DAS DÜMMERE GESCHLECHT
Wenn es um Kindererziehung geht, ist die ewige Frage nach der Verteilung von Klugheit und Dummheit auf die Geschlechter deutlich entschieden – zu Ungunsten der Männer selbstverständlich. Dieser Status ist allerdings auch redlich verdient, zu lange haben sich Väter nicht nur in den Augen der Mütter zu dämlich angestellt (es wird noch zu diskutieren sein, ob sie wirklich dämlich sind oder sich in einem gewieften Akt der Kommunikationsguerilla nur absichtlich dumm anstellen). Ein Besuch im nahen Drogerie-Markt macht mir in drolliger Permanenz deutlich, wie hilfsbedürftig das dumme Geschlecht aus weiblicher Perspektive schon bei einfachsten Fragen der Kinderversorgung ist: Allein wenn ich wenige Sekunden zu lang – also mehr als zwei – vor dem Regal mit der Babynahrung verweile, eilt eine freundliche Verkäuferin herbei (von wegen Service-Wüste Deutschland, Herrschaften!). »Kann ich helfen?«, lächelt sie mich gutmütig-verzeihend an. Selbstverständlich ist das lieb gemeint, denn Hilflosigkeit in Sachen Nahrungsbeschaffung (und -zubereitung) ist ja das Stammland der Männer. »Ach bitte, ja«, lautet die richtige Antwort, auch wenn man längst weiß, welchen Babybrei man kaufen will – wir wollen die Hilfsbereite doch mit einem guten Gefühl zurücklassen. »Vielen Dank. Und: einfach nur aufkochen, oder?«
Die Vorstellung vom dümmeren Geschlecht ist bei Müttern fest verankert. Einmal besuchte mich (und also auch unsere Kinder) eine Freundin, die mich doch bislang als erwachsenen und hoffentlich verantwortungsvollen Zeitgenossen kennengelernt hatte (glaubte ich jedenfalls). In dem Moment, als ich ihr eine Nuckelflasche mit Milch in die Hand drückte, damit sie mal eben einen der Säuglinge füttern sollte, fragte sie mich besorgt zurück, ob die Flasche – sie meinte dabei den Inhalt – nicht zu heiß sei. Ganz so, als sei das Wärmeempfinden von Männern durch Millionen Jahre der Evolution so deformiert, dass sie die richtige Temperatur für Säuglingsmilch (Jungs, aufgepasst: Wenn man die Flüssigkeit aus dem Sauger auf die eigenen Pulsadern tröpfeln lässt und weder Wärme noch Kälte empfindet, ist es richtig) nicht wahrnehmen können. Oder: Sie sind einfach zu schusselig für solche Aufgaben.
Das gilt aus mütterlicher Sicht auch für andere simple Dinge des Lebens. Mein Paradebeispiel ist der Schuhkauf: Wenn ich mit einem meiner Kinder ein Schuhgeschäft betrete (es ist Vormittag, außer den Verkäuferinnen sind zumeist nur andere Frauen zugegen), kündigt sich das Drama mit entschlossenen Schritten an: Eine Schuhfachverkäuferin Ende fünfzig nähert sich. Das Kind braucht neue Sommerschuhe? »Dann messen wir mal.« – »32«, bemerke ich möglichst selbstsicher. Sie ignoriert mich. »Wir messen mal« –, und schon hat sie meinen Jungen in der Mangel – »setz dich mal hier hin« –, nestelt an seinem Schuh herum, zieht ihn aus, den Socken gleich mit – jetzt kann ich endlich einschreiten: »Lassen Sie, das mache ich.« Mein Sohn sieht mich verzweifelt an. Er möchte nämlich nicht von einer ihm unbekannten Frau Mitte fünfzig an den nackten Füßen angefasst werden (ich übrigens auch nicht, weshalb ich vermute, der Junge hat das von mir).
Das Messen der Kinderfüße ist abgeschlossen. »32«, verkündet die Dame. »Eben«, antworte ich, doch meine Ironie zieht sie sich nicht an. Sie schleppt drei verschiedene Paar Schuhe heran (»nur die kommen in Frage«, obwohl der Laden zum Bersten gefüllt zu sein scheint mit anderen passablen Kinderschuhen) und zieht sie nacheinander meinem Sohn an die Füße. Mir traut sie das offensichtlich nicht zu. Als ich ihm zwischendurch heimlich doch einmal ein Paar anziehe, blickt sie skeptisch. »Passen die?« Sie drückt ihren kräftigen Schuhfachverkäuferinnen-Daumen mit aller Wucht auf die Stelle, wo ich den großen Zeh meines Sohnes vermute (eine geradezu klassische Handbewegung der Kulturgeschichte, der leider immer noch keine eigenständige Publikation gewidmet ist). Der wehleidige Aufschrei des Jungen zeigt auch ihr, dass der Zeh dort liegt. »Na ja.« Wir nehmen die Schuhe.
Einige Tage später kehre ich als verdeckter Ermittler in das Schuhgeschäft zurück. Meine Vermutung bestätigt sich: Die Verkäuferinnen behandeln Väter und Mütter unterschiedlich, wenn sie mit ihren Kindern kommen. Den Müttern reichen sie die Schuhe für ihre Kinder an (oft genug trauen sie ihnen sogar zu, die Schuhgröße ihrer Kinder zu kennen), bei den Vätern schreiten sie fast kommentarlos selbst zur Tat, ziehen den Kindern die Schuhe aus, an und wieder aus – inklusive zwischenzeitlichem Auf-den-großen-Zeh-Drücken. Das dümmere Geschlecht wird also auch hier entsprechend seinen Bedürfnissen bevorzugt behandelt.
Nur einmal gelang es mir übrigens, die starren Fronten aufzubrechen: Ich lenkte das Gespräch mit einer Schuhverkäuferin vorsichtig auf das Thema Kindererziehung im Allgemeinen – zugegeben ein in der Regel etwas seifiges Terrain, aber die Dame bewies auch hier Stehvermögen. Als es nämlich um die Mütter von heute ging: Die hätten – also mal so unter uns gesagt – ihre Kinder meistens gar nicht (mehr) im Griff. Disziplin und Ordnungssinn (warum ist mir bis zu diesem Moment entgangen, dass ein Schuhladen mit seinen sauberen, akkurat in Reihen stehenden und immer etwas traurig dreinschauenden Schuhen wie kein anderes Geschäft für diese Sekundärtugenden steht?) würden die Frauen von heute halt nicht mehr an ihre Kinder vermitteln. Die meisten von ihnen erzögen ihre Kinder halt gar nicht mehr richtig. Ich nutzte die Vorlage: Ob sie denn nicht fände (so ganz unter uns), dass wir Männer manchmal die besseren Mütter seien? »O ja!«
Aber noch einmal zurück zum Drogerie-Fachmarkt: Wegen unserer Zwillinge war ich angesichts ihrer anfangs unterschiedlich raschen körperlichen Entwicklung gezwungen, zeitweilig zwei Pakete Windeln zu erwerben, und zwar in unterschiedlichen Größen: maxi und maxi-plus. Kaum war ich mit beiden Paketen an der Kasse angekommen, kam wie erwartet die liebevolle Intervention der Kassiererin: Das seien aber zwei unterschiedliche Größen. Nun schreien Windelpackungen durch ihr Design den Käufer geradezu an: quietschrot die Maxi-Version, Frühlings-Lila die Maxi-plus-Variante – abgesehen davon, dass für den alphabetisierten Teil der männlichen Käuferschaft zusätzlich noch die Produktnamen sowie die Größen in gut sichtbaren Lettern draufstehen und sogar das Gewicht der zu Wickelnden aufgedruckt ist (zudem die unterschiedlichsten Tiere wie Bärchen, Giraffen, Enten und ähnliches Gefleuch, das Designerinnen und Marketingexpertinnen vermutlich für besonders niedlich erachten). Ich tue mal nicht eingeschnappt und erwidere der Verkäuferin freundlich, ich wisse sehr wohl, dass das zwei unterschiedliche Größen seien – ich hätte halt zwei Säuglinge zu Hause. Ob sie mich versteht?
Den ultimativen Hinweis zu diesem Thema verdanke ich übrigens meinem ältesten, damals erst sechsjährigen Sohn (!). Auf den Seitenrändern der Deckel von Babybrei-Gläschen finden sich Pfeile, um die richtige Richtung für das Öffnen zu markieren. Ich wollte es nicht glauben, durchforstete die Küche nach vergleichbaren Verpackungen – doch weder Honiggläser noch die Behältnisse für Preiselbeeren, saure Gurken, Erdnussbutter oder Perlzwiebeln wiesen diese Hilfestellungen auf. »Papa, warum ist nur auf diesen Gläsern draufgemalt, in welche Richtung man die aufschraubt?« Doch wohl nicht, weil sie zumeist von Müttern gekauft werden?