MÜTTER DER NATION
Es wäre übers Ziel hinausgeschossen, würde man generell behaupten, Mütter seien scheue Wesen. Sicherlich gibt es immer mal wieder einige, die in der Zurückgezogenheit der häuslichen Idylle ihr zufriedenes Dasein fristen, die Mann und Kinder rund um die Uhr umsorgen und ansonsten den Gang der Weltgeschichte nicht weiter behindern. Aber von diesen dankbaren Geschöpfen einmal abgesehen, treffen wir Mütter in der Öffentlichkeit durchaus selbstbewusst immer wieder in kleinen Grüppchen an, die sich vor Kindergärten und Schulen, in der Sauna, vor dem Yogastudio oder im Kassenbereich des Bioladens sammeln (»Darf ich mal? Danke …«). Und dann gibt es da noch eine weitere Kategorie von Müttern, die so sehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, dass wir mit dem Begriff der Scheuheit nicht weiterkommen. Sie ahnen es: Es handelt sich um die viel beschworenen Mütter der Nation. Die einen mögen jetzt an Ursula von der Leyen denken, ich selbst möchte der Globalisierung Tribut zollen und zugleich auch Sarah Palin erwähnen, die Ex-Gouverneurin von Alaska.
Jetzt werden Sie sagen, dass zwischen diesen beiden doch erhebliche Unterschiede zu erkennen sind. Das räume ich auch freimütig ein, und um gleich den wohl markantesten Unterschied zwischen beiden in einem Bild zu fassen: Bei allen politischen Differenzen hätte ich nie die Sorge, Ursula von der Leyen könnte mit einem entsicherten Sturmgewehr in den Händen durch den Wald laufen. Bei Sarah Palin bin ich … äh … also … da … da müsste man vielleicht den Kontext sehen, um zu verlässlichen Aussagen zu kommen. Schließlich ist es in Alaska oft lange dunkel, und kalt ist es auch, und irgendwie sind das Leben und auch die Menschen irgendwie – sollen wir sagen: natürlicher? Jedenfalls hat die Ex-Gouverneurin einmal in einem Interview als ihre Lieblingswaffe das »Sturmgewehr« bezeichnet (eine republikanische Präsidentschaftskandidatin nannte übrigens auf diese Frage »Die Bibel. Und viel Geld« – vor dieser Kombination in den Händen einer solchen Frau habe ich mindestens so viel Angst wie vor Frau Palin und ihrem Sturmgewehr).
Aber es soll uns nicht um die Waffe einer Frau gehen, sondern um das Politische an ihr, also an der Frau. Denn die, nämlich Sarah Palin, hat gesagt: »Eine Mutter weiß am besten, was unser Land braucht.« Wer jetzt lacht und denkt: Na ja, die Wahl zwischen Keksen und Kuchen ist so schwer nun auch nicht, der hat den Ernst der Stunde immer noch nicht verstanden. Denn in den USA haben Mütter mit solchen Aussprüchen längst Konjunktur – und machen damit Politik. Die konservative Mittelschicht hat die sogenannten Grizzly Moms hervorgebracht, die ihren Kampfnamen als Ehrenbezeichnung verstehen, weil sie wie die Bärenmütter gegen alles kämpfen, was schlecht oder bedrohlich für ihren Nachwuchs ist. Gegen die in ihren Augen zu laschen Waffengesetze etwa. Klar – auch die Kleinen sollen später ja einmal ballernd durch den Wald laufen können. Diese Mütter halten sich für politisch kompetent, weil sie eine Familie organisieren können. Was ist dagegen die Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit? Das Stopfen eines Haushaltsloches? Ein Angriff auf den Irak? Na? Nichts ist das dagegen, sagen die Grizzly Moms. Ich habe fünf Kinder großgezogen, und aus allen ist was geworden, weil alle fünf heute ein Sturmgewehr bedienen können. Also kann ich auch Präsidentin werden. Noch Fragen?
Wem jetzt ein wenig bang ums Herz wird, der wird vielleicht verstehen, warum ich Ursula von der Leyen so mag. Die ist nämlich keine Grizzly Mom. Nicht einmal ein richtiger Grizzly ist sie (gut, wenn man ihre Amtsnachfolgerin manchmal im Bundestag sitzen sieht, könnte man meinen, die Bundesarbeitsministerin habe der neuen Bundesfamilienministerin auf dem Weg in den Plenarsaal noch einmal freundlich mit der Tatze ein paar ordentliche Kratzer mitgegeben), sondern einfach eine gute Mutter und gute Politikerin. Weil sie beides gut macht, wurde sie in Deutschland zunächst einmal mächtig angefeindet (ich gebe zu, ich fand Ursula von der Leyen allein schon deshalb irgendwie toll, weil alle an ihr herummäkelten). Gut, am Anfang hat sie sich mächtig mit ihren sieben Kindern ablichten lassen, mit Pony und Lämmchen und ebenfalls erfolgreichem Ehemann – so viel Selbstbewusstsein ist für eine deutsche Mutter denn doch zu viel. Die einen (die sie politisch wieder loswerden wollten) warfen ihr vor, tendenziell eine Rabenmutter zu sein, die anderen (die verärgert waren, weil sie in von der Leyens doppeltem Erfolg ihre eigene Begrenztheit gespiegelt sahen) warfen ihr vor, dass sie das alles nur dank ihres Personals schaffe: »Möchte nicht wissen, wie viele Kindermädchen die beschäftigt« – als sei das in irgendeiner Form strafwürdig.
Doch wir wollen die Sache von der heiteren Seite sehen. Und dabei muss ich sofort an Frau Gaschke denken, die in der »Zeit« dem bildungsbürgerlichen Publikum erklärt, was an Frauen und Männern und den ausbleibenden Kindern dran ist. Jedenfalls beschrieb Frau Gaschke eines Tages – als es in Deutschland noch eine CDU-SPD-Koalition auf Bundesebene gab – auf der ersten Seite der »Zeit« ein zumindest für mich erstaunliches Phänomen der politischen Kultur in unserem Lande: »Die Familienpolitik der Großen Koalition ist ein Glücksfall für Zehntausende von Paaren, die in den vergangenen drei Jahren endlich aufhören konnten, zu hadern und abzuwägen und zu streiten und endlos zu diskutieren. Die sich entschlossen haben, zu Familien zu werden.« Da gab es also Männer und Frauen in diesem Land, die an Merkel und Steinmeier dachten und dann ganz wild aufeinander wurden, die Treppe hinaufstürzten und anschließend sofort … Na-Sie-wissen-schon. Ist das nicht toll? Da verbinden sich Politik und Leidenschaft doch in einer nie geahnten Form! So gesehen wird gerade beim Thema Mütter (und Kinder) endlich mit der Mär aufgeräumt, wonach Politik nichts verändere (oder verändern könne). Stimmt also gar nicht!
Aber wir wollen die Sache ja von der heiteren Seite sehen – weshalb ich jetzt zu der eigentlich spannenden Frage komme, wie es denn wirklich wäre, wenn die Mütter die Politik endlich so organisieren würden, wie sie es von zuhause gewohnt sind? Wenn wir Frau Palin zwar nicht in der Waffenfrage, aber zumindest dahingehend folgen würden, dass ein Land auch nur so etwas wie eine – zugegebenermaßen etwas größere – Familie ist? Wie würde denn eine Mutter von der Leyen den Haufen zusammenhalten, in diesem Fall: die Bundesminister bei einer Kabinettssitzung? »Jetzt aber alle mal hinsetzen! Und der kleine Philipp ist mal nicht mehr so zappelig und versucht, einfach mal drei Minuten ganz stille zu sein und sich nicht wieder in die Euro-Spiele von Wolfgang einzumischen, ja? Der guckt nämlich schon wieder so grimmig, und ich will nicht, dass ihr euch wieder prügelt. Und die liebe Annette lässt mal für einen Augenblick den Keksteller stehen – danke schön, Annette. Und Guido? Hör doch bitte, bitte endlich auf zu heulen, das ist ja nicht mehr zum Aushalten. Und leg dieses alberne Taliban-Spielzeug weg, das finden wir wirklich nicht lustig.« Hört sich doch gut an, oder? Und aus dem nicht weit entfernten Schloss Bellevue wäre noch vor gar nicht langer Zeit die Stimme der jugendlich wirkenden damaligen First Mom herübergeweht: »Christian, du weißt schon: Du darfst mit den schönen Sachen spielen, aber behalten können wir sie nicht. Nein, das haben wir vorher besprochen. Der nächste Präsident darf damit spielen, wenn wir dann wieder nach Großburgwedel ziehen.« Pause. Der Knabe muss nachdenken. Deshalb eine etwas längere Pause. Noch einmal kurz nachgedacht. Und dann Tränen: »Buuaah!! Dann müssen wir ja auch aus dem schönen Schloss ausziehen, buuaahh!«
Schauen wir noch kurz bei den Parteien herein. Im Haus der Opposition sitzt Mama Andrea und versucht, die traditionell streitenden Jungs der Familie auseinanderzuhalten, die sich gerade ausnahmsweise einmal zusammengerauft haben, allerdings um nun gemeinsam »Dickie« zu ärgern. Der steht wieder mal allein da. »Sigi, du musst deutlicher sprechen, wir verstehen alle nicht, was du eigentlich sagen willst.« Im Nachbarhaus wird gerade der kleine Streber für alle überraschend beim Abschreiben erwischt: »Karl Theodor – hab ich das gerade richtig gesehen? Was? Und dann lügst mich auch noch frech an, dass du das nicht warst? Und hör endlich auf zu grinsen, wenn ich mit dir rede.« Und während alle nur auf diesen Harry Potter für Arme schauen, macht sich der stille Horst wieder unerlaubterweise an die Mädchen ran. Tiefer Frieden herrscht eigentlich nur bei der Linken. Dort macht der kleine Oskar brav eeiiih, eeiiih bei der süßen Sarah, die daraufhin aus Versehen mal lächelt – und alle haben sich lieb.
Das mit dem Haushaltsdefizit und dem Euro hätte so eine Mutter vermutlich auch schnell mit daheim bewährten Mitteln in den Griff bekommen. Mehr noch: Die Griechen wären bei ihr gar nicht erst in die Währungsunion hineingekommen, weil eine an jahrelanger Hausaufgabenbetreuung geschulte Mutter auf Anhieb den Schwindel bemerkt hätte. »So, mein lieber Konstantinos, das nennst du eine ordentliche Rechenaufgabe? So kalkuliert man doch keinen Haushalt. Da gehst du aber schön zurück in dein Zimmer und machst das aber alles noch einmal neu, verstanden?« Und die verspielten Ackermanns von den Banken und Börsen würden von einer gewissenhaften Mutter beizeiten eins auf die Finger bekommen: »Josef, lass das, dir gehört nicht alles. Das Geld ist für alle da, was hast du nur davon, wenn das alles nur bei dir ist? Sei nicht so gierig. So, und Schluss jetzt, gib den anderen das Geld wieder, räum auf und wasch dir die Hände fürs Abendessen.« Ja – wie schön könnte das sein. »Mehr Demokratie wagen«, träumte einst Willy Brandt – aber der war ja bekanntlich auch nur ein Mann. Ich würde einen Schritt weitergehen und fordern: Mütter an die Macht! Schluss mit lustig! Jetzt wird aufgeräumt! Und Zähne putzen nicht vergessen!