20. Kapitel
Stunden später, in einem der dunkelsten Winkel von Glen Dare, auf einem bewaldeten Inselchen mitten im Loch Dubh ...
»Gebt mir den Stein, Rabe.« Dungal Tarnach stand mit ausgestreckter Hand neben dem Blauen Brunnen. »Ich werde ihn solange halten.«
Er zeigte auf einen sauber freigelegten, von Gebüsch und Steinen befreiten Kreis. »Wie Ihr seht, haben wir Vorbereitungen für das Duell getroffen.«
Ronan nickte stumm, um sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
Er hatte gar nicht mehr an das verdorrte Heidekraut und den wild wuchernden Farn gedacht, mit dem die kleine Lichtung bestanden war.
Aber er hatte nicht die Absicht, den Stein des Raben aus der Hand zu geben.
»Der Tobar Ghorm kann den Stein verwahren.« Über die nackte, festgestampfte Erde ging er an Dungal vorbei zum Brunnen und legte den schweren Ledersack auf einen der eingestürzten Steine um den Brunnenschacht.
Dann straffte er sich und sah sich um. »Ich kann mich doch darauf verlassen, dass er unberührt bleibt, bis wir fertig sind?«
Dungal Tarnach runzelte die Stirn. »Woher sollen wir wissen, dass dieser Sack dort unseren Stein enthält?«
Wieder keimte Hoffnung in Ronan auf. »Man sollte meinen, dass Ihr seine Stärke spürt.«
»Ihr zweifelt an unserer Macht?« Der ältere Mann hob einen Arm und zeigte auf den Ledersack.
Sofort lösten sich die Riemen, mit denen er verschlossen war, und das Leder sank langsam herab, um den Stein des Raben zu enthüllen, bevor es ganz verschwand.
Erschrockener als er sich eingestehen wollte, legte Ronan eine Hand auf den Stein, dessen jähes blaues Glühen ihm beinahe die Hand versengte. Er ließ sie trotzdem dort liegen, sicher, dass der Schmerz vergehen würde, wenn er den Kontakt mit dem Stein unterbrach.
So wie er sich auch sicher war - zumindest hoffte er es -, dass das glitzernde blaue, gesegnete Wasser tief im Brunnen den Stein des Raben nicht wieder hergeben und den Bewahrern in die Hände fallen lassen würde, sollte er den Zweikampf verlieren.
»Ihr seid ein tapferer Mann, MacRuari.« Dungal Tarnachs Blick erhob sich von dem Stein. »Was für eine Schande, dass Nathair Euch besiegen wird.«
Ronan verschluckte sich beinahe.
Wie angemessen, seine Klinge gegen einen Bewahrer namens Schlange zu erheben.
Seltsamerweise milderte die Ironie daran das Unbehagen, das ihn ergriffen hatte, als er seinen Ledersack verschwinden sah. Mit einem Eifer und Tempo, die ihn überraschten, warf er sein Plaid ab und sah dann zu, wie sein Gegner, nicht minder rasch, sein Obergewand ablegte.
Sein Schwert schimmerte schon in der Hand des Mannes, und ein Gewirr von Narben auf seiner breiten, muskulösen Brust verriet, dass er sich in mehr als einem Duell bewährt hatte.
Ronan, der wusste, dass er ähnlich gezeichnet war, schwang Dungal Tarnachs Schwert einige Male schnell herum, um es auszuprobieren, täuschte Angriffe vor und parierte welche, bis er ein Gefühl für die Waffe entwickelt hatte.
Ein höhnisches Grinsen im Gesicht wartete Nathair ab.
»Komm, greif an.« Ronan winkte ihm und hob sein Schwert zum Kampf. »Zeig mir dein Bestes, damit der Teufel stolz auf dich sein kann.«
»Spar dir deinen Atem, Rabe.« Der Mann hob Ronans Klinge. »Du wirst ihn brauchen.«
Ronan winkte wieder auffordernd.
Aus dem Augenwinkel sah er Tarnach und die anderen an den Rand des freigelegten Kampfrings treten, wo sie einen stillen, aufmerksamen Zuschauerkreis bildeten.
Für einen schrecklichen Moment fühlte er sich in Dares Halle zurückversetzt und stand wieder Sorley gegenüber. Aber dann griff Nathair an, und Ronans eigene Klinge durchschnitt die Luft, um laut klirrend gegen den fremden Stahl in seiner Hand zu prallen.
Die Kraft des anderen erschütterte den Raben, die Wucht des Hiebs stieß ihn fast von den Füßen. Obwohl sein Gegner nicht annähernd so groß war wie Ronan, war er wie ein Stier gebaut und besaß vermutlich auch die Muskeln eines solchen.
Wieder und wieder prallte seine Klinge in einer schnellen Folge heftiger Hiebe und Querschläge gegen Ronans. Sie umkreisten sich und wichen einander aus, attackierten und parierten, und das Klirren von Stahl an Stahl war fast unerträglich laut an diesem kalten Morgen, doch das Rauschen von Ronans Blut in seinen Ohren übertönte noch den Lärm.
Dann täuschte Nathair einen Angriff vor und sprang sofort wieder zurück, um einen heftigen seitlichen Schwertstreich gegen Ronans Mitte auszuführen. Zum Glück sah Ronan das Aufblitzen der Klinge, duckte sich und rollte sich zur Seite, sodass das Schwert seines Gegners ihn knapp verfehlte.
Aber in den Augen des Mannes flackerte etwas auf, und Ronan erkannte, was er vorhatte. Nathair wollte jetzt den Rabenstein ergreifen und dessen Macht nutzen, um zu siegen. Er hatte sich schon in die Nähe des Brunnenrandes bewegt und ließ sein Schwert wie wild durch die Luft kreisen, um Ronan in Schach zu halten.
»Das schaffst du nicht, Schlange! Du wirst ihn nicht bekommen!« Ronan sprang vor und ließ sein Schwert noch schneller kreisen. »Weder du, deine Brüder noch sonst jemand!«
»Bastard!«, fauchte Nathair. »Der Stein gehört uns.«
»Nein«, zischte Ronan, »denn es gibt ihn gar nicht mehr!«
Mit einem Satz sprang er vor und ließ sein Schwert so heftig auf den Stein herunterfahren, dass die Kraft des Hiebs den Stein in zwei perfekte Hälften teilte.
»Neiiiin!«, brüllte Nathair, als der zersprungene Stein über den Brunnenrand in den Tobar Ghorm hinunterfiel. Wutentbrannt fuhr der Bewahrer zu Ronan herum, seine Klinge zu einem tödlichen Schlag hoch erhoben.
»Doch!« Ronan parierte den Angriff mühelos, die Klinge des anderen pfiff harmlos über seinen Kopf, während sein eigenes Schwert - oder vielmehr Tarnachs - durch Nathairs Arm hindurch tief in dessen Seite eindrang und ihm die Rippen zerschmetterte.
Die Augen des Mannes traten ihm fast aus dem Kopf, und Ronans Schwert entglitt seinen Händen, als er kraftlos in sich zusammensackte und zu Boden fiel.
Es war vorbei.
Eine jahrhundertealte Ehrenschuld war beglichen.
Ronan fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und war sich nur dunkel der Bewegung hinter ihm bewusst. Des Ansturms eines Dutzends dünner, vom Alter gebeugter Männer, die auf den Rand des heiligen alten Brunnens zueilten.
»Es ist vorbei.« Eine erleichtert klingende Stimme, alt und müde, erhob sich über den Tumult. »Der Stein ist wirklich in der Mitte durchgebrochen.«
Dungal Tarnachs Stimme.
Aber sie klang mehr wie die eines der gutmütig vor sich hin grummelnden Graubärte, die sich an dunklen Winterabenden um Dares Kamine versammelten, als die eines grimmigen Bewahrers des Steins.
»MacRuari! Ihr habt nicht nur den Stein zerstört, sondern auch den Raben befreit.« Tarnach blickte auf, als Ronan näher kam. »Kommt, mein Junge, seht es Euch mit eigenen Augen an.«
Erstaunt über den freundlichen Ton, schloss Ronan sich den anderen an, diesen gebückten, zerbrechlichen alten Männern, die sich hinknieten, um in den Blauen Brunnen hinabzuschauen.
Er sah sofort den zerbrochenen Stein des Raben. Er hatte ihn tatsächlich zerstört. Seine zwei Hälften lagen auf einem Vorsprung tief im Herzen des Brunnenschachts.
Und er sah jetzt auch den Grund für das Staunen der alten Männer.
Für die Ehrfurcht in ihren Stimmen und ihren überraschenden Sinneswandel.
Als er in den Brunnen spähte, sah Ronan, dass der zerbrochene Stein das Skelett eines uralten, verwesten Vogels offenbarte. Aber was ihm wirklich fast das Herz stehen bleiben ließ, war der Rabe selbst. Mit glänzenden schwarzen Schwingen und voller Leben stieg der Vogel in langsamen Spiralen durch den dämmrigen Schacht des Brunnens auf.
»Ich habe gewusst, dass es so sein würde.« Dungal Tarnach richtete sich auf und trat, eine Hand an seine Brust gepresst, zurück, als der Vogel zwischen den Steinen um den Brunnenrand auftauchte und mit glänzenden, blauschwarzen Schwingen davonflog.
Er kehrte allerdings noch einmal um, stieß mit halb angelegten Flügeln auf die Männer herab und segelte an ihnen vorbei, bevor er sich wieder in die Lüfte schwang und sich über die Hügel und Moore entfernte, bevor Ronan und die Bewahrer - jetzt nur noch ein elender Haufen kraftloser, gebückter alter Männer - auch nur begreifen konnten, was sie gesehen hatten.
»Gott!«, flüsterte Ronan und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, weil er es selbst kaum glauben konnte.
Aufgewühlter als ihm lieb war, wandte er sich ab, um sein Schwert zu holen, aber es erschien in seiner Hand, bevor er auch nur einen Schritt darauf zu getan hatte. Er blinzelte und war nicht erstaunt, Dungal Tarnach neben sich zu sehen.
»Wir werden uns um Nathair kümmern«, sagte der alte Mann mit einem Blick auf den Toten, neben dem schon einige seiner Brüder knieten. »Aber ich möchte Euch um Erlaubnis bitten, ihn hier begraben zu dürfen.« Er spreizte seine Hände, und Ronan sah, dass sie gichtgekrümmt und mit Altersflecken übersät waren. »Im Gegensatz zu Nathair haben wir anderen nicht die Kraft, ihn weit zu tragen.«
Und sicher auch nicht das Durchhaltevermögen, dachte Ronan, selbst sehr weit zu reisen.
Ihre Druidenstäbe mochten ihnen einen kleine Hilfe sein, aber ihre Knochen waren alt.
Und obwohl er sich dessen nicht sicher sein konnte, nahm er an, dass viel ihrer Magie mit ihrem nun zerstörten Stein zusammengehangen hatte, ob er sich nun in ihrem Besitz befunden hatte oder nicht.
»Das ist wahr«, sagte Tarnach und bewies, dass er trotz allem noch immer Gedanken lesen konnte. »Der Stein hat unsere Macht genährt. Es war die Lebenskraft des darin gefangenen Raben. Mit jedem Schlag seines Herzens ersehnte er sich die ihm gestohlene Freiheit, und sein Kummer durchsickerte den Stein und durchdrang ihn mit der Macht des Vogels. Jetzt ...«
Er wandte für einen Moment den Blick ab, bevor er Ronan wieder ansah. »Zwei Unrechte sind wieder gutgemacht worden. Maldred hat nicht mehr den Stein, den er uns genommen hatte, und der Rabe hat die Freiheit wiedergewonnen, die wir ihm genommen hatten. Es gibt viele unter uns, die froh sein werden, dass unsere Magie sich nun auf einige einfache Zaubertricks beschränkt«, sagte er, streckte die Hand aus - in der sich plötzlich Ronans leerer Ledersack befand.
Von einer merkwürdigen Enge in der Brust erfasst nahm Ronan den Beutel an. »Ihr ...«
»Wir sind nicht alle so wie Nathair. Wir halten unser Wort.« Dungal raffte seine Gewänder, unter denen rissige, abgetragene Schuhe zum Vorschein kamen. »Möglicherweise brauchen wir ein paar Nächte, um das Ende Eures Tals zu erreichen, aber dann werdet Ihr uns nie wieder sehen.«
»Verdammt noch mal!«, fluchte Ronan über die Enge in seiner Brust. Diese Empfindung hatte sich bis in seine Kehle fortgesetzt und saß dort heiß und hartnäckig.
Und er befürchtete, dass es für ihn nur einen Weg gab, um sich davon zu befreien.
»Habt Ihr je von einem Highlander gehört, der Gäste abgewiesen hat?«, platzte er heraus, beinahe sicher, dass die heiseren, rauen Worte jemand anderem als ihm über die Lippen kamen.
»Was?« Dungal Tarnach, der sich schon halb abgewandt hatte, hielt wieder inne und sah sich mit feuchten, geröteten Augen um.
Mit den ganz normalen, geröteten Augen eines alten Mannes.
Sofern man die Tränen eines alten Mannes als normal bezeichnen konnte.
Sie zu sehen besiegelte Ronans Entscheidung.
Wieder fluchte er, aber die heiße Enge in seiner Brust und Kehle löste sich, und irgendetwas in ihm öffnete sich wie der zersprungene Rabenstein und befreite ihn ebenso unwiderruflich, wie der Stein den Vogel freigegeben hatte.
Ronan kämpfte gegen den lächerlichen Impuls an, den Kopf zurückzuwerfen und triumphierend aufzuschreien, und ergriff stattdessen Dungal Tarnachs Hand.
»Habt ihr je von einem MacRuari gehört, der Freunde abgewiesen hat?«, ergänzte er seine ursprüngliche Frage.
Tränen verschleierten den Blick des Druiden, und seine Stimme klang ebenso bewegt wie Ronans, als er erwiderte: »Nicht zu meinen Zeiten. Aber jene Tage sind schon lange vorbei ...«
»Nein, heute ist dieser Tag.« Ronan drückte die Hand des alten Mannes. »Wenn Ihr mögt?«
Eine Träne rann über die Wange des Druiden, als er nickte. »Mit der größten Freude.«
»Gut, dann sind wir uns ja einig.« Ronan trat zurück und hob sein abgelegtes Plaid auf, weil er es jetzt eilig hatte, aufzubrechen.
Er hatte viel zu erklären.
Als Allererstes musste er seiner Frau sagen, wie sehr er sie liebte.
Erst als er Nathair gegenübergestanden hatte, war ihm klar geworden, dass er es ihr noch nie gesagt hatte.
Aber kurze Zeit später, als er sein kleines Ruderboot am Ufer des Loch Dubh zurückließ und sich auf den langen Heimritt nach Dare machte, waren diese Worte und alle anderen, die er vielleicht gesagt hätte, wie weggewischt aus seinem Kopf.
Denn er war gerade erst um eine steile Anhöhe herumgeritten, als ihm ein Zwiebelkorb den Weg verstellte.
Ein mit breiten Lederriemen und einem Plaid versehener Zwiebelkorb.
»Grundgütiger Himmel!« Er rieb sich die Augen, aber der Korb blieb, wo er war.
Ronan zügelte sein Pferd und schwang sich aus dem Sattel, aber seine Füße hatten noch nicht den Boden berührt, als sie schon aus den Bäumen trat, den alten Buckie dicht an ihrer Seite.
»Gelis!« Mit zwei Schritten war er bei ihr und packte sie an den Schultern. »Herrgott noch mal, Mädchen, ich hab dir doch gesagt, du sollst in der Burg bleiben! Weißt du nicht, was für eine Gefahr ...«
»Ein paar müde alte Männer mit feuchten Augen sind?« Sie lachte, und ihre Augen funkelten. »Du warst fantastisch! Und ich kann es kaum erwarten ... sie zu begrüßen, wie es sich gehört! Und der Rabe!« Sie strahlte ihn auf eine Weise an, die ihm den Atem raubte. »Wer hätte gedacht ...«
»Du hast es gesehen?« Ronan ließ die Kinnlade herunterfallen.
»Wir alle haben es gesehen.« Mit stolzgeschwellter Brust erschien Valdar an ihrer Seite.
Andere folgten schnell: Hugh MacHugh, Hector, Dragon und sogar Anice mit zwei der jüngsten Küchenjungen, die sich an ihre Hände klammerten. Immer mehr kamen, traten hinter Bäumen oder Ginstersträuchern hervor, bis Ronan hätte schwören können, dass der gesamte Dare'sche Haushalt vor ihm stand.
Buckie wedelte mit dem Schwanz und bellte, um nicht ignoriert zu werden.
»Denkst du, wir hätten dich ohne uns als Rückendeckung zu den Bewahrern des Steins gehen lassen?« Valdar zog seine Axt aus dem Gürtel und schwenkte sie grimmig. »Ein einziger schlauer Trick von ihnen, und wir hätten zugeschlagen wie der Blitz!«
Er stemmte die Fäuste in die Hüften und sah sich um. »Schneller noch!«
Erst da bemerkte Ronan, wie gut bewaffnet seine Leute waren. Überall schimmerte und glänzte Stahl, und wer kein Schwert führen konnte, hatte zu anderen Waffen gegriffen. Er sah jede Menge Mistgabeln und Sensen, und - falls seine Augen ihn nicht trogen - sogar mehrere lange, scharfe Fischbeinnadeln unter Anice' Gürtel.
Hugh MacHugh hielt sein Küchenhackbeil in der Hand, und Auld Meg schwenkte ein gruseliges eisernes Geburtswerkzeug, dessen eigentlichen Zweck Ronan sich nicht mal vorstellen wollte.
Er seufzte, als er all das sah, und schüttelte den Kopf.
Sein Herz begann wieder schnell und hart zu pochen, und die schreckliche Enge erfasste wieder seine Brust. Diesmal kroch sie nicht nur hinauf, um ihm die Kehle zuzuschnüren, sondern trieb ihm auch die Tränen in die Augen.
Dann erinnerte er sich an einige von Valdars Worten.
Wir alle haben es gesehen.
Ronan räusperte sich, überzeugt, dass hier etwas sehr Merkwürdiges vorging.
Etwas, das alle wussten außer ihm.
»Wie könnt ihr gesehen haben, was geschehen ist?« Er sah zuerst Gelis an und dann seinen Großvater. »Der Tobar Ghorm ist vom Ufer des Lochs aus nicht zu sehen.«
»Meinst du?« Torcaill trat vor und beschrieb einen großen Bogen mit seinem Stab, und für einen Moment erschien der Blaue Brunnen, dessen Lichtung jetzt still und leer war. Selbst die ausgerissenen Farne und Erika waren wieder da, wo sie vorher gewesen waren.
»Einige Zauberkräfte verliert man nie«, erklärte der Druide stolz, als er seinen Stab wieder senkte.
»Wie Valdar sagte, wären wir gekommen, um dir bei deinem Kampf zu helfen«, sagte Gelis, schob ihren Arm unter Ronans und lehnte sich gegen ihren Mann. »Wir haben alles beobachtet und abgewartet ...«
»Soll ich etwa glauben, dein Stab hätte euch alle durch die Luft zu dem Inselchen befördert?«, wandte Ronan sich an Torcaill. »Es hat nie mehr als ein kleines Ruderboot am Loch Dubh gegeben.«
Zu seiner Überraschung umfasste der Druide seinen Stab noch fester und starrte Ronan nur schweigend an.
Gelis warf seinem Großvater einen vielsagenden Blick zu und lachte.
»Sag du es ihm«, sagte sie mit einem Gesicht, als könnte sie sich vor Lachen nicht mehr halten.
Und sie sah so überaus entzückend aus in ihrer Fröhlichkeit, dass Ronans Herz vor Glück zu platzen drohte.
»Dieser Hund ist sicher hungrig«, erklärte Valdar mit einem schlauen Blick auf Buckie. »Ich habe gedörrtes Hirschfleisch in einem Beutel an meinem Sattelknauf. Am besten hole ich es gleich ...«
Ronans Hand schoss vor und hielt den alten Mann an seinem Plaid zurück, bevor er sich entfernen konnte. »Buckie kann deinen gesamten Vorrat an Trockenfleisch haben ... aber später. Zuerst möchte ich hören, wie ihr ohne Boote zu der Insel kommen wolltet.«
»Ach, verdammt, was soll's?« Valdar hakte seine Hände um seinen Gürtel und blickte sich verdrossen um. »Was nützen einem Clanführer seine Geheimnisse, wenn der ganze Clan sie sowieso schon kennt?«
»Geheimnisse?«, fragte Ronan mit erhobener Augenbraue.
»Unterwassertunnel!«, brüllte sein Großvater. »Ein ganzes Labyrinth davon unter der Wasseroberfläche, das von allen Seiten des Loch Dubh zu der Insel hinausführt. Ich habe diese Gänge entdeckt, als ich noch ein kleiner Junge war und mein Skiff auf einem von ihnen auf Grund gelaufen ist.«
Ronan blickte auf den See hinaus. »Wahrscheinlich waren sie für die früheren Pilger bestimmt«, sagte er, den Grund erratend. »Sie benutzten sie, um den heiligen Brunnen zu erreichen, und ihr wolltet sie benutzen, um mir zu Hilfe zu kommen«, sagte mit einem liebevollen Blick auf Gelis und zog sie an sich.
»Das war unser Plan, aye.« Valdar schob streitlustig das Kinn vor. »Aber hätte ich gewusst, wie die Sache ausgeht, hätte ich nie verraten ...«
»Gibt es sonst noch etwas, das du mir verschwiegen hast?«, unterbrach ihn Ronan.
Ein Funkeln erschien in Valdars Augen. »Ach«, sagte er und schien sich plötzlich sehr für seine Fingernägel zu interessieren. »Nur was ich dir seit ziemlich langer Zeit schon sagen wollte.«
»Und was ist das?«
Valdar warf Gelis einen Blick zu. »Dass dieses Mädchen genau das ist, was du brauchst, mein Junge.«
»Da kann ich dir nur aus vollstem Herzen zustimmen«, sagte Ronan und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie.
»Aber in einem irrt er sich«, flüsterte er Gelis ins Ohr, bevor er sie wieder freigab. »Ich brauche dich nicht nur, sondern ich liebe dich auch und werde es bis ans Ende unserer Tage tun.«
»O Ronan!« Gelis warf ihm die Arme um den Hals und drückte ihn an sich. »Ich liebe dich auch«, rief sie über den Jubel, das Gebell und das Geschrei, das sich um sie erhob. »Wir werden uns immer lieben. Für immer und in alle Ewigkeit!«
Und kaum waren die Worte ausgesprochen, neigte ein großer schwarzer Vogel, der über ihnen kreiste, beifällig eine seiner Schwingen.