Drogen
Das ist ein explosives Thema. Zumal in Zeiten, in denen der Gesundheitsterrorismus umgeht. In denen Fitness-Ayatollahs darauf bestehen, dass wir gesund sterben, ganz und gar unversehrt. Zeiten, in denen jeder Bürger beim Gang in den Supermarkt sein eigenes Labor mitschleppen soll. Um zu checken, wie viel Teufelswerk, wie viel Pestizide, Farbstoffe, Zucker, Kalorien, etc., etc., etc., etc. in jedem Nahrungsmittel stecken. Zeiten, in denen Bio-Stalinisten jeden Nichtraucher zum Opfer massenmordender Raucher erklären, ja, Ökospießer uns mit ihren heillosen Leichenbitter-Slogans – »Viel Gemüse! Viel Obst! Viele Feigen aus jordanischen Palmengärten! – die Lebensfreude vergällen. Ahnen diese Erlösungsjünger nicht, wie viel Stress sie unters Volk bringen? Mit ihrem himmlisch faden Geleier?
Ein Gang in die Gesundheitsläden zeigt, wie jene aussehen, die sich sündenlos und sieben Tage die Woche von »vielen Hülsenfrüchten!« und »vielen Milchprodukten!« und »viel geschrotetem Leinsamen!« ernähren. Sie sehen irgendwie grün aus. Blassgrün. Sie sehen nach allem aus, nur nicht nach Sprühen und Sprudeln. Jeder dieser Nervensägen würde ich gern zurufen: »Bleib zu Hause, Angsthäschen, reise nicht in die Welt, du hast dort nichts verloren. Pack dir einen Sack Karotten ein, radle in den Stadtpark, creme dich mit Schutzfaktor 300 ein und lies den neuen Bestseller Wie ich hundert wurde und nebenbei alles versäumt habe.«
Irgendwann werden uns diese Hysteriker mit einer Fleischsteuer bestrafen, dann mit einer Sexsteuer, dann wird das Lachen verboten, kurz darauf das Gekicher, irgendwann stürmen sie unsere Wohnungen auf der Suche nach zerwühlten Bettlaken, zuletzt rationieren sie uns den Atem.
Wenn sie nur wüssten, die kalkfahlen Gesundbeter: dass es dem Körper schnurzegal ist, ob er seine tägliche Ration von 0,000 047 Milligramm Silicium und seine 0,0057 Milligramm Rubidium bekommt, solange, ja solange er sich begeistern kann, solange ihn Herausforderungen antreiben, solange er, auch das, umarmt und umarmt wird. Und eben nicht, solange er stündlich eineinhalb Spargelstangen, fünfzehn Gramm Birchermüesli und sechs Blätter Rucolasalat (vom Biobauern!) verabreicht bekommt. Der Körper will leben, bersten, tanzen, schreien, sündigen, in der Welt sein. Fehlt das, rettet ihn kein Gemüse zwischen Himmel und Erde.
Dieses Kapitel ist folglich den Hungrigen gewidmet, den hungrigen Reisenden. Die das Leben nicht als Leichenzug verstehen, der siebzig oder achtzig Jahre lang vorbeitrottet, sondern als phänomenale Möglichkeit, reich zu werden: im Kopf, im Busen (bei den alten Griechen das Zentrum des Gefühls), im Bauch, überall. Und Drogen sind ein überwältigendes Genussmittel, um der Intensität nachzuhelfen. Dass sie verboten sind, erzählt uns etwas von der Scheinheiligkeit, mit der wir leben. In jedem Discounter stehen fünftausend Flaschen Alkohol, jeder darf zugreifen. Literweise, kübelweise. Wird einer mit fünf Gramm Hasch erwischt, entflammt das gesunde Volksempfinden und schreit nach dem Staatsanwalt.
So wollen die folgenden Zeilen auch ihren (bescheidenen) Betrag liefern: damit – endlich – der Konsum von Drogen legalisiert, sprich, entkriminalisiert wird. Damit marodierende Mörderbanden – Mexiko macht es uns gerade vor – aufhören, via Verkauf von Dope ihr Terrorregime zu etablieren. Damit Pubertierende nicht auf den Strich gehen müssen, um sich den Stoff zu finanzieren. Damit – ich weiß also, wovon ich rede – ich keinen Meineid mehr schwören muss, um eine drogenabhängige Freundin vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren. Die Legalisierung wird nicht alle einschlägigen Probleme lösen (so wenig wie der legale Verkauf von Schnaps vor Alkoholismus schützt), aber die grausamsten, die barbarischsten, die schon.
Ich bitte um Nachsicht für die lange Einleitung, aber es handelt sich um ein delikates Sujet, das ein paar erklärende Worte verlangt. So überfrachtet ist die Auseinandersetzung von Falschmeldungen, Heuchelei und blindwütigen Emotionen. Aber das Buch soll ja von der Welt des Reisens berichten und nicht vom Wallfahren nach Lourdes (dort verkaufen sie die Droge »heilige Bernadette«, ein ganz und gar folgenloses Placebo), soll sagen: Der verantwortungsbewusste und wohlinformierte Konsum von Drogen kann auf wundersame Weise zur geistigen und körperlichen Gesundheit beitragen, kann uns etwas – wohin kein Buch führt, kein Wort – von der unfassbaren Vielfalt der Welt erzählen. Auf intuitive, auf – aber ja doch – »spirituelle« Weise. Weil wir durch Drogen Zustände erleben, auch geistige, seelische, phantastische, in die wir auf »normalem« Weg nie gelangen würden.
Neben dem Wissen vom Umgang mit Drogen muss natürlich eine gewisse Bereitschaft zum Risiko vorhanden sein. Man kann es kalkulieren, aber ein Rest Wagnis bleibt. Ist das nicht einen Freudenjauchzer wert? Noch gibt es Auswege aus einem wüstenrothäuschen-versiegelten Leben. Noch bleiben uns Schlupflöcher, um einer vom Sicherheitswahn – made in Germany – gewürgten Existenz zu entkommen. So sollen auf dem Rezept für Drogen drei klare Maximen stehen: Trau dich! Sei mit dir im Reinen! Halte Maß! Wobei der letzte Aufruf der wichtigste ist. Als Todfeind gilt die Maßlosigkeit. Ein Blick auf die Fresssüchtigen, Glotzesüchtigen, Promillesüchtigen und unterarmgelöcherten Heroinspritzer soll warnen. So kann man eines Tages aussehen, wenn man nicht verstanden hat, sich die Lust einzuteilen. Der Verzicht ist so entscheidend wie die Hingabe. Wer das begriffen hat, der ist gewappnet. Für den Rausch, für das Rauschmittel.
Bin ich auf Reisen, greife ich häufiger zu. Denn dort ist es anonymer. Jedem Dealer erzähle ich einen falschen Namen, eine falsche Nationalität. Ich will genießen, nicht eines Tages Leute abwimmeln müssen, die vor meiner Haustür stehen. Der andere Grund: Reisen – und als Reporter erst recht – heißt Stress. Immer rennen, immer aufspüren, immer einen Fremden zum Beichten einer Geschichte bewegen, das strapaziert. Was besänftigt dann tiefer, als sich – nach Umwegen durch ein Gewirr von Gassen – neben einen Opium-Baba auf den Boden zu legen, ihm zuzusehen, wie er, ebenfalls liegend, die Pfeife präpariert und – nach Minuten der Vorfreude – sie an mich weiterreicht: an den »Gast«, der selbstverständlich für die Gastfreundlichkeit bezahlt (vorher, diskret). Und ich, der Gast, bedachtsam das Gift in mich hineinziehe. Und ihm, dem Gastgeber, nach zwei, drei Zügen die Pfeife zurückreiche. Auf dass er ebenfalls raucht und ihn der Rausch heimsucht. So geht das hin und her, ganz still und meditativ, kein Wort fällt, nur zwei Erwachsene, die rauchen, schweigen, rauchen. Ist der Pfeifenkopf leer, nach vielleicht zwanzig Minuten, legt der Baba über einer kleinen Feuerstelle nach, kontrolliert den Zug und offeriert das Teil, länger als eine Blockflöte, wieder seinem Kunden. Und die nächste Runde Rauchen, Teilen, Schweigen, wieder Rauchen beginnt.
Befindet sich die Opiumhöhle, wie im konkreten Fall, auf einer vietnamesischen Dschunke, die sanft im Mekongdelta schaukelt, dann ist der romance-Quotient kaum noch zu überbieten. Dass die Heimlichkeit zudem gesetzwidrig ist, erhöht noch einmal das Wohlgefühl. Es gibt eben Leute, die es schlichtweg satthaben, dass ihr Leben ununterbrochen von erigierten Zeigefingern umstellt wird. In ihnen funktioniert noch der Trotz-Muskel: Jetzt erst recht! Sie gehören zu der ungeheuren Minderheit, die Karl Kraus’ Frage »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« unverschämt laut mit »Ja« beantworten dürfen.
Geduld, Leser, die Vorstellung ist noch nicht zu Ende. Nach mehreren Durchgängen signalisiert der Kunde: »Danke, es reicht.« Dann erhebt er sich bedächtig (schnell geht nicht) und begibt sich auf das Sofa in der Ecke. Immer vorhanden, wenn es sich um eine anständige Opiumhöhle handelt. Dort chillt er aus, spürt nach, wie sich die Droge in seinem Körper verläuft. Ein Glücksrausch hebt an, denn Opium macht einen zu aller Welt Freund. Man liebt jede und jeden, ja die ganze Menschheit. So wird die Erfahrung, dass man mit sich und dem Weltall haltlos einverstanden sein kann, zu einem grandios friedvollen Erlebnis. Ich habe sie mir auf allen fünf Kontinenten geholt und nie bereut.
Crack gibt es in einem crack house. Ich habe wochenlang in New York in einer solchen Bruchbude gelebt. Zwischen Sperrmüllmöbeln, Fünf-Dollar-Nutten und obdachlosen Kriminellen. Crack ist die Billigausgabe von Kokain und zieht wie eine Rakete unter die Schädeldecke. Mittels einer kurzen Glaspfeife, auf die man vorne, auf eine Art Gitter, den »rock« legt, die fingerspitzenkleine Portion. Sie ist kein Glücksbringer, dafür macht sie wach, sensibel, ungemein lebenshungrig. Sie verleitet zu Sex, zum Dauerreden und Berühren. Ich habe während dieser Zeit für mindestens tausend Dollar geraucht und oft gelächelt. Auch über den apokalyptischen Nonsens, der über diese Droge in der Presse verbreitet wird: »Einmal probiert, lebenslänglich abhängig!« So reden jene, die von anderen abschreiben, die ebenfalls keine Ahnung haben. Wieder die typische Schreckensprosa, wieder einer, der mit moraldick geschwollenem Zeigefinger zum braven Leben rät.
Reisen öffnet Türen. Auch jene, die in verbotene Räume führen. Meist gehe ich hinein. Weil irgendetwas mich treibt. Und weil ich mir bewusst bin, dass keiner je imstande ist, all die sagenhafte Vielfältigkeit menschlicher Existenz zu erleben. Also erfahre ich, so viel ich vermag. Wenig genug.
Ich habe von manchen Drogen gekostet. Immer wieder. Und immer wieder mit Freude. Auch von Kokain, von Heroin (oral oder gesnifft, nie per Nadel), selbstverständlich Gras und Haschisch (zehn Tage lang in der Transsibirischen Eisenbahn, nie war Russland schöner), irgendwann auch LSD. Was überraschend endete, da ich noch in derselben Nacht im Krankenhaus landete. Möglich, dass ich es in der falschen Umgebung genommen hatte und auf den falschen »Guru« hereingefallen war, auf einen, der behauptet hatte, er sei LSD-erfahren und könne mich »leiten«. Sicher auch, dass ich an diesem Tag nicht mit mir im Reinen war.
Denn Lysergsäurediäthylamid ist eine psychedelische Droge, sie kann in die luftigsten Unwirklichkeiten entführen und sie kann den Konsumenten der winzigen Teile in die Hölle jagen. In die Hölle im Kopf. Viel hängt davon ab, wo man es tut und mit wem. Beides stimmte an diesem Tag nicht. So kroch ich zuletzt auf allen vieren durch eine Großstadt. Bis eine Ambulanz mich mitnahm.
Eine wunderschöne Erfahrung, denn ich hatte Bilder und Hirngespinste gesehen, die ich nie und nimmer auf »natürliche« Weise zu Gesicht bekommen hätte. Ich begriff, wieder einmal, dass so unendlich mehr Phänomenales existiert, als die reine Ratio erfassen kann.
Wo liegt folglich das Problem? Ich habe mich getraut und ganz allein die Konsequenzen getragen. Wer will mir das verbieten? Ich bin immer dann für »Unmoral« (so redet der Philister), wenn das Ergebnis nur mich betrifft. (Und die Aponal-Spritze in den Hintern kostete weniger als der Stundenlohn eines Maurers.)
Wer reist, wird unweigerlich mit Drogen konfrontiert werden. Weil man sie ihm, vor allem in der »Dritten Welt«, auf Schritt und Tritt anbietet. Und genau da lauert die Gefahr, die gewaltige Versuchung. So will ich nochmals lautstark klarstellen: Die Sehnsucht, sich immer wieder mittels Droge vom Glück betäuben zu lassen, ist permanent und hartnäckig. Je jünger, je verlorener, je zielloser ein Mensch ist, desto mächtiger flüstert die Versuchung, sich via kurzem (chemischem) Prozess von der Wirklichkeit zu verabschieden. Weil er sie – inklusive aller Idioten und Idiotinnen – nicht mehr aushält. Statistisch gesprochen, sind die Jüngeren »haltloser«, eher bereit, der Verlockung nachzugeben. Dass es auch Vierzigjährige erwischt, ist bekannt. Dass sich unheimlich viele, jung und alt einträchtig vereint, an den gesetzlich genehmigten Drogen vergreifen, dem Kalorienschaufeln, dem Vollsaufen, dem Zeittotschlagglotzen, auch das hat sich herumgesprochen. Der viele Kummerspeck in der Welt erzählt uns ganz nebenbei von der vielen Freude: die fehlt.
Die hard drugs, zugegeben, das ist ein Fall für die Stabilen, für jene Männer und Frauen, die sich etwas zutrauen und – entscheidend – wissen, wann der »point of no return« droht. Und vorher umkehren, sprich, aufhören. Und lange Pausen einlegen, bevor sie sich wieder an das Spiel heranwagen. Denn ganz tief ist bei ihnen die Gewissheit verankert, dass es zum Starksein keine Alternative gibt, nur: Schwäche, Abhängigkeit, das Grauen, einer Droge zu verfallen.
Ich bin keiner hörig geworden, obwohl ich ordentlich zugegriffen habe (und zugreife). Auf die beschriebene Weise: sich hingeben, wochenlang nichts anrühren, sich wieder hingeben. Und keine meiner Hände wackelt und nie reißt es mich schweißgebadet aus einem Traum. Nur mein Hausarzt murrt, denn jedes Mal beim jährlichen Checkup beschimpft er mich als unheilbar gesund.
Dafür gibt es Gründe. Drei Hauptgründe: 1) das schiere unverdiente Glück belastbarer Gene, 2) mein monatelanger Aufenthalt in einem japanischen Zenkloster, in dem ich ein für alle Mal begriffen habe, dass – selbst auferlegte – Disziplin ein Grundpfeiler des Glücks ist, und 3) die direkte, überwältigende Begegnung mit jenen, die nicht davonkamen, die – verwahrlost und verwildert von der Droge – zugrunde gingen.
Hier die zwei Erlebnisse, die mich am eindringlichsten markierten: Die bereits erwähnte Freundin – Stichwort Meineid – wurde einige Jahre später von einem Drogendealer getötet. Erdrosselt. Mitten im Streit um die Ware. Beide waren bereits dank schmutziger Heroinnadeln HIV-infiziert. Darf man behaupten, dass Lindas Leben (und ihr Tod) anders verlaufen wären, wenn sie sich weniger oft als Kriminelle – immer auf der Flucht vor Staat und Polizei, immer tricksen und stehlen – gefühlt hätte? Wenn sie offener, vertrauensseliger, »legaler« mit ihrer Sucht hätte umgehen können? Man darf.
Die zweite Episode handelt von Farin, einem drallen, mächtigen Dealer, einem Pakistani. (Er schien ähnlich verkommen wie der dünne Deutsche, der die 27-Jährige im Heroinrausch erwürgt hatte.) Ich traf den zwölffachen Familienvater in Peshawar, das direkt an der Grenze zu Afghanistan liegt. Die Stadt ist ein Sündenpfuhl von babylonischen Ausmaßen, eine Brutstätte religiösen Fanatismus, ein Waffenhort, ein Drogenumschlagplatz, ein Dreimillionen-Loch, überlaufen von Kriegsflüchtigen und Schmugglern, geknechtet von einer bis in die Haarspitzen korrupten Beamtenschaft.
Ich hatte mich als schwedischer Pusher eingeführt, der Kontakte suchte, um »Geschäftsbeziehungen« mit lokalen Interessenten aufzubauen. So kam ich an Farin. Er war schlau und gierig. Deshalb glaubte er jedes Wort. Wir hatten uns bereits mehrmals getroffen und festgelegt, wie viel »crystal white« ich nach Stockholm bringen würde, wie ich die 2500 Gramm – in einem Koffer mit doppeltem Boden – außer Landes transportieren würde, wie er das Heroin – mit »Anti-Mating-Spray« – gegen die Flughafenhunde in Europa präparieren würde. (Eine Flüssigkeit, mit der man gewöhnlich läufige Hündinnen einsprüht.)
Es war unsere letzte Verabredung. Um nur noch ein Detail zu besprechen: welchen Flug ich nehmen sollte. Damit er, Farin, rechtzeitig die von ihm bestochenen Zollbeamten über meine Abreise informieren konnte, sprich, ich ohne Probleme in mein Flugzeug käme.
Ich werde diesen Tag nicht vergessen, auch weil er so aufschlussreich begann: Auf der unter meiner Zimmertür durchgeschobenen Zeitung, The Frontier Post, sah man auf der Titelseite das Foto der ersten zwei Pilotinnen, die Lufthansa ausgebildet hatte. Attraktive, selbstsichere Frauen mit einer Topqualifizierung. Und meine Augen schweiften vom fünften Stock meines Hotels hinunter auf die Straße: mit den verkrüppelten Bettlern, den Kaugummi verkaufenden Siebenjährigen, den Schwärmen vogelscheuchschwarz-vermummter Musliminnen. Peshawar war nicht zu helfen.
Farin auch nicht. Was er mir an diesem Vormittag bot, war ein Blick in den Abgrund bodenlosen Jammers. Und in den Abgrund seines Zynismus: Wir saßen im Wohnzimmer, mit drei Schränken voller Mineralien hinter Glas, sein Hobby. Und mit Tigerfellen an den Wänden. Protzen war sein zweites Steckenpferd. Auf dem Tablett zwischen uns standen eine Flasche Black and White und unsere Gläser. Wir plauderten, als jemand an der Tür klopfte. Einer seiner acht Söhne trat ein und flüsterte ein paar Sätze in Farins Ohr, auf Dari. Der Hausherr nickte und bat mich, hinter einen Vorhang zu treten. Kundschaft habe sich angekündigt, ich müsse verschwinden, könne aber heimlich zuschauen.
Sekunden später kamen zwei Westler herein, zwei fadendünne Junkies auf dem cold turkey. So schwach, dass sie von je einem von Farins Männern gestützt werden mussten. Ein Blinder hätte sie allein an ihren gehetzten Stimmen erkannt, denn umgehend fingen sie zu reden an. Sie standen unter Druck, sie brauchten Nachschub. Sofort. Dem Akzent nach waren sie Australier. Ihr eigener Vorrat war ihnen vor ein paar Tagen gestohlen worden. Seitdem suchten sie nach Ersatz. Bis sie von Farin hörten, von einem – so erwähnten sie noch –, der »absolut vertrauenswürdig« wäre. (Vertrauen war wichtig, denn für jeden bei der Polizei Denunzierten galt die Faustregel: Wer mit einem Gramm – oder einem Kilo – überrascht wurde, saß für acht Jahre in einem Dritte-Welt-Kerker. Falls er kein Lösegeld bereitstellte, um sich freizukaufen. Dass die Ordnungshüter das konfiszierte, sündteure Konsumgut wieder weiter verschacherten, sei noch als Randnotiz erwähnt.)
Die Audienz dauerte keine fünf Minuten. Farin holte eine babyfaustgroße (!) Portion, plastikverpackt, aus dem Schrank. Und die Kunden zahlten, on the spot, ohne zu kosten, ohne eine Fingerspitze voll zu probieren. Der Grossist fragte noch, ob sie ihr »Besteck« dabeihätten, wenn nicht, könne er auch das zur Verfügung stellen. Nein, danke, sie hätten alles eingepackt. Farin schüttelte leutselig ihre leblosen Hände und meinte noch, dass seine Leute sie jetzt in ein Zimmer im ersten Stock bringen würden. Damit sich die beiden sogleich den so notwendigen Schuss verpassen könnten. Und so geschah es. Die beiden bedankten sich überschwänglich und der Händler lächelte väterlich. Das schiefe Paar humpelte hinaus, noch immer gestützt von den zwei Leibwächtern.
Und jetzt kam die kleine Ungeheuerlichkeit. Ich trat aus meinem Versteck und Farin sagte, ganz ruhig und souverän unfähig, irgendwelche Zusammenhänge herzustellen: »Ist das Schicksal der beiden nicht furchtbar?«
Am nächsten Morgen bin ich davon. Ohne Koffer mit doppeltem Boden. Und ohne Farin zu informieren. Ich hatte die letzten Wochen fast täglich Heroin geraucht (»chasing the dragon«), ich brauchte Abstand. Und ich wollte meine Peshawar-Story in Sicherheit bringen, wollte nicht enden wie zwei Aussies, die ganz offensichtlich den Punkt ohne Wiederkehr überschritten hatten. In ihren Augen schimmerte der Exitus. Am Ende des Gesprächs hatte einer der beiden zu Farin gesagt: »I’m fucked.« So reden nur die, die wissen, dass sie verloren haben.
Dennoch, das Kapitel soll heiter enden. Weil Drogen zum Weltfrieden und zum Ich-Frieden beitragen können. Eine Zeit lang allemal – wenn man sie beherrscht, sie so einsetzt, dass sie das Leben weiten und nicht auszehren. Denn jede einzelne Begegnung mit den so ambivalenten Rausch-Giften hat mir etwas über mich beigebracht, über den Kosmos in mir, über das viele Verborgene, Geheimnisvolle, das viele, das ich ohne die Hilfe von »außen« nie gefunden hätte. Und, ganz unverkennbar: Je mehr ich von mir wusste, desto mehr wusste ich vom Universum der anderen, ihren Rätselhaftigkeiten, ihren Tiefen und tief verborgenen Verstecken.
Hier nun das Heitere: Ich bin mit dem wunderbaren Wladimir, meinem Übersetzer, in Kirgisien unterwegs. Dem Land mit der schönsten Liebesgeschichte, mit Tschingis Aitmatows Dshamilja. Wir haben ein eigenes Auto und irgendwann steht am Straßenrand ein Mann, der heftig winkt. Ja, sage ich, er darf mit, aber nur, wenn er uns eine Geschichte erzählt.
Und Ichtiar, der hauptberuflich als Polizist arbeitet und nebenberuflich als Schwarzhändler, nickt lässig. So verstauen wir seine drei großen Flaschen Spiritus (!) im Kofferraum. Die sechs Liter wird er verdünnt weiterverkaufen. Das Geschäft, verkündet er zufrieden, läuft bestens, denn der Fusel ist billiger als Wodka.
Natürlich sind sie auch in Zentralasien scheinheilig. Denn der vulgäre Taumel ist erlaubt, jeder darf sich hier so lange volltanken, bis er umkippt. Und wir sahen so manchen, der noch eine Weile schwankte und dann aufschlug. Das Erstaunlichste daran: Kein Mensch nahm Anstoß, der Anblick einer Alkoholleiche gehörte wohl zur Folklore.
Der kleine Inspektor ist Teil der – stolz spricht er das Wort aus – »Anti-Drug-Squad«, sucht nach den Produzenten und Verbreitern hiesiger Drogen. Er ist ganz unscheinheilig, erzählt, dass er selbst nicht trinkt, aber sich durchaus an der beschlagnahmten Beute vergreift. Nicht als Dealer, sondern als vergnügter Konsument. Das jedoch ist nicht die Geschichte, klingt sie doch noch immer konventionell. Was den kirgisischen Beamten auszeichnet, ist sein Herz, sein Einfallsreichtum. Denn einem verstockten Delinquenten, der seine Hintermänner und Zulieferer nicht preisgeben will, verbeult er nicht die Kieferknochen, reißt ihm auch keinen einzigen Fingernagel aus, nein, er bietet dem Schweigsamen einen Joint an. (Und sich auch.) Selbst gedreht, feine Qualität, würzig. So kann nur ein Experte handeln, hat er doch so vieles von der Materie verstanden, auch verstanden: Haschisch rauchen entspannt. Und gemeinsam rauchen fördert die Kommunikation, das Plaudern, das Ausplaudern. Und irgendwann singt der Renitente. Und Ichtiar schreibt mit.
Es kommt, wie es kommen musste. Ich lächle hungrig und der weise Kirgise holt aus der linken Jackentasche seinen »Proviant« hervor. So metaphorisch nennt er die Blechschachtel. Und wie selbstverständlich zündet er einen zigarettenlangen Reefer an und reicht das Geschenk weiter an mich (Wladimir hat Angst vor Drogen). Und bedient sich selbst. Wir haben keine Angst und wir inhalieren gefasst. Und schauen auf die Welt, die links und rechts an uns vorbeizieht, die endlosen Wiesen, überzogen von rotem (!) Mohn und Regenbogenblumen. Ich wette, dass Highsein empfänglicher macht für Schönheit. Man kommt der Welt näher, ist unverzagter, vertrauensvoller.
Es gibt ein Glück, wie jetzt in dieser halben Stunde, das man erst lernen muss hinzunehmen. Weil es aus irgendeiner Herzkammer flüstert, dass man dafür einmal bestraft wird. Denn so viel Seligkeit darf einer nicht haben. Diesen Schwachsinn bekamen wir als Kinder verpasst. Damit wir uns ducken wie jene, die ihn uns eingetrichtert haben. Doch als Devise hat dieser Mumpitz in einer Gebrauchsanweisung für die Welt nichts verloren. Er gehört ins große Buch der grauen Herren, der Einzäuner und Bedenkenträger, der halben Portionen und Jasager. Für alle anderen hat Tolstaja, die Heldin an der Seite von Leo Tolstoi, in ihr Tagebuch geschrieben: »Das Leben soll lärmen, glänzen und entzücken.«