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„Die Mannschaft weiß Bescheid?“ Fragend
blickte Schmitz zum Eins-O der 'World'.
Der nickte. „Wenn wir da sind, wird jemand
mit dem Generalschlüssel auf uns warten.“
„Wenn er überhaupt noch da ist –
verdammt!“
Schmitz, der Eins-O und da Silva saßen in
der Kabine der Wildcat, während Eriksson den Hubschrauber mit hohem
Tempo Richtung Foynes steuerte. Anna war bei der Trauergemeinde
geblieben, um das Team zu vertreten.
„Welche der drei Waffen ist Deine?“ Da Silva
hielt Schmitz die Dienstpistolen, die sie wegen der Trauerfeier im
Hubschrauber gelassen hatten, unter die Nase. „Ich hab' meine
schon.“
Schmitz schnappte sich seine Dienstwaffe und
blickte dann verblüfft zu da Silva, der sich auszuziehen begann.
„Was soll DAS denn?“
„Maskenball.“ Da Silva grinste. „Erik und
ich haben hier im Heli noch jeweils eine Kombination Kampfanzug als
Reserve. Für den Fall der Fälle.“ Das Grinsen wurde stärker. „Wär'
doch schade um die Paradeuniform, wenn Staub da drauf käme. Oder
Blutspritzer.“
Der Eins-O bekam große Augen. „Wir gehen
doch hier nicht in eine Schlacht!? Und wenn wir Pech haben, ist er
gar nicht mehr an Bord, und wir kommen zu spät!“
„Das kann man nie wissen“, entgegnete da
Silva und sah dem Eins-O direkt ins Gesicht. „Oder kennen Sie den
Kerl so gut, um seine Reaktion vorherzusagen?“
Der Eins-O zögerte. „Nein“, gestand er dann.
„Ich habe Dr. Renner nur ein einziges Mal gesehen. Nämlich, als er
in Montevideo zustieg. Seitdem nicht mehr. Weder auf Deck noch in
den Gemeinschaftsräumen.“
„Und bei der Trauerfeier war er auch nicht,
unser Doktor Unsichtbar“, meinte da Silva. „Man könn- … Hey!“ Er
taumelte und mußte sich festhalten. „Kannst Du die Hütte nicht mal
ruhighalten?“, rief er protestierend Richtung Cockpit.
„Klappe!“, erwiderte Eriksson launig. „Hier
ist es halt windig, und ich muß punktgenau landen, weil der
Landeplatz auf der 'World' für erwachsene Hubschrauber ziemlich
klein geraten ist.“
Als sie ausstiegen, deutete der Eins-O schon
Richtung Brücke. „Hier entlang!“ Und zusammen eilten sie in das
Innere der 'World' und liefen zwei Decks höher, wo sie bereits ein
Steward erwartete. Schließlich standen sie vor der Tür der
Suite.
Schmitz klingelte. Nichts.
Er klingelte nochmal – länger. Wieder keine
Reaktion.
Schmitz nickte dem Steward zu.
„Aufmachen!“
Als sich die Tür öffnete, drängte sich da
Silva mit gezogener Waffe durch den Spalt. Schmitz hielt die
anderen zurück.
Nach einer Minute erschien da Silva wieder
an der Tür. „Alles sauber“, meinte er. Und zu Schmitz gewandt: „Da
hinten im Wohnzimmer. Die Arbeitsecke. Noch warm.“
Er ging voran. Und als sie das Wohnzimmer
erreicht hatten, sahen sie schon die Bescherung.
Der Tote saß schlaff und nach hinten gelehnt
mit herabhängenden Armen auf einem Stuhl vor einem
Schreibtisch.
Daß er tot war, sah Schmitz an der
unnatürlichen Haltung des Kopfes auf der linken Schulter und an dem
Loch in der rechten Schläfe. Als sie näher kamen, sahen sie rechts
von dem Toten eine Pistole auf dem Boden liegen.
„Nichts anfassen!“, befahl Schmitz. Da Silva
machte mit seinem Handy schon die ersten Fotos.
„Das müßte er sein.“ Der Eins-O war
nähergetreten und schaute Schmitz an.
Der nickte. Ulrique hatte ihm bereits Fotos
von Renner aufs Handy gemailt.
Auf der Schreibunterlage des Tisches sah
Schmitz einen Zettel, auf dem jemand mit großen, krakeligen
Buchstaben geschrieben hatte:

„Sieht nach Selbstmord aus“, meinte der
Eins-O, der über Schmitz' Schulter geblickt und den Zettel
ebenfalls gelesen hatte.
Schmitz nickte langsam und sah immer noch
auf den Zettel. Lost? Komisch. Sein Blick
wanderte dann zu der verschlossenen Karaffe aus Kristallglas auf
der Tischmitte, die mit einer goldgelben Flüssigkeit halb gefüllt
war. Daneben stand ein leeres Glas, an dem Schmitz vorsichtig roch.
Whisky. Dann schnüffelte er an dem
geöffneten Mund des Toten. Ebenso.
Der Fall schien klar. Dennoch wollte Schmitz
auf Nummer Sicher gehen. Er rief Eriksson heran. „Flieg zurück nach
Liscannor. Ich brauch' den Schiffsarzt. Obduktion. Die Kugel. Ich
will wissen, ob sie aus dieser Waffe am Boden stammt. Wenn Mrs.
Hayes mitfliegen will, nimm sie mit.“ Zu da Silva gewandt: „Franco
– Fingerabdrücke. Von ihm, der Waffe, dem Kugelschreiber, dem Glas,
der Karaffe. Danach machst Du einen Probeschuß aus der Waffe und
stellst die Kugel sicher. Ich will sie mit der Kugel im Schädel
verglichen.“
Beide nickten, und Eriksson machte sich auf
den Weg.
„Noch mehr Verzögerung“, seufzte der Eins-O
der 'World'.
„Wie meinen Sie das?“ Schmitz sah ihn
fragend an.
„Naja, wenn jetzt noch weitere
Untersuchungen fällig werden, wird sich unsere Fahrt nach Oban
weiter verzögern. Eigentlich wollten wir nach dem Begräbnis ablegen
und nach Oban fahren.“
„Aber das können Sie“, meinte Schmitz. „Die
irischen Behörden mischen sich nicht weiter ein, wenn wir den Fall
haben. Vertragliche Vereinbarungen. Und da wir sowieso hinter Ihnen
den Shannon wieder zurückfahren werden, ist das kein
Problem.“
Er machte eine kleine Pause. „Ich würde mir
jetzt gern das Studio-Apartment nebenan ansehen.“
Der Offizier brummte zustimmend, und
zusammen gingen sie eine Tür weiter, die der Offizier
öffnete.
Aufmerksam sah sich Schmitz in dem Apartment
um. Kleiderschrank, Kühlschrank, Ablagen – alles war leer.
„Sieht unbewohnt aus“, meinte der
Offizier.
„Nicht ganz.“ Schmitz deutete auf ein paar
Wassertropfen auf dem Waschbecken in der Nähe der leeren
Seifenablage. „Da hat jemand das Trockenwischen vergessen.“