12
Nur kurz hatte Lucy Seymours Gesicht gesehen, als er zu seinem Auto ging, und sie vermied es, Vicky anzuschauen, die jetzt in die Küche kam. Drei Minuten später tauchte sie aus dem Badezimmer wieder auf. Alle Tränenspuren waren verschwunden; heiter sagte sie: »Unser lieber James war schlechter Laune. Ich nehme an, er kommt ein andermal, um dir zu helfen.«
Lucy beschäftigte sich mit ihrem Servierbrett; sie nickte nur und fragte: »Gute Aussichten für Dan?«
»Er hat so ungefähr angedeutet, daß Nan sich keine Sorgen zu machen brauche. Da wird sie heilfroh sein.«
»Sag es ihr nur bald!«
»Mir hängt die Sache zum Hals heraus! Sei du doch bitte so gut und erzähle es ihr heute abend.«
Der Ton in ihrer Stimme sagte genug. Irgend etwas war schief gegangen. Als später der Tea-Room geschlossen war, nahm Lucy einen neuen Anlauf und fragte: »Erzähl doch, was mit Seymour los war. Du hast ihn doch nicht etwa angeschwindelt?«
»Nein, aber jetzt tut’s mir fast leid, daß ich’s nicht getan habe. Ich habe nämlich eine schreckliche Wut auf ihn. Er hat die verrückte Idee, daß ich in Dan verliebt sei. Ausgerechnet in Dan! Schon der Gedanke an ihn verursacht mir Magendrücken.«
Über diesen hitzigen Ausbruch mußte sie selbst lachen. »Ach, Lucy, ich rede daher wie eine dumme Gans! Natürlich ist Dan mir nicht zuwider, aber es ist eben alles ein ziemlicher Mist! Außerdem hat sich Seymour idiotisch benommen.«
»Was hat er denn getan?«
»Er hat mich gefragt, ob mir viel an Dan läge. Ich war so überrascht und... na, so enttäuscht, daß ich zuerst keine Antwort fand. Weißt du, ich merkte, daß ich alles falsch gemacht hatte, so daß er wirklich glauben konnte... Na ja, Schwamm drüber! Es ist eben so: wenn er das von mir glaubt, dann kennt er mich nicht, und dann — dann liebt er mich auch nicht. Ich riß mich zusammen und wollte ihm gründlich Bescheid sagen, aber da stakste er schon davon. Er ließ mir einfach keine Zeit, dieser schreckliche Mensch. Jetzt ist er wieder genauso unausstehlich wie am Anfang. Ich wünschte nur, ich hätte nicht...« Sie brach ab, um von Mrs. Kelston und ihren Bienen zu erzählen.
Doch Lucy fand die Geschichte keineswegs komisch. Ungehalten sagte sie: »Das geht zu weit von der alten Dame. Allmählich wird sie richtig lästig. Sie unterbricht deine Gespräche mit Seymour, und in den Schränken hat sie auch wieder herumgesucht. Sie ist wirklich ein bißchen konfus. Heute hat sie einen jungen Mann angehalten und zu ihm gesagt, er röche nach Schnaps. Das traf zwar zu, aber es ging sie ja nichts an. Dann hielt sie ihm eine lange Predigt über die Gefahren des Alkohols.«
Vicky lachte. »Wie gut, daß ich das Etikett von der Kognakflasche abgekratzt habe! Sie würde sich sonst einbilden, wir wären heimliche Säufer!«
»Noch kann man darüber lachen, aber ich hoffe doch, daß ihre Haushälterin bald wieder ihren Dienst antritt. Ich möchte Harry nicht sagen, daß sie uns allmählich auf die Nerven geht. Er ist so dankbar, und er bezahlt auch gut; aber ich will froh sein, wenn seine Mutter abzieht... Doch jetzt muß ich gehen und der dummen kleinen Nan sagen, daß sie nicht mehr zu jammern braucht.«
Unterwegs fiel ihr ein, daß Vicky den früheren Besitzer ihres Hauses noch immer »Mr. Seymour« nannte. Lucy selbst war nicht darauf erpicht, die Leute beim Vornamen zu nennen, aber es war doch seltsam, daß Vicky jemanden mit »Mister« anredete. Lucy konnte sich nicht erinnern, daß ihre Freundin einen Mann unter fünfzig so bezeichnet hätte, auch wenn sie ihn erst drei Tage kannte. Vickys Empfindungen mußten in diesem Fall ernsthafter sein als je zuvor. Und jetzt war da etwas schiefgegangen! Ein heftiger Zorn über Nan stieg in ihr hoch.
An Nans Haustür blieb sie stehen und blickte durchs Fenster. Es bot sich ihr ein friedliches, aber kein glückliches Bild. Nan blätterte gleichgültig in einer Zeitung, und Jack war in ein Buch vertieft. Sie hatten keinen Streit, aber innerlich schienen sie meilenweit voneinander entfernt zu sein. Ärgerlich dachte Lucy an Dan, der jetzt vielleicht einen kleinen Einsatz beim Rennen riskierte oder mit einem Mädchen in einer Bar flirtete. Er fragte kaum danach, wieviel Kummer er über drei Menschen gebracht hatte. Er ist es einfach nicht wert, sagte sie sich. Er wird immer wieder in Schwierigkeiten geraten, sich ungestraft davonmachen und die anderen für sich zahlen lassen.
Damit war sie freilich im Unrecht; denn in Wirklichkeit saß Dan Ireland auf seinem Bett in seinem ärmlichen Zimmer und überlegte, was er noch verkaufen oder versetzen könnte.
Lucy klopfte an die Haustür der Chisholms und trat ein. Eine halbe Stunde verbrachten sie in mühsamem Geplauder. Es kann äußerst anstrengend sein, wenn zwei Partner es vermeiden, sich gegenseitig anzusprechen, und sich nur an den Dritten wenden. Eigentlich war das alles lächerlich. Unmutig verabschiedete sich Lucy schließlich, ohne ihre Botschaft ausgerichtet zu haben. Wie sie erwartet hatte, sagte Nan: »Ich begleite dich bis zum Tor. Es ist so ein schöner Abend, und ich war den ganzen Tag noch nicht an der Luft.«
Voller Spannung fragte sie draußen gleich: »Gibt es etwas Neues? Hat Vicky mit Mr. Seymour gesprochen?«
»Ja. Sie läßt dir ausrichten, daß er nicht bis zum Äußersten geht und daß du dir keine Sorgen mehr zu machen brauchst.«
»Gott sei Dank! Wie hat sie das nur fertiggebracht?« Ihre Erleichterung war rührend, aber Lucy war nicht zum Mitleid aufgelegt. Sie war wütend über diese törichte kleine Person, die ihre Kümmernisse bei Vicky abgeladen hatte. Sie hätte doch wissen müssen, daß Vicky keiner Bitte widerstehen konnte und daß ihre Hilfe für sie selbst ein Opfer bedeuten würde. Es war ihr einfach unmöglich, einen Menschen, den sie gut leiden mochte, in Schwierigkeiten zu sehen. Und nun war sie selbst in Not.
»Wie sie das fertiggebracht hat? Ich habe nicht nach Details gefragt, aber es ist alles in Ordnung, zumindest für dich und Dan.«
»Ach, bin ich froh! Vicky ist doch eine schlaue Person! Sie ist die einzige, die so etwas hinkriegen kann.«
»Sie ist die einzige, die sich dazu hergibt.«
Der Vorwurf war nicht zu überhören. Nan blieb stehen und fragte: »Lucy bist du böse auf mich? Du meinst, ich hätte selbst mit Mr. Seymour reden sollen, nicht wahr?«
Lucy hatten stets die Menschen imponiert, die offen ihre Meinung sagten. Darum platzte sie heftig heraus: »Du hättest zu deinem Mann gehen und ihm alles erzählen sollen. Oder du hättest das Geld von uns borgen sollen. Es war nicht fair, alles Vicky zu überlassen.«
»Aber es hat ihr doch nichts ausgemacht! Sie nimmt doch alles so leicht. Sie hat mir ihre Hilfe ja sogar angeboten.«
»Hast du noch immer nicht gemerkt, daß sie für ihre Freunde alles tut? Natürlich hat es ihr etwas ausgemacht. Sie war ganz verzweifelt.«
»Ich dachte, sie wäre Dans wegen so bekümmert. Sie ist doch so innig mit ihm befreundet.«
Das war zuviel! Lucy explodierte. »Befreundet? Er bringt sie zum Lachen, das ist alles. Sie ist ja nicht dumm. Sie kennt ihn ganz genau und weiß, daß kein Verlaß auf ihn ist. Aber er tat ihr leid, und du hast ihr noch viel mehr leid getan. Sie hat so ein lächerlich weiches Herz; sie kann es nicht sehen, wenn andere traurig sind. Das alles solltest du schon längst wissen.«
So zornig hatte Nan Lucy noch nie gesehen. Sie war richtig erschrocken. Plötzlich wurde ihr bewußt, wie egoistisch und feige sie gewesen war. Mit zitternder Stimme sagte sie: »Das ist ja furchtbar. Hat sie es wirklich so ungern getan?«
»Freilich. Welches Mädchen geht gern zu dem Mann, den sie liebt und achtet, und bittet ihn für einen Menschen wie Dan? Was muß Seymour sich jetzt denken?«
»Meinst du wirklich? Ist es möglich, daß Vicky und Mr. Seymour. ..? Das wußte ich ja gar nicht. Weshalb hat sie es dann angeboten?«
»Das mußt du nicht mich fragen. Ich kenne Vicky seit zehn Jahren und konnte nie begreifen, warum sie so etwas tut. Aber diesmal hat sie sich selbst geschadet.«
»Glaubst du? Denkt Mr. Seymour jetzt, daß sie und Dan...?«
»Natürlich denkt er das. Was soll ein Mann wie Seymour glauben, wenn ein Mädchen bereit ist, die Schulden eines anderen Mannes zu bezahlen? Natürlich ist er überzeugt, daß sie Dan liebt, und er ist rasend eifersüchtig. Na ja, daran ist nun nichts mehr zu ändern. Aber es ist alles so albern und überflüssig, daß ich Dan Ireland zum Teufel wünschen könnte... Verzeih, Nan, aber du mußt doch zugeben, daß Vicky durch euch in diese Situation geraten ist.«
Nan war sehr niedergeschlagen. »Daran habe ich nicht gedacht. Ich war so bange, daß Jack alles entdecken würde. Und ich hatte solche Angst, daß Dan verurteilt werden würde, und als Vicky sagte...«
»Ja, ich weiß. Sie sagt manchmal so etwas. Da kann man nichts machen. Es ist nun einmal geschehen.«
»Ich konnte ja nicht ahnen, daß sie sich darum kümmert, was Mr. Seymour denkt.«
»Es hat sie sehr bekümmert, und als er fort war, hat sie bitterlich geweint. Vicky weint fast nie, erst recht nicht, weil sie unglücklich ist. Für einen kurzen Moment sah ich sein Gesicht, als er ging; das sagte genug. Weiß der Himmel, welchen Unsinn sie da fabriziert hat; jetzt zieht er sich vermutlich ganz zurück, weil er meint, daß sie in deinen elenden Vetter verliebt ist.«
»Auf die Idee wäre ich nie verfallen.«
»Hast du überhaupt bei dieser ganzen Sache an Vicky gedacht?« Über Nans Gesicht rannen die Tränen. »Wie hätte ich darauf kommen sollen?« wiederholte sie. »Sicherlich hat er an Vicky geglaubt, und es heißt, er wäre schrecklich empfindlich und stolz. Seine Verlobte hat ihn seinerzeit wohl sehr enttäuscht, und jetzt meint er, Vicky wäre genauso und hätte alles nur eingefädelt, um... Ach Gott, was kann man da nur machen?«
»Nichts. Absolut nichts. In der ganzen Sache ist schon viel zuviel geredet worden. Laß sie’s nicht merken, daß ich dir alles erzählt habe. Sie gibt sich fröhlich und unbeschwert, aber wie’s ihr wirklich ums Herz ist, das verschweigt sie. Sie spricht nie über etwas, was sie bekümmert. Nein, jetzt ist da nichts mehr zu machen.«
Nan holte tief Atem. »Ich war dumm und feige. Ich hatte stets das Gefühl, daß du das weißt, Lucy, obwohl du immer freundlich und teilnahmsvoll warst. Aber du hast recht. Ich bin schlapp, und ich hatte von jeher Angst vor Jack, wenn er ärgerlich war. Aber eines kann ich doch tun, und das soll gleich geschehen.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück ins Haus.
Lucy sah ihr nach. Was hatte sie vor? Dann aber zuckte sie die Schultern und ging ihres Weges. Sie hatte nie viel für Jammerlappen wie Nan übriggehabt, die ihr Kreuz auf anderer Leute Schultern legten.
Nan schlüpfte ins Wohnzimmer. Atemlos blieb sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie mußte sofort sprechen, ehe ihr Mut sie wieder verließ.
»Jack, ich muß dir etwas sagen.«
Er blickte auf; sein Gesichtsausdruck war nicht sehr ermutigend. »Ja?«
Sie kannte diesen Blick, und sie kannte ihre Feigheit. Jetzt wäre noch Zeit zu schweigen. Schließlich hatten sie einen Aufschub bekommen, und irgendwie würden sie das Geld doch zusammenkratzen. Aber dann dachte sie an Vicky. Wie tapfer war sie, wie warmherzig und impulsiv! Es war nicht recht gewesen, sie mit ihren eigenen Problemen zu belasten, und nun hatte Vicky ihr eigenes Glück für sie aufs Spiel gesetzt.
»Es... es ist eine ernste Sache. Bitte, leg das Buch weg, Jack, und hilf mir.«
Er klappte das Buch zu und erwiderte: »Wie soll ich dir helfen, wenn ich nicht weiß, worum es geht?«
»Es handelt sich um Dan.« Jetzt war es heraus!
Seine Züge verhärteten sich, wie sie es erwartet hatte. Verzweifelt sagte sie: »Schau mich nicht so an! Du machst es mir so schwer, und es ist doch schon schlimm genug. Dan ist in Schwierigkeiten.«
»Das überrascht mich nicht. Worum geht es denn dieses Mal? Um Geld oder um Frauen?«
»Um Geld. Wegen einer Frau würde ich mich nicht für ihn ins Zeug legen.«
»Also — was hat er diesmal angestellt?« fragte er ungeduldig.
»Er hat — er hat Geld von seiner Firma genommen. Er wollte es zurückgeben...« Sie stockte. Diese Rennwettgeschichte hörte sich grotesk an.
»Natürlich wollte er das. Wahrscheinlich hat er beim Rennen gesetzt und das Geld verloren.«
»Ja, und Mr. Seymour hat das entdeckt und ihn rausgeworfen.«
»Hat er es der Polizei gemeldet?«
»Nein; er hat das Geld ausgelegt.«
»Das war sehr anständig, aber ein Fehler.«
»Bitte, Jack, sprich nicht so! Wir können Dan doch nicht verurteilen lassen! Aber Mr. Seymour machte zur Bedingung, daß die Summe bis zu einem bestimmten Termin bezahlt würde, sonst wollte er Anzeige erstatten. Dan konnte aber keine Arbeit finden. Ohne ein Zeugnis wollte ihn niemand nehmen; außerdem hat sich die Sache in Homesward herumgesprochen.«
»Ich verstehe. Diese Geschichte von dem Soldaten, der aus dem Krieg heimgekehrt ist, war eine Erfindung von Vicky. Das habe ich mir gleich gedacht. Ebenso die Sache mit den Perlen. Sie ist doch eine richtige kleine Lügnerin.«
»Sie sagte es mir zuliebe, Jack.«
»Ja, ihr hast du alles erzählt, nicht mir. Jetzt verstehe ich auch seinen Eifer bei der Gartenarbeit.«
»Und vielleicht auch meine verrückten Sparmaßnahmen. Das war mir so peinlich. Aber es kommt noch schlimmer.«
»Hast du etwa versucht, das Geld zusammenzukriegen, um es Seymour zurückzuzahlen?«
»Das mußte ich doch! Ich konnte nicht anders! Was sollte ich machen? Für mich ist Dan wie ein Bruder. Hätte ich ihn im Stich gelassen, wäre es mir wie ein Verrat an der Familie vorgekommen.«
»Dieses Gerede, Dan gehörte zu deiner Familie, habe ich satt. Deine Brüder würden sich auch nicht geschmeichelt fühlen... Deshalb also hast du die Eier an den Händler verkauft und den anderen Blödsinn gemacht?«
»Ja, und es war mir so schrecklich, weil ich dabei das Gefühl hatte, dein Geld für Dan zu verwenden.«
»Warum, zum Donner, hast du mich nicht darum gefragt?«
»Das wollte ich ja; aber ich bin doch so feige! Das war ich schon immer, und wenn du ärgerlich bist, habe ich Angst vor dir. Du bist dann so eiskalt und hart. Manchmal denke ich, es wäre besser, du würdest schimpfen wie mein Vater, obgleich ich vor dem auch schreckliche Angst hatte. Aber du wirst dann ganz still, und da komme ich mir erst recht erbärmlich vor.«
Sein Ausdruck wurde milder. Sie hatte recht. Schon immer war sie schüchtern und schreckhaft gewesen. Damals hatte er erkannt, daß es die Schuld ihres Vaters war. Gerade diese Schwäche hatte ihn seinerzeit so gerührt. Er wollte sie davon befreien, sie glücklich und zuversichtlich machen.
Versöhnlich fragte er: »Und wieviel konntest du von der Suppe auslöffeln, die sich dein Vetter eingebrockt hat?«
»Leider nicht viel. Ich hätte ja eigentlich Geld auf der Bank haben sollen, denn du warst stets so großzügig. Ich hatte aber nichts gespart. Es war so herrlich, das Geld, ohne zu überlegen, ausgeben zu können. Aber jetzt mußte ich Dan helfen, und nun kommt das Allerschlimmste.« Mit ihren dunklen, traurigen Augen sah sie ihn verzweifelt an.
»Also los! Jetzt erzähl mir in Gottes Namen alles!« rief er ungeduldig.
»Das will ich auch. Ich versuche es ja. Aber jetzt wirst du bestimmt wütend. Du weißt ja, daß ich nur auf eine Art Geld verdienen kann: mit Nähen. Mrs. Nairn bat mich, Annes Brautkleid zu nähen. Die Schneiderin war krank geworden, und die Hochzeit stand vor der Tür. Da hab ich’s gemacht.«
»Und man hat dich dafür bezahlt?«
»Ja. Es war eine Menge Geld, eine große Hilfe.«
»Und wie, zum Teufel, hast du das geschafft, ohne daß ich es merkte?«
»Ich habe immer fleißig genäht, wenn du nicht daheim warst. Und einmal hab ich die ganze Nacht durch genäht, als du bei der Auktion warst.«
Er erinnerte sich, wie elend sie damals bei seiner Rückkehr ausgesehen hatte, und sie tat ihm leid. Er erhob sich und ging auf sie zu. Sie stand noch immer mit dem Rücken zur Wand, als ob sie dort Hilfe fände.
»Aber warum, muß ich immer wieder fragen, warum bist du nicht einfach zu mir gekommen und hast mich gefragt? Meinst du denn, ich hätte dir deine Bitte abgelehnt?«
Sein Ton hatte sich verändert. Sie griff nach seiner Hand. »Ach, Jack, mir hättest du nichts abgeschlagen, das weiß ich! Aber es ging um Dan, und den kannst du nicht leiden. Du hast ihn nie gemocht.«
»Ist es dir nie eingefallen, daß ich wahnsinnig eifersüchtig auf ihn hätte sein können?«
Jetzt war es heraus! Einen kurzen Augenblick lang starrten sie einander an — dann lag sie in seinen Armen und sagte leise: »Eifersüchtig auf Dan? Ach, Liebster, wie dumm!«
»Aber er war so oft hier. Er kam möglichst, wenn ich nicht daheim war. Er sieht verteufelt gut aus, ist ebenso alt wie du und immer guter Dinge. Außerdem hattest du Heimweh.«
»Das war es ja! Ich vermißte meine Leute; sie fehlten mir sehr, und Dan war doch ein Teil der Familie. Aber dieses Gefühl habe ich jetzt nicht mehr. Ich wünschte, er ginge fort von hier, irgendwohin, so daß ich nicht mehr für ihn zu sorgen brauche und es zwischen dir und mir keine Mißverständnisse mehr geben kann.«
Auf Armeslänge hielt er sie von sich ab. »Meinst du das wirklich im Ernst?«
»Ja, bestimmt! Ich habe das so satt! Durch Dan wurde alles so schwierig, auch für Vicky.«
»Vicky? Was hat sie damit zu tun?«
Sie erzählte ihm alles und schloß: »Lucy war heute abend richtig böse auf mich. Sie fand, ich hätte Vickys Angebot nie annehmen dürfen. Ich hätte wissen müssen, daß sie mir damit ein Opfer brachte.«
»Ich glaube gern, daß es eine harte Sache für sie war. Seymour kann man schwer um etwas bitten. Sie hat ihn wohl sehr verärgert?«
»Wahrscheinlich. Lucy hat sich nicht näher geäußert. Sie meint aber, daß sich zwischen Vicky und Seymour etwas angesponnen hatte. Und nun hat er sich zurückgezogen, weil er meint, sie sei in Dan verliebt.« — »Dieser Kerl stiftet überall Verwirrung!«
»Dieses Mal war’s wohl eher mein Fehler. Ich war so verzweifelt, aber ich hätte Vicky damit nicht behelligen sollen.«
»Du hast wohl allen Leuten aus unserer Bekanntschaft etwas vorgejammert?«
»Nicht allen, nur Lucy und Vicky. Irgend jemandem mußte ich mein Herz ausschütten. Ich war ja so unglücklich!«
»Eine von ihnen hätte dir doch raten sollen, daß ich die richtige Person für deine Kümmernisse bin.«
»Das taten sie auch, alle beide. Aber ich hatte solche Angst.«
»Angst vor mir?«
»Leider ja. Ich dachte, du würdest furchtbar böse, weil es sich um Dan handelte. Und ehe ich mir’s richtig überlegt hatte, nahm ich den Auftrag für das Kleid an, und das hätte dich doch noch mehr aufgebracht. Außerdem hat Vicky dir doch die Geschichte von dem Soldaten und den Perlen erzählt, und ich mochte sie nicht Lügen strafen... Ach, Jack, frag nicht länger, warum ich nicht zu dir gekommen bin! Ich weiß ja, ich war schrecklich dumm und feige. Das war ich schon von jeher. Irgendwie bin ich in all das hineingerutscht, und dann war’s zu spät.«
»Das alles ist recht kompliziert, aber zwei Dinge sind klar: Erstens: Solch einen Unsinn machst du nie wieder! Wenn du noch einmal in die Klemme kommst, dann wende dich gefälligst an deinen Mann.«
»Das mache ich ganz bestimmt! So etwas soll nie mehr vorkommen!«
»Gut. Zweitens: Wir sollten heute bald schlafen gehen, denn morgen muß ich sehr früh aufstehen.«
»Gibt es eine dringende Arbeit auf der Farm?«
»Dringend wohl, aber nicht auf der Farm. Erst will ich mit Dan sprechen und dann mit Seymour.«
»Bitte, Jack, mach Dan keinen so furchtbaren Krach! Es führt zu nichts. Du änderst ihn damit nicht.«
»Das stimmt. Er sollte einmal richtig auf die Nase fallen. Vielleicht war das schon eine Lehre für ihn! Ich möchte es allerdings bezweifeln.«
»Vielleicht zieht er doch eine Konsequenz. Er hat oft behauptet, er möchte noch einmal von vorn anfangen, am liebsten in Kanada bei Tom, der dort so gut vorwärtskommt. Tom würde sich auch um ihn kümmern.«
Jack wurde nachdenklich. »Wäre dir das wirklich recht?«
»O ja, und wie! Er würde mich sonst doch immer wieder rumkriegen, und ich mag mich nicht mehr um ihn sorgen.«
»Dann ist ja alles ganz einfach.«
»Wie meinst du das?«
»Morgen früh gehe ich zu meiner Bank; der Direktor wird sich wundern, daß ich so eine hohe Summe abheben will, noch ehe das Geld für die Wolle eingeht.«
»Willst du vielleicht für Dan die Überfahrt nach Kanada bezahlen?«
»Bis zum Südpol, wenn es sein muß.« Fast hätte er gesagt: Bis in die Hölle, aber ohne Rückfahrkarte! Aber er bezwang sich.
»Wie herrlich! Er wird dir mächtig dankbar sein und versuchen, alles gutzumachen.«
»Vermutlich wird er keines von beidem tun, aber das schadet nichts. Du bist ja völlig erschöpft! Diese verdammte Näherei! Kein Wunder, daß du so blaß bist... und das alles für diesen Taugenichts.«
»Du wirst morgen ziemlich früh aufstehen müssen, wenn du Dan vor seiner Gartenarbeit erwischen willst. Er wird froh sein, das aufgeben zu können. Aber hast du nicht gesagt, du wolltest auch mit Seymour sprechen?«
»Natürlich. Je eher er sein Geld bekommt, desto besser.«
»Jack!« Mehr sagte sie nicht, aber ihr Anblick rührte ihn, und er lächelte. »Was für eine rührende Seele hab ich doch geheiratet!« sagte er liebevoll, und seine Stimme klang so sanft wie damals, als sie sich in ihn verliebt hatte. Nun brauchte sie keine Angst mehr vor ihm zu haben.
Am nächsten Morgen war sie ganz von neuem Mut erfüllt und sagte beim Abschied: »Jack, könntest du... vielleicht könntest du...«
»Könnte was? Sag’s schnell, sonst verpaß ich den verdammten Bengel!«
»Könntest du wohl irgendeine Bemerkung zu Mr. Seymour machen, damit er merkt, daß es zwischen Vicky und Dan nicht das geringste gibt? Ich weiß, du willst dich nicht einmischen, weil du ihn zu wenig kennst. So denken alle Männer.«
»Und die Frauen haben keine Ruhe, wenn sie nicht ihre Nase in alles stecken können, wie zum Beispiel Vicky. Jene Perlen waren wohl für das Hochzeitskleid bestimmt?«
»Ja. Ich hatte ein paar fallen lassen, und Vicky sagte zur Erklärung, was ihr gerade durch den Kopf fuhr. Erinnerst du dich? Du hattest zuvor von Austern gesprochen.«
»Kann sein, bei der strengen Diät, nach der wir gelebt haben. Das war doch aber Blödsinn! Sie hatte hoffentlich nicht angenommen, daß ich darauf reinfalle.«
»Du hast es nicht geglaubt, nicht wahr?«
»Ich bin ja schließlich kein Esel! Aber ich bekam eine richtige Wut, weil ich merkte, daß ihr drei unter einer Decke stecktet und mich zum Narren hieltet.«
»Ach, Jack, wie schrecklich... Aber könntest du nicht doch eine Andeutung zu Mr. Seymour machen?«
»Liebes Kind, Männer machen nun einmal keine Andeutungen über Herzensangelegenheiten. Na, guck mich nicht gleich so verschreckt an! Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit.«
Als er Seymour das Geld aushändigte und ihm mit kurzen Worten für seine Geduld mit Ireland dankte, fügte er hinzu: »Wäre er nicht ein Vetter meiner Frau, es hätte mir nichts ausgemacht, wenn man ihn verknackt hätte. Er hat uns zuviel Ärger gemacht. Aber nun sind wir ihn bald los. Ich nehme für ihn eine Flugkarte nach Kanada. Sollen die auch ihren Spaß mit ihm haben.«
»Nach Kanada — das ist eine gute Idee. Dort hat er vielleicht mehr Bewegungsfreiheit. Aber ich dachte, er hätte hier... er wäre hier ziemlich gebunden?«
»Hier hat er nur meine Frau und ihre Familie. Ireland und meine Frau sind gleichaltrig und miteinander aufgewachsen. Aus diesem Grunde hing sie auch so an ihm. Aber Gott sei Dank hat er sich’s durch diese letzte Sache bei ihr verscherzt. Natürlich hätte sie mir gleich alles erzählen sollen, dann hätte ich Ihnen das Geld sofort gegeben. Aber wie Frauen nun einmal sind: Sie hat statt dessen ihr Herz ihren beiden Freundinnen ausgeschüttet. Nette Mädchen, aber ein bißchen unvernünftig, wenigstens die eine. Sie kennen sie wohl; sie haben Ihr früheres Besitztum gekauft.«
»Ja, ich kenne sie. Ich hatte den Eindruck, daß sie mit Ireland sehr befreundet waren.«
»So innig nicht gerade; dazu sind sie doch zu gescheit. Aber meiner Frau zuliebe haben sie sich eingemischt. Wenn ein paar Frauen beisammen sind, kommt meistens irgendein Unfug heraus. Zum Glück haben sie Ireland durchschaut und ihm kein Geld gepumpt. Manch andere hätte das wohl getan, denn er ist ganz der Typ dafür. Er wirkt ja auf Frauen. Aber jetzt werden sie ebenfalls heilfroh sein, wenn er abhaut.«
Mit diesem diplomatischen Meisterstück verabschiedete er sich.
Auf Nans Fragen berichtete er am Abend beiläufig: »Ich ließ ihn natürlich nicht merken, daß ich etwas wüßte. Ich flocht nur so nebenbei ein, daß die Mädchen Dan durch dich kennengelernt haben und sich nicht weiter um ihn kümmern. Dabei tat ich so, als könnte ihn das gar nicht interessieren. Mit einem Mann wie Seymour kann man nicht warm werden.«
»Ich wußte ja, daß du es richtig machen würdest! Du bist wirklich der klügste Mensch von der ganzen Welt!« rief Nan stürmisch.
In diesem Augenblick war Jack bereit, Dan alles zu verzeihen.