Kapitel 32

Als ich zu mir komme, ist es Tag. Meine Hand fliegt an meinen Kopf, und ich stöhne. Unter meinen Fingern ist eine dicke Beule, die wehtut, wenn ich sie berühre. Für einen Moment kann ich mich nicht erinnern, warum. Dann sehe ich Titus neben seinem Grizzlybären hocken. Er schärft sein Messer an einem Stein. Das ständige Wetzen verursacht mir Kopfschmerzen.

Er hört auf und schaut herüber. Ein träges Lächeln legt sich auf sein Gesicht. »Du bist wach«, sagt er, als seien wir alte Freunde und nicht ein Mann und das Mädchen, das er bewusstlos geschlagen hat. »Du hast da drüben seit über einer Stunde gestöhnt. Ich dachte, du würdest nie mehr aufwachen.« Er zeigt sich mit der Messerspitze an die Stirn. »Das mit dem Schlag tut mir leid.«

Als ich mich umschaue, bemerke ich sechs andere Männer, die schlafen. Sie liegen wie Fallschirmspringer auf dem Sand ausgebreitet. Alle bis auf einen, der sich ganz klein zusammengerollt hat. Es ist ein seltsamer Anblick, wenn man bedenkt, dass er dreihundert Pfund wiegen muss.

Ich ziehe mich hoch und schlinge die Arme um mich.

»Ich habe dein Gerät und dein Messer an mich genommen«, sagt Titus. »Und deine Feldflasche.« Titus steht auf und kommt auf mich zu. Ich weiche zurück, als er sich vor mich hockt. »Oh ja. Und deinen Pandora.«

Er zeigt mit dem Messer über meine Schulter.

Ich wirbele herum und sehe mindestens ein Dutzend Pandoras. Schnell lasse ich den Blick über sie wandern. »Madox!«

Ich krieche auf meinen schwarzen Fuchs zu, aber Titus packt mich an den Beinen und zieht mich zu sich hin. Er zerrt mich auf die Füße und presst seine Stirn gegen meine. »Wir werden dich wohl etwas brechen müssen.«

Ich zucke mit meinem Kopf zurück und sehe zu meinem Pandora. Er hat ein Seil um den Hals, das an einen Baum gebunden ist. Viele der kleineren Pandoras sind genauso gefesselt. Die Trigger müssen all ihre Seile aus den orangefarbenen Rucksäcken verwendet haben, um diese Geschöpfe gefangen zu halten. Einige Pandoras sind nicht gefesselt, und ich frage mich, warum sie nicht fliehen. Unter ihnen ist Titus’ Grizzly, der vermutlich aus Loyalität zu seinem Kandidaten bleibt. Aber die gestohlenen Pandoras sollten keine derartige Loyalität verspüren.

Pandoras wie Levis Widder, G-6.

Die meisten der Tiere haben Peitschenstriemen quer über Schnauze und Torso. Selbst der Bär hat eine große Wunde in der Bauchgegend, die infiziert zu sein scheint. Als ich die Fleischwunde sehe, fällt mir wieder ein, dass das Tier ähnliche Verletzungen hatte, als Titus mit uns unterwegs war. Damals habe ich angenommen, die Verletzung stamme aus dem Kampf mit anderen Pandoras. Aber jetzt bin ich mir sicher, dass es Titus’ Werk ist, dass er seinen eigenen Pandora misshandelt. Obwohl der Bär mich extrem nervös macht, durchzuckt mich unwillkürlich Kummer.

Madox scheint Gott sei Dank unverletzt zu sein. Überraschenderweise wehrt er sich nicht gegen das Seil. Es ist, als wisse er genau, dass er Titus nicht verärgern darf. Es scheint, dass alle Pandoras das Gleiche denken.

Schreck ja nicht den Psycho auf.

Ich beschließe, das zu meinem persönlichen Motto zu machen.

»Ist meine Sammlung nicht toll?« Titus drückt mir die Nase an die Wange. »Und jetzt habe ich meiner Ausstellung ein weiteres Exemplar hinzugefügt.« Ich denke, er meint Madox, aber als er mir mit der Hand über den Nacken streicht, wird mir klar, dass er in Wirklichkeit mich meint. »Es ist gut, dass mein wertvollster Besitz zu dem besten Pandora auf dem Markt gehört.«

Er lässt mich los und zeigt auf den Wipfel des Baumes. »Siehst du, was ich sonst noch aufgelesen habe?« Ich schaue hoch und entdecke RX-13 in den Zweigen, ein Seil um ihr Bein geschlungen. »Dieses Miststück von Harper braucht ihn bestimmt nicht mehr.«

Ich will den Kopf wenden, um Titus anzusehen, sehen, ob er die Wahrheit sagt, aber stattdessen versuche ich, mich nicht zu bewegen. Er will mich provozieren, aber den Gefallen werde ich ihm nicht tun. Ich weiß, dass sie Harper nicht getötet haben. Sie können sie nicht getötet haben.

Oder doch?

Titus geht zu seinen Männern und tritt jedem einzelnen in die Rippen, bis sie aufwachen. Sie beschweren sich nicht einmal. Sie stehen nur auf und sehen Titus an, damit er ihnen sagt, was sie tun sollen. »Das sind die Trigger«, erklärt er. »Aber das habe ich dir ja schon gesagt, nicht?« Er nickt vor sich hin. »Aber habe ich dir auch erzählt, dass wir dir gefolgt sind, seit das Wüstenrennen begonnen hat? Ich habe zu meinen Jungs gesagt: Bleibt bei mir, denn ich kenne ein Mädchen und ihren Fuchs, die dieses Ding für uns gewinnen können. Und dann werden wir uns das Heilmittel teilen.«

»Das kannst du nicht«, entgegne ich. »Das Mittel rettet nur ein Leben.«

»Wer sagt das? Eine Stimme aus einem kleinen Apparat?« Er kratzt sich mit der Messerspitze am Kopf und zerzaust sein zurückgegeltes, blondes Haar. »Wenn ich gewinne, werde ich dafür sorgen, dass meine Männer gut versorgt werden.«

Obwohl ich weiß, dass er gefährlich ist, frage ich mich automatisch, ob er recht hat. Kann man das Heilmittel teilen? Können die Regeln geändert werden? Als ich in Titus’ dunkelbraune Augen blicke, weiß ich, dass er diesen Menschen nicht helfen wird, selbst wenn es möglich ist.

»Tella, hör zu. Ich weiß, dass du jetzt vielleicht sauer bist, aber du wirst einsehen, dass du ohne mich keine Chance hast, das Mittel zu gewinnen. Du wirst mich mögen lernen. Teufel, du wirst vielleicht sogar lernen, mich zu lieben.«

»Wenn du das glaubst«, knurre ich, »dann bist du noch dümmer, als ich dachte.«

Titus deutet auf Madox. »Dumm wie ein Fuchs.«

Seine Männer – die Trigger – lachen, als sei es das Komischste, was sie je gehört haben. Bis auf den großen Kerl, der so schläft wie ein verängstigtes Kind. Er lächelt, aber er lacht nicht. Ich frage mich, ob ich mich mit ihm verstehen könnte. Ob er mir vielleicht helfen würde zu fliehen. Aber ich verwerfe die Idee schnell wieder. Einem Menschen, der sich auf die Seite von Titus schlägt, kann ich nicht vertrauen.

»Durst?«, fragt Titus und hält zwei Feldflaschen hoch. Eine davon ist vermutlich meine. Kurz überlege ich, sein Angebot abzulehnen. Ich will nichts von ihm annehmen. Aber wenn ich diesen Tag, diese Hitze, überleben möchte, dann muss ich klug sein. Ich nicke. Er reicht mir eine Flasche und sagt: »Wir wussten nicht, was zum Teufel wir machen sollten, um an Wasser zu kommen. Wie gut, dass ihr einen Pandora hattet, der es erzeugen kann, oder wie auch immer man das nennen will.« Er rümpft die Nase. »Obwohl es kein Vergnügen war, nach euch zu trinken. Es war sogar ziemlich ekelhaft.«

»Wie werdet ihr jetzt Wasser finden?«, frage ich, nachdem ich aus meiner fast leeren Feldflasche getrunken habe.

Titus lächelt. Seine Zähne wirken zu groß für seinen Mund, aber sie sind beängstigend gerade und strahlend weiß und kein unangenehmer Anblick. »Ich schätze, wir werden schnell das Basislager finden müssen.« Er greift nach meiner Feldflasche, und ich drücke sie ihm in die Hand. Hinter uns beginnen die Männer die Pandoras loszubinden. Ich höre ein Tier ächzen und fahre herum. Einer der Männer – der an einer schweren Akne leidet – tritt einen Hirsch in die Beine.

»Hör auf damit«, brülle ich, aber der Mann tritt weiter auf das Tier ein. Ich drehe mich zu Titus um und sage: »Halt ihn auf oder ich bringe dich um. Ich schwöre bei Gott, ich bringe dich um.«

»Oh, da habe ich aber Angst.« Titus tut so, als würde er zittern, während ich mir vorstelle, ihm ein Messer in die Brust zu rammen. Er sieht zu dem Mann hinüber, der den Pandora misshandelt, und sagt: »Also schön, hör endlich auf, das Ding zu schlagen. Wir haben Gesellschaft. Benehmt euch, Leute.«

Als Aknegesicht Madox losschneidet, laufe ich zu ihm hinüber und nehme den Fuchs auf die Arme. Madox drückt sich an mich, und ich flüstere ihm ins Ohr: »Ich werde nicht zulassen, dass sie dir wehtun.«

»Wie rührend.« Titus zieht sich zwei Feldflaschenriemen über den Kopf. »Jetzt lasst uns gehen. Unser Ziel sind diese Felsen. Da wolltet ihr doch auch hin, richtig?«

Ich möchte ihn in die falsche Richtung führen, aber andererseits möchte ich auch wieder zu meiner Gruppe zurück. Um wieder bei Guy zu sein. Da ich weiß, dass Titus wahrscheinlich ohnehin nach Norden gehen wird, beschließe ich so zu tun, als sei ich leicht zu brechen, und sage ihm die Wahrheit. »Ja, wir dachten, dass das Basislager vielleicht hinter diesen Felsen liegt.«

»Wunderbar«, erwidert er. »Lasst uns abhauen.«

Die Männer bilden hinter ihrem Anführer eine Reihe, aber Titus besteht darauf, dass ich neben ihm gehe. Als seien wir gleichberechtigt. Als seien wir Freunde. Als ob. Ich drücke Madox so fest an mich, dass er aufjault, und ich muss ihn herunterlassen. Unterwegs schaue ich mehrmals zu Levis Pandora hinüber. Der Widder hat Schnittwunden an der Schnauze, und eine seiner Kniescheiben scheint durch die Haut zu stoßen. Noch schlimmer als sein Anblick ist das Stöhnen, das das Tier beim Gehen von sich gibt. Tränen brennen mir in den Augen, als mir klar wird, dass der Widder es nicht mehr weit schaffen wird. Ich hasse Titus deswegen so intensiv, dass es mir fast Angst macht. Er mag kein Geschöpf außer seinem eigenen verletzt haben, aber diese Männer hören auf ihn, und er hat offensichtlich zugelassen, dass dies geschieht.

Während wir durch die schlimmsten Stunden des Tages wandern, frage ich mich, warum Titus das Risiko eingeht, zu laufen, während die Sonne am Himmel steht. Guy hat angenommen, dass die meisten Kandidaten nachts marschieren würden, aber Titus scheint fest entschlossen zu sein, das Basislager zu erreichen. Während ich ihn beobachte, wie er seine Feldflasche aufschraubt und einen Schluck nimmt, verstehe ich plötzlich, dass es einen Grund gibt, der nichts mit dem Gewinn, dem Heilmittel für die fünf Jahre zu tun hat: Uns geht das Wasser aus.

Die gestohlenen Pandoras sehen aus, als seien sie gewaltsam gefügig gemacht worden, aber ich bin immer noch neugierig, warum sie nicht versuchen zu fliehen. Es scheint beinahe so, als hätten sie ihre Aufgabe vergessen, sobald ihre Kandidaten außer Sicht waren. Als hätten sie sich in Zombietiere verwandelt oder so was. Während ich beobachte, wie Madox mit hängender Zunge durch den Sand trottet, schwöre ich mir, niemals zuzulassen, dass ihm das geschieht.

»Genießt du das Wetter?«, fragt Titus. Selbst verschwitzt und verdreckt ist er nicht unattraktiv. Seine Wrestlerfigur, die tief liegenden Augen und das weizenblonde Haar machen ihn genau zu dem Typ, auf den meine beste Freundin Hannah abfahren würde. Aber man braucht keinen Röntgenblick, um zu sehen, dass er innerlich vor Bosheit nur so strotzt.

»Es ist toll«, antworte ich gleichmütig. Wenn ich nett bin und bis heute Abend durchhalte, dann kann ich vielleicht fliehen, während sie schlafen. Selbst wenn sie wie wir schichtweise Wache halten, habe ich eine bessere Chance auf Flucht, wenn ich nur einen Gegner habe. »Wie sieht dein Plan aus, wenn wir das Basislager erreichen?«, frage ich und versuche, nett zu wirken. »Du weißt, dass meine Freunde es dorthin schaffen werden. Und sie werden es nicht zulassen, dass du mich festhältst.«

»Ich brauche keinen Plan. Wenn wir das Basislager erreichen, wirst du begriffen haben, dass du zu uns gehörst.«

Wohl kaum.

»Wir werden sehen.«

Titus lässt ein weiteres Tausend-Watt-Lächeln aufblitzen. Er denkt, ich sei offen für die Idee. Ich kann es an seiner überheblichen Miene ablesen. Warum ist es ihm so wichtig, dass ich mich ihnen freiwillig anschließe? Diese Frage nagt an mir. Er hat doch bereits mich und meinen Pandora in Besitz genommen.

Ich spüre, wie mir jemand in den Hintern kneift.

»Was zum Geier?«, brülle ich und wirbele herum. Die Männer machen ein unbeteiligtes Gesicht und schauen nach vorn. Titus bleibt stehen, und die Zinnsoldaten auch.

»Was ist passiert?«, fragt Titus.

Ich mustere die Männer und suche nach einem Hinweis, wer es war. Dann sehe ich Titus an. Er runzelt verwirrt die Stirn, und er ist zu weit weg, um es gewesen zu sein. Ich möchte es ihm sagen, aber ich habe Angst, dass es A) Aufregung verursacht, die ich nicht brauche, und dass ich B) meine Mission Flucht mitten in der Nacht vergessen kann. Für den Moment muss ich so tun, als würde ich überlegen, mich ihnen anzuschließen. Und dazu gehört es, so zu tun, als würde mich so etwas nicht stören. Also heuchle ich Gleichgültigkeit.

»Nichts«, sage ich und versuche, das Gift in meiner Stimme zu verbergen. »Die Jungs haben nur rumgealbert.« Ich lächle nicht. Ich lache nicht. Beides könnte sie warnen. Titus mag verrückt sein, aber er ist nicht dumm. Ich zucke nur mit den Schultern, als sei es keine große Sache, und gehe weiter.

Überraschenderweise hakt Titus nicht nach. Aber ich sehe, wie er seine Männer ansieht, bevor ich mich abwende.

Nachdem wir eine weitere Stunde marschiert sind – und Titus plappert, als befänden wir uns auf einem ersten Date –, beginnt Madox zu winseln. Titus hält die Hand hoch, und alle bleiben stehen. »Was hat er?«, fragt er.

Ich gehe zu meinem Pandora, aber das trägt nicht dazu bei, seine Nerven zu beruhigen. »Ich weiß es nicht«, antworte ich ehrlich.

»Der kleine Fuchs ist völlig fertig«, spottet Aknegesicht von hinten. Die Männer lachen, aber es klingt gezwungen.

Titus gibt mit einer Handbewegung das Zeichen zum Weitergehen. Als ich ihm folgen will, bellt Madox. Einmal. Zweimal. Dreimal. Mit jedem Schritt, den ich mache, wird er aufgeregter, läuft mir um die Füße, stellt sich auf und legt mir die Vorderpfoten auf die Beine. Ich habe das Gefühl, als würde ich eine alte Schwarz-Weiß-Folge von Lassie sehen.

Was ist los, Mädchen?

Titus lässt uns wieder anhalten. Vor uns sieht alles ganz normal aus, aber Madox will nicht, dass ich weitergehe. Titus sieht Aknegesicht an und sagt: »Geh und check die Lage.«

Der Trigger scheint stolz darauf zu sein, dass Titus ihn und keinen anderen der fünf Männer gefragt hat. Er nickt und läuft an uns vorbei. Er sucht den Boden ab, hält Ausschau nach etwas, das meinen Fuchs in Panik versetzt hat. Dann dreht er sich zu uns um. »Ich sehe nichts«, ruft er zurück.

Titus zieht die Brauen zusammen. »Such weiter.«

Der Mann dreht sich um und macht einige weitere Schritte. Dann taumelt er und fällt.

Zuerst scheint es, als sei er nur über einen Stein oder so was gestolpert. Aber als er mit den Armen rudert, wird mir allmählich klar, dass es nicht daran liegt. Es sieht beinahe so aus, als würde er … versinken. Titus gibt den Männern hinter ihm ein Zeichen, und sie rennen an uns vorbei, um Aknegesicht zu helfen. Die Pandoras bleiben mit hängendem Kopf zurück. Ich mache einen Schritt, um den Männern zu folgen, aber Titus hält mich am Arm fest.

Er fragt: »Und, was ist es?«

Ein Mann mit breiten Schultern und langen Beinen dreht sich um. »Treibsand.«