Sechzehn

Leos Abschlußfeier verlief so gut, wie das unter den gegebenen Umständen möglich war. Die Erfahrungen, die Leo während seines letzten Semesters im St. Anthony’s gemacht hatte, ließen die Zeremonie in seinen Ohren etwas hohl klingen. Es folgte eines dieser so unvermeidlichen wie gräßlichen Essen der Familie Fansler. Alle Fanslers waren anwesend, aber Kate konnte sich wenigstens gemütlich am Champagner betrinken, eine Fluchtmöglichkeit, die die Abschlußfeier selbst leider nicht geboten hatte.

Leo war wieder in sein Elternhaus gezogen. Als Reed und Kate den versammelten Fanslers schließlich Lebewohl sagten, dankte Leo ihnen für »alles«, als hätten sie ihn, wie Reed bemerkte, für einen Nachmittag in den Zoo mitgenommen. Sie beschlossen, die Avenue hinunterzugehen.

»Ich habe dir noch nicht über die abschließende Ironie des Schicksals berichtet«, sagte Reed. »Finlay und Ricardo werden zweifellos mit einem Jahr Verspätung beide nach Harvard gehen. Bei Finlay stand das ja nie in Frage. Er ist, wie Leo immer wieder sagt, ein Genie. Und Max hat als Unterstützung für den jungen Ricardo einen so bewegenden Brief verfaßt, daß Harvard bereit ist, seine Aufnahme ernsthaft zu bedenken. Zweifellos hatte Max das Gefühl, die positive Seite der Familie herausstreichen zu müssen. Wer heftig unter der Sache zu leiden hatte, war Leo: Der Direktor hat ihn nicht einmal gegrüßt, wenn sie sich in der Halle begegneten. Ich glaube, das hat Leo schon getroffen.«

»Crackthorne auch«, sagte Kate. Reed zog fragend eine Augenbraue hoch. »Du weißt doch«, sagte Kate, »der junge Lehrer, der an einer Dissertation über die Generation des Ersten Weltkriegs schreibt. Er war es, der mir die Basketballspiele erträglich gemacht hat. Er verläßt St. Anthony’s. Er hat mir einen Brief geschrieben. Er sagt, er hat dort soviel an Eigennutz und Blasiertheit erlebt, daß es ihm für den Rest des Lebens reicht.«

»Kate, tut es dir leid, daß du nicht länger als ein Jahr Mutter spielen durftest?«

»Unsinn. Das war genau die richtige Portion Elternschaft. Aber wenn ich mir das Jahr noch einmal aussuchen dürfte, dann würde ich ein weniger ereignis- und krisenreiches vorziehen. Wie Lady Bracknell in anderem Zusammenhang schon hervorhob: >Die Krisen 165

dieses Frühjahrs lagen deutlich über dem Durchschnitt, den die Statistik für uns als Richtschnur bereithalte«

»Du bist wirklich wieder in Ordnung. Wenn du Oscar Wilde zi-tierst, geht es mir immer gleich besser. Ich habe mir ein bißchen Sorgen über die möglichen Spätfolgen einer Jagd durch den dunklen Wald gemacht, die ein verrückter Mörder auf dich unternommen hat.«

»Übertreibung ist ansteckend, wie ich sehe. Weißt du, Reed, Max wird mir immer ein Rätsel bleiben. Und wenn ich in der Hütte bin, werde ich ihn immer über meine ungemähte Wiese schauen sehen.«

»Wir alle haben unsere Geister und Gespenster«, sagte Reed.

»Mich zumindest wird stets der Geist des noch nicht achtzehnjährigen Leo begleiten.«

Aber das Verzeichnis der Geister war noch keineswegs vollständig. Als Kate und Reed ein paar Wochen später von einem Aus-landsurlaub zurückgekehrt waren, flatterte ein Brief aus Wallingford ins Haus.

»Für Kate von Tate«, hatte Sparrow geschrieben. »Also kein förmlicher Brief, nichts Offizielles. Dieses Foto tauchte in Cecilys Papieren auf. Ich vermute, Max hatte vor, es in der Biographie zu verwenden. Natürlich hätte ich keine Kopie davon machen oder es irgend jemandem schicken dürfen.«

Auf dem Foto posierten drei Mädchen vor der Kamera, lachend, die Arme um die Taille der anderen geschlungen. Auf der Rückseite stand: »Tupe, Hutchins, Whitmore. Oxford 1920.«

Die Mädchen standen auf einer Wiese im Sonnenlicht, vermutlich im Somerville. Und hinter ihnen konnte man die träumenden Türme erahnen.

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