nicht so viel, dass ein Biosiegel das Wohlbefinden garantieren könnte.

Fischgeschmack

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, ein- bis zweimal die Woche Fisch zu essen. Die Verbrauchsmenge der Deutschen im Jahr 2010 betrug 15,7 Kilo Fanggewicht pro Person. Da die Menge an verzehrfähigem Fisch knapp die Hälfte beträgt, wäre ein durchschnittlicher Jahresverbrauch von über 22 Kilo Fanggewicht nötig, um auf die von der DGE empfohlene wöchentliche Menge von 150 bis 220 Gramm zu kommen. Das entspräche einer Steigerung um 42 Prozent. Tatsächlich wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren immer mehr Fisch gegessen. Noch genauer kennt das Fisch-Informationszentrum die deutschen Vorlieben: Alaska-Seelachs (23,3 Prozent), Hering (20,0 Prozent), Lachs (12,8 Prozent), Thunfisch (10,0 Prozent) und Pangasius (5,6 Prozent) waren 2010 die zwischen Nord-, Ost- und Bodensee am meisten konsumierten Fische. Diese »Big Five« machten mehr als zwei Drittel des Fischverbrauchs in Deutschland aus. Fast 12 Prozent entfielen auf »Meeresfrüchte« wie Hummer, Scampi, Krabben, Austern, Calamares und Co. Nur 274000 Tonnen Fisch und andere Meerestiere stammen dabei aus deutscher Produktion, 88 Prozent, fast 2 Millionen Tonnen, sind importiert – ein Viertel aus Entwicklungsländern. So viel vorerst zum Thema Fischkonsum. Warum die Deutsche Gesellschaft für Ernährung will, dass wir Fisch essen und ob und inwieweit der Verzehr von Fisch wichtig (oder vielleicht sogar ungesund) ist, damit werde ich mich noch ausführlicher im Kapitel »Wir können auch anders« beschäftigen.

Gestern waren wir zum Hochzeitstag in unserem Lieblingsrestaurant, das nur Fisch und vegetarische Gerichte führt. Es war zwar nicht das erste Mal, dass ich dort keinen Fisch gegessen habe, aber das erste Mal, dass die Fische auf der Speisekarte für mich tabu waren. Ich möchte schließlich nichts mehr auf meinem Teller liegen haben, das auf jeden Fall gelitten hat. Tabu ist für mich inzwischen ebenso – wie schon früher einmal – das Fleisch von Nutztieren und Wildtieren. Dabei hatte ich im Zuge meiner Recherchen fest vorgehabt, »Wildbret« zu essen. Dieses Vorhaben ist gegessen. Auf die Jagd zieht es mich dennoch.