Ravanas Tod

Nun ließ der Herr der Dämonen seinen furchtbaren Bruder Kumbharkana wecken; den fressgierigen Riesen, welchen Brahma in dauernden Schlaf verstrickt hatte, um seine Welt vor dem Hunger des Ungeheuers zu schützen.

Zornig fuhr der Schläfer empor. »Hab' ich dir nicht geraten, du sollst die Dirne zurückgeben?« brüllte er gegen Ravana. »Nun soll ich deine Dummheit an meinem köstlichen Schlafe büßen!«

»O gräme dich nicht um das bisschen Schlaf, Bruder!« sprach Ravana begütigend. »Du sollst heute einmal essen, bis du satt bist. Tausend und abertausend der köstlichsten Affen biete ich dir zum Mahle, und du schiltst mich um ein kurzes Schläfchen!«

Kumbhakarna fletschte vor Lust die Zähne, und der Geifer floss ihm über die breiten Lippen.

»Wo sind sie, Brüderchen?« fragte er schmatzend.

»Ei, hol' sie dir, Starker!« lachte Ravana. »Sie liegen in Waffen vor der Stadt und werden uns alle austilgen, wenn du ihnen nicht zuvorkommst!«

Brüllend sprang der Dämon empor, bewaffnete sich mit einer siebzig Ellen langen Stange, sowie mit einem großen Netz aus daumenstarken Stricken und rief dem Könige zu:

»Bleib' in der Stadt mit den Deinen, Ravana! ich hole mir meine Mahlzeit allein.«

An seiner Stange schwang sich der Riese über Wall und Graben und fuhr unter die Affen, wie ein Elefant ins Röhricht.

Angst- und Todesgeschrei begleitete jeden seiner Schritte. Weitauslangend schlug Kumbhakarna mit seiner Waffe in die dichtgedrängten Scharen der Affen und sammelte die Gefallenen in sein riesiges Netz. Als dieses voll war, setzte er sich auf einen Hügel und begann sein ekles Mahl.

Entsetzt flohen die Affen bei dem furchtbaren Anblick, aber Angada, der tapfere Sohn des Valin, stellte sich den Fliehenden entgegen, schalt sie feige und zwang sie, wieder dem Schrecken die Stirne zu bieten.

Hanumat war einstweilen auf eine Wolke geklettert und warf von dort aus mitgeschleppte Felstrümmer auf den Fresser. Sugriva schoss schwere Eisen nach ihm und schnitt ihm so Nase und Ohren vom Haupt.

Brüllend taumelte der verstümmelte Riese empor. Aber da sah er sich dem kühnen Lakschmana gegenüber.

Siebenmal stieß der tapfere Sumitrasohn dem Überraschten seinen Speer in den Wanst und sprang dann mit schnellem Schwung aus dem Bereich der Riesenstange.

Rama kam dem Bruder zu Hilfe und schoss dem wankenden Unhold zwei stählerne Pfeile in die Brust.

Kumbhakarna brüllte auf, Blut unterlief seine rollenden Augen, und tobend vor Schmerz und Wut, schlug er mit seiner Stange wie blind um sich. Rama ließ seine schwersten Pfeile auf den Sinnlosen niederhageln und lähmte ihm Arme und Beine. Als der Koloß röchelnd zu Boden stürzte, tötete ihn ein Schuß in den offenen Mund.

Ravana beklagte den Tod seines starken Bruders nicht lange. Noch einmal bäumte sein Stolz als Götterbezwinger sich auf: In gewaltigem Zauber zog er über Wolken und Wellen alle Dämonen der Welt nach Lanka, und sein unbezwinglicher Sohn Indradschit musste dieses Heer gegen den Feind führen. Furchtbare Kämpfe folgen nun: Unsichtbar zieht Indradschit durch die feindlichen Scharen und tötet die kühnen Affenkrieger reihenweise.

Auch Rama und Lakschmana fallen schwerverwundet unter dem Schwerte des Unerreichbaren. Schon droht ihr Leben zu entfliehen, da erinnert sich der greise Bärenkönig Dschambavat eines todbesiegenden Heilkräutleins auf des Kailasas Gipfel.

Hanumat fliegt auf des Sturmgottes Schultern nach dem Götterberg, und da er in Eile und Sorge um den erhabenen Freund die Zauberblume nicht findet, reißt er den Gipfel aus seinen Grundfesten und schleppt ihn auf seinem starken Rücken auf das Schlachtfeld.
Vom Dufte des Kräutleins genesen die Prinzen und alle Verwundeten im Affenheer.

Auf Vibhischanas Rat wird die Stadt nun im ersten Dämmerschein des Tages überfallen. Da hat Indradschit sein Morgenopfer, das ihn immer für einen Tag unbesieglich macht, noch nicht verrichtet. Jauchzend stürzen die Affen über Gräben und Mauern und stecken die Stadt in Brand.

Lakschmana rast durch die Straßen und sucht Indradschit. Kein Opfer beschirmt ja heute den furchtbaren Gegner! Als er ihn findet, kommt es zum Kampfe Leib an Leib.

Lang schwankt der Sieg zwischen den tapferen Ringern, aber endlich fällt Indradschit und verhaucht sein Leben unter den starken Fäusten Lakschmanas.

Nach dem Tod seines Sohnes und tapfersten Streiters entschließt sich Ravana selbst zum Kampf. Er besteigt den Streitwagen, und aus allen zehn Rachen den furchtbaren Kampfschrei brüllend, fährt er auf die Walstatt.

Rama, mitten im Gefecht, sieht plötzlich den Wagen des Donnergottes vor sich halten. Matali, der Wagenlenker, hat ihn samt des Gottes undurchdringlichen Panzer zur Erde gebracht, denn in diesem Kampf gegen den Dämon der Finsternis will Indra dem kühnen Raghusproß siegen helfen.

Rama hüllt sich in des Götterkönigs Panzer und besteigt den erzschienigen Streitwagen. Jauchzend treibt Matali die falben Rosse dem Zehnköpfigen entgegen.

Kaum haben die beiden Gegner einander auf Bogenschußweite erreicht, so schwirren die Sehnen in heulendem Klang, und wie im Schloßenfall stehen die Kühnen im Pfeilregen. Ravanas Haut ist pfeilfest und Ramas Brust vom Panzer des Donnerers geschützt.

Matali stachelt die Rosse und jagt sie in windschnellem Wirbel um den Wagen des Dämonenherrn. Rama schwingt das Schwert, und Schlag um Schlag fallen die Köpfe des Unholdes in den Sand.

Doch wehe: stets wächst im Augenblick ein neues Haupt aus dem blutenden Stumpf, und immer fauchen zehn Rachen Feuer gegen den tapferen Raghawer.

Da führt Matali die Rosse auf einen Wink seines Kämpfers zurück, Rama hebt den schweren Wischnubogen, und das alles vernichtende Brahmageschoß blitzt wie ein fallender Stern durch die Luft. Verzischend bohrt es sich in das Herz des zehnhäuptigen Ungeheuers, und lautlos bricht der Furchtbare zusammen. Zitternd halten die Rosse mit der Leiche ihres Gebieters vor seinem Bezwinger.

Gellender Jubel der Affen und lautes Wehklagen der Rakschasas begleiten den Tod der Weltgeißel.

Rama bringt die Schlacht zum Stehen, lässt dem toten Feind eine würdige Leichenfeier rüsten und übergibt dem wehklagenden Vibhischana die Herrschaft über die Insel Lanka.

Hanumat wird in den Asokahain gesandt, um die befreite Sita vor den Sieger zu bringen.