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SPIELZEUG FÜR DEN MUFTI
Han Solo stand mit großen Augen vor Jiliacs Podest. Der Mund stand ihm offen. »Ihr wollt, daß ich was tue?«
»Vorsicht, Solo«, warnte Jabba. »Sie haben Lady Jiliac mit Respekt zu begegnen.«
Han ignorierte den Hutt-Lord. »Aber… aber…«, stammelte er, »das ist doch verrückt. Das ist, als würdet Ihr mich auffordern, mir selbst eine Waffe an den Kopf zu halten und abzudrücken! Wir haben doch alle gehört, wie Shild sich die Schmuggler zur Brust genommen hat. Falls es Eurer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, ich bin Schmuggler…« Er tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust. »…und wenn ich zu Sarn Shild marschiere, um ihm Eure Geschenke und Eure Nachricht zu überbringen, war das der letzte Schritt, den ich in Freiheit getan habe. Nein, das mache ich nicht!«
Innerlich war er selbst ein wenig überrascht über seine Unverfrorenheit, mit den mächtigen Hutt-Führern auf diese Weise zu reden, aber Jiliacs gelassen vorgebrachte Bitte hatte ihn in Rage versetzt. Was glaubten diese Hutts eigentlich, wer sie waren?
»Captain Solo.« Jiliac nahm offenbar keinen Anstoß an Hans Worten oder seinem Ton. »Beruhigen Sie sich. Wir werden Sie mit neuer Kleidung, den besten gefälschten IDs und mit einem unserer eigenen Kurierschiffe ausstatten. Niemand wird wissen, daß Sie Han Solo sind, der Schmuggler. Man wird lediglich wissen, daß Sie ein diplomatischer Gesandter von Nal Hutta sind, der ordnungsgemäß bevollmächtigt und ernannt wurde, unsere Botschaft und unsere Geschenke zu überbringen.«
Han atmete tief durch. Unter diesen Umständen… vielleicht. »Und was ist Euch die Ablieferung Eurer Botschaft wert?« fragte er schließlich.
»Zehntausend Credits«, erwiderte Jiliac, ohne mit der Wimper zu zucken.
Han schnappte nach Luft. So viel! Und das nur für einen Hin- und Rückflug nach Coruscant! Er starrte die Hutt-Führer einen Moment lang an, dann wandte er sich Chewbacca zu. »Was meinst du, Kumpel?«
Chewie war sichtlich so unentschlossen wie er selbst. Der große Wookiee knurrte und grollte und stellte schließlich fest, daß dieses Geld der Grundstock für ein eigenes Schiff darstellen könnte. Aber es sei Han, der seine Haut riskieren würde, fügte er hinzu, daher läge die Entscheidung bei ihm.
Der Corellianer dachte noch einen weiteren Moment nach, dann wandte er sich wieder Jiliac und Jabba zu. »In Ordnung«, sagte er. »Für zehntausend mache ich es. Alles im voraus.«
Jabba erhob dagegen Protest, doch Jiliac brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. »Sehr gut, Captain. Also zehntausend im voraus. Wann können Sie starten?«
»Wenn Ihr mir heute die IDs und das Schiff besorgt«, entgegnete Han wild entschlossen, »fliegen wir morgen früh.«
»Das wird erledigt«, versprach Jiliac.
Die Hutt-Führerin hielt Wort. Am nächsten Morgen hatte Han ausgezeichnete gefälschte Ausweisdokumente erhalten, die ihn als einen gewissen ›Jobekk Jonn‹ und offiziellen Gesandten der Hutts identifizierten. Sein Schiff war ein schnelles corellianisches Kurierschiff namens ›Quicksilver‹. Außerdem gab man ihm einen Satz Kleidung, der besser war als alles, was er jemals besessen hatte: eine nach der jüngsten Mode geschnittenen Kombination aus Tomuon-Wolle.
Auf Chewies Vorschlag ließ er sich während der Zeit, die sie für den Flug nach Coruscant brauchten, einen kurzen Bart wachsen. Nachdem sie an einem von Coruscants zahlreichen Raumdocks festgemacht hatten, kämmte er sich sein Haar naß aus der Stirn und staunte darüber, wie verändert er aussah. Der feine graue Anzug ließ ihn wie einen Bürokraten aussehen.
»Ohne meinen Blaster fühle ich mich nackt«, brummte Han. »Aber Waffen sind auf Coruscant untersagt… ich meine natürlich im Imperialen Zentrum. Außerdem tragen diplomatische Gesandte schätzungsweise keine Waffen.«
Chewie äußerte einen betrübten Kommentar darüber, daß Han nun nicht mehr zerzaust aussah. Statt dessen wirkte er glatt und poliert wie Lapistein.
»Glaub mir, Kumpel, ich kann es kaum erwarten, mich wieder in mein altes Selbst zu verwandeln«, sagte Han. Dann nahm er das Paket mit den Geschenken sowie den Holowürfel mit der Nachricht von Jiliac und dem Großen Rat von Nal Hutta, verließ die ›Quicksilver‹ und bestieg eine Fähre ins Imperiale Zentrum.
Die Rückkehr in die Hauptstadt des Imperiums brachte eine Vielzahl von Erinnerungen, die meisten unangenehmer Natur. Bria hatte ihn auf Coruscant verlassen. Hier war er auch von Garris Shrike über die Dächer gehetzt worden. Und die Verhandlung gegen ihn vor dem Militärgericht war in der hiesigen Hauptniederlassung der Imperialen Flotte durchgeführt worden…
Han wußte bereits, wo er den Mufti finden würde. Shild unterhielt mehrere Residenzen auf verschiedenen Welten, doch zur Zeit hielt er sich im Imperialen Zentrum auf und nahm dort an Konferenzen über Gesetz und Ordnung im Imperium teil.
Han erreichte bald die Residenz des Muftis, ein verschwenderisches Penthouse in einem der elegantesten Gebäude der Stadt. Nachdem er diverse Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen hatte, händigte er seine Referenzen dem Majordomus aus, einem älteren menschlichen Mann, und nahm im Vorzimmer Platz. Nur mit größter Willensanstrengung gelang es ihm, nicht nervös auf seinem Stuhl herumzurutschen.
Er hatte bereits fast fünfundvierzig Minuten gewartet, als der Majordomus wieder erschien. »Mein Herr vermag Ihnen lediglich ein paar Minuten zu gewähren«, sagte er. »Er reist noch heute abend nach Velga Prime.«
Na prima, dachte Han. Velga Prime war der prunksüchtigste Glücksspiel-Planetoid in der ganzen bekannten Galaxis.
Er folgte dem Majordomus durch eine Reihe mit Teppichen ausgelegter Flure. Han prägte sich unwillkürlich den Weg ein, nur für den Fall, daß die Dinge aus dem Ruder liefen und er sich rasch absetzen mußte. Schließlich führte ihn der Majordomus in ein Büro, das größer war als Hans Wohnung auf Nar Shaddaa.
»Master Jobekk Jonn von Nal Hutta, Exzellenz«, verkündete der alte Mann.
Mufti Sarn Shild war ein blasser, asketisch anmutender großer Mann mit pomadisiertem Haar und einem dünnen, spitz zulaufenden Schnurrbart. Mager bis zur Auszehrung, besaß er weiße, kalt wirkende Hände mit sehr langen Fingern.
Er trug, abgesehen von einer Kraytdrachenperle in einem seiner Ohrläppchen, keinerlei Schmuck. Sein Anzug war von demselben schimmernden Schwarz wie das Schmuckstück. Er deutete brüsk auf einen Stuhl.
»Ich fürchte, ich muß mich kurz fassen, Jonn. Mir ist durchaus bewußt, daß die Hutts sich gegenüber meiner Administration in der Vergangenheit stets… großzügig verhalten haben, aber der Imperator hat seine Wünsche vollkommen klargemacht. Mir sind die Hände gebunden.«
»Wir sollten nichts übereilen, Euer Exzellenz«, sagte Han und achtete genau auf Diktion und Grammatik. Er verfiel unbewußt wieder in die sprachlichen Gepflogenheiten aus der Zeit seiner Laufbahn als imperialer Offizier. »Ich bin der festen Überzeugung, daß die Gaben sowie die Nachricht der Hutts, die ich mitgebracht habe, auf Euer Interesse stoßen werden. Darf ich?«
Shild nickte knapp.
Han stellte vorsichtig das Paket auf dem Schreibtisch ab. »Bitte, öffnet es nur«, sagte er.
»Also gut«, entgegnete der Mufti. Er öffnete das Paket mit spitzen Fingern, und so wie seine Augen aufleuchteten, konnte Han mit Gewißheit sagen, daß die Hutt-Lords seinen Geschmack getroffen hatten. Eine kleine, mit Halbedelsteinen besetzte silberne Pfeife; ein miniaturisierter Holoprojektor, so klein, daß er in einer menschlichen Hand Platz gehabt hätte; eine mit goldenen Corusca-Gemmen besetzte Halskette aus Gold und Platindraht.
»Für Ihre Gattin, Sir«, bemerkte Han samtweich.
»Ja, das wird ihr gefallen…«, murmelte der Mufti. Als er rasch die auf dem Holowürfel gespeicherte Nachricht durchsah, die er mit Hilfe seiner Netzhautmuster zum Vorschein brachte, erschien zwischen seinen Augenbrauen eine tiefe Falte.
»Schauen Sie, Jonn«, sagte er, nachdem er alles gelesen hatte, »ich wünschte, ich könnte Nal Hutta mehr Sicherheiten bieten, aber wie ich Ihnen bereits sagte, habe ich gar keine Wahl. Der Imperator hat sämtliche imperialen Welten aufgefordert, mit Härte gegen den Schmuggel, den Waffenhandel und andere kriminelle Aktivitäten vorzugehen. Der Hutt-Raum gehört zu meinem Sektor, und unglücklicherweise stehen die Hutts bekanntermaßen in dem Ruf der Unlauterkeit, daher kann ich unmöglich schützend meine Hand über sie halten. Ich werde Nal Hutta allerdings zusagen, daß es keine bewaffneten Vergeltungsschläge geben wird, sofern die Hutts kooperieren.«
»In welcher Weise kooperieren?«
»Indem sie alles unternehmen, um loyale, gesetzestreue Bürger des Imperiums zu werden.«
Soweit kommt es noch, dachte Han. »Was wird aus Nar Shaddaa?« fragte er laut, ohne etwas dagegen tun zu können. Die Furcht um sich selbst und seine Freunde ließ seine Zunge am Gaumen kleben.
»Ich werde an Nar Shaddaa ein Exempel statuieren müssen«, erwiderte Shild. »Wenn ich mit dem Schmugglermond fertig bin, wird es dort keine Schmuggelwirtschaft mehr geben, und die Einwohner können sich glücklich schätzen, wenn es dort dann noch intelligentes Leben gibt.«
Han versuchte sein Entsetzen zu verbergen. Was sollen wir bloß tun!
Shild schüttelte den Kopf. »Und jetzt, fürchte ich, muß ich gehen. Ich bedauere, daß Sie für dieses kurze Gespräch eine so weite Reise auf sich genommen haben, aber ich hatte Ihre Hutt-Herren gewarnt, daß es mir nicht möglich sein würde, ihnen in dieser Sache entgegenzukommen.«
Shild erhob sich, und Han tat es ihm unwillkürlich gleich.
»Sarn?« erklang eine Stimme hinter der Tür, die in den angrenzenden Raum führte.
Han erstarrte mitten in der Bewegung. Diese Stimme!
»Ich bin hier, meine Liebe«, rief Shild. »Ich bin eben dabei, den diplomatischen Gesandten von Nal Hutta hinauszubegleiten.«
Die Tür ging auf, und da stand lächelnd eine Frau. »Sarn, Liebster«, sagte sie, »wir müssen uns beeilen. Die Fähre wartet schon auf dem Dach. Wirst du noch lange brauchen?«
Han drehte sich nach ihr um, und ihre Blicke begegneten sich – zum ersten Mal seit sechs Jahren.
Bria Tharen. Diesmal konnte es keinen Irrtum geben. Bria stand da, in einem fließenden Seidenkleid, das sie wie ein weiteres Schmuckstück in Shilds prunkvollem Heim wirken ließ. Das tief ausgeschnittene Kleid hatte das türkisfarbene Kolorit ihrer Augen. Sie war atemberaubend schön.
Sie erwiderte Hans Blick, blinzelte und wurde ein wenig blaß. Trotzdem geriet ihr Lächeln nicht ins Schwanken.
Sie ist gut, dachte Han. Er wußte, daß er sein Erschrecken verraten hatte, doch zum Glück sah Shild ihn gerade nicht an. Han riß sich schnell zusammen und setzte eine höfliche, neutrale Maske auf.
Shild deutete auf Bria. »Master Jobekk Jonn von Nal Hutta. Meine… Nichte Bria.«
Allein die Jahre, die Han nun schon das Sabacc-Spiel beherrschte, retteten ihn jetzt. Als Bria ihm mit einem heiseren »Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Master Jonn« beherrscht die Hand entgegenstreckte, war er bereits wieder fähig, diese zu ergreifen und sich mit einem weltmännischen Lächeln über sie zu beugen.
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, sagte er. »Shild, Ihr seid ein sehr glücklicher Mann, eine so hübsche… Nichte… zu haben.«
Er sah, daß bei dem spöttisch vorgebrachten Kompliment ein leichter Hauch von Rot ihre Wangen überzog. »Sie kommen mir bekannt vor, Sir«, sagte sie. »Habe ich Sie schon mal irgendwo gesehen?« Ihre Stimme klang kühl und desinteressiert.
Han wußte, daß sie ihn herausfordern wollte. »Vielleicht auf einem Steckbrief«, flüsterte er so leise, daß Shild ihn nicht hören konnte. Nachdem er sich noch einmal unterkühlt über ihre Hand gebeugt hatte, ließ er sie stehen – obwohl er sie am liebsten gepackt und mitgenommen hätte – und verneigte sich förmlich vor Shild.
»Ich danke Euch für Eure Zeit, Exzellenz.« Dann drehte er sich um und marschierte entschlossen aus dem Raum.
Später an diesem Abend, viel später, lag Bria Tharen auf ihrem schmalen Bett an Bord der Yacht des Muftis und erstickte ihr Schluchzen im Kissen. Jedesmal wenn sie an den Ausdruck in Hans Augen dachte, wollte sie am liebsten laut losheulen.
Es war allzu offensichtlich, daß er das Schlimmste angenommen hatte, nämlich daß sie Shilds Konkubine war. Aufs neue wurde sie von Schluchzen geschüttelt. Das war es schließlich auch, was Sarn Shild jedermann glauben machen wollte. In Wahrheit galten die sexuellen Vorlieben des Muftis keineswegs menschlichen Frauen. Bria begleitete ihn auf Reisen lediglich als hübsch anzuschauendes Vorzeigeobjekt, das jedem imperialen Offizier wie irgendeine beliebige Trophäe vorgeführt wurde.
Sie kümmerte sich darum, daß zu Hause alles glattging, hörte ihm zu, wenn er jemanden zum Reden brauchte, beaufsichtigte die häuslichen und geschäftlichen Angelegenheiten und nahm sich ganz im allgemeinen der reibungslosen Lebensführung des Muftis an. Aber sie hatte niemals sein Bett geteilt – der einzige Umstand, der ihr die derzeitige Mission erträglich machte.
Und nun… nun hatte Han sie gesehen und dachte das Schlechteste von ihr. Nicht einmal die Vielzahl an Informationen, die Bria an die Rebellen-Bewegung auf Corellia hatte weiterleiten können, vermochten den Kummer und die Scham, die sie empfand, zu lindern.
Ihr Kissen war naß. Bria drehte es auf die andere Seite, legte sich hin und starrte in die Dunkelheit, während die Yacht des Muftis durch den Hyperraum sauste.
»Han…«, flüsterte sie stockend. »Han…«