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Ich starrte den abartig knochigen Rücken an und stählte mich für die Begegnung mit Master Alrik Dagursson, dem widerlichsten aller Widerlinge. Es ging das Gerücht, dass er noch aus Wikinger-Zeiten stammte – aber waren die Wikinger nicht samt und sonders bärenstarke Raufbolde gewesen? Dagursson erinnerte eher an einen Rocker-Veteranen, den ein paar Jahrzehnte Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll ausgezehrt hatten. Wobei ich hinter Sex ein großes Fragezeichen setzte.

Er drehte sich um, als habe er meinen Blick gespürt, und ich wandte mich hastig ab. Ein paar andere Studenten waren bereits da, alle in ihrer Acari-Uniform – die Mädels in grauen Leggings und einer hüftlangen Tunika, die Jungs in schwarzen Jeans und Wollpullover. Nur ich stand in meinen Oma-Shorts da, mehr als peinlich berührt, weil der feuchte Baumwollstoff eine tiefe Falte zwischen meinen sandigen Pobacken verursachte. Ich tat, als sei alles völlig normal, aber ich kam mir vor wie ein Volldepp.

Ich suchte im Tanzsaal nach bekannten Gesichtern. Und tatsächlich wurde ich fündig. Ein Lächeln stahl sich über meine Züge, denn eine der wenigen Personen, die ein Spezialseminar in Anstandslehre erträglich machen konnte, war mein Freund Yasuo.

»Yo.« Er bedachte mich mit einem breiten Grinsen, offensichtlich ebenso erfreut wie ich, dass wir in diesem Kurs Leidensgenossen waren.

Ich begab mich auf kürzestem Weg zu ihm, und er legte feixend den Kopf schräg, als er meine Aufmachung sah. »Cooles Outfit, Blondie! Was ist da passiert?«

Ich kam mir in meinen Shorts und dem Schlabber-Sweatshirt irgendwie nackt vor und verschränkte die Arme vor der Brust. »Alcántara hat mich mitten aus dem Sportunterricht von Sucher Otto weggeholt.«

Yasuo zog eine Augenbraue hoch.

»Frag jetzt nichts.« Ich musterte unauffällig die übrigen Kursteilnehmer. »Versteh mich nicht falsch – ich bin total erleichtert, dass das hier kein Einzelunterricht ist, aber was machen all die Leute hier?«

»Förderkurs.« Er improvisierte einen ungeschickten Box-Step, und ich sah sofort, weshalb man ihm zusätzliche Tanzparkett-Stunden aufgebrummt hatte.

Ich lächelte. »Yas kann kämpfen, aber er kann nicht tanzen?«

»Oho, Baby, Yas kann tanzen. Bloß nicht das Zeugs da …«

»Dancehall?«

»Yeah. So ungefähr.« Er streckte die Arme aus und rollte die Hüften zu einem kleinen Step-Step-Slide. »Aber das bringt mir keine Extrapunkte.«

»Was du nicht sagst!« Ich schüttelte spöttisch den Kopf, musste aber zugeben, dass er echt cool aussah – kantig, hochgewachsen, straff, wie ein japanischer Pop-Star. Ich grinste ihn an. »Ist dir dieser Hüftschwung eigentlich angeboren, oder gehört Hip-Hop in den Schulen von Los Angeles zum Lehrplan?«

»Ho, Blondie, das ist hundertpro angeboren. Yasuo Itos Vampir-Zauber, um Eindruck bei den Damen zu schinden.«

»Yasuo Itos Vampir-Anwärter-Zauber«, stutzte ich ihn zurecht. Ähnlich wie die Mädchen, die hier ihre Wächter-Ausbildung machten, gab es auf der Insel eine Gruppe junger Männer, die zu Vampiren geschult wurden. Wir Acari erfuhren wenig über ihr Training, aber ich hatte den Eindruck, dass eine ganze Reihe der Jungs das harte Ausleseverfahren nicht überlebten. Und obwohl Yasuo mir gegenüber zu Schweigen verpflichtet war, spürte ich doch hin und wieder, dass ihm die ganze Sache Angst einflößte. »Von einem Vampir bist du noch meilenweit entfernt.«

»Aua.« Er hob zum Zeichen seiner Kapitulation beide Hände.

Ich spürte eine Verschiebung der Energie ringsum, als könnte es jeden Moment ernst werden. »Hat das soo wehgetan?«, wisperte ich mit einem unterdrückten Kichern.

»Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!« Dagursson nahm ganz vorn Aufstellung und klatschte in die bizarr langen, knochigen Hände. Sein Blick wanderte durch den Übungssaal und blieb für den Bruchteil einer Sekunde an mir hängen. Wenn ich Master Dag richtig einschätzte, dann missfiel ihm der Anblick von Baumwoll-Shorts – und insbesondere der von feuchten, sandigen Baumwoll-Shorts.

Ein Schauer überlief mich. Yas beugte sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr: »Der Typ sieht aus wie ein Ghul.«

Ich verbarg ein Lächeln, froh darüber, dass er da war und mein Leid teilte. »Echt Scheiße, dass sich die alte Weisheit, Vampire hätten kein Spiegelbild, als Märchen erweist.« Die verspiegelte Front des Übungsraums sorgte dafür, dass wir Master Dagursson zehntausendmal zu sehen bekamen.

»Wählen Sie jetzt Ihre Partner!«

Yasuo und ich traten gleichzeitig aufeinander zu. Jetzt war ich sogar mehr als froh über seine Anwesenheit.

»Heute befassen wir uns noch einmal mit dem Wiener Walzer.«

Wir zuckten beide zusammen, und beim Anblick von Yasuos entsetzter Miene musste ich mich sehr zurückhalten, um nicht laut loszulachen. Leider klang mein ersticktes Prusten wie ein verächtliches Schnauben.

»Wiener Walzer?« Ich schaute zu Yasuo auf. Er war hoch aufgeschossen – ganz im Gegensatz zu mir. »Wie soll das denn gehen? Du bist ein Riese.«

Er legte eine Hand auf sein Herz. »Ich hatte keine Ahnung, dass du so auf mich stehst.«

Ich warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Schnauze. Das war nicht als Kompliment gemeint.«

»In Position!« Dagurssons Stimme hallte von den Wänden wider.

Yas und ich nahmen gehorsam Aufstellung. Er schüttelte bedauernd den Kopf, während er meine rechte Hand locker mit seiner Linken umfasste. »Drew, du raubst mir den Schlaf!«

»Ich glaube, ich weiß, wer dir den Schlaf raubt, und das bin ganz bestimmt nicht ich.« Ich hatte durchaus gesehen, wie nahe er und Emma sich gegen Ende des Semesters gekommen waren. Ständig und länger als nötig hatten sie die Köpfe zusammengesteckt und einander angehimmelt.

Seine Rechte legte sich ein wenig grob um meine Taille. »Bis hierher und nicht weiter, Baby-Girl!«

Die Musik schwieg, und in der plötzlichen Stille verstummten auch wir, während Dagursson nervös an seinem iPod herumpopelte. Der Anblick war so bizarr, dass meine Mundwinkel zuckten, obwohl mir eigentlich nicht zum Lachen zumute war. Allem Anschein nach hatten auch Vampire eine Vorliebe für coole technische Spielereien – obwohl ich nicht ausschließen konnte, dass der iPod in seiner Hand genau das Gerät war, das sie mir letztes Semester abgenommen hatten. Uns war der Besitz dieser Dinger nämlich ebenso streng untersagt wie das unbeaufsichtigte Betreten des Computer-Raums.

Die Musik setzte wieder ein, und eine Strauß-Melodie Marke Null-acht-fünfzehn dudelte durch den Raum.

Igitt. Nicht auf meinem iPod.

»Alle genau hinhören!« Wieder klatschte Dagursson in seine knochigen Hände, diesmal, um den Takt vorzugeben. »Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei. Hört ihr den Dreiviertel-Rhythmus? Auf eins beginnen die Herren mit dem linken Fuß. Sind Sie bereit?« Er ging zurück auf den Anfang des Stücks und rief: »Vier, fünf, sechs …«

Yas stolperte gleich beim ersten Schritt, und es dauerte einen Moment, bis wir unseren Rhythmus gefunden hatten. »Ich komme mir vor wie die Zuckerfee aus dem Nussknacker«, knurrte er.

»Das ist Ballett und hat mit Ballsaal nichts zu tun.« Yasuos Seitenschritt fiel zu groß aus, und ich warf ihm einen bösen Blick zu, als ich über seinen Fuß stolperte. »Dass du einen Kopf größer bist als ich, macht die Sache nicht einfacher.«

Yas zog die Brauen hoch. »Was kann ich dafür, dass ich ein solches Prachtexemplar bin?«

»Verschon mich, Mann!« Meine Nerven waren jetzt schon zum Zerreißen gespannt, und das nicht nur wegen Yasuo. Ich hatte das Gefühl, dass ich von Natur aus linkisch war, und hegte ernsthafte Zweifel, ob ich mit irgendeinem Partner zurechtkommen würde. Bestand Alcántara deshalb auf dem Förderunterricht? Nicht wegen unserer Mission, sondern weil er irgendwie herausgefunden hatte, dass ich einfach grottenschlecht tanzte?

Aber dann erinnerte ich mich wieder an unser merkwürdiges Gespräch von eben. Er hatte mich beschworen, an mich selbst und an meine Schönheit zu glauben, weil das der Schlüssel zu Eleganz auf dem Tanzparkett sei.

Ich konzentrierte mich, und eine Weile tanzten wir schweigend, wenn man davon absah, dass Yas angestrengt Eins-zwei-drei, Eins-zwei-drei murmelte, während er mich mehr schlecht als recht über die Tanzfläche führte. »Wozu müssen wir überhaupt tanzen lernen?«, maulte er schließlich. Aber das Reden brachte ihn sofort aus dem Takt, und wir mussten einen Zwischenschritt einlegen, um den Rhythmus wiederzufinden.

Ich zuckte mit den Schultern, was Yasuo erneut ins Schleudern zu bringen schien, und so kicherte ich spöttisch los. »Vielleicht gibt es ja einen Vampir-Abschlussball, wenn ihr eure Prüfungen bestanden habt.«

Er warf mir einen entsetzten Blick zu. »Wird das hier Twilight oder was?«

»Woher soll ich das wissen? Ich versuche mich gerade damit abzufinden, dass ich diesen Schrott hier für meine Mission brauche.«

»Vielleicht musst du ja mit Alcántara tanzen«, neckte er mich.

Allein die Aussicht verursachte mir eine Gänsehaut. »Sprich diesen Namen nicht aus! Ich meine das völlig im Ernst, Yas. Das letzte Mal, als Emma ihn erwähnte, erschien er plötzlich aus dem Nichts.«

»Eins-zwei-drei«, murmelte er und setzte ein wenig unkonzentriert hinzu: »Na, immerhin hat dich der Typ vor dem Sportunterricht gerettet.«

Womit er nicht ganz unrecht hatte. »Yeah. Und vor diesem gruseligen Herrn Otto.«

»Erzähl«, drängte Yas.

Ich wollte schon einen Kommentar dazu vom Stapel lassen, als mir auffiel, dass Yas bei geschlossenem Mund ganz sonderbare Zungenbewegungen machte, sobald er sich konzentrierte. Ich ging ein wenig auf Abstand und musterte ihn aufmerksam. »Was wird das denn?«

Er sah mich verständnislos an, und so imitierte ich seine abartige Mimik.

»Ach soo.« Er lächelte, öffnete die Lippen ein wenig und fuhr sich mit der Zunge über die Eckzähne. »Ich kriege meine Fänge, Blondie.«

»Iiiih!« Ich war völlig perplex. Bisher hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, wie die Vampire zu ihren Fängen kamen, doch nun sah ich aus nächster Nähe, was sich dabei abspielte. Die Eckzähne fielen aus, und an ihrer Stelle wuchsen blitzende neue Fänge. Da wir seit unserer Ankunft regelmäßig Vampirblut trinken mussten, nahm ich an, dass eine der Nebenwirkungen die Entwicklung von Fängen bei den Jungs war. »Wahnsinn. Und – hast du schon Besuch von der Zahnfee bekommen?«

Unser Grinsen erstarrte, als plötzlich Dagursson neben uns auftauchte. »Acari Drew – darf ich bitten?«

Yas drückte mir rasch die Hand, ehe er mit einer ehrerbietigen Verneigung zurücktrat und Dagursson seinen Platz überließ.

Ich bemühte mich um eine ausdruckslose Miene, da ich mir gut vorstellen konnte, was mit einer Acari geschah, die ihren Abscheu vor den stolzen Vampiren allzu deutlich zeigte. So kam es, dass ich mich für den Moment stählte, da er mich berühren würde, anstatt mich auf das Tanzritual zu konzentrieren, und als Dagursson einen großen Seitenschritt machte, kopierte ich instinktiv seine Bewegung.

Seine Knopfaugen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Nein, Acari Drew. Zunächst verbeugt sich der Herr vor seiner Partnerin. Das geschieht folgendermaßen –«, er holte weit mit einem Arm aus und wiederholte den eleganten Seitenschritt, »– und Sie erwidern die Geste mit einem Knicks.«

Ich tat mein Bestes, fühlte mich aber wie der letzte Provinztrampel. Dagursson schien das ähnlich zu empfinden, denn sein Mmph klang nicht gerade nach einem Kompliment.

Er legte einen Arm um meine Taille, und seine Nähe machte mich so nervös, dass ich fast ausflippte. Ich senkte den Blick. Zu meiner Überraschung lobte er mich. »Sehr gut, Acari. Die Tanzpartner starren einander nicht an. Die Dame sollte allerdings mit erhobenem Haupt tanzen.« Er nahm mein Kinn zwischen Knochenfinger und Daumen und korrigierte meine Kopfhaltung. »Hoch, hoch, hoch. Schauen Sie über meine Schulter!«

Stirnrunzelnd betrachtete er meine Hand, die leicht auf seinem Oberarm ruhte. »Das ist ganz falsch. Ihre Finger liegen da wie kleine Würste. Sie müssen die Hände bis in die Spitzen ausstrecken.« Ich machte meine Finger so lang wie nur möglich und hörte mir weiter sein Geschwalle an. »Sie sind klein. Und ein wenig gedrungen. Sie müssen versuchen, Ihren Körper sehr gerade zu halten.«

Blödmann. Ich war vielleicht zierlich, aber bestimmt keine Kommode. Allerherzlichsten Dank.

Der Walzer war zu Ende, und ein neues Stück begann. Welche Schmalzmelodie hatte er diesmal ausgesucht? Nach den ersten Tönen wusste ich Bescheid. Edelweiß. So wahr mir Gott helfe!

Ich biss mir auf die Zunge, um nicht loszuprusten. Und kämpfte immer stärker gegen das Lachen an, weil ich wusste, dass ich unbedingt ernst bleiben musste. Mir schwante, dass ich von der Anstrengung puterrot im Gesicht war.

Um meine Qualen noch zu steigern, begann Dagursson leise mitzusingen, aber nicht den eigentlichen Text, sondern: »Eieinnns, zwoo, dreiei … eieinns, zwoo, dreiei … rück, Seit, schließen … vor, Seit, schließen …«

Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber ich konnte nur daran denken, wie kalt sich seine Hände anfühlten und wie seltsam er roch, ein wenig wie trockenes, altes Papier.

Er spürte, dass ich nicht bei der Sache war. »Schalten Sie Ihre Gedanken ab, Acari Drew«, sagte er tadelnd. »Der Wiener Walzer ist der klassischste, der eleganteste aller Tänze, aber Sie müssen ihn mit dem Gefühl erfassen, nicht mit dem Verstand.«

Doch anstatt diesen Rat zu befolgen, beschäftigte ich mich weiterhin mit meinem Tanzpartner. Trotz seiner hohlwangigen Züge und der klapprigen Erscheinung bewegte er sich elegant und geschmeidig. Ich war hin und weg von dem Gedanken, dass er bereits Jahrhunderte gelebt hatte, als man in den Ballsälen erstmals Walzer tanzte – dass er bereits gelebt hatte, als die Damen der feinen Gesellschaft erstmals hohe Perücken trugen und sich schwarze Schönheitspflästerchen auf die weiß gepuderte Haut klebten.

Mein Verstand stieg aus, und ich schaltete auf Autopilot.

Aber Dagursson war jetzt in seinem Element. »Und nun versuchen wir es mit einer Drehung«, sagte er und wirbelte mich herum.

Darauf war ich nicht vorbereitet.

Ich geriet ins Stolpern. Und verlor nicht nur das Gleichgewicht, sondern auch die Beherrschung. Mein knapper, prägnanter Fluch war nicht zu überhören. »O Shit!«

Dagursson erstarrte zu Eis. Er hielt mich weit von sich und stützte mich mit einer Hand im Rücken, während ich unsicher auf einem Fuß hin und her kippelte. Aber die andere Hand schoss vor, und ein langer, rasiermesserscharfer Fingernagel ritzte meinen Mund.

Ich unterdrückte ein Keuchen und leckte Blut von der Unterlippe.

»Eine kleine Erinnerung, Acari Drew, sich wie eine Dame zu benehmen.«

Er schob mich heftig von sich, und ich fing mich zum Glück nach ein paar Stolperschritten, ohne zu stürzen. »Arbeiten Sie an Ihrem Wechselschritt, sonst bringen Sie es im Tanz nie zu Vollkommenheit.« Dagursson starrte einen Moment lang meine blutende Lippe an. »Versorgen Sie diesen Riss, damit keine Narbe zurückbleibt!«

Und mit einem letzten Klatschen seiner gruseligen Ghul-Hände entließ er den Kurs.

Yasuo und ich stürmten zum Ausgang. Ich war noch vor ihm draußen und atmete in tiefen Zügen die kalte, frische Luft ein. Jetzt erst merkte ich, dass mein Herz wie verrückt hämmerte.

Yas holte mich ein und warf mir einen unsicheren Blick zu. »Das war aber …«

»Genau.« Ich fröstelte. »Gruselig.«

Wir schlenderten über das Karree des Innenhofs, aber während mir daran gelegen war, die Episode so rasch wie möglich zu vergessen, schien sie Yasuo immer noch Unbehagen zu bereiten.

Ich stieß ihm unsanft den Ellenbogen in die Rippen. »Hey, hast du etwa geglaubt, der würde mir den Bauch anstatt der Lippe aufschlitzen?« Dass die Vampire dazu fähig waren, hatten wir alle erlebt – ich sogar an meinem allerersten Tag auf der Insel.

Er deutete mit dem Kinn auf meinen Mund. »Das ist für mich nicht ganz … einfach.«

»Was heißt da nicht ganz einfach, Mann? Mich hat Dags kleiner Finger gestreift, nicht dich.«

»Es ist so, D.« Yas wand sich vor Verlegenheit. »Das Blut …«

»Ist es so schlimm?« Ich leckte die Unterlippe ab, um zu sehen, ob sie noch blutete.

Yasuo wandte den Blick ab. »Lass das, bitte

»Wo liegt das Problem?« Ich starrte sein Profil an, und dann dämmerte mir die Wahrheit. »Ooohh! Es fällt dir schwer, Blut zu sehen?« Na klar!

»Yeah. Ich bin zwar noch Anwärter, aber wir können schon … wir haben … also, da ist dieser Durst, verstehst du?«

Ich packte ihn lachend am Arm und spitzte den Mund. »Willst du mal probieren, Großer?«

Yas wich vor mir zurück. Er schien sauer und fast ein wenig angewidert zu sein. »Ich sagte doch, du sollst das lassen.«

Ich sah ihn völlig verwirrt an.

Yasuo seufzte. »Hör zu, D.«, sagte er ein wenig gequält. »Dieser … dieser Blutdurst ist fast … wie ein Sextrieb.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, und so beließ ich es bei einem »Ooh«. Ich meine, wie kehrt man nach so einer Enthüllung zu einem normalen Gespräch zurück?

Aber dann versuchte er aus seinem Loch zu kriechen und machte alles noch schlimmer. »Du weißt, dass ich dich cool finde und so, aber ich bin einfach noch nicht so weit, dass –«

»Stopp!« Ich hob die Hand. »Jetzt halt mal echt die Luft an, ja? Davon war niemals die Rede, okay?«

Er atmete tief ein und wieder aus. »Okay.«

Wir waren so was von einem lahmen Paar, beide verlegen und rot bis an die Haarwurzeln, und so beschleunigten wir stumm unsere Schritte in Richtung Speisesaal. Das Schweigen hing schwer zwischen uns, und ich spürte, dass wir uns beide die Köpfe zermarterten, wie wir am besten wieder in die Normalspur kamen.

Yasuo überbrückte die Kluft als Erster, auch wenn seine Stimme ein wenig angespannt klang. »Und? Gehst du später noch schwimmen?«

»Warum?« Meine Antwort kam ganz automatisch. Ronan war irgendwo verschollen, und der Schwimmunterricht mit ihm war der einzige Grund, mich ins Wasser zu kriegen. Das oder eine Drohung mit vorgehaltener Waffe.

Ronan. Da war immer noch dieses kleine Ziehen in meiner Brust. Ich fragte mich, ob Ronan jemals diesen Durst bekam …

Ich zuckte mit den Achseln und fügte rasch hinzu: »Zum Schwimmen gehe ich nur, wenn es unbedingt sein muss.«

»Dann weißt du das Neueste noch gar nicht? Ronan ist zurück.«