Hanumat
Nun begann unter den kriegerischen Affen ein edler Wettstreit, wer als Kundschafter nach der Insel gehen sollte, um die Gelegenheit zu Sitas Befreiung zu erspähen.
Aber keiner wusste, wie hundert Meilen Meeres zu übersetzen wären. Auf des Bärenkönigs Rat entschloss sich Hanumat, den weiten Raum zu überspringen. Er vertraute der Macht seines Vaters, des Sturmgottes, und den von ihm ererbten Zauberkräften.
An einem stürmischen. Morgen bestieg er den Berg Mahendra und schwang sich von dort mit einem Stoß, der die Erde erbeben ließ, in die Lüfte. Auf starken Armen trug der Vater ihn dahin. Aber die Dämonen der Luft stürzten sich gegen den verwegenen Affen, und nur seinen kühnen Listen und seiner Zauberkraft, die ihn bald zu Bergesgröße anschwellen, bald zu Daumenwinzigkeit verschrumpfen ließ, dankte er sein Entkommen. Fast wär' er auch halben Weges in die Fluten gestürzt, denn des Sturmes Arme senkten sich einmal ermattet. Aber Sagara, der Herr des Meeres, der den Kühnen immer hold ist, ließ einen Felsen aus den Wellen tauchen, und vom neuen schwang sich Hanumat in die Lüfte, mit einem Tritt, der den rettenden Block versenkte.
Vier Tage war er dahingeflogen, bis er endlich die Insel und die goldschimmernde Stadt Lanka erspähte. Als der schlaue Kundschafter der feindlichen Feste nahe war, verwandelte er sich in eine große Fliege und flog so, unerkannt, über die goldene Stadtmauer.
Wie staunte er über die Pracht dieser Dämonenheimat!
In den breiten und geraden Straßen stand Palast an Palast aus edlem Gestein. Kostbare Säulen trugen die Dächer, und reiche Bildnerarbeit schmückte die Mauern.
Auf den Märkten standen viele hundert Zelte aus schönfarbigen Geweben, und Waren aus aller Herren Länder lagen dort zum Verkauf. Scharen der wunderlichsten Wesen, in prächtiger Kleidung, drängten sich auf den Straßen und Plätzen: da waren Riesen und Zwerge, scheußliche Hexen und liebliche Elfen; Feen, Krüppel, Kopflose und Mehrköpfige. Und herrliche Wagen wurden von Fabelwesen aller Arten dahingezogen. Jeder Zauber, alle Wunder der ganzen Welt schienen in dieser Residenz des Dämonenfürsten vereinigt zu sein.
Hanumat flog in seiner Zaubergestalt bis zum sinkenden Abend durch die Straßen, und keiner der Rakschasas – so hießen im alten Indien alle dämonischen Wesen – beachtete die harmlose Fliege.
Mit Einbruch der Dunkelheit war der Treue vor einem Palast gekommen, der größer und herrlicher war als alle anderen in der Stadt. Über eine Meile im Geviert dehnte sich der Bau, und vor dem kunstvoll gebildeten, erzenen Tor hielt ein Wagen aus purem Golde. Saphire und Diamanten umkränzten seine Brüstung und leuchteten wie ein Flammenkranz durch das Dunkel. Der Boden des prunkvollen Gefährtes war rotes, geschliffenes Sandelholz, mit Elfenbein eingelegt. Acht silberschellige Eselein mit Elfengesichtern waren angespannt. Es war Puschpaka, der Wolkenwagen, den Ravana einst dem Schatzgott Kubera entführt hatte!
Hanumat flog durch das halboffene Tor an allen Wachen vorüber und kam in eine Halle, deren Pracht alles überbot, was der kühne Kundschafter bisher gesehen hatte.
Die Kuppeln aus Edelsteinen waren von goldenen Säulen getragen, auf denen sich Perle an Perle, Demant an Demant zu schönen Bildwerken reihte. Pfühle und Decken aus Kaschmir und Seide mit kostbaren Stickereien lagen ringsum an den Wänden, und Frauen, deren Schönheit den tapferen Hanumat erzittern ließ, wälzten sich darauf im Schlaf oder in heiterem Spiel.
Unter einem schimmernden Thronhimmel aber nahm der zehnhäuptige Ravana und seine Lieblingsfrau Mandolari ein üppiges Mahl, tranken köstlichen Soma und lauschten den Weisen verborgener Spielleute.
Hanumat flog verzweifelt umher, denn auf keine der Frauen in Ravanas Palast mochte das Bild passen, das Rama ihm von seiner fernen Geliebten entworfen hatte.
Traurig und matten Fluges verließ er das Frauenhaus und die Stadt, und zerfleischte sein wackeres Herz mit Vorwürfen, dass er seiner Kundschafterpflicht nicht vollauf Genüge leiste.
Als er nahe dem Stadttor einen herrlichen Opferhain entdeckte, schlüpfte er aus seiner Zaubergestalt und wollte sich vor den Göttern neigen, um in frommer Bußfertigkeit neue Kraft für sein schweres Unternehmen zu erflehen.
Kaum schritt der Affenfeldherr unter den hochstämmigen Asokabäumen dahin, so hörte er aus einem Gartenhaus wehmütiges Klagen. Mit einem Satz war Hanumat in einer der Baumkronen vor den Fenstern des Gebäudes und erkannte frohen Herzens Sita inmitten ihrer Wachen von Hexen.
Während der Wackere noch überlegte, wie er sich der Gefangenen ohne Gefahr bemerkbar machen könnte, öffnete sich die Tür zu Sitas Gemach, und Ravana, in halbtrunkenem Zustand, umgeben von vielen seiner Frauen, trat vor die unglückliche Fürstin.
»Sita!« schrie der Schreckliche, »du Sonne an meinem Liebeshimmel, die mir leuchtet und mich verbrennt, die mir Leben schenkt und mich verdursten lässt! – Starrköpfige! zehn Monde sind verstrichen! Du hast meine Macht gesehen und kennst meinen Schwur! – Willst du nun mein Weib werden?«
»Nie!« sprach Sita, ohne auch nur den Blick nach dem Stolzen zu wenden.
»Ich liebe dich!« rief Ravana, ihr zu Füßen stürzend. »Oh, eiskalte Schöne, kühl' die verzehrende Glut!«
»Zurück, Elender!« schrie Sita. »Ich bin des Raghawers Weib! Eher wird ein Sünder den Himmel Indras betreten, als ich die Hölle an deiner Seite suchen. Zurück, Herrscher, der sich nicht beherrschen kann!«
In aufloderndem Zorn sprang Ravana empor und schwor mit flammenden Augen, die Kühne zu strafen.
Aber die Frauen seines Gefolges, die den alles vernichtenden Grimm des Schrecklichen fürchteten, drängten sich um ihn, umschlangen den furchtbaren Gebieter und küssten die zornbebenden Lippen, bis der Dämon besänftigt war.
»Wohl! du stolzes Menschenkind!« sprach er endlich ruhiger, »zwei Monde hast du noch Zeit! aber folgst du mir dann nicht willig vor das heilige Feuer, so fresse ich dich mit Haut und Haaren, so wahr ich der Mächtigste unter der Sonne bin!«
Damit wandte er sich ab und verließ mit den Seinen das Gartenhaus.
Sita aber versank in stilles Weinen, und ihre Hexenwache überließ sich nach und nach einem sorglosen Schlummer.
Hanumat auf seinem Baumsitz hatte alles gehört und gesehen. Als er sich nun ziemlich sicher fühlte, begann er leise zu singen:
»Wer bricht die stärksten Waffen
Und trägt das schwerste Leid?
Wer ist ein Held ohn' Fehle,
Trotz härnem Büßerkleid?
Wen sandte Lieb' ins Elend
Und büßt' es mit dem Tod?
Wes Adel brach die Ränke?
Wer ließ die Macht um Not?
Wem stahl der Hass das Hellste:
Den Stern aus seiner Nacht,
Das Weib, das finstres Brüten
Aus seinem Herzen Jacht'?
Wen eint mit dir die Träne
Und trennt von dir das Meer?
Wer sendet über die Fluten
Zu dir den Boten her –?
»Rama!« stammelte Sita, die längst ans Fenster getreten war. »Rama! – dich sendet Rama! – Doch nein! – der Fürchterliche hat mich schon oft zu täuschen versucht! – Ob, ihr Götter – –«
»Hier ist Ramas Ring! Du musst ihn kennen!« beruhigte Hanumat die Zitternde.
»Er ist es! ja, er ist es!« murmelte Sita. »Doch wär's ein neuer Spuk des übermächtigen Dämonenherrschers – –«
»Nein, Edle, ich habe ihn von des Fürsten
eigener Hand! – Er grüßt dich durch mich und verbringt seine Tage
in Trauer, wie du! – Komm, du Getreue! ich will dich auf meinem
Rücken sicher über das Meer tragen und in seine sehnsüchtig
geöffneten Arme legen!«
»Wer bist du, dass du dich solcher Tat vermisst?« fragte sie
erstaunt.
»Ich bin Hanumat, des Sturmgottes Sohn, und ein Fürst unter den Affen! – Vertraue dem getreuen Freund und Diener deines Gatten!«
»Ich vertraue dir, Hanumat!« sprach Sita ruhig, »doch sinne auf andere Rettung! Nie kann ich erlauben, dass eines fremden Mannes Hand mich berührt!«
»Du hast recht, Keusche!« erwiderte Hanumat, »und ich werde allein über das Wasser setzen und deinen Gatten zum Siege nach Lanka führen! – Ich schwöre es dir!«
»Edler Freund!« sprach Sita. »Rufe die tapfern Raghawer bald zu meiner Rettung, denn nach zwei Monden soll ich sterben!«
»Ich eile, hehre Fürstin!« erwiderte der Kühne. »Doch sende dem verzweifelnden Rama durch mich ein Zeichen, dass du noch lebst!«
Sita besann sich kurze Zeit, dann sprach sie errötend:
»Sage meinem Gatten, ich denke oft daran, wie sich einst im Walde mein Gürtel löste, als ich Steine nach einer zudringlichen Krähe warf! – Nur er und ich wissen darum, denn wir waren allein!«
»Ich werde es ihm sagen!« erwiderte Hanumat. »Und nun lebe wohl, Erhabene, und harre geduldig des Sieges und deiner Rettung!«
Damit sprang der Wackre von seinem Baum und schlug den Weg nach der Stadt ein, denn er wollte vor seiner Abreise noch die Stärke der Feste und ihrer Verteidiger ausspähen.
Aber nach wenigen Schritten wurde er entdeckt, befragt und angegriffen.
Wie ein Held stand Hanumat unter den vielen Dämonenkriegern, die auf das Geschrei der Wache von allen Seiten herbeieilten.
Lange hielt er sich die Scharen der Feinde mit geschickten Steinwürfen vom Leibe, doch als ihrer zu viele wurden, riss der Starke einen Baum aus der Erde und schlug mit dieser Keule unter die Angreifer.
Der Kampflärm drang bis in den Palast des Königs, und Ravana sandte seine starken Söhne und viele kühne Recken aus seinem Gefolge gegen den tapferen Affen.
Lange stand Hanumat gegen die vielen. Statt des in seiner Hand zersplitterten Baumes, schwang er eine eherne Säule des Tempels als Streitkolben gegen die anstürmenden Recken.
Viele sanken mit zertrümmerten Schädeln dahin, aber endlich unterlief Indradschit, Ravanas Sohn, der einst den Götterkönig in Fesseln geschlagen hatte, den Helden und band ihm mit seinem Gürtel die starken. Arme.
Im Triumph ward der Gefangene vor Ravana geführt. Furchtlos stand Hanumat vor dem mächtigsten Herrscher der Erde. Er nannte sich kühn einen Boten Ramas und forderte Gastrecht als Gesandter. Ravana wollte ihn töten. Aber der verhutzelte Vibhischana, des Königs mitverfluchter Bruder, bat für den Gefangenen und verteidigte die Unverletzlichkeit eines Boten mit weisen Worten. Ravana gab nach, doch wollte er auf seine Rache nicht ganz verzichten: Den Boten Ramas ließ er vor Sitas Fenster bringen und den Schweif des tapferen Affen mit ölgetränkten Lappen umwickeln. Dann wurde diese Fackel angezündet.
Sita betete zu Agni, und der Feuergott umstrahlte den getreuen Boten nur, ohne ihn zu versengen. Hanumat aber sprach eine Zauberformel und dehnte im Wachsen und Schwellen seine Fesseln. Ein Gegenzauber ließ ihn gleich darauf zum Zwerge verschrumpfen, und so schlüpfte er aus den gelockerten Banden. Hohnlachend sprang er mit seinem brennenden Schweif durch die Straßen von Lanka und zündete Zelte und Basare an. Im Schrecken der Feuersbrunst schwang er sich unbemerkt über die Stadtmauer, erkletterte den Berg Arischta und schwang sich auf dem Rücken des Sturmes über das Meer.