Kapitel 9

 

In jeder Hinsicht.

Hitze durchflutete Caterines Brust, die wie zugeschnürt war, und ihr Herz begann wild zu pochen.

»Ich kann nicht mit Euch gehen«, stieß sie hervor und vermied damit bewusst den beunruhigendsten Teil des Geständnisses des Engländers, er begehre sie als seine wahre Braut. Ihr schwirrte der Kopf, und verzweifelt suchte sie nach Ausflüchten. »Ich werde hier gebraucht. Diese Burg ...«

Irgendetwas an der Art, wie er sie ansah, ließ sie jäh verstummen. Gefesselt von dem merkwürdigen Zauber, den er auf sie ausübte, blieb sie schweigend stehen, als er eine Hand an ihre Wange legte.

Während er ihr unablässig in die Augen sah, strich er mit dem Daumen sanft über ihr Kinn. »Diese Burg braucht dringend eine strenge Hand«, schloss er mit betörend sanfter Stimme. Sanft und glatt und warm und überaus bezwingend. »James könnte sie durchaus halten, wenn Ihr ihm erlauben würdet aufzuhören, sich hinter Euren Röcken zu verstecken.«

»James ...« Sein Daumen glitt so sacht über ihre Unterlippe, und ihre Einwände verflogen, verdrängt von einem tief empfundenen Seufzer.

Einem Seufzer, den sie ebenso wenig in Abrede stellen konnte wie das viel zu schnelle Pochen ihres Herzens.

»Euer Stiefsohn ist nicht der einzige Grund, warum ich Euch bitten möchte, mich zu begleiten.« Er blickte ihr tief in die Augen und hielt ohne die geringste Mühe ihren Blick gefesselt. »Denkt Ihr, ich hätte keine Bedürfnisse, Mylady? Glaubt ihr wirklich, ich könnte Euch heiraten und nicht wünschen, Euch zu besitzen?«

Caterine schluckte. »Ein s-solches Arrangement war nie beabsichtigt«, stammelte sie, betört von der unerhörten Intimität ihres engen Beieinanderstehens, bezaubert von der Art, wie seine bloßen Worte allein sie zu umarmen schienen.

Er war in der Tat ein Zauberer, denn schon seine Nähe versetzte sie in einen magischen Kreis erwachender Sehnsüchte, die vermessen genug waren, sie glauben zu lassen, seine Berührung könnte vielleicht die Dunkelheit in ihrem Herz erhellen.

Ihre schlimmsten Ängste herausfordern ... und sie bezwingen.

Während er sie noch eingehend betrachtete, rieb er sich das Kinn, und der Kerzenschein fiel auf den prachtvollen Rubin an seinem Siegelring. Der große Edelstein sprühte rotes Feuer und beschwor sofort den juwelenbesetzten Kelch herauf, den er zum Toast erhoben hatte, als sie sich ihn in ihrer Fantasie in Nialls Sessel sitzend vorgestellt hatte.

Hitze schoss in ihren Nacken.

Sie zwang sich, seinen Blick zu erwidern, und tat ihr Bestes, um den blinkenden Rubin zu ignorieren. »Eine wahre Ehe hatte niemand im Kopf, als man hinter meinem Rücken den Plan schmiedete, Euch nach Dunlaidir zu schicken.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Seid Ihr Euch da sicher?«

Caterine nickte.

»Manchmal kennen andere uns besser, als wir uns selbst kennen, Mylady.«

»Linnet und ihr Mann kennen mich gut genug, um mich keinem ... Engländer zu versprechen.«

»Ach ja?« Sehr sachte ließ er seine Fingerknöchel über ihre Wange gleiten. »Denn eigentlich waren sie es, die den Vorschlag machten, ich sollte Euch wirklich und wahrhaftig und nicht nur dem Namen nach zu meiner Gattin machen.«

Caterine sog scharf die Luft ein. »Dann habt Ihr meine Schwester mit Eurem Charme verhext.«

»Nein, die gute Lady Linnet hat mich verhext«, erwiderte er lächelnd. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich eine ihrer Schwestern derart reizvoll finden würde, wäre ich schon Jahre zuvor hierher gekommen, um Euer Herz zu erobern.«

»Wie Ihr Arabellas erobert habt?« Die Frage entschlüpfte ihr, bevor ihr überhaupt bewusst wurde, dass sie die Worte ausgesprochen hatte.

Verlegen versuchte sie, sich von ihm abzuwenden, aber wieder legte er seine Finger unter ihr Kinn, und sein fester Griff ließ ihr gar keine andere Wahl, als seinen prüfenden Blick zu erwidern.

Sein Gesicht war ein wenig blasser geworden, und sein Kinn erschien ihr plötzlich kantiger, aber nichts an seinem Ausdruck ließ auch nur einen Anflug der Verstimmung, die sie eigentlich erwartet hatte, erkennen.

»Ja, ich würde Euch in der Tat sehr gerne so umwerben, wie ich es bei Arabella getan habe«, sagte er, und seine Stimme wurde noch ein bisschen tiefer als gewöhnlich. »Und ich würde auch gern mit Euch über Eure Schwester sprechen ... und Euch erzählen, warum ich sie verehre.«

Er warf einen Blick zur Tür. Sie stand noch immer offen. »Doch vorher möchte ich ein paar ungestörte Worte mit Euch wechseln.«

»Ungestörte Worte?«, wiederholte sie, noch immer ganz verwirrt von seiner Nähe und der merkwürdigen Unruhe, die der Name Arabella tief in ihrem Innersten erzeugte.

»Vielleicht hätte ich besser sagen sollen, in ungestörter Umgebung.« Er wandte sich in Richtung Tür und vertraute anscheinend darauf, dass sie ihm folgte.

Und zu seiner großen Erleichterung tat sie es auch.

Marmaduke verschloss seine Ohren vor dem ätherischen Wispern, das mit ihrer Erwähnung von Arabellas Namen begonnen hatte, und trat auf den von Fackeln erhellten Gang hinaus, froh, die Schlafzimmertür schließen zu können und damit die Erinnerungen an vergangene Sommer und längst vergangene Nächte voller Glück hinter sich lassen zu können.

Der Duft seiner neuen Angebeteten umspielte ihn, und seine frische, saubere Leichtigkeit vertrieb das Dunkel eines anderen, längst vergangenen Aromas und durchflutete ihn mit dem ganzen Wunder eines strahlend hellen neuen Tages.

Eines neuen Lebens, hoffte er.

Sie sah ihn an, ihre saphirblauen Augen voller Fragen, ihre zarten, cremefarbenen Wangen von einer leisen Röte angehaucht. »Werdet Ihr mir von ihr erzählen?«, fragte sie so leise, dass die Worte über den Wind, der an den geschlossenen Fensterläden des Gangs vorbeipfiff, fast nicht zu verstehen waren. »Mir sagen, wer sie war?«

Marmaduke nickte, da seine Kehle viel zu eng war, um zu sprechen, und plötzlich spürte er, wie die eisernen Bänder um sein Herz; sich noch fester zusammenzogen und dann jäh zersprangen.

In zwei verschiedene Richtungen gezerrt.

Eine schön und dunkel, aber so kalt wie die See, die gegen Dunlaidirs Felsen schlug; die andere nicht weniger schön, aber überflutet von all dem goldenen Licht und der ganzen Wärme eines Sonnenaufgangs.

Das pulsierende Leben, und es rief ihn lauter als das rasch verblassende Echo einer anderen Zeit.

Die Liebe einer anderen Frau.

»Aye, ich werde Euch von ihr erzählen«, zwang er sich zu sagen, »aber nicht auf diesem Gang.«

»Wo dann?« Sie legte ihren goldenen Kopf zur Seite, und ihr Umhang öffnete sich dabei gerade weit genug, um ihn mit einem weiteren süßen Blick auf den Ansatz ihrer Brüste zu verlocken, die üppig genug waren, um ihm seine gewohnte Eloquenz zu stehlen.

»Habt Ihr einen Spion?«, hörte er sich fragen, und die etwas dumm klingende Frage entschlüpfte ihm, bevor er sein Anliegen besser formulieren konnte.

Er war kurz davor, sein Gesicht zu verziehen, als ihm jäh seine Narbe einfiel. Caterine sah ihn auch schon etwas befremdet an und zog verwirrt die Brauen hoch.

Eine Grimasse zu schneiden und sein Gesicht damit noch mehr zu entstellen, würde Caterine vollkommen verunsichern.

Sie blinzelte. »Einen Spion?«

»Einen Burgherrn-Lugaus. Eine Maueröffnung, durch die man in den Burgsaal blickt«, erklärte er. »Einen geheimen Ort, an dem wir ungestört miteinander reden können und vor neugierigen Augen und Ohren sicher sind.«

Einen sicheren Ort für ein geheimes Stelldichein, an - dem ich Euch mein Herz ausschütten kann und wo die Dunkelheit meinem entstellten Gesicht vielleicht ein bisschen schmeicheln wird.

Und meine Dämonen von mir fernhält.

»Es gibt da einen«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Er befindet sich in der Mauer an der Musikantengalerie und ist nur über eine verborgene Treppe zu erreichen.«

»Dann lasst uns dort hingehen.« Marmaduke wollte umkehren, doch sie hielt ihn mit einem überraschend festen Griff um seinen Arm zurück.

Statt ihm jedoch einen Grund dafür zu nennen, befeuchtete sie nur ihre Lippen, ließ seinen Arm los, als hätte sie sich daran verbrannt, verschränkte ihre Hände und blickte ihn unter gefurchten Augenbrauen an.

Auf seine schier unerschöpfliche Geduld vertrauend, die schon so manchen Menschen in Harnisch gebracht hatte, lehnte Marmaduke sich mit einer Schulter an die Wand und verschränkte seine Arme.

Dann wartete er.

»Ich weiß, dass dies gefährliche Zeiten sind«, sagte sie mit ein wenig atemloser Stimme. »Aber ich sehe keine Notwendigkeit, dieses winzige Kämmerchen aufzusuchen, um ein vertrauliches Gespräch zu führen.«

»Ich würde dennoch gern dorthin gehen«, sagte Marmaduke und stieß sich von der Wand ab.

Sie runzelte die Stirn.

Unter den Säumen ihrer Röcke erschien die Spitze ihres Schuhs, mit der sie nervös über die Steinplatten des Gangs zu scharren begann.

Marmaduke überkreuzte nun auch seine Beine.

Caterine errötete noch ein wenig mehr. »Die Tür zu dem geheimen Gang befindet sich im Vorzimmer meines Schlafgemachs«, sagte sie und offenbarte ihm damit endlich den wahren Grund für ihr Zögern, mit ihm dorthin zu gehen.

»Das macht nichts«, erwiderte er und versuchte, angesichts des Vorteils, den ihr Eingeständnis ihm verschaffte, eine ernste Miene zu bewahren.

Insbesondere, da ersieh bereits vorgenommen hatte, von heute Abend an jede Nacht in ihrem Vorzimmer zu schlafen.

Und in einer Woche in sogar noch größerer Nähe zu ihr.

»Aber...«

Marmaduke schüttelte den Kopf, und seine eiserne Entschlossenheit bremste ihren Protest so gründlich, als hätte er ihr die Worte aus dem Mund genommen.

»Kommt«, sagte er und sprach ein wenig lauter, um sich über das Klappern der Fensterläden verständlich zu machen. »Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass ich ein enges, geheimes Kämmerchen nicht aufsuchen würde, um ein paar Worte mit Euch zu wechseln, wenn ich diese Vorsichtsmaßnahme nicht für nötig hielte.«

Auf seine Fähigkeit vertrauend, ihr Vertrauen zu gewinnen, ignorierte er den Protest in ihren Augen - ein nicht sehr schmeichelhaftes Zögern, das er lieber übersah -, und reichte ihr die Hand.

»Kommt«, wiederholte er.

Langsam trat sie zwei Schritte vor und legte ihre Hand in seine. Ein machtvolles Gefühl beschlich sein Herz, als ihre schlanken Finger sich mit seinen verschränkten, und mit einem Schlag erwachten seine Sinne und waren sich ihrer Nähe plötzlich ungemein bewusst.

»Ach! Das nenne ich ein Wunder!« Die gut gelaunte Stimme Lady Rhonas riss ihn ruckartig aus seinen Träumereien.

Einen Korb mit getrocknetem Torfmoos unter einem Arm, einen irdenen Mörser mit irgendeiner stark riechenden Salbe in der anderen Hand, kam die Gesellschafterin der Dame seines Herzens auf sie zu.

»Du meine Güte!« In gespielter Überraschung schaute sie sie mit großen Augen an. »Ist es nicht ein bisschen zu kalt und zugig, um hier mitten auf dem Gang herumzustehen?«

Dann richtete sie ihren Blick auf die immer noch ineinander verschränkten Hände von Caterine und Marmaduke. »Vielleicht solltet Ihr Euch an einen etwas ... ungestörteren Ort begeben?«

»Es gibt kaum noch einen Ort auf Dunlaidir, an dem man nicht ungestört sein kann.« Caterines Finger verkrampften sich in seiner Hand. »Es sei denn, Ihr wäret zufällig gerade in der Nähe«, ergänzte sie mit einem kurzen Blick auf ihre Freundin. »Denn Ihr, Mylady, scheint beinahe überall zu sein.«

Rhona machte große Augen und tat, als wäre sie gekränkt. »Na schön, dann werde ich mich eben in das Schlafgemach des armen Sir Lachlan begeben und dort meinen Aufgaben nachgehen.«

In gespielter Unterwürfigkeit drehte sie sich um und streckte die Hand nach dem Türriegel aus. Irgendwie stieß sie dabei aber mit dem Korb gegen Marmadukes rechte Seite, und er fuhr zusammen und schnappte nach Luft, als seine Rippen, die noch immer von dem Zusammenstoß mit den rauen Felsen schmerzten, zu pochen und zu brennen begannen.

Mit zusammengepressten Lippen wartete er darauf, dass der pulsierende Schmerz ein wenig nachließ. Gott und die Heiligen wussten, dass er schon Schlimmeres erlebt hatte.

Er war sich ziemlich sicher, dass die mollige Freundin seiner Herzensdame ihm mit voller Absicht ihren Korb in die Seite gestoßen und sich dann sehr geschickt in die richtige Position manövriert hatte, um ihre behelfsmäßige Waffe an seinen arg geprellten Rippen entlang ziehen zu können.

Aber warum ?

Er kannte die Frauen zu gut, um einen solchen Trick nicht zu durchschauen.

»Ach, du meine Güte!«, rief Rhona da und zog entsetzt die

Augenbrauen hoch. »James hat mir erzählt, Ihr hättet Euch beim Reparieren des Latrinenausganges verletzt, und nun habe ich es noch schlimmer gemacht! Wie ungeschickt von mir.«

Sie wirkte ungemein zufrieden mit sich, als sie den kleinen Tiegel mit der übel riechenden Salbe in Caterines freie Hand drückte. »Es ist zerstampftes Johanniskraut mit Ziest«, erläuterte sie. »Es gibt kein besseres Mittel, um Wunden zu behandeln.«

Ihr Blick streifte kurz Marmadukes Körper. »Ich bin mir sicher, dass die Salbe auch den Schmerz von Mylords wunden Rippen lindern könnte!«

Bevor Caterine Gelegenheit bekam, etwas zu entgegnen, schlüpfte Rhona in Sir Lachlans Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.

»Kommt, ich möchte jetzt diese geheime Kammer sehen«, sagte Marmaduke rasch und hoffte nur, dass die Dunkelheit seine freudige Erregung verbarg.

Verstohlen warf er einen Blick auf die hölzerne Schale mit der Heilsalbe in Lady Caterines Hand. Dank der Raffinesse ihrer Freundin blieb ihr nun gar nichts anderes übrig, als seine abgeschürfte Haut mit ebendieser Salbe zu bestreichen.

Seine Mundwinkel wollten sich schon zu einem triumphierenden Grinsen verziehen, aber Marmaduke riss sich im letzten Moment zusammen und bedankte sich stattdessen im Stillen bei den ihm offensichtlich gnädigen Heiligen.

»Lasst uns gehen«, bedrängte er Lady Caterine erneut. »Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr so freundlich wäret, die Salbe Eurer Freundin auf meine wunden Rippen aufzutragen.«

»In dem geheimen Kämmerchen?« Zweifelnd blickte sie zu ihm auf.

Marmaduke nickte.

Die Behaglichkeit eines solch engen Raums gewann plötzlich noch einen ganz anderen Reiz als nur die bloße Tatsache, dass sie dort vor unerwünschten Lauschern geschützt waren.

»Und - werdet Ihr es tun?«, fragte er und bot ihr seinen Arm.

Für die Dauer eines Herzschlags zögerte sie, dann legte sie ihre Hand auf seinen Arm. »Aye, Sir, das werde ich«, versprach sie dann mit einem leisen Beben in ihrer Stimme.

Ihre widerspruchslose Bereitschaft, dieser Aufgabe nachzukommen, erfüllte Marmaduke mit Wärme.

»Dann lasst uns gehen, Mylady«, sagte er.

Als sie den dunklen Gang hinunterschritten, sprach Marmaduke im Stillen ein weiteres kurzes Dankgebet für diesen kleinen Sieg.

Er hatte die Schlacht noch nicht gewonnen, aber mit ein bisschen unerwarteter Hilfe hatte er doch immerhin bereits erfolgreich die nötige Vorarbeit geleistet, um das Herz seiner zukünftigen Gemahlin zu erobern.

***

Sir Marmaduke Strongbow durchquerte Caterines Allerheiligstes mit der ganzen gebieterischen Überheblichkeit des Burgherrn, aber auch mit dem für ihn so typischen Selbstvertrauen, das ihre Weiblichkeit ansprach und sie mit seiner verführerischen Macht betörte.

Ohne auch nur einen Blick auf das prachtvolle Himmelbett zu werfen, dessen Decken bereits für die kommende Nacht zurückgeschlagen waren, betrat er das winzige Vorzimmer des Schlafgemachs.

»Hinter der Truhe und dem Wandbehang?«, fragte er und zog belustigt die Augenbrauen hoch, als sein Blick auf das Versteck des Durchgangs zu der geheimen Kammer fiel.

Caterine nickte.

Worte waren überflüssig.

Die Wände des Vorraums waren kahl, bis auf eine kleine Auswahl von Umhängen, die an Haken hingen, ein paar flackernde Fackeln und zwei sehr schmale Fenster, durch die nichts anderes zu sehen war als finstere Nacht.

Caterines Herz schlug bis zum Hals, und ihr Puls klang ihr lauter den Ohren als der draußen heulende Wind, als sie beobachtete, wie Marmaduke die große eisenbeschlagene Truhe aus dem Weg schob, den schweren flämischen Wandbehang herunternahm und eine kleine, mit einem Bogen versehene Tür in der Mauer freilegte.

Ihre rostigen Scharniere kreischten protestierend, als er sie öffnete, und eine Wolke abgestandener Luft drang in den kleinen Vorraum, deren muffiger Geruch eine deutliche Herausforderung für jeden bedeutete, ^er wagemutig genug war, die dunkle Schwelle zu überschreiten und die dahinter liegende Wendeltreppe hinabzusteigen.

»Können wir nicht hier reden?« Caterine stellte Rhonas Heilsalbe auf die Truhe und rieb sich fröstelnd die Arme, da feuchte Kälte durch die ungeschützten Fensterschlitze hereinströmte.

Lieber erfrieren, als an altem Staub und Schimmel zu ersticken.

Statt ihr zu antworten, nahm Marmaduke eine der Harzfackeln aus ihrer Halterung an der Wand und hielt sie hoch, um auf die abgetretenen Steinstufen zu deuten, die kreisförmig in der Finsternis nach oben führten. »Es tut mir Leid, dass wir so vorsichtig sein und so viel Unbequemlichkeit auf uns nehmen müssen«, sagte er, und sein Blick ließ ihr gar keine andere Wahl, als ihm zu folgen.

Denn hier stand ein Mann, dessen gebieterische Gegenwart eine derartige Macht ausstrahlte, dass selbst eine Steinskulptur in seinem Bann erweicht worden wäre.

Eine weibliche Steinskulptur.

Caterine raffte ihre Röcke und stieg hinter ihm die Wendeltreppe hinauf. Er hatte die Fackel bereits in einen eisernen Halter in der Wand gesteckt, als Caterine den Lugaus des Gutsherrn betrat, und ihr flackerndes Licht warf wild tanzende Schatten über sie und verlieh dem winzigen Kämmerchen eine etwas unwirkliche Atmosphäre.

Kaum mehr als eine Öffnung in der dicken Mauer, verfügte dieser Gutsherrn-Lugaus über zwei Spione. Einer bot einen ziemlich guten Ausblick auf den großen Burgsaal, indes der andere einen direkten Blick zur Musikantengalerie freigab.

Die Enge des Raums ließ den Engländer noch größer und seine breiten Schultern noch viel breiter erscheinen, und das schwache Licht tilgte seine Narbe und beschattete sein blindes Auge, sodass nur noch die stolzen, maskulinen Linien eines edlen, auffallend gut geschnittenen Gesichts zu sehen waren.

Eines Gesichts, das er ihr zweifellos hatte zeigen wollen, was er bei Tageslicht oder in dem großen, von Dutzenden von brennenden Fackeln erhellten Burgsaal jedoch nie so richtig hatte tun können.

Aber er zeigte es ihr jetzt, und was sie sah, war ein Gesicht, das Herzen eroberte.

Arabellas Herz.

Caterine brauchte plötzlich dringend frische Luft und trat an das Guckloch, durch das man in den Burgsaal blicken konnte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um die nicht ganz so abgestandene Luft, die durch die kleine Öffnung in der Mauer drang, tief einzuatmen.

Luft, in der der würzige Geruch von Holzfeuern und gebratenem Fleisch und nicht der erstickende Gestank von altem Gemäuer und viel zu lange nicht benutzten Räumen lag.

Tief unter ihnen versammelten sich gerade die Männer um die langen Tische und begannen lärmend ihr Nachtmahl einzunehmen. Sie stritten offenbar, denn ihre erhobenen Stimmen waren bis hier oben zu hören, und die tieferen unter ihnen hallten von den Mauern des kleinen Lugaus und der niedrigen Decke wider.

Doch Caterine hörte ihre erhitzten Wortwechsel kaum.

Sie hörte nur den Namen einer anderen Frau.

Sie wirbelte herum, um Marmaduke anzusehen. »Ihr werdet mich für schrecklich vorlaut halten, Sir, aber ich bin keine Frau, die zu höfischen Allüren neigt«, sagte sie so würdevoll sie konnte. »Ich habe wenig übrig für solche Albernheiten und ziehe es vor, mich klar und deutlich auszudrücken. Und deshalb muss ich Euch darauf hinweisen, dass ich - egal, aus welchem Grund Ihr mich auch hier heraufgeschleppt habt -, keine sehr angenehme Gesellschaft sein werde, wenn Ihr mir nicht sagt, wer ...«

»Arabella war?«

»War?«

»Aye, war, denn sie lebt nicht mehr.« Er trat näher und nahm ihr Gesicht in seine Hände, und sie sah den großen Verlusts und die vielen leere Jahre in den Tiefen seines gesunden Auges. »Arabella MacKenzie war die Schwester meines Lehnsherrn, und sie war auch meine Gemahlin.«

Caterine schluckte, um die kalte Scham, die in ihrer Kehle aufstieg, zu verdrängen. Schuldbewusstsein, da seine Antwort sie sowohl betrübte wie erleichterte. »Möchtet Ihr mir von ihr erzählen?«, fragte sie und zuckte innerlich zusammen, als ein Ausdruck des Missfallens über seine Züge huschte.

Auch sie beschlich nun Unbehagen, denn die Intimität des kleinen Raums und die Wärme Marmadukes großer Hände auf ihrem Gesicht weckten beunruhigende Gefühle tief in ihrem Innersten und machten sie empfänglicher und verwundbarer, als sie es je zuvor gewesen war.

Er ließ seine Hände etwas tiefer sinken und begann die empfindsame Haut an ihrem Nacken zu streicheln. Caterine seufzte, und alle Scham fiel von ihr ab, wie weggewaschen von dem Glück, das seine Berührung in ihr weckte, wie vertrieben von der angenehmen Wärme, mit der seine sanft massierenden Finger sie durchfluteten.

»Sie war eine stolze, leidenschaftliche Frau«, begann er, mit einer Stimme, die überlagert war von einem dunklen, hohlen Ton, so als käme sie aus tiefster Seele. »Sie musste sterben, weil sie zufällig belauschte, wie das Komplott geschmiedet wurde, ihren Bruder umzubringen. Die Täter waren die eigene Gattin meines Lehnsherrn und sein Halbbruder, der der Geliebte dieser Metze war. Sie vergifteten Arabella, um sie zum Schweigen zu bringen.«

Caterine zog scharf den Atem ein. »Wurden sie dafür zur Rechenschaft gezogen?«, fragte sie beklommen, denn nun schlug ihr das Gewissen, weil sie ihn dazu ermuntert hatte, davon zu sprechen. Der Schmerz, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete, zerbrach die harte Schale ihres Herzens sehr viel wirksamer als irgendwelche schönen Worte.

»Sie sind beide tot«, sagte er nach langem Schweigen, »und ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass sie vor einem größeren Richter als einem menschlichen Rechenschaft für ihre Niederträchtigkeit ablegen mussten.«

Er starrte an ihr vorbei und stieß einen von tiefen Gefühlen zeugenden Seufzer aus. »Der Streit, den sie provoziert haben, ist längst begraben und sollte auch besser vergessen bleiben, Mylady. Das Leben geht weiter, und es ist das Vorrecht der Lebenden, aus jedem neuen Tag das Beste zu machen.«

»Ihr sprecht wie ein Geistlicher.«

»Ich bin kein Mönch, das kann ich Euch versichern«, entgegnete er mit einem unverkennbaren Anflug von Belustigung in seiner Stimme.

»Und ich bin auch kein Narr.« Für einen flüchtigen Moment berührte er die lange Narbe an seiner Wange. »Wie Ihr seht, ist mir eine lebende Erinnerung an die schändlichen Taten jenes Tags geblieben, aber ich habe aus den Fehlern gelernt, die ich gemacht habe ...«

»Ihr seid also während dieser furchtbaren Ereignisse verwundet worden?«

Er nickte. »Meine eigene Tollkühnheit hat mich ebenso sehr ruiniert wie die meisterliche Fechtkunst meines Gegners«, sagte er und stieß frustriert den Atem aus. »Ich war so empört, dass ich die wichtigste Regel des Schwertfechtens ignorierte und mich von meinen Emotionen zur unvorsichtigen Nachlässigkeit verleiten ließ. Für diesen Fehler habe ich einen hohen Preis gezahlt.«

»Das tut mir Leid.«

Caterine betrachtete ihn in dem gedämpften Licht und sah nicht mehr den Engländer, sondern schlicht und einfach einen Mann.

Einen Mann, der viel verloren hatte.

»Was geschehen ist, ist nicht mehr rückgängig zu machen«, sagte er, und sein Ton verriet, dass er sich auf mehr als nur seine eigene Vergangenheit bezog, die unter keinem guten Stern gestanden hatte. »Und auch nicht alle schmerzlichen Erfahrungen sind nur schlecht, so lange wir aus ihnen lernen und über sie hinauswachsen. Die Lasten, die ich zu tragen hatte, haben einen weiseren und vorsichtigeren Mani) aus mir gemacht.«

Er hielt inne und wartete einen Moment, als ein besonders lautes Geschrei aus dem Burgsaal aufstieg und dann langsam wieder abebbte. »Ich werde nicht zulassen, dass Ihr den gleichen hinterhältigen Machenschaften zum Opfer fallt, die Arabella das Leben gekostet haben.«

»Deshalb wolltet Ihr hier oben mit mir sprechen? Um mich zu warnen, dass Ihr befürchtet, wir könnten einen Verräter in unserer Mitte haben?«

»Ich befürchte es nicht, ich bin mir dessen sicher«, erklärte er. »James ist in der Tat von zwei Eindringlingen angegriffen worden, aber ich möchte Euch bitten, dieses Wissen vorerst noch für Euch zu behalten. Jemand in Eurem Haushalt muss dem zweiten Eindringling zur Flucht verholfen haben.«

Dann trat er von ihr zurück, und das plötzliche Fehlen seiner Wärme, seiner Kraft ließ sie erschaudern.

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, begann er in der winzigen Kammer auf und ab zu gehen. »Ich habe den Latrinenausgang verschlossen und diesen Zugang in die Burg somit wieder unbrauchbar gemacht, doch derartige Vorsichtsmaßnahmen werden nicht viel nützen, falls irgendjemand innerhalb Eurer Mauern Euren Feinden Tür und Tor öffnet.«

»Was für Vorsichtsmaßnahmen würdet Ihr dann vorschlagen?«

»Der Pater wird in ein paar Tagen das dritte Aufgebot für unsere Heirat verkünden, und er sagt, in einer Woche könnten wir getraut werden.« Er zögerte und blickte sie prüfend an. »Von heute Abend an werde ich bis zu diesem Tag in Eurem Vorraum schlafen.«

»Aber ...«

»Wir waren beide schon einmal verheiratet. Niemand wird Zweifel daran hegen, dass wir uns besser kennen lernen wollen, bevor Ihr meinen Ring tragt.«

Caterines Blick fiel auf seinen Siegelring mit dem Rubin. Allein ihn anzusehen und um seine Bedeutung zu wissen, durchflutete sie mit einer pulsierenden Wärme tief in ihrem Innersten.

»Ich möchte Euren Ring nicht tragen. Diese Ehe wird ausschließlich auf dem Papier bestehen«, sagte sie. »Sie wird eine reine Täuschung sein.«

»Eine Täuschung kann nur dann gelingen, wenn die Leute daran glauben.«

»Ihr könnt nicht in meinem Vorraum schlafen.«

Er verschränkte seine Arme. »Nur bis wir unsere Gelübde ablegen.«

Erleichterung, vermischt mit einem Anflug von Bedauern, durchströmte Caterine.

Aber nicht für lange.

Verblüfft riss sie die Augen auf. »Was wollt Ihr damit sagen, bis wir unsere Gelübde sprechen ?«

»Genau das«, bejahte er mit einem Ausdruck vorgetäuschter Unschuld, den irgendein geheimer Teil von ihr ... ganz reizend fand.

»Wenn wir verheiratet sind, werde ich selbstverständlich dort schlafen, wo alle guten Ehemänner zu schlafen pflegen«, klärte er sie auf. »Im Bett meiner Gemahlin.«

***

In einem anderen Turmzimmer, am Ende eines anderen der gewundenen Gängen Dunlaidirs, saß James Keith in einem Lehnstuhl vor seinem Kaminfeuer und pflegte sein schmerzendes Bein und seine noch viel schlechtere Laune.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums ragte sein prächtiges Himmelbett auf, leer und kalt, ein stummer Zeuge seiner düsteren Gedanken und seiner Unfähigkeit, die Pracht des Betts mit etwas anderem zu füllen als seinem eigenen unbrauchbaren Ich und seinen noch viel törichteren Träumen.

Mit einem tiefen Seufzer stand er auf und hinkte zu den Fenstern. Die hohen, mit kunstvollen Ziselierungen versehenen Fenster waren die prunkvollsten der ganzen Burg, denn sie passten sich nicht nur perfekt in die Krümmung der Zimmerwand ein, sondern boten eine wunderbare Aussicht auf die endlose Weite der See und die zerklüfteten Felsen.

Von der Nacht verdunkelt sahen die Fenster, deren Läden weit geöffneten waren, um die feuchte Kälte und den starken Wind hereinzulassen, wie ein undurchdringlicher dunkler Vorhang aus.

Ein perfektes Spiegelbild von James Keiths Stimmung.

Und seiner Aussichten, der Herr dieses massiven, dicht am Rand der See kauernden Steinhaufens zu werden.

Der Stein des Gutsherrn hat noch nicht für Euch geweint, hatte Rhona ihm vorhin berichtet ... so wie sie es ihm jeden Abend berichtet hatte seit dem Tod seines Vaters.

Aber bald, wird er es tun, hatte sie sich beeilt, ihm zu versichern.

Als ob die bloße Behauptung es zu einer Tatsache werden lassen könnte.

James fuhr sich mit der Hand durchs Haar und füllte seine Lungen mit der kalten, salzhaltigen Luft. Wenn er doch nur sein Herz auch so mit dem Mut füllen könnte, der jemandem wie ihm eigentlich hätte angeboren sein müssen, dann würde der Stein ihn vielleicht tatsächlich anerkennen.

Aber Wagemut und Geschicklichkeit ließen sich nicht so einfach einatmen wie kalte Meeresluft, und auch Väter mit eisernen

Fäusten ließen sich nur mit der größten Tüchtigkeit eines Sohnes zufrieden stellen.

Und der Stein des Gutsherrn würde nicht für einen Versager weinen.

James stützte sich mit einer Hand auf den reich verzierten Rand des nächsten Fensters und versuchte, das Pochen in seinem Bein zu ignorieren. Aber er konnte den schneidenden Schmerz genauso wenig bezwingen, wie er das Dröhnen der See, die unten gegen die Felsen krachte, aus seinem Bewusstsein zu verdrängen vermochte.

Oder seine Ohren daran hindern konnte, auf ein leiseres Geräusch zu horchen, eins, auf das er jeden Abend wartete: Rhonas Schritte, wenn sie sich mit einem Krug Wein seinen Gemächern näherte.

Ein allabendliches Ritual.

Ein unschuldiges Spiel, von dem er vermutete, dass sie es sich nur ausgedacht hatte, damit er sich wie der Lehnsherr fühlte, der er gar nicht war.

Das Recht des Burgherrn, nannte sie es. Und behauptete, er würde das brauchen, bevor er sich zur Ruhe legte ... dass sie ihm Wein nachschenkte, als könnte er das nicht selber tun!

Mit finsterer Miene ergriff er den leeren Kelch und wollte ihn schon aus dem offenen Fenster schleudern, doch dann schloss er stattdessen die Finger um seinen kalten Stiel, bis sein Zorn sich etwas legte. Er brauchte keinen Alkohol, um einschlafen zu können.

Er brauchte ... Rhona.

Ihre offenen Arme und bereitwilligen Küsse.

Nicht den Wein, den sie ihm jeden Abend so liebenswürdig nachschenkte.

Nein, nicht liebenswürdig.

Provokativ.

Denn neuerdings erschien sie mit einem derart tiefen Ausschnitt in seinen Gemächern, dass er den Verdacht hatte, sie habe die Bändchen am Ausschnitt des Mieders ganz bewusst gelockert.

Und all das nur, damit er auch ganz sicher einen flüchtigen Blick auf ihre dunklen Brustspitzen erhielt!

Einen kurzen Eindruck, weiter nichts.

Eine Gabe, die ihm angeboten, aber nicht mit letzter Konsequenz geschenkt wurde.

Eine Süßigkeit, die ihm vor die Nase gehalten wurde, nur um ihn zu quälen.

Mit einem Gesichtsausdruck, de/ noch finsterer als die Nacht war, wandte James sich von den Fenstern ab und ging zurück zu seinem Lehnstuhl. Mit einem Brummen, das aufgebracht und ausdrucksvoll genug war, um selbst den blasiertesten Beobachter des Gutsherrn befriedigen zu können, machte er es sich auf seinem kalten Eichenstuhl bequem.

Dann nahm er seinen leeren Weinkelch zwischen seine hohlen Hände und wartete auf die leichten Schritte und das leise Anklopfen an seiner Tür, die der Vorbote eines weiteren quälend süßen Blicks auf die üppigen Beigaben der Maid waren, die er hoffte, zu der seinen zu machen.

Und auf den nächsten Tag und seine erste Lektion in herrschaftlichem Schwertfechten.

Unterricht in der edlen Kunst, ein tapferer schottischer Gutsbesitzer zu sein.

Eine von einem englischen Ritter angebotene und erteilte Unterweisung!

Die Ironie dieser ganzen Situation verletzte seinen Stolz, aber sie erfüllte ihn auch mit neuer Hoffnung.

Genügend Hoffnung, um seinen finsteren Gesichtsausdruck ein wenig zu erhellen und ihn dazu anzuregen, sich bei den Heiligen für seine Liebste mit den zauberhaften Brustspitzen und ihren ständigen Einmischungen zu bedanken.