Kapitel 7
Okay, also dass sie ihn erschießen würde, darauf war er nicht vorbereitet gewesen.
Blaine fiel noch, hatte den blutigen Fliesenfußboden noch nicht berührt, als Trinity sich bereits an ihm vorbeischob und aus der Tür rannte. Der Schmerz in seiner Brust erinnerte ihn auf unheimliche Weise an den Tag, als seine durchgeknallte Wärterin beschlossen hatte, seine Widerstandsfähigkeit gegen Jarvis Schwert zu testen. Was für eine schöne Erinnerung an einen guten Freund.
Er beobachtete, wie Trinity floh, und seine gute Laune verschwand.
Wenn sie sich in eine Fledermaus verwandelt hätte, wäre er beeindruckt gewesen.
Aber ihm ins Herz schießen?
Dafür konnte er sich nicht begeistern.
Der Schmerz war nur warm und undeutlich, aber dass eine Frau auf ihn schoss, erinnerte ihn doch zu sehr an die Weiber, mit denen er die letzten anderthalb Jahrhunderte verbracht hatte. Östrogenjunkies, die ihn gefoltert und dabei gelacht hatten. Mit dieser Art Frau wollte er nun wirklich keine Körperflüssigkeiten austauschen.
Ja, diese Trinity Harpswell auszuschalten würde ihm wohl doch nicht so schwer fallen.
Er schlug auf den Fußboden auf und rollte sich auf den Rücken. Er konzentrierte sich darauf, die Flammen in seine Brust zu schicken, damit sie die Wunde heilten. Ihr blieben noch etwa dreißig Sekunden, ehe er wieder auf den Beinen war, und dann war es vorbei mit den Nettigkeiten. Christians Leben stand auf dem Spiel, und nachdem er jetzt wusste, dass Trinity Harpswell auch nur wie all die anderen Frauen war, die er gekannt hatte, gab es keine Gnade mehr. Sie verdiente es, das Zeichen der Hexe auf ihrem Schlüsselbein zu tragen.
Da blieb sie plötzlich im Flur stehen und drehte sich nach ihm um. Ihre Augen wanderten zu dem Blut auf seiner Brust und ihr Blick wurde gehetzt. «Oh mein Gott, schau dich nur an.»
Er spürte, dass sich sein Herz bereits wieder zusammenfügte, und machte sich bereit, sie anzuspringen. Noch zehn Sekunden und er hatte sie –
«Mist!» Sie rannte zurück ins Bad und nahm ein Handtuch vom Halter.
Gerade wollte er sie am Knöchel packen, als sie sich neben ihn kniete und das Handtuch auf seine blutende Brust presste. Sie war blass und ihre Hand zitterte. «Verdammt, warum musst du bluten und so leidend aussehen! So habe ich mir das nicht vorgestellt.» Ihre Stimme zitterte und sie war den Tränen nah. «Du bist so ein Scheißkerl!»
Er starrte sie ungläubig an. «Was tust du da?»
«Einen Kuchen backen. Wonach sieht es denn aus?» Sie drückte fester auf seine Wunde. «Ich kann nicht fassen, dass du so sehr blutest! Hast du einen ganzen Ozean von Blut in dir, oder was? Es war so grausam von dir, mich glauben zu machen, ich könnte auf dich schießen, ohne dir wehzutun! Ich habe ein Problem damit, Lebewesen wehzutun. Du hättest mich vorwarnen können!» Sie sah ihn erbost an. «Ich mag dich nicht.»
«Du magst –» Endlich begriff Blaine, dass sie so am Boden zerstört war, weil sie auf ihn geschossen hatte. Weil er blutete. Himmel, die Frau war schon auf halbem Weg in die Freiheit gewesen (oder zumindest hatte sie das geglaubt, in Wirklichkeit war er ihr bereits auf den Fersen gewesen), aber sie hatte ihre Flucht aufgegeben und war zurückgekommen, um ihm zu helfen.
Frauen taten so etwas nicht. Niemand tat so etwas. Das war einfach so. Niemand kam jemals zurück, um ihm zu helfen.
Doch sie hatte es getan.
Er sah tief in ihre verweinten Augen, und sie versteifte sich.
Ach, es war alles nur Schein. Ihre Adern waren schwarz. Dass sie nur wegen ihm zurückgekommen war, war ausgeschlossen. Es gab einen Grund dafür, und er würde ihn erfahren. Und bis dahin würde er sicherstellen, dass sie ihm dabei half, Christian nach Hause zu holen.
Er schnappte nach ihrem Knöchel und sie fuhr zusammen. Sie blickte nach unten, und als sie sah, wie sich seine Faust um ihr Bein schloss, kniff sie die Lippen zusammen. «Ich flehe dich an. Ich kann nicht für dich töten. Du darfst mich nicht darum bitten.»
Schon wieder bitten.
Warum kapierte sie nicht, dass er nicht darum bitten würde? Es ging um Christians Leben, und er würde sich nicht mit Nettigkeiten aufhalten.
Sie legte ihre Hand auf seine, und er spannte sich an, bereit für jeglichen Trick, den sie bei ihm versuchen würde. Bereit für den Schmerz. Für den Giftpfeil, den sie in seine Haut abfeuern würde.
Doch nichts geschah. Ihre Hand lag behutsam auf seiner Hand. «Wenn da nur ein Funken Mitleid in deiner Kriegerseele ist, dann gehst du fort und lässt mich in Ruhe.»
Immer noch wartete er auf ihre Attacke. «Das Mitleid wurde mir schon vor langer Zeit unter der Folter ausgetrieben.»
Sie sah auf und ihre Blicke trafen sich. «Das ist mir im Moment einfach zu viel. Es geht nicht.»
Er sah ihr an, dass das der Wahrheit entsprach. Sie trug vielleicht das Tulpenzeichen und hatte ihn ins Herz geschossen, doch sie war völlig am Ende.
Und sie berührte ihn. Sanft. Ihre Hand war warm, ihre Haut weich. Es fühlte sich grandios an. Niemand hatte ihn jemals zuvor zärtlich berührt. Selbst wenn sie ihn im nächsten Augenblick niederstechen würde, in dieser Sekunde war seine Hand die wohl glücklichste Hand auf der ganzen Welt.
Und sie hatte ihr eigenes Leben riskiert und war zurückgekommen.
Gut, sie hatte auf ihn geschossen, aber sie war zurückgekommen.
Heiße Scheiße. Er wollte es nicht tun. Er würde es nicht tun.
Aber sie war wegen ihm umgekehrt und das war ... also ... das konnte er nicht so einfach ignorieren.
Ach, zum Teufel. Er würde es doch tun.
Er würde nett sein.
Das Gesicht des Kriegers verkrampfte sich und Trinity bekam einen Schrecken. Hatte er Schmerzen oder starb er sogar? Sie ergriff sein Handgelenk. «Geht es dir gut?» Donnerwetter, was hatte sie sich nur dabei gedacht, als sie auf ihn gefeuert hatte? Sie war verdammt noch mal eine Schwarze Witwe. Was für ein enormes Risiko sie damit eingegangen war, einen Mann ins Herz zu schießen! Sie war eine viel zu versierte Killerin, um sich mit so etwas abzugeben.
Er legte seine Hand an ihre Wange und sie erstarrte. Aber seine Hand war so warm. Es fühlte sich wunderbar an.
«Trinity.»
«Ja?» Ihre Stimme klang viel zu belegt, zu sanft, aber sie konnte nichts dagegen tun. Berührt zu werden, fühlte sich so gut an.
«Ich brauche deine Hilfe», sagte er leise. «Bitte.»
Die Rauheit seiner Stimme irritierte sie. Und die Dringlichkeit, die in seiner Bitte lag. Und auch seine Höflichkeit. «Ich –»
«Da ist ein Mann, der sterben wird, wenn ich nicht die Frau töte, die ihn quält. Ich muss ihn nach Hause holen.» Seine Handfläche wurde wärmer, beinahe heiß, als würde sie gleich wieder in Flammen aufgehen. Sein Blick war voller Pein, und sie verstand, dass er sich ihr gerade offenbart hatte, sie um Hilfe bei einer Mission bat, die monumental wichtig für ihn war. Er musste jemanden retten, den er liebte. Ihr Herz wurde ganz schwer –
Hey! Sie konnte doch kein Mitleid mit ihm haben! Damit begab sie sich auf einen sehr gefährlichen Pfad! «Sei nicht so liebenswert», fauchte sie und zog sich von ihm zurück. «Ich will nichts davon hören, dass jemand Nettes sterben wird.»
Sie wirbelte herum und schnappte sich ihre Jeans. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie bekam diese dunklen Augen einfach nicht aus dem Kopf. Er kannte die Hölle. Sie konnte es sehen. Und sie hasste es. Sie wusste nicht, wie sie mit jemandem umgehen sollte, der genauso wie sie gelitten hatte. Den Drang ihn zu umarmen, den sie gerade verspürte, war so, so, so gefährlich.
«Trinity.» Seine Stimme klang tief an ihrem Ohr und sein Atem an ihrem Hals ließ sie versteinern.
Der riesige Klotz war direkt hinter ihrem Rücken. «Geh weg!»
«Ich –»
«Nein!» Sie warf sich wieder herum, rammte ihre Hände in seine Brust und versuchte, ihn von sich fortzustoßen.
Er bewegte sich keinen Millimeter.
«Du verstehst es einfach nicht! Ich kann es nicht riskieren, gerade jetzt jemanden zu töten! Wenn ich nicht dahinterkomme, wie ich es schaffen kann, ein Monster zu töten, ohne selbst den tödlichen Stoß auszuführen, dann stirbt mein Vater, und da kommst du daher und willst mir noch mehr Schwierigkeiten machen? Willst du mich verarschen? Ich –»
«Das ist doch ganz einfach», erwiderte er und grinste erleichtert. «Das werde ich für dich übernehmen.»
«Und außerdem –» Sie verstummte. «Was hast du gerade gesagt?»
Er zuckte mit den Schultern. «Ich kann alles umlegen. Keine große Sache. Ich bringe dein Monster um und du meines.»
Der ganze Raum begann sich mit einem Mal zu drehen, und sie musste sich auf den Wannenrand setzen. Sie konnte kaum atmen. War es denn wirklich so einfach? «Du spazierst einfach hier rein und willst auch noch für mich töten?»
Er nahm ihr T-Shirt von dem Hocker und setzte sich vor sie. «Also, hier kommt der Plan.» Er nahm ihre Hand und schob das Shirt hinein. «Ich kann alles töten, nur nicht die Frau, die Christian gefangen hält. Man kann sie nicht töten.»
Trinity lachte leise. «Man kann alles töten. Ich kann alles töten.» Das Monster in ihrem Inneren konnte es.
Er grinste selbstzufrieden. «Deshalb brauche ich dich.»
Oh, gut gemacht, Trin. Sie stöhnte. «Jetzt bin ich dir aber richtig in die Falle gelaufen, stimmt’s?»
Er hob wieder die Schultern. «Schon, aber dabei hast du ziemlich hübsch ausgesehen.»
«Toll. Ob ich hübsch aussehe oder nicht, ist mir gerade völlig egal.» In einem anderen Leben hätte sie sicherlich über seine unpassende, schmeichlerische Bemerkung geschmunzelt. Im Moment kam es ihr eher so vor, als stünde bereits der Teufel persönlich vor ihrer Tür. Und trotzdem war sie versucht, einfach zurückzuflirten, so, als gäbe es diesen fürchterlichen Alptraum, dessen Finsternis sich langsam um sie herum schloss, überhaupt nicht. «Obwohl», witzelte sie, «kurz bevor du hier hereingeschneit bist, war ich tatsächlich gerade dabei, meinen Kleiderschrank nach einem Outfit zu durchforsten, das meine Brüste besonders gut zur Geltung bringt.»
«Und dann hast du dich für den Oben-ohne-Look entschieden?», fragte er amüsiert. «Also meiner Meinung nach war das eine wirklich ausgezeichnete Wahl, um deine Oberweite optimal zu betonen.»
Sie schaffte es nicht, ein Kichern zu unterdrücken. «Halt die Klappe, das ist nicht lustig.» Aber dann kam die schlechte Laune sofort wieder. Sie nahm ihm das T-Shirt aus der Hand.
Er durchbohrte sie mit seinem Blick und sie fühlte sich unwohl. «Christian braucht Hilfe, und ich bin der Einzige, der ihn retten kann. Die Hexe muss sterben, und du bist die Einzige, die das schaffen kann. Ich bringe dein Monster um und du meines. Ein faires Geschäft.»
«Ich kann nicht», widersprach sie und zog das Shirt über den Kopf. «Dann bleibe ich für den Rest meines Lebens verflucht.» Sie straffte sich. Jetzt, wo sie ein Oberteil anhatte, fühlte sie sich schon viel stärker. «Und ich will nicht mein Leben lang ein Killer sein.»
Er erwiderte nichts, sondern betrachtete lediglich konzentriert ihr Gesicht. Dann griff er nach ihrer Kehle. Trinity zuckte zurück – doch er fuhr nur sanft mit seinem Daumen die Konturen ihres Schlüsselbeins nach und streichelte das blütenförmige Muttermal, das sie so sehr hasste. «Der Fluch der Schwarzen Witwe», sagte er leise. «Du bist bei deinem letzten Mord angekommen?»
Sie entzog sich ihm und holte sich ihre Jeans zurück, die sie in einem Anfall von Panik fallen gelassen hatte, als er seine Verführungsmasche mit dem heißen Atem im Nacken bei ihr ausprobiert hatte. «Keine sieben Tage mehr. Wenn ich noch so lange durchhalte, dann bin ich frei. Ich habe schon so viel erreicht. Ich kann es nicht für dich tun. Ich –»
«Töten ist doch keine große Sache», entgegnete er.
«Das ist es sehr wohl! Zumal, wenn man dazu gezwungen wird ...» Sie zog die Jeans über ihre Hüften. «Ich hasse es, wenn ich keine Kontrolle über meine eigenen Handlungen habe. Natürlich hat so ein böser Bube, wie du einer bist, keine Ahnung, was es bedeutet, so ein seelenaufreibendes Leben zu führen, aber du kannst mir ruhig glauben, dass das einfach beschissen ist.»
Er fluchte leise. «Oh, ich kenne das.»
Sie sah ihn grimmig an. «Woher um alles in der Welt willst du wissen, wie es ist, nicht sein eigener Herr zu sein? Du bist doch eine Art Superkrieger. Wer würde dich schon drangsalieren?»
Er starrte sie schweigend an. Seine Augen spiegelten den Aufruhr in seinem Inneren wider. Schließlich sagte er: «Gut.»
Sie zog den Reißverschluss ihrer Hose hoch. «Wie ‹gut›?»
«Du bekommst einen Aufschub, weil du zurückgekommen bist.»
«Zurück von wo?»
Doch er steuerte bereits auf die Tür zu. Ging er jetzt etwa? «Wo willst du hin?»
«Freu dich nicht zu früh, Trinity Harpswell. Ich bin kein sonderlich netter Typ, und wenn ich keine andere Schwarze Witwe finde, dann komme ich wieder und hole dich.» Die Dielen knarrten unter seinen Füßen und dann verschwand er im Flur.
Sie sah ihm nach. Es war gut, dass er ging. Sie konnte gerade keinen Mann gebrauchen, und ganz besonders nicht einen, der wirklich ans Töten glaubte. Er war nicht wie Barry, der von flüsternden Stimmen in seinem Kopf angetrieben worden war und so genau wie Trinity unter Zwang gehandelt hatte.
Dieser Krieger tötete, weil es ihm scheinbar nichts ausmachte. Einfach, weil er es gut konnte und es eine einfache Lösung seiner Probleme darstellte. Sie bekam eine Gänsehaut. Würde sie nach ihrem letzten Mord auch so werden? Ein Ungetüm, das sich nicht um die Leichen scherte, die seinen Weg pflasterten? Würde sie Ameisen zertrampeln und dabei schallend lachen?
Sie wollte einen solchen Mann, der ihre alptraumartigen Ängste vor ihrer eigenen Zukunft repräsentierte, nicht in der Nähe haben.
Sie hörte seine schweren Schritte, die sich durch den Korridor entfernten. Existierten irgendwo noch andere Schwarze Witwen, die ihm helfen konnten? Es musste sie einfach geben. Er würde bestimmt nicht zurückkommen.
Dann fiel ihr Blick auf den Stapel Papiere, der auf ihrem Stuhl lag. Die Einzelheiten über das Monster, das sie erledigen musste. Er könnte ihr das abnehmen. Sie machte einen Schritt auf die Tür zu, bremste sich dann aber.
Der Preis wäre zu hoch. Wenn sie die Hexe für ihn tötete (ja, genau, als ob sie einer wehrlosen Frau auch nur ein Haar krümmen könnte ... aber darum ging es jetzt gar nicht), dann wäre sie wieder in derselben Position und lebenslang verdammt. Ihr Vater hätte sich umsonst geopfert. Es war allein ihre Schuld, dass er nur noch ein Häufchen Staub war. Wenn sie ihm doch bloß nicht verraten hätte, was sie in ihrer Vision gesehen hatte, dann wäre er niemals darauf gekommen, wie man Martin töten konnte –
Oh! Das war es!
«Warte! Warte!» Sie eilte in den Korridor, um den Krieger abzufangen, bevor er für immer verschwand. «Bleib hier!»
Sie bog gerade um die Ecke, als er die Vordertür öffnete.
Er drehte sich nicht einmal um. «Übertreib es nicht –»
«Was wäre, wenn ich dir sage, wie du sie töten kannst? Was wäre, wenn ich es sehe und du es tust?» Von dem Gedanken, einen Mord zu soufflieren, drehte sich ihr der Magen um, aber zumindest würde sie so den Fluch umgehen können. Was es mit ihrer Seele anrichten würde, stand allerdings auf einem ganz anderen Blatt.
Er hielt inne und sah sie nun doch an. «Das geht?»
Sie nickte benommen, und während sie weitersprach, sträubte sich alles in ihr gegen die Tatsache, dass sie ihm gerade Beihilfe zum Mord anbot. «Wenn ich den Tod sehe, dann zeigt das Hologramm nie mich selbst. Jeder kann nach der Methode, die ich sehe, töten. Ich könnte dir sagen, wie du es tun musst.» Ihr wurde schon wieder übel und sie atmete bewusst tief ein und aus. «Und würdest du mir dann ... bei dem anderen helfen?» Sie konnte es nicht einmal aussprechen. Es war unfassbar, dass sie einen Mann darum bat, gleich zweimal für sie zu morden, nur damit ihre eigene Seele erlöst wurde.
Dass es ihm nichts ausmachte, Leben auszulöschen, machte es auch nicht viel leichter, denn ihr war es nicht egal. Aber was für eine Wahl hatte sie? Das Leben ihres Vaters stand auf dem Spiel und er war wichtiger als alles andere.
Der Krieger schloss die Tür wieder und kam auf sie zu. Je näher er kam, desto größer wirkte er, und sein Schatten fiel auf sie wie der Schatten des Todes. Ihre Seele, ihr Geist und ihr Schicksal – alles lag in seinen Händen.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie konnte das nicht. Es musste einen anderen Ausweg geben. Doch während sie noch darüber nachdachte, begriff sie, dass sie sich lediglich etwas vormachte. Es gab keine andere Möglichkeit, ihren Vater zu retten. Das Triumvirat hatte die Bedingungen festgelegt und der Vertrag war mit der Magie der Anderswelt besiegelt worden.
Das Herz des Ungeheuers gegen das Leben ihres Vaters. Keine weiteren Optionen.
Der Krieger blieb direkt vor ihr stehen und sie musste ihren Hals lang machen, um ihn ansehen zu können. Schatten lagen auf seinem Gesicht und seine Augen waren dunkel und müde – und voller Wut. Großer Gott, wie wütend er war. Auf sie? Auf die ganze Welt? Unwichtig. In den Augen dieser Killermaschine konnte sie den Tod sehen und alles, vor dem sie sich so sehr fürchtete. Finsternis stieg in ihr auf und plötzlich bemerkte sie, wie sich Spidergirl regte.
Na toll. Als wäre ihre Lage nicht schon ohne ihre achtbeinige Freakfreundin, die in dem Krieger offenbar eine verwandte Seele erkannte, schlimm genug. Die Witwe erwachte, weil dieser Mann ein Abbild von Trinitys wahrem Selbst darstellte, gegen das sie schon so lange ankämpfte.
War die Freude am Tod etwa ansteckend? Wenn er sie annieste, würde er sie dann mit dem Verlangen infizieren, ein anderes Leben auszulöschen und sich über diesen kleinen Triumph zu freuen? Sie wollte ihn nicht um sich haben. Nicht, wenn sie mit anhören musste, wie sich ihre kleine Freundin an ihn heranmachte. «Vergiss es, das war eine dumme Idee –»
«Einverstanden.»
Sie erstarrte. «Was?»
«Du sagst mir, wie man sie umbringen kann, und ich setze es in die Tat um.» Er wirkte mit einem Mal sehr zufrieden. «Ich hätte nie für möglich gehalten, dass sich mir so eine Chance bietet: Es selbst zu tun ...» Er grinste. «Teufel noch eins, für so eine Gelegenheit würde ich mich glatt noch mal hundert Jahre foltern lassen.»
«Folter?» Er stand auf Folter und Töten? Mit diesem Typen in ihrer Nähe würde sich das tödliche Nachtschattengewächs in ihrem Inneren ungefähr genauso gut beherrschen lassen wie ein Labrador in einer Hundefutterfabrik. «Ich glaube nicht –»
«Und dein Ungetüm erledige ich ebenfalls. Das ist abgemacht.» Er streckte ihr die Hand hin. «Ich heiße Blaine Underhill und bin dein neuer Partner.»
All ihre Sinne sendeten verzweifelte Signale, so schnell wie möglich vor diesem Mann, der für all das stand, was Trinity in sich selbst zu finden fürchtete, davonzulaufen. Doch sie konnte nicht zulassen, dass ihr Vater starb. Wegen ihr. Blaine Underhill stellte vielleicht eine Bedrohung dar, aber er bot ihr auch eine Chance. Dieser Mann konnte das Leben ihres Vaters retten, ohne dass sie der ewigen Verdammnis anheimfallen musste. Wenn sie bis Sonntag durchhielt und der Fluch erst einmal verschwunden wäre, dann musste sie sich nur noch mit ihrer eigenen befleckten Seele auseinandersetzen.
Es lag in ihren Händen. Sie konnte es schaffen. Ganz bestimmt.
Blaine sah sie fragend an.
Langsam legte sie ihre Hand in seine. Er packte sie augenblicklich mit festem, unnachgiebigem Griff und lächelte. «Willkommen in der Hölle, Trinity Harpswell.»