ARME RITTER
Da wir gerade über Mütter und Söhne sprechen, nutzen wir die Gelegenheit, an diesem Punkt ausnahmsweise einmal etwas grundsätzlicher zu werden. Erst dachte ich, wir sollten mit Harry und Sally und also mit der Gewissheit beginnen, wonach Männer und Frauen keine Freunde sein können. Doch das ist mir zu zwischenmenschlich. Vielmehr geht es nach meinen Erfahrungen unter Müttern doch vielmehr um die Frage, was das offensichtliche Ungleichgewicht der Geschlechterverteilung bei der Erziehung von Söhnen für diese bedeutet. Also: Welche Folgen hat es, dass Mütter die Söhne erziehen? Dass also die Mütter die Männer von morgen machen? Ich gebe zu, dass ich an diesem Punkt gedanklich stets ein wenig großzügig war und das heikle Thema soziale Konstruktion von Geschlecht häufig ein wenig auf die leichte Schulter genommen habe. Typisch Mann eben. Aber die Geschichte von den Rittern hat dazu geführt, dass auch ich mich an diesem Punkt weiterentwickelt habe. Und das kam so:
Wie bei allen Jungs hielten zu einem gewissen Zeitpunkt auch bei meinen Söhnen die Ritter Einzug in Geschichten und Kinderzimmer. Zwar nicht in Form dieser grauenhaften Playmobil-Figuren, über die – da bin ich mir sicher – am Jüngsten Tag der liebe Gott und seine für ästhetische Entgleisungen der Menschheit zuständigen Engel dereinst ausgiebig Gericht halten werden. Nein, auch in den schönsten Geschichten für die Kleinen tauchten zunehmend die behelmten Freunde auf. Vieles an ihnen ist von grundsätzlichem Interesse, etwa, warum die Ritter immer kämpfen mussten, wie schwer eigentlich die Rüstungen waren und dass an den Burgen die Klos immer hoch oben an den Außenmauern angebracht waren, so dass die Na-Sie-wissen-schon klatschend in den Burggraben fiel. So weit, so gut – und sicher auch von sozialgeschichtlichem Belang. Auch ich malte fleißig Burgen und Ritter (die allerdings immer zu Fuß gehen mussten, weil Papa nun mal keine Pferde malen kann) und erfreute mich ansonsten am Interesse des Nachwuchses an diesen wenigen Perlen, die die deutsche Vergangenheit zu bieten hat.
Schwierig wurde es für mich allerdings, als die Ritter zunehmend zu Trägern männlicher Tugenden mutierten. Mut und Tapferkeit bogen jetzt ebenfalls um die Ecke, um sich im Kinderzimmer ihren gemütlichen Platz einzurichten. Und – Sie ahnen es – schon bald streifte der historische Träger dieser Tugenden durchs Haus, der Held. Zu Helden herkömmlicher Prägung habe ich – das ist selbstverständlich mein persönliches Problem – ein eigentümlich gestörtes Verhältnis. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst keinen kenne, vielleicht aber auch nur daran, dass meines Erachtens auf den Soldatenfriedhöfen dieser Welt bereits genug Helden liegen. Mein Bedarf an der Bereitstellung weiteren Nachschubs ist jedenfalls gedeckt; mir scheint die Evolution oder welcher Weltenplan auch immer für junge Männer sinnvollere Schicksale bereitzuhalten.
Aber ich will dem Helden an sich nichts Böses. Da gibt es ja die vielen Helden des Alltags, die kleine Kätzchen aus Bäumen retten und dafür ins Lokalfernsehen kommen, und solche Sachen. Worauf es mir nach meinen Erfahrungen unter Müttern ankommt, ist die erzählerische Konstruktion des Helden durch Frauen. In der Ansprache an die Jungen schaffen Frauen einen Helden-Typus, der eindeutig eine Projektion gelebten beziehungsweise ungelebten Lebens darstellt: Der Held – sagen wir es genauer: der Mann, so wie diese Frauen ihn sich wünschen – ist mutig, tapfer, stark und hilfsbereit. Er scheut sich nicht vor Konflikten, hält auch mal was aus (wie es so schön heißt) und hat selbstverständlich keine Angst. Es gibt einige moderne, politisch korrekte Ergänzungen dieser Konstruktion, wonach der moderne Mann auch mal zuhören kann, durchaus Emotionen zeigen darf und ansonsten ein Leben lang selbstreflexiv an seiner sozialen und emotionalen Kompetenz arbeitet. Aber das sind schmückende Attribute, ansonsten haben wir es aus weiblicher Perspektive noch immer mit einem erstaunlich stabilen, traditionellen Bild vom Wunsch-Mann zu tun. Alles Helden, oder was?
Nun gibt es allerdings auch Menschen, pardon: Männer, die gar keine Lust auf Held haben, sie wollen auch nur so lange Ritter sein, wie die Rüstung nicht zu schwer, die Reise ins Heilige Land nicht zu strapaziös und der Feind nicht wirklich bösartig ist. Es sind Menschen, die wollen ihre Zeit auf Erden möglichst lange genießen, der Welt dabei ein gewinnbringendes Mitglied sein, vielleicht auch ein bisschen Glück erleben – aber auf keinen Fall wollen sie von einem ungewaschenen, stinkenden Mit-Ritter bei einem mittelmäßigen Turnier um eine, bei Lichte betrachtet, gar nicht so hübsche Jungfrau mit einer empfindlich spitzen Lanze schmerzhaft aus dem Sattel gestoßen werden. Mehr noch: Sie haben regelrecht Angst davor, dass sie jemand auf diese oder eine andere Weise durchbohren könnte. Deshalb bleiben sie lieber zuhause und wollen weder Held noch Ritter sein. Es stellt sich die Frage: Wie gehen wir als verantwortungsbewusste Eltern mit einer solchen Verweigerungshaltung pädagogisch angemessen um?
Einer meiner Söhne verwickelte mich einmal in ein lebhaftes Gespräch über Angst. Wann man sie erlebe und wie ein Mann (ein Mann!) auf sie angemessen reagieren solle. Zunächst griff ich zu denkbar abstrakten Antworten, in der Hoffnung, damit den Wissensdurst zu stillen: »Mein Junge, Vorsicht ist bekanntlich der bessere Teil der Tapferkeit, deshalb wollen wir Angst durchaus in ihrer angemessenen Warnfunktion ernst nehmen.« Das reichte nicht aus. »Was soll ich denn machen, wenn wieder der doofe Junge vom Spielplatz auftaucht?« (Jeder Spielplatz kennt diese Jungs, die permanent die anderen ärgern oder ihnen die Spielgeräte verwehren – aber dazu später ausführlicher.) Was also tun in der Auseinandersetzung mit diesem Jungen? Nach dem Durchspielen verschiedener Möglichkeiten (mit ihm reden – »Das haben wir doch immer schon versucht« –, seine Mutter fragen – »Die ist genauso doof und hilft dann auch nicht« –, ihm eine runterhauen – »Du hast doch gesagt, Gewalt ist keine Lösung«) einigten wir uns darauf, dass man am besten weggeht und den Doofen einfach stehen lässt. »Aber bin ich dann nicht ein Angsthase?« Nein, selbstverständlich nicht.
Selbstverständlich nicht? Da habe ich geflunkert. Zählen Sie spaßeshalber einmal, wie oft Sie von Eltern hören, ihre Kinder sollten gefälligst keine Angsthasen sein. »Du gehst nicht mit den anderen Kindern alleine auf den Spielplatz? Du hast doch wohl keine Angst?« Oder im Schwimmbad: »Komm, jetzt spring, oder hast du Angst?« Vor nichts scheinen wir mehr Angst zu haben als vor der möglichen Angst unserer Kinder. Wie peinlich ist das, wenn der eigene Sohn sich etwas nicht traut – und das auch noch in der Öffentlichkeit. Und damit sind wir wieder bei unserem eigentlichen Thema angekommen: Wir haben Angst vor der möglichen Angst unserer Söhne. Angst haben? Feige sein? Wenn überhaupt, dann ist das etwas für Mädchen (das lernen übrigens auch die Jungs durch teilnehmende Beobachtung leider sehr früh). Da haben es die Mädchen besser als die Jungs; sie dürfen etwas, das die Jungs nicht dürfen. Die sollen stattdessen tapfer warten, bis dieser stinkende Unsymph sie mit der Lanze brutal aus dem Sattel hebt. Arme Ritter!