10. Kapitel
Bei Gott und allen ...!« Fassungslos starrte Ronan seinen Hund an. »Was für ein Mummenschanz ist das denn?«
Ein vertrautes Bellen versuchte, alles zu erklären.
Aber Ronan schüttelte nur den Kopf und fuhr sich mit zitternder Hand durchs Haar.
Der Hund konnte nicht hier sein.
Doch da saß er, mit schief gelegtem Kopf und blanken Augen. Er hatte sich inmitten eines schlammigen, rotgrünen Fleckchens Torfmoos niedergelassen, und seine über den Boden hin- und herfächelnde Rute war mindestens so schmutzig wie seine Beine. Stückchen von Farnkraut hingen in seinem zotteligen grauen Fell.
Und er stank erbärmlich.
Aber Ronan hatte seinen Hund seit Jahren nicht glücklicher gesehen.
Trotzdem würde er denjenigen umbringen, der Buckie aus der Burg gelassen hatte.
Wut schnürte ihm die Brust zusammen. Sein goldener Halsreif schien ihm die Kehle zuzudrücken, sodass er kaum noch atmen konnte. Er trat vor, die geballten Fäuste an den Seiten, weil die Freude des Hundes, draußen zu sein, Ronans Ärger noch schürte.
Nach diesem Ausflug würde es noch schwieriger als vorher sein, Buckie innerhalb der Burg zu halten.
Was ein durch nichts wieder gutzumachendes Vergehen war.
In seiner Wut achtete Ronan nicht darauf, wohin er trat, und glitt auf dem nassen Laub aus, das den schmalen Pfad bedeckte.
»Verdammt noch mal!«, brüllte er und fuchtelte wild mit den Armen, bis es ihm gelang, das Gleichgewicht zu halten.
Als Ronan wieder fest auf beiden Beinen stand, war seine Miene finsterer denn je, und er gab sich alle Mühe, sich nicht von Buckies Freude anstecken zu lassen.
Denn egal, wie sehr der alte Hund den Streifzug genoss, er hätte sich dabei einen irreparablen Schaden an seinen Hüften zuziehen können.
Creag na Gaoith lag ziemlich weit von Dare Castle entfernt, und der Weg dorthin war rau und anstrengend. Ein Mann auf einem trittsicheren, unerschrockenen Pferd brauchte seine ganze Geschicklichkeit, um den Fels des Windes und den kleinen, von Felsbrocken gesäumten See zu erreichen.
Dass Buckie es so weit geschafft hatte, war ein Wunder.
Und - wie Ronan bereits beschlossen hatte - der sichere Tod desjenigen, der dafür verantwortlich war.
Zitternd vor Wut bückte er sich, um Buckie hochzuheben. Wenn es sein musste - und so sah es aus -, würde er sich den alten Hund quer über den Schoß legen, wenn er nach Dare zurückritt.
In diesem Moment nahm er den Geruch eines Feuers wahr.
Und den verlockenden Duft von Fleisch, das langsam am Spieß geröstet wurde.
Auch der Geruch von wikingischem Bier lag in der Luft und, falls seine Sinne ihn nicht täuschten, das kräftigere Aroma von feurigem uisge beatha.
Das Wasser des Lebens und Allheilmittel jedes Highlanders hatte an diesem verdorbenen, finsteren Ort nichts zu suchen, der für Ronan des Teufels Spielplatz war.
Er runzelte die Stirn.
Sein Pferd stieß ihm die Nüstern gegen die Schulter.
Buckie bellte und riss sich von Ronan los, bevor der ihn festhalten konnte ... und lief den Pfad hinunter.
Wenn man den schwerfälligen, schwankenden Gang des großen Hundes überhaupt noch Laufen nennen konnte.
Aber im Moment hatte Ronan andere Sorgen.
Wikinger hatten sich im Tal niedergelassen!
Er hatte den Beweis vor Augen ... er winkte ihm förmlich durch die Bäume zu: Eine große, farbenfrohe Segeltuchplane - das bevorzugte Zelt marodierender Wikinger - blähte sich stolz in der Nähe des ausstreichenden Felsgesteins am Ufer des namenlosen kleinen Sees von Creag na Gaoith.
Das rot, blau und gold gestreifte Zelt schien an einer Seite offen zu sein und ließ - wenn Ronan sich nicht täuschte - einen groben Holzfußboden im Innern erkennen.
Und auf ebendiesem Boden stand eine reich gedeckte Tafel und eine mit dicken Kissen belegte Bank.
»Bei allem, was mir heilig ist ...!« Ronan blinzelte ungläubig.
Dann schüttelte er den Kopf und rieb sich die Augen.
Aber das Wikingerzelt verschwand nicht.
Ganz im Gegenteil, denn nun tauchte auch noch Buckie hinter einem der Stützpfähle auf. Umhertollend wie ein lahmer Welpe fuhr er mit der Nase über den Boden und schnüffelte an einem gut gesicherten Tau, bevor er zu dem Kochfeuer am Ufer des Sees hinüberlief, das munter brannte.
Das Feuer, das Ronan gerochen hatte ... und auch der Braten an einem Spieß darüber fehlte nicht.
Es war Rinderbraten. Dare'sches Rind - ob es ihm passte oder nicht.
Entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, schwang er sich in den Sattel, zog sein Schwert und stieß es in die Höhe. Bevor er jedoch sein Pferd antreiben und auf die Lichtung reiten konnte, trat sie ihm in den Weg.
»Mein Herr Gemahl - ich grüße dich!« Sie strahlte ihn an, und der pure Schalk tanzte in ihren bernsteinfarbenen Augen. »Ich muss schon sagen, dass du dir auf dem Weg hierher viel Zeit gelassen hast.«
Ronan verschluckte sich beinahe.
Schlimmer noch - er konnte kaum noch atmen.
Voller Lebensfreude und weiblicher Tatkraft schaute sie zu ihm auf. »Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass du noch kommen würdest.«
»Du siehst alles andere als hoffnungslos aus, kann ich da nur sagen.«
»Dann ist es ja gut!« Sie raffte ihre Röcke und drehte sich einmal im Kreis herum. »Nicht so gut ist nur, dass ich nicht für ein Festessen in der Wildnis angezogen bin, nachdem ich Dare heute Morgen in aller Eile verlassen musste«, erklärte sie lachend.
»Ein Festessen?« Ronan brachte die Worte kaum über die Lippen.
Ihr Lächeln brachte ein Grübchen zum Vorschein.
»Unsere Hochzeitsfeier«, half sie ihm auf die Sprünge und zeigte auf das bunt gestreifte Zelt. »Speisen, Getränke und noch mehr Freuden erwarten dich.«
Freuen würde mich, dich in Sicherheit auf Castle Dare zu wissen.
Aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken.
Auch sein Arm versagte ihm den Dienst, schien wie festgefroren in der Luft zu hängen, während seine Finger noch immer den lederbezogenen Griff seines Schwerts umklammert hielten, dessen lange Klinge im schwachen Licht des Waldes schimmerte.
Ronan krümmte sich innerlich und wünschte, er könnte im nächstgelegenen Sumpf versinken.
Scheinbar ohne etwas von seinem Unbehagen zu bemerken, plapperte sie munter weiter. »All die Köstlichkeiten, die gestern aus unserem Schlafzimmerfenster geworfen wurden, stehen auf diesem Tisch da drüben«, begeisterte sie sich und sah bezaubernder aus, als erlaubt sein dürfte. »Ich bin in die Küche gegangen und habe die noch unberührten Reste von deinem Koch einpacken lassen.«
Ronans Erstaunen hätte nicht größer sein können. »Du meinst das Essen, das ich für ...«
»Das du für mich bestellt hattest, aye, und das wir jetzt aber miteinander genießen werden!« Sie hob eine Hand und begann die Speisen aufzuzählen. »Wir haben dicke Scheiben kalten Hammelbraten, die gleichen Lachspastetchen wie gestern und Eier in Aspik - und zum Nachtisch gibt es Hugh MacHughs berühmte Honigkuchen.«
Ronan zog die Brauen hoch.
»Und nicht nur das.« Sie warf einen weiteren Blick auf den reich gedeckten Tisch. »Es gibt auch noch andere Leckereien.«
Ronan hätte darauf fast erwidert, dass sie die Leckerei war.
Nur gut, dass auch seine Stimme ihm den Dienst versagte.
Wieder schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln, das ihre Grübchen zum Vorschein brachte. »Hugh MacHugh war sehr großzügig.«
Ronan konnte sie nur sprachlos anstarren.
Sie war ... unglaublich, eine Vision vor dem kalten Grau des Waldes und den dunklen Stämmen der mächtigen schottischen Kiefern, die den kleinen Pfad begrenzten.
Hinter ihr legten sich Nebelschwaden und Wolken über das zerklüftete Antlitz von Creag na Gaoith, aber wie um Ronan zu verzaubern, drang ein einzelner Sonnenstrahl durch die Bäume, dessen Flimmern auf Lady Gelis fiel und sie in goldenes Licht hüllte.
Dabei wäre es nicht nötig gewesen, ihre Schönheit noch zu betonen.
Über einem engeren und tiefer ausgeschnittenen Mieder, als er je an ihr gesehen hatte, zeigte sich weit mehr als nur der Ansatz ihrer wundervollen Brüste, und ihr flammend rotes Haar hatte sich aus seinem Zopf gelöst, um ihr Gesicht und ihre Schultern zu umspielen.
Ohne auch nur zu versuchen, ihre ungezähmten Locken zu bändigen oder das Mieder ihres Kleids zu richten, erwiderte sie stolz und ruhig Ronans Blick. Eine unausgesprochene Herausforderung lag in den goldgesprenkelten Tiefen ihrer Augen, die förmlich glühten.
Ronan schluckte.
Seine Kinnmuskeln wurden so schlaff und schwach, dass er bezweifelte, den Mund je wieder schließen zu können.
Ein anderer Körperteil hingegen wurde hart und heiß.
Hier bestand weder die Gefahr von Schlaffheit noch von Schwäche.
Er fürchtete eher, das verflixte Ding könnte in der Mitte durchbrechen, würde es noch härter werden.
Ronan zwang sich, nicht daran zu denken, und schließlich gelang es ihm, den Arm zu senken und das Schwert in die Scheide zurückzustecken. Dann stieg er aus dem Sattel und machte sich an seinem Umhang zu schaffen, als müsste er dessen Falten richten. Noch nie hatte er sich unbeholfener und linkischer gefühlt.
Es war unvorstellbar, dass er fast mit erhobenem Schwert und laut Wikinger brüllend durch das Unterholz gestürmt wäre, um die Feinde aus ihrem Versteck zu locken, damit sie wie Männer gegen ihn kämpften.
Was für eine unerträgliche Blamage das gewesen wäre!
Ronan atmete tief durch und biss die Zähne zusammen, weil er nicht vor ihr erröten wollte.
Und sie nicht sehen lassen wollte, wie sehr er sich zu ihr hingezogen fühlte.
Doch der Blick, den sie ihm zuwarf, ließ leider deutlich erkennen, dass sie das schon wusste.
»Natürlich warst du überrascht.« Sie trat näher, ihre rotgoldenen Locken schwangen um ihre Hüften, und der Duft nach Rosen umschmeichelte seine Nase. »Aber es war ja auch meine Absicht, dich zu überraschen.«
Seine Nasenflügel bebten, als ihr Duft seine Sinne überwältigte.
»Und das ist dir ja auch gelungen.« Er sah sie prüfend an und war kaum noch in der Lage, klar zu denken. »Aber hast du nicht bedacht, dass Buckie ...«
Sie tat seine Besorgnis mit einer Handbewegung ab und griff nach seinem Arm. »Buckie geht es bestens. Der Tag hat ihm viel Freude gemacht und tut es immer noch.«
Ronan schnaubte.
»Seine Freude über diesen Ausflug wird schnell vergehen, wenn er morgen früh aufwacht und merkt, dass er nicht aufstehen kann.« Ronan blickte auf sie herab und versuchte zu ignorieren, wie gut sich ihre Hand auf seinem Arm anfühlte. »Ich bin sicher, du hast es nur gut gemeint, aber so ein altes Tier den ganzen Weg von Dare hierher laufen zu lassen ...«
Gelis lachte, und es klang so hell und fröhlich, dass es die kühle Luft erwärmte. Ihr Lachen hätte auch ihn erwärmen können, wäre der Grund dafür nicht so unerfreulich.
Ronan runzelte die Stirn.
Er hatte sie mit Sicherheit falsch eingeschätzt, wenn sie die Probleme des armen Buckie lustig fand.
»Du irrst dich, Ronan - das kann ich dir am Gesicht ansehen.« Sie sah ihn verschmitzt an, als sie ihn mit sich zog. »Buckies Anwesenheit ist eine weitere meiner Überraschungen. Er ist keinen Schritt gegangen, sondern geritten - und das sehr stilvoll!«
Ronan blieb wie angewurzelt stehen. »Er ist geritten?«
Gelis lachte wieder, doch statt einer Antwort zog sie ihn nur noch schneller weiter.
Bis sie die Nebelschwaden durchschritten hatten, die hier und da vom Boden aufstiegen, und sie die die kleine Lichtung am Seeufer erreichten, auf der das bunte Zelt stand.
»Da! Sieh selbst, wie Buckie hierhergekommen ist«, sagte sie dort und zeigte triumphierend auf einen leeren Weidenkorb.
Er war groß, mit Seilen versehen und mit etwas, das wie ein Fassband aus dem Weinkeller seines Großvaters aussah. Offenbar diente er üblicherweise als Zwiebelkorb, denn obwohl er in einiger Entfernung am Ufer des kleinen Sees stand, trug der Wind Ronan den Geruch nach Zwiebeln zu.
Ronan starrte den Korb mit großen Augen an und schluckte.
Dann blinzelte er, und ein ungewohntes Brennen entstand hinter seinen Lidern, als er eines von Dares Pferden nicht weit entfernt von dem Korb grasen sah.
Jemand hatte den Sattel des Tieres auf einem Felsbrocken abgelegt, und es war dieser Sattel, den Ronan jetzt anstarrte. Ein Seil baumelte von der hohen Rückenlehne des Sattels, und Ronans Herz zog sich zusammen, als er den Zweck dieser Vorrichtung erkannte.
Sein Blick glitt zu dem Zwiebelkorb und wieder zurück zu dem Sattel, auch wenn er ihn jetzt nicht mehr richtig erkennen konnte, so verschwommen, wie seine Sicht geworden war.
Er räusperte sich und straffte seine Schultern, bevor er es riskierte, sich wieder zu ihr umzudrehen.
»Jetzt sag nicht, dass du einen Tragekorb für Buckie angefertigt hast?«
»Doch!«, erwiderte sie strahlend. »Hugh MacHugh und Hector haben mir dabei geholfen. In Dare haben wir Buckie in den Korb gesetzt, und seine Pfoten haben den Boden erst berührt, bis wir hier ankamen.«
Sie blinzelte selbst ein wenig und fuhr sich mit der Hand über die Wange. »Ich kann dir versichern, dass der Ritt ihm Spaß gemacht hat!«
»Und wie bist du auf die Idee gekommen?« Ronan hatte immer noch Mühe, es zu glauben.
»Durch Jamie Macpherson«, antwortete sie. »James der Kleine von Baldreagan, obwohl sein richtiger Name James von der Heide lautet.«
»Ich habe noch nie von ihm gehört.« Ronan versuchte, nicht verärgert zu klingen.
Doch allein schon, wie sie die vielen Beinamen des Mannes aussprach, störte ihn.
»Jamie hat einen alten Hund namens Cuillin, für den er einen Reitkorb angefertigt hat«, berichtete sie weiter, und ihre Augen funkelten. »Als mein Vater den Korb sah, ließ er ähnliche für seine alten Hunde Telve und Troddan herstellen.«
Als sei damit schon alles erklärt, warf sie ihr langes Haar zurück. »Die Hunde begleiten Vater überallhin, auch wenn er sie nach Dare nicht mitgebracht hat.«
Ronan hätte fast geschnaubt.
Der Schwarze Hirsch würde schon gewusst haben, warum er seine geliebten Hunde daheim gelassen hatte.
Hätte er doch dieselbe Vorsicht bei seiner Tochter walten lassen.
»Jamie hätte seinen Hund mit hierhergebracht«, erklärte sie, und ihre Lippen verzogen sich erneut zu einem hinreißenden Lächeln. »Er macht keinen Schritt ohne Cuillin.«
»Hmmpff!«
Die Bewunderung, die er in der Stimme seiner Frau vernahm, ärgerte Ronan sehr.
Sein goldener Halsreif schien sich ihm enger denn je um den Hals zu legen.
Hundeliebhaber oder nicht, er war sicher, dass er diesen Jamie Macpherson nicht mögen würde.
»Ich habe auch schon von solchen Hundetragkörben gehört«, log er, als ihn eine lächerliche Eifersucht beschlich und zwang, den genialen Einfall des anderen Mannes herabzuwürdigen. »Es ist gut möglich, dass ich den einen oder anderen schon in Inverness gesehen habe«, schmückte er die Geschichte aus, obwohl er sich schrecklich dumm dabei vorkam, den Mund aber trotzdem nicht halten konnte. »Und vielleicht auch einen auf Skye, als ich Aidan MadDonald den Zornigen das letzte Mal besuchte. Auch der ist ganz verrückt nach seinen Hunden.«
Lady Gelis zog die Brauen hoch und bedachte ihn mit einem amüsierten Blick.
Mit einem amüsierten Blick und einem so herausfordernden, wissenden Lächeln, dass er die Brauen zusammenzog.
»Du brauchst nicht eifersüchtig auf Jamie zu sein«, sagte sie lachend, was Ronan nur noch mehr aufbrachte. »Jamie war einer der liebsten Knappen meines Vaters. Jetzt ist er frisch verheiratet und lebt auf Baldreagan, seinem Zuhause. Er würde Buckie lieben.«
Als wüsste er, dass über ihn gesprochen wurde, kam der langohrige Hund zu ihnen herüber. Er wirkte sehr zufrieden, während er seinen wachen Blick von einem zum anderen schweifen ließ und wie wild mit der Rute wedelte.
Dann wandte er sich ab und hinkte zum Ufer des Sees, wobei er auf seinem Weg dorthin eifrig jeden Stein und jedes Büschel Heidekraut beschnüffelte.
Jamie Macphersons Bild verblasste in Ronans Kopf, als er seinem Hund nachsah.
Dann wandte er sich wieder seiner Braut zu, beschämt darüber, dass er sie auch nur einen Augenblick lang für fähig gehalten hatte, dem alten Tier in irgendeiner Form zu schaden.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, auch beschämt darüber, dass seine Gefühle für sie ausgerechnet an diesem Ort jetzt so heftig aufflammten.
Und was ihn noch mehr beschämte, war die Tatsache, dass er nicht einmal Schuldgefühle deswegen empfand.
Im Gegenteil. Es waren ganz andere Emotionen, die ihn ergriffen - selbst als er einen vorsichtigen Blick über den kleinen See zu der Stelle riskierte, wo sich am Fuß von Creag na Gaoith die größten Steinbrocken türmten.
Und von Geistern war nichts zu sehen.
Das Einzige, was er hörte, war das hohle Pfeifen des Winds, das Rascheln der Blätter an den Bäumen, sein schneller Herzschlag und - er konnte es immer noch nicht glauben - Buckies aufgeregtes Schnüffeln.
»Nun?« Sie stand vor ihm und stieß mit einem Finger gegen seine Brust. »Was sagst du?«
»Mylady, ich bin ... überwältigt.« Er erschrak und hoffte, dass nur er die Rauheit seiner Stimme hörte. »Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich sagen soll.«
»Dann sag, dass du dich freust.« Sie trat zurück und nahm den Duft ihres Rosenöls mit sich. »Und dass du deinem Koch nicht verübeln wirst, dass er mir geholfen hat«, fügte sie mit einem mutwilligen Lächeln hinzu.
»Nein - bei Sankt Columbans Knien! Ich bin alles andere als verärgert über dich und werde Hugh deswegen nicht tadeln - das verspreche ich.« Aber sein Blick ging zu dem Wikingerzelt, dessen Anblick ihn ernüchterte.
Das Zelt hätte einem mittellosen, halb wikingischen Inselbewohner gehören können, der durch die Berge zog und Ärger suchte.
Oder schlimmer noch ... es hätte eine Falle sein können, gestellt von den Bewahrern des Steins.
Ronan blickte zum Himmel auf und hätte schwören können, dass die Wolken sich verdunkelten und über Creag na Gaoith zusammenzogen, dass ihre schnell dahinziehenden Schatten die Sonne zu verdecken begannen.
Er sah wieder Gelis an und fragte sich, wie sie an einem so finsteren Ort so strahlen konnte.
»Du bist doch verärgert«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das kann ich deutlich spüren.«
»Nein.« Ronan strich sich mit der Hand über das Kinn. »Ich bin nur ...«
»Du bist ...«
»Ach, Mädchen! Ich möchte nur wissen, wer dir diesen Floh ins Ohr gesetzt hat!« Er stemmte die Hände in die Hüften, weil die Gefahren, denen sie sich ausgesetzt hatte, ihm den Atem nahmen. »Diese Torheit hätte dich das Leben kosten können! Mutterseelenallein in Glen Dare herumzureiten, mit nur einen halb blinden, schon fast zahnlosen Hund zum Schutz ...«
Sie lachte wieder, und ihr Blick glitt zu der farbenfrohen Plane ihres Wikingerzeltes.
»Ich bin mit einer größeren Eskorte losgeritten, als ich je bei einem Ausritt in Eilean Creag dabeihatte«, gab sie mit trotzig vorgeschobenem Kinn zurück. »Du hast sie nur nicht gesehen, weil ich ihnen befohlen habe, mich allein zu lassen und in sicherer Entfernung, aber außer Sicht zu bleiben.«
»Es sind Wachen hier?« Ronan schaute sich um, konnte aber keine Anzeichen von ihnen sehen.
»Sie sind ... überall.«
Ronan hätte fast gelacht.
Selten hatte er eine Beschreibung gehört, die für die Soldaten seines Großvaters zutreffender gewesen wäre.
Und plötzlich spürte er deren Anwesenheit.
Nicht ihre Blicke, denn dazu waren sie zu gut trainiert, aber ihre Präsenz, die wie eine Mauer vereinter Kraft und nicht nachlassender Wachsamkeit war.
Nur er war unachtsam gewesen.
Hatte sich täuschen lassen von Schatten, die durch Unterholz und Büsche krochen, einem bunt gestreiften Zelt und der bläulichen Rauchsäule eines Feuers in der kühlen Morgenluft.
»Sie haben das Feuer für dich angezündet.« Er ließ es nicht einmal wie eine Frage klingen. »Das Zelt dort drüben aufgebaut ...
»Du weißt, dass es ein Wikingerzelt ist?«
»Was für eine Frage! Natürlich weiß ich das.«
»Aber ...«
»Herrgott noch mal, Mädchen.«
Er straffte die Schultern und legte den ganzen Stolz des Highlanders in seine Haltung. »Jeder Highlander, der ab den Küsten der Hebriden entlanggesegelt ist, kennt diese Zelte aus Segeltuch.«
Ronan wippte auf den Fersen, froh, etwas zu diesem Thema beitragen zu können. »Ich habe diese Zelte als junger Bursche gesehen, als mein Vater mich auf eine Reise zu den westlichen Inseln mitnahm. Sie waren ein Anblick, den ich nie vergessen habe - diese farbenfrohen Zeltlager der Inselbewohner, die nach den Traditionen der Wikinger lebten.«
»Es freut mich, dass du sie kennst.« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf das Zelt und lächelte ihn wieder an. »Als ich hörte, dass in Glen Dare öfter Nebel herrscht als in anderen Tälern, dachte ich, dass ein solcher Unterschlupf uns gute Dienste leisten könnte. Meine Schwester und ich haben sie auf Reisen benutzt, und kein Tropfen Regen hat jemals unseren Schlaf gestört.«
Ronans Magen verkrampfte sich.
Regen und Wind waren die geringsten von Glen Dares Ärgernissen.
»Ich habe noch mehr wikingische Geschenke für dich«, sagte sie, bevor er seine Gedanken in Worte fassen konnte.
Sie wandte sich ab und lief mit fliegenden Haaren und schwingenden Hüften auf das Zelt zu. »Einen feinen Armreif aus purem Gold mit Edelsteinen«, rief sie ihm über die Schulter zu. »Mein Cousin Kenneth hat ihn von Orkney mitgebracht.«
Als sie das Zelt erreichte, schlüpfte sie unter die Plane und verschwand im Dunkeln, um einen Moment darauf mit einem glänzenden goldenen Armreif in der Hand zurückzukommen.
»Sieh nur!«, rief sie und schwenkte den Armreif. »Mein Vater hat ihn mir vor Jahren geschenkt, und ich habe ihn für dich aufgehoben.«
»Für mich?« Ronan blinzelte, weil er im ersten Moment nicht verstand.
Und als er es tat, war es zu spät.
Eine Nebelschlange hatte sich um eines der Zelttaue gewunden, wo sie Zentimeter für Zentimeter höher glitt, bis sie fast die überhängende Plane am Zelteingang erreicht hatte, an der Lady Gelis mit glänzenden Augen stand.
Ohne sich der Gefahr bewusst zu sein, hielt sie Ronan das wikingische Armband hin, das sie ihm schenken wollte.
»Teufel noch mal!« Er packte Gelis und stieß sie zur Seite, so heftig, dass die Kraft seiner Bewegung sie auf die Knie warf.
»Auuu!« Mit der Schulter stieß sie gegen einen der Stützpfähle, und der goldene Armreif flog ihr aus der Hand.
Sie fiel zur Seite und landete mit einem erschrockenen Aufschrei auf dem grasbewachsenen, torfigen Untergrund. Dabei zerriss ihr Mieder und gab ihre Brüste frei, die auf und nieder hüpften, als Gelis sich aufrappelte.
Ronan fuhr zusammen, denn ihr Schrei durchbohrte ihn wie eine Lanze.
Er warf sich zwischen sie und das von der Nebelschlange umwundene Tau. Er griff nach seinem Schwert und hatte es schon halb gezogen, als er sah, dass der Nebel verschwunden war.
Der Tag war jetzt hell und frisch und ohne die Schatten, die die Wolken geworfen hatten.
Nichts anderes rührte sich mehr als der Wind und eine kleine graue Bachstelze, die vorbeiflatterte, um anmutig auf einem mit roten Beeren bewachsenen Ebereschenzweig zu landen.
Strahlen kalter Herbstsonne fielen auf das wikingische Zelt, ließen dessen kräftige Farben aufleuchten und brachten das torfig-dunkle Wasser des kleinen Sees zum Glitzern, als wäre er mit Gagat und Diamanten bestreut worden.
Irgendwo ließ ein Rabe seinen rauen Schrei ertönen.
Jaulend und bellend wie ein Besessener humpelte Buckie im Kreis herum.
Und Ronan war sich nie im Leben dümmer vorgekommen.
»Um Gottes willen, Mädchen, verzeih mir!« Er drehte sich um und breitete weit die Arme aus. »Ich würde dir niemals wehtun, nie, niemals. Eher würde ich mir ins eigene Fleisch ...«
»Es geht mir gut, Ronan.« Das Zittern ihrer Stimme strafte ihre Worte Lügen. »Mir ist nichts passiert - und mir wird auch nichts geschehen!«
Sie klopfte ihre Röcke ab und machte keine Anstalten, ihre Brüste zu bedecken.
Buckie kam zu ihr und drückte sich gegen ihre verschmutzten Röcke.
Ronan ließ seine Arme sinken. »Ich werde dich sicher nach Eilean Creag zurückbringen«, sagte er rasch. »Egal wohin, solange du dort nur sicher bist!«
»Pah!« Sie machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich bin da, wo ich sein will.«
»Du träumst wohl!«, spottete Ronan und starrte sie wütend an, als sie sich bückte, um den Armreif aufzuheben - noch immer keine Anstalten machte, ihre Brüste zu bedecken.
Als Gelis sich aufrichtete, ließ sie ihre Augen sagen, was ihre Lippen für sich behielten. »Ich weiß, dass du mir nicht wehtun würdest«, sagte sie und sah ihn dabei prüfend an. »Und ich habe auch keine Angst vor dem, was auch immer dich veranlasst hat, mich wegzustoßen.«
»Meine süße Gelis, ich bin die Gefahr ...«
»Nein, du bist mein Rabe.«
Ihre Unschuld drehte ihm den Magen um. »Du irrst dich, Gelis. Ich bin ...«
»Ich glaube, du weißt, was du für mich bist«, unterbrach sie ihn entschieden. »Und was ich für dich bin.«
»Gelis ...«
»Trotzdem«, fiel sie ihm erneut ins Wort, »gibt es Dinge über mich, die du wissen musst.«
Mit diesen Worten legte sie den Armreif auf den aus groben Planken gearbeiteten Tisch und zog ihre Röcke hoch, um Ronan einen an ihrem Oberschenkel befestigten sgian dubh zu zeigen.
»Das kleine Messer, das ich Hector gab, war nicht meine einzige Waffe.« Mit hochroten Wangen sah sie Ronan an. »Glaube ja nicht, ich wüsste mich nicht zu schützen! So sehr ich auch unsere Legenden und Traditionen liebe, bin ich doch kein großäugiges, naives Milchmädchen aus den Bergen, das auf nichts weiter als Glücksbringer und heidnische Rituale zu seiner Sicherheit vertraut.«
Sie griff nach der tödlichen Klinge und zog sie einige Zentimeter weit aus dem feinen Letterfutteral, in dem sie steckte. Der schimmernde Dolch war zierlich, doch seine rasiermesserscharfe Klinge eindeutig dazu gedacht, zu töten.
Ronan betrachtete die Waffe aus schmalen Augen, froh, etwas anderes zum Ansehen zu haben als Gelis' nackte Brüste.
»Meine Mutter ist eine Meisterin im Messerwerfen, sie gab mir diesen Dolch.« Gelis hielt das Kinn erhoben, und ihre Augen glitzerten wie die Sonnenstrahlen auf dem See.
»Sie hat es von ihren Brüdern gelernt«, fuhr sie fort und strich liebevoll über die kunstvoll gearbeitete Lederscheide.
»Und du warst eine gute Schülerin.« Dessen war sich Ronan sicher.
Sie nickte sichtlich stolz. »Meine Mutter war eine gute Lehrerin. Sie ließ mich auch nie vergessen, dass ihre Geschicklichkeit ihr einmal das Leben rettete.«
Dann hielt sie inne und hörte auf, die Scheide ihres Dolchs zu streicheln.
Ronan verspürte ein scharfes Ziehen in seinen Lenden und fragte sich, ob ihr wohl bewusst war, wie sehr das Spiel ihrer Finger auf dieser langen Lederscheide ihn erregte.
Wie alles andere an ihr!
Er unterdrückte ein Stöhnen, als ihn eine Hitzewelle durchströmte. Noch nie hatte er ein verführerischeres Geschöpf gesehen.
Ihre Brüste schimmerten im weichen Licht des Tages, und die zarten Spitzen zogen sich in der kühlen Luft zusammen und richteten sich auf. Sie hatten den dunklen Rosaton, den er sich vorgestellt hatte; er ertrug es kaum, sie anzusehen.
Aber bei Gott, er konnte auch nicht widerstehen.
Ohne von all dem etwas zu bemerken, zupfte Gelis einen Zweig von ihren Röcken und warf ihr zerzaustes rotes Haar zurück. »Wie Mutter würde auch ich nicht zögern, meine Fähigkeiten zu nutzen, um mich oder die Menschen zu beschützen, die mir am Herzen liegen!«
Ronan glaubte ihr das aufs Wort.
Der Wind frischte plötzlich auf, fuhr unter ihre hochgezogenen Röcke, hob sie an und erlaubte Ronan den kurzen Blick auf das rotgoldene Haar an ihrer intimsten Stelle.
Und dieser Anblick brachte ihn vollends aus der Fassung.
Bevor er etwas tat, was sie beide bereuen würden, griff er nach ihren Röcken und zog sie schnell herunter. Da er nicht riskieren wollte, ihr auch beim Zurechtziehen ihres Mieders helfen und sie dabei berühren zu müssen, nahm er seinen Umhang ab und legte ihn ihr um die Schultern.
»Du wirst dich erkälten, wenn du dich nicht bedeckst.« Die Erklärung klang sogar für ihn absurd.
Gelis zog eine Augenbraue hoch - und dann verzogen sich ihre Lippen zu einem ihrer hinreißenden Lächeln.
»Meine Gesundheit ist so robust wie die der Highlandpferde dort«, sagte sie mit einem Blick auf die beiden Pferde, die friedlich neben Buckies Zwiebelkorb grasten. »Ich erkälte mich nie.«
Wie um es zu beweisen, nahm sie seinen Umhang ab - bevor Ronans Wärme und sein Duft sie so sehr betörten, dass sie sich nie wieder davon würde trennen wollen.
Schon jetzt begann ihr Herz so wild zu pochen, dass sie sich zusammennehmen musste, den Mantel nicht an ihre Brust zu drücken, um Ronans Wärme und seinen männlichen Duft auf ihre Haut zu übertragen.
Stattdessen faltete sie den Umhang sorgfältig zusammen und legte ihn auf die mit Kissen gepolsterte Bank vor dem gedeckten Tisch.
Dann holte sie tief Luft und beschloss, ganz offen zu Ronan sein. »Ich weiß, dass du mir den Umhang umgelegt hast, um meine Brüste nicht sehen zu müssen.«
Es sprach für ihn, dass er es nicht bestritt.
Er sah jedoch unglücklicher aus, als sie ihn je gesehen hatte.
»Gelis ...«
»Sag es nicht.« Mit gesenktem Blick schloss sie die Bändchen an ihrem Mieder, so gut sie konnte, und hoffte, dass er nicht das Zittern ihrer Hände sah. »Ich habe Augen im Kopf, weißt du?«
Als sie das Oberteil ihres Kleids einigermaßen in Ordnung gebracht hatte, klopfte sie das Gras und die Erde von ihren Röcken ab. Sie musste sich beschäftigen, um nicht in Tränen - oder Lachen - darüber auszubrechen, wie vergeblich ihre Bemühungen waren.
Das ohnehin tief ausgeschnittene Kleid bedeckte ihre Blöße wieder, wenn auch nur gerade eben.
Der zerrissene Stoff spannte sich über ihren vollen Brüsten, und zu ihrem Schrecken lugte ihre rechte Brustwarze durch einen kleinen Riss, den sie in ihrer Hast, die Bändchen über der Brust zu schließen, übersehen hatte.
Tatsächlich sah sie jetzt nackter aus als vorher!
Der eindeutige Beweis dafür war Ronans angespannter, grimmiger Gesichtsausdruck, der sich alle Mühe gab, nicht tiefer als bis zu ihrem Kinn zu blicken.
»Du hast viel mehr als nur Augen, meine Liebe. Und ich wünschte, dass es nicht so wäre.« Er trat einen Schritt näher, seine Stimme wurde rau und heiser. »Und du solltest nicht ...«
»Was ich nicht sollte, mein Herr Gemahl, ist, dir zu erlauben, mir ständig zu erzählen, du seist eine Gefahr für mich.« Sie nahm einen Krug vom Tisch, schenkte Wein in einen Kelch und drückte ihn Ronan in die Hand. »Trink«, forderte sie ihn lächelnd auf. »Vielleicht wird Valdars guter Wein dir ja die Zunge lösen.«
Ich hoffe, dass das nie geschieht, glaubte sie ihn murmeln zu hören.
Mit wild pochendem Herzen strich sie sich eine Locke aus der Stirn. »Ich weiß, dass unsere Verbindung Bestimmung war. Du weißt, dass ich Visionen habe, und ich habe dich in ihnen gesehen!«
Er starrte sie an, den Kelch an seinen Lippen und sein Gesicht von maskenhafter Starre. Aber an seiner Wange zuckte ein Muskel, und dieses Zucken verriet ihn.
Er wusste es.
Sie war sich dessen sicher.
»Ich glaube, du weißt das alles!« Sie warf ihr langes Haar zurück. »Dass du in Gestalt eines Raben und als ... du selbst zu mir gekommen bist! Dass du mich an dich gezogen und mich geküsst hast. Warum also siehst du mich mit einer solchen Kälte an, wenn wir zusammen sind und ich fast unbekleidet bin?«, fragte sie mit erhobener Stimme. »Warum ...«
»Ach, Mädchen, du irrst dich.« Er schüttelte den Kopf, und sie sah, wie seine Augen sich verdunkelten. »Es hat nichts mit dir zu tun. Das Problem bin ich, nur ich, das schwöre ich dir. Ich habe nie ...«
»Habe ich die Brüste einer alten Frau?« Sie zerrte an den Bändchen ihres Mieders und riss sie wieder auf. »Bin ich so wenig begehrenswert, dass du ...«
»Nein!« Er warf den Weinkelch auf den Boden. »Das darfst du nicht denken!«
»Aber ...«
Ein tiefer, heiserer Laut entrang sich seiner Kehle, und dann lag Gelis in Ronans Armen, und er presste sie noch härter an sich, als er es in ihren Visionen getan hatte.
»Rede keinen Unsinn, Mädchen! Du bist begehrenswerter als alle anderen Frauen, die ich je gekannt habe.« Er lehnte sich zurück, um sie anzusehen. »Eine größere Versuchung habe ich noch nie gekannt! In meinem ganzen Leben nicht, hörst du?«
»Aber ...« Ihr war, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen, und eine scharfe Windbö schluckte ihren Protest.
Gelis biss sich auf die Lippen, als ihr Herz fast schmerzhaft hart gegen ihre Rippen schlug. Sein Blick, der dunkel war und wild, schien bis in die tiefsten Winkel ihrer Seele einzudringen.
Hitze flammte zwischen ihnen auf, ein so starkes knisterndes, elektrisierendes Begehren, dass ihre Knie nachgaben und sie gefallen wäre, hätte er sie nicht gehalten.
»Wenn du mich begehrst, dann nimm mich!« Das brennende Verlangen, das sie in seinen Augen sah, beflügelte und ermutigte sie. »Ich bin deine Frau! Verschmäh mich nicht!«
Gelis schob die Hände in sein dichtes schwarzes Haar und zog seinen Kopf zu sich herab, um ihm zu zeigen, wie sehr sie sich nach seinem Kuss verzehrte.
Doch statt ihr diesen Wunsch zu erfüllen, begann Ronan sich von ihr zu lösen.
»Nein!« Sie klammerte sich an ihn und hielt ihn zurück. »Ich lasse nicht zu, dass du das tust ...«
»Ich habe das Unvorstellbare bereits getan.« Er riss sich los, und die heftige Erregung, die seine Züge prägte, war deutlicher als jedes Wort. »Und ja, du verdienst die Wahrheit, obwohl ich alles dafür geben würde, sie dir ersparen zu können.«
»Dann sag sie mir!« Gelis straffte die Schultern und blieb hoch erhobenen Hauptes vor ihm stehen. »Und überzeuge dich selbst davon, dass eine MacKenzie sich nicht im Regen auflöst - oder zusammenbricht, wenn sie Dinge hört, die sie lieber gar nicht wissen will.«
»Ach, Gelis«, seufzte er und begann unruhig auf und ab zu gehen. »Lass mich dir zumindest das sagen: Torcaill hat mir gesagt, wie machtvoll deine Gabe ist. Er hat es gespürt, und ich muss zugeben, dass ich tief im Innersten nicht überrascht war, da auch ich ... Träume hatte.«
Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und sah Gelis an. »Es war genau so, wie du sagtest. Ich hielt dich in den Armen, küsste dich und brauchte dich mehr als die Luft, die ich atme.«
»Warum weist du mich dann immer wieder ab?« Sie folgte ihm, als er seine Wanderung wieder aufnahm. »Es kann keinen Grund dafür geben. Schon gar nicht, wenn du weißt ...«
»Es gibt Dutzende von Gründen!« Er fuhr zu ihr herum, um sie anzusehen, und empfand das Gewicht von Creag na Gaoith wie eine schwere Last auf seinen Schultern. »Siehst du diese Trümmer dort drüben?«
Er streckte den Arm aus und zeigte auf die zerklüfteten Gipfel und die Trümmer, die zu deren Füßen lagen. »Wenn du hellseherische Kräfte hast, dann sage mir, warum du gerade diesen verfluchten Ort für dein Picknick ausgesucht hast?«
Gelis blinzelte. »Was hast du gegen diesen Ort?« Sie blickte zu dem kleinen See hinüber, dessen Wasser hell und klar in der Nachmittagssonne glitzerte. »Ich bin stundenlang herumgeritten und habe keinen schöneren Ort als diesen gefunden.«
»Und das war er früher auch einmal.«
»Früher?«
Ronan nickte. Er sah jetzt den Geist von Creag na Gaoith, der ihn von den herabgestürzten Steinen her anschaute.
Blass und zart wie eine Frühlingsblume und so durchscheinend, dass sie kaum zu sehen war, stand dort seine erste Frau Matilda. Sie beobachtete ihn, ihr flachsblondes Haar unbewegt vom Wind, ihre blauen Augen ruhig und vertrauensvoll wie immer.
Ronan blinzelte, und die Erscheinung verschwand wieder.
Aber seine Schuldgefühle - und seine Furcht - blieben.
»Meine erste Frau ist hier gestorben«, sagte er schnell, bevor seine Besonnenheit ihn daran hindern konnte. »Wir kamen oft hierher. Eines Tages gingen wir dort auf der anderen Seite des Sees spazieren, als es einen Bergrutsch gab, der sie mit sich in den Tod riss. Wir waren erst ein paar Tage verheiratet gewesen.«
»Um Gottes willen!« Gelis war blass geworden. »Das tut mir leid. Wie schrecklich das für dich gewesen sein muss.«
»Das war es, und die Schuldgefühle lassen mir noch immer keine Ruhe.«
»Schuldgefühle?«, fragte sie schockiert. »Du hättest doch keinen Bergrutsch verhindern können.«
»Sagst du.« Er streckte die Hand nach einer ihrer glänzenden Locken aus, weil er ihre Kraft brauchte, das Licht und die Wärme, die sie von innen heraus erstrahlen ließen.
»Und ob ich das sage!«, fuhr sie ihn mit vor Ärger brennenden Wangen an. »Wie hättest du denn so etwas verschulden können?«
Er zog seine Hand von ihrem Haar zurück. »Vielleicht weil ich in dem Moment, als wir unter Creag na Gaoith vorbeigingen, gedacht habe, dass ich sie so unendlich liebte, dass ich Berge versetzen würde, um sie zu erfreuen.«
»Was?« Gelis starrte ihn aus großen Augen an. »Sag jetzt nicht, du machst dir Vorwürfe wegen eines Gedankens?«
»Doch, das tue ich«, gab Ronan zu und spürte, wie ihm die Galle in die Kehle stieg. »Ich bin verflucht, verstehst du? Meine Gedanken nehmen manchmal erschreckende Formen an, und die dunkleren - verantwortungsloseren - richten nicht wiedergutzumachenden Schaden an, wenn ich sie nicht schnell genug unter Kontrolle bringe.«
»Das glaube ich nicht.« Sie runzelte die Stirn und schob das Kinn vor. »Und selbst wenn es so wäre, weiß ich, dass ...«
»Es ist so, das versichere ich dir. Es gibt viele ...« Er brach ab, als er am Rand der Lichtung eine Bewegung wahrnahm.
Etwas Großes, Grauweißes bahnte sich einen Weg durch das Heidekraut, den mächtigen Kopf mit den langen, gebogenen Hörnern gesenkt. Es waren die tödlichsten Hörner, die Ronan je gesehen hatte.
»Ein Stier!« Gelis griff sich mit einer Hand an die Kehle und stand da wie erstarrt.
»Das ist mehr als ein Stier!« Ronan lief zu ihr, packte sie und stieß sie fast grob beiseite. »Halte Buckie fest!«
Und dann griff die unheimliche Kreatur an, stürzte mit einem schrecklichen Brüllen zwischen den Bäumen hervor und erschütterte die Erde mit dem Donnern ihrer Hufe, deren Schnelligkeit keine Zeit für langes Überlegen ließ.
Und zerstörte das, was der Augenblick der Wahrheit hätte sein können.
Ronan fuhr herum und packte einen der Stützpfähle des Zelts, riss ihn aus der Erde und rannte, ihn wie eine Lanze haltend, auf den Stier zu.
Hinter ihm schrie Gelis.
Er rannte weiter.
Und seine Welt geriet außer Kontrolle, als der Stier mit wütendem Brüllen, gesenktem Kopf und einem mörderischen Glitzern in den Augen auf ihn zuraste.
Mit Augen, die wie Feuer glühten.