Vegetarier sind Mörder!?

Über Hähnchen, Hennen, Tierbefreier und ein Kuh-Altersheim

Ich bin ein Veganer – Stufe 5!
Ich esse nichts, was einen Schatten wirft.

Jesse Grass aus Die Simpsons

»Iss doch mal wieder eine Bratwurst«, rät mir Steffi beim Mittagstisch im Kreise unserer Kollegen. Sie will nicht glauben, dass ich jetzt endgültig auf Fleisch verzichten will. Schon steigt der nächste Kollege mit ein: »Dann darfst du aber auch keine Gummibärchen oder Schokolade essen, weil da auch Sachen von geschlachteten Tieren drin sind.« Jaja, dem Vegetarier schlägt bisweilen die Häme der Fleischesser entgegen. In der Tat steckt in Gummibärchen meistens Gelatine aus Schweinehaut. Und Schokolade wie auch Käse enthalten oft Süßmolke, die mithilfe von Lab gewonnen wird, das aus den Mägen geschlachteter Kälber stammen kann. So penibel muss der Vegetarismus-Kritiker jedoch gar nicht argumentieren, denn auch für Milch und Eier werden jedes Jahr zig Millionen Tiere gequält und getötet. Darüber klärt etwa die Website eines radikalen Veganers, vegetarier-sind-moerder.de, auf. Der Vegetarier macht es anscheinend keinem recht. Dennoch, warum sollte ich als Vegetarier auf Gummibärchen und Schokolade verzichten oder überhaupt irgendetwas nicht dürfen? Verliere ich dann Karmapunkte? Wer ist schon konsequent konsequent? Viele Bekannte von mir, die sich selbst als Vegetarier bezeichnen, essen Fisch. Ich selbst habe das ja auch 13 Jahre so gehandhabt. Niemand hat mir nahegelegt, entweder keinen Fisch mehr zu essen oder mich nicht mehr als Vegetarier zu bezeichnen. Insgeheim dürften sich ja viele über solche Inkonsequenzen freuen. Und wer Spaß an Gesinnungsolympiaden hat, darf anderen dafür Punktabzug erteilen. Ein fleischessender Freund hatte mir einst bei einer Paddeltour vorgehalten, dass ich auf die Salami zurückgriff, nachdem wir alle Käsevorräte verspeist hatten. In seinem Wertesystem war ein inkonsequenter Vegetarier schlimmer als jemand, der ohnehin immer Fleisch isst. Vielleicht wollte er die Salami auch bloß für sich alleine haben.

Der Hahn ist tot!

Die Viehzählung des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2009 hat mich geschockt: Gut 100 Millionen Hühnereier waren allein für die Legehennenproduktion in Deutschland bebrütet worden (2010: rund 113 Millionen). Die Tiere aus Betrieben mit weniger als 200 Vögeln und solchen für Zucht und Vermehrung waren dabei nicht mit eingerechnet. Aus den Eiern waren rund 40 Millionen »Gebrauchslegeküken« geschlüpft (2010: etwa 44 Millionen). Diese waren logischerweise weiblich, denn Legeküken wachsen zu Eier legenden Legehennen heran. Doch was wurde aus den anderen 60 Millionen Eiern?

Natürlich schlüpft nicht aus jedem Ei ein Küken. Es ist aber anzunehmen, dass das Geschlechterverhältnis in etwa ausgewogen ist. Für die vermutlich in gleicher Anzahl geschlüpften Hahnenküken macht die Statistik keine Zahlenangaben. Die männlichen »Legehennen« werden nach dem Schlüpfen von Mitarbeitern der Brütereien aussortiert. Früher konnten nur gut ausgebildete »Kükensexer« das Geschlecht anhand der winzigen Geschlechtsorgane erkennen. Dank geschickter Zucht lässt sich dies inzwischen einfach anhand der Gefiederfarbe ausmachen. Die ungewollten Hahnenküken werden dann mit CO2 vergast (ein qualvoller Erstickungstod) oder landen direkt im »Muser« oder Homogenisator, einem sehr schnell rotierenden Häcksler. Schließlich werden sie verbrannt oder zu Tierfutter für Pelztierfarmen, Zoos oder Hunde und Katzen weiterverarbeitet. Im Muser landen auch alle übrigen Eier, aus denen keine Küken geschlüpft sind, sowie die zu spät geschlüpften Küken, egal ob männlich oder weiblich. Das Aussortieren dieses sogenannten »Nachschlupfs« lohnt sich nicht. Anschaulich dokumentiert wird das »Kükensexen« in einem zweiminütigen Filmausschnitt, der 2006 im ZDFdokukanal ausgestrahlt wurde und den man sich mittlerweile im Internet auf mehreren Videoplattformen ansehen kann.

Den Hahnenküken der Legehennen-Rassen bleibt das Heranreifen zum Masthähnchen erspart. Diese Rassen wurden speziell zum Eierlegen gezüchtet und würden daher nur spärlich Fleisch ansetzen. Um die Lege- bzw. Fleischleistung der Hühner zu steigern, sind die Hühner Hybride, also Kreuzungen aus Elterntieren mit unterschiedlichen Eigenschaften. Und weil Hybride ihre Turboleistung nur sehr begrenzt weitervererben, stammt jede neue Kükengeneration aus wenigen internationalen Zuchtbetrieben, die aus den Erbanlagen speziell »ausgetüftelter« Zuchttiere Küken erzeugen. Zwei Konzerne teilen sich 90 Prozent des Weltmarktes.

Ausweg Ökoei?

Sieht die Situation in der ökologischen Tierhaltung nicht besser aus?, frage ich mich als großer Fan von Eiern. An Ostern darf es bei mir auch gerne mal ein halbes Dutzend sein. Mein Fachmann für Ökolandwirtschaft, Professor Bernhard Hörning von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, befasst sich speziell mit der ökologischen Tierhaltung. Leider hat er da keine guten Nachrichten für mich: »In der ökologischen Geflügelhaltung sind die Tiere die gleichen wie in der konventionellen Landwirtschaft.« Sie stammen aus den wenigen riesigen Zuchtkonzernen, die auch die konventionellen Betriebe beliefern und für Puten, Lege- und Masthühner ausschließlich Hybridtiere anbieten. In der Biolandwirtschaft sind die Zuchtalternativen bislang sehr beschränkt. Das Problem mit den männlichen »Eintagsküken« kennt man dort genauso. »Auch wenn die männlichen Küken der Legehennen nicht in den Biobetrieben selbst getötet werden, sondern schon vorher in den Brütereien, bleibt da eine gewisse Betroffenheit zurück«, sagt Hörning. »Man ist sich in den Biobetrieben dieser Sache bewusst, und es gibt verschiedene Bestrebungen, dort eine eigene Züchtung aufzubauen. Aber anders als bei der Haltung ist das etwas, das mehrere Jahre dauert, denn man kann nicht von heute auf morgen eine neue Rasse züchten.« Man forscht am sogenannten Zweinutzungshuhn – die Weibchen legen Eier, und die Männchen setzen dennoch ausreichend Fleisch an. Früher war die Doppelnutzung ganz normal, allerdings mit deutlich geringerer »Leistung«. Heutzutage wird versucht, durch viel Geld und intensive Forschung ein Zweinutzungshuhn zu schaffen, das die heutigen Leistungsanforderungen erfüllt. Das Problem beim Zweinutzungshuhn: deutlich weniger Eier und Fleisch. »Dies müsste der Verbraucher entsprechend honorieren«, sagt Hörning, »und das ist ein Hauptproblem in der ganzen Geflügelbranche: Durch die extreme Intensivierung sind die Produkte dermaßen billig, dass alle Alternativen deutlich teurer werden. Das Hähnchen würde viermal so viel kosten. Das geht dann nur in Richtung Premiumprodukt für Wenige.« Durch die Billigstpreise für Fleischwaren, mit denen der Handel auf den sogenannten »Schweinebauchseiten« seiner Reklamezeitungen die Kundschaft in die Geschäfte lockt, ist den Menschen das Gefühl dafür, was Fleisch eigentlich kostet, komplett abhandengekommen.

Im eigentlich noch jungen Alter von anderthalb Jahren sind die meisten Hennen »fertig« oder nicht mehr wirtschaftlich, denn Körper und Knochen machen die hohe Eiproduktion nicht lange mit. Das Fleisch der Legehennen wandert in die Suppe, sozusagen wie früher. Nach Angaben des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft gibt es selbst in Biobetrieben nur selten ein zweites Legejahr für die Tiere. Zuchtversuche auf eine längere Nutzungsdauer sind schwierig und teuer, auch diese Eier würden dann deutlich mehr kosten.

Ich wollt’, ich wär kein Huhn …

Wie erging es den 35 Millionen deutschen Legehennen in Betrieben mit mindestens 3000 Haltungsplätzen, die 2010 mit einer durchschnittlichen Legeleistung von 0,8 Eiern am Tag zusammen knapp 10 Milliarden Eier legten? 93 Prozent lebten in Betrieben mit 10000 und mehr Haltungsplätzen. Bei Biolegehennen dürfen es zumindest pro Stalleinheit nicht mehr als 3000 sein. Selbst wenn Hühner einige Dutzend Artgenossen individuell erkennen können, ist in dieser Größenordnung eine stabile Rangordnung unmöglich. Das führt zu dauerhaftem Stress. Bietet der in der Biohaltung vorhandene Auslauf den Hühnern als ehemaligen Waldbewohnern nicht genügend Deckung vor tierischen Fressfeinden, erhöht das ebenfalls den Stresspegel – falls sie sich überhaupt nach draußen trauen. Ein weiterer Stressfaktor kommt durch die ökologische Fütterung hinzu: Das Biofutter eignet sich für die Hochleistungszuchten nicht optimal und führt bisweilen zu einer Proteinunterversorgung. Die unterversorgten Vögel reagieren stärker auf die Farbe Rot und picken dadurch häufiger auf blutige Stellen oder die manchmal ausgestülpten Kloaken (Unterleibsausgänge) der anderen Tiere. Aufgrund dieses Federpickens und Kannibalismus kommt es bei Biohennen verstärkt zu Verletzungen, zumal bei Biohühnern die Schnäbel nicht systematisch kupiert werden dürfen.

Des Deutschen Appetit auf sein Frühstücksei ist groß, viele Eier werden zudem mehr oder weniger unerkannt in Torten und Kuchen, Salatsoßen und Eiernudeln konsumiert. 2010 kam man hierzulande so auf 214 Eier pro Kopf. Nur die Hälfte der Eier stammte aus Deutschland, über 10 Milliarden kamen aus dem Ausland. So liefert der Blick auf die Haltungsbedingungen in der EU ein genaueres Bild von den in Deutschland verspeisten Eiern als die deutschen Zahlen alleine. Folgende Angaben zur EU-weiten Hennenhaltung 2010 habe ich von der Europäischen Kommission erhalten: 3 Prozent der EU-Hennen wurden ökologisch gehalten (in Deutschland etwa 6 Prozent), haben also vom Gesetz her Zugang ins Freie. Weitere 11 Prozent waren in Deutschland wie in der EU konventionelle Freilandhennen. Jeweils etwa 20 Prozent lebten in Bodenhaltung (in Deutschland 66 Prozent) sowie in »ausgestalteten Käfigen« (in Deutschland 17 Prozent). Diese Käfige bieten nur geringfügig mehr Platz als die alten Legebatterien. In Deutschland müssen sie ein wenig größer sein, die Haltung heißt hier »Kleingruppenhaltung« und ist der Nachfolger der Käfigbatterie. 2002 hatte die damalige deutsche Landwirtschaftsministerin Renate Künast zwar ein vollständiges Verbot der Legebatterien durchgesetzt, dieses wurde jedoch 2006 nach dem Regierungswechsel kurz vor Inkrafttreten zurückgenommen, und man erlaubte die – lediglich romantisch klingende – Kleingruppenhaltung, die noch immer eine Form der Käfighaltung ist. Die alten Batteriekäfige sind in Deutschland seit 2010 endgültig verboten. In der gesamten EU gilt ein Verbot für die alten Batteriekäfige seit 2012. 2010 lebten in der EU aber immerhin noch 45 Prozent der Legehennen in den »guten alten« Legebatterien. Das fristgerechte Ende dieser Haltungsform zum Jahreswechsel 2011/2012 wurde nicht in allen EU-Ländern eingehalten. Nach Angaben von foodwatch e. V. lebten im Frühjahr 2012 in der EU schätzungsweise noch 50 bis 100 Millionen Hühner verbotenerweise in den alten Käfigen. Es verwundert mich, dass noch immer so viele Käfigeier erzeugt werden (die mit der 3 auf dem Ei), zu denen ja auch die aus der Kleingruppenhaltung gehören. Selbst Discounter bieten inzwischen keine Schaleneier aus Käfighaltung mehr an. Professor Hörning klärt mich auf: »Etwa die Hälfte der Eier in Deutschland wird für die verarbeitende Industrie erzeugt, und dort interessiert nur der Preis – die Käfigeier sind billiger.« Da ich über einer Bäckerei wohne, sehe ich bisweilen, dass dort große Mengen an Tetrapaks mit Vollei für die Backwaren angeliefert werden. Ich möchte lieber nicht wissen, aus welcher Haltung die Eier stammen.

Hat sich die Situation der Legehennen in Deutschland mit der Umstellung von der bisherigen Käfighaltung auf die Kleingruppenhaltung wenigstens ein bisschen verbessert? Was Hörning erzählt, ernüchtert: »Die Kleingruppenhaltung in Deutschland ist ja nichts anderes als ein ausgestalteter Käfig mit Nest, Sitzstange und Scharrvorrichtungen. Da ist nur minimal mehr Platz, vielleicht ein Bierdeckel mehr pro Huhn und 5 Zentimeter mehr Höhe.« Ich bin entsetzt, als ich Bilder aus der Kleingruppenhaltung sehe. Die Ähnlichkeit zur Käfigbatterie ist erschreckend. Der »Scharrbereich« ist eine perforierte grüne Fußmatte. Die Sitzstangen sind aus Metall und laufen in nur geringer Höhe durch den Käfig. Sie bieten nicht genug Platz dafür, dass alle Insassen gleichzeitig darauf sitzen können. Das vorgeschriebene Einstreubad könne technisch nicht umgesetzt werden, sagt Hörning. »Man kann gar nicht solche Einstreumengen in die Käfige bringen, dass man von einer dauerhaft vorhandenen Einstreuschicht sprechen könnte. Somit können die Tiere auch nicht das für die Körperpflege so wichtige regelmäßige Sandbaden durchführen. Insofern ist die Kleingruppenhaltung nur wenig besser und aus Tierschutzgründen abzulehnen.« Die Aufnahmen aus der Kleingruppenhaltung mit dem ganzen Dreck wecken in mir Assoziationen an Ratten, die im Heizungskeller hausen. Man muss es sich wirklich einmal vor Augen halten: Da werden Lebensmittel produziert, von denen die Industrie behauptet, sie seien hochwertig, und dann stammen sie aus vollkommen verdreckten Käfigen. Wachteleier sollen ja angeblich etwas für Gourmets sein. 500000 werden jährlich in Deutschland verspeist. Doch auch die Wachteln leben zumeist in Käfigen.

Meine Mutter erfährt von mir am Telefon, dass ich meinen Eierkonsum fortan einzuschränken gedenke. »Das jetzt nicht auch noch, Andi. Also den Hühnern tut es doch nicht weh, wenn man ihnen die Eier wegnimmt.« Ich kläre sie kurz und knapp über die Produktionsbedingungen auf. Sie ist einigermaßen erschüttert und kann mein Ansinnen nun besser verstehen. Ich verzichte aber nicht ganz auf Eier, denn eine Kollegin bringt mir von einem befreundeten Bauern gelegentlich welche mit. Unregelmäßig, denn die Hühner legen nur unregelmäßig. Dafür sind sie frei laufend, ohne Selektion und Muserei. So gibt es sonntags auch mal Ei.

Milch ohne Kuh

Heute habe ich das erste Mal daran gedacht, Reismilch zu kaufen; nein keinen Milchreis, sondern Milch aus Reis. Ein Hinweis auf vegane Tendenzen bei mir? Nachdem meine Recherchen zur Eiproduktion meinen Eiverbrauch rapide gedrosselt haben, komme ich nicht umhin, mich genauer mit der Milch zu beschäftigen – und sehe mich vorsichtshalber schon mal nach Alternativen um. Der Bioladenpreis von 2 Euro für 1 Liter H-Milch aus Reis ist stolz. Ob das überhaupt schmeckt? Die Antwort des Bioladenbesitzers meines Vertrauens »Na, wenn es nicht sein muss …« hält mich vorerst von diesem Versuch ab.

Ein paar Tage später habe ich sie mir nun doch gekauft. Leicht gräulich sieht sie im Glas aus, etwa wie Waschwasser, keinesfalls so strahlend weiß wie auf der Packung. Immerhin, vom Geschmack bin ich positiv überrascht. Sie schmeckt tatsächlich nach Milchreis, die Reismilch. Im Kaffee mag ich sie mir einstweilen nicht vorstellen. Zum Müsli passt sie prima, da merkt man den Unterschied eigentlich gar nicht.

Meine nächste Entdeckung: Sojamilch – das, was viele Menschen mit Laktose-Unverträglichkeit trinken. Offiziell darf sie nicht Milch, sondern nur Sojadrink heißen. Sagt aber niemand. Und weil Sojamilch, anders als Kuhmilch, als Getränk und nicht als Lebensmittel gilt, kommen 19 statt 7 Prozent Mehrwertsteuer drauf. Was für ein Unsinn! Sojamilch ist oft, warum auch immer, gezuckert. Sieht im Glas aus wie Kondensmilch, wird beim Aufschäumen aber schön milchweiß. Und sie schmeckt im Kaffee erstaunlicherweise genauso gut wie Milch, vor allem die ungesüßte. Mir jedenfalls. Meine Tochter ist zunächst nicht überzeugt: »Bäh-Schaum!«

Wie komme ich dazu, auch meinen Milchkonsum infrage zu stellen? Nun, was den Klimaschutz angeht, liegt es auf der Hand, denn Rinder stoßen das Treibhausgas Methan aus, egal, ob sie nun Fleisch liefern oder Milch geben sollen. Aber auch in puncto Tierschutz sind meine Überlegungen begründet: Die Haltung von Milchkühen sieht in Wirklichkeit anders aus, als ich mir das gerne vorgestellt habe.

Kühe sind nicht dumm, nur dumm dran

Das sagt Professor Holger Martens, Direktor und Experte für Kuhgesundheit vom Institut für Veterinär-Physiologie der Freien Universität in Berlin. Er erzählt mir, wie die Sache mit der Milch funktioniert, nämlich wie bei allen Säugetieren: Damit eine Kuh überhaupt Milch gibt, muss sie trächtig werden. Selbst ich als Biologe habe offenbar an das Märchen von der Milchkuh geglaubt, die einfach so immer gemolken werden kann. In der Regel wird ab einem Alter von etwa anderthalb Jahren mittels künstlicher Besamung für die Trächtigkeit gesorgt. Nach neun Monaten kalbt die Kuh und produziert Milch. Mit dieser ersten Laktationsphase beginnt die Nutzungsdauer. Das neugeborene Kälbchen wird zumeist gleich von der Mutter getrennt. Ab diesem Zeitpunkt wird die Kuh gemolken, zehn Monate lang. Drei Monate nach der Geburt sollte sie dann auch möglichst wieder trächtig sein. Die letzten beiden Monate vor der Geburt des nächsten Kälbchens müssen sich Kuh und Euter erholen. Die Kuh wird in dieser »Trockenstehzeit« nicht mehr gemolken. Nach der Geburt steigert sich die Milchleistung der Mutterkuh innerhalb weniger Tage auf über 40 Liter am Tag. Diese Tagesleistung erreicht sie nur dank intensiver Zucht und mit energiereichem Kraftfutter. So hat sich seit 1950 die Milchleistung pro Laktation im Bundesdurchschnitt von 4000 Litern auf 8000 Liter verdoppelt. Sogar Herdendurchschnittsleistungen von über 10000 Litern und Milchleistungen einzelner Kühe von 14000 Litern sind nichts Ungewöhnliches mehr. Klingt beeindruckend, hat aber vermutlich einen Haken.

Milk sucks!

Dass das Leistungsvermögen der Kühe inzwischen an seine Grenzen stößt, zeigt sich daran, dass die Erkrankungen zunehmen. Dafür ist Martens Spezialist: »Während einer Laktationsphase erkranken bisweilen mehr als die Hälfte der Kühe eines Betriebes. Das beeinträchtigt natürlich deren Lebensqualität und verkürzt auch die Lebensdauer der Tiere.« Wenn die Weiterversorgung der Kuh nicht mehr wirtschaftlich ist, kommt es zu frühzeitigen »Abgängen«, also dem Ausscheiden aus dem Produktionsprozess – die Tiere werden geschlachtet. Die Kühe der verbreiteten Rasse Holstein Friesian haben mittlerweile im Schnitt eine Lebensdauer von weniger als fünf Jahren. Damit erreichen sie noch nicht einmal ihr Leistungsmaximum und schon gar nicht ihr natürliches Lebensalter, das bei 25 Jahren liegen kann. Die Ursache für die häufigsten Gesundheitsprobleme wie Euterentzündungen, Klauenerkrankungen und Fruchtbarkeitsstörungen liegt neben der Haltung und Fütterung in der »negativen Energiebilanz« der Kühe, eigentlich ein natürliches Phänomen. Wie bei anderen Säugetieren hat die Versorgung des Nachwuchses mit Milch auch bei der Kuh hohe Priorität und führt dazu, dass sie eigene Energiereserven dafür bereitstellt. »Dann können die Tiere gar nicht so viel fressen, wie sie an Energie verlieren«, sagt Martens. Da die Kühe zur Produktion von immer mehr Milch gezüchtet wurden, hat sich das Ausmaß dieser energetischen Unterversorgung enorm vergrößert und ihre Dauer verlängert. Eine Milchproduktion von 40 Litern täglich erfordert mehr als das Vierfache der Energie, die die Kuh für sich selbst braucht. Da diese Energiemenge selbst mit Kraftfutter nicht gedeckt werden kann, verliert die Kuh inzwischen in den ersten Monaten nach einer Geburt über 100 Kilo Gewicht. Und da die Milchleistung viel leichter zu vererben ist als das Futteraufnahmevermögen, können die Züchter auch nicht gegen die energetische Unterversorgung anzüchten und die »Lebensmilchleistung« offenbar kaum weiter steigern – zumal erwiesenermaßen ein Zusammenhang zwischen Leistung und Erkrankungshäufigkeit besteht.

Dumm dran sind auch die Bauern

Die Schuld sieht Veterinär Martens nicht bei den Landwirten. Auch die seien sich über die züchtungsbedingte Problematik der hohen Milchleistung und der kurzen Nutzungsdauer der Kühe im Klaren. Die Landwirte würden gar nicht noch mehr Milch pro Kuh wollen, erzählt Martens, die wollten, dass die Kühe länger im Betrieb blieben. So aber hätten die Kühe eine durchschnittliche Nutzungsdauer von zweieinhalb Laktationen, und das sei ökonomisch absolut unbefriedigend. Nicht einmal die Bio-Milchkühe würden im Schnitt wesentlich länger gehalten. Das optimale Leistungsvermögen der Kuh ergebe sich in der dritten oder vierten Laktation. In der fünften gehe es dann langsam runter. »In nur zweieinhalb Laktationen müssen ja auch die Aufzuchtkosten erwirtschaftet werden«, sagt Martens, »und das ist in hohem Maße unwirtschaftlich. Aufgrund dieses vorzeitigen Ausscheidens hat sich die Lebensmilchleistung der Kühe in den vergangenen 50 Jahren nicht verändert.« Sie liege nach wie vor bei 20000 Litern.

Die Bauern setzen deshalb oft auf Masse. Zwei Drittel aller 4,2 Millionen deutschen Milchkühe standen 2010 in Herden mit mehr als 50 Tieren. 72 Prozent lebten in Laufställen und immerhin noch 27 Prozent in Anbindehaltung. In Bayern fielen darunter sogar mehr als die Hälfte aller Haltungsplätze. Dort ist auch der Anteil der weidenden Kühe mit 16 Prozent viel geringer als im übrigen Deutschland. Bundesweit standen 2009 wenigstens 42 Prozent aller Milchkühe fast ein halbes Jahr lang auf der Weide.

Was passiert eigentlich mit den Kälbchen? Die weiblichen Nachkommen werden wie ihre Mütter als Hochleistungsmilchkühe gehalten, die männlichen kommen in die Kälbermast. Dazu werden sie zum Teil quer durch Europa in die Mastbetriebe transportiert. In Deutschland dürfen die Kälbchen bis zur achten Lebenswoche in einer Einzelbox mit Vollspaltenboden und ohne Einstreu gehalten werden. Sofern man sie nicht als Jungbullen weitermästet, werden sie nach wenigen Wochen, spätestens aber nach einigen Monaten geschlachtet. Dann liefern sie das Fleisch für Döner oder Wiener Schnitzel und, als Nebenprodukt, das tierische Lab für die Süßmolke im Käse und in der Schokolade.

So gesehen ist die vegetarische Ernährung äußerst unbefriedigend, wenn es einem darum geht, Tierleid zu vermeiden. Von ihren Müttern getrennte, gemästete und geschlachtete Kälber, gemuste Eintagshahnenküken sowie frühzeitig ausgelaugte und geschlachtete Legehennen und Milchkühe sind die Kollateralschäden der vegetarischen Küche.

Planet Vegan

Zurück in den Zustand des arglosen Fleischgenusses meiner Kindheit und Jugend möchte ich nicht. Selbst meine ständige Versuchung in Form von Thüringer Bratwürsten reizt mich nicht mehr. Und jetzt mag ich noch nicht mal mehr »aus Recherchegründen« Fleisch essen, wie ich es mir doch für mein Buch vorgenommen hatte. Meine Frau hatte anfänglich vermutet, dass ich das Buch über Fleischkonsum nur schreibe, um wieder Fleisch essen zu können. Das tat ich ja dann auch, kurzzeitig. Und nun das: weder Fisch noch Krabben, Milch und Joghurt aus Soja- statt Kuhmilch, Margarine statt Butter, kein Käse und keine Eier mehr. Mein letztes Ei vom Bauernhof war befruchtet. Das fand ich zwar nicht ganz so schlimm und habe es gegessen, aber es hat mir den Abschied erleichtert. Denn ich habe erfahren, dass auch meine Bauernhofhühner nach drei Jahren dran glauben müssen. Den Ausschlag für meinen Ausstieg aus dem Konsum von Tierprodukten haben wohl nicht die durchaus überzeugenden Sachargumente gegeben, sondern eine persönliche Begegnung – zwei sympathische junge Männer, die beide seit einigen Jahren vegan leben, aber »ansonsten ganz normal wirken«: Ich hatte Sebastian Zösch vom Vegetarierbund und Mahi Klosterhalfen von der »Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt« für meine Recherchen getroffen, passenderweise in einem neu eröffneten veganen Restaurant. Mein Vorurteil, dass Veganer naive und die Natur verklärende Realitätsverweigerer sind, fand ich hier absolut nicht bestätigt. Jetzt bin ich anscheinend selbst ein Veganer, jedenfalls fast. »Strenger Vegetarier« nannte man das früher. Klingt richtig fies, wobei mir auch der Begriff Veganer noch ein wenig Angst macht. Hört sich an, als wäre man außerirdisch. Außerdem könnte das Etikett, Veganer zu sein, die Umwelt schnell dazu veranlassen, Polizei zu spielen und zu kontrollieren, ob man die selbst aufgestellten Regeln denn auch wirklich einhält. Von einer Kollegin erfuhr ich, dass sie das vegane Leben aufgab, weil sie Schuhe (aus Leder!) zu gerne mag. Immerhin brauche ich seitens anderer Veganer keine Strenge zu fürchten, da ich derzeit kaum welche näher kenne. Meine Lederschuhe werde ich jedenfalls auftragen, und das dauert noch eine ganze Weile. Fragt mich jemand, ob ich Veganer bin, schwäche ich das bislang meistens ab. »Ich versuche, auf tierische Produkte zu verzichten«, antworte ich lieber. Doch selbst das schockt offenbar die meisten. Mitleidsvoll erkundigt man sich: »Du isst jetzt auch keinen Käse mehr? Was isst du denn dann Leckeres?« Laub oder trocken Brot mit Olivenöl, möchte ich da antworten. »Veganer dürfen ja gar nichts mehr essen«, stellt meine westfälische Schwägerin beim Mittagessen fest, die nicht weiß, dass ich jetzt dazugehöre und dass die Pilzpfanne mit Knödeln, die ihr sichtlich schmeckt, vegan ist. Unbewusster Teilzeitveganismus ist stärker verbreitet, als man denkt. Und mit ein paar Tricks lässt sich ausgesprochen vieles sogar für andere unbemerkt veganisieren. Der öffentliche Eindruck ist ein anderer. So zeigt das »Erklärfernsehen« zum Thema gern, wie aus einer Palette überwiegend tierischer Nahrungsmittel alles entfernt wird, bis nur noch eine Schale mit Getreide und etwas Obst und Gemüse zurückbleiben. Ja toll, das also soll veranschaulichen, was ein Veganer essen »darf«. Überhaupt »dürfen«! Ich entscheide noch immer selbst, was ich essen will. Meine »Essbehinderung« ist freiwillig, was meine Motivation noch mehr steigert. Gutes, aber auch gesundes Essen ist mir sehr wichtig, vielleicht sogar noch mehr als vorher, weil ich obendrein zeigen will, wie einfach es geht. Und ich lerne: Es gibt sehr viele Möglichkeiten, sich zu Hause und in einer Stadt wie Berlin sogar auswärts nahezu problemlos lecker und vegan zu ernähren.

Bin ich eingeladen, ist es allerdings ehrlich gesagt nicht ganz einfach, konsequent zu bleiben. Die Hochzeit eines Freundes war ein erster Praxistest. Den schnellen Griff zur Menükarte, um möglichst frühzeitig Unannehmlichkeiten für sich oder die Gastgeber abzuwenden, kenne ich noch aus Vegetariertagen. Doch schon beim Vorspeisenteller wird’s für den frischgebackenen Veganer verdammt eng. Zucchini-Quark-Häppchen sind immerhin vegetarisch. Dazu teile ich mir mit einem Bekannten ein Schinken-Melonen-Röllchen ungleich auf. Der Kellner ist verständnisvoll, erkennt »meine Not« und serviert mir weitere Quark-Häppchen. Die Hauptspeisen werden glücklicherweise als Büfett angerichtet, da fällt man als Beilagenesser nicht so auf. Vegan ist auch das von mir gewählte Kartoffelgratin nicht, dafür verschmähe ich erstmalig die reichhaltige Käseplatte. Ob der Kuchen ohne tierische Inhaltsstoffe war, habe ich gar nicht erst gefragt.

Inzwischen erfreue ich mich sogar an der Reaktion der anderen, wenn herauskommt, dass ich mich vegan ernähre. Vegetarier sind ja fast schon Mainstream, müssen sich kaum mehr erklären. Als Veganer ist man hingegen noch ein echter Außerirdischer.

Vegane Starter-Woche

Als Veganer in der Welt der Fleischesser und Vegetarier Fuß zu fassen, ist nicht leicht. Aber auch in meiner neuen veganen Welt fühle ich mich noch ein wenig fremd. Zeit für einen Zwischenbericht:

Montag: Ein kurzer hungriger Einkauf in einem Hamburger Discounter: Drei Brötchen gegriffen. Jetzt noch was Herzhaftes drauf. Oh! In den Kühlregalen gibt es nur Fleisch und Käse. Sogar die Gemüsefrikadellen enthalten noch 25 Prozent Fleisch! Für Veganer definitiv trostlos.

Dienstag: Seit eben weiß ich, dass auch Wein unvegan sein kann. Weine werden zum Teil mittels Gelatine gefiltert oder mit Eiklar geschönt, veganer Wein aber eben nicht. Auf veganen Wein zu achten, hebe ich mir mal für später auf. Ein Kollege mit einer ehemaligen Affinität zu veganer Lebensweise weiß zu ergänzen, dass Bier, jedenfalls Flaschenbier, nicht vegan sei, weil die Etiketten mit einem Kleber aus tierischen Stoffen geklebt würden. Also jetzt langt’s aber!

Mittwoch: Ein Stück Schokokuchen in meinem schönen Lieblingscafé. Ist er vegan? Vermutlich nicht. Auch wenn sie hier vegane Eissorten und Sojamilch-Kaffee verkaufen, traue ich mich gerade nicht, danach zu fragen. Es ist voll, und alle scheinen meiner Bestellung zu lauschen. Was, wenn sie keinen veganen Kuchen haben? Muss ich heute dann darauf verzichten? Oder demonstriere ich souveräne Inkonsequenz?

Donnerstag: Almdudler sei die erste vegetarische Limonade der Welt, behauptet das Plakat. Ich stutze, sofern man beim Mit-dem-Fahrrad-Vorbeifahren stutzen kann. Was soll denn bitteschön an Limonade nicht vegetarisch sein? Noch nicht mal das Taurin im Energydrink Red Bull stammt aus Stierhoden. Ich weiß, dass es einen roten Farbstoff aus Blattläusen gibt – ob der auch in Limos drin ist? Und wären solche Limos dann nur nicht vegan, wohl aber vegetarisch? Ich komme schon ganz durcheinander. Immerhin freue ich mich, dass sich damit inzwischen werben lässt. So weit ist es also schon gekommen.

Freitag: Die Bäckerei, bei der ich gerne Kaffee zum Mitnehmen mitnehme, wirbt mit veganem Vollkornbrot. Ist denn das normale Brot, das ich esse, am Ende gar nicht vegan? Das vegane sei ohne tierische Inhaltsstoffe, eben für die Leute, die darauf angewiesen seien, erfahre ich auf meine Nachfrage. Wer mag wohl darauf angewiesen sein?, frage ich mich. Was an herkömmlichem Brot nicht vegan ist, können sie mir leider nicht beantworten. Ein paar Wochen später frage ich erneut nach: »Das vegane Brot wird ohne Hefe gemacht.« Aha. Hefe ist in der Tat nicht pflanzlich. Aber Tiere sind Hefepilze definitiv auch nicht.

Samstag: Mittagessen in einem vegetarischen Restaurant. Die Auswahl ist groß – für Vegetarier, nicht für Veganer. Ich fühle mich wie bei Besuchen in regulären Restaurants zu vegetarischen Zeiten.

Sonntag: Ich bin bei C. zum Frühstück eingeladen. Noch will ich nicht sagen, dass ich vegan lebe. Den Espresso? Äh, schwarz bitte. Ihm fällt es nicht auf. Konfitüre hat er leider gerade nicht da. Aufs Brötchen gibt es daher für mich, nun, eigentlich nichts. Dann halt Honig, ist noch das »veganste« hier. Vielleicht sage ich nächstes Mal doch vorher was.

Vegane Alternativen zu Eiern und Milch

Eialternativen:

Abgesehen vom Ei in der Schale, Spiegelei und Eischnee lassen sich Eier beim Backen, Binden und Panieren leicht ersetzen. Mit Seidentofu und Kurkuma kann man sogar veganes Rühr-»Ei« machen. Eifreie Mayonnaise gibt es zu kaufen, oder man stellt sie selbst aus Rapsöl, Senf und Sojamilch her. Bei vielen Rezepten, die nach 1 oder 2 Eiern verlangen, können diese einfach weggelassen werden. Im Internet findet man zahlreiche Tipps und Rezepte zum Kochen und Backen ohne Ei, so etwa beim Vegetarierbund unter www.vebu.de.

Speisestärke, Mehl aus Mais, Soja oder Kichererbsen und andere Stärkemehle eignen sich als Bindemittel unter anderem für Kuchen, Gebäck, Panade, Burger und Bratlinge. Man rührt sie mit Wasser an oder vermischt sie direkt mit den anderen Zutaten. Da Kichererbsen- und Sojamehl einen Eigengeschmack haben, empfiehlt es sich, weniger davon zu nehmen oder sie für geschmacksintensive Gerichte und Backwaren wie zum Beispiel Schokokuchen zu verwenden. Sojamehl kann den Teig etwas schmierig machen. Speisestärke verleiht wie auch Backpulver dem Kuchen eine besondere Lockerheit. Sie lässt sich gut mit den genannten Mehlsorten kombinieren. 1 Esslöffel Stärke oder Mehl entspricht 1 Ei. Die Flüssigkeit des Eis kann man mit veganen Milchalternativen ersetzen.

Johannisbrotkern-, Guarkern- und Pfeilwurzelmehl sind ebenfalls gute Bindemittel, aber relativ teuer. Man kann sie vorab mit Wasser verrühren. Guarkernmehl ist nicht zum Backen geeignet. Bei diesen Mehlsorten entspricht 1 Teelöffel 1 Ei.

Kokosfett kann man verwenden, um beim Backen einen Teil des Öls oder der Margarine zu ersetzen. Es verbessert die Konsistenz des Teigs.

Reife Bananen lockern den Kuchenteig auf. Im fertigen Kuchen bleibt ein leichter Bananengeschmack erhalten. ½ zerdrückte Banane entspricht 1 Ei.

Apfelmus oder Apfelmark eignet sich besonders gut für Muffins und feuchte Teige. Der Apfelgeschmack verschwindet beim Backen fast vollständig. 3 Esslöffel Apfelmus entsprechen 1 Ei.

Ei-Ersatzpulver ist ein fertiges Bindemittel aus dem Reformhaus. Es besteht zum Beispiel aus Maisstärke und Lupinenmehl und wird mit Wasser angerührt. Das Bindemittel eignet sich ideal für Kekse, Kuchen oder Bratlinge. 1 Teelöffel des Pulvers mit etwas Wasser vermischt ersetzt 1 Ei.

Gemahlene Leinsamen eignen sich vor allem für Vollkorn-Backwaren. 2 Esslöffel Leinsamen mit 3 Esslöffeln Wasser vermengt entsprechen 1 Ei.

Milchalternativen:

Sojadrink (Sojamilch) gibt es ungesüßt, gesüßt, gemischt mit Reis-»Milch« sowie angereichert mit Kalzium oder Omega-3-Fettsäuren. Die Produkte können sich geschmacklich deutlich voneinander unterscheiden. Sojadrinks bekommt man auch mit Vanille-, Schoko- oder Fruchtgeschmack.

Reis-, Hafer-, Mandel-, Hirse- und Hanfdrinks sind süßlich und haben jeweils einen typischen Eigengeschmack.

Sojamilch zum Backen lässt sich mit Kokosnussmilch ersetzen. Das macht den Teig fluffig und saftig, aber auch ein wenig fettig.

Soja-, Hafer- und Reissahne (Cuisine) eignen sich beim Kochen und für Dressings hervorragend als Ersatz für Sahne aus Kuhmilch. Einige Produkte lassen sich mit Sahnestandmittel (»Sahnesteif«) zu Schlagsahne aufschlagen.

Ein Flyer in meinem neuen veganen Lieblingsrestaurant weist mich auf einen Kongress von Tierbefreiern hin. Gemeint sind damit nicht unbedingt die Menschen, mit denen man nachts Hühner und Pferde stehlen kann, sondern solche, die sich für Tierrechte und damit für die gesellschaftliche Befreiung der Tiere einsetzen. Natürlich alles Veganer. Da will ich hin!

Die Tierbefreier

Schwarz. Fast alle sind schwarz gekleidet auf dem Kongress der Tierbefreier. Sie sind jung, tätowiert und zerpierct. Ich fühle mich wie auf einer Antifa-Veranstaltung und versuche, eindeutige Insignien des Veganismus auszumachen, weiß aber ja noch nicht einmal, wie diese aussehen könnten. Mit Mühe habe ich meine Frau überredet, nicht den direkten Weg in den Sommerurlaub zu nehmen, sondern wenigstens einen Tag auf dem Kongress dabei zu sein. Als Neu-Veganer hoffe ich, hier Gleichgesinnte zu treffen. Wir sind einen Umweg von etwa 300 Kilometern gefahren und auf einer hübschen mittelalterlichen Burg gelandet. Dort heben wir gleich den Altersdurchschnitt, Kinder gibt es kaum. Die einzige – noch sehr junge – Mutter eines zehn Monate alten Kleinkindes nimmt mit meiner Frau Kontakt auf: »Ist euer Kind auch vegan?« »Nein, die isst alles«, antwortet meine Frau. Sie verkneift es sich zurückzufragen, ob der Hund der anderen Mutter denn vegan sei. Der Mütterkontakt bleibt knapp. Dass Hunde von Veganern tatsächlich oft vegan oder vegetarisch ernährt werden, erfährt meine Frau erst später. Das funktioniert erstaunlicherweise meist wohl ganz gut und kann für den Allesfresser Hund sogar gesundheitliche Vorteile haben.

Ich informiere mich derweil über das aktuelle Programm. Der Workshop zum Poststrukturalismus fällt aus. Anarchie und Bildung ist kein Widerspruch. Aus der kleinen Halle der Burg vernehme ich leise Klaviermusik und die sanften Klänge von Gary Jules’ »Mad World«. Ich lasse meinen Blick über den grasbewachsenen Innenhof der Burg schweifen und genieße den beschaulichen Moment. Dann öffne ich die Tür zur Halle. In die melancholische Musik mischt sich die Geräuschkulisse Tausender Puten. Es ist ein Video der Tierrechtsorganisation PETA, das Bilder aus der »verrückten Welt« der Tierhaltung zeigt. Ich lausche lieber einer Diskussion unter freiem Himmel und lerne: Fleischverzicht ist immer Herrschaftskritik. Es geht nicht einfach darum, das Leiden von Tieren zu vermeiden, sondern jedwede Herrschaft über andere. Politisch linke Veganer haben es anscheinend nicht leicht. Die »Fleisch-Linken« bremsten die Arbeit der Tierbefreier immer wieder mit Diskussionen, wird geklagt, und befänden, veganes Leben sei bourgeois. Denn der Arbeiter, mit dem die Linke ja solidarisch ist, isst traditionell Fleisch. Ich erfahre vom Anti-Antispe-Problem. So gibt es innerhalb der linken Szene immer wieder Kritik am Antispeziesismus, also der Kritik am Speziesismus, der die ungleiche Behandlung von Lebewesen allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Spezies rechtfertigt. Die Wortwahl der Tierbefreier klingt für mich speziell. Fische werden nicht gefischt, sondern ermordet, statt Fleisch spricht man bzw. mensch von Leichenteilen. Geschlechtsneutrale Sprache ist hier sowieso üblich. Auf die Klotüren, wo sonst »Herren« und »Damen« steht, hat jemand Aufkleber mit Feldern zum Ankreuzen geklebt: Angekreuzt wurden aber weder »Male« noch »Female«, sondern »Fuck you!«. Manchmal fühle ich mich hier richtig rückständig.

Antitierwas?

Um zehn Uhr am nächsten Morgen eile ich zum Vortrag über einen Antitierbenutzungshof. Doch zuvor stimmen die rund 40 Anwesenden über ein Statement des Tierbefreierkongresses zum neuen Hühner-Mega-Schlachthof in Wietze bei Celle ab. Die Schlussredaktion erfolgt – eine grausige Vorstellung für jeden Autoren – im Kollektiv: »Schreib doch lieber ›die Befreiung von Tieren‹ als ›der Tiere‹.« Wedelnde Hände zeigen Zustimmung an. Endgültig abgestimmt wird anschließend mit »dafür ohne Vorbehalt«, »dafür mit Vorbehalt«, »dagegen, aber man will sich nicht in den Weg stellen« oder mit Veto. Der Einzelne hat im Kollektiv erstaunlich viel Macht. Endlich beginnt der Vortrag. Anders als auf manchen Gnadenhöfen wie dem aus dem Fernsehen bekannten Gut Aiderbichl werden auf dem Antitierbenutzungshof Tiere nicht für Kutschfahrten, zum Reiten, für Streichelzoos oder sonst wie »benutzt«. Die Haltung der Rednerin erscheint mir recht radikal: Sogenannter Tierschutz sei abzulehnen, das sei ein Zeichen für Herrschaftsverhältnisse. Verbesserungen wie Freilandhaltung bei Hühnern verfestigten nur die Tierausbeutung. Derlei Maßnahmen seien bloß ein Feigenblatt für alle Tierbenutzer, die Hunde und Katzen süß fänden, aber problemlos Schwein, Kuh und Huhn verspeisten. Auf dem Antitierbenutzungshof wandern selbst die wenigen Eier der Hühner und Gänse sowie die Wolle der Schafe auf den Müll. Die Rednerin empfindet es als respektlos, sich daraus Socken zu stricken, denn hinter jedem Bündel Wolle stecke noch Gewalt. Darüber muss ich erst mal nachdenken. Berücksichtigt man, dass Schafe so abhängig gezüchtet wurden, dass sie geschoren werden müssen, und die Schur oft sehr brutal vor sich geht, leuchtet mir ihre Haltung ein: Tiere und ihre Produkte werden nicht benutzt. Punktum. Andere sind da nicht so strikt, zumindest beim »Containern«. Diese sinnvolle Verwertung noch essbarer Lebensmittel, die Supermärkte oder andere Geschäfte als Abfälle in Container werfen, ergänzt für manche bloß den Einkauf, für andere ist es gelebte Kritik an der Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Hier wird heiß darüber diskutiert, ob auch unvegane Produkte wie Haselnusstafeln oder gar »Leichenteile« – zumindest für Hund oder Katz – containert werden dürfen. Die Vortragende fordert, nur vegan zu containern, denn »Erbsen können ohne Gewalt erzeugt werden, Milch nicht«. Lauch auch, basta!

Gesinnungsolympiade

Im nächsten Vortrag erfahre ich, dass es noch weitaus strengere Ernährungsformen gibt als die vegane: Rohkost und Urkost, die beide aber nicht unbedingt vegan sein müssen, dann der Fruta- oder Fruktarismus, bei dem nur Pflanzenteile gegessen werden, ohne die Pflanze zu verletzen oder zu töten, und schließlich die Lichtkost, bei der es nur noch »Prana«, also Lebensenergie pur aus feinstofflicher Lichtnahrung, gibt. Wie lange die Lebensenergie strikter Lichtköstler anhält, ist gelinde gesagt umstritten. Rohköstler muten dagegen richtig bodenständig an. Sie essen nichts über 42 Grad Erhitztes, normalerweise. Es soll jedoch auch hier gelegentlich zu Fressattacken mit veganem Fast Food kommen, heißt es. So kann selbst veganes Essen manchem ein schlechtes Gewissen machen. Und ein schlechtes Gewissen wollen Rohköstler anderen offenbar häufig machen, jedenfalls beklagt die Vortragende die »penetrante Propaganda von Rohköstlern«, der sie als Veganerin oft ausgesetzt sei. Von Rohkostpropaganda bin ich glücklicherweise noch völlig verschont, wo ich doch nicht mal Veganer im Bekanntenkreis habe.

Die PowerPoint-Präsentation dreht sich nun um die jahrhundertealte asiatische Tradition der Fleischalternativen – nicht um »Herrgottsbscheißerle«, wie die schwäbischen Maultaschen auch heißen, die in der Fastenzeit »heimlich« den Fleischhunger stillen sollten, sondern um echte vegetarische oder vegane Alternativen. Ein halbes veganes »Hähnchen« aus Sojaprotein mit vorbildsnaher genoppter Oberfläche dreht sich dazu auf der Leinwand und sorgt nach einer Weile für Unmut. Ein Zuhörer drängt, das Bild der Hendl-Attrappe doch endlich wegzunehmen. »Schön, dass dir das Bild nicht gefällt«, lobt die Vortragende besänftigend, muss sich aber weitere Kritik anhören: »Ich habe mich bei deinem Vortrag nicht so wohlgefühlt, der war so autoritär.« Vereinzelt wedeln zustimmende Hände. Der Umgang der Vortragenden mit dem Publikum und umgekehrt ist für mich ungewohnt. Bald zerfällt die Veranstaltung durch inhaltsarme Beiträge wie die endlos langen Abfolgen sich aufeinander beziehender Diskussionsbeiträge in Internetforen: »Ich habe mich nur gemeldet, um anzuzeigen, dass sich welche gemeldet haben.«

Frustrationen

Ich bin froh, draußen auf einer Wiese das gekochte (!) vegane Essen genießen zu können. Ein junges Mädchen sitzt, wie schon beim Vortrag, mit einer auffallend schön gewachsenen Möhre herum, ohne daran zu knabbern. Ich ertappe mich bei dem albernen Gedanken, dass es sich dabei um ein von Frutariern aus der Küche befreites Wurzelgemüse handeln könnte. Eine etwas ältere Tierbefreierin erklärt sich bereit, mir ein paar Fragen zu den Absichten der Anwesenden zu beantworten. Ihr Ziel sei die vollständige Befreiung der Tiere aus der Verfügungsgewalt des Menschen und die Befreiung aller fühlenden Wesen von jeglicher Herrschaft. Leider seien sie diesem Ziel in all den Jahren noch nicht wirklich näher gekommen. Ein Weg der kleinen Schritte wäre dennoch nichts für sie. Warum außer uns kaum Ältere anwesend wären, will ich noch wissen. Irgendwann seien die Leute frustriert und zögen sich ins Private zurück, vermutet sie. Den Rückzug ins Private strebe ich jetzt auch erst mal an. Wenn ich mich als Veganer bislang am Rande der Gesellschaft gefühlt habe, konnte ich hier immerhin feststellen, dass ich von diesem Rand noch ein ganzes Stück entfernt bin.

Absicht war es sicher nicht, als ich beim Einsteigen ins Auto eine Schnecke zertrete. Im Grunde kann ich vielen Argumenten der Tierbefreier zustimmen, dennoch bin ich frustriert, hier trotz ähnlicher Gesinnung keine Mitstreiter gefunden zu haben. Mich strapazieren die pauschale Herrschaftskritik und die anscheinend gänzlich kompromisslose Haltung, die mir wenig Erfolg versprechend erscheint. Bei mir provoziert sie sogar den innigen Wunsch, mir im nächsten Supermarkt eine Wurst zu kaufen, eine echte, aus Fleisch! Da der Laden bereits geschlossen hat, stellt sich mir die Gewissensfrage dann doch nicht. Am darauffolgenden Tag halten wir bei McDonald’s an der Autobahn, natürlich nur für einen Kaffee mit Sojamilch. Ein Ortsschild weist nach Wietze, wo der größte Schlachthof Europas mit 27000 Hühner-Schlachtungen pro Stunde entstehen soll.

Butenland

Wer auf dem Land aufgewachsen ist, hat ein anderes Verhältnis zu Tieren, nicht so »sentimental« wie der Städter, heißt es gerne. Ich kenne jedoch einige Vegetarier, die ihren Ernährungsstil gerade damit begründen, dass sie auf dem Land aufgewachsen sind, mit einem Bauernhof in der Familie oder Nachbarschaft. Nun habe ich von einem ehemaligen Demeter-Biobauern mit Milchkühen und Mastbullen gehört, der seine Tiere weder melkt noch schlachtet, sondern einfach leben lässt. Er und seine Freundin ernähren sich sogar vegan. Das muss ich mir anschauen. Urlaub auf dem Bauernhof!

Wir treffen Jan Gerdes auf Hof Butenland im friesischen Butjadingen inmitten einer Herde riesiger Kühe und dem beeindruckenden Leitochsen Willem. Am Stall hängt ein Schild »Kuh-Altersheim«. Im Schatten sitzen Dutzende von Hühnern, dazwischen mehrere Hunde und Katzen. Enten und Gänse marschieren über den Hof. Zudem gibt es noch Pferde, Kaninchen und vier Schweine. Eines davon, der dicke Prinz Lui, räkelt sich gerade im Hundekorb, der für ihn viel zu klein ist. Jans Freundin Karin lockt ihn mit Sojajoghurt wieder heraus. Einige Tiere sehen ziemlich mitgenommen aus. Sie sind alt oder stammen aus schlimmen Haltungsbedingungen. Karin kennt die Geschichte jedes einzelnen Tieres.

Als Kind hatte Bauer Jan, wie ihn meine Tochter nennt, keine Beziehung zu den Nutztieren auf Hof Butenland, den schon die Großeltern bewirtschafteten. »Die Kühe waren für mich wie irgendwelche Sachen, die es auf dem Hof gab, wie der Trecker, das Auto und alles andere auch. Das gehörte dahin«, erzählt er. Wie auch anderswo üblich kamen die Tiere aus der Anbindehaltung im Mai auf die Weide, nur zum Melken wurden sie in den Stall getrieben. Die Kälber trennte man gleich nach der Geburt von ihren Müttern. Die kleinen Kälber saugten dann an allem, was sie kriegen konnten. »Das fanden wir als Kinder natürlich süß, wenn die am Finger nuckelten. Aber das war reine Verzweiflung, weil die einfach die Mutterbrust gesucht haben«, sagt Bauer Jan.