Kapitel 21
Blaine blinzelte ungläubig. Christians Ticket in die Freiheit lächelte ihm mitleidig zu und löste sich dann in Luft auf. «Das darf doch nicht wahr sein.»
Er rannte durch das Zimmer zu der Stelle, wo die beiden Frauen eben noch gestanden hatten, und fuhr mit seiner Hand durch die Luft. Nichts. Nur Leere. Sie benutzten demnach keinen Unsichtbarkeitszauber.
Sie hatte ihn tatsächlich abserviert.
Unfassbar. Er hatte ihr vertaut und sie hatte ihn sitzen lassen. Sie hatte neben ihm gesessen, seinem sterbenden Freund in die Augen gesehen und geschworen, dass sie ihn nicht verraten würde und sie ihn retten wolle.
Sie hatte gelogen. Genau wie seine Mutter.
Hey Jungs, das Déjà-vu an der Bar gibt einen aus.
Wut kochte in ihm hoch und er fuhr herum. Aus seinen Poren quoll schwarzer Rauch, der ihm die Sicht vernebelte. Blaines Feuer entzündete sich, bis die Flammen gegen seine wunderschöne Decke brandeten und sie versengten. Verdammt. Wieso verlor er wegen Trinity so sehr die Kontrolle? Sofort drosselte er die Hitze, damit keine seiner kostbaren Habseligkeiten Schaden nehmen konnte. «Sprinkler.» Er würde sich doch nicht seine schöne Wohnung unter Wasser setzen.
Nigel reagierte und verschoss ein Dutzend winziger Klingen, die sich in den Köpfen der Sprinkleranlage verkeilten. «Ausgeschaltet.»
«Wo ist sie?», fragte Jarvis mit einem Blick auf die leere Couch. «Frischt sie ihr Make-up auf, oder was? Angelica ist jeden Augenblick hier.»
«Sie ist weg.» Blaine verdrängte den stechenden Schmerz in seinem Herzen. Trinity Harpswell war in seinen Augen kein menschliches Wesen mehr.
Jarvis ließ fluchend das Schwert sinken. «Du willst mich wohl veralbern.»
«Nein. Wir machen es allein.»
Jarvis umklammerte seine Waffe und spähte aus dem Fenster. «Bist du wahnsinnig? In weniger als fünf Minuten sitzen wir angekettet im Kessel der Schmerzen.»
«Angelica befindet sich außerhalb ihres Reviers. Wir können es mit ihr aufnehmen.»
Nigel lief zum Balkon. Seine Hände schwelten und seine Dolchklingen waren ausgefahren. «Du hast mit Trinity geschlafen, oder?»
Blaine stellte sich neben ihn und fachte seine Flammen an. «Jap.»
«War es das wert?»
Blaines Blick wanderte über die Skyline. Er dachte an Christian. «Eigentlich nicht.»
Jarvis gesellte sich zu ihnen. «Wollt ihr euch ernsthaft mit der Königin der Schmerzen anlegen?»
«Nein.» Blaine war klar, dass sie nichts gegen sie ausrichten konnten, und die Tatsache, dass er so wütend war, dass er gleich seinen Verstand verlieren würde, war seinen Kampffähigkeiten auch nicht förderlich. «Wir setzen sie fest, holen dann die Schwarze Witwe und bringen es zu Ende.» Und wenn er diese Trinity Harpswell erst einmal in die Finger bekäme, würde sie am eigenen Leib erfahren, wie gnadenlos ihn sein Training tatsächlich gemacht hatte.
«Na, eine schwarze Hexe zehnten Grades ruhigzustellen, die nur so ziemlich alle Zellen in unseren Körpern kontrolliert, dürfte ja ein Kinderspiel werden. Dazu braucht ihr mich ja sicher nicht. Ich gehe lieber ein bisschen malen.»
«Ach, komm schon, das wird lustig –» Draußen vor der Balkontür verbogen sich die Balkonstühle, als würden sie schmelzen. Himmel und Hölle. «Zufällig weiß ich ganz genau, dass ich Stühle aus Grafit und nicht aus Stahl bestellt habe –»
Die Stühle sprangen hoch in die Luft und stürzten sich auf die Männer. Einer der Tiefflieger traf Blaine in die Magengrube und ein Schaukelstuhl schlitzte ihm die Schulter auf. «Die haben mich verladen, ich will mein Geld zurück.»
Aber er würde sich seine Reklamation ebenso wie den «Trinity Harpswell finden und büßen lassen»-Plan, wohl für später aufheben müssen, denn die beiden Beistelltischchen mischten sich jetzt in das Geschehen ein. Aber sobald er mit den Balkonmöbeln fertig wäre, würde er –
Da hörte er ein schrilles Keifen.
«Ach nein, nicht Lassie», maulte Jarvis.
Es waren die Hunde. Schon wieder.
«Also, ich fände es wirklich schön, noch jemanden in der Familie zu haben, der meine Begeisterung für Kreuzstich teilt. Ich habe es immer als sehr bedauerlich empfunden, dass du nichts von meinen kreativen Genen abbekommen hast.» Trinitys Mutter bewunderte gerade einen riesengroßen Wandbehang, der das Foyer des protzigen Anwesens schmückte, das der Tod bewohnte. «Du weißt diese Schönheit gar nicht richtig zu würdigen. Das anzufertigen muss Jahre gedauert haben.»
Trinity wanderte ruhelos in der Lobby auf und ab und erwartete sehnsüchtig Reinas Rückkehr. Sie hatte sich auf die Suche nach dem Tod gemacht. Wie erwartet, hatte sich Olivia sofort für den Plan begeistern können, ihren Mann und gleichzeitig die Seele ihrer Tochter zu retten. Ein Deal mit dem Tod? Brillant.
Mit Freuden hatte sie sie zur Burg der Extremen Opulenz transportiert, wo der Tod seit dem Tag seines ersten lukrativen Vertragsabschlusses residierte. Damals hatte er das Geschäft des Sensenmannes übernommen.
Nun suchte Reina also den Tod. (Sie hatte ihnen geraten, nicht einfach ziellos umherzuwandern – nur für den Fall, dass der Tod heute wieder eine seiner Launen hatte, was immer das schon wieder zu bedeuten hatte.)
Trinity hatte diesen Prachtbau noch nie zuvor gesehen und unter normalen Umständen wäre sie sicher versucht gewesen, ein wenig im Reich des wohl mächtigsten existierenden Wesens (wie man’s nimmt ...) herumzuschnüffeln. Aber heute? Eher nicht.
Irgendwie fühlte sie sich unwohl. Wahrscheinlich hing das mit ihren massiven Schuldgefühlen zusammen, weil sie Blaine ihre Hilfe zugesichert und ihn dann verlassen hatte. Ihr Selbstwertgefühl war auf einem absoluten Tiefststand und von Blaine waren in Zukunft wohl auch keine Lobgesänge auf ihre innere Göttlichkeit mehr zu erwarten.
Aber das machte nichts, oder? Sie war sowieso keine heiße Kandidatin für den «Freundin des Jahres»-Pokal gewesen. Trotzdem ...
Sie fühlte sich wie ein überfahrenes Opossum.
Olivia strich versonnen über das Wandbild. «Kann Blaine auch Kunststicken? Es wäre so schön, jemanden zu haben, mit dem ich nach dem Essen am Feuer sitzen kann, während du mit deinem Vater die Küche aufräumst. Ob er wohl seine eigenen Muster entwirft?»
Trinity sank auf eine goldene Bank. «Mama, er wird mich nicht heiraten. Ich habe ihn auf die schlimmstmögliche Art betrogen.»
«Es wird Blaine sicher freuen, dass du ihn nicht umgebracht hast, sondern lieber gegangen bist. Du musst ihm nur klar machen, dass du sein Leben gerettet hast.» Olivia ging in die Knie und zupfte an einem Orientteppich. «Meine Güte, dieser Teppich ist ein Meisterstück der Handwerkskunst.»
«Ja sicher, dafür hat er bestimmt Verständnis. Nichts untergräbt das Selbstverständnis eines Mannes besser, als wenn man ihm die Fähigkeit abspricht, in der Nähe einer Frau zu überleben.» Trinity sprang auf. «Ich halte diese Warterei nicht mehr aus. Los, wir suchen den Tod. Wir müssen etwas unternehmen.»
Olivia sah ihre Tochter scharf an. «Alleine loszuziehen halte ich für keine gute Idee –»
«Reina ist dort entlang gegangen.» Trinity rannte auf eine Doppeltür zu. Sie packte einen der zitronengroßen Kristalltürgriffe (das waren doch nicht etwa Diamanten?), doch bevor sie ihn umdrehen konnte, öffnete sich bereits der Türflügel.
Eine wunderschöne Frau steckte ihren Kopf herein. Trinity zuckte erschrocken zurück.
«Hallo. Kann ich Ihnen helfen?» Ihr atemberaubendes, blondes Haar hatte sie zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt. Um ihren Hals hing eine Smaragdkette mit so großen Steinen, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie noch aufrecht stehen konnte. Ihr dunkles Augen-Make-up war makellos und sie trug ein bezauberndes, schwarzes, trägerloses Kleid, das Trinity ziemlich bekannt vorkam. «Ist das nicht das Abendkleid, das Meryl Streep bei der Oscarverleihung tragen sollte? Es ist doch fünf Minuten vor ihrem Auftritt aus ihrer Garderobe verschwunden.»
Das Mädchen strahlte und zeigte dabei seine perfekten Zähne. «Sie liegen absolut richtig. Ich habe es gesehen und musste es einfach haben – und mein Schatz hat es mir besorgt.»
«Er ist nicht dein Schatz», widersprach eine Stimme hinter ihr.
Die Frau überging diese Unterbrechung. «Ich heiße Isabella Fontine. Wollen Sie sich um eine Stelle als fleißiges Bienchen des Todes bewerben?»
«Äh, nein.» Oder doch? Was, wenn das ihre Gegenleistung wäre? «Was macht den ein fleißiges Bienchen so?»
«Was immer er von uns verlangt», antwortete Isabella und zwinkerte ihr zu.
«Donnerwetter, Izzy, sei nicht so unhöflich und lass sie herein.» Die Tür wurde weiter geöffnet und eine zweite Frau trat ein. Sie trug einen exquisiten preiselbeerfarbenen Hosenanzug und war ebenfalls großzügig mit Diamanten behängt. Sie war gut aussehend und auf elegante Weise sexy. «Mein Name ist Linnea Nogueira. Ich bin die leitende Vizepräsidentin des Todes. Bitte treten Sie doch näher.»
Trinity zögerte. «Wir haben leider keine Zeit, uns zu unterhalten. Wir müssen den Tod sprechen. Dringend.»
«Er wird jeden Augenblick hier sein», versicherte Linnea und lächelte. «Ich bin für seine persönliche Prämiensitzung um neun Uhr fünfzehn eingeteilt und zu seinen Orgasmen kommt er niemals zu spät.»
Na, wie überaus praktisch. Wie gut, dass sie ihren Besuch auf seine persönliche Prämiensitzung abgestimmt hatten. «Sind Sie sicher, dass wir nicht stören?» Wollte sie das wirklich miterleben? Vielleicht schon. Es wäre sicherlich eine lehrreiche Erfahrung.
«Ach was, kein Problem. Für Frauen nimmt er sich immer Zeit.» Linnea fächelte mit ihren Händen. «Ich warte nur noch, bis mein Nagellack trocken ist. Wenn ich es ihm in einem Dolce&Gabbana-Anzug mit der Hand besorge, besteht er auf einer französischen Maniküre. Zu Versace passt der Nude Look besser. Sie kennen das ja.»
Trinity räusperte sich. «Ja, sicher.» Sie kannte sich damit aus, wie man sich anziehen musste, damit einen die netten Männer nicht bemerkten. In aufreizender Kleidung war sie eher weniger bewandert. Interessant. Was würde Blaine wohl gefallen –
Halt. Sie musste ihn vergessen, zumindest so lange, bis sie wieder zu ihm konnte, um ihm zu helfen. Oh Gott, sie hoffte inständig, dass es ihm gut ging.
Jetzt streckte ihr auch Isabella ihre Finger mit knallroten Nägeln hin. «Zu diesem Kleid mag er am liebsten Scharlachrot.» Sie schürzte den Mund. «Sehen Sie, wie schön es meine Lippen betont? Mein Make-up-Artist und ich haben Stunden gebraucht, um den passenden Ton zu finden. In Geschmacksfragen ist er sehr anspruchsvoll.» Sie machte einen Schritt rückwärts und winkte sie hinein. «Bitte kommen Sie.»
«Danke. Wir warten.» Es war sicher besser, nach dem Sex mit ihm zu plaudern. Meistens waren Männer danach besser gestimmt. «Wie lange dauert denn so eine Sitzung?»
«Das kommt immer darauf an, wie viel Zeit er hat.» Sie hatte inzwischen einen kleinen Handventilator auf ihre lackierten Nägel gerichtet. «In der Regel etwa drei Minuten.»
«Er kann Sie innerhalb von drei Minuten befriedigen?», meldete sich Olivia sichtlich beeindruckt. «Kann ich zusehen?»
«Mama –»
«Aber nein, dabei geht es doch nicht um uns. Nur um ihn», klärte sie Linnea auf.
Olivia schnaubte verächtlich. «In welchem Jahrhundert lebt ihr Frauen denn? Es geht immer um die Frau und jeder Mann, der die Bedürfnisse einer Frau missachtet, ist nichts weiter als ein Idiot.»
«Oder der reichste und mächtigste Mann im Universum», fügte Linnea hinzu.
Olivia nickte anerkennend. «Sei’s drum. Sieht er denn gut aus?»
Isabella und Linnea grinsten sich wissend an. «Selbstverständlich.» Isabella zwinkerte wieder. «Selbst, wenn Sie sich eigentlich nicht als fleißige Biene bewerben möchten – wenn Sie ihn erst einmal gesehen haben, werden Sie gar nicht mehr weg wollen.»
«Ich habe einen Masterabschluss der Universität von Stanford und war die Beste in meiner Klasse», erklärte Linnea und nahm sich von einem Tisch einen kleinen Laptop. «Ich bin hergekommen, um das viel versprechendste Unternehmen, das existiert, zu führen, und dank meiner Unterstützung haben wir es zu einem weltweit führenden Konzern ausbauen können.» Sie klickte sich durch ihre Daten. «Aber auch ich trage meinen Teil zu seiner Zufriedenheit bei. Das tun wir alle.»
«Ist das Ihre freie Entscheidung?» Die Richtung, die diese Unterhaltung einschlug, behagte Trinity nicht. Ob Reina auch eine fleißige Biene war? Persönliche Prämiensitzungen hatte sie nie erwähnt. Sie hoffte sehr, dass Reina sich nie so weit herabgelassen hatte.
Linnea und Isabella tauschten vielsagende Blicke. «Selbstverständlich ist alles freiwillig», erklärte Isabella. «Der Tod würde uns nie zu etwas zwingen. Das wäre eine ineffektive Verschwendung seiner Zeit.»
«Offenbar nimmt er sich ebenfalls nicht die Zeit, seine Frauen zu befriedigen», ereiferte sich Olivia. «Ihr solltet in Sachen Orgasmus ruhig auch ein paar Ansprüche stellen.»
Trinity ließ ihre Mutter alleine über Sexualmoral weiterdiskutieren und stahl sich in das Büro. Vielleicht konnte sie den Tod ja vor seiner PPS abfangen.
Die Decke war mindestens sechs Meter hoch. Aus dem glatten Putz ragten Stützbalken aus Mahagoni. Deckenhohe, mit Schnitzereien verzierte Mahagonibücherregale standen an den Wänden. Sie waren mit Tausenden gebundenen Büchern vollgestopft. Am Ende eines herrlichen, handgewebten Teppichs thronte ein drei Meter breiter Schreibtisch. Das war unverkennbar sein Büro. Es war umwerfend.
Am interessantesten war allerdings der Schönheitssalon, der sich am anderen Ende der Halle befand. Wenn man es überhaupt Schönheitssalon nennen konnte. So hatte sie sich immer einen Wellnesstempel für Hollywoodstars vorgestellt. Sechs Schönheiten wurden gerade von einem Dutzend Frauen in luxuriösen Kleidern bearbeitet. Maniküre, Pediküre, Fußpeeling – alles auf einmal. Der Salon war mit kostbaren Pflanzen dekoriert und von irgendwoher erklang entspannende Musik.
«Meistens genießt er es, uns dabei zuzusehen, wie wir uns für ihn hübsch machen», erklärte Linnea das lebendige Treiben. «Der Salon ist allerdings mobil, und wenn er einmal nicht in Stimmung ist, können wir in weniger als dreißig Sekunden unseren Standort wechseln. Er möchte, dass wir perfekt aussehen, darum wird dort sieben Tage die Woche vierundzwanzig Sunden lang gearbeitet. Damit unser Make-up immer makellos ist, muss sich jede von uns zwei Mal pro Stunde frisch machen.»
Olivia stand mit den Händen in den Hüften hinter ihnen. «Das ist doch lächerlich. Welcher Mann ist denn so einen Aufwand wert?»
«Ich», verkündete eine tiefe, kultivierte Männerstimme.
Trinity drehte sich zur Tür um. Im selben Moment, in dem sie die schlanke, gut angezogene Testosteronfabrik erblickte, wusste sie, dass es ein riesengroßer Fehler gewesen war, hierherzukommen.
Nicht wegen der Bienensache.
Es war noch viel, viel schlimmer.
Angelica entstieg dem Ferrari. Da schlug ein Stahlliegestuhl neben ihr im Asphalt ein. Sie erschrak fürchterlich und schämte sich sofort für ihre Nervosität. Verdammter Napoleon, er brachte ihr ganzes ruhiges, gelassenes Wesen durcheinander.
Mari öffnete die Tür und stieg aus. Sie beschirmte ihre Augen mit einer Hand und sah nach oben. «Bist du sicher, dass die Schnudämgons Trinity nichts tun werden?»
Angelica nahm Trinitys Tulpe zur Hand. Sie drehte sich und wies dann nach Süden. «Sie ist weg.» Bei allem Schlüpfrigen und Trügerischen, wie hatte sie nur so schnell fliehen können? «Ich hätte sie nie in die Welt zurücklassen sollen.» Schmuddys Tulpe begann zu vibrieren. «Er steckt in Schwierigkeiten. Wir müssen ihm helfen.»
«Aber was ist mit den Männern?»
Angelica sah hinauf. Sie wollte nichts lieber, als nach oben gehen und ihre Jungs einsammeln, aber Schmuddy ging vor. «Bis ich mich um sie kümmern kann, werden meine Hündchen sie beschäftigen. Es wird ihnen guttun, ein bisschen zu leiden. Lass uns fahren.» Sie stieg ins Auto und verspürte leise Zweifel, ob ihre Jungs dieser Prüfung gewachsen waren.
Seit der Flucht hatte sie die Schnudämgons verbessert, jedoch noch keine Gelegenheit für Tests gehabt. Sie war nicht sicher, ob ihre Männer überleben würden.
Aber das war nicht schlimm, oder? Wenn sie nicht einmal stark genug für ein Rudel Hunde waren, dann waren sie auch ihrer Mädchen nicht würdig. Plötzlich hörte sie einen lauten Schrei und ihre Haut begann zu kribbeln. Sie stürzte aus dem Auto. Auf dem Dach von Blaines Haus stieg petrolfarbener Rauch auf und die Luft pulsierte vor schwarzer Energie. «Heiliger Schutzpatron der Folterqualen», wisperte sie.
Mari beugte sich aus dem Fenster. «Ich habe noch nie Rauch in dieser Farbe gesehen. Was ist das?»
«Das ist Blaine.» Angelica griff sich ans Herz. «Er stirbt.»
«Der stirbt doch andauernd und hinterher geht es ihm wieder gut. Im Gegensatz zu Christian, er ist nicht so widerstandsfähig. Ich will wieder zurück. Ich mache mir Sorgen um ihn –»
«Dieses Mal ist es anders –» Angelica hatte plötzlich Angst um ihren Lieblingskrieger und ging einen Schritt auf das Gebäude zu. Nur zwei Mal hatte er bisher aquamarinblauen Rauch geblutet und jedes Mal war sie sicher gewesen, dass es sein Ende bedeutete. Er hatte es nur geschafft, sich wieder ins Leben zurückzukämpfen, weil sie ihm ins Gesicht gesagt hatte, wie sehr sich seine Eltern freuen würden, wenn sie erfuhren, dass sie ihn endlich erledigt hatte. Sie hasste es, diese Karte gegen ihn auszuspielen, selbst, wenn es nur zu seinem Besten war. «Ich muss hinauf.»
Die Tulpe in ihrer linken Hand rauchte. Die Ränder von Schmuddys Blüte verfärbten sich braun. «Schmuddy ist verletzt.»
Mari hielt ihr ihre Hand hin. «Meine Fingernägel werden grau.»
Auch Angelicas Nagelhäutchen waren schwarz geworden. Sie juckten. «Bei allem Gnadenlosen und Blutigen, Napoleon muss ihn erwischt haben. Der Schmodder läuft schon wieder zurück.»
«Lieber Gott», stöhnte Mari und war ganz blass geworden, «wenn der Schmodder wieder auf mich zurückfällt, werde ich Christian umbringen. Du weißt doch, wie verrückt man davon wird.»
«Ja, ich weiß.» Von weit oben erklang erneut ein markerschütternder Schmerzensschrei. Angelica sah nach oben und beobachtete, wie eine weitere blaugrüne Rauchschwade in den Himmel schoss. Dann huschte ein dunkler Schatten heran und setzte sich an der Dachkante nieder. Ein Todesbote. Er wartete.
«Ich habe Christian schon genug wehgetan», sagte Mari und setzte sich wieder auf den Fahrersitz. «Komm schon.»
Angelica konnte sich nicht von dem Gemetzel losreißen, das sich hoch über ihrem Kopf abspielte. «Aber Blaine –»
«Ruf doch die Hunde zurück.»
«Das geht nicht.» Angelicas Kehle war wie ausgedörrt. «Wenn ich sie erst einmal losgelassen habe, sind sie auf sich gestellt. Sie hören erst wieder auf, wenn sie sterben oder ihre Beute tot ist. Die Jungs müssen sich selbst retten.»
«Dann ist ja alles in bester Ordnung.» Mari ließ den Motor aufheulen. «Oder wirst du etwa weich?»
Na, heiliger Dämon mit dem schwarzen Hut, auf wessen Seite stand sie eigentlich? Auf der Seite von ein paar Kerlen, die ihrer Lieblinge absolut nicht würdig waren, oder auf der Seite ihrer lieben Mädchen, die ihren Schutz benötigten? Sie sah wieder zu Mari: Ihre Lippen waren in der Zwischenzeit ebenfalls schwarz geworden und ihre Augen waren eingesunken.
Die Entscheidung war getroffen.
Nur ihre kostbaren Schutzbefohlenen zählten.
«Los.» Sie sprang in den Wagen, und noch ehe sie die Tür zugeschlagen hatte, jagte Mari bereits den Motor hoch und der Ferrari raste davon.
Und als ein alles durchdringender Schrei den Tag zerriss, drehte sie sich nicht einmal um.
Man musste es auch positiv sehen: Nichts bestätigte einen fiesen Krieger so sehr in seinem männlichen Selbstverständnis wie Schmerz.
Blaine kroch aus dem Badezimmer und unterdrückte ein Stöhnen. Drinnen hatten sich Jarvis und Nigel hinter der antiken Badewanne mit Löwenfüßen vor den Schnudämgons verschanzt. Die verdammten Viecher spürten keinen Schmerz. Sie verloren ihre Flügel und flogen einfach weiter. Sie verloren ihren Kopf und es fiel ihnen nicht einmal auf. Als wäre jeder ihrer Körperteile ein eigenständiges Wesen. Selbst, wenn man ihnen die Zähne ausschlug, bissen sie einfach weiter zu.
«Das würde einen großartigen Halloweenfilm abgeben», brüllte Jarvis, während er einen der fliegenden Beißer köpfte. «Crackdrachen aus der Hölle. Sie sterben nie. Sie töten immer weiter.»
«Irgendwelche Fortschritte, Trio? Die schlagen deine Badewanne kurz und klein.» Nigel klang angespannt. Sein linker Arm, der beinahe vollständig abgetrennt worden war, musste höllisch wehtun.
Ein Drache stürzte sich auf Blaine und er verfluchte ihn. Sie hatten ihm einige Ladungen Wasser verpasst. Doch seit dem letzten Mal hatte sich etwas verändert. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, was aus seinen Poren blutete, jedenfalls fühlte es sich wie eine Mischung aus Säure und Rasierklingen an. Er hatte kein Feuer mehr. Nicht mal ein Fünkchen konnte er entzünden. Sie hatten ihn gelöscht, und das wussten sie auch.
Nachdem Blaine nun keine Bedrohung mehr darstellte, konzentrierten sich die Schnudies nun auf Jarvis und Nigel. Blaine hatte diese Chance genutzt und sich davongestohlen – zu der einzigen Sache, die sie jetzt noch retten konnte.
Mit zusammengebissenen Zähnen kroch er zu seinem Wandsafe. Er richtete sich ein wenig auf und kniete sich hin. Um ihn herum drehte sich alles. Er stützte sich an der Wand ab und kämpfte die aufsteigende Übelkeit nieder. Sein Auftritt als Piranhafutter war ja schon kein Picknick auf einer Blumenwiese gewesen – aber das hier übertraf es noch bei Weitem.
Aus seinen Handflächen quoll weiterhin Wasser. Es floss an der Wand hinab und bildete auf dem Holzboden eine Pfütze. Ah, er war so sauer. Er liebte seine Holzböden. Diese Wasserflecken würde er nie wieder wegbekommen.
«Von uns aus kann es losgehen, Trio! Hör auf, dich im Spiegel zu bewundern!»
«Immer muss ich euch Weicheier retten», knurrte Blaine zurück. Er versuchte, sich auf das Vorhängeschloss zu konzentrieren und sich an die Kombination zu erinnern, konnte aber keinen klaren Gedanken fassen. Scheiße. «Nigel! Messer!» Er rutschte zur Seite, um dem brennenden Dolch Platz zu machen, der gleich das Metall durchtrennen würde.
«Nichts mehr übrig, Trio. Die spielen alle mit den bissigen Vögelchen.»
«Jetzt sag bloß nicht, du hast die Kombination vergessen», brüllte Jarvis. «Lahme Vorstellung.»
«Halt die Klappe.» Blaine schob eine Hand in die Tasche. Ein Geldbeutel und ein Telefon. Andere Tasche. Motorradschlüssel. Eine Sticknadel. Er wollte sie schon wegwerfen, besah sie sich aber noch einmal genauer. Es war eine verstärkte Nadel, die sogar der Explosion einer blauen Kugel widerstehen konnte. Er hatte sie angefertigt, damit er bei Bedarf auch mitten in einem Gefecht ein wenig Entspannung finden konnte. Zur Hölle.
Nigel schrie schmerzerfüllt auf und Jarvis fluchte vernehmlich. Aus dem Badezimmer drangen die Geräusche von Explosionen.
Blaine hielt die Nadel in seiner Faust, sammelte alle Kraft, die noch in seinem Oberkörper übrig war, und rammte die Nadel in das Schloss. Die Nadel drang mühelos durch das Metall und der Tresor sprang auf. «Rock on.» Er warf die Nadel fort und griff in den Safe. Dort lagen sie: drei blaue Kugeln. «Kennt ihr Lethal Weapon 2?»
«Machst du Witze?», brüllte Jarvis zurück. «Danach sieht man Kondomwerbung in einem ganz anderen Licht.»
«Erinnert ihr euch an die Badewannenszene?»
Schweigen. «Ernsthaft?»
«Wir haben drei blaue Kugeln und eine Badewanne.» Vor dem Fenster erklang ein Tosen und eine neue Horde sabbernder Möchtegernschmetterlinge strömte herein. «Seid ihr bereit?»
«Was ist mit dir?», rief Nigel. «Du bist zu nah dran. Das wirst du nicht überleben!»
«Keine Chance.» Blaine stützte sich an der Wand ab, legte seine Stirn an den Putz und beschwor all seine verbliebenen Kräfte herauf. Wenn er jetzt starb, kam Trinity davon, und das war inakzeptabel.
Ich kriege dich, Trinity Harpswell.
Ein weiterer Schnudämgon attackierte ihn und Blaine ließ ihn gewähren. Er spürte nicht mehr, wie die Krallen seine Kehle aufritzten, bemerkte kaum das Blut, das aus der Wunde floss. «Ich mache sie scharf!» Blaine stieß sich von der Wand ab und rannte auf den Balkon zu. Die erste Kugel warf er ins Badezimmer. Die zweite landete im Wohnzimmer. Die Dritte war für den Schwarm bestimmt, der sich ihnen näherte.
«Drei Sekunden bis zur Detonation», schrie er und arbeitete sich voran. Er musste hier weg. Wenn sie hochgingen, durfte er nicht mehr hier sein. Es würde ihn zerreißen. Er musste weg.
Krallen schnappten nach seinen Augen. Zähne zerfetzten sein Fleisch. Säure verbrannte seine Haut. Nicht anhalten. Nicht beachten. Kämpfen. Noch einen Schritt. Zu schwer.
«Zwei Sekunden», brüllte Jarvis im Badezimmer. Ein lautes Rumsen verkündete, dass die beiden sich soeben die Badewanne übergestülpt hatten. Die Luft summte. Jarvis kanalisierte Energie in sein Schwert. Wenn er die Wucht der Explosion nicht absorbierte, konnte sie auch die Badewanne nicht mehr retten. Waffe und Porzellan mussten jetzt Hand in Hand arbeiten.
Blaine ging in die Knie und stützte sich mit den Händen am Boden ab. Die geflügelten Kannibalen rissen seinen Körper auseinander und kicherten dabei. Dann tauchte Trinitys Gesicht vor seinem inneren Auge auf. Wie sie Christian mit ihren verheulten grünen Augen angesehen und ihm ins Gesicht gelogen hatte. So voller Mitleid – und dann hatte sie ihn abserviert.
«Eine Sekunde», rief Nigel.
Scheiß drauf. Noch war es nicht vorbei. Er war kein vierjähriger Junge mehr. Niemand durfte ihn hintergehen. Nicht mehr.
Du entkommst mir nicht, Trinity Harpswell. Er spürte, wie die Kraft in seinen Körper zurückkehrte. Er rappelte sich auf und rannte los, sprang über die Kadaver der toten Flugköter und ihre verteilten Einzelteile.
«Zündung!», brüllte Jarvis.
Die blauen Kugeln detonierten. Blaine fehlten noch zwanzig Meter Sicherheitsabstand.