WOFÜR ERWACHSENE SPÄTER EINMAL IN DER HÖLLE SCHMOREN WERDEN

Ich bin mir nicht sicher, ob ich theologisch ausreichend bewandert bin, um die Frage nach der Existenz einer Hölle zufriedenstellend zu beantworten. Um es abzukürzen, wollen wir uns an dieser Stelle darauf verständigen, dass es eine solche gibt. Mit Feuerqualen, einem ordentlich feixenden Teufel und allem, was sonst noch dazu gehört. Jetzt stellt sich selbstverständlich die Frage, wer von uns dereinst diesen Ort erblicken wird. Und weshalb? Was prädestiniert einen Erwachsenen von heute dazu, hinsichtlich seines Verhaltens gegenüber Müttern und Kindern dereinst in der Hölle zu schmoren? Ohne große Mühe habe ich gesammelt, welche Vergehen eine solche Strafe verdienen. Es sind teuflisch viele, und so habe ich versucht, meine persönliche Bestenliste aufzustellen …

Ganz oben stehen die Macher und Anhänger von Kinderfernsehen. Wie sagte mir einmal eine Mutter über ihren Vierjährigen? »Wenn der vor der Glotze sitzt und ich mit dem Essen komme, meinst du, der reagiert? Unglaublich.« Tatsächlich unglaublich, was Fernsehen aus den Menschen macht. Zum Beispiel aus der Telekom Deutschland, die mir unlängst ein aufwendig gemachtes Heftchen über Fernsehunterhaltung ins Haus schickte – »Entertain« heißt es. Darin war ein besonders grausiger Artikel über »Große Unterhaltung für kleine Leute«. Warum, so wird dort gefragt, »bei schlechtem Wetter nicht mal einen gemütlichen Nachmittag vor dem Fernseher mit den Kindern einlegen?« Genau – warum nicht? Vielleicht nur, weil Fernsehen blöd macht? Nein, nein, das haben die Textmacher noch nicht bemerkt. Sie wollen auf etwas ganz anderes hinaus, nämlich auf die tollen Chancen ihrer TV-Sender-Pakete (ich muss sofort wieder an Herrn H. und seine Riesenwindel denken). Es gebe nämlich super Angebote, in denen alle Serien und Formate »den elterlichen Anforderungen« entsprechen. Da bin ich gespannt. Zum Beispiel: »Der werbefreie Sender Disney Junior, der sich an Vorschulkinder zwischen 2 und 7 Jahren sowie deren Eltern richtet, verbindet sein tägliches Fernsehprogramm mit einer integrierten Webseite. Dort können sich die jungen Zuschauer über ihre Lieblingsserien informieren, an Gewinnspielen teilnehmen und eigene Video-Playlisten anlegen.« Ich denke, wer Kinder im Vorschulalter vors Fernsehen und dann noch an Webseiten setzen will, hat sich seinen Platz in der Hölle redlich verdient – und ganz sicher treffen die Telekom-Entertainer dort auch die alten Kollegen wieder, die uns einst die Telekom-Volksaktie aufschwatzen wollten (wobei die sich wahrscheinlich rechtzeitig einen Höllen-Platz in Liechtenstein gesichert haben).

Heiße Anwärter auf die Hölle sind auch die allermeisten Spielzeughersteller. Ich halte einen Katalog in den Händen, in dem die Einkaufsleiterin Nadine C. ihre Leserinnen mit den Worten begrüßt »vorallem [das schreibt sie zusammen] mit Kindern gehören die Wochen vor Weihnachten zur schönsten Zeit im ganzen Jahr«. Vor allem ist ihr Katalog voll mit den schönsten Scheußlichkeiten. Zum Beispiel das Spiel »Kinder-Electric« bei dem »die lieben Kleinen« »hoch konzentriert« mit zwei Steckern versuchen, die zueinander passenden Bilder auf der linken und rechten Seite des Spielbretts zu treffen: »Wenn’s stimmt, dann blinkt’s« – und zwar für Kinder ab vier Jahren! Für die gleiche Altersgruppe gibt es auch noch die tolle »Schweineschwarte«: Eine Schweinchenfigur aus Plastik wird von den Mitspielern reihum mit Plastik-Hamburgern gefüttert, und der Bauch des Schweines wird immer dicker. »Alle fragen sich: Bei welchem Hamburger wird der Gürtel wohl platzen?« Toll auf Reisen! »Mampfen, bis die Schwarte kracht!« Wenn nicht für Nadine C., die wahrscheinlich auch nur Befehlen folgt, aber für die Hersteller selbst dürfte es sicher eng werden am Jüngsten Tag.

Höchststrafe auch für die Mädchenmode-Macher; dabei hatte ich allerdings nur daran gedacht, wie man dieses komische Rosa endlich wieder aus unserer Kleiderwelt bekommt. Aber noch radikaler formulierte es unlängst Thomas Fischer, immerhin Richter am Bundesgerichtshof. Der erinnerte nämlich daran, wie sehr unsere Gesellschaft schon die Kinder mit sexuellen Reizen überflute, in den meisten Modejournalen finde sich »ein unverhülltes Kokettieren mit der Überwindung kindlicher Träume durch erwachsene Sexualität«. Wer die Journale selbst hochwertiger Kleidungshersteller durchschaut, wird dem Richter Recht geben müssen, darin posieren kleine Mädchen wie alles, nur nicht wie Kinder. Und die Auswahl der Kleidung kommentierte eine befreundete Mutter einmal so: »Wenn ich meine Tochter so anziehe, sieht sie doch aus wie eine minderjährige weißrussische Prostituierte.« Auch darauf steht die Hölle.

Zu diesem wärmenden Ort streben mit erstaunlicher Zielstrebigkeit auch viele Betreiber von Kinder-Karussells. Dies aber nicht wegen der Gestaltung ihrer kleinen Fahrgeschäfte, sondern wegen der Geräuschkulisse. Dabei meine ich in erster Linie nicht das überlaute Tröten und Jaulen von Feuerwehrsirenen oder irgendwelchen Phantasie-Fanfaren, sondern den hier zu beobachtenden Hang zur Schlagermusik: Aus mir völlig unerfindlichen Gründen plärren an Kinder-Karussells deutsche Schlager aus den 60er, 70er und 80er Jahren. Warum kleine Kinder Roberto Blanco oder Heintje hören oder sich gar an diesen Klängen erfreuen sollen, ist mir schleierhaft. Musikalische Unterwelt.

Diese Beispiele machen deutlich, wie schwer es Mütter im Alltag haben. Während die Jungs brav in ihre Büros laufen, die Weltfinanzen retten oder noch mehr Flugzeuge, Autos oder Computer bauen, müssen sie versuchen, mit ihren Kindern einen möglichst großen Bogen um das ganze Teufelszeug zu machen. Wahrscheinlich ist uns allen viel zu wenig bewusst, welche tagtäglichen Rettungstaten in unseren Straßen und Häusern vollbracht werden. Die Versuchungen einer ästhetisch entgleisten Welt mit ihren Disney-Junior-Sendern, mampfenden Plastik-Schweinen und grauenerregenden Plastikfigürchen, die uns aus den Überraschungseiern entgegenhüpfen, in denen früher doch harmlose kleine Autos zum Zusammenbauen schlummerten – all die greifen nach unseren Kindern, wollen sie unterhalten, mit Plastik einwickeln und schließlich verblöden. (Und wir haben an dieser Stelle noch gar nicht über den übergroßen Markt an Kinderbüchern gesprochen, der ein Thema für sich ist.) Es ist nur den Müttern zu verdanken, dass die Kinder dieser Hölle entgehen. Mütter setzen ihr die eigene Kreativität und Klugheit entgegen: Sie versuchen, gutes und schlechtes Spielzeug zu unterscheiden, oft genug können sie auch noch Weihnachtssterne basteln oder singen mit den Kindern ein Lied. Mit diesen Heldentaten gleichen sie die Zumutungen unserer Zeit tagtäglich aus. Nicht immer gelingt ihnen alles, und manchmal scheitern sie auch. Aber sie geben nicht auf. Und dafür – das vergaßen wir vielleicht zu erwähnen – kommen sie alle in den Himmel.