Kapitel 11
Blaine hatte keine Ahnung, wer dieser stinkende Misthaufen war, der da gerade durch die Tür des Hennenpalastes gepoltert war, und er hatte auch noch nie zuvor ein fliegendes, babyrosa Sternchen gesehen, aber es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er begriff, dass Christians Ticket in die Freiheit gleich etwas Furchtbares zustoßen würde. «Runter!»
Er schleuderte einen orangefarbenen Feuerball nach dem Stern. Der fing an zu brennen, flog aber munter weiter direkt auf Trinity zu. Keine Zeit, noch eine andere Farbe auszuprobieren. Er machte einen Satz und warf sich in letzter Sekunde zwischen Trinity und den rosa Torpedo. Das niedliche Sternchen fräste sich in seine Brust.
Der Schmerz raubte ihm alle Sinne und warf ihn zu Boden.
«Blaine!» Trinity rappelte sich hoch und rannte auf ihn zu.
«Nicht anfassen!», schrie Reina und hielt Trinity zurück. «Das Zeug könnte ansteckend sein. Als rosa Staub kannst du nichts mehr ausrichten.»
Blaine sah an sich herunter. Seine Brust hatte sich pink verfärbt. Ein quietschrosa Folterinstrument? Das würde der Hexe gefallen –
Er krümmte sich unter dem höllischen Schmerz, der seine Eingeweide durchzuckte. Von so einem Mädchenwurfstern würde er sich nicht in die Knie zwingen lassen. Selbst die Hexe hatte so viel Anstand besessen, nur Waffen in männlichen Farben gegen ihn einzusetzen.
«Lass mich los!», kreischte Trinity und versuchte sich loszureißen. Ihm wurde ganz warm ums Herz.
Der bucklige Widersacher griff schon wieder in seine Tasche. Dann blitzte etwas Pinkfarbenes in seiner Hand auf. Er wollte noch eine Runde? Keine Chance, Bananenboy.
«Duck dich hinter mich», befahl er Trinity.
Trinity folgte seinem Blick und keuchte, als sie den zweiten Stern entdeckte. Schnell kauerte sie sich hinter Blaine. Wieder vertraute sie darauf, dass er sie rettete. Daran könnte er sich gewöhnen.
Blaine ließ seinen Körper auflodern und nutzte die reinigende Kraft der Flammen wie zuvor, als er das Schnudämgon-Giftgas aus seinem Organismus gebrannt hatte. Vor Schmerz biss er die Zähne zusammen. Er spürte, dass er schwächer wurde. Anscheinend half das Feuer diesmal nicht sonderlich gut. Merken: pink – nix gut für Männer.
Er kämpfte, fachte die Flammen an, bis sie blendend weiß loderten. Endlich veränderte sich der Schmerz in seiner Brust. Das eiskalte Taubheitsgefühl wurde zu einem stechenden Brennen, was ein Zeichen dafür war, dass alle seine inneren Organe Feuer gefangen hatten. Seine Muskeln erwachten wieder zum Leben. Baby, ich bin wieder da!
Der Eindringling hatte den nächsten Stern gezückt. Blaine sprang auf die Füße, rannte auf ihn zu und schoss dabei erst einen weißen, dann einen grünen Feuerball auf ihn ab, doch beide verpufften wirkungslos. Blaine sprang Augustus an und stieß ihn mit solcher Wucht gegen die Wand, dass der Putz abbröckelte. Dann kämpften Blaine und sein drahtiger Gegner um den Wurfstern.
Die Rangelei zog sich für Blaines Geschmack etwas zu lange hin, er bekam sogar einen Schnitt am Handgelenk ab, aber schließlich hatte er den Kerl im Schwitzkasten und nagelte ihn am Boden fest. Er setzte sich auf seinen Rücken und klemmte Augustus’ Hände unter seinen Knien ein. Der Stern lag unschuldig neben seinem Kopf am Boden. «Das war’s wohl.»
Trinity lugte hinter einem Tisch hervor. «Hast du ihn?»
«Na klar.» Er spürte Druck von unten und erkannte, dass sein Gegner Energie aufbaute. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was passierte, wenn der Typ hochging. Er würde Trinitys Leben auf keinen Fall aufs Spiel setzen, und es blieb auch nicht genug Zeit, herauszufinden, ob es überhaupt eine Feuerfarbe gab, die bei ihm Wirkung zeigte. «Steig auf das Motorrad!», befahl er. «Wir gehen.»
«Nein. Noch nicht!» Trinity kam angerannt und kniete sich neben seinen Gefangenen.
Hatte die Frau den Verstand verloren? Noch lag der Kerl am Boden, aber etwas braute sich zusammen und das war mit Sicherheit kein warmer Sommerregen. Ihm gefiel zwar, wie sie es ihm überlies, den Bösewicht zu erledigen, aber er wusste trotzdem noch nicht recht, was er davon halten sollte. «Zurück.»
Trinity ignorierte ihn und widmete sich seinem Gefangenen. «Augustus, warum gehen Sie auf mich los?»
Der Typ wandte ihr seinen hässlichen Kopf zu. «Ich werde noch ergründen, wie Sie das Triumvirat umgarnen konnten, mir ihren Vater im Austausch gegen das Herz eines Monsters wieder zu entreißen.»
«Aber nein, nein», widersprach Trinity. «Ich habe das Triumvirat nicht beeinflusst. Sie sind auf mich zugekommen!»
«Jedoch», fuhr Augustus unbeirrt fort, «habe ich noch nie meine Beute entkommen lassen, und das werde ich auch dieses Mal nicht. Nur durch Ihren Tod wird der Vertrag nichtig und genau dafür werde ich sorgen.»
Trinity wurde aschfahl. «Oh, also das wollte ich jetzt eigentlich nicht hören.» Blaine stemmte dem Mann sein Knie in die Nieren, doch der Killer lächelte nur ein schmales, unheimliches Lächeln. «Trinity Harpswell, Sie werden diesen Sonntag nicht mehr erleben. Ich verliere niemals.»
«Herrje, wie melodramatisch –» Sein Körper begann an den Stellen, an denen er seinen Gegner berührte, zu kribbeln. Fantastisch. Schwarze Magie. Sie wurde schnell stärker. Was zur Hölle war das bloß für ein Kerl? «So, mein Bürschchen, Zeit, auf Wiedersehen zu sagen –»
«Nicht!» Er wollte die Flammen losschicken, aber Trinity hielt ihn am Arm fest. «Töte ihn nicht!»
Blaine stierte sie ungläubig an. «Willst du mich veralbern? Er ist versessen darauf, dich umzubringen, und er scheint mir doch recht mächtig zu sein. Also ich will nicht das Ende der Teeparty erleben, die er da gerade zusammenbraut.»
«Nein! Wir können ihn nicht einfach ermorden.» Sie sprang auf. «Wir erledigen einfach das Monster, bevor Augustus mich erwischen kann. Dann ist es vorbei.»
Blaines Handflächen, die auf Augustus Rücken lagen, begannen zu pochen. Er brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass seine Hände durch mikroskopisch kleine Löchlein ausgeblutet wurden. Das war immer das erste Symptom, wenn er mit schwarzer Magie in Kontakt kam. «Wir sollten uns nicht mit ihm anlegen –»
«Dann nichts wie los!» Trinity wich zur Tür zurück. «Los Blaine, wir haben nicht viel Zeit!» Von wegen. Er würde diesen Typen nicht am Leben lassen. Er ignorierte sie und schickte eine Testflamme in den Körper unter ihm. Zuerst erschauerte er, dann verstärkte sich das Energiefeld. Was für ein Mistkerl. Er hatte die schwarze Magie aus Blaines Feuer einfach aufgenommen und sich quasi davon ernährt.
Es sah schlecht aus. Nicht mal Angelica hatte sie absorbieren können. Was war das für ein Kerl? Er wusste nur eines mit Sicherheit: Wenn er versuchte, Feuer gegen ihn einzusetzen, machte er ihn damit nur noch stärker. Er konnte ihn wohl doch nicht sofort als Toast ins Jenseits schicken. Erst musste er ergründen, was mit dem Typen los war.
Er musste sein Team sammeln und herausbekommen, womit sie es zu tun hatten, und zwar sehr bald.
Trinity stand in der Tür. «Auf die Maschine. Sofort.»
«Aber was ist mit Augustus? Er wird uns verfolgen. Kannst du ihn nicht fesseln?»
«Fesseln?», echote Blaine. «Das dürfte ihn kaum aufhalten …» Obwohl … er könnte etwas Ähnliches versuchen. Wenn Augustus seine schwarze Energie aufnehmen konnte, ging das möglicherweise auch andersherum. Vielleicht konnte er Augustus’ Kraft aufsaugen. So, wie er auch Trinity gelöscht hatte. Natürlich konnte er nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Magie ihn so wie Augustus kräftigen würde, aber das war ja auch nicht unbedingt nötig. Er wollte ihn nur ausreichend schwächen, um fliehen zu können.
Ja, das war eine gute Idee. Schwarze Magie zu absorbieren würde wohl kaum schlimmer sein als die kleinen Spielchen, die Angelica mit ihm gespielt hatte, oder? «Hoch die Tassen!», knurrte er, legte dem Drecksack seine Hände auf den Kopf und öffnete sich dem Gift, gegen das er sein ganzes bisheriges Leben angekämpft hatte.
Trinity schnappte erschrocken nach Luft. Blaines Haut wurde grau und er verdrehte die Augen. Er hielt Augustus Kopf umklammert. Um die beiden herum waberten trübe, grünliche Rauchschwaden. Augustus wand sich unter ihm aber Blaine hielt ihn mit eisernem Griff. «Blaine?»
«Alles in Ordnung.» Er stand auf. «Lass uns gehen.»
«Augustus lebt noch. Er wird bald wieder auf den Beinen sein.» Reina kam zu ihnen gerannt. «Das ist nicht gut, er wird weiter hinter dir her sein.»
«Ich weiß.» Blaine taumelte und Trinity stützte ihn. «Hilf mir, ihn hier rauszuschaffen.»
Reina stützte Blaines andere Seite und gemeinsam führten sie ihn zur Vordertür. Er stolperte, und sie konnten ihn kaum aufrecht halten. «Mann, er ist ja noch schwerer als dein Vater. Seit wann hast du denn einen muskelbepackten Krieger als Anhängsel?»
«Mir geht es gut», nuschelte Blaine. Er hatte die Augen geschlossen und seine Muskeln zitterten.
«Ich helfe euch.» Elise eilte zu ihnen und legte sich Blaines Arm über die Schulter. Bei ihrer Körpergröße fiel es ihr leichter, ihn zu halten. «Was ist los Trinity? Kann ich etwas für dich tun?»
«Es ist nichts. Ich muss nur –»
«Hallo?», erscholl Cherises fröhliche Stimme.
Trinity drehte sich um. Cherise hockte neben Augustus und tätschelte seine Schulter. «Entschuldigen Sie, mein Herr. Fehlt Ihnen etwas?»
«Du lieber Gott, Cherise, jeder Werwolf ist eine bessere Partie als Augustus.»
«Hast du gesehen, was er mit deinem Freund gemacht hat? Beeindruckend.» Cherise streichelte seine Wange. «Falls er aufwacht, will ich nur sichergehen, dass es ihm gut geht.»
«Cherise –»
«Himmel, Trinity», fuhr Reina sie an. «Hör damit auf, dich aufzuopfern und alle Menschen auf der ganzen Welt zu retten. Lass Cherise ihre eigenen Fehler machen. Du musst hier weg!»
Blaine riss sich los. «Ich kann selbst gehen», röchelte er und kippte prompt seitlich um. «Mist.»
«Hör auf, dich als Held aufzuspielen», wies Trinity ihn zurecht. «Los jetzt.»
«Ich will aber ein Held sein», brummte er.
«Natürlich», mischte sich Trinity ein. «Er ist ja auch ein Mann. Sie brauchen das einfach.» Sie schleppten ihn auf den Gehsteig. Reina fragte neugierig: «Willst du mir nicht verraten, wo du ihn aufgegabelt hast und warum in des Todes Namen du ausgerechnet jetzt so ein großes Risiko eingehst?»
«Er stellt kein Risiko da. Er ist ein Trottel. Ich könnte ihn niemals mögen.»
Die drei Frauen schleppten Blaine zu seinem Motorrad und er bekam sogar sein Bein über den Sitz.
«Quatsch», murrte er, «ich bin supertoll.» Er langte nach dem Lenker und griff daneben.
Trinity legte ihm die Hände auf die Griffe. Er umklammerte sie und sein Kopf kippte nach vorne, als wolle er ein kleines Nickerchen machen. «Ich brauche ihn», erklärte sie. «Er wird für mich das Chamäleon töten.»
Reina war alarmiert. «Und was bekommt er als Gegenleistung?»
«Ich helfe ihm bei einem kleinen Projekt.»
Reina krallte sich in ihren Arm. «Wie willst du ihm helfen? Du bist diesem Typen völlig egal. Er –»
Trinity fiel ihr ins Wort. «Ich weiß, was ich tue. Hab vertrauen in mein Urteilsvermögen.»
Reina atmete vernehmlich aus. «Sieh ihn dir doch an, Trin. Er kann nicht mal aufrecht sitzen und schon gar nicht auf dich aufpassen –»
Von Blaines Brust stieg Rauch auf und sein Kopf hob sich. In seinen Augen glühte es und von seinen Schultern leckten die Flammen. Trinity spürte seine brennende Kraft. «Mir geht es gut», sagte er mit fester Stimme. «Los geht’s.»
«Oh, hallo», flötete Cherise an der Tür. «Ich heiße Cherise. Würde dir ein Tässchen Kaffee dabei helfen, wieder zu Kräften zu kommen?»
Trinity wechselte einen nervösen Blick mit Reina. Augustus erwachte!
«Los!» Reina wich zurück. «Die Einzelheiten kannst du mir später erzählen.» Sie knuffte Blaine in die Seite. «Und du hältst das Bike immer schön aufrecht, ja? Das da ist meine beste Freundin.»
Blaine sah sie durchdringend an. «Ich passe auf sie auf.»
Reina riss die Augen auf und erwiderte grinsend: «Ja, das kann ich mir denken.»
Trinity sprang hinter Blaine auf die Maschine und legte ihren Arm um seine Taille. Die Haut unter seiner Kleidung war brennend heiß, als hätte er Fieber. «Wirst du mich wieder anzünden?», fragte sie verunsichert.
«Nein.» Dröhnend erwachte das Bike zum Leben und Blaine verschwendete keine Sekunde. Er raste los. Hätte Trinity sich nicht an ihn geklammert, sie wäre rückwärts vom Sitz gerutscht. Der Motor bebte unter ihren Beinen und ihr Haar peitschte ihr ins Gesicht. Sie brausten die Straße entlang. Für den Bruchteil einer Sekunde gerieten sie ins Schlingern und Trinity hielt erschrocken die Luft an. Dann ging ein Ruck durch die Maschine und die Fahrt ging weiter.
Bloß wohin?
Und wären sie dort auch weit genug weg von Augustus?
Es lief nicht gut. Sie hatte damit gerechnet, bis Sonntag Zeit zu haben. Doch jetzt blieben ihnen nur noch wenige Stunden. Minuten. Sekunden. Bis Augustus sie fand.
Das Monster musste sterben. Bald. Ein Schauer erschütterte Blaines Körper und das Motorrad wackelte wieder. Sie steckten in großen Schwierigkeiten.
Napoleon hatte sich, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, kein bisschen verändert und das ärgerte Angelica. Wie konnte es sein, dass ein Mann drei Jahrhunderte voller Frauenverschleiß, schwarzer Magie und Ausschweifungen verbringen konnte und davon weder einen schlaffen Po noch einen Bierbauch bekam?
Aber nein, er war immer noch groß (war er gewachsen? Er schien inzwischen beinahe Einsfünfundneunzig groß zu sein), gut gebaut und hatte volles Haar. Sein Anzug war noch edler als der seines Enkels, seine Augen waren immer noch blau und unwiderstehlich und sein Kinn fest und markant.
Beim Anblick des Mannes, den sie so lange Zeit so sehr geliebt hatte, kochte in ihrem Inneren etwas hoch, das sie seit dem Tag, als er in ihren Gymnastikkurs hereinspaziert war und zu ihr in seiner tiefen, wohlklingenden Stimme gesagt hatte, er wolle sie abholen, nicht mehr empfunden hatte. Sie spürte den schwer greifbaren Funken überspringen, durch den sie sich wie eine richtige Frau fühlte, wie ein begehrenswertes, sexuelles Wesen, heißer als jede andere auf dieser Welt.
Er strahlte sie an und seine makellosen Zähne blitzten. «Meine Liebe. Ich freue mich so, dich zu sehen.»
Angelicas Kehle schnürte sich zu und sie schluckte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte sogar vergessen, wie man überhaupt sprach.
Prentiss verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper. «Hey, Opa.»
Aber Napoleon konnte seine Augen nicht von Angelica abwenden. Er fixierte sie, als könne er keinen Moment mehr weiterleben, ohne sie in seine Seele aufzunehmen. Angelicas Haut begann zu glühen. Ein Fächer wäre jetzt nicht schlecht.
«Du siehst wunderschön aus», sagte er ruhig. «Du hast mir gefehlt.»
Ein leises Quietschen entfleuchte ihrer Kehle. Sie hatte ihm gefehlt? Bereute er alles? Liebte er sie noch immer? «Napoleon –»
«Alter, lass den Schmu.» Prentiss schob sich vor Angelica und baute sich dort breitbeinig mit geschwellter Brust auf. Kampfbereit. «Lass meine Oma in Ruhe.»
Prentiss verstellte Angelica die Sicht auf Napoleon und sie blinzelte verwirrt. Heiliger Sexgott, was tat sie da? Sie wollte ihn nicht zurück! Dass er sie vermisst hatte, war ihr vollkommen egal! Er würde sie unter gar keinen Umständen wieder in das schluchzende Häuflein Elend zurückverwandeln, dass sie einmal gewesen war. Keine Chance.
«Ich übernehme das, Prentiss.» Sie schob ihren Enkel beiseite und postierte sich neben ihm. Die beiden bildeten eine geschlossene Einheit.
Sie durchbohrte ihre Ex-große-Liebe mit Blicken und begutachtete ihn genau. Seine Lachfältchen unter seinen Augen. Seine vollen Lippen, mit denen er so viele Frauen geküsst hatte. Seine nutzlosen Hände, die es auch nach tausend Versuchen nicht ein einziges Mal geschafft hatten, ihr den ultimativen Genuss zu bescheren. Seine veilchenblauen Augen, mit denen er sie direkt angesehen und dann zurückgewiesen hatte. Sein schönes Gesicht, das sie so lange verfolgt hatte. «Das ist jetzt mein Zuhause», schleuderte sie ihm entgegen. «Und du bist nicht willkommen.»
Prentiss grunzte zustimmend und Napoleon blickte anerkennend.
Und dann riss dieses Frauen verschleißende, männliche Flittchen sein großes Maul auf. «Ich zerstöre ja nur ungern deine irrigen Vorstellungen, aber das hier ist eigentlich mein Zuhause. Meine Magie hält diese Mauern zusammen und nichts und niemand kann mich aussperren.»
Ach. Tatsächlich? So genau hatte sie die Baupläne wirklich nicht studiert. Also, wenn sie das nächste Mal von einem Mann sitzengelassen wurde und der ihr ein Schloss hinterließ, musste sie sich unbedingt einen Bausachverständigen kommen lassen.
«Was willst du hier, Opa?», ging Prentiss dazwischen.
Nun schenkte ihm Napoleon doch ein bisschen Beachtung. «Ich bin beeindruckt, mein Junge. Aus allen Welten wurde mir die Geschichte deines Erfolges zugetragen. Ich hätte nie gedacht, dass du einmal das Schicksal aller existierenden Seelen in der Hand halten würdest.»
Prentiss schwoll wieder die Brust und seine Augen glänzten vor Stolz. «Du hast davon gehört?»
«Selbstverständlich. Ich habe deine Karriere verfolgt.» Napoleon stieg über die Sportmatten und streckte seine Arme aus. «Ich habe immer an dich gedacht. Ich bin stolz auf dich.»
«Nein danke», gab Prentiss zurück und versteifte sich.
Napoleon zog seinen Enkel an sich und drückte ihn fest. Prentiss widersetzte sich einen Augenblick, doch dann sah Angelica, wie er sich in den kleinen, verletzlichen Jungen verwandelte, und schließlich umarmte er herzlich den Mann, der einmal sein Ersatzvater gewesen war – ehe er Angelica und ihn im Stich gelassen hatte.
Angelica sah mit an, wie Prentiss dieses Musterbeispiel an Selbstgerechtigkeit, das ihn fallen gelassen hatte, herzte, und ihr kamen die Tränen. Wie konnte Napoleon es wagen, zurückzukommen und sie beide an der Nase herumzuführen? Andererseits wusste sie, wie sehr Prentiss seinen Vater, seinen Großvater und seine Mutter vermisste.
Unvermittelt machte sich Prentiss aus der Umarmung los.
«Genug.» Seine Stimme war fest. «Was willst du von uns?»
«Darf ein alter Mann denn nicht nach Hause kommen, um seine Lieben zu besuchen?» Napoleon breitete die Arme aus. An seinem linken kleinen Finger blitzte ein Ring mit einem Rubin von der Größe einer Eichel. Kein Ehering. Hach, was für eine Überraschung. Glücklicherweise hatte sie ihren schon vor Jahren in Penisringe für ihre Männer umgewandelt. Was für ein passender Verwendungszweck.
Angelica strafte seine Unschuldsmiene mit Verachtung. «Ach, Nappy, ich bitte dich.» Napoleon zuckte und sie lachte in sich hinein. Es hasste diesen Kosenamen, und früher hatte sie ihn auch niemals so genannt, weil sie ihn nicht damit ärgern wollte. Aber jetzt? Es war gut möglich, dass sie ihn öfter ins Gespräch einflechten würde. Er klang einfach so schön.
«Du erwartest doch nicht, dass wir dir abnehmen, dass du wegen einer Familienzusammenführung zurückgekommen bist.»
Ihr Blick wanderte zu seinem tiefergelegten Denkzentrum (das sich im Genitalbereich befand) und sie fügte spitz hinzu: «Es sei denn, deine Frauen haben inzwischen die Nase voll davon, niemals einen Orgasmus zu haben, und lassen dich nicht mehr ran. Bist du hier, um mit mir dasselbe Spielchen zu spielen?»
Napoleons Miene blieb unbewegt.
«Oma!», protestierte Prentiss entsetzt. «Ich will von dir nichts über Orgasmen hören. Das kann mich für den Rest meines Lebens schädigen.»
Seine Bestürzung brachte Angelica zum Lachen. «Du liebe Güte, du bist jetzt der Tod. Du wirst wohl noch aushalten, wenn deine Großmutter über Sex spricht.»
«Aber –»
«Ich habe Orgasmen.» Sie war sich bewusst, dass Napoleon sie entgeistert anstarrte, und fügte darum hinzu: «Sogar recht viele. Ich habe ein so ausgeprägtes Körperbewusstsein, dass mir ein Mann innerhalb einer Stunde zehn Mal einen multiplen Orgasmus bescheren kann. Und wenn ich selbst Hand anlege, komme ich meistens schon innerhalb von drei Sekunden.»
Prentiss sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen.
Napoleons Augen hatten die Farbe der tiefsten Ozeane angenommen und er hatte seine rechte Hand an seiner Hüfte zu einer Faust geballt. Seine Hose schien etwas zu spannen und er atmete schwerer als zuvor.
Sie sah ihn direkt an. «Ganz offensichtlich war nicht ich das Problem in unserer Beziehung. Es lag am Mann.»
«Okay, das kann ich nicht länger mit anhören. Ich verschwinde.» Aufgewühlt schob sich Prentiss zur Tür. «Macht es dir etwas aus, wenn ich abdüse?»
Sie wandte ihren Blick keine Sekunde von dem nichtsnutzigen Sexsklaven ab, den sie einst geliebt hatte, denn sie wollte dieses noch nie da gewesene Gefühl von Selbstsicherheit nicht zerstören. Sie war stark. Sinnlich. Eine ganze Frau. «Nein, ich habe alles im Griff.» Oh ja, das hatte sie. Ein Hurra für Angelica!
«Hey», meldete sich Napoleon kühl. «Deine sexuellen Erfolgserlebnisse fußen nur auf all dem, was ich dir beigebracht habe. Es war ja nicht meine Schuld, dass du zu frigide warst, um dich mir genussvoll hinzugeben.»
Prentiss fuhr herum. «Wage es nicht, so mit ihr zu reden.»
Napoleons Worte lösten bei Angelica ein wohlbekanntes, unangenehmes Ziehen in der Magengegend aus. Schon fühlte sie sich wieder klein und schwach und verunsichert. Sie hob ihr Kinn und verdrängte die Zweifel in ihrem Herzen und die leise Stimme in ihrem Kopf, die sich fragte, ob er recht hatte, ob mit ihr als Frau wirklich etwas nicht stimmte. Sie setzte eine grimmige Miene auf, stemmte die Hände in die Hüften und ignorierte das wilde Pochen ihres Herzens. «Von dir lasse ich mich nicht mehr schlecht machen. Ich –»
«Mein Liebling, ich kann dich behandeln, wie immer ich es für richtig halte. Du gehörst mir, du hast schon immer mir gehört.» An Prentiss gerichtet fuhr er fort: «Ihr gehört beide mir. Familienbande sind für die Ewigkeit.»
Prentiss stakste quer durch den Raum und ließ seine Faust auf Napoleons Kiefer krachen. Nappy machte einen Satz gegen die Wand und landete benommen auf den blauen Matten.
Wow. Sie musste sich schwer beherrschen, um nicht einen kleinen Freudentanz für ihren Enkel aufzuführen.
Prentiss beugte sich über seinen Großvater. «Seit dem Tag, an dem du meine Eltern ermordet hast, gehörst du nicht mehr zu meiner Familie.» Er spuckte ihm die Anklage förmlich ins Gesicht und stolzierte dann wortlos durch die Wand davon.
Bitte eine Runde Applaus für den jungen Mann!