Unter Landsern
Bereits eineinhalb Stunden vor Abfahrt des Busses sitze ich auf der Treppe des Gemeindehauses und warte darauf, dass es endlich losgeht. Ich bin zu Fuß gegangen, um das Busgeld zu sparen, fünf Stationen, fast eine Stunde war ich unterwegs, in der rechten Hand eine prallgefüllte Reisetasche, in der linken einen zusammengeknüllten Schlafsack. Auf halber Strecke hat mich volles Brett ein Schauer erwischt, aber jetzt knallt wieder die Sonne, in einer Stunde bin ich hoffentlich trocken. Ich bin der Erste. Peinlich, hoffentlich sieht mich niemand, aber es sind ja große Ferien, da ist im Gemeindehaus nichts los.
4. August 1977. Es ist fast windstill. Das wird sich ändern, sobald wir an der Ostsee sind. Die Ostsee ist, verglichen mit der Nordsee, zwar eher so eine Art Teich, aber an manchen Tagen gibt es trotzdem mannshohen Wellengang. Das erbarmungslose Ostmeer, das schon so unendlich viele Opfer gefordert hat!
Beknackt, so früh da zu sein. Aber ich hab’s zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten vor Vorfreude und Vorangst. Jetzt langweile ich mich in Grund und Boden. Ich wühle in meiner Reisetasche und fische ein Fünf-Freunde-Buch heraus. Total peinlich, dass ich in meinem Alter noch Fünf-Freunde-Bücher lese; wenn das einer mitbekommt, wird er diese Information hundertprozentig gegen mich verwenden. Aber ich finde das Leben bereits jetzt unverhältnismäßig schwer, da brauche ich zum Ausgleich etwas Leichtes. Fünf Freunde, Asterix und Obelix, Fix und Foxi. Und Landserhefte, Groschenromane, die sich mit den Abenteuern der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg beschäftigen. Selbst im Hochsommer jagt mir die Vorstellung, wie die armen deutschen Landser im unmenschlichen russischen Winter gefroren haben wie die Schneider, Schauer über meinen zwergenhaften Körper. Ich habe neben drei Fünf-Freunde-Büchern noch ungefähr ein halbes Dutzend Landserhefte dabei, die muss ich unter strenger Geheimhaltung lesen. Kriegsschundliteratur auf einer christlichen Freizeit ist das Allerletzte, wenn das rauskommt, kann ich gleich wieder nach Hause fahren. Der Kessel von Stalingrad.
Ich hab noch gar keine geraucht heute, ich bin einfach nicht dazu gekommen vor lauter Stress. Jetzt hab ich tierischen Schmachter, und ich stecke mir gleich zwei Zigaretten hintereinander an, die erste hastig eingesogen und schön bis zum Filter runter, wie es sich gehört. Als ich die zweite gerade mal halb aufgeraucht habe, stellt sich plötzlich heftiger Arschdruck ein. Die verdammte Raucherei! Vor Aufregung und Hektik und Angst habe ich heute noch gar nicht gekackt. Und gestern auch nicht. Das rächt sich, ausgerechnet jetzt! Ich könnte die Toilette des Gemeindehauses benutzen, aber Kacken ist etwas Schmutziges, das man privat für sich machen muss. Ich lasse erst mal eine Ladung Entlastungspupse kommen.
Pppppfffff.
Ihhgitt. Ein stiller Kriecher, mit dumpf-erdiger Blume, in die sich im Abgang eine beißende Note einschleicht. Zeitlupenhaft zieht der braune Dunst nach oben und bleibt stehen, weil es ja praktisch windstill ist.
Pppppffffiiiiggglll.
Statt den Gestank wegzuwedeln, schiebe ich gleich noch einen hinterher, ohne Geräusche geht es diesmal nicht ab. Herrlich riecht das. Krabbelkinderstumpfsinn. Die Luft steht und steht und steht. Warum man wohl seine Pupse gerne riechen mag, seine Kotze jedoch nicht? Das muss doch einen Grund haben, es gibt schließlich für alles einen Grund.
Pffffkkrrr. Noch einer.
Fffffüüürrrrrkkk. Und noch einer.
Die Wolke kann sich gar nicht so schnell verflüchtigen, wie ich nachlege. Bestimmt ist schon das Gemeindehaus plus Grundstück eingenebelt, aber was soll ich machen. Ist das alles peinlich. Das ganze Leben ist peinlich. Vor der Abfahrt muss ich unbedingt kacken, ich weiß nicht, wie ich die Fahrt sonst überstehen soll. Das Busklo ist, wenn überhaupt, nur für kleine Geschäfte zugelassen, fürs Scheißen kommt man ins Gefängnis. Ich schaue auf die Uhr. Kurz nach zwei, um drei ist Abfahrt, mir bleibt also noch eine ungestörte halbe Stunde, mindestens.
Ppppppppppfffffffffffffffffkkkkkkkkkkkkrrrrrrrrröööö. Ich hab’s echt raus, die Knatterei ruhig und gleichmäßig zu halten. Alles eine Frage der Kontrolle. «Ein gut funktionierender Schließmuskel ist ebenso wichtig wie eine Lunge, die nicht dauernd in sich zusammenfällt.» Ist mir eingefallen, nachdem Dirk Kessler letztes Jahr mit eingefallener Lunge ins Krankenhaus musste und fast abgenippelt wäre.
Meine Güte, wo kommt das nur alles her? Ich habe doch nichts Besonderes gegessen: rote Paprikaschoten, gefüllt mit Hack, als Beilage Reis, zum Nachtisch Rhabarberkompott. Wahrscheinlich ist es der Rhabarber, Scheißrhabarber, Armeleuteessen. Arme Ritter, Milchreis, Russischbrot, Russischei, Wassereintopf. Unsere Oma isst am liebsten Eingebrocktes, jeden Morgen, seit fünfzig Jahren oder so, da könnte sie sich reinsetzen, sagt sie immer. Eingebrocktes ist in heißem Kaffee aufgelöstes altes Brot. Oma ist morgens immer als Erste wach, Eingebrocktes schlürfen ist für sie die größte Freude überhaupt. Bevor sie sich die heiße Plörre ins Gesicht löffelt, nimmt sie immer das Gebiss raus, wahrscheinlich, weil der Speisebrei so besser die Mundhöhle flutet: Jede einzelne Geschmacksknospe saugt sich voll wie ein Schwamm, mehr Genuss geht nicht. Das Gebiss nimmt Oma natürlich nur raus, wenn sie glaubt, alleine zu sein, sie ist ja nicht bescheuert. Bei Oma schmeckt die Schlagsahne nach Wasser, der Weißwein nach Fisch, und die Bierkrone riecht ein bisschen nach Kotze.
Pfffffffkkkkkkkrrrrrrrräää. Ganz heiß und feucht, ich muss echt aufpassen, das klingt nach den Vorboten von Sturzdurchfall, und den kann man nicht mehr kontrollieren, kein Mensch kann das. Puuuäääääärrrrääää. Jetzt mischt sich in den Mief noch was Verdorbenes. Der Geruch ist kurz davor, endgültig umzukippen, wie Milch, die von einer Sekunde zur anderen sauer wird. Das kann selbst ich bald nicht mehr aushalten.
QUIITTSCHKNNRRR. Ach du Elend. Begleitet von lautem Knarzen und Knörzen, öffnet sich die Tür des Gemeindehauses. Ich drehe mich um und schaue nach oben. Da steht sie, wie aus Stein gemeißelt, hochgewachsen, starr und streng: Frau von Roth, die Frau des Küsters. Sie schaut mich an, ohne eine Miene zu verziehen.
«Guten Tag, Thorsten.»
«Ach, guten Tag, Frau von Roth.»
Es stinkt immer noch bestialisch, aber sie lässt sich nichts anmerken. Eiserne Selbstbeherrschung, Contenance nennt man das in Adelskreisen. Frau von Roth entstammt einem verarmten Adelsgeschlecht, Pommern oder Schlesien oder so, und hat diese typische Adelsfresse, den Zug, den irgendwie alle Adligen im Gesicht haben, wahrscheinlich infolge jahrhundertelanger Inzucht. Sie leidet, glaube ich, sehr darunter, dass es bei ihr nur zur Küstersfrau gelangt hat. Und jetzt so was, das Ende eines langen Abstiegs.
«Du bist ja ziemlich früh dran.»
«Ja, stimmt, tut mir leid.»
Tut mir leid, so was Bescheuertes!
Ihre feinen Gesichtszüge sind erschlafft und von geplatzten Äderchen übersät. Das schwarze Haar ist so schwarz, dass es dunkelviolett schimmert.
Der Gestank will sich einfach nicht verziehen. Wahrscheinlich hängt der Miefkern gerade in Höhe ihres königlichen Gesichts. Frau von Roth würde so etwas nie offen ansprechen, niemals. Aber trotzdem muss sie wie alle anderen auch ihre wahnsinnigen Aggressionen loswerden, und sie hat sich für solche Gelegenheiten ein richtig hartes, strafendes Gesicht antrainiert, ein Kleine-Leute-Hassgesicht. Sie bleibt in der Tür stehen und kostet meine Scham richtig aus. Ich spüre, wie meine Wangen glühen und ich gleichzeitig sauer werde. Tut so, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nichts ausgeschieden! Blitzschnell rechne ich hoch, wie viel Kacke Frau von Roth in ihrem bisherigen Leben schon ausgeschissen hat: Fußballfelder. Ganze Strände. Ja, Frau von Roth, mir kannst du nichts vormachen, ich weiß Bescheid. Bestimmt hat sie irgendwelche verbotenen Leidenschaften. Gerade die besonders Disziplinierten sind in Wahrheit die Allerschlimmsten: Strullerpartys, Schlickspiele. Moorbäder. Brauner Salon. Luke zwo.
Egal, ich kann’s drehen und wenden, wie ich will, etwas Peinlicheres ist mir im Leben noch nicht passiert. Außer vielleicht das eine Mal, als mich meine Mutter beim Wichsen erwischt hat. An sich schon unfassbar peinlich, aber ich habe auch noch den Namen meines Klassenkameraden Andreas gestöhnt. «Andi, o Andi, bitte, bitte», oder so ähnlich. Auch noch schwul, was kommt als Nächstes? Die Geschichte ist schon länger her, aber die Scham bleibt auf ewig konserviert. Wo nimmt sie nur ihre Lebendigkeit her, die Scham? Egal.
«Andi, bitte, ja, Andi.» Ausgerechnet Andreas. Sein plattes, ausdrucksloses, ewig käseweißes Gesicht mit den leicht hervorquellenden Augen und den seltsam roten Lippen ist alles andere als hübsch, und die kurzgeschnittenen Locken sehen aus, als trage er eine Omadauerwelle. Außerdem hat er so eine schnarrende, halsig-heisere Stimme. Die meisten Jungen haben meckernde Scheißstimmen, aber die von Andreas ist besonders hässlich.
Das Auffälligste an ihm ist jedoch sein Schwanz. Andreas scheint ausschließlich aus Schwanz zu bestehen. Es ist, als wäre er zu groß für ihn, der Schwanz führt den Menschen spazieren statt umgekehrt und hat längst die Kontrolle über den Gesamtorganismus übernommen. Sagenhaft, wenn Andreas nach vorne muss in Mathe. Er ist extrem schlecht in Logarithmen und dem ganzen Wahnsinn und wird deshalb dauernd an die Tafel zitiert, wo er verzweifelt von einem Bein aufs andere tippelt und sich wie ein Irrer verrechnet. Herr Dierks, unser Mathelehrer, ist ein echtes Schwein, er weidet sich an seinen Qualen.
Wenn Andreas da steht, sind sechsundzwanzig Augenpaare auf sein Genital gerichtet. Die Mädchen tuscheln und kichern, und die Jungen tun so, als ob nichts wäre. Was bleibt ihnen übrig. Andreas scheint nichts mitzubekommen, er tut wenigstens so. Ob er wirklich nicht weiß, was eigentlich los ist? Manchmal denke ich ja, dann wieder nein. Einmal Andreas einen wichsen, herrlich muss das sein. Ich bin genauso wenig schwul wie er, aber Bock hätte ich schon. Ich stelle mir vor, wie er dabei mit seiner kaputten Quakstimme ununterbrochen dünn und glucksend lacht. Ohne Schwanz würde seine meckernde Stimme einfach nur meckern, mit Schwanz klingt das Gegacker geil. Furchtbar. Was ist das nur für ein Leben.
Meine aktuellen Phantasien schwanken fifty-fifty zwischen Jungen und Mädchen. Von den Weibern denke ich am häufigsten an meine Klassenkameradinnen Petra Barfknecht und Simone Jahn, wahrscheinlich, weil ich sie jeden Tag sehe und sich im Laufe der Zeit eben einiges anstaut. Ansonsten gibt es keinen Grund: Petra drall und leicht vergnomt, Simone groß, dünn und kamelig. Männliche Ausweichphantasie ist gelegentlich Uwe Lohmann, dessen Schwanz klein und dünn ist, mit einem noch kleineren, extraprallen Sack, hab ich mal in der Umkleide gesehen. Auch schon wieder geil irgendwie. Eigentlich ist alles irgendwie geil.
«Na ja, dann, viel Spaß.»
Frau von Roth holt mich wieder in die ungeile Wirklichkeit zurück. RRRRRuuummms. Sie lässt zum Abschied nochmal ordentlich die Tür knallen, denn ich soll wissen, dass ich ein Schwein bin, ein menschliches Schwein. Oder vielmehr ein menschliches Schweineäffchen, weil ich so klein bin. Gottogott, wie soll ich ihr nur jemals wieder in die Augen schauen?
Pppppffffffff.
Es nützt nichts, ich muss mich im Garten hinter dem Gemeindehaus erleichtern, das Arschwasser steht mir mittlerweile bis zum Hals. Allein zu Hause kann man den Arschdruck auskosten und genießen. Arschdruck ist geiler als Kiffen. Ich habe zwar noch nie gekifft, weiß aber trotzdem, dass ich recht habe. Happy Hour.
Mit zusammengekniffenen Arschbacken kreisel ich nach hinten. Ach du Elend: Herr von Roth (geborener Drechsler, er hat den Namen seiner Frau angenommen) mäht den heiligen Gemeinderasen. Bahn um Bahn um Bahn, schneckenlangsam und gewissenhaft, als ob er fürs Rasenmähen geboren wäre. Das kann dauern, wahrscheinlich den ganzen Nachmittag, bis in die Abendstunden. Was soll ich nur machen? PPffrröööökkkkrr. Fühlt sich schon verdächtig nach braunem Bremser an. Meine Güte, wie soll ich das nur aushalten, ich habe doch noch gar nichts verbrochen. Zum Glück hat er mich nicht gesehen. Erst mal zurück nach vorne auf die Treppe, um Zeit zu gewinnen und die drohende Spontanentleerung zu verhindern.
Plötzlich kommt Herr von Roth samt Rasenmäher um die Ecke. Hinten ist’s doch noch gar nicht fertig, da kann er doch nicht einfach vorne weitermachen!
«Hallo, Thorsten.»
«Guten Tag, Herr von Roth.»
Ich kenne Herrn von Roth seit der Konfirmandenzeit. Eigentlich mag ich ihn ganz gern und er mich, glaube ich, auch.
«Na, gleich geht’s los. Freust du dich schon?»
«Ja.»
«Du bist ja heute zum ersten Mal mit auf Familienfreizeit. Weißt du eigentlich, wie oft Fiedlers schon waren?»
«Nö, keine Ahnung.»
«Sechzehnmal!»
Die Fiedlers sind Ende sechzig und halten den Rekord. Ich kenne sie schon seit Ewigkeiten, sie hatten bis zu ihrer Rente eine kleine Reinigung, in der es immer komisch roch. Saurer Armeleutegeruch, ich konnte mir nie so richtig vorstellen, wie bei so einem Geruch die Klamotten sauber werden. Fiedlers interessieren sich wie die meisten anderen Erwachsenen nicht für christliche Inhalte, sie fahren nur mit, weil es so billig ist. Zwei Wochen Sommerfrische an der Ostsee mit Vollpension für nicht mal vierhundert Mark pro Nase, das ist konkurrenzloses Kirchenangebot, gibt’s sonst nirgends. Fiedlers sind unfassbar fett, sie sehen aus wie zwei Pilze, ein großer und ein mittlerer. Herr Fiedler hat das Gesicht eines Schafbocks, Frau Fiedler auffallend kurze Arme, an denen riesige Hände kleben, groß wie Maulwurfpfoten. Ab und an treffe ich sie im EKZ, stumm und schwitzend schleppen sie überladene Einkaufstüten mit sich herum. Seltsam zerlumpt und halb betäubt sehen sie immer aus. Ihre Hände riechen nach Geld und Marmelade, stell ich mir jedenfalls vor. Aber ich hab gerade andere Probleme, als mir den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Hände wie riechen und wer wie oft mit war. In Herrn von Roths Gesicht lese ich ein gewisses Misstrauen:
«Wie viele seid ihr diesmal eigentlich insgesamt?»
«Ich weiß nicht. So fünfzig rum.»
«Fünfzig nur? Vor ein paar Jahren waren es noch siebzig.»
Mit gespielter Entrüstung tritt er gegen den Rasenmäher. Aua, denke ich.
«Mmhh.»
So, Herr Küster, Schnauze jetzt, der Rasen mäht sich schließlich auch nicht von allein. Doch Herr von Roth stiert mich mit seinem rotbramsigen Mondkuchengesicht leutselig an und fährt fort mit dem Verhör:
«Hast du schon gehört, dass es wahrscheinlich die letzte Saison ist? Das Haus soll bald abgerissen werden!»
So ein Quatsch. Das Gebäude gehört dem Kirchenkreis, es kann gar nicht abgerissen werden.
«Ach. Wusste ich nicht.»
«An der Stelle soll ein Hotel gebaut werden. Scharbeutz will in Zukunft hoch hinaus, so wie Timmendorf.»
Scharbeutz hoch hinaus, da lachen ja die Hühner, und noch nicht mal die. Das Einzige, wofür Scharbeutz bekannt ist, ist das Irrenhaus. «Pass bloß auf, sonst kommst du nach Scharbeutz!» So wie es in Hamburg «Pass bloß auf, sonst kommst du nach Ochsenzoll» heißt. Bloß dass Hamburg noch mehr zu bieten hat als ein Irrenhaus. Scharbeutz aber nicht. Scharbeutz ist ein total runtergeranztes Kaff, das weiß selbst ich mit meinen sechzehn Jahren. Vielleicht bauen sie ja noch ein zweites Irrenhaus. Aber das ist mir vollkommen egal, genauso, wie es mir egal ist, dass ich im zwölften Stock eines Hochhauses lebe, so ziemlich dem hässlichsten in der ganzen Gegend. Umgangssprachlich heißt es «Nuttenbunker», weil in den oberen Stockwerken angeblich mal Nutten ihren Geschäften nachgegangen sein sollen, aber das ist lange her, schade eigentlich, dann wär wenigstens mal was los. Als Kind ist es einem in Wahrheit vollkommen egal, wo man wohnt, man nimmt die Dinge, wie sie sind, und macht das Beste draus, Bauernhof oder Nuttenbunker spielt nicht die geringste Rolle, egal, egal, egal. Herr von Roth fummelt sinnlos am Rasenmähergriff herum.
«Und auf das Vogelschutzgebiet sollen Nurdachhäuser aus der DDR hin, wie in Haffkrug.»
Nurdachhäuser aus der DDR. So ein Schwachsinn! Das denkt er sich doch alles nur aus, warum, weiß ich auch nicht. Vor lauter Verzweiflung sage ich gar nichts mehr und schaue stumm und mit extra gequältem Gesichtsausdruck auf den ungemähten Rasen. Herr von Roth unternimmt einen letzten Versuch:
«Jaja, so ist das.»
Keine Reaktion.
«Na gut, Thorsten, ich wünsch dir jedenfalls viel Spaß.»
«Danke schön, Ihnen auch.»
Er nimmt ächzend seinen rostigen Mäher und beginnt, die vordere Seite zu beackern. Määäh. Määähh.
Ich warte noch eine endlose Minute, dann reiße ich aus einem Landserheft (Hauptfeldwebel Ernst Kruse) ein paar Seiten heraus, kneife mit letzter Kraft die Arschbacken zusammen und watschle in Kackquetschhaltung erneut nach hinten. Es duftet schön nach frischgemähtem Rasen. Nicht mehr lange, haha. Mir ist mittlerweile alles egal, und wenn Frau von Roth mich erwischt, soll sie doch, ich hab nichts mehr zu verlieren.
Ich ziehe mir die Hose bis in die Kniekehlen, und ab geht die Post: ein wässriger Spritzwurf, begleitet von verkniffenen Trompetengeräuschen, die Plörre spritzt vorne bis zum Bauchnabel und hinten den Steiß hoch. Es riecht ekelhaft sauer. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass gesunder Stuhl neutral riecht und den After kaum beschmutzt. Jaja. Es kommt mir vor, als hätte ich ein Viertel meines Körpergewichts weggeschissen, erstaunlich, wie viel Scheiße in so einen kleinen Körper hineinpasst. Ich hocke mit puterrotem Pavianarsch in einem Kornkreis aus Scheiße und muss auch noch sparsam sein beim Abwischen, weil ich zu wenig Seiten rausgerissen habe. Mit Landserheftpapier den Arsch abwischen fühlt sich aber gar nicht gut an. Aua, aua, es brennt wie Hölle. Wund geschissen, das gibt richtiges Arschfeuer, na das wird vielleicht ein Höllentrip nach Scharbeutz.