Der Raub der Sita

Ravana beriet sich mit Maritza, den einst der Wurfhammer Ramas ins Meer geschleudert hatte, und dieser bat seinen Herrn, sich vor Rama zu hüten, denn der fromme Held sei unbezwinglich. Schon wollte Ravana die Warnung seines Getreuen beherzigen, da kam Schurpanakha nach Lanka, und die giftigen Reden der verstümmelten Hexe ließen die Rachgelüste im Herzen ihres Bruders von neuem anschwellen.

Als die Verbannten eines Morgens vor der Tür ihrer Hütte saßen, brach flüchtigen Fußes ein herrlicher Hirsch durch die Büsche. Wie fließendes Gold erglänzte sein Rücken, silberschimmernd schlugen ihm die Flanken, und wie eine Krone trug er das edelsteinblitzende Geweih.

»Oh! bringt mir den König des Waldes, schnelle Jäger!« rief Sita verlangend, als sie das prächtige Tier erblickte. »Ich will sein Fließ über mein Lager breiten, und keine Königin soll köstlicher ruhen als ich!«

Fröhlich griff Rama zu Pfeil und Bogen und mahnte Lakschmana, ihm die holde Gattin zu schützen, bis er von der Jagd heimkehre.

Durch Wald und Busch ging's in lustigem Jagen, denn der königliche Hirsch trabte schnell, doch ohne viel Scheu, vor Rama dahin.

Stundenlang folgte der eifrige Jäger dem Flüchtigen, da endlich, an einer sonnigen Lichtung, erreichte er ihn auf Bogenschußweite.

Laut schwirrte die Sehne und, den Todespfeil in der Brust, sank das schöne Tier zu Boden.

Doch die Seele, die sich von dem Verendeten löste, war die Seele des Dämonen Maritza, des Dieners Ravanas.

Seinem Herrn bis zum Ende ergeben, hatte er dieses Mittel ersonnen, um Sitas Gatten von ihrer Seite zu locken. Mit dem Tode büßte Maritza seine Treue.

Während sich Rama nach dem verendenden Wilde bückte, hob sich die Seele des sterbenden Dämonen in die Lüfte und nahm ihren Weg zum Hause des Todesgottes.

Als sie an der Hütte der Verbannten vorüberflog, rief sie mit verstellter Stimme gar kläglich: »Hilf, Bruder Lakschmana, hilf!«

Sita hörte den Ruf, glaubte Rama in schwerer Gefahr, und bat Lakschmana, ihrem Gatten zu Hilfe zu eilen.

»Ich darf dich nicht verlassen!« sprach Lakschmana kopfschüttelnd und trat in die Tür.

»Hilf, Bruder, hilf!« klang es da wieder, wie aus Ramas Munde.

»Du musst!« schrie Sita voll Angst. »Mein Rama stirbt – so geh' doch – geh'!«

»Er hat mir verboten, dich zu verlassen! und er ist mein Herr wie deiner!« sprach Lakschmana zögernd.

Doch als der dritte Hilferuf ganz schwach und wie verröchelnd erklang, da fiel Sita vor dem Schwäher auf die Knie und schrie: »Geh' – geh'! – Du kannst mich nicht beschützen, wenn Rama stirbt, denn ich werde sterben mit dem, der mein Leben ist! – Geh'! Warum zögerst du noch? – Lauerst du auf des Helden Tod, um mit Bharata den Thron zu teilen? – Oh! was willst du bei mir, wenn mein Rama stirbt? – Willst du seine Witwe freien? –«

Wahnsinnig vor Angst raufte das Weib ihr Haar und lachte gellend auf.

Da griff Lakschmana nach seinen Waffen, befahl die Verlassene dem Schutze der Waldgötter und sprang dem Bruder zu Hilfe in den Wald.

Kaum war Sita allein, so nahte der Hütte ein bettelnder Brahmane, in gelbseidenem Kleide, mit Bambus und Weihkrug auf der Schulter. Schlangen und Vögel flohen in ihre Nester, die Blumen schlossen ihre Kelche und die Bäume erzitterten bis in die Wurzeln, denn es war Ravana, der Herr der Dämonen, der, ein Abgrund unter Rosen, in frommer Gestalt den Frieden des Waldes störte.

Vor der weinenden Sita hielt er an und fragte nach ihrer Tränen Quelle.

Ehrfürchtig stand die Schmerzgebeugte dem Zwiegeborenen Rede und holte die gastliche Spende aus der Hütte.

In des Dämonen Herzen aber glühte die Lust, die schöne Blume des Widcherlandes[?] an sich zu reißen. »Was tust du hier in des Landflüchtigen Hütte, du Perle der Weiblichkeit?« stieß er hervor. »Komm mit mir! ich will dich mit Schätzen überhäufen und als Königin auf einen Thron setzen. – Was tust du hier im Walde des Grauens? – Beten und dienen? Du aber sollst herrschen! Ravana bin ich, aller Menschen Peiniger! – Folg' mir nach Lanka, du sollst die erste meiner Gattinnen sein, und fünfhundert Sklavinnen werden deine stolze Anmut betreuen!«

»Wie der Schakal um die Löwin, schleichst du, Ravana, um mich! Die Löwin aber folgt nur dem Leuen! – Kennst du den Rama, der wie ein Berg aus tausend Hügeln ragt? der milde ist wie der Mond und scharf wie das Schwert! – Fürchte ihn, wenn er als Feind gegen dich steht! – Du rissest eher dem Tiger die Beute aus dem Rachen, als Situ aus Ramas Armen! – Wer nach des Helden Gattin Gelüste hat, der leckt an eines Schermessers Schneide, der will mit einem Felsen am Halse das Meer durchschwimmen und loderndes Feuer im wollenen Gewände verbergen!«

Da sprengte der Dämon seine zauberische Hülle und stand in rotwallendem Kleide als zehnhäuptiger Riese vor der Zitternden.

»Kennst du mich nun!« brüllte er, »den Besieger der Götter und Menschen, der den Tod in seiner Hölle bezwungen hat und den Götterkönig in Fesseln schlagen ließ! Kennst du mich nun? – und zitterst vor Angst, wo du vor Lust erschaudern müsstest! Soll ich die Erde aus ihren Grundfesten reißen, den Ozean austrinken oder – die zehn Nacken unter deine süßen Füße schmiegen, du Angebetete? – Willst du mein Weib werden, so gehorch' ich dem Zucken deiner Wimper, schönhüftige Tochter Dschanakas!«

»Weiche von mir!« stammelte Sita. »Nie kann ich in Liebe eines anderen gedenken, seit mein Auge den herrlichen Raghaver erblickt hat!"

Da griff Ravana nach der Schreienden und schwang sich mit ihr in die Lüfte.

Dschatajus, der treue Geierfürst, sah den Räuber und stieß mit gellendem Kampfschrei hernieder. Der Dämon warf Sita in seinen goldenen Wolkenwagen und wendete sich gegen den kühnen Vogel. Die Fäuste des Riesen würgten am Halse des treuen Helfers und seine Fußtritte brachen ihm die Flügel.

Sterbend stürzte Dschatajus aus den Lüften, und die Waldgötter flohen entsetzt vor der Macht des Dämons.

Ravana sprang zu Sita in den Wagen, ergriff die Zügel, und über den Wipfeln der hochstämmigen Bäume rollte das funkelnde Fahrzeug dahin.

Sita sah durch Tränen alle die Stätten, die sie mit Rama betreten halte, hinter sich schwinden. Klagend grüßte sie alle Zeugen ihres einstigen Friedens.

»Ihr Lieben, die ihr mein Glück gesehen habt!« rief sie, »klagt dem Verlassen die Gewalttat! Du blütenreicher Baum, in dessen Schatten so oft die Sonne unsrer Liebe erglänzte, du, Quell, der die Weisen zu Ramas Liebesworten summte, du, stiller Weiher, der im Kosen des Windes die Schauer unsrer Umarmung widerspiegelte! – Ihr heiteren Vöglein, ihr klugen Schlangen, ihr fleißigen Bienen – o klaget – klaget Ravana an! Zeihet den Frevler des Raubes; der Held wird mich finden, und wär' ich zu liefst im Schoße der Erde verborgen!«

Heimlich ließ Sita Schmuck und Blumen zur Erde fallen, um Rama den Weg zu weisen, und warf ihren Mantel unter eine Schar von Affen, die fröhlich in den Wipfeln spielte.

In immer schnellerem Fluge führte Ravana seine Beute über Land und Meer und fuhr erst aus den Lüften hernieder, als er seine prächtige Residenz auf der Insel Lanka erreicht hatte.

Noch einmal warb er hier in glühenden Worten um die Geraubte, doch als Sita ihn so stolz wie im Walde zurückwies, schwor er, die Kühne nach zwölf Monden aufzufressen, wenn sie bis dahin nicht seine liebende Gattin geworden sei.

Darauf ließ er die Widerspenstige in einen heiligen Hain vor der Stadt bringen und dort von zwölf Hexen bewachen.

Lakschmana war indessen im Walde dem heimkehrenden Rama begegnet. Rama erschrak, als er von dem Spuk hörte, der Lakschmana aus der Hütte gelockt hatte. Er überhäufte den Bruder mit Vorwürfen, und beide liefen schnellstens nach der Klause.

Oh! wie erschraken die Brüder als sie sahen, dass Sita verschwunden war.

Rama warf sich zur Erde und klagte:

»Hat sich das Unglück noch nicht an mir satt gefressen? – Sind Thron, Heimat und Vater der Opfer noch nicht genug? – Oh! – Die Dämonen haben meine Sita verschlungen, ihr Götter! – Und du, treuloser Bruder, hast sie preisgegeben! – Oh! sie werden ihre zarten Glieder gebrochen, ihre Samthaut mit Blut besudelt haben! und aus ihrem holden Köpfchen werden die Unholde saufen! – –«

»Fasse dich, Bruder!« sprach Lakschmana. »Lass uns an Rettung, und ist es zu spät, an Rache denken!«

»Ja, Rache!« schrie Rama. »Die Welt will ich in Brand stecken mit meinem Zorn, denn sie hat meine Sita nicht behütet. Oh! ich will toben, dass Indra auf seinem Thron im Himmel erzittert –«

»Bruder, wir wollen Sita suchen! noch wissen wir nicht, was hier geschah! rächen werden wir sie, wenn sie nicht mehr zu retten ist!«

So beruhigte Lakschmana den zornigen Helden, und sie traten vor die Hütte, um nach den Spuren der Vermissten zu forschen. Rama warf sich auf die Knie und bat Himmel und Erde um Nachricht von der Verlorenen. Da lief des Waldes Getier gegen Süden und wandte den Kopf nach dem Flehenden, als wollte es ihn zum Folgen einladen. Die Prinzen schritten hinter dem Wilde her und fanden bald den sterbenden Dschatajus. Mit brechender Stimme begann der treue Vogel von seinem Kampf mit Ravana zu erzählen, aber er starb in den Armen seiner Zuhörer, ehe er damit zu Ende gekommen war. Die Prinzen bestatteten seinen Leichnam mit allen Ehren, die einem verstorbenen Freunde geziemten, und drangen dann weiter durch den Wald nach Süden. Als sie die Blumen und Geschmeide Sitas fanden, fassten sie neuen Mut, denn sie wussten sich auf dem richtigen Wege.

Mit kopflosen Ungeheuern, mit Hexen und Riesen mussten die Tapferen sich herumschlagen, weil die kühne Streife ihres Fürsten dem Dämonengesindel neuen Mut gemacht hatte.

Einer der sterbenden Unholde, dem sein Tod die Lösung von furchtbarem Fluche bedeutete, riet Rama aus Dankbarkeit, den Affenkönig Sugriva aufzusuchen: Bei diesem Sohn des Sonnengottes würde er von Sita hören und vielleicht auch manchen Helfer unter dem kühnen Affenvolk finden.