Sturmfrei oder Knast?

 

Die nächsten beiden Wochen wurden zu einer wahren Probe für mich. Meine Eltern waren mit meiner Schwester in den Urlaub gefahren, und ich hatte sturmfreie Bude, über die ich mich eigentlich hätte freuen müssen. Wenn man aber einen Freund hat, den man eigentlich nicht will, dann ist es nur halb so toll.

Zweimal kam er völlig unerwartet. Einmal sogar, als meine Eltern noch da waren. Ich schlief gerade. Plötzlich weckte mich meine Mutter: »Mark ist da.« Na toll! Ich war noch total verschlafen und mir war schwindelig. Mir blieb aber nichts anderes übrig, als schnell ins Bad zu gehen und mir wenigstens die Zähne zu putzen, um diesen Geschmack aus dem Mund zu bekommen.

Vielleicht hätte ich ihn lieber mit meinem Mundgeruch verscheuchen sollen!

Als ich dann vor ihm stand – es war schon nach 20:00 Uhr – fiel mir nur ein: »Wir könnten doch ins Kino gehen.« Ich wollte einfach nicht mit ihm allein in meinem Zimmer vor der Glotze landen. Also gingen wir in die Spätvorstellung. Es war 2:00 Uhr nachts, als der Film vorbei war. Trotzdem. Das war noch mal gut gegangen.

Das zweite Mal stand er unangekündigt vor meiner Tür, als meine Eltern schon im Urlaub waren. Es war Samstag, und ich ahnte, dass Mark kommen würde. Um der Situation aus dem Wege zu gehen, erneut mit ihm alleine vor der Glotze zu sitzen, rief ich Benni an. Ich bat ihn, ganz spontan vorbei zu kommen. Natürlich habe ich Benni eingeweiht.

Als es kurz nach dem Anruf klingelte, rannte ich freudestrahlend zur Tür, um Benni zu empfangen. Es ist gut, einen Kumpel zu haben, der einspringt in der Not. Gott sei Dank! Doch als ich die Tür öffnete, verzog sich mein Gesicht spürbar, denn zu meinem Entsetzen stand Mark dort. Meine negative Reaktion hat er nicht bemerkt, denn er drückte mir mit vollem Eifer einen dicken Kuss auf die Lippen. Super! Danke auch! Ich war völlig überfordert. Auch das noch. Er war eben schneller. Seltsam. Er kam sonst immer zu spät, nur an diesem Abend war er natürlich viel eher da, als ich erwartet hatte. Doch ein kleiner Trost blieb mir: Benni musste ja jeden Moment kommen.

Als er dann schließlich da war, schaute auch er überrascht, als er Mark im Wohnzimmer sah, auch wenn ich ihn im Flur so unauffällig wie möglich vorgewarnt hatte. Wahrscheinlich war es so unauffällig, dass er es nicht bemerkt hat. Komisch, wenn ich sonst versuche, etwas heimlich von mir zu geben, bemerkt es immer sofort jeder. Zum Beispiel sagte ich auf einer Party mal zu meiner Freundin Stefania, dass Tom, ein Junge, der mal auf mich stand, bestimmt gut im Bett sei. Natürlich musste er genau hinter mir stehen und jedes Wort mitbekommen. Ich hätte es von selbst nicht einmal bemerkt, wenn Stefania mir nicht so einen schockierten Blick zugeworfen hätte. Tom jedenfalls fühlte sich sicherlich so überrumpelt, dass er seitdem keinen mehr hoch kriegt, wenn er an mich denkt. Aber ich versuche, nicht mehr daran zu denken. Ich verdränge solche peinlichen Situationen lieber.

Wir sind dann an diesem Abend zusammen tanzen gegangen. Auf eine Bauerndisco, um genau zu sein – so nennt man das bei uns auf dem Land. Der Abend wurde eigentlich ganz schön. Es waren ja meine Freunde mit dabei.

Unter der Woche verriegelte ich ab dann das ganze Haus. Ich wollte überraschende Besuche vermeiden. Davon hatte ich erst mal genug. Da ich allein war, musste ich mir was einfallen lassen. Niemand sollte merken, dass ich zu Hause war. Kein Licht durfte nach draußen schimmern, keine laute Musik auf den Flur schallen, die er vor der Haustür hätte hören können. Keine Geräusche. Ich schloss das Hoftor ab, ich machte alle Läden dicht, so dass man von außen tatsächlich kein Licht durchschimmern sehen konnte. Ich machte mich sozusagen unsichtbar, für den Fall, dass er kommen würde. Ich musste ja schließlich jetzt immer mit unerwartetem Besuch von ihm rechnen. Ich weiß nicht, ob er wirklich jemals da war. Ich hatte ja schließlich das Tor abgeschlossen, so dass er nicht auf den Hof, nicht an die Haustür und nicht an die Klingel kam. Wie ein Mondmensch lebte ich im Dunkeln vor mich hin. Doch eines Tages gab es eine Wende. Alles änderte sich ¼