20. KAPITEL

Chase drückte auf die Klingel, dann stellte er sich auf den kleinen Absatz vor der Haustür und wartete, dass Jane aufmachte. Es war acht Uhr abends. Ihr Verandalicht war eingeschaltet, weswegen er hoffte, dass sie zu Hause war.

Seit ihrer gemeinsamen Woche hatte er sie nur ein einziges Mal gesehen, beim Grillfest. Jetzt einfach unangekündigt bei ihr aufzutauchen war riskant, und Chase war ziemlich nervös.

Das Grillfest war allerdings nett gewesen. Aus irgendeinem Grund hatte es sich … gut angefühlt, den Abend mit Jane zu verbringen, ohne danach mit ihr nach Hause zu gehen. Vielleicht, weil es bewies, dass sie mehr miteinander verband als nur Sex. Es war offensichtlich gewesen, dass Jane nicht damit gerechnet hatte, ihn bei der Familienfeier zu sehen. Und im ersten Moment hatte sie nicht gerade erfreut gewirkt. Ihr Pech. Er war geblieben, und er hatte jede Sekunde des Abends genossen, obwohl Grandma Olive ihn als Weichei bezeichnet hatte.

Chase hatte eine Menge Papierkram zu erledigen gehabt. Deswegen war es ihm nicht ganz so schwergefallen, Jane ein bisschen Zeit zum Nachdenken zu lassen. Aber jetzt war er bereit für den nächsten Schritt.

Endlich öffnete Jane die Tür. Sie trug kurze Trainingshosen, ein enges T-Shirt und ihre niedliche kleine Brille. Bei ihrem Anblick begann Chases Körper vor Freude zu kribbeln. „Hey, bin ich rechtzeitig zum Boxtraining da?“

Jane neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn. „Ich hatte nicht mit deiner Teilnahme gerechnet.“

Autsch. „Aber ich muss dir etwas Wichtiges erzählen.“

Sie warf einen achtsamen Blick über seine Schulter, dann nickte sie. „Okay, komm rein.“

Chase schaute sich um, ehe er eintrat. „Ist alles in Ordnung?“

„Alles bestens. Es ist gut, dass du da bist. Ich wollte nämlich auch mit dir reden.“

Das war schon eher nach seinem Geschmack als nervöse Schulterblicke. „Worüber denn?“

Sie zögerte, schien etwas sagen zu wollen, schüttelte dann aber den Kopf. Ihr Pferdeschwanz wippte bei jeder Bewegung, was Chase daran erinnerte, wie weich sich ihr Haar anfühlte.

„Du zuerst“, sagte sie und winkte ihn zum Sofa.

„Okay.“ Er setzte sich neben sie. „Mein Vater hat gestern Gerüchte gehört, wollte aber nichts sagen, bis er Genaueres weiß. Offenbar hat die Polizei jemanden unter Verdacht.“

„Und wen?“

„Den Namen kenne ich nicht. Sie halten die Informationen zurück, weil sie den Mann offenbar noch nicht festgenommen haben.“

Jane sah auf ihre Hände. „Okay, aber das sind trotzdem tolle Neuigkeiten. Ich sag Jessie Bescheid.“

„Ja, ich hoffe sehr, dass sie deinen Bruder von jetzt an in Frieden lassen. Aber verrat ihm nicht zu viel. Was ich dir gerade erzählt habe, sollte sich nicht herumsprechen. Der Verdächtige darf nicht wissen, dass sie ihm auf der Spur sind.“

„Ich warte einfach noch ein paar Tage.“

Chase nahm ihre Hand und strich mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel. „Alles in Ordnung? Du siehst ziemlich müde aus.“

Sie zuckte die Achseln.

„Worüber wolltest du mit mir sprechen?“

„Ich …“ Konzentriert betrachtete sie weiter ihre Hände. „Ich muss …“

Also machte sie sich wieder Gedanken, ob sie wirklich mit ihm zusammen sein wollte. Er konnte es ihr ansehen. Aber er hatte es ernst gemeint, als er gesagt hatte, dass er sich in sie verlieben würde. So leicht würde er sie nicht aufgeben. Er hatte schon einmal eine Frau kampflos gehen lassen. Diesen Fehler würde er kein zweites Mal machen.

Chase beugte sich zu ihr vor, und als Jane aufblickte, küsste er sie. Er wusste genau, wie er mit ihr umzugehen hatte. Wann ihre Neurosen kurz davor waren, ihre wahren Gefühle zu überdecken. Und er wusste genau, dass er ihre große Schwäche war. Ein schmeichelhafter Gedanke.

Jane wich zwar nicht zurück, reagierte allerdings auch sonst kaum auf seinen Kuss. Ihre Lippen fühlten sich unterkühlt an.

Doch Chase ließ nicht locker, und dann, ganz plötzlich, war ihr Mund weich und heiß und offen für ihn.

Sie erwiderte seinen Kuss, ließ ausnahmsweise sogar zu, dass Chase es langsam angehen ließ. Eine lange Minute über ließen sie ihre Zungen miteinander spielen, dann zog sich Chase zurück. „Was ist los, Jane?“

Sie hielt sich an seiner Hand fest, holte tief Luft … und dann schüttelte sie wieder den Kopf. „Wollen wir einen Film gucken?“

„Einen Film?“ Es war schon halb neun, und morgen musste er um sechs Uhr früh auf die Baustelle, um eine Sprengung vorzubereiten … „Ein Film wäre toll.“

Jane brachte ihm eine Cola – diesmal eine richtige, als wäre sie extra für ihn einkaufen gewesen – und goss sich selbst ein Glas Rotwein ein. Dann schaltete sie eine Liebeskomödie ein, kuschelte sich an Chase, und er war zurück im siebten Himmel.

Anfangs dachte er, es würde wieder so laufen wie am Samstag, als sie ganz entspannt und wie gute Freunde vor dem Fernseher eingenickt waren. Aber er kannte den Film schon, und es war so lange her, dass er Jane das letzte Mal berührt hatte, und der Wein färbte ihre Lippen verführerisch rot, und …

Es dauerte nicht lange, bis er sich dabei ertappte, wie er ihr Knie streichelte. Jane nippte weiter an ihrem Wein und lachte über den Film, während Chase die Augen schloss und sich erinnerte, wie er sie das letzte Mal geleckt hatte. Wie sie geschrien hatte vor Lust.

Scheiße. Er zwang sich, die Augen wieder zu öffnen und auf den Film zu achten. Doch sein ganz privates Kopfkino wollte nicht aufhören.

Mit angehaltenem Atem ließ er seine Hand nach oben gleiten, und Jane spreizte die Oberschenkel, um ihm Platz zu machen.

Gott sei Dank. Er tat nicht mal mehr so, als würde er dem Film folgen, sondern drehte Jane zu sich und küsste sie. Sie zog ihn näher, und dann legte er sie auf die Couch, oder sie zog ihn zu sich herab, er war sich nicht ganz sicher. Jedenfalls endete er auf ihr liegend, seine Lippen auf ihren, ihren weichen Körper unter sich.

Gott, was hatte er es vermisst, sie zu schmecken und zu spüren und zu hören. Ihre süßen Lippen und ihr weiches Haar und ihr gieriges Seufzen. Sie strich mit den Händen über seine Brust, bis er vor Anspannung kaum mehr atmen konnte. Dann riss sie ihm förmlich das Hemd vom Leib, und erst da begriff er, dass sie genauso ungeduldig war wie er.

Er berührte sie überall, fuhr über ihre Haut, zerrte ihr die Shorts von den Hüften und schob ihr Shirt nach oben. „Jane“, murmelte er wieder und wieder, „Jane.“

Und im nächsten Moment hatte er ein Kondom übergestreift und war tief in sie eingedrungen.

„Oh Gott, Jane“, flüsterte er, als sie die Arme um ihn schlang. Es war, als würde sie ihn mit jedem Zentimeter ihres Körpers berühren, während er sie langsam und hart nahm.

Sie krallte die Fingernägel in seinen Rücken, und aus ihrem Seufzen wurde Stöhnen. Die Welt schien nur noch aus Jane zu bestehen, ihrem Keuchen, ihrer Wärme, ihrer weichen Haut.

Er rutschte ein paar Zentimeter nach oben, und Jane schrie auf. Ihre Nägel gruben sich in seine Arschbacken, und er konnte spüren, wie sie ihm entgegenkam, wie sie immer enger und enger wurde. Dann fing sie an, unter ihm zu beben. Als ihr Stöhnen leiser zu werden begann, wurde auch Chase in einen dunklen Strudel gerissen, und für einen Augenblick wurde die Welt in tiefstes Schwarz getaucht.

Ehe er wieder richtig zur Besinnung gekommen war, wurde Jane unter ihm stocksteif. „Wir müssen reden“, sagte sie und versuchte, ihn von sich zu schieben.

Oh Gott. Im Ernst? Er hatte noch nicht mal wieder Gefühl in den Beinen!

„Chase!“

Okay. In Ordnung. Chase atmete tief durch und stemmte sich hoch. Dann schnappte er sich seine Jeans und verzog sich ins Badezimmer. Als er zurückkam, war Jane aufgestanden und lief in Unterwäsche und Shirt unruhig auf und ab.

Als sie sich eine Träne von der Wange wischte, rutschte ihm fast das Herz in die Hose. Aber es führte kein Weg mehr um die Wahrheit herum.

„Jane, ich glaube, ich liebe dich.“

„Was? Warum sagst du das?“

„Weil es nun mal so ist.“

„Nein!“, schrie sie auf.

Chase wusste, dass es ein Fehler war zu lächeln, aber er war machtlos.

„Das ist nicht witzig!“

„Meine Güte, reagierst du immer so, wenn dir ein Mann seine Liebe gesteht?“

Sie schloss den Mund so ruckartig, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.

„Tut mir leid, aber ich kann das alles nicht. Das hier muss aufhören. Für immer.“

„M-hm.“

Jane hielt mitten in der Bewegung inne und fuhr zu ihm herum. „Was soll das denn jetzt heißen?“

„Dass ich dir kein Wort glaube.“ „Warum nicht?“, fauchte sie.

„Keine Ahnung. Vielleicht, weil wir uns gerade geliebt haben?“

„Nein! Wir hatten Sex, Chase.“

Auf einer abstrakten Ebene war Chase klar, dass er sich jetzt eigentlich hätte verletzt fühlen sollen. Aber es war so offensichtlich, dass sie log, dass sein Herz nicht mal ins Schlingern geriet. Sie hatte ihn abblitzen lassen, als sie sich kennengelernt hatten, und auch danach hatte sie immer wieder versucht, ihn loszuwerden. Doch sie schaffte es nicht. Weil sie ihn wollte.

Sie mochte ihn, und sie begehrte seinen Körper, und Chase wusste, dass diese beiden Gefühle früher oder später zu etwas verschmelzen würden, das viel bedeutsamer war als die Summe der Einzelteile. Genauso, wie es ihm passiert war.

„Es ist vorbei“, beharrte Jane.

„Warum? Was ist passiert?“

„Nichts ist passiert. Es ist einfach nur vorbei. Was es schon nach der ersten Nacht hätte sein sollen.“

„Als du mir vorhin die Tür aufgemacht hast, warst du völlig durcheinander und nervös. Weswegen?“

Sie schüttelte den Kopf. Verschränkte die Arme. Ließ sie wieder fallen. Schob das Kinn vor. „Ich habe Mr Jennings alles erzählt.“

„Ähm …“ Die Schamesröte stieg ihm ins Gesicht. Er fühlte sich, als wäre Mr Jennings ihr Vater, der sie gerade in flagranti miteinander erwischt hatte. „Du hast ihm gesagt, dass wir miteinander schlafen?“

„Nein! Ich hab ihm von meiner Familie erzählt. Und wie ich früher hieß.“

„Oh, ich verstehe. Aber das ist doch toll!“ Er streckte die Arme nach ihr aus. „Ich bin so stolz auf dich, Schatz.“

Aber Jane hob abwehrend die Hände. „Nein, daran ist gar nichts toll. Dynasty MacKenzie ist kein Geheimnis mehr. Du weißt von ihr und Mr Jennings auch, und jetzt … jetzt weiß auch noch Greg Bescheid, und er wird es allen erzählen. Ich muss jetzt mit ihr leben.“

„Vielleicht ist sie ja gar nicht so übel, Jane.“

Sie kam mit geballten Fäusten auf ihn zu, und für einen Moment befürchtete er ernsthaft, dass sie ihm gleich eine Kostprobe von ihren Boxkünsten geben würde. Er wich einen Schritt zurück. „Du hast keine Ahnung, wie übel sie war.“

„Aber ich weiß, dass …“

„Wie alt war ich, als wir miteinander zu tun hatten? Dreizehn, vierzehn? Danach hatte ich noch zwei Jahre Zeit, um an meinem Bad-Girl-Image zu feilen. Ich hab vollkommen die Kontrolle verloren. Ich war … Ich darf nie wieder so werden. Ich kann nicht mit Männern mit Tattoos ausgehen oder meinen Bruder im Gefängnis besuchen oder … ich kann einfach nicht. Sonst denken die Leute, ich hätte mich nicht verändert.“

„Aber Jane … Wen kümmert es schon, was die Leute denken?“

„Mich kümmert es. Aber das kannst du wohl nicht verstehen.“ „Dann erklär es mir.“

Ihre Augen glänzten fiebrig, und sie schüttelte den Kopf wie eine Besessene.

„Erzähl mir, was passiert ist.“

„Nein!“ Sie wirkte so panisch, dass es Chase plötzlich egal war, ob sie ihn schlagen würde. Er packte sie und schlang seine Arme um sie. Ihr Atem schien seine nackte Brust zu versengen, und sie keuchte, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich. Ihre Knöchel drückten in seinen Bauch.

„Jane, du musst mit jemandem reden.“

„Hör auf, den Therapeuten zu spielen. Ich muss nicht reden, ich weiß genau, was mit mir nicht stimmt.“ Ihre Atmung beruhigte sich etwas, und als sie sich aus seiner Umarmung wand, ließ er vorsichtig los. „Mein Vater, also mein echter Vater, hat mir jede Woche geschrieben, als er im Gefängnis saß. Jede einzelne Woche. Ich hatte große Träume, was passieren würde, wenn er freikommt. Was für ein toller Dad er sein würde. Und er hat mich auch noch zum Träumen ermuntert! Aber dann kam er auf Bewährung raus, als ich zwölf war, und danach hab ich niemals wieder von ihm gehört. Nie mehr. Er ist einfach abgehauen. Er brauchte keine Brieffreundin mehr, weil er wieder ein Leben hatte.“

Chases Kehle schnürte sich vor Mitgefühl zusammen. „Gott, das ist ja fürchterlich! Du musst damals …“

„Und es hätte zu keinem schlimmeren Zeitpunkt passieren können als in der Pubertät. Ich habe alles getan, um ein bisschen Aufmerksamkeit von Männern zu bekommen. Und zufällig hatte ich genau die richtige Figur, um zu bekommen, was ich wollte. Sie fanden mich heiß, und ich stand drauf. Ende der Therapiestunde.“

Das Brennen in seiner Brust war so heftig, dass er kurz befürchtete, gleich einen Herzinfarkt zu bekommen. „Aber du warst doch noch ein Kind!“

„Klar, mit zwölf war ich noch ein Kind. Aber irgendwann war ich alt genug, um es besser zu wissen. Irgendwann konnte ich die Schuld nicht mehr meiner Mom oder meinem Dad oder meiner Vergangenheit in die Schuhe schieben. Da waren nur noch ich und meine Trinkerei und die Drogen und der Sex mit Männern, die doppelt so alt waren wie ich, und …“

Oh Gott.

„Und mit so einer Vergangenheit leben zu müssen ist schon schwer genug, wenn nicht die halbe Welt Bescheid weiß.“

Mittlerweile lief sie wieder händeringend auf und ab. Ihre Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Chase dachte daran, wie sie früher einmal gewesen war. An den Schmollmund, ihre offensive Flirterei, die tiefen Dekolletés. Daran, dass sie erst dreizehn gewesen war.

„Was ist dir passiert, als du sechzehn warst?“

„Ha! Ich war mir sicher, dass ich weiß, was ich tue. Ich dachte wirklich, ich habe alles im Griff.“

Es kam ihm selber lächerlich vor, aber plötzlich bekam Chase Angst. Angst um das Mädchen, das sie einmal gewesen war. Was auch immer vorgefallen war, es war lange her. Doch es musste so grauenhaft gewesen sein, dass es Jane niemals ganz losgelassen hatte. „Was ist passiert, Jane?“

Ihr Lachen klang eher wie ein Schluchzen. „Ich hab mich für so cool gehalten.“

„Jane.“

„Diese Typen haben mich gefragt, ob ich mit auf eine richtige Party kommen will, in Denver. Und ich wollte einfach nur raus aus dieser verdammten Kleinstadt und richtig Spaß haben. Also bin ich um Mitternacht zu ihnen ins Auto gestiegen. Ich hab keinen Gedanken an meine Familie verschwendet, oder an meine Sicherheit, oder daran, wer diese Typen überhaupt sind.“

Chase rieb sich über den Schädel, aber der Druck in seinem Kopf wollte einfach nicht weggehen. „Gott“, flüsterte er entsetzt. Jane stand mittlerweile reglos da, und jetzt war es Chase, der nervös auf und ab lief.

„Wir sind in ihr Haus in der Innenstadt von Denver gefahren. Sie hatten Pillen und Bier, und ich war so high, dass ich einfach alles mitgemacht hätte, verstehst du? Und ich habe alles mitgemacht. Ich hatte Sex mit drei Typen, im selben Zimmer, zur gleichen Zeit. Das ist das Mädchen, das ich war, Chase.“ Ihre Stimme hatte ganz ruhig geklungen, aber jetzt überschlug sie sich. Auf Janes blassen Wangen glänzten Tränen. „Das ist es, was ich war. Die Leute hatten recht damit, so schlecht über mich zu reden. Dass mich die Mädchen Schlampe und Nutte genannt haben. Und dass die Jungs immer von mir wissen wollten, wann sie den nächsten Blowjob bekommen.“

„Jane.“

Er wollte wieder die Arme um sie legen, aber diesmal blieb es bei dem Versuch, denn sie schob ihn brüsk von sich. „Das ist es, was ich war. Und ich ertrage den Gedanken nicht, dass jemals wieder irgendjemand so von mir denkt.“

„Aber das werden sie nicht“, flüsterte er und zog sie heftig an sich, ehe sie protestieren konnte. „Das werden sie nicht.“ Dann schloss er sie in die Arme und drückte viel zu fest zu.

„Ich will einfach nur ein langweiliges Leben, für das sich niemand interessiert“, flüsterte sie gedämpft gegen seine Brust. „Ich will eine durchschnittliche Frau sein, die keinem auffällt. Niemand soll wissen, wer ich wirklich bin. Aber du weißt es. Und deswegen will ich dich nicht bei mir haben.“

Er drückte einen Kuss auf ihr Haar. „Dann willst du lieber mit jemandem zusammen sein, der keine Ahnung hat, wer du bist? Wo du herkommst und was du erlebt hast?“

„Ja.“

„Aber was für ein Leben soll das denn sein, Jane?“

„Ein … ein friedliches. Ein gutes.“

„Aber das wäre es nicht.“ Gott, sie zitterte am ganzen Körper! „Das wäre doch alles nur Schein.“

Chase führte sie zur Couch, legte sich hin und zog sie auf sich. Und dann hielt er sie einfach fest, streichelte ihr Haar und wartete, bis sie zu zittern aufhörte. Nach langer Zeit wurde ihr Körper endlich weich und nachgiebig, und ihr keuchender Atem beruhigte sich.

„Haben sie dir wehgetan?“

Jane lachte tränenerstickt auf. „Nein, nicht wirklich. Wehgetan habe ich mir selbst. Aber am nächsten Tag versicherten sie mir immer wieder, dass sie mich gleich nach Hause fahren würden, und dann wurde es plötzlich wieder dunkel, und sie sagten: ‚Hey, mach dir keine Gedanken. Nachher kommen ein paar Freunde von uns vorbei, die auch mit dir feiern wollen. Wir bringen dich morgen zurück.‘ Da bin ich panisch geworden und habe mich weggeschlichen. Aber ich war in Denver. Ich kannte keine Menschenseele, und ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Also bin ich einfach ein paar Stunden lang durch die Straßen geirrt, bis mich ein Cop aufgelesen hat.“

„Gott sei Dank.“

„Ich war so müde und verängstigt, dass ich ihm einfach alles erzählt habe. Ich dachte wirklich, dass er mir helfen will, verstehst du?“

Einen kurzen Moment lang hatte Chase Erleichterung empfunden, doch sie löste sich schlagartig in Luft auf, als Jane angewidert auflachte. „Was soll das heißen?“

„Dass der Cop nicht gerade das Mitgefühl in Person war. Er hat mich auf die Polizeiwache geschleift, Mac angerufen und ihm gedroht, dass ich wegen Prostitution angezeigt werde, wenn ich nicht bis zum nächsten Morgen abgeholt werde.“

„Prostitution?“, knurrte Chase.

Er spürte, wie Jane an seiner Brust nickte. „Er hat Mac gesagt, dass …“ Ihr Atem ging jetzt wieder stoßweise. „Ich saß ihm direkt gegenüber, als er Mac angerufen hat. Dieses Schwein hat mir die ganze Zeit über in die Augen gesehen, während er mit Mac geredet hat. Er hat gesagt: ‚Ich habe Ihre Tochter auf der Straße gefunden. Sie gibt zu, in der letzten Nacht mit mindestens drei Männern Sex im Austausch gegen Drogen gehabt zu haben. Wenn Sie sie nicht sofort abholen, erstatte ich Anzeige wegen Prostitution.‘ Ich wäre am liebsten gestorben. Ich hatte … ich wollte nicht, dass Mac jemals erfährt, was ich so treibe.“

Schockiert streichelte Chase ihr über den Rücken.

„Er kam tatsächlich sofort, und ich habe mich so unendlich geschämt. Anfangs hat er kein Wort gesagt. Er ist einfach losgefahren. Aber als die Sonne aufging, ist er an den Straßenrand gefahren, hat den Blendschutz vor mir runtergeklappt und gesagt: ‚Schau dich an.‘“

„Klassische Vater-Taktik“, flüsterte Chase, weil er hoffte, Jane damit zum Lachen zu bringen.

Es funktionierte. Es war nur ein winzig kleines, fast unhörbares Lachen, aber er konnte spüren, wie sich ihr Rücken unter seinen Händen entspannte.

„Die Taktik ist jedenfalls aufgegangen. Ich habe mich angesehen, und ich war so fertig, und ich wusste, dass er alles glaubte, was der Cop ihm erzählt hatte. Ich sah so verhärtet aus. Traurig und verbraucht. Also habe ich Mac gesagt, dass das alles ein riesengroßer Fehler gewesen ist. Dass ich gar nicht mit diesen Typen hatte enden wollen. Und dann hat Mac angefangen zu reden. Und er redet eigentlich nie. Aber an diesem Tag hat er geredet, ganz langsam und ruhig. Wie wichtig es ihm sei, gut mit mir umzugehen. Und wie sehr er mich liebt.“

Sie schwieg und schluckte hart. „Er sagte, dass ihm klar ist, wie sehr mein Dad mich verletzt hat und wie wütend ich auf meine Mom bin. Er sagte: ‚Du haust deiner Mutter immer wieder um die Ohren, was für Entscheidungen sie getroffen hat. Aber wenigstens hat sie es versucht. Sie hat sich wirklich Mühe gegeben. Und du tust nichts weiter, als dich selbst zu zerstören, um zu beweisen, wie große Fehler sie gemacht hat.‘“

„Autsch.“

Sie streichelte in kurzen, monotonen Bewegungen seinen Oberarm. „Er wollte gar nicht genau wissen, was mir passiert ist, und er hat auch nicht geschimpft. Aber er hat in Vail vor dem Krankenhaus gehalten und in der Notaufnahme angegeben, dass ich einen Arzt brauche, mit dem ich unter vier Augen sprechen kann. Er hat sich richtig um mich gekümmert, Chase. Und irgendwann während dieser Fahrt habe ich begriffen, dass ich einen richtigen Vater habe. Er hätte allen Grund der Welt gehabt, mich von sich zu weisen. Ich hatte mich fürchterlich verhalten, und trotzdem war er immer noch da. Und er liebte mich immer noch.“

„Und das ist es, was dich so verändert hat?“

„Zum Teil, ja. Ich wollte, dass er einen Grund hat, stolz auf mich zu sein. Als würde ich ihm so seine Liebe zurückzahlen. Und ich wollte besser sein als meine Mutter, nicht schlechter. Aber der größte Anstoß war das, was in dieser Nacht passiert ist. Als die Wirkung der Drogen erst mal nachgelassen hatte, war ich so unendlich entsetzt und beschämt über das, was ich getan hatte. Und dann ist mir klar geworden, was alles hätte passieren können. Und dass mir der Cop deswegen keine Hilfe angeboten hatte, weil ich aus seiner Sicht genau das bekommen hatte, was ich verdiente. Manchmal denke ich, dass ich damals ganz unten ankommen musste, damit irgendein Gefühl durch meine Wut und den Alkohol und den Trotz dringen konnte.“

Chase strich mit den Lippen über ihre Stirn und sog den Duft ihres Haars ein. Das brennende Gefühl in seiner Brust ließ langsam nach, dafür brannten ihm nun aber Tränen in den Augen. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du es danach geschafft hast, dein ganzes Leben umzukrempeln. Ich meine, wie alt warst du? Sechzehn? Das ist wirklich eine wahnsinnige Leistung.“

Jane zeichnete mit der Fingerspitze die schwarzen Linien seines Tattoos nach. Sie lag schwer und warm auf ihm, und auf seinen Armen breitete sich eine wohlige Gänsehaut aus.

„Aber letzten Endes hat es nichts gebracht. Genau darum geht es mir doch, Chase! Es spielte keine Rolle, dass ich mich geändert habe. Weil die Leute immer noch das Mädchen sahen, dass ich gewesen war. Meine plötzliche Veränderung war ihnen suspekt. In der Schule und in der Stadt hieß es, dass ich ein Baby oder Aids hätte. Dass ich wegen Prostitution verknackt worden und jetzt auf Bewährung sei. Die Jungs, mit denen ich davor zu tun hatte, fingen an, mich grausam zu behandeln. Aber die Mädchen waren noch viel schlimmer. Glaub mir, Chase, manchmal spielt es eine Rolle, was die Leute von einem denken.“

„Ja, vielleicht hast du recht“, gab er zu. „Aber jetzt ist doch alles anders! Du bist keine sechzehn mehr. Du gehst nicht mehr zur Schule. Du hast jetzt ein gutes Leben und allen Grund, stolz auf dich selbst zu sein.“

„Das bin ich aber nicht. Nicht, wenn ich an meine Vergangenheit denke. Ich muss mich verstellen und mich hinter einer Fassade verstecken, weil nur das mir ein Gefühl von Sicherheit gibt. Es tut mir leid, aber das ist die schäbige Wahrheit.“

„Nein, ist es nicht. Ich liebe die Person, die du jetzt bist, Jane. Und zu dieser Person gehört auch das, was du einmal warst. Die Veränderungen, zu denen du bereit warst … Ich kenne niemanden außer dir, der aus reiner Willenskraft so etwas hätte schaffen können. Willst du nicht mit jemandem zusammen sein, der weiß, wer du wirklich bist?“

„Nein. Ich will mit jemandem zusammen sein, der nicht mal weiß, dass die Welt existiert, aus der ich komme.“

Chase verdrehte die Augen. Gott, sie war so dickköpfig, wie sie da auf ihm lag, sein Tattoo streichelte und gleichzeitig allen Ernstes behauptete, dass sie lieber mit irgendeinem Spießer im Pullunder zusammen sein wollte. „Okay, aber was ist mit dem Rest deiner Bedürfnisse? Sagen wir mal, du heiratest so einen Typen wie diesen Greg. Und was dann? Willst du dein Leben lang nebenbei Affären mit Männern wie mir haben?“

„Nein!“ Sie stützte sich von seiner Brust hoch und starrte ihn wütend an. „Warum sollte ich?“

Chase legte ihr eine Hand auf die weiche, warme Haut in ihrem Nacken. „Weil ich dich anmache. Weil diese Oberschichtentypen dir vieles bieten können, aber keine richtige Leidenschaft. Und braves Mädchen hin oder her: Du brauchst Leidenschaft, Jane.“

Er versuchte, sie zu küssen, aber sie wand sich aus seiner Umarmung. „Hör auf damit!“

„Willst du dich wirklich für den Rest deines Lebens selbst verleugnen?“

„Ja. Ich brauche das hier nicht. Kein bisschen.“

Sie versuchte aufzustehen, aber Chase hielt sie einfach fest. „Oh doch, du brauchst das hier.“ Ihr Herz hämmerte so heftig, dass Chase es durch ihre Kleidung hindurch spüren konnte. „Du warst kurz davor zu verdursten, so sehr hast du es gebraucht. So sehr hast du mich gebraucht.“

Als er sie zu sich herabzog, leistete sie erneut Widerstand. Dann küsste er sie, und sie öffnete bereitwillig die Lippen. Ihr Kuss war hungrig und gierig. Sie verschlang ihn förmlich, gab alle Fluchtversuche auf und drängte sich stattdessen so eng an ihn, als könne er ihr nicht nahe genug sein.

Ihr Kuss hatte fast schon etwas Gewaltsames. Ihre Fingernägel bohrten sich in seine Haut, aber Chase war das egal. Er wollte benutzt werden, wollte Jane so sehr, dass sein Schwanz schon nach Sekunden schmerzhaft zu pochen begann.

Seine Hände lagen um ihr Gesicht, ansonsten berührte er sie nicht. Stattdessen ließ er sich von Jane berühren. Ihre Finger glitten über seinen Hals, seine Schultern, seine Arme. Und ihre Lippen folgten, leckten und saugten an seiner Haut.

Als sie nach seinem Jeansknopf suchte, schloss Chase die Augen. Dann legte sie die Hand um seinen Schwanz, und Chase holte tief Luft.

Jane ließ ihre Hand langsam bis ganz nach unten gleiten, dann wieder nach oben, und beobachtete dabei konzentriert ihre eigenen Bewegungen.

Erschauernd beobachtete Chase, wie sie ihm einen runterholte. Auf ihren Wangen breitete sich ein immer tieferes Rot aus, ihre Brustwarzen richteten sich unter dem dünnen T-Shirt auf, und der Druck ihrer Finger wurde immer fester.

„Oh Gott“, stöhnte er.

Ein Ausdruck des Triumphs blitzte in ihren Augen auf, als sie kurz zu ihm hochblickte. Sie ließ ihn los, um ihr Shirt und den Slip loszuwerden. Dann fischte sie vor dem Sofa nach der Packung Kondome, die er in seiner Eile vorhin einfach hatte fallen lassen.

Als sie sich über ihn kniete, keuchte Chase wie ein Verrückter, aber noch immer berührte er sie nicht. Er ballte die Hände zu Fäusten, als er ihr heißes Geschlecht an seinem spürte. Dann glitt sie über ihn, nahm ihn in sich auf, umschloss ihn warm und fest.

Jane warf den Kopf in den Nacken und seufzte. Die harten Sorgenfalten um ihre Augen verschwanden.

Chase wusste, was er tun musste, damit dieser entrückte Ausdruck in ihrem Blick erschien. Er wusste, wie er sie zum Lachen bringen konnte und zum Schreien, zum Lächeln und zum Weinen. Er kannte sie. Ob es ihr nun gefiel oder nicht.

Sie begann, ihn zu reiten, und Chase ließ sie sich alles nehmen, was sie brauchte. Nicht, dass ihm das schwergefallen wäre. Sie war wunderschön, wie sie völlig versunken in ihrer eigenen Lust auf ihm saß. Der Sex mit ihr war wunderschön, und jedes Mal, wenn sie miteinander schliefen, zog sich Chases Herz zusammen vor Glück.

Obwohl er sich geschworen hatte, ihr die Kontrolle zu überlassen, umfasste Chase irgendwann ihre Oberschenkel. Er hielt sie fest, kam ihr entgegen, sah zu, wie sein Schwanz in sie hinein- und wieder herausglitt. Der Anblick war fast zu viel für ihn. Obwohl es keine Stunde her war, dass er zuletzt gekommen war, baute sich wieder die mittlerweile schon vertraute Spannung in seinem Körper auf.

Er schob seine Hand nach oben und strich mit dem Daumen über Janes Kitzler.

„Ja“, flüsterte sie, als er sie zu streicheln begann. „Chase, bitte. Ja!“

Als seine Finger die warme Nässe streiften, die seinen Schaft benetzte, erschauerte er.

„Ja“, flüsterte sie wieder und wieder. Es klang wie ein Gebet. Und dann spürte er, wie sie sich um ihn herum zusammenzog. Sie schüttelte den Kopf, hielt sich zurück, krallte sich mit einer Hand an der Sofalehne fest. „Nein“, stöhnte sie jetzt, aber es war zu spät. Ihre Hüften begannen zu zucken, und dann schrie sie auf.

Chase schaffte es, sich gerade noch lange genug zusammenzunehmen, um beobachten zu können, wie sie kam. Dieser Anblick gab ihm den Rest und katapultierte ihn ebenfalls in die wunderbare Welt reiner Lust.

Jane sank auf ihm zusammen, und er schloss ihren schweißfeuchten Körper in seine Arme. „Jane“, flüsterte er. „Ich liebe dich.“

Diesmal wehrte sie sich nicht gegen seine Worte. Doch das kurze Stocken ihres Atems verriet ihm, dass sie ihn trotzdem gehört hatte.

„Ich liebe dich“, wiederholte er. „Aber das hier war das letzte Mal, dass ich mich von dir habe benutzen lassen.“

Ihre Rückenmuskeln wurden stahlhart. „Was?“

„Wenn du mich willst, Jane, dann musst du mich ganz nehmen. Auch all das, was dein Leben komplizierter macht. Auch das, was dir Angst macht.“

Chases Beine waren gerade zwar alles andere als zuverlässig, aber ihm blieb trotzdem nichts anderes übrig, als seinen Worten Taten folgen zu lassen und aufzustehen.

Als er diesmal aus dem Badezimmer kam, lief Jane nicht panisch auf und ab, sondern saß, den Kopf in die Hände gestützt, auf dem Sofa.

Er warf ihr einen langen Blick zu, doch sie sah nicht auf. Chase streifte Hemd und Schuhe über. „Wir reden später, okay?“

Jane reagierte nicht, also gab Chase ihr einen Kuss auf den Scheitel und verließ ihre Wohnung, ohne sich zu verabschieden.