Großwildjagd
The way to hunt is for as long as you live
against
as long as there is such and such an animal.
Ernest Hemingway, Green Hills of Africa
as long as there is such and such an animal.
Ernest Hemingway, Green Hills of Africa
Wenn der Preis stimmte, durften die Leute
abschießen, was sie wollten, sogar den Elefanten, aber Bernard
hielt seine Gäste lieber etwas zurück. Einerseits gab es immer eine
Riesenschweinerei, und außerdem verliehen die großen Viecher –
Elefant, Nashorn, Wasserbüffel, Giraffe – dem Laden ja letzten
Endes seine Glaubwürdigkeit, ganz zu schweigen vom Lokalkolorit.
Und dann waren sie auch ziemlich schwer aufzutreiben. Noch heute
tat es ihm leid, daß er diesem Bubi aus der Heavy-Metal-Band
erlaubt hatte, eine seiner Giraffen abzuknallen – auch wenn er für
die Aktion locker zwölftausend Dollar auf sein Konto hatte
einzahlen können. Oder dieser Idiot von MGM, der auf eine
Zebraherde losballert und dabei gleich noch zwei Strauße geköpft
und den nubischen Wildesel verstümmelt hatte. Na ja, so etwas
konnte vorkommen – und immerhin war er bei den großen Tieren hoch
genug versichert, um den halben Zoo von Los Angeles aufkaufen zu
können, wenn es sein mußte. Zum Glück hatte sich wenigstens noch
keiner in den Fuß geschossen. Oder in den Kopf. Natürlich war er
auch dagegen versichert.
Bernard Puff erhob sich von dem schweren
Mahagonitisch und kippte seinen Kaffeesatz in den Ausguß. Er war
nicht direkt nervös, aber doch etwas unruhig; sein Magen rumorte
und verkrampfte sich um den unverdaulichen Klumpen eines
Frühstückshörnchens, seine Hände zuckten und zitterten vom Kaffee.
Er zündete sich eine Zigarette an, um ruhiger zu werden, und
starrte durch das Küchenfenster auf den Pferch der Dromedare, in
dem eines dieser mottenzerfressenen arabischen Viecher systematisch
die Rinde einer Ulme abnagte. Er betrachtete es voller Staunen, als
hätte er es noch nie gesehen – die flexiblen Lippen und dieser
bescheuerte Blick, die blöde malmenden Kiefer –, und nahm sich
insgeheim vor, für die Kamele einen Sonderpreis anzubieten. Die
Zigarette schmeckte nach Blech, nach Tod. Irgendwo stieß eine
Spottdrossel ihren gellenden, wimmernden Schrei aus.
Die neuen Gäste mußten jeden Moment
eintreffen, und bei der Aussicht auf neue Gäste wurde ihm jedesmal
ganz anders – es konnten einfach zu viele Dinge schiefgehen. Die
Hälfte von ihnen konnte das eine Ende des Gewehrs nicht vom anderen
unterscheiden, sie wollten den Brunch zu Mittag und anschließend
eine Massage, und sie meckerten über alles und jedes, angefangen
bei der Hitze über die Fliegen bis zum Brüllen der Löwen in der
Nacht. Schlimmer noch, die meisten wußten offenbar nichts mit ihm
anzufangen: die Männer sahen in ihm meist eine Art guten Kumpel im
Blaumann und bedachten ihn pausenlos mit lüsternem Grinsen,
dreckigen Witzen und verkehrter Grammatik, und die Frauen
behandelten ihn wie eine Kreuzung zwischen Oberkellner und
Wasserträger. Anfänger und Greenhorns, alle miteinander.
Emporkömmlinge. Raffkes. Die Sorte Leute, die Klasse nicht einmal
erkannten, wenn sie sie in die Nase biß.
Bernard drückte die Zigarette grimmig in
der Kaffeetasse aus, wirbelte auf den Fußballen herum und stürmte
durch die Schwingtür hinaus in den hohen dunklen Korridor, der in
die Eingangshalle führte. Schon jetzt war es drückend heiß, die
Deckenventilatoren rührten vergeblich in der toten Luft rund um
seine Ohren, und auf seinen frischrasierten Backenknochen juckte
der Schweiß. Er trampelte den Korridor entlang, ein wuchtiger Mann
in Wüstenstiefeln und Khakishorts mit zuviel Bauch und einem etwas
übereifrigen, tölpelhaften Gang. In der Halle war niemand, auch die
Rezeption war unbesetzt. (Espinoza fütterte gerade die Tiere –
Bernard konnte von weitem das Kreischen der Hyänen hören –, und das
neue Mädchen – wie hieß sie gleich? – war bisher noch nie pünktlich
zur Arbeit erschienen. Kein einziges Mal.) Das Haus wirkte
menschenleer, obwohl er wußte, daß Orbalina oben die Betten machte
und Roland sich irgendwo heimlich einen hinter die Binde goß – aber
vermutlich draußen hinter den Löwenkäfigen.
Eine Weile blieb Bernard reglos in der
Halle stehen, vor dem martialischen Hintergrund von Kudu- und
Oryxantilopenschädeln, und las zum zehntenmal an diesem Morgen die
Karte mit der Reservierung:
Mike und Nicole Bender
Bender-Immobilien
15125 Ventura Blvd.
Encino, California
Bender-Immobilien
15125 Ventura Blvd.
Encino, California
Maklertypen. Du liebe Güte. Ihm waren die
Leute vom Film allemal lieber – oder sogar die Rock-’n’-Roll-Freaks
mit ihren Nietenarmbändern und den tuntigen Frisuren. Die waren
zumindest bereit, sich auf die Illusion einzulassen, »Puffs
Afrika-Großwildranch«, die auf einem tausend Hektar großen
Grundstück gleich vor den Toren von Bakersfield lag, sei der wahre
Jakob – die Etoscha-Pfanne, der Ngorongoro-Krater, die Serengeti –,
aber diese Maklertypen sahen jeden Sprung im Verputz. Immer wollten
sie nur wissen, wieviel er für das Grundstück gezahlt hatte und ob
es auch parzelliert werden durfte.
Er blickte zu den grinsenden gelben Zähnen
der Rappenantilope hinauf, die an der Wand hinter ihm hing – jener
Antilope, die sein Vater in Britisch-Ostafrika erlegt hatte, damals
in den Dreißigern –, und stieß einen Seufzer aus. Geschäft war
Geschäft, und letzten Endes war es ja auch schnurzegal, wer seine
Löwen und Gazellen durchlöcherte – solange sie dafür zahlten. Und
das taten sie immer, den vollen Betrag, und zwar in bar. Dafür
sorgte Bernard.
»Vor sechs Monaten waren wir doch bei
Gino Parducci essen, Nik, oder? Sechs Monate ist das her, oder? Und
hab ich damals nicht gesagt, wir würden diese Afrikageschichte in
sechs Monaten durchziehen? Stimmt’s?«
Nicole Bender saß entspannt auf dem
Beifahrersitz des weißen Jaguar XJS, den ihr Mann ihr zum
Valentinstag geschenkt hatte. Auf ihrem Schoß verstreut lag ein
Stapel Handarbeitszeitschriften, darauf zwei Bambusstricknadeln, an
denen das Embryonalstadium eines Kleidungsstücks hing, so blaß, daß
sich die Farbe kaum definieren ließ. Sie war siebenundzwanzig,
blond und früher Schauspielerin/Dichterin/ Fotomodell/Sängerin
gewesen; ihr Trainer hatte ihr vor zwei Tagen erst gesagt, sie habe
von allen Frauen, mit denen er jemals gearbeitet habe, wohl die
vollkommenste Figur. Natürlich wurde er dafür bezahlt, solche Dinge
zu sagen, doch tief im Herzen ahnte sie, daß es die Wahrheit war,
und sie mußte es immer wieder hören. Sie wandte sich an ihren Mann.
»Ja«, sagte sie, »allerdings. Aber ich hab dabei eher an Kenia oder
Tansania gedacht, um ehrlich zu sein.«
»Ja, ja«, gab er ungeduldig zurück »ja,
ja, ja.« Er stieß die Worte hervor wie Kugeln aus einem der
brandneuen schimmernden großkalibrigen Jagdgewehre, die im
Kofferraum lagen. »Aber du weißt genau, ich kann mir keine sechs
Wochen Urlaub nehmen, nicht jetzt, wo wir gerade das neue Büro in
Beverly Hills aufmachen und das Montemoretto-Geschäft so gut wie in
der Tasche haben... Außerdem, da drüben ist es ziemlich gefährlich,
alle sechs Minuten bricht dort eine Revolution oder ein Bürgerkrieg
oder sonstwas aus, und was glaubst du, wem geben sie die Schuld,
wenn alles drunter und drüber geht? Den Weißen, logisch. Und jetzt
sag mal: wo wärst du dann am liebsten?«
Mike Bender war ein nur mühsam gezügeltes
Energiebündel, eine Dampfwalze von Mann, der es innerhalb von nur
zwölf kurzen Jahren vom Empfangssekretär zum König und Despoten
seines eigenen Maklerimperiums gebracht hatte. Er hörte sich gerne
reden, die kostbaren Wörter kullerten ihm von den Lippen wie Münzen
aus einem Spielautomaten, beim Sprechen berührte er mit den
Fingerspitzen flüchtig die Zunge, die Haare, die Ohren, die
Ellenbogen und den Schritt seiner Hose, wand sich geradezu in der
rastlosen Dynamik, die ihn reich gemacht hatte. »Und dann gibt’s da
Tsetsefliegen, schwarze Mambas, Beriberi, Beulenpest und weiß Gott
was sonst noch alles – ich meine, stell dir Mexiko vor, nur
hundertmal schlimmer. Nein, wirklich, glaub mir – Gino hat mir
geschworen, daß diese Ranch fast hundertprozentig an die Realität
rankommt, nur eben ohne den Streß.« Er schob die Sonnenbrille vor
und sah sie über den Rand hinweg prüfend an. »Willst du etwa sagen,
du würdest dir lieber den Arsch abfressen lassen, in irgendeinem
windschiefen Zelt in, in« – ihm fiel einfach kein hinreichend
ungemütlicher Ort ein, deshalb improvisierte er – »in
Sambesiland?«
Nicole zuckte die Achseln und schenkte ihm
eine Andeutung des Schmollmundlächelns, das sie für die Fotografen
aufgesetzt hatte, als sie mit neunzehn in der Sommergarderobe für
den J.-C.-Penney-Katalog posierte.
»Du kriegst deinen Zebrafellvorleger schon
noch, wart’s nur ab«, beruhigte Mike sie, »und dazu noch ein paar
Köpfe von Löwen oder Gazellen, oder was sich eben an der Wand im
Arbeitszimmer gut machen würde, okay?«
Der Jaguar schoß durch die Wüste wie ein
Lichtstrahl. Nicole nahm ihr Strickzeug vom Schoß, überlegte es
sich anders und legte es wieder zurück. »Okay«, flüsterte sie
heiser, »aber ich hoffe bloß, diese Ranch ist nicht allzu, du weißt
schon, spießig.«
Ein rauhes Lachen erklang vom Rücksitz, wo
Mike Benders zwölfjährige Tochter Jasmine Honeysuckle Rose Bender
es sich mit den letzten zehn Ausgaben von Bop und einem
Sechserpack Selters bequem gemacht hatte. »Jetzt macht mal
halblang! Ich meine, Löwen abknallen in Bakersfield? Das ist ja
wohl das Allerspießigste. Spießig, spießig, spießig!«
Mike Bender saß hinter dem Lenkrad, den
Hintern in das geschmeidige Ziegenleder des Sitzes geschmiegt, vor
seinem inneren Auge Visionen von springenden Buntböckchen, und war
leicht verärgert. Löwen und Elefanten und Nashörner hatte er schon
seit seiner Kindheit jagen wollen, seitdem er zum erstenmal Henry
Rider Haggards Allan Quatermain, der weiße Jäger und die
klassische Comic-Version von König Salomos Schatzkammer
gelesen hatte. Und dies war nun seine Chance. Gut, es war
vielleicht nicht Afrika, aber wer hatte schon Zeit für Safaris?
Drei freie Tage am Stück waren für ihn schon ein Glücksfall. Und da
drüben durfte man ja sowieso nichts abschießen. Jedenfalls nicht
mehr. Das waren jetzt alles Schutzgebiete, Wildparks und Reservate.
Es gab dort keine weißen Jäger mehr. Nur noch Fotografen.
Eigentlich wollte er ihr in seinem
schärfsten Tonfall antworten: »Jetzt hör schon auf!«, mit der
Stimme, die sein Verkäuferteam in Deckung gehen und seine
Konkurrenten erstarren ließ, aber er bewahrte Ruhe. Nichts sollte
ihm dieses Abenteuer kaputtmachen. Gar nichts.
Es war nach Mittag. Die Sonne hing
über ihnen wie ein Ei im Glas. Das Thermometer im Schuppen stand
auf über fünfundvierzig Grad, draußen regte sich nichts außer den
Geiern, die hoch oben in der ausgebleichten Leere des Himmels
kreisten, und die ganze Welt schien ein Schläfchen zu halten. Bis
auf Bernard Puff. Bernard war außer sich – die Benders hatten sich
für zehn Uhr morgens angesagt, jetzt war es Viertel nach zwei, und
sie waren immer noch nicht da. Er hatte Espinoza die
Thomson-Gazellen und die Elenantilopen um neun aus dem Pferch
treiben lassen, aber weil er fürchtete, sie würden sich in der
Hitze zu tief im Unterholz verstecken, hatte er ihn mittags
losgeschickt, um sie wieder zurückzuholen. Die Giraffen waren
nirgends zu sehen, und der Elefant war an der Eiche angeleint, die
Bernard so gestutzt hatte, daß sie an eine Schirmakazie erinnerte,
und sah so zerzaust und verstaubt aus wie ein Haufen taiwanesischer
Reisetaschen, die jemand auf dem Flughafen vergessen hatte.
Bernard stand in der Hitze auf dem
ausgetrockneten Vorplatz und blinzelte zu der Wand aus
Elefantengras und Euphorbien hinüber, die er gepflanzt hatte, um
den Ölförderkran zu verdecken (nur wenn man wußte, daß er da war,
ahnte man die Bewegung des großen Stahlauslegers, der sich hob und
senkte und wieder hob und senkte). Er war verzweifelt. Sosehr er
sich auch angestrengt hatte, das Gelände sah immer noch aus wie ein
Zirkuslager, die Überreste eines ausgebombten Zoos, eine platte,
staubige, ausgeglühte ehemalige Mandelplantage in der sengend
heißen Südostecke des San Joaquin Valley – und genau das war es ja.
Was würden die Benders davon halten? Und, wichtiger noch: was
würden sie von sechshundert Dollar pro Tag halten, zahlbar im
voraus, zuzüglich Gebühren von einem Tausender pro abgeschossene
Gazelle, über zwölftausend für einen Löwen und »Preis nach
Vereinbarung« für den Elefanten? Immobilienmakler hatten sich schon
öfter dagegen gesträubt, und das Geschäft boomte in letzter Zeit
keineswegs.
Am Himmel zogen die Geier ihre Kreise. Ihm
lief der Schweiß herunter. Die Sonne kam ihm vor wie eine feste
Hand, die ihn in die kühle Küche lenkte, zu einem großen Glas
Chininwasser (das er eher aus Effekthascherei als wegen des
therapeutischen Wertes trank: innerhalb von tausend Kilometern gab
es keine einzige Malariamücke). Er wollte es gerade aufgeben, da
erspähte er das ferne Aufblitzen einer Glasscheibe und sah den
Wagen der Benders auf der Einfahrt Staubwolken aufwirbeln.
»Roland!« brüllte er, und auf einmal war
jedes sterbliche Gramm an ihm in Bewegung. »Scheuch die Affen raus
in die Bäume! Und die Papageien!« Plötzlich joggte er über den
staubigen Platz und den Fußweg entlang, an dessen Ende die
Elefantenkuh lag, unter dem Baum zusammengesackt. Bernard nestelte
an dem Ledergurt, um sie loszubinden, und fragte sich, ob Roland
wohl so schlau sein würde, der Geräuscheffekte wegen die Löwen und
Hyänen ein wenig aufzuscheuchen, als sie ganz unerwartet mit einem
gewaltigen Prusten auf die Beine kam und leise trompetete.
Na bitte. Das war doch was – wenigstens
mußte er sie jetzt nicht mit dem Elfenbeinstock anstacheln.
Bernard betrachtete das Tier erstaunt –
hatte also doch noch ein bißchen Showtalent in sich, das betagte
Mädchen. Entweder das, oder es war der Altersschwachsinn. Alt war
sie – Bernard wußte nicht genau, wie alt, aber immerhin war diese
Veteranin achtunddreißig Jahre lang mit den Ringling Brothers und
dem Barnum & Bailey Circus herumgezogen und unter dem Namen
»Bessie Bee« aufgetreten, aber gehört hatte sie immer nur auf
»Shamba« – jedenfalls wenn man den Stock benutzte. Bernard sah kurz
zur Einfahrt, wo jetzt ein weißer Jaguar aus den gewaltigen
Staubschwaden auftauchte, dann hörte er die Affen kreischend aus
ihren Käfigen stieben und auf die Bäume klettern. Er sammelte sich,
rang sich ein Grinsen ab, rote Backen und viel Gebiß, zog den
Leopardenfellgürtel fester, schob sich den Tropenhelm in den Nacken
und marschierte los, um seine Gäste zu begrüßen.
Als die Benders dann vor der Veranda zum
Stehen kamen, saßen die Papageien in den Bäumen, der Marabu hackte
auf einen Haufen Gedärme ein, und die Löwen brüllten
markerschütternd in ihren nicht einsehbaren Ställen hinter dem
Haus. Roland, in Massaitoga und mit Löwenzahnkette, sprang behende
die Treppe hinunter, um Bender die Autotür zu öffnen, während
Bessie Bee ganz in der Nähe herumtappte, mit den Ohren schlenkerte
und Staub in die Luft prustete. »Mr. Bender«, rief Bernard und
streckte einem etwa Vierzigjährigen im Polohemd und mit
Sonnenbrille die Hand entgegen, »willkommen in Afrika.«
Bender hüpfte aus dem Wagen wie ein Kind
im Zoo. Er war groß, schlank, braungebrannt – warum mußten sie nur
immer alle wie Profi-Tennisspieler aussehen? fragte sich Bernard –
und blieb kurz in der Hitze stehen. Er schüttelte Bernard
geschäftsmäßig die Hand und setzte dann, in den Mundwinkeln
zuckend, an den Ohren zupfend und mit den Füßen scharrend, zu einer
Entschuldigung an: »Tut mir leid, daß wir so spät dran sind,
Bernard, aber meine Frau – darf ich Ihnen meine Frau vorstellen? –,
die wollte noch ein paar Filme haben, und am Ende haben wir bei
Reynoso, diesem Fotoshop in Bakersfield – kennen Sie den? –, den
halben Laden leergekauft. Günstige Preise, wirklich günstig. Was
soll’s, wir haben ja sowieso ’ne neue Videokamera gebraucht, schon
für« – er machte eine Geste, die das Haus, die Nebengebäude, den
Elefanten, die Affen auf den Bäumen und die Ebene in der sengenden
Sonne ringsherum umfaßte – »all das hier.«
Bernard nickte, lächelte, murmelte
zustimmend, aber er hatte auf Autopilot geschaltet – seine
Aufmerksamkeit galt voll der Ehefrau, der Roland jetzt auf der
anderen Seite des Wagens eilfertig die Tür aufhielt. Sie hob die
reizenden blassen Arme, um sich das Haar zu zerwuscheln und die
Augen hinter einer Sonnenbrille zu verstecken, und Bernard hieß sie
mit seinem besten britisch-kolonialen Akzent willkommen (auch wenn
er allenfalls englische Vorfahren hatte und nie im Leben weiter
östlich als Reno gewesen war). Zweite Ehe, keine Frage, dachte er,
während sie seinen Gruß mit einem kaum merklichen Lächeln ihres
Schmollmundes erwiderte.
»Ja, ja, sicher doch«, sagte Bernard als
Antwort auf eine weitere Idiotie aus dem Mund des Ehemanns, und
seine wasserblauen Augen erfaßten nun die Tochter – schwarzes Haar
wie eine Indianerin und fast so dunkelhäutig –, und er wußte
sofort, daß sie Ärger bedeutete: sie war die Sorte Kind, die ihre
Häßlichkeit wie eine Waffe pflegte.
Nicole Bender musterte ihn lange und
ausgiebig über die Motorhaube hinweg, und im nächsten Moment stand
er neben ihr und drückte ihr die Hand, als probierte er einen
Handschuh an. »Heiß heute, Teufel auch«, sagte er, stolz auf seine
britische Ausdrucksweise, dann geleitete er sie die breiten
Steinstufen hinauf ins Haus, während ihr Mann mit einem ganzen
Stapel Gewehre herumhantierte. Die Tochter schlurfte hinterdrein
und beschwerte sich bereits über irgend etwas mit einer hohen
nörgelnden Quengelstimme.
»Das hab ich nicht gesagt, Mike – du
hörst mir eben nie zu. Ich finde die Gazellen ja wirklich
sehr hübsch, und ins Büro passen sie bestimmt perfekt, aber ich
dachte an etwas... na ja, Größeres für die Eingangshalle,
und dann noch mindestens drei von diesen Zebras – zwei für dein
Zimmer, würde ich sagen, und eins werden wir noch für die Skihütte
brauchen... um diese häßliche Holzverkleidung hinter der Bar zu
verdecken.«
Mike Bender war längst bei seinem vierten
Gin Tonic. Schon verflog allmählich das Hochgefühl, das er bei
seinem ersten Abschuß verspürt hatte, und wich nagender Frustration
und Wut – wieso konnte Nikki nicht endlich den Mund halten,
wenigstens eine Sekunde lang? Kaum hatten sie sich umgezogen und
waren in die Savanne oder Steppe rausgefahren, oder wie das nun
hieß, da hatte sie damit angefangen. Mit einem sauberen Schuß hatte
er eine Thomson-Gazelle aus zweihundert Meter Entfernung
umgenietet, und noch bevor das Vieh am Boden lag, machte sie es
madig. Huch, sagte sie, als hätte sie jemand auf der
Toilette überrascht, aber die ist ja ganz klein. Und dann
warf sie sich in Pose für Bernard Puff und den farbigen Kerl, der
die Gewehre schleppte und die Kadaver häutete. Fast wie ein
Karnickel mit Hörnern.
Und jetzt beugte sich der große weiße
Jäger über den Tisch, um sie zu besänftigen; sein Khakisafarihemd
spannte über dem Bauch, und sein Akzent klang so unecht, als hätte
er ihn aus einer Monty-Python-Nummer. »Mrs. Bender, Nicole«, begann
er und wischte sich sein Gesicht, diese ekelhafte Blutblase, mit
einem großen karierten Taschentuch ab, »die Zebras holen wir uns
morgen früh, wenn es noch kühl ist, und wenn Sie drei wollen,
werden es drei sein, kein Problem. Oder vier, wenn Sie möchten.
Fünf. Wer die Munition mitbringt, für den haben wir auch das
Wild.«
Mike sah zu, wie der Kurzhaarschädel zu
ihm herumfuhr. »Und, Mike«, fügte Puff hinzu, jovial wie ein
Fremdenführer, aber mit genau der richtigen Andeutung von Dramatik
in der Stimme, »am Abend ist es dann Zeit für die großen Viecher,
die Männer aus uns machen, für den alten Simba
höchstpersönlich.«
Wie zur Antwort ertönte irgendwo hinter
den dunklen Fenstern ein Fauchen und ein Brüllen, und Mike Bender
spürte die Wildheit, die in der dünnen Nachtluft zu ihnen
herüberwehte – Löwen, die Löwen, von denen er geträumt hatte, seit
er als Kind mit seiner Tante im Zoo des Central Park gewesen war
und das Gebrüll der großen, zottligen Tiere mit den gelben Augen
ihn bis in seine urtümlichsten Wurzeln aufgerüttelt hatte. In der
Wildnis zu sein, in dieser afrikanischen Nacht, in der es von
Raubtieren nur so wimmelte, großköpfig und dickhäutig, der Sprung,
das Zupacken, das Reißen von Sehnen und das Brechen von Knochen –
es war furchterregend und wunderschön zugleich. Aber warum roch es
so nach Öl?
»Was meinen Sie, altes Haus? Sind Sie
dabei?« Puff grinste jetzt, und hinter seiner massigen,
löwenartigen Gestalt sah Mike, aufgereiht wie Stammesmasken, die
Gesichter seiner Frau und seiner Tochter.
Nichts brachte Mike Bender, den König von
Encino, aus der Fassung. Kein Verkäufer konnte ihm standhalten,
kein Käufer konnte ihn herunterhandeln. Seine Verträge waren wie
Schraubstöcke, seine Kampagnen wie Dampfhämmer, seine Anlagen so
solide wie ein Berg aus Eisenerz. »Ich bin dabei«, sagte er,
berührte die Lippen, wühlte mit den Fingern im Haar, schlug sich in
einem metabolischen Exzeß auf Ellenbogen und Unterarme. »Ölen Sie
mir nur schön meine H&H Magnum, und zeigen Sie mir, wohin ich
zielen soll; das habe ich mir mein Leben lang gewünscht...«
Es herrschte Schweigen, und seine Worte
hingen in der Luft, als würde er selbst nicht daran glauben. Die
Tochter wand sich über ihrem Teller und sah aus, als hätte sie
etwas Verfaultes im Mund; seine Frau hatte diesen wachen
Gehen-wir-einkaufen-Blick in den glitzernden Äuglein. »Wirklich.
Ich meine, seit meiner Kindheit – wie viele haben Sie übrigens da
draußen? Zählen Sie Ihre Löwen überhaupt?«
Bernard Puff kratzte sich die ergrauten
Haarstoppeln. Wieder ertönte das Gebrüll, diesmal gedämpft und
dicht gefolgt vom Kreischen einer Hyäne, das klang, als hätte ihr
jemand ein Messer in den Bauch gerammt. »Nun ja, wir haben da eine
ganz ordentliche Großfamilie – zwölf oder vierzehn, würde ich
sagen, und dazu noch ein paar junge Einzelgänger.«
»Auch richtig große, mit Mähnen? Auf so
was sind wir nämlich aus.« Er richtete den Blick auf Nicole.
»Vielleicht so ein ganzes Vieh, ausgestopft, wie es sich gerade auf
den Hinterbeinen aufbäumt, was meinst du, Nik? Zum Beispiel für den
Empfangsraum im Büro in Beverly Hills?« Dann machte er einen Witz
daraus: »Na ja, wenn Prudential-Immobilien so was
abziehen...«
Nicole wirkte zufrieden. Puff auch. Aber
seine Tochter wollte ihn nicht so leicht davonkommen lassen. Sie
schnaubte verächtlich, so daß die drei anderen sich ihr zuwandten.
»Aha, ihr wollt also einen armen Löwen umbringen, der niemandem
etwas zuleide tut – und was wollt ihr damit beweisen?«
Puff wechselte einen Blick mit Bender, wie
um zu sagen: Ist sie nicht bezaubernd?
Jasmine Honeysuckle Rose schob ihren
Salatteller weg. Das Haar hing ihr in fettigen schwarzen Locken in
die Augen. Sie hatte ihr Essen nicht angerührt, nur getrennt: die
Tomaten vom Kopfsalat, den Kopfsalat von den Croutons und die
Croutons von den Kichererbsen. »Sting«, stieß sie hervor, »Brigitte
Bardot, die New Kids – die sagen alle, das ist wie ein
Konzentrationslager für Tiere, wie Hitler, und zur Rettung der
Tiere machen sie so ein Benefizkonzert in Frankreich, in
Paris...«
»Aber ein Löwe mehr oder weniger tut doch
niemandem weh«, unterbrach Nicole das Mädchen und kniff die üppigen
kollagenverstärkten Lippen zusammen. »Ich finde die Idee deines
Vaters echt super. Ein aufrechter Löwe, gleich beim Eingang, wo die
Leute reinkommen – das ist doch, symbolisch ist das, genau das ist
es.«
Mike Bender wußte nicht genau, ob sie sich
lustig über ihn machte. »Hör mal, Jasmine«, fing er an, und unter
dem Tisch begann er mit dem Fuß zu wippen, während er sich am Ohr
zupfte und mit dem Besteck herumfummelte.
»Jasmine Honeysuckle Rose«, fauchte
sie.
Mike wußte, daß sie ihren Namen haßte; er
war ein Einfall ihrer Mutter gewesen – seiner schwachsinnigen
Exfrau, die im Sonnenuntergang immer Gespenster gesehen und ihn für
die Reinkarnation von John D. Rockefeller gehalten hatte. Um ihm
etwas entgegenzuknallen, um ihn an sein Leben und an alle Fehler zu
erinnern, die er je gemacht oder nur beabsichtigt hatte, bestand
seine Tochter auf ihrem vollen Namen. Immer.
»Okay: Jasmine Honeysuckle Rose«, sagte
er, »jetzt hör mir gut zu: Dieser ganze Hippieschnippie-Scheiß mit
Rettet-die-Umwelt mag ja ganz nett sein, wenn man zwölf ist, aber
dir muß doch mal klarwerden, daß Jagen etwas ganz Natürliches für
den Menschen ist, so wie, wie...«
»Essen und Trinken«, half Puff nach und
sprach die Verben sehr gestelzt aus, um sie britischer klingen zu
lassen.
»Klar!« schrie Jasmine. Sie war
jetzt auf den Beinen, ihre Augen waren wie Senkgruben, ihre
Mundwinkel zuckten. »Genau wie Scheißen, Furzen und, und
Ficken!« Und dann war sie weg, stampfte durch den
trophäenbehängten Korridor in ihr Zimmer, dessen Tür sie mit
donnerndem Krachen zuschlug.
Ein Augenblick der Stille legte sich über
den Tisch. Puffs Blick blieb an Nicole haften, als diese die Arme
hob, um sich zu räkeln, und dabei ihre Brüste und die pedantisch
weißen Flächen glattrasierter Haut in den Achseln zur Schau
stellte. »Süß, die Kleine, was?« bemerkte er. Diesmal war der
Sarkasmus unüberhörbar.
»Echt süß«, sagte Nicole, und damit waren
sie im Bunde.
Puff wandte sich zu Mike, während der
farbige Bursche mit einem Servierteller voll Gazellensteaks und auf
Mesquitegras gerösteten Maiskolben zur Tür hereinkam, und ließ
seine Stimme warm und vertraulich klingen: »Also morgen früh erst
mal die Zebras, Mike«, sagte er, »das wird Ihnen gefallen.« Er sah
ihn aus seinen wäßrigen Augen direkt an. »Und dann« – die
Gazellensteaks landeten auf dem Tisch, kleine Klumpen
bluttriefendes Fleisch –, »und dann nehmen wir uns die Löwen
vor.«
Nicht daß er tatsächlich davonrannte –
da hatte Bernard schon Schlimmeres gesehen, viel Schlimmeres –,
aber er war doch nahe dran. Entweder das, oder er stand kurz vor
einer Ohnmacht. So oder so war es eine ziemlich haarige Situation,
ein Aufeinandertreffen, bei dem Bernard sich wünschte, er hätte nie
im Leben von Afrika, Löwen und Wildparks oder Grundstücksmaklern
gehört.
Sie hatten den Löwen im alten
Mandelbaumhain aufgestöbert. Die Bäume dort sahen aus wie verdrehte
Geweihe, tot und ohne Laub, in Reihen stehend, so weit das Auge
reichte, und der Boden war mit abgefallenen Ästen übersät. »Nicht
zu nah ran«, hatte Bernard gewarnt, aber Bender wollte nicht
danebenschießen und geriet in Schwulitäten. Ehe er sich’s versah,
stand er knietief in dem Verhau aus Ästen, zappelnd und zuckend wie
ein Spastiker, das Gewehr im Anschlag, aber ohne jede
Rückzugsmöglichkeit, und der Löwe ging auf ihn los – mit so
unverfälschter Bosheit, wie es Bernard in seinen vierzehn Jahren
als Eigentümer von »Puffs Afrika-Großwildranch« noch nicht erlebt
hatte. Und während Bernard noch überlegte, ob er eingreifen sollte
– so etwas machte danach immer böses Blut –, war Mrs. Bender nur
einen Herzschlag davon entfernt, zur trauernden Witwe zu werden,
und die Versicherungsprämien für die Ranch wären ins Unendliche
explodiert, ganz abgesehen von den Schadenersatzklagen. Es war ein
schicksalhafter Moment, kein Zweifel.
Am Abend vorher, nachdem die Benders zu
Bett gegangen waren, hatte Bernard Espinoza losgeschickt, um die
Löwen ein wenig aufzustacheln und sie freizulassen – ohne ihr
Abendessen. Das brachte sie immer in Rage, ganz egal, wie alt,
zahnlos und verkalkt sie sein mochten. Eine Nacht ohne
Pferdefleisch, und sie wurden wild wie sonstwas. Für Bernard war
das reine Routine. Die Gäste sollen was kriegen für ihr Geld, war
sein Motto. Falls sie ahnten, daß die Löwen neunundneunzig Prozent
der Zeit im Käfig hockten, ließen sie sich jedenfalls nichts
anmerken – ihres Wissens lebte das Wild draußen im Freien, zwischen
den dürregeplagten Mandelbäumen und den getarnten Ölpumpen. Und
außerdem konnten sie ja nirgendwohin – das gesamte Gelände war von
einem sechs Meter tiefen Graben umschlossen, hinter dem sich ein
vier Meter hoher Elektrozaun erhob. Also kehrten diejenigen, die
seine Gäste nicht durchlöcherten, nach ein oder zwei Tagen in ihre
Käfige zurück und brüllten sich die leeren Bäuche nach
Pferdefleisch und Innereien aus dem Leib.
Am Morgen, nach einem Frühstück aus
geräucherten Heringen und Ei – die Tochter schlief noch fest –, war
Bernard mit seinen Gästen auf Zebrajagd gegangen. Sie waren zum
Wasserloch rausgefahren – ein ehemaliger Swimmingpool mit
Olympiaabmessungen, den Bernard bepflanzt hatte, damit er schön
natürlich aussah –, und nach einigen Debatten über den Preis hatte
sich Bender – beziehungsweise seine Frau – für fünf Stück
entschieden. Das war schon eine, diese Nicole Bender. Gutaussehende
Frau, wie Bernard noch selten eine gesehen hatte – und ein besserer
Schütze als ihr Mann. Sie erwischte zwei Zebras aus hundertvierzig
Meter Entfernung und ließ dabei die Felle fast unversehrt. »Na, Sie
können vielleicht schießen, Lady«, sagte Bernard, während sie auf
das erste der erlegten Zebras zuschlenderten.
Das Zebra lag unter der stechenden Sonne
auf der Seite, und schon sammelten sich die ersten Fliegen. Bender
kauerte nicht weit von ihnen über einem anderen Kadaver und
untersuchte ihn nach Einschußlöchern, Roland schärfte im Jeep das
Messer zum Abhäuten. In den Hügeln stieß einer der hungrigen Löwen
ein grimmiges Gebrüll aus.
Nicole lächelte ihn an. Sie war hübsch –
verdammt hübsch – in ihrer Shorts von Banana Republic und der
Safaribluse. »Ich tu mein Bestes«, sagte sie und knöpfte sich dabei
die Bluse auf, um ihm das Schmuckstück an ihrem pfirsichfarbenen
Bustier zu zeigen: eine goldene Brosche in Form eines Gewehrs. Er
mußte sich dicht heranbeugen, um die Gravur zu lesen: Nicole
Bender, Scharfschützenpreis der National Rifle Association
1989.
Danach gab es das Mittagessen,
anschließend machten sie eine Siesta, gefolgt von Gin Tonics und
ein paar Runden Canasta, um die Nachmittagsstunden totzuschlagen.
Bernard tat, was er konnte, um die Lady bei Laune zu halten, und
das nicht nur aus Geschäftsinteresse: da war etwas – etwas, das
heiß und heftig unter ihrer Maske aus Rouge und Eyeliner und den
üppigen Kollagenlippen pulsierte, und dieser Kraft konnte er sich
einfach nicht entziehen. Es war hart gewesen, seit Stella Rae ihn
verlassen hatte, und er nahm alles mit, was sich so bot – so etwas
konnte in dem Job eben auch vorkommen.
Auf jeden Fall nahmen sie den Jeep
Wrangler, packten eine Kühlbox mit Bier, Benders
9,5-Millimeter-Gewehr von Holland&Holland und die
11,65-Millimeter-Winchester Magnum der Lady ein, dazu Bernards
eigenen Bärentöter – die Fünfzehneinviertel-Nitro –, und fuhren
hinaus, wo die knorrigen dunklen Äste des toten Obstgartens am Ende
der Ranch die Hügel bedeckten. Dorthin zogen sich die Löwen immer
zurück, wenn man sie freiließ. Es gab da einen kleinen Flußlauf –
zeitweise ein reißender Wildbach, momentan kaum mehr als ein
Rinnsal. Aber sie konnten dort trinken, sich im Gras wälzen und
unter den nackten Ästen der Bäume ein paar Schattenstreifen
finden.
Von Anfang an, schon als sie noch bei Gin
Tonics auf das Nachlassen der Hitze gewartet hatten, war Bender
merklich nervös gewesen. Der Mann konnte nicht stillsitzen,
plapperte die ganze Zeit von notariellen Vereinbarungen,
Besitztiteln und solchen Sachen, dabei zupfte er sich ständig an
den Lippen, den Ohren und der Zunge, wie beim Baseball der Trainer
am dritten Mal, der Zeichen von der Bank bekommt. Es waren die
Nerven, keine Frage: Bernard hatte schon genug Freizeitcowboys hier
herausgebracht, und er merkte sofort, wenn ein Typ im Geiste seine
Männlichkeit an diesem großen gelbbraunen Vieh maß, das durch seine
Phantasie pirschte. Der eine damals – Fernsehschauspieler; schwul
vermutlich auch – war derartig aufgekratzt gewesen, daß er zuviel
Gin erwischte und sich anpißte, bevor sie auch nur den Jeep
angelassen hatten. Bernard hatte ihn seitdem hundertmal in der
Glotze gesehen, so ein hünenhafter, muskulöser Typ mit gespaltenem
Kinn und blitzenden Augen, der ständig Gangstern die Fresse
polierte und Frauen den Arm um die Hüfte schlang, aber er würde nie
vergessen, wie diesem Typ die Augen in die Höhlen gerutscht waren,
als der Pissefleck sich vom Schritt auf die Oberschenkel und noch
weiter ausgebreitet hatte. Er warf einen Blick auf Bender und
wußte: da war Ärger im Busch.
Sie hatten sich auf elfeinhalbtausend
Dollar für ein großes Männchen mit Mähne geeinigt; fünfhundert
hatte Bernard ihnen nachgelassen, für die beiden Extrazebras und
weil er ihnen ein bißchen entgegenkommen wollte. An Männchen von
nennenswerter Größe hatte er nur Claude, der seinerzeit eine
beachtliche Erscheinung gewesen sein mochte, aber inzwischen war er
das, was bei Löwen einem Neunzigjährigen entsprach, der sich in
einem Pflegeheim von Breikost ernährte. Bernard hatte ihn für einen
Pappenstiel von einem verflohten Zirkus in Guadalajara abgestaubt,
und schon damals mußte er fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein,
wenn nicht älter. Jetzt war er halb blind, stank wie ein lebender
Leichnam, und die Backenzähne in seinem linken Unterkiefer waren so
verfault, daß er beim Fressen laut aufheulte. Aber das Aussehen
stimmte, vor allem von weitem; er hatte noch etwas von dem Fleisch
auf den Knochen, das er in besseren Jahren zugelegt hatte – und die
Zahnschmerzen machten ihn launisch, ja jähzornig. Er wäre eine gute
Wahl, hatte Bernard gefunden. Eine hervorragende Wahl.
Und Bender? Der stand in einem Morast aus
toten schwarzen Ästen, stocksteif und am ganzen Leibe bibbernd, als
ob er in Eiswasser badete, und der Löwe ging auf ihn los. Der erste
Schuß prallte in etwa siebzig Meter Entfernung vom Boden ab und
zerfetzte Claudes linke Hinterpfote, und darauf ertönte ein Gebrüll
von dermaßen purer, wilder, Eingeweide zerreißender, Knochen
zermalmender Wut, daß Bender, dieser Idiot, beinahe sein Gewehr
fallen ließ. Zumindest sah es von dort so aus, wo Bernard mit der
Ehefrau und Roland stand, fünfzehn Meter weiter hinten und etwas
rechts. Claude war eine echte Überraschung. Anstatt in sich
zusammenzusinken und durchs Gebüsch davonzuschleichen, griff er an,
wirbelte die Erde auf und brüllte dabei, als stünde er in Flammen –
und Bender zuckte und zappelte und zitterte so stark, daß er nicht
mal die Längsseite eines Bierwagens getroffen hätte. Bernard spürte
das eigene Herz pochen, als er die Nitro an die Schulter hob, dann
krachte es ohrenbetäubend, und der alte Claude sah plötzlich wie
ein zusammengeknüllter Teppich aus, über den jemand einen Eimer
voll Hackfleisch geschüttet hatte.
Bender wandte sich mit bleichem Gesicht
um. »Was zum...?« stammelte er, und dabei zog er an seinen
Fingergelenken und fuchtelte mit den Händen herum. »Was glauben Sie
eigentlich, was Sie da tun?«
Das war Bernards Moment. Hoch über ihnen
zog ein Düsenflieger vorbei, Richtung Nordwesten, eine silberne
Niete am Himmel. Es herrschte absolute, unsägliche Stille. Die
Ehefrau sparte sich jeden Kommentar, die übrigen Löwen kauerten
irgendwo im Gras, und jeder Vogel auf der Ranch hielt im
ersterbenden Nachhall dieser grollenden Kanonade den Atem an.
»Ihnen verdammt noch mal das Leben retten«, knurrte Bernard,
schwitzend, angewidert und stocksauer, aber – wie immer – stolz auf
seine britische Ausdrucksweise.
Mike Bender war wütend – zu wütend, um
sein geräuchertes Sonstwas, den Toast aus der Pfanne und die
schlabbrigen Eier zu essen. Und gab’s hier keinen Kaffee, zum
Teufel? Schließlich waren sie in Bakersfield, nicht in irgendeinem
Safarizelt in Uganda. Er blaffte den Farbigen an – der hatte sich
mit allen Mitteln auf Stammeskrieger getrimmt, aber sein Akzent
klang unverwechselbar nach L.A. – und sagte ihm, er wolle sofort
Kaffee, schwarz und stark, und wenn er dafür bis nach Oildale
fahren müsse. Nicole saß ihm gegenüber und beobachtete ihn mit
spöttischer Miene. Ihre Zebras waren perfekt, aber zwei von
den dreien, die er erlegt hatte, waren total ramponiert. Aber
Mike, hatte sie gesagt, die können wir unmöglich aufhängen –
die sehen ja aus wie Salatsiebe. Und dann die Sache mit dem
Löwen. Da hatte er ziemlich alt ausgesehen, und was noch schlimmer
war: er hatte elfeinhalbtausend Dollar abgedrückt, ohne daß er
irgendwas dafür herzeigen konnte. Nicht nachdem Puff das Vieh
weggepustet hatte. Außer Fleisch und Knochen war nichts mehr übrig.
Scheiße, das Ding hatte überhaupt keinen Kopf mehr gehabt, als der
große weiße Jäger mit ihm fertig war.
»Komm schon, Mike«, sagte Nicole und
wollte ihm die Hand tätscheln, doch er zog sie wutentbrannt weg.
»Komm schon, Baby, ist doch nicht das Ende der Welt.« Er musterte
sie kurz, sah den Triumph in ihren Augen aufblitzen, und er hätte
sie am liebsten geohrfeigt, erdrosselt, wollte vom Tisch
aufspringen, eine Flinte aus dem Regal nehmen und ihr eine Ladung
reinjagen.
Er setzte gerade zu einer Antwort an, als
die Schwingtüren zur Küche aufgingen und der farbige Kerl eine
Kanne Kaffee hereinbrachte und auf den Tisch knallte. Roland, so
hieß er. Bender war erstaunt, daß sie ihn nicht Zulu oder Jambo
oder so ähnlich nannten, was besser zu den albernen Röckchen passen
würde, mit denen er wie ein Eingeborener aussehen sollte.
Verflucht, im Grunde hatte er gute Lust, aufzustehen und dem
Burschen auch eine Kugel zu verpassen. So ziemlich der einzige
positive Aspekt der Sache war, daß Jasmine Honeysuckle Rose sich
angewöhnt hatte, jeden Tag bis Mittag zu schlafen.
»Mike«, bat Nicole, aber er hörte nicht
hin. Innerlich brütend und brennend, auf Rache an jedem
Geldverleiher, Laden- und Eigenheimbesitzer zwischen dem San
Fernando Valley und Hancock Park sinnend, nippte Mike Bender
mürrisch an seinem lauwarmen Instantkaffee und wartete auf den
großen weißen Jäger.
Puff kam zu spät zum Frühstück, wirkte
jedoch verjüngt – hatte er sich das Haar gefärbt, oder was? –, er
strahlte, ein Quell der Energie, als hätte er dem König von Encino
persönlich das Feuer geraubt. »Schönen guten Morgen«, dröhnte er in
seinem falschen West-End-Akzent, inhalierte dabei fast seinen
Schnurrbart, dann bedachte er Nicole mit einem unmißverständlichen
Blick, und Mike spürte, wie es aus ihm herausfloß wie Lava aus
einem Vulkan.
»Also keine Löwen mehr?« Mike sprach leise
und gepreßt.
»Leider nicht«, erwiderte Puff, während er
sich ans Kopfende des Tisches setzte und eine Scheibe Toast mit
Marmite beschmierte. »Wie ich gestern schon sagte, wir haben so
viele Weibchen, wie Sie wollen, aber die Männchen sind alle noch
jung, nennenswerte Mähnen haben die nicht.«
»Schöne Scheiße.«
Bernard musterte Bender eine Zeitlang und
sah den Jungen, der nie erwachsen geworden war, das reiche Kind,
den ewigen Herumhänger, die typische Niete, den Emporkömmling, der
eins draufgekriegt hatte. Er blickte von Bender zu dessen Frau und
wieder zurück – was tat sie eigentlich mit diesem Clown? – und
hatte eine flüchtige, aber eindrucksvolle Vision davon, wie sie
neben ihm im Bett lag, Brüste, Oberschenkel, üppige Lippen und so
weiter. »Hören Sie, Mike«, sagte er, »vergessen Sie’s. So was
passiert jedem mal. Heute, dachte ich, könnten wir Elenantilopen
jagen...«
»Elenantilopen. Scheiß auf
Elenantilopen.«
»Na gut, dann – Wasserbüffel. Viele Leute
sagen, der Mbogo ist das gefährlichste Tier in Afrika.«
Die hellen Augen wurden dunkel vor Wut.
»Das hier ist nicht Afrika«, spuckte Bender. »Sondern
Bakersfield.«
Bernard gab sich jedenfalls große Mühe,
und er wurde immer sauer, wenn sie das machten: wenn sie die
Illusion platzen ließen, die er so gewissenhaft am Leben hielt.
Schließlich verkaufte er diese Illusion – mach die Augen zu und du
bist in Afrika –, und er wollte ja wirklich, daß seine Ranch Afrika
war, wollte die alten Geschichten wieder zum Leben erwecken,
den Gästen den Kitzel der großen Zeiten vorführen, wenn auch nur
für kurze Augenblicke. Aber es war noch mehr als das: »Puffs
Afrika-Großwildranch« war zugleich auch Andenken an und Denkmal für
die mächtige Gestalt von Bernards Vater.
Bernard Puff senior war einer der letzten
großen weißen Jäger Ostafrikas gewesen – Freund und Landsmann von
Percival und Ionides, Safariführer für ein paar der berühmtesten
Namen Hollywoods und der europäischen Aristokratie. Er heiratete
eine reiche Amerikanerin, und sie bauten eine Lodge im Hochland von
Kenia, dinierten mit Tania Blixen und aßen das ganze Jahr hindurch
Wild. Dann aber stellte der Krieg alles auf den Kopf, und er suchte
Zuflucht in den USA, wo er sich in der endlosen Weite des
Südwestens und den Taschen seiner angeheirateten Verwandtschaft
verlor. Als Kind hatte Bernard junior gespannt den Geschichten von
den alten Zeiten gelauscht, dabei fasziniert die gezackte weiße
Narbe betastet, die der Hauer eines Warzenschweins auf dem Unterarm
seines Vaters hinterlassen hatte, hingebungsvoll die betagten
Waffen geölt und gereinigt, von denen Nashorn und Elefant, Löwe und
Leopard niedergestreckt worden waren, und stundenlang in die
schimmernden Glasaugen der Trophäen gestarrt, die im Zimmer des
Vaters an der Wand hingen und deren Namen – Antilope, Kudu,
Buschbock, Gnu – wie Zauberformeln in seinem Kopf widerhallten. Er
hatte versucht, dem Erbe gerecht zu werden, hatte ihm sein Leben
verschrieben, und hier saß dieser Stoffel, dieser Reihenhauskrämer
und machte alles herunter.
»Schon gut«, sagte er. »Geschenkt. Also,
was soll ich tun? Ende des Monats kriege ich wieder Löwen rein,
erstklassige Katzen, die man im Tsavo-Nationalpark gefangen hat und
jetzt hierher umsiedelt...« (Hier bluffte er: in Wahrheit hatte er
ein ausgemergeltes Skelett aus dem Zoo von San Francisco
organisiert, ein so altes Vieh, daß es die Leute nicht mehr sehen
wollten, dazu ein zweites Tier von einem westdeutschen Zirkus, das
sich beim Sprung durch den brennenden Reifen einen dreifachen
Beinbruch zugezogen hatte.) »Was wir momentan dahaben, sind
Elenantilopen, Wasserbüffel, Oryx, Gazellen, Hyänen – ich könnte
sogar mit einem Straußenpaar dienen. Aber keinen Löwen, wenn Ihnen
Weibchen nicht gut genug sind. Tut mir leid.«
Und dann, wie ein Licht, das aus der Tiefe
emporscheint, kehrte das Glitzern zurück in die Augen des gewieften
Maklers; sein Lächeln wurde breiter, hinter der Maske des
quengeligen Immobilien-Wunderknaben trat der Tenniscrack und
Langstreckenschwimmer hervor. Bender grinste. Er beugte sich vor.
»Was ist mit dem Elefanten?«
»Was soll damit sein?« Bernard hob seinen
Toast an die Lippen und legte ihn dann behutsam wieder auf den
Tellerrand zurück. Benders Frau beobachtete ihn jetzt, und auch
Roland, der gerade Kaffee nachschenkte, warf ihm einen Blick
zu.
»Den will ich haben.«
Bernard starrte auf seinen Teller und
beschäftigte sich einen Moment lang mit Kaffeetasse, Zucker und
Sahne. Er trennte sich nur ungern von Bessie Bee, doch war er
ziemlich sicher, daß sie sich ersetzen ließe – und die Kosten für
ihr Futter brachten ihn ohnehin um. Selbst in ihrem hohen Alter
konnte die Elefantenkuh an einem Nachmittag mehr verputzen als eine
Herde Guernsey-Rinder in einem ganzen Winter. Er warf der Ehefrau
einen kühlen Blick zu, dann sah er Bender direkt an. »Achtzehn
Mille«, sagte er.
Bender wirkte unentschlossen, seine Augen
glitzerten noch, waren aber etwas eingesunken, als hätten sie
Respekt vor der Gewaltigkeit dieses Geschäfts. »Dafür krieg ich den
Kopf, ausgestopft und präpariert«, sagte er schließlich, »das ganze
Trumm – ja ja, ich weiß, wie groß es ist, aber das ist kein
Problem, den Platz dafür hab ich, glauben Sie mir... Und die Füße,
die will ich auch, als... äh, wie nennt man die gleich,
Schirmständer?«
Sie trieben Bessie Bee in einer
gestrüppreichen Senke auf, gleich hinter dem
Swimmingpool-Wasserloch. Sie nahm gerade ein Bad im Staub,
besprühte ihre runzlige Lederhaut mit feiner heller Erde, so daß
sie aussah wie ein gewaltiger in Mehl gerollter Teigklumpen. Sie
hatte, das sah Bernard jetzt, das hohe Gras zertrampelt, unter dem
die blaue Einfassung des Pools verborgen war, außerdem eine halbe
Tonne Wasserlilien und Rohrkolben aus dem Schlick gerissen und das
stinkende Wurzelgewirr auf dem Beckenrand angehäuft. Er fluchte
leise vor sich hin angesichts der bis auf ein paar Stümpfe
aufgefressenen Eukalyptusgruppe und des importierten
Chinarindenbaums, den sie völlig abgeschält hatte. Normalerweise
war sie angebunden – um großflächige Zerstörungen genau dieser Art
zu verhindern –, aber wenn Gäste auf der Ranch waren, ließ er sie
frei herumlaufen. Das bereute er jetzt, und er dachte daran, daß
Espinoza am nächsten Tag als erstes die Landschaftsgestaltungsfirma
anrufen mußte, als Benders Stimme ihn in die Gegenwart zurückholte.
Die Stimme war schneidend, gereizt, ein hohes aufbegehrendes
Quäken: »Aber der hat ja nur einen Stoßzahn!«
Bernard seufzte. Es stimmte ja –
irgendwann einmal war die Hälfte ihres linken Stoßzahns
abgebrochen, aber er war so daran gewöhnt, daß es ihm kaum noch
auffiel. Doch hier saß Bender neben ihm im Jeep, seine Frau auf dem
Rücksitz, die Gewehre waren einsatzfähig, die Kühlbox war gefüllt,
und Bender würde versuchen, den Preis zu drücken, das sah er
kommen.
»Als wir achtzehntausend ausgemacht haben,
bin ich natürlich von einem Tier ausgegangen, das sich als Trophäe
eignet«, sagte Bender, und als sich Bernard zu ihm umdrehte: »Aber
jetzt, also, ich weiß nicht.«
Bernard wollte die Sache einfach nur
hinter sich bringen. Irgend etwas sagte ihm, daß es ein Fehler war,
Bessie aufs Korn zu nehmen – ohne sie wäre die Ranch nicht mehr,
was sie war –, andererseits hatte er sich verpflichtet und keine
Lust auf Streit. »Na gut«, sagte er seufzend und schob seinen
massigen Bauch von links nach rechts. »Siebzehn.«
»Sechzehn.«
»Sechzehnfünf, weiter gehe ich nicht
runter. Sie haben ja keine Ahnung, wieviel Arbeit das ist, so ein
Ding zu häuten, ganz zu schweigen davon, daß man den Kadaver
irgendwie loswerden muß.«
»Abgemacht«, sagte Bender, drehte sich
triumphierend zu seiner Frau um, und schon waren sie aus dem Jeep
und prüften ihre Waffen. Bender hatte eine
12-Millimeter-RigbyElefantenbüchse dabei, Bernard wieder die Nitro
– für den Fall, daß der Morgen eine Reprise des Löwenfiaskos
brächte. Nicole Bender, die heute ohne Gewehr antrat, hatte eine
Videokamera dabei. Roland war beim Haus und wartete mit Laster,
Kettensäge und einem Trupp Mexikaner, um die Schweinerei
wegzuräumen, sobald die Tat vollbracht war.
Es war früh, die Hitze erträglich – etwas
unter dreißig Grad, schätzte Bernard –, aber trotzdem schwitzte er
schon. Auf der Jagd war er immer leicht nervös – besonders wenn ein
Clown wie Bender direkt neben ihm herumfuchtelte, und ganz
besonders nach der Sache mit dem Löwen. Bender trampelte herum und
wirbelte Staubwolken auf, aber sein Blick war kalt und ruhig, als
sie jetzt durch das Mesquitegras und das Gestrüpp in die Senke
hinabgingen.
Bessie Bee war weiß vom Staub; sie blies
große Wolken davon aus dem Rüssel in die Luft und schlenkerte mit
den Ohren. Aus hundert Meter Entfernung sah man nicht viel mehr als
umherfliegenden Dreck, als wäre ein Tornado am Werk; nach fünfzig
Metern nahm allmählich der runzlige, zerfurchte Kopf des alten
Elefanten Gestalt an. Auch wenn die Sache kaum riskanter war als
das Abknallen einer Kuh im Stall, war Bernard aus Gewohnheit
vorsichtig und bedeutete Bender stehenzubleiben, fünfzig Meter vom
Ziel entfernt. Zwei Geier kreisten über ihnen, angelockt durch den
Jeep, den sie als Vorboten von blutigem Fleisch und Aas kannten.
Der Elefant nieste. Irgendwo hinter ihnen schrie eine Krähe. »Näher
ran gehen wir nicht«, stellte Bernard fest.
Bender glotzte ihn an, knackte mit den
Fingerknöcheln und rollte die Augen, wie ein Student im ersten
Semester, dem der Türsteher vor einer Bar voll knackiger
Kommilitoninnen den Eintritt verwehrt. »Aber ich seh nichts als
Staub«, sagte er.
Bernard ruhte jetzt ganz in sich. Er
prüfte das Schloß des schweren Gewehrs und entsicherte den Abzug.
»Warten Sie ab«, sagte er. »Suchen Sie sich einen Platz – hier,
gleich hier bei dem Felsen, da können Sie sich aufstützen beim
Zielen. Es wird nicht lange dauern, in ein paar Minuten hat sie es
satt, und wenn der Staub sich legt, kriegen Sie Ihren
Abschuß.«
Und so kauerten sie im Dreck, der Jäger
und der Jagdführer, stützten ihre Gewehre auf einer rauhen roten
Sandsteinplatte ab und warteten darauf, daß der Staub sich verzog
und die Hitze sich steigerte und die Geier in mächtigen Spiralen
aus dem Himmel herabsanken.
Bessie Bee ihrerseits war mehr als nur
argwöhnisch. Obwohl sie ziemlich schlecht sah, erkannte sie doch
den Jeep, und diese Menschen konnte sie auf Hunderte von Metern
riechen. Eigentlich hätte sie die Matriarchin einer stolzen wilden
Elefantenherde sein sollen, im Amboseli- oder im Tsavo-Reservat,
oder im großen Bahi-Sumpf, aber statt dessen hatte sie ihre ganzen
zweiundfünfzig Jahre auf diesem fremden, unnatürlichen Erdteil
verbracht, mitten im Gestank und im Chaos der Menschen. Man hatte
sie gefesselt, mit Stöcken getrieben und geschlagen, ihr
beigebracht, zu tanzen und auf einem Bein zu stehen und mit dem
Rüssel die klägliche Schwanzquaste zu packen, die zwischen den
kläglichen Flanken eines anderen kläglichen Elefanten herabhing,
während sie vor wuselnden Affenhorden durch eine scheußliche
Zirkusmanege nach der anderen paradierten. Und dann das hier: eine
Gegend, in der es nach den öligen Ausflüssen der Erde stank, und
wieder angebunden und wieder Menschen. Sie hatte das Krachen der
Gewehre gehört, das Blut in der Luft gewittert, und sie wußte, daß
hier gemordet wurde. Und sie wußte auch, daß der Jeep ihretwegen
gekommen war.
Der Staub ringsherum legte sich, sank in
einem Mahlstrom aus feinen weißen Teilchen nieder. Sie stellte die
Ohren auf, trompetete und hob den massigen Zylinder ihres rechten
Vorderfußes vom Boden und schwenkte ihn vor sich. Sie hatte es
satt, die Stachelstöcke und die Stricke, das fade, trockene Stroh,
das nach nichts schmeckte, und das Viehfutter, die Sonne und die
Luft und die Nacht und die Tage. Sie griff an.
Sie ließ sich von der Witterung leiten,
bis die Gewehre krachten, einmal, zweimal, dreimal, und eine neue
Sorte Stachelstock in sie hineinfuhr, durchschlagend und heiß, aber
das machte sie nur wütend, trieb sie um so wilder voran,
unaufhaltsam und unbesiegbar, dreieinhalb Meter Schulterhöhe und
gut sieben Tonnen Gewicht, Schluß mit den Zirkussen, Palankins,
Stachelstöcken. Und dann sah sie die zwei lächerlichen
Strichmännchen hinter einem Fels hervorspringen – die konnte sie
dreimal schlucken und wieder ausspucken.
Es war nicht direkt Panik, am Anfang
noch nicht. Bender schoß daneben, und vom heftigen Rückschlag des
Gewehrs schien er wie benommen. Bessie Bee kam direkt auf sie zu,
nahm sie genau aufs Korn, und Bernard biß sich auf den Schnurrbart
und brüllte: »Schieß! Schieß doch, du Idiot!«
Sein Wunsch wurde erfüllt. Endlich feuerte
Bender noch einmal – richtete aber nicht viel mehr aus, als dem
Vieh ein paar Borsten vom Rücken zu putzen. Da übernahm Bernard,
die Nitro im Anschlag, und obwohl er sich an den Löwen erinnerte
und bereits Benders jammerndes, meckerndes Genörgel hören konnte,
wie er sich beim Mittagessen beschwerte, daß ihm auch diese
Trophäe verweigert worden sei, war die Situation eindeutig
brenzlig, ja bedrohlich – wer hätte das von Bessie Bee gedacht? –,
deshalb drückte er auf den Abzug des großen Gewehrs, daß es mit
einem donnernden Ruck losging.
Nichts. Hatte er sie verfehlt? Dann aber
wurde er mit einem Mal von einem Erdrutsch erfaßt, er spürte einen
Windstoß, roch den strengen Geruch nach Elefant, und dann flog er,
wirklich, er flog hoch über die Ebene in den blauen Himmel
hinein.
Als er wieder landete, setzte er sich auf
und stellte fest, daß seine Schulter aus dem Gelenk gesprungen war,
und daß ihm irgendeine Flüssigkeit – Blut, sein eigenes Blut – die
Sicht im rechten Augen verdunkelte. Er hatte einen Schock, dachte
er und sprach es laut vor sich hin, wieder und wieder: »Ich habe
einen Schock, ich habe einen Schock.« Alles schien wie im Nebel,
der Arm tat gar nicht sehr weh, obwohl er eigentlich hätte weh tun
müssen, ebensowenig die Platzwunde am Kopf. Aber hatte er nicht ein
Gewehr gehabt? Wo war das jetzt?
Auf das Geräusch hin, ein energisches
Trompeten, blickte er auf und sah, wie Bessie Bee nachdenklich,
beinahe zärtlich, ihren Fuß auf Mike Benders dahingestreckter
Gestalt rieb. Bender schien nackt zu sein – oder nein, er schien
nicht einmal mehr die Haut auf dem Leib zu haben –, und sein Kopf
war gewaltig verändert, wirkte auf einmal viel kompakter. Aber noch
etwas anderes ging vor, etwas, das die Versicherung niemals
wiedergutmachen konnte, da war er sich sicher, wenn auch nur auf
vage Weise – »Ich habe einen Schock«, wiederholte er. Dieses Etwas
war auch ein Schrei, zweifellos ein menschlicher, doch er wuchs an
und packte den vorigen Schrei am Schwanz und kletterte auf ihn
drauf, und ehe das Vakuum der Stille sich ganz schließen konnte,
erklang ein zweiter Schrei, und dann noch einer, bis sogar das
Trompeten des Elefanten dagegen wie ein Flüstern klang.
Es war Mrs. Bender, die Ehefrau, Nicole,
eins der hübschesten Exemplare ihrer Art, die da jetzt vom Jeep
wegrannte und dabei ihre Lungen trainierte. Der Jeep war offenbar
umgekippt – er bot sich jedenfalls aus einem sehr merkwürdigen
Winkel dar –, und Mrs. Benders schmächtige Gestalt wurde in diesem
Moment von einer sich bewegenden Mauer aus Fleisch überrannt, ein
breites graues Hinterteil verdeckte den Blick auf die Szene, und
all dieses stürmende Gewicht zermalmte die kleine Arie aus Schreien
in einem endgültigen Elefantentrommelwirbel.
Es hätte wenige Sekunden oder eine Stunde
später sein können – Bernard hatte keine Ahnung. Er saß auf dem
Boden – sein einer Arm baumelte lose von der Schulter – und wischte
sich mit der unverletzten Hand das Blut aus dem Auge, während die
schwarzen Geier mit professionellem Interesse zu ihm herabsegelten.
Und dann, auf einmal, sehr seltsam, war die Sonne weg, ebenso die
Geier, und ein großer dunkler Schatten fiel auf ihn. Er blinzelte
zu dem kolossalen Gesicht empor, das von wild schlenkernden Ohren
eingerahmt war. »Bessie Bee?« sagte er. »Bessie Bee? Shamba?«
Knapp einen Kilometer entfernt lag,
umweht vom sanften Zugwind der Klimaanlage, Jasmine Honeysuckle
Rose Bender im Bett, zwei Monate vor ihrem dreizehnten Geburtstag,
gesättigt mit Schokolade und Träumen von schlanken Halbstarken mit
Gitarre, Stachelfrisur und Lederjacke. Sie drehte den Kopf auf dem
Kissen und schlug die Augen auf. In diesem Moment war sie die
Alleinerbin des Benderschen Immobilienimperiums, sämtlicher
Eigentumswohnungen und Häuser, aller Aktien, Anleihen und sonstigen
Vermögenswerte, die dazugehörten, ganz abgesehen von dem Haus am
Strand und dem Ferrari Testarossa, nur wußte sie es noch nicht.
Etwas hatte sie aufgeweckt, ein Kräuseln auf dem großen Teich des
Lebens. Einen Augenblick lang hatte sie geglaubt, durch das Surren
der Klimaanlage einen Schrei gehört zu haben.
Aber nein. Wahrscheinlich war das nur
irgendein Pfau oder Pavian oder sonstwas gewesen. Oder diese
alberne Attrappe von Elefant. Sie setzte sich auf, nahm ein Ginger
Ale aus der Kühlbox und schüttelte den Kopf. Total spießig, dachte
sie. Spießig, spießig, spießig.