Das allererste Mal

 

Verona und ich trafen uns bei mir. Natürlich stylten wir uns auf: etwas Rouge, etwas Lippenstift, je nach Outfit rot oder braun, das waren die Farben unserer Lippen. Irgendwann kam dann der Lipgloss zu unseren Favoriten dazu. Und nicht zu vergessen: Kajal und etwas Wimperntusche. Wobei; bei Verona durfte es etwas mehr sein, denn ihre Wimpern sind von Natur aus fast weiß, so hellblond ist sie. Na ja, zum Glück kann man da mit Make-up viel nachhelfen. Allerdings musste sie immer sehr aufpassen, die Tusche nicht zu verschmieren. Aber genau das passierte an diesem Abend.

Wir gingen zunächst gut gelaunt auf dieses Weinfest.

Trafen in einem Winzerhof nette Leute, die wir kannten und gesellten uns zu ihnen. Eigentlich verweilten wir den ganzen Abend dort, denn es lag eine angenehme Atmosphäre in der Luft. Ich fühlte mich die ganze Zeit sehr wohl, nur Verona nicht. Plötzlich war sie weg. Ich dachte mir gar nichts Schlimmes dabei, vielleicht hatte sie einfach jemanden aufgegabelt und flirtete irgendwo mit ihm. Zu der Zeit war sie ja tatsächlich Single. Sie wird schon wieder kommen, dachte ich mir, und so war es auch. Sie kam zu mir: »Können wir mal auf die Toilette gehen?«, fragte sie mich.

Natürlich willigte ich sofort ein und auf dem Weg zum Toilettenwagen hatte ich einen Geistesblitz. Sie hat gerade ihr erstes Mal erlebt! Ich hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da liefen auch schon die Tränen. Die Wimperntusche war plötzlich total egal. Sie hatte ihr erstes Mal ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Auf einer nassen Wiese, unromantisch, sie fühlte sich ausgenutzt. Das hat sie erst Jahre später zugegeben. In diesem Moment wollte sie das nicht wahrhaben. Sie verstand gar nicht, warum sie das zugelassen hatte. Wahrscheinlich dachte sie nach dem Akt erst wieder nach. Sie sagte zu diesem jungen Mann, dass es ihr erstes Mal war, und er erwiderte: »Meins auch!« Heute wissen wir beide, dass er schon zig Mädels flach gelegt hatte. Aber das war eben der Unterschied zwischen Verona und mir: Ich hätte solange hin und her überlegt, bis der Junge das Interesse an mir verloren hätte. Und Verona handelt oftmals erst, bevor sie denkt.

Nun ja, jetzt war der Schlamassel halt passiert. Das erste Mal und direkt ein One-Night-Stand. Sie übernachtete bei mir, wie so oft, und dieses Mal war Trösten angesagt. Angeblich sei ich eine gute Trösterin, und dieses Talent brauchte ich an diesem Abend auch. Wenn es mir schlecht geht, kann mich niemand trösten, aber ich freue mich, wenn ich wenigsten meinen Freunden helfen kann.

 

Am nächsten Morgen: die nächsten Tränen. Ich redete mit ihr, versuchte ihr klarzumachen, dass es nun mal passiert war. Sie konnte nichts mehr an der Situation ändern. Da war auch diese Angst, es ihrer Mutter zu beichten. Sie hatten eben eine starke Bindung zueinander und abgemacht, darüber zu reden, wenn dieses besagte erste Mal passiert war.

Nun sorgte ich erst mal für eine gemütliche Stimmung. Ich zündete Kerzen an. Ganz viele auf einem Tisch. Und obwohl ich nicht besonders gläubig bin, bezeichnete ich diesen Tisch als unseren Altar. Ein Liebeskummeraltar, wenn man ihn so nennen mag. Ich knipste das Licht aus. Die Stimmung im Raum wurde angenehmer. Nicht so grell, so scharf, so schmerzend. Sie erzählte mir alles, was passiert war, wie es passiert war, bis ich auf die Idee kam, zu beten. Ich und beten. Verrückt, aber es half. Ich glaube, Verona hat es sehr geholfen. Und ich sagte ihr noch etwas ganz Wichtiges, etwas, das von Herzen kam: »Man hat zwar nur einmal im Leben das allererste Mal, aber mit jedem neuen Partner ist es erneut ein erstes Mal.« Das ist meine ehrliche Überzeugung.

Schließlich spreche ich aus Erfahrung. Ich muss dazu sagen, dass ich überlegter handelte als Verona, sparte mich lange auf, denn mein erstes Mal sollte kein One-Night-Stand werden. Nein, mein erstes Mal hatte ich mit 20 Jahren. Francois war der Glückliche. Na ja. Es war für uns beide das erste Mal. Das traf sich gut, denn wir waren beide gleich unerfahren. Es war besser, als wenn mich ein Erfahrender entjungfert und sich noch total viel darauf eingebildet hätte.

Das allererste Mal soll ja etwas ganz Besonderes sein. Jeder sagt das. Das allererste Mal, wenn ein Mädchen zur Frau wird. All solche Sprüche und romantischen Vorstellungen, die sich die Leute ausmalen.

Na ja, ein bisschen ließ ich mich schon von dem Gequatsche beeinflussen.

Ich schleppte einen Karton Kerzenständer an. Ein paar leckere Häppchen, natürlich eine Flasche Sekt und baute in Francois Zimmer eine Liebes-Oase auf. Heute sollte es geschehen. Das allererste Mal. Stefania hatte es mit Felipe schon hinter sich gebracht. Sie war schon erfahrener.

Nun ja, dann konnte es ja losgehen. Die Liebes-Landschaft in seinem Zimmer war irgendwann ganz egal. Und wir waren auch beide gar nicht verkrampft. Zumindest war das beim Vorspiel so. Allerdings, als es zur Sache ging …

Es dauerte nicht lang. Nun lagen wir da aufeinander. Keiner sagte was. Bis ich dann herausbrachte: »War das zu kurz? Sollen wir etwa noch mal?«

»Ich glaube, für das erste Mal waren wir gut«, gab er entkräftet zur Antwort.

 

Mein zweites erstes Mal mit Mark gestaltete sich ganz anders. Es war nicht geplant und auch da interessierte uns die oasenartige Liebeslandschaft im Raum nicht, denn es gab keine. Und es war viel besser. Es war eben spontan und wir hatten beide schon ein bisschen Erfahrung, was die Sache erleichterte.