Kapitel 15

3. November

Später, wieder zu Hause, erzählte ich Signora Baglioni von der Warnung der sterbenden Orchidee. Wir waren uns sofort einig: Oleander höchstpersönlich steht hinter dem geplanten Attentat auf den König.

Warum? Zweifellos um seine Macht zu demonstrieren. Um Angst und Schrecken in der Welt zu verbreiten, denn genau das ist sein größtes Vergnügen. Aber es ist Jessamine, die den Schlüssel zu seiner Macht in ihren Händen hält. Und was sollte Jessamine mit einer derart üblen Tat zu tun haben?

Die Enthüllung der Orchidee treibt uns zur Eile an, denn bis zum Martinstag haben wir gerade noch eine Woche Zeit.

Zwei Tage und zwei Nächte lang hat die Signora damit zugebracht, die drei unterschiedlichen Formeln des Mithridats, die sie von Dr. Carburi erhalten hat, zusammenzumischen. Ungetestet sind sie allerdings nutzlos, aber wenn ich sie darauf anspreche, winkt sie ab und arbeitet einfach weiter, während sie in ihrer eigenen Sprache flucht und vor sich hinmurmelt.

Wieder und wieder hat sie mich in den Garten geschickt, um verschiedene Pflanzen und Kräuter zu holen. Heute Morgen präsentierte sie drei Phiolen des legendären Gegengifts – eine von jeder Rezeptur.

»Eine davon wird deinem König das Leben retten, aber welche? Nimm sie mit«, sagte sie erschöpft, denn sie hatte kaum geschlafen. »Bring sie in den Garten. Frage die Pflanzen um Rat.«

In Wahrheit ist mir das Schicksal dieses Königs herzlich egal und auch das Schicksal irgendeines anderen Monarchen. Die Felder und Wälder halten sich nicht an Landesgrenzen. Aber wenn Oleander diesen Mord für seine Zwecke missbrauchen will, werde ich tun, was ich kann, um ihn aufzuhalten.

Und wenn der Giftprinz schon in der Nähe ist, hoffe – und fürchte – ich, dass auch Jessamine nicht mehr weit ist.

Ich bin bereit.

Der Baum, den die Signora die St.-Peters-Palme nennt, ist die älteste Pflanze im Garten, und auch die klügste. Er freut sich nicht, mich zu sehen, aber es gibt kein Gewächs, dem ich eher zutrauen würde, diese drei kostbaren Phiolen zu beurteilen.

»Du schon wieder?«, sagt der Baum verärgert, als ich mich vor ihn hinknie. »Wir haben geduldig zugesehen, wie du von Ingwer, Safran, Kardamom, Hirtentäschel, Anis, Johanniskraut, von Süßakazie und von Apulischem Zirmet genommen hast, daneben noch von gut zwei Dutzend anderen. Gibt es überhaupt noch eine Pflanze in diesem Garten, die du noch nicht bis auf die Wurzeln bestohlen hast?« Die fächerartigen Blätter beben vor Empörung. »Oder willst du diesmal mich abernten?«

»Bitte vergib mir«, sage ich mit gesenktem Kopf. Der Baum ist nicht so groß wie die uralten Eichen und Kiefern in den Wäldern Northumberlands, aber er überragt mich um eine gute Mannslänge, und die Autorität, die er ausstrahlt, ist enorm. »Ich weiß, dass ich dem Garten viel genommen habe. Aber ich komme im Auftrag der Signora. Sie versucht ein universelles Gegengift herzustellen, und es ist sehr wichtig, dass ihr das gelingt.«

»Für euch vielleicht. Was geht es uns an, dass ihr dummen Menschen euch gegenseitig vergiften wollt?«

»Es ist auch für euch wichtig!«, sage ich heftig. »Denn es ist Oleander selbst, der auf diese Weise seine Macht beweisen will …«

»Schweig!« Die rauen Haare auf dem grauen Stamm des Baums stellen sich vor Zorn auf. »Glaubst du, du wüsstest besser als wir, was für eine Gefahr dieser Emporkömmling von einem Prinzen darstellt? Er geht euch Menschen nichts an!«

»Mich geht er sehr wohl etwas an, denn er ist mein Feind«, fahre ich ebenso wütend auf. »Er ist eine Gefahr für Jessamine, meine Geliebte – das Mädchen, über das ich euch wieder und wieder befragt habe und das zu finden ihr nicht in der Lage seid …«

Ich halte inne. Es ziemt sich nicht, dieses weise Wesen zu beleidigen, insbesondere, da ich einen Gefallen von ihm erbitten will. Aber der Ton des Baums wird dennoch weicher: »Die Zeit verändert alles, Weed. Wenn der Winter kommt, kann man sich ihm nicht in den Weg stellen. Das musst du akzeptieren.« Seine Blätter rollen sich zusammen und öffnen sich wieder. »Also, warum bist du hier?«

Ich hole die drei Phiolen hervor. »Dies sind die drei Tinkturen, die Signora Baglioni hergestellt hat. Wir müssen wissen, ob eines davon die Macht besitzt, jedwedes Gift zu besiegen.«

»Gib je einen Tropfen davon auf eines meiner Blätter, bitte.«

Ich gehorche. Der Baum erzittert und murmelt: »Ja. Ich spüre Macht. Eine größere und zwei kleinere.«

»Ist die größere Macht stark genug, um einen vergifteten Menschen retten zu können?«

»Sie ist sehr groß«, erklärt der Baum. »Aber es hängt davon ab, wie mächtig das Gift ist, um das es geht. Ich kenne auch nicht die Stärke des menschlichen Körpers. Ich bin alt und weise, Weed, aber selbst ich kann nicht wissen, was unbekannt ist. Ich kann nicht sagen, ob die Macht des Mittels für deine Zwecke ausreicht. Nur, dass sie groß ist.«

Mir ist klar, dass die Signora über diese Antwort enttäuscht sein wird, aber der Baum spricht die Wahrheit. »Und welches Mittel besitzt die größte Macht? Der erste Tropfen, der zweite oder der dritte?«

»Eine größere, zwei kleinere«, wiederholt der Baum.

Erneut flammt mein Zorn auf. »Jemand wie du wird doch gewiss keine Angst vor dem bösen Prinzen haben. Warum willst du es mir nicht verraten?«

»Du bist derjenige, den nach diesem Wissen verlangt, hörender Mensch. Du bist derjenige, der den Preis für dieses Wissen zahlen muss.« Nach einer Weile fügt der alte Baum hinzu: »Der Prinz ist böse, das stimmt – aber er ist einer von uns. Wir können uns nicht gegen ihn auf die Seite der Menschen stellen.«

Ich erhebe mich. »Ich verstehe. Danke für deine Hilfe.« Ich zögere kurz, dann frage ich noch einmal: »Hast du irgendwelche Neuigkeiten über Jessamine für mich?«

Der Baum schwankt nachdenklich in der Brise. »Da ist ein Mädchen«, sagt er und spricht in einem merkwürdigen Singsang weiter:

Ihr Haar ist so schwarz wie Rabenflügel,

ihre Lippen so rot wie Mohnblüten,

ihr Herz ist so gnadenlos wie Belladonna,

und ihr Wille genauso tödlich.

»Das kann sie nicht sein«, sage ich und habe das Gefühl, dass mir das Herz bricht.

»In diesem Fall können wir das Mädchen, das du suchst, nicht finden«, sagt der Baum und verstummt.

***

Glücklicherweise hält sich die Signora im Hof auf und kümmert sich um ihre Trauben. Sie wird mein Tun nicht zu früh bemerken und nicht zu spät.

Es dauert nur ein paar Minuten, um den übelsten Trank zuzubereiten, den ich mir vorstellen kann. Schierling, Christrose, Wermut, Arsen und noch ein halbes Dutzend anderer Zutaten. Alle gleichermaßen tödlich.

Ich könnte Honig hinzugeben, um den bitteren Geschmack zu überdecken, aber das ist nicht nötig. Ich gönne mir nicht einen einzigen Moment des Zögerns; ich hebe das Glas und trinke. Mein Körper schreit abwehrend auf, in meiner Kehle würgt es, als ob sich eine Schlinge darumlegen würde, aber mein Wille ist stärker.

Ich trinke alles aus, bis auf den letzten Tropfen. Dann schaue ich auf. Signora Baglioni steht wie erstarrt im Türrahmen. Ihr Blick wandert zwischen mir und dem leeren Glas in meiner Hand hin und her.

»Signora Baglioni, bitte entschuldigen Sie die Umstände«, sage ich. Ich muss mich beeilen. Viel Zeit habe ich nicht. »Ich werde gleich sehr krank werden. Wenn das passiert, verabreichen Sie mir bitte Ihre erste Mischung des Mithridats.«

Sie macht einen Schritt auf mich zu. »Weed – was hast du getan?«

»Wenn ich mich innerhalb einer Stunde nicht erhole, geben Sie mir bitte das zweite Mittel, und wenn das auch nicht wirkt, das dritte.« Ich zögere kurz. Irgendetwas stimmt nicht mit meinen Augen. Der Raum verzerrt sich und verschwimmt. Meine Hand zuckt zu meiner Stirn. »Wenn es das dritte Mittel ist, sollten Sie mit der Verabreichung nicht zu lange warten. Ich vertraue Ihrem Urteil … was die Zeit angeht …«

»Du tollkühner Narr!«, schreit sie, reißt mir das Glas aus der Hand und riecht daran. »Was hast du getrunken?«

Ich muss mich gegen die Wand lehnen. Entweder sinke ich oder der Boden kommt mir entgegen. Mein Bauch ist plötzlich voller Glassplitter. »Eins der drei Mittel wird sehr wahrscheinlich wirken. Ihr Baum hat es mir gesagt. Wir müssen nur herausfinden, welches.«

»Wahrscheinlich? Du Idiot! Du hättest niemals dein Leben riskieren dürfen! Du bist viel zu wertvoll … ohne dich gibt es keine Hoffnung …«

Das sind die letzten Worte, die ich höre.

***

Der König von England ist nicht so viehisch und brutal, wie er sein könnte, gemessen an der Tatsache, dass jeder noch so beiläufige Wunsch, den er ausspricht, mit der ganzen Wucht des Gesetzes daherkommt. Dafür sollte ich wohl dankbar sein.

An den meisten Tagen werde ich dazu auserwählt, ihm das Essen zu reichen. Danach tanze oder singe ich für ihn. Wenn er krank ist, hole ich den Nachttopf, damit er sich erbrechen kann. Ich wasche sein Gesicht mit einem kühlen, feuchten Tuch, als ob er ein sieches Kind wäre, und sage ihm, dass er sich in einem oder zwei Tagen besser fühlen wird.

Ich bin eins von unzähligen königlichen Dienstmädchen, aber ich hatte Anweisung, dafür zu sorgen, dass ich die Magd werde, die er am liebsten um sich hat. Das ist mir gelungen. Es war nicht schwer. Er mag zwar der König sein, aber er ist auch bloß ein Mann. Meine Freigiebigkeit in allen Dingen hat dazu geführt, dass er meine Anwesenheit jederzeit willkommen heißt, und ein paar Tropfen meines eigenen Aphrodisiakums garantieren mir, dass er mich allen anderen vorzieht.

Wenn er mich auffordert, nach dem Essen noch zu bleiben, gehorche ich. Wenn wir allein sind, täusche ich gerade so viel Prüderie vor, um seine Leidenschaft zu erwecken. Wenn er das Verlangen hat, eine Rebellion niederzuschlagen, dann wehre ich mich. Aber er bleibt immer siegreich, denn er ist der König, der Geliebte seines Volkes, der von Gott gesalbte Herrscher und Oberhaupt der Kirche von England.

In zwei Tagen werde ich ihn kaltblütig ermorden.

Nicht hier, in seinen Privatgemächern an Bord des Schiffes, wo es ganz einfach wäre. Nein. Ich habe die Anweisung, dass es in der Öffentlichkeit geschehen muss, vor dem versammelten englischen Hof und vor den Augen ganz Europas, auf dass der Wille meines Herrn die Herzen der mächtigsten Männer der Welt in Angst und Schrecken versetze.

Endlich kenne ich den wahren Preis meines Handels mit Oleander. Wenn ich meine Aufgabe erfolgreich durchführe, werde ich danach sofort getötet. Wenn ich versage, erwartet mich dasselbe Schicksal. Meine neuen Freunde von der Gesellschaft der Skorpione haben daran keinen Zweifel gelassen.

Wie auch immer, ich werde meine letzten Tage auf Erden im schwankenden Bauch eines Schiffes verbringen, wo sich mir der Magen minütlich umdreht, als verräterische Bettgenossin eines seekranken Königs. Ich würde lachen oder weinen oder über Bord springen, wenn das Laudanum nicht wäre.

Und Oleander. Ist es töricht, wenn ich so empfinde? Ich weiß, dass er mein Untergang ist, mein Mörder, und doch ist er der einzige Freund, der mir geblieben ist. Seine körperlose Gegenwart ist für mich ein Fels in der Brandung geworden. Seine beständige Zuwendung ist alles, was mich davon abhält, mich in die tosenden Wogen zu stürzen.

Er leitet mich und er tröstet mich. Er sagt mir, welche Kräuter ich dem Laudanum zugeben muss, um so gleichgültig und liebestoll zu werden wie eine Katze. Er flüstert mir ganze Nächte lang Worte der Bewunderung ein, bis ich kaum schlafen kann vor Verlangen.

Ich wünschte, ich könnte dich berühren, sage ich zu ihm.

Und ich wünschte, ich könnte dich auf die gleiche Weise besitzen, wie es der feiste König tut. Aber bald, mein Liebchen. Bald.

In jedem meiner wachen Momente preist er meine Schönheit, auch wenn ich den Rock hebe und mich meinem Souverän darbiete, Seiner Majestät König George III, von der Gnade Gottes Herrscher über Großbritannien und Irland, Verteidiger des Glaubens. Dessen Leben und Herrschaft in meiner Hand liegen.

***

Das Klatschen von Nässe gegen dünnes Holz. Das stetige Platschen eines Paddels, das durch das Wasser gezogen wird. Dies sind die Geräusche, zu denen ich erwache.

Signora … Ich will sprechen, aber es kommt kein Wort über meine Lippen. Nur unter großer Anstrengung gelingt es mir, die Augen zu öffnen.

Jemand hat mich in den Sonntagsanzug eines Gentleman gesteckt – in ein knisterndes weißes Leinenhemd, einen kostbaren Rock und passende Hosen. Das sind nicht meine Kleider, und sie sind mir viel zu groß. Meine Füße sind nackt.

Ich lehne an der Seite einer Gondel und habe einen breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf, der mich vor der Sonne schützt. Meine rechte Hand hängt über der Bordwand des Bootes und schleift im Wasser. Es ist kalt, glitschig und unangenehm. Ich möchte meine Hand herausziehen, aber es geht nicht.

Ich kann mich überhaupt nicht bewegen.

Ringsum lachen die Studenten und reißen Witze. Sie sind bestens gelaunt und prahlen mit ihren Streichen. Ich weiß nicht warum, aber ich kenne ihre Namen: Mondsame, Rittersporn, Schweigrohr, Seidelbast.

»Ihr seid keine Medizinstudenten«, sage ich – oder versuche es wenigstens. »Schaut doch. Da hängt noch Erde an euren Wurzeln.«

Sie lachen. »Auch du bist mit Erde beschmutzt, Master Weed. Aber vielleicht liegt das daran, dass wir dich gerade aus dem Grab geholt haben.«

»Aus dem Grab?«

»Aber gewiss! Wo sonst kommen denn die Leichen her?«

Die Gondel fährt unter einer Brücke hindurch und gleitet in den Schatten. Alles wird dunkel.

Bald wird es eine Dunkelheit ohne Ende sein, denke ich erleichtert. Endlich habe ich das Finale dieser entsetzlichen Qual erreicht. Ich bin dem Tod schon so nahe, dass ich kaum mehr etwas fühle … Die Dunkelheit ist hier, und mit ihr kommt der Frieden …

Dann wieder Licht. Und Schmerzen.

Wie die Welt selbst, drehe auch ich mich im Kreis. Die Nacht wird zum Tag, wieder zur Nacht und so weiter, und so weiter.

Als das Kreiseln aufhört, liege ich flach auf dem Rücken, alle viere von mir gestreckt. Meine Kleidung ist fort.

Mit einem Klicken rastet der Seziertisch ein.

Ich öffne die Augen. Gesichter, Hunderte von Gesichtern, nah und hoch über mir schwebend, starren mich an. In ihren Augen steht eine hungrige Gier. Ich will mich erheben, aber die Gurte halten mich fest.

Vor mir erscheint Oleander mit seinen silbernen Haaren, die dunklen Flügel auf dem Rücken gefaltet. Einen Arm hat er erhoben, und etwas Scharfes glitzert in seiner Hand. Er blickt auf mich hinunter, und seine smaragdgrünen Augen, von der selben lebendigen Farbe wie meine eigenen, funkeln mich spöttisch an.

»Weed! Was für eine Überraschung. Wir waren alle der Überzeugung, du seiest tot.«

»Noch … noch nicht …«, keuche ich. Der Schmerz kehrt zurück und breitet sich aus, viel zu schnell …

»Das sehe ich. Aber es wird nicht mehr lange dauern. Und die Zuschauer haben sich bereits versammelt. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Es ist zu spät; niemand kann unsere Pläne noch durchkreuzen. Was hat der Anführer deiner Gaukler immer gesagt? – Die Show muss weitergehen! … Musik bitte!«, befiehlt er jemandem im Hintergrund.

Aber ich höre keine Musik. Ich höre nur den rauen Schrei des Raben …

KRAAAAAAAAAAAAHHH!

… während die Klinge aus Eis auf mich niedersaust …

***

Oleander?

Ja, meine Liebe?

Ich habe mich gefragt, ob es ein schlimmeres Verbrechen gibt, als den von Gott eingesetzten König zu ermorden.

Es ist entsetzlich böse, kein Zweifel. Aber es gibt so viele verschiedene Arten von Verbrechen, und jede ist schlimm auf ihre ganz eigene Art. Man kann sie kaum alle überblicken.

Glaubst du, dass es schlimmer ist, als den eigenen Vater zu töten?

Nicht vielen Menschen gelingt es, beides zu vollbringen. In dieser Beziehung kannst du dich glücklich schätzen. Aber warum stellst du diese sinnlosen Fragen? Ich hoffe doch nicht, dass dir Zweifel kommen. Denn ich wäre sehr enttäuscht, wenn du dein Wort brechen würdest.

Nein. Ich weiß, dass es keine Rolle mehr spielt. Ich werde zur Hölle fahren, egal, was passiert. Ich war nur neugierig. Darf ich dich noch etwas fragen?

Neugier ist der Katze Tod, meine Liebe.

Trotzdem, ich möchte es gerne wissen. Ist Weed am Leben?

Weed! Warum fragst du?

Ich … ich bin mir nicht sicher. Ich würde mich gerne von ihm verabschieden, glaube ich.

Zu spät, mein Herz. Ich wollte es dir die ganze Zeit schon sagen. Weed hat sich selbst vergiftet.

Nein! Das glaube ich dir nicht!

Ich versichere dir, dass er genug Gift genommen hat, um zehn Männer zu töten. Ziemlich verschwenderisch, wenn du mich fragst. Es tut mir leid, wenn dich diese Nachricht aufregt. Aber du weißt genau, dass ich dich in einer Angelegenheit, die mir so am Herzen liegt, niemals anlügen würde.

Ich weine.

Still, mein Liebchen. Trockne deine Tränen. Du wirst noch den König aufwecken.

Ich kann nicht aufhören.

Dann nimm noch etwas Laudanum. Das wird dich beruhigen.

Noch mehr? Aber mir ist jetzt schon so schwindelig … mein Kopf ist ganz benebelt …

Je mehr du nimmst, desto näher kann ich dir kommen. Wenn du noch ein bisschen mehr wagen würdest, könnten wir einander gewiss berühren. Wäre das nicht ein Trost für dich, in dieser Zeit großer Trauer? Gutes Mädchen … so, meine Schwingen umschließen dich. Kannst du es fühlen?

Ich glaube, ja. Oleander … ich werde sterben, wenn das alles vorbei ist, nicht wahr?

Immer diese Fragen! Du musst mir vertrauen, meine Schöne. Wenn deine Arbeit getan ist, wirst du bei mir sein. Ich bin deine ewige Belohnung.

Versprich es mir.

Du wirst deine Zuflucht finden. Das verspreche ich.

***

»Idiot, Idiot, Idiot! Dreimal verfluchter Idiot! Dein Leben zu riskieren, nur auf das Wort eines zweihundert Jahre alten Gewächses! Weed? Kannst du mich hören?«

Zwei flinke Finger öffnen mein rechtes Auge. Durch den Schlitz sehe ich das Gesicht von Signora Baglioni. Wütend und besorgt. Eher wütend als besorgt, denke ich. Sie lässt los, und wieder kommt die Dunkelheit über mich. Ich will mich bewegen, bringe aber nur ein Stöhnen zustande.

»Noch am Leben. Bene! Denn ich möchte doch noch die Gelegenheit haben, dir gründlich den Kopf zu waschen, für das, was du getan hast! In dem Moment, in dem du wieder aufrecht stehen kannst, werde ich dir eine Standpauke halten, so dass du dir wünschen wirst, tatsächlich krepiert zu sein!«

Jetzt mache ich die Augen auf, aus eigener Kraft. Nur ein kleines bisschen. Das Licht blendet mich. Wieder stöhne ich.

»Wie geht es dir?«

»Sie scheinen davon überzeugt zu sein, dass ich lebe. Ich bin mir da nicht so sicher.« Ich drehe meinen Kopf von einer Seite zur anderen. In meinem Schädel rollt mein Gehirn von rechts nach links wie eine Kanonenkugel. »War es das dritte Mittel?«

»In der Tat. Du hattest großes Glück. Beinahe wärst du gestorben. Ich hatte Angst, ich würde dir die Kiefer brechen müssen, so verkrampft warst du, als ich versuchte, dir das Mittel zu verabreichen. Ich dachte, es sei zu spät.«

»Wie lange war ich krank?«

»Drei Tage. Der König und sein Gefolge sind gestern in Padua eingetroffen. Du bist gerade noch rechtzeitig von den Toten auferstanden.«

Ich kämpfe mich in eine aufrechte Position. Langsam schiebe ich die Beine aus dem Bett und stelle meine Füße auf den Boden. Das Zimmer dreht sich, beruhigt sich aber rasch wieder. Die Signora reicht mir ein Glas mit Zitronenwasser. »Trink«, befielt sie. »Morgen Abend wirst du einem königlichen Maskenball beiwohnen, hier in Padua. Der König und seine Kumpane werden bis in die frühen Morgenstunden feiern und zechen. Du wirst dafür sorgen, dass nicht irgendetwas im Wein des Königs landet, was dort nichts zu suchen hat. Wenn er aus irgendeinem Grund plötzlich zusammenbricht, wirst du ihm das Mithridat verabreichen – für dessen Wirksamkeit du mittlerweile persönlich garantieren kannst.«

Ich gebe der Signora das leere Glas zurück und strecke mich. Ganz plötzlich verspüre ich einen Bärenhunger. Ein gutes Zeichen. »Wie haben Sie es geschafft, eine Einladung zu einem solch exklusiven Ereignis zu ergattern?«

Sie lacht. »Ich habe viele Freunde in Padua, musst du wissen. Und wer sagt denn, dass du ein geladener Gast bist? Du wirst für die Unterhaltung sorgen, Weed. Du wirst für den König die Rosen erblühen lassen.«