Kapitel 14

 

Zwei Tage später, auf der anderen Seite Schottlands, vereiste eine glitzernde Frostschicht die mächtigen Mauern der auf einer Insel liegenden Festung des MacKenzie-Clans. Ein scharfer, schneidend kalter Wind fegte mit voller Wucht über die krenelierten Zinnen und peitschte die umliegenden Gewässer des Loch Duich zu tosenden, mit weißen Schaumkronen bedeckten Wellen auf.

Doch innerhalb der massiven Mauern von Eilean Creag, in der verrauchten Wärme seines nur schwach beleuchteten großen Saals, regte sich nichts, um die Ankunft eines neuen Tages zu begrüßen.

Nicht einmal ein Luftzug wagte es, die Binsenstreu auf dem Fußboden zu bewegen ... oder das selig schlummernde Paar in dem wuchtigen hölzernen Bett zu stören, das einen Ehrenplatz auf dem erhöhten Podium am fernen Ende des großen Saals einnahm.

Selbst das Schnarchen der zahlreichen MacKenzies, die um das mächtige Bett herum schliefen, war nur ein gedämpftes Schnarchen. Und die, denen ihr Leben lieb war, schnarchten gar nicht.

Oder drehten und wälzten sich im Schlaf herum.

Duncan MacKenzie, der gefürchtete Schwarze Hirsch von Kintail, hatte strikte Anweisung erteilt: die Ruhe seiner Dame durfte unter gar keinen Umständen gestört werden.

Und sie durfte auch ihr Bett nicht verlassen.

Dass sie es dennoch wiederholt getan hatte, entgegen der Wünsche ihres Gatten und wider jegliche Vernunft, war der Grund dafür, dass er ihr Bett eigenhändig abgebrochen und in den Saal hinuntergeschleppt hatte, um es dann dort in seiner ganzen Pracht und vor den Augen jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes innerhalb der Mauern von Eilean Creag wieder aufzubauen.

Und ihnen allen war befohlen worden, die Burgherrin im Auge zu behalten.

Bei Anbruch dieses neuen Tags jedoch beschlich eine beängstigende Entschlossenheit Linnet MacKenzies Herz.

Ein machtvolles Bedürfnis, die Turmtreppe hinaufzusteigen, dem eisigen Wind zu trotzen, der über die Zinnen pfiff, und diesen neuen Tag mit ganz besonderer Zuversicht und Freude zu begrüßen.

Und sie hätte es sicher auch getan, wenn ihr umfangreicher Bauch ihr nicht ihre gewohnte Kraft genommen hätte ... und ihr eifrigster nächtlicher Beobachter nicht seine üblichen Tricks gebraucht und besitzergreifend einen muskulösen Oberschenkel über ihr Bein und einen nicht weniger kräftigen Arm um ihre Taille gelegt hätte.

Vorsichtig, um den gut aussehenden Flegel neben sich nicht zu stören, warf Linnet einen Blick auf ihren schlafenden Ehemann und überlegte, ob sie es riskieren konnte, sich aus seiner gut gemeinten Umklammerung zu befreien.

»Denk nicht einmal daran, es zu versuchen«, warnte Duncan MacKenzie, ohne seine Augen auch nur einen Spalt breit zu öffnen.

Aber er zog sie noch ein wenig fester an sich.

»Heute ist der Tag«, antwortete seine rothaarige Frau mit einer ganz eigenartigen Heiserkeit in ihrer Stimme, einer sentimentalen Enge, die nur sie und ein gewisser narbengesichtiger Rüpel von einem Engländer zu Stande bringen konnten.

Und ihr Klang, verbunden mit ihren rätselhaften Worten, vertrieb die letzten Reste Schlaf, an die Duncan MacKenzie sich noch hatte klammern wollen, und ersetzte sie durch kalte, angespannte Wachsamkeit.

»Der Tag für was?« Sich auf die Ellbogen aufrichtend, blickte er sie aus schmalen Augen an, und kalte Furcht beschlich sein Herz, ja sein gesamtes Sein, als er ihren Gesichtsausdruck sah.

Im schwachen Fackellicht, das durch die halb geöffneten Bettvorhänge auf ihr blasses Gesicht fiel, sah er goldgesprenkelte, feucht schimmernde Augen ... und schlimmer noch, ein leichtes Zittern ihrer Unterlippe.

»Das Kind?!« Duncan sprang auf, ohne auch nur einen Gedanken an seine Nacktheit zu verschwenden oder zu bedenken, an welch öffentlichen Ort ihr Bett jetzt stand.

»Heilige Maria und Josef!«, dröhnte er und fuhr sich mit den Händen durch das Haar.

»Kruzifix! Das ist zu früh!«, brüllte er wie ein verwundetes Tier, denn eine Angst, wie er sie noch nie in seinem ganzen Leben gespürt hatte, durchströmte ihn in großen, kalten Wellen. »Heilige Muttergottes, bewahre ...«

»Gütiger Himmel, Duncan, nimm dich zusammen.« Linnet schüttelte den Kopf und lächelte.

Sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln ... ihm und sämtlichen MacKenzies, die sie durch den Spalt in den Bettvorhängen anstarrten, mit verschlafenen Augen und dem gleichen Entsetzen in ihren erschrockenen Gesichtern, wie es auch die Miene ihres Ehemanns zeigte.

»Alle starren dich an«, sagte sie und zog die Bettdecke über ihre Brüste. »Du hast sie alle aufgeweckt mit deinem Geschrei, und das völlig unnötigerweise. Das Kind kommt erst in ein paar Wochen.«

»Und wach hätten sie auch längst schon sein sollen!« Er fuhr herum, stützte die Hände in die Hüften und starrte finster jeden an, der es riskierte, seinen Blick zu erwidern.

Starrte sie alle böse an, bis ihr Kichern ihn daran erinnerte, dass er ihnen gerade seinen nackten Körper zur Schau stellte.

Bis die Bedeutung der Worte seiner Frau die angespannte Wachsamkeit durchdrangen, die seinen Magen verkrampfte und ihn keinen klaren Gedanken fassen ließ.

Das Kind kommt erst in ein paar Wochen.

Die Worte waren wie ein kühlender Balsam für seine überreizten Nerven.

Ein wohltuender Balsam, der seine Furcht zerstreute, sie zu verlieren ... und das Kind.

Das erste, das sie so lange ausgetragen hatte, ohne es zu verlieren.

Duncan stieß einen tiefen Seufzer aus und bedachte jeden Gaffer in seinem Saal mit einem gebieterischen Blick. »Dieses Bett steht nur aus einem Grund hier«, rief er, und seine tiefe Stimme stieg bis zu der gewölbten Decke des Saals auf. »Ihr seid aus dem gleichen Grund hier - um mich zu wecken, falls meine Gemahlin versuchen sollte, es zu verlassen ... oder um eine solche Torheit zu verhindern, sollte ich nicht hier sein.«

Dann warf er einen düsteren Blick über die Schulter.

Auf sie.

Mit ihren wiederholten Versuchen, sich seinen Anweisungen zu widersetzen, würde er sich später beschäftigen - nach der sicheren Entbindung des gesunden Kinds, mit dem sie ihrer Meinung nach gesegnet waren.

Aber seine gaffenden Männer würden jetzt schon seinen Unmut kennen lernen. »Wenn ihr euch nicht für den Best eurer Tage in Sackleinen kleiden und nichts anderes als Büß und Asche essen wollt, dann legt euch auf der Stelle wieder auf eure Strohsäcke, oder wohin auch immer ihr eure Köpfe legen wollt, und achtet nicht darauf, was in diesem Betts geschieht... es sei denn, meine Gemahlin versucht erneut, es zu verlassen.«

Die Arme vor der Brust verschränkend, wartete er, bis das Gebrummel, Grunzen und Rascheln seiner Männer ein Ende fand, und dann wandte er sich wieder zu seiner Frau um, deren Augen noch immer von Tränen verschleiert waren.

Wenn das Kind nicht der Grund für ihren gefühlsseligen Gesichtsausdruck war, musste der Gedanke an einen anderen Menschen ihre Sentimentalität hervorgerufen haben. Er ahnte, um wen es sich handelte.

Um die einzige andere Person mit einem ähnlich großen - und weichen - Herz, wie Linnet selbst es hatte.

Nachdem er sich auf den Bettrand gesetzt hatte, nahm er ihre Hände in die seinen ... und verbarg seine Bestürzung über ihre feuchten, kalten Finger hinter einem gekränkten Schnaufen.

»Was ist mit dem großen Flegel?«, fragte er und empfand seine Besorgnis um seinen Freund als fast genauso lähmend, wie es seine Furcht um Linnet und das Kind gewesen war. »Hast du eine Vision gehabt? Ist er in Gefahr?«

Linnet schüttelte wieder den Kopf, denn das Lächeln, das in ihrem Herz aufstieg, schnürte ihr auch die Kehle zu und erschwerte ihr das Sprechen.

Ihr Ehemann runzelte die Stirn - ein entmutigender Anblick für jeden, der ihn nicht so gut kannte wie sie. »Wer ist es dann, an den du denkst? Deine Schwester?« In einer zärtlichen Geste, die seinen grimmigen Gesichtsausdruck Lügen strafte, strich er ihr das Haar aus der Stirn. »Ist sie in Gefahr?«

»Nur in Gefahr, ihr Herz zu verlieren«, antwortete Linnet schließlich, noch ganz überwältigt von der Freude über diese Erkenntnis. »Er hat das seine schon verloren«, fügte sie dann noch hinzu, und eine dicke Träne tropfte aus ihrem Augenwinkel.

Ihr Gemahl wandte für einen Moment den Blick ab.

Als er sie wieder ansah, schimmerte auch in seinen Augen eine ungewohnte Feuchtigkeit. »Sie sind glücklich?«, fragte er, seine tiefe Stimme leise und schroff. »Deine Gabe hat es dir gezeigt?«

»Ja, meine Gabe, aber auch mein Herz«, erwiderte sie und legte ihre freie Hand an sein geliebtes Gesicht.

Duncan nahm sie und drückte einen warmen Kuss darauf. »Dieser einäugige Bastard liebt also tatsächlich wieder?«, insistierte er, als hielte er diese Möglichkeit für ausgesprochen unwahrscheinlich.

Aber der Tonfall seiner Stimme zeigte gleichzeitig auch seine Freude über diese Aussicht.

»Und sie liebt ihn?«

Plötzlich müde, entzog Linnet ihm ihre Hände und ließ sich in die Kissen zurücksinken. Dann verschränkte sie beschützend ihre Hände über ihrem Bauch und schenkte ihm ein schwaches kleines Lächeln.

»Ich bezweifle, dass sie es schon weiß, aber aye, sie tut es.«

Ein spitzbübisches Lächeln erschien auf Duncans Gesicht. »Gott stehe ihm bei, aber ich kann es kaum erwarten, diesen englischen Hurensohn wiederzusehen«, schwor er. »Ich werde ihm das Leben zur Hölle machen dafür, dass er so halsstarrig war, als wir ihn anfangs baten, deiner Schwester beizustehen.«

Ein übellauniges Schnauben kam von irgendwo aus der Dunkelheit. »Und wann werden wir den liebeskranken Narren endlich wieder zu Gesicht bekommen?«

Linnets Lächeln wurde noch breiter, als sie die Stimme erkannte.

Die dunklen Brauen ihres Ehemannes zogen sich zusammen, als er durch den Bauch und Dunst im Saal im Halbdunkel nach Fergus suchte, Eilean Creags bejahrtem Seneschall und dem einzigen Menschen in ganz Kintail, der es wagen würde, sein Schweigegebot zu missachten.

Der grauhaarige alte Esel reckte denn auch prompt sein stoppeliges Kinn, als Duncans Blick sich auf ihn richtete. »Ich habe all seinen Klimbim und Firlefanz, der mir den Platz im Saal wegnimmt, allmählich satt«, beklagte sich der Graubart und wies, um seine unbesonnene Bemerkung zu verteidigen, auf die wackeligen Stapel von Sir Marmadukes Sachen neben der bogenförmigen Eingangstür zum großen Saal.

Ein wahrer Berg von Haushaltswaren, Waffen und, wie Fergus schon ganz richtig sagte, reich verzierten Dekorations-und Schmuckgegenständen, an denen nur ein solch gefühlsbetonter Mann wie der galante Sir Marmaduke Strongbow Gefallen finden konnte.

Eine Fülle von Gegenständen, die Duncan und seine Männer seit Wochen nach und nach per Boot über den Loch Duich zu Marmadukes bisher noch unbewohnter Festung Balkenzie hinüberbrachten.

Und es trotz ihrer Bemühungen noch immer nicht geschafft hatten, die zusammengetragenen Besitztümer des Sassenachs sichtlich zu verringern.

»Es wird Zeit, dass er zurückkehrt und das Leben hier wieder seinen normalen Gang nimmt«, brummte Fergus und drehte sich auf dem Strohlager, das er mit seiner ebenso bejahrten Gattin teilte, auf die andere Seite und der knochige Arm, den er über seinen Kopf legte, signalisierte, dass er kein weiteres Wort über das Thema zu verlieren gedachte.

Und um auch den letzten Zweifel daran auszuräumen, kündigte sein unverwechselbares Schnarchen - hoch und pfeifend - schon bald das unbestreitbare Ende der Störungen an.

»So, meine Liebste«, murmelte Duncan und wandte sich wieder seiner Frau zu, »wann werden wir also diesen Kitsch und Plunder anhäufenden Narren wiedersehen? Steht seine Rückkehr kurz bevor? War es das, was du meintest, als du sagtest, »heute ist der Tag<?«

»Nein«, antwortete Linnet mit unsicherer Stimme, und auch ihre wundervollen Lippen zitterten nun wieder. »Ich weiß nicht, wann sie zurückkehren werden. Du solltest inzwischen wissen, dass ich meine hellseherische Gabe nicht willkürlich benutzen kann.«

Dann hielt sie inne und warf einen raschen Blick auf die wahren Berge von Gütern am anderen Ende des Saals. »Aber ich bete, dass sie beizeiten kommen werden, um Weihnachten auf Balkenzie zu feiern, so wie wir es gehofft hatten.«

»Und was für ein besonderer Tag ist dann heute?«

»Ihr Hochzeitstag«, erklärte sie, und Duncan glaubte ihr ohne den geringsten Zweifel. »Heute ist der Tag, an dem sie heiraten werden.«

Ihr Hochzeitstag.

Caterine blieb auf dem oberen Treppenabsatz stehen und blickte zu den Scharen von Menschen hinunter, die sich auf dem Burghof drängten. Das ungewohnte Treiben erfüllte ihr Herz mit einer eigenartigen Wärme ... und stürzte sie kopfüber in ein Dilemma widersprüchlicher Gefühle, die zwischen freudiger Erregung und Befangenheit schwankten.

»Sie kommen, Mylady«, sagte neben ihr Lady Rhona, die ihre freudige Erregung kaum verbergen konnte. »Sie alle kommen - genau wie er gesagt hat!«

Zu gerührt, um etwas sagen zu können, nahm Caterine nur die Hand ihrer Freundin und drückte sie.

Die Kätner waren in der Tat gekommen, genau wie ihr Bräutigam vorausgesagt hatte, und so weit sie selbst die Lage überschauen konnte, hatten sie auch ihre Freunde und Familien mitgebracht.

Ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen, als sie ihre Augen anstrengte, um etwas durch die Schwaden dichten Nebels, der über den gepflasterten Burghof zog, zu erkennen.

Ein Meer vertrauter Gesichter erwiderte ihren Blick.

Strahlende Gesichter, voller Stolz und ... Hoffnung.

Teure Gesichter der Menschen, die sie seit vielen Monaten nicht mehr gesehen hatte, die aber nun vom Fuß der Treppe zu ihr aufschauten. Oder ihr sogar vom fernen Torhaus aus noch lautstark alles Gute wünschten.

Caterine klammerte sich an Rhonas Hand, atmete tief die frostige Luft ein und kämpfte darum, ihre Stimme wiederzufinden.

»Sind es wirklich so viele?«, gelang es ihr schließlich trotz des Kloßes, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, zu fragen.

»Mehr als Sterne am Nachthimmel«, antwortete Rhona, und auch ihre Stimme klang verdächtig rau. »Und ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie auch auf dem Damm zum Festland und auf dem Pfad zwischen den Klippen stehen ... falls meine Augen mich nicht täuschen.«

»Und«, fuhr sie fort und legte den Kopf ein wenig schief und tippte sich mit einem Finger aufgeregt ans Kinn, »falls meine Ohren mir nicht auch einen Streich spielen, ist das nicht die Kirchenglocke?«

Sie war es.

Ihre Klänge waren nur gedämpft und schwach, aber jeder einzelne Glockenschlag schlug deutliche und einladende Töne in Caterines Herz an.

Das Glockengeläut und die überschwängliche Freude ihrer Freundin erlösten sie von ihrem Dilemma, weckten dafür aber eine ganz und gar nicht ungefährliche Hochstimmung in ihr.

Und Hoffnung.

Doch wenn sie ehrlich wäre, müsste sie zugeben, dass diese Hochstimmung bereits den Sieg davongetragen hatte, seit er in den Hof geritten war, sich auf ein Knie vor ihr niedergelassen hatte und einen galanten Kuss auf ihre Hand gedrückt hatte.

Die Hoffnung war erst später dazugekommen, aber von Tag zu Tag stärker geworden.

»Komm, Mylady«, drängte Rhona da auch schon und begann sie die Treppe hinunterzuziehen. »Es wird Zeit.«

Aye, so ist es, und ich wünsche Euch alles Gute...

Die weibliche Stimme, dunkel und sinnlich, erhob sich über den Lärm der Menge, zart wie dahintreibender Nebel, aber auch so klar und deutlich, als wären die Worte direkt in Caterines Ohr geflüstert worden.

Sie fuhr herum, um zu sehen, ob Rhona die Stimme auch gehört hatte, aber James hatte ihre Freundin schon am Arm genommen und geleitete sie nun zu einem wartenden Zelter.

Und nicht eine der ausgelassenen Stimmen der Dorfbewohner passte zu dem weichen, beinahe melancholischen Ton der Frau, die ihr soeben flüsternd ihren Segen erteilt hatte.

Ein Frösteln, das nichts mit dem kalten, bewölkten Nachmittag zu tun hatte, strich über ihren Rücken, aber Caterine reckte ihr Kinn gegen das Rätsel, zog ihren Umhang um sich gegen die Kälte und ließ sich von Eoghann auf ihr Pferd helfen.

Plötzlich begierig, die kleine Kirche oben an der Steilküste sowie den tapferen Beschützer, der sie dort erwartete, zu erreichen, hatte sie kaum ihre Zügel ergriffen, als eine fast unmerkliche Bewegung neben der zur See hinausgehenden Mauer ihre Aufmerksamkeit erregte.

Eine einsame Frau stand dort, bestechend schön und dunkelhaarig wie Rhona, aber von hoch gewachsener Gestalt und gertenschlank.

Und seltsam still.

Und mehr von dem wirbelnden Nebel umhüllt als von dem Umhang mit Kapuze, den sie trug. Während Caterine sie noch anstarrte, hob die Frau grüßend ihre Hand, und dann strich sie mit den Fingern über ihre Wange, direkt unter ihren im Schatten liegenden Augen.

Als wischte sie ihre Tränen ab.

Die Haut an Caterines Nacken prickelte, und sie versuchte schon, ihr Pferd zu wenden, um zu der Frau zu reiten, aber im selben Moment gab Eoghann ihrer Stute einen Klaps aufs Hinterteil, und James erteilte den Befehl zum Aufbruch.

Als sie ihre Bemühungen gescheitert sah, ritt Caterine mit ihrem kleinen Gefolge unter dem hochgezogenen Fallgitter des inneren Torhauses hindurch. Doch bevor ihr Pferd sie zu tief in die Dunkelheit des tunnelähnlichen Gangs hineintragen konnte, drehte sie sich um und blickte noch einmal zurück.

Die Frau war nicht mehr da.

Nichts als dichte Nebelschleier rührten sich noch an der seewärtigen Mauer.

Dann drängte die Menschenmenge sich nach vorne und strömte in den Durchgang hinter ihnen, genauso mitgerissen von der Aufregung des Tages, wie die Worte der sonderbaren Frau vom Wind davongetragen worden waren.

Ein kalter, düsterer Wind, der ihr ebenso spürbar durch den Tunnel folgte wie die jubelnde Bevölkerung.

Seid gut zu ihm und schenkt ihm Eure Liebe, Lady Caterine, bat die Stimme.

Ich flehe Euch an, ihn wahrhaftig und aufrichtig zu lieben.

Viel zu selbstbewusst für einen Mann, der so gezeichnet war, stand Sir Marmaduke Strongbow im bogenförmigen Eingang der Dorfkirche und wartete auf seine Braut, womit er den Arger einer in einen dunklen Umhang gehüllten, nur wenige Schritte von ihm entfernt stehenden Gestalt erregte.

Nicht minder kaltblütig als die Highlander, die sich um den hoch gewachsenen Sassenach scharten, unterdrückte der stille Beobachter ein höhnisches Lächeln angesichts ihrer beschützenden Haltung.

Ihrer waffenstarrenden, muskulösen Körper und der stählernen Entschlossenheit in ihren Augen.

Als ob sein Mann jetzt zuschlagen würde, mit dieser kaltherzigen Füchsin und ihrem Gefolge schon ganz in ihrer Nähe! Fast hätte er ein verächtliches Schnauben ausgestoßen, war dann aber doch klug genug, es hinter einem Hüsteln zu verbergen.

Aus irgendeinem ihm rätselhaften Grund wollte sein Lehnsherr diese Frau noch immer. Und er würde auch nicht wollen, dass ein Handgemenge unter den Kätnern ausbrach, die, aus welchen dubiosen Gründen, auch immer, ausgerechnet diesen Tag gewählt hatten, um den Burgbewohnern ihre Ehrerbietung zu erweisen.

Die in einen Umhang gehüllte Gestalt funkelte den ganzen Haufen finster an.

Verdammte Narren, allesamt, aber sein Herr brauchte sie und würde seinen Verdruss über den Verlust von einem Paar schwer arbeitender Hände an ihm auslassen.

Sein Blick glitt zu dem Sassenach zurück.

Gottes Blut, aber dieser Bastard hatte wirklich eine stolze Haltung!

Galle gärte und rumorte im Magen des stillen Beobachters, aber er ignorierte die in ihm aufsteigende Übelkeit. Der Sassenach würde bald die Quittung bekommen, gleich nach der Trauungszeremonie. Und weder sein Geschick im Umgang mit dem Schwert noch seine grimmig dreinblickenden Highlanderwürden ihn davor bewahren können.

Und schon gar nicht diese gaffenden Schwachköpfe, die die Straße säumten.

Nachdem er die Kapuze seines Umhangs noch tiefer ins Gesicht gezogen hatte, nicht nur, um seine Ohren vor dem unaufhörlichen Gebimmel der Kirchenglocke zu schützen, sondern auch, um seine finstere Miene zu verbergen, wandte der Mann sich wieder der sich langsam annähernden Braut und ihrem Gefolge zu.

In Wirklichkeit jedoch glitt sein Blick wachsam an den Beihen der Kätner entlang, die die Dorfstraße flankierten.

Er suchte die Menge nach einem einzelnen Mann ab.

Aber als hätten selbst die Heiligen Partei ergriffen, wenn auch leider nicht für ihn, stiegen große Wolken dichten Nebels über den Klippen auf, trieben landeinwärts und krochen über Dächer und zwischen die dicht beieinander stehenden Steinhäuser.

Wabernde Nebelschleier, die vom Himmel herabgesandt worden waren, um die sich schubsenden und stoßenden Schaulustigen in eine gigantische weiße Wolke einzuhüllen.

Eine fast undurchdringliche Wolke, die es ihm ungemein erschwerte, das Gesicht, nach dem er suchte, in der Menge ausfindig zu machen ... und seine ohnehin schon schlechte Laune noch zusätzlich verschlechterte.

Wie auch der durchdringende Blick, der, wie er genau wusste, von dem entfernten Hügel, auf dem Sir Hugh de la Hogue und seine Männer aus einiger Entfernung die Vorgänge beobachteten, auf ihn gerichtet war.

Aus sicherer Entfernung, denn de la Hogue verspürte nicht den Wunsch, sich heute seine Hände zu beschmutzen.

Diese traurige Aufgabe war ihm überlassen worden.

Und er wiederum hatte sie einem erbärmlichen Feigling übertragen, der nun in der Menge verschwunden zu sein schien.

Der Mann in dem Umhang gab es schließlich auf, den vergnügten Vasallen zu spielen bei einer Hochzeit von zwei Menschen, die er hasste, und gönnte sich endlich das geringschätzige Schnauben, das er so lange unterdrückt hatte, als er seinen Platz in der Nähe der Eingangsstufen der Kirche verließ, um mit der Menge zu verschmelzen.

Naserümpfend ertrug er die Demütigung, sich unter das einfache Volk mischen zu müssen ... und machte sich auf die Suche nach Sir Marmaduke Strongbows Mörder.

**

»Sollen wir sie zerstreuen ?« Sir Alec stellte sich noch näher an den Rand der Kirchenstufen.

Sir Marmaduke riss sich vom Anblick der sich nähernden Brautgesellschaft los und folgte dem Blick seines Freundes zu einem entfernten Hügelkamm, von dem aus de la Hogue und sein Kontingent berittener Handlanger finster zu den Männern von Kintail hinüberstarrten.

Ihre Blicke, die im dichten Nebel mehr zu spüren als zu sehen waren, durchbohrten Marmadukes pelzverbrämten Umhang, reinen prächtigen dunkelblaue^ Überrock und das stählerne Netz des Kettenhemds, das er darunter trug.

Die Hand an seinem Schwertgriff, warf er einen weiteren schnellen Blick auf seine Dame. Sie hielt sich kerzengerade in ihrem Sattel, als sie sich der Mitte des Dorfes näherten, und ihr stolz erhobenes Kinn war der Beweis dafür, dass sie ihren uneingeladenen Gast bereits bemerkt hatte ... und das nötige Rückgrat besaß, ihn zu ignorieren.

Marmadukes Herz schwoll an vor Stolz, als er seinen Blick auf ihr verweilen ließ, um jede Einzelheit ihrer Erscheinung zu bewundern. Die schillernden Falten des Brautschleiers ihrer Schwester - er war nur eins der ganz besonderen Geschenke, die Linnet für sie mitgeschickt hatte. Der Glanz ihrer zu Schnecken aufgesteckten Zöpfe, ihre schimmernde Vollkommenheit, die ihn durch den durchsichtigen Schleier über ihrem Kopf zu necken schien.

Und ihn an das dunklere Gold ihres anderen Haars erinnerte.

Eine versengende Hitze durchflutete bei dem Gedanken seine Lenden.

»Bei Gott und allen Heiligen!«, entfuhr es ihm lauter als beabsichtigt.

Mit finsterer Miene blickte Marmaduke zu dem entfernten Hügelkamm hinüber.

Die bloße Vorstellung, de la Hogue könne sich auch nur mit dem Gedanken getragen haben, Caterine zu seiner Frau zu machen, löschte das Feuer, das ihre Schönheit in seinen Lenden entfacht hatte.

»Wir haben scharfäugige Bogenschützen dort drüben auf diesem Hügel«, sagte neben ihm Sir Gowan, der Marmadukes kurzfristigen Verlust der Fassung offensichtlich missverstand. »Ein paar gut gezielte Pfeile ...«

»Nein.«

»Nein?«

Marmaduke wandte sich seinem Freund zu. »Dieser Bastard will uns nur provozieren«, sagte er und schöpfte Kraft aus einer unerschöpflichen Quelle der Geduld, die seine Freunde, die Highlander, leider nicht besaßen. »Es ihm zu erlauben, würde bedeuten, das Knie vor ihm beugen.«

Ein ungläubiger Ausdruck erschien auf Sir Gowans bärtigem Gesicht. »Seit wann scheust du dich vor einem ordentlichen Blutvergießen?«

»Vielleicht, seit ich beschlossen habe, dass ich meiner Braut kein Massaker an ihrem Hochzeitstag zumuten will.«

»Oder vielleicht auch, weil du ein Weichling geworden bist, seit du dich verliebt hast«, murmelte Gowan, und Marmaduke bemühte sich nicht einmal, ihm zu widersprechen.

Er hatte sich verliebt.

Und so gab er seinem Freund nur einen Klaps auf den Arm und sagte: »Vielleicht, weil ich es ablehne, mir in diesem Augenblick von irgendeinem aufgeblasenen Strolch den Spaß verderben zu lassen.«

Gowan drehte sich zu den anderen MacKenzies um. »Ich wusste ja, dass er sie liebt!«, brüllte er und schlug dem neben ihm stehenden Highlander, Sir Ross, begeistert auf den Bücken.

Gutmütige Witzeleien folgten, und die Anspannung der Männer ließ für einen Moment ein wenig nach.

Marmaduke überließ sie ihren anzüglichen Scherzen, krümmte seine Finger um den Siegelring in seiner Hand und ließ prüfend seinen Blick über das Gewühl der Dorfbewohner gleiten, die in die kleine Kirche strömten.

Unter ihnen befanden sich schwer bewaffnete Männer aus der Keithschen Garnison, diejenigen, die bei seiner Ankunft in Dunlaidir schon dort gewesen waren, und einige wenige Dorfbewohner, die erst vor wenigen Tagen in ihre Reihen aufgenommen worden waren.

Anders als die Kätner, die geschickt die erst kürzlich an sie verteilten Waffen unter ihren Kleidern verbargen, trugen diese Männer ihre Schwerter kühn zur Schau und waren auch sehr geübt in ihrem Gebrauch.

Andere Getreue gingen um das Dorf herum, ungesehen und schweigend, Männer, die in dunkleren Methoden der Kriegsführung bewandert waren.

Eine raue Bande, aber sehr loyal.

Und bereit, ihrem zweifelhaften Gewerbe ohne mit der Wimper zu zucken nachzugehen, falls es nötig war.

Nur Marmadukes eigene Männer wurden langsam unruhig, und ihre Scherze wichen ernsteren Betätigungen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen warfen sie immer wieder finstere Blicke zu dem fernen Hügelkamm hinüber.

»Es ist alles bereit«, ergriff Sir Ross das Wort. »Ein Wort und ...«

»Nicht heute.« Sir Marmadukes knappe Antwort ließ keinen Baum für weitere Versuche.

Mit einem grimmigen Nicken deutete er auf den schwitzenden Pater Thomas. Der Priester stand in der Kirchentür und betete und rang seine von Altersflecken übersäten Hände.

Der Anblick dämpfte ein wenig den Übermut der Highlander, und Marmaduke atmete auf. »Es gibt Momente, da bin ich froh über mein kühles englisches Blut«, sagte er mehr zu sich selbst als zu seinen Männern.

»Dieser Schweinehund wird noch früh genug zur Rechenschaft gezogen werden, doch falls er nicht näher herankommt, halte ich es für klüger - vorläufig zumindest - ihn sehen zu lassen, dass diese Hochzeit echt ist«, fügte er hinzu und hob ein wenig seine Stimme, damit der ganz in Schwarz gekleidete Priester ihn auch hörte. »Wir können ihn später in ein Gefecht verwickeln ... wenn keine Unschuldigen ins Kampfgetümmel hineingezogen werden.«

Ein hörbarer Seufzer der Erleichterung kam aus dem von Kerzen erhellten Inneren der düsteren kleinen Kirche.

Und ein unzufriedenes Murren erhob sich unter seinen Männern.

Doch sowohl die Erleichterung wie auch das Murren wichen schon bald dem Jubel, der aus der Menge aufstieg, als die Brautgesellschaft endlich in den Hof einritt und Lady Caterine Keith ihr Pferd vor ihrem Bräutigam zum Stehen brachte.