1. Kapitel
Eilean Creag Castle
in den westlichen Highlands,
Herbst 1348
Reden wir doch ganz offen, Schwester. Was du vorhast, ist die pure Torheit.«
Lady Gelis MacKenzie tat den Einwand ihrer Schwester Arabella mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. Kaum noch in der Lage, ihre Aufregung zu zähmen, ignorierte sie die mangelnde Begeisterung Arabellas und trat noch näher an das bogenförmige Fenster ihrer Schlafkammer.
Einer Schlafkammer, die sie hoffentlich nicht länger mit ihrer älteren Schwester würde teilen müssen.
Nicht, dass sie ihre Schwester nicht liebte.
Das tat sie.
Ebenso, wie sie ihr schönes Zimmer liebte, das mit allen erdenklichen Bequemlichkeiten und mit allem Luxus ausgestattet war, mit dem ihr Vater, der Schwarze Hirsch von Kintail, sie förmlich überschüttete. Wohin das Auge blickte, entdeckte es Eleganz, und wer vertrauenswürdig genug war, dass ihm Zutritt zum Zimmer gewährt wurde, sah sogleich, dass dessen verschwenderische Pracht selbst der in den privaten Gemächern des Schwarzen Hirschen in nichts nachstand.
Aber weder die Pracht der überdachten Feuerstelle noch die beiden kunstvoll geschnitzten Eichenlehnstühle, weder die farbenfrohen Wandteppiche noch die extravaganten Bettvorhänge aus schwerem Brokat, von denen jeder einzelne kostbare Faden im Licht der feinen Wachskerzen schimmerte und glitzerte, interessierte Gelis.
Während sie ein Fädchen von ihrem Ärmel zupfte, warf sie einen Blick auf ihre Schwester. Auch wenn einige Sturköpfe es nicht zugeben wollten, wusste sie doch, dass das Leben größere Schätze bereithielt.
Wachskerzen und Öllampen mochten Schatten bannen und ein gut brennendes Holzfeuer dem kalten Highlandmorgen die schlimmste Schärfe nehmen, doch derlei Dinge trugen wenig dazu bei, das Herz einer Frau zu wärmen.
Ihre Leidenschaft zu entfachen und ihr vor Staunen den Atem stocken zu lassen.
Vor Staunen und Liebe.
Denn das war es, wovon Gelis träumte.
Und weder die ärgerlich geschürzten Lippen noch Proteste ihrer Schwester würden sie davon abhalten, ihre Träume wahrzumachen.
Offenbar fest entschlossen, genau das zu versuchen, trat Arabella zu ihr an das Fenster. »Dieser Unfug wird dir wenig Freude bringen«, beharrte sie. »Nur ein naives ...«
»Ich bin keineswegs naiv«, unterbrach Gelis sie heftig. »Selbst Vater würde die Weisheit Devorgilla von Doons nicht bestreiten.«
Arabella rümpfte die Nase. »Es ist etwas anderes, Zaubersprüche anzuwenden und über Heilkräfte zu verfügen, als ernsthaft zu behaupten, in mondbeschienenem Wasser das Gesicht seines zukünftigen Gemahls sehen zu können!«
»Seiner künftigen Liebe«, berichtigte Gelis sie und konnte nicht verhindern, dass ein erwartungsvoller kleiner Schauer sie durchlief. »Liebe wie die eines wahren Seelenverwandten einer Frau.«
Arabella, die immer noch nicht überzeugt aussah, trat näher an das Fenster und warf einen Blick in den Burghof. »Na klar«, sagte sie spöttisch. »Am besten laufen wir gleich hinunter, starren in die Schüssel, die du gestern Nacht an der Burgmauer versteckt hast, und werden die Gesichter unserer wahren Liebe in dem Wasser sehen.«
»Das hat Devorgilla gesagt.«
Wie erwartet zog Arabella skeptisch eine Augenbraue hoch. »Und du glaubst auch alles, was man dir erzählt?«
Gelis blies sich eine Locke aus der Stirn. »Ich glaube alles, was Devorgilla sagt. Jeder weiß, dass sie sich noch nie geirrt hat. Oder kannst du das Gegenteil beweisen?«
»Ich ...«, begann Arabella, nur um genauso schnell wieder den Mund zu schließen. Sie wandte sich vom Fenster ab und strich mit den Fingern über den Rand eines kleinen Tischs. »Ich bin nur der Meinung, dass du so zu viel Fantasie hast«, sagte sie schließlich stirnrunzelnd, »und ich möchte nicht, dass du enttäuscht wirst.«
»Bah!« Gelis versuchte, nicht laut herauszulachen. »Enttäuscht bin ich nur, wenn Vater mal wieder einen gut aussehenden Freier abweist! Die hässlichen Frösche kann er ruhig wieder fortschicken, aber einige Männer waren mehr als ansprechend.«
»Warum willst du überhaupt ein Orakel befragen, wenn du weißt, dass Vater dich nicht heiraten lassen wird?« Arabella ließ sich auf dem gepolsterten Sitz der Fensternische nieder. Noch immer lag ein verdrossener Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht.
»Dass er keine von uns heiraten lassen wird«, berichtigte Gelis ihre Schwester, während sie sie am Arm von der Bank hochzog. »Er wird noch behaupten, wir wären beide zu jung, wenn wir schon alt und grau sind! Deshalb müssen wir Devorgillas Magie anwenden. Wenn das Wasserorakel uns die Gesichter unserer zukünftigen Ehemänner zeigt, können wir zumindest sicher sein, dass es welche für uns geben wird. Ohne diese Gewissheit würde ich verrückt werden.«
Das bist du schon, glaubte Gelis ihre Schwester murmeln zu hören. Als sie ihr jedoch einen Blick zuwarf, sah Arabella so ruhig und beherrscht wie immer aus.
Die unerschütterliche Contenance ihrer Schwester stellte Gelis so manches Mal auf eine harte Geduldsprobe.
Da sie es im Moment jedoch für klüger hielt, sie zu ignorieren, umfasste sie Arabellas Arm noch fester und zog sie mit sich zur Tür zu. »Komm«, drängte sie, schon von einem Gefühl des Triumphs erfüllt, »jetzt ist gerade niemand auf dem Hof. Wenn wir uns beeilen, können wir einen Blick in die Zukunft tun, bevor es jemand merkt.«
»Wir werden nichts anderes als den Boden dieser Schüssel sehen«, murrte Arabella, während sie hinuntergingen und auf den Hof hinaustraten, dessen Leere und Stille so erdrückend waren, dass sie Gelis Zuversicht zu dämpfen drohten. Strahlender Oktobersonnenschein fiel auf das Kopfsteinpflaster, und nichts rührte sich auf dem weitläufigen Hof. Absolute Stille herrschte innerhalb der Einfriedung, während die dicken Burgmauern sie und ihr frivoles Tun mit Strenge und Missfallen zu beobachten schienen.
Gelis blieb stehen und holte tief Luft, dann schob sie entschlossen das Kinn vor und straffte die Schultern. Es war besser, Mut zu heucheln, als Arabella die Genugtuung zu geben, sie ihr Unbehagen spüren zu lassen. So unauffällig wie möglich schaute sie sich um und versuchte, das Gefühl zu verdrängen, dass dieser Morgen irgendwie ein bisschen seltsam war.
Aber das war er.
Und auch unnatürlich still.
Kein Geräusch kam aus den nahen Stallungen, kein Vogel zwitscherte in den Ebereschen neben der Kapelle, und nicht einer der Hunde ihres Vaters sprang um sie herum, wie sie es gewöhnlich taten, weil sie auf einen Leckerbissen oder auf ein Streicheln hofften. Selbst der Loch Duich lag in völliger Stille da, kaum ein Plätschern war von der anderen Seite der mächtigen Burgmauern her zu hören.
Das Wasser in der Schüssel schimmerte hell, seine silbrige Oberfläche funkelte und stellte Gelis' Zuversicht wieder her, als sie sich hinkniete, um einen genaueren Blick hinein zu tun.
»Siehst du? Da gibt es nichts zu sehen«, erklärte Arabella, die sich neben sie gehockt hatte. »Keine Gesichter zukünftiger Ehemänner und nicht einmal ein Kräuseln von dem Wind«, fügte sie hinzu, während sie einen Finger in das Wasser tauchte und es in Bewegung brachte.
»Nein!«, rief Gelis erschrocken und schlug nach Arabellas Hand. »Wir dürfen das Wasser nicht berühren! Das zerstört die Magie!«
»Magie! Da war keine Magie«, spottete Arabella, während sie sich an ihrem Kleid die Finger trocknete. »Du hast doch selbst gesehen, dass nichts als Wasser in der Schüssel war.«
»Aber es schimmerte silbern«, beharrte Gelis und stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Das war das Licht des Vollmonds, das sich dort gefangen und auf uns gewartet hat.«
Arabella richtete sich auf. »Das Einzige, was auf uns wartet, ist die Stickarbeit, die Mutter uns für heute Morgen aufgetragen hat.«
»Die Stickarbeit, bei der sie deine Hilfe will«, gab Gelis ärgerlich zurück und schüttete das Wasser auf das Kopfsteinpflaster. »Ich bin mit der Nadel noch ungeschickter als Mutter, wie sie sehr wohl weiß.«
»Trotzdem wird sie dich erwarten.«
Gelis drückte die leere Schüssel so fest an ihre Brust, als enthielte sie immer noch Magie. Und das Abbild ihrer einzig wahren Liebe, des Mannes, von dem sie wusste, dass er ebenso sehr zu einer Legende werden würde wie ihr Vater.
Kühn, mit feurigem Blick und leidenschaftlich.
Herausfordernd und stolz.
Und vor allem würde er ihr und keiner anderen gehören.
»Lass uns gehen«, drängte Arabella. »Wir dürfen Mutter nicht warten lassen.«
Gelis spreizte die Hand und legte sie über den Boden der Schüssel, der sich erstaunlich warm anfühlte. »Geh du. Mich wird sie nicht vermissen. Und sie wird auch bestimmt nicht wollen, dass ich ihre Kissenbezüge ruiniere«, sagte sie geistesabwesend. Gott, aber sie konnte die Nähe ihres Geliebten fast schon spüren! Und ein Sehnen und Verlangen, so stark wie ihres. »Ich werde ihr bei etwas anderem helfen. Später.«
Arabella sah die Schüssel aus schmalen Augen an. »Wenn du nicht aufhörst, dich mit solchen Dummheiten zu beschäftigen, wird sie sehr verärgert sein.«
»Mutter ist nie verärgert.« Gelis warf ihrer älteren Schwester einen verdrossenen Blick nach, als diese mit entschlossenen Schritten den Hof überquerte, um zur Burg und zu stundenlanger, ermüdender Stickarbeit zurückzukehren.
»Und dank dir kann ich mich mit gar nichts mehr beschäftigen«, murmelte Gelis und blinzelte, um das Brennen in ihren Augen zu verdrängen, als die Schüssel jäh erkaltete und ihrer Hand entglitt. »Die Magie ist fort.«
Aber es war immer noch ein strahlend schöner Tag, und das Sonnenlicht und die frische Luft waren zu einladend für sie, um der Trauer nachzugeben, die ihr die Kehle zuschnürte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees erhoben sich die bewaldeten Berge Kintails, deren von Heidekraut überwucherten Hänge rot herüberleuchteten. Die feurige Schönheit ließ Gelis' Herz höher schlagen und gab ihr Trost.
Sie liebte diese uralten Berge mit ihrem immensen Bestand von kaledonischen Kiefern, den sanft ansteigenden Hochmooren und verwitterten dunklen Felsen. Auch wenn sie sich nicht bis dorthin vorwagte und lieber auf Eilean Creag blieb, der Insel, auf der die Burg stand, konnte sie immer noch durch das hintere Tor hinausschlüpfen und an der Küste spazieren gehen.
Und sollten ihre Augen sich mit Tränen füllen, würde der vom Loch herüberwehende Wind sie trocknen. Nicht, dass sie auch nur eine einzige Träne vergießen würde. Oh nein. Sie war immerhin eine MacKenzie und würde es bis zu ihrem letzten Atemzug sein. Egal, wen sie heiratete.
Und heiraten würde sie.
Selbst wenn der Gedanke ihrem Vater noch so sehr gegen den Strich ging.
Gelis schluckte erneut, um den beharrlichen Kloß in ihrer Kehle zu verdrängen, und blickte dabei über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtete. Dann schlüpfte sie zum Tor hinaus.
An der Seeseite der Burgmauern war es kälter, und auch der Wind war stärker, als sie angenommen hatte. Sie war erst ein paar Schritte gegangen, als die Böen ihr Haar auch schon aus seinen Nadeln rissen und ihr lange, lockige Strähnen ins Gesicht trieben. Wilde, ungebärdige Locken, die so rot waren wie das Heidekraut auf ihren geliebten Bergen, und auch genauso unbezähmbar - ganz anders als Arabellas glatte schwarze Zöpfe, aus denen sich nie auch nur ein Härchen löste.
»Sie würde selbst in einem Schneesturm noch perfekt frisiert aussehen«, murmelte Gelis und zog ihren Umhang fester um sich, während sie mit weit ausholenden Schritten am kiesbedeckten Seeufer entlangging.
Es tat gut, so zu gehen.
Gelis stand nicht der Sinn nach einem gemütlichen Spaziergang, und schon gar nicht danach, so anmutig daherzuschreiten, wie es Arabella tat. Und wenn ihre Verdrossenheit nicht bald verschwand, würde sie trotz des Treibguts und der scharfkantigen Felsen vielleicht sogar durch die seichten Stellen des Sees laufen, um ihre Enttäuschung loszuwerden.
Wen kümmerte es schon, ob sie dabei wie eine Närrin aussah.
Niemand konnte sie hier sehen.
Nur der einsame Rabe, der hoch über ihr seine Kreise zog.
Ein prachtvolles Geschöpf, dessen blauschwarze Schwingen in der Sonne schimmerten, als er auf den Luftströmungen dahinglitt, ganz und gar Herr in seinem hohen Reich und unempfänglich für ihren Kummer. Oder vielleicht doch nicht so unbeteiligt, dachte Gelis, nachdem sie ihn ein paar Minuten lang beobachtet hatte, denn wenn sie sich nicht irrte, hatte er sie entdeckt.
Sie konnte seinen scharfen Blick wahrnehmen.
Und nicht nur ihn, sondern auch die leichte Wendung seines Kopfes, während er näher geflogen kam, als interessierte ihn der Mensch, den er dort unten sah. Etwas Herausforderndes, Eroberndes lag in seinen rauen Schreien, als er plötzlich, mit gefalteten Schwingen und den scharfen Blick mit unbeirrbarer Entschlossenheit auf sie gerichtet, direkt auf Gelis hinunterstieß.
Sie schrie auf, duckte sich und hob schützend die Arme über den Kopf, aber vergeblich. Der pfeilschnell fliegende Rabe war schon bei ihr. Sein Schrei gellte in ihren Ohren, als sich seine Schwingen öffneten, um sie zu umfangen, als die schwarzen Federn den Himmel und die Sonnenstrahlen verdeckten, bis Gelis nur noch Dunkel um sich sah.
»Gott!« Sie fiel auf die Knie, weil die sie umgebende Dunkelheit so undurchdringlich war, dass sie fürchtete, das Augenlicht verloren zu haben.
»Nein, nein!«, schrie sie, als die Rufe des Vogels ihr jetzt schrill in den Ohren dröhnten. Die kalte Nässe des Seeufers drang durch ihre Röcke, und die glatten Kieselsteine rutschten ihr unter den Füßen weg.
Nein, die ganze Welt drehte sich, wirbelte um sie herum, während der Rabe sie umarmte, sie festhielt, und seine seidige, fedrige Wärme sich wie etwas seltsam Intimes in dem Wahnsinn anfühlte, der sie ergriffen hatte.
Gelis zitterte, ihr Körper bebte, und ihre Atem ging schnell und flach. Heilige Mutter Gottes! Die Schwingen des Raben, die sich immer fester um sie schlossen, und die bedrückende Dunkelheit schnitten ihr die Luft ab und verursachten ihr Schwindel.
Aber dann lockerte der Vogel seine Umklammerung, und seine prächtigen Schwingen gaben Gelis so plötzlich frei, dass sie an dem ersten eisigen Atemzug, der wieder Luft in ihre Lungen brachte, fast erstickte. Sie wollte sich aufrichten, aber ihre Knie zitterten zu stark und ihre vor Kälte tauben Finger glitten kraftlos über die von glitschigen Algen bedeckten Kieselsteine.
Das Schlimmste jedoch war, dass sie nichts sehen konnte!
Schwärzeste Dunkelheit umgab sie.
Dunkelheit und die unnatürliche Stille, die ihr schon vorher auf dem Burghof aufgefallen war.
Die Stille kroch über sie wie eine kalte Hand, sodass sie eine Gänsehaut bekam, und sie erstickte alle Geräusche bis auf das Rauschen des Blutes in ihren Adern und das wilde Hämmern ihres Herzens.
Ihre geliebten Berge waren verschwunden, der Loch Duich nur noch eine ferne Erinnerung, die scharfe, feuchte Kälte seiner schmalen Küste kaum noch wahrzunehmen in dieser allumfassenden Dunkelheit. Auch der Rabe war nicht mehr, obwohl seine atemberaubende Schönheit sie immer noch gefangen hielt.
Sie hatte ihn nicht davonfliegen sehen.
Sie konnte nicht mehr sehen.
Von panischer Angst erfasst biss sie sich so hart auf die Lippen, dass sie den metallischen Geschmack von Blut auf der Zunge spürte. Obwohl ihre Beine immer noch zu wacklig für die Anstrengung waren, versuchte Gelis erneut, aufzustehen.
»Bitte«, flehte sie, während der Albtraum, blind zu sein, ihr das Herz zusammenkrampfte. »Ich will nicht ...«
Sie verlor das Gleichgewicht, als sie aufsprang und ihr Blick auf ein schwaches Licht im Dunkel fiel, ein schmales Band aus schimmerndem Silber, das sich langsam öffnete, um die hoch aufragende Silhouette eines Mannes freizugeben. Er war mit einem Plaid bekleidet und trug ein Schwert. Glattes blauschwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und um den Hals trug er einen goldenen Reif mit eingravierten Runen. Er war ein Fremder, der ihr überraschend vertraut zu sein schien, denn selbst ohne ihn klar zu erkennen, wusste Gelis, dass er sie mit der gleichen Eindringlichkeit beobachtete wie zuvor der Rabe.
Mit einem unverwandten, durchdringenden Blick, der geradewegs durch sie hindurchging, jeden Widerstand erstickte ...
... und ihr Herz für sich forderte.
»Ihr!«, rief sie mit einer Stimme, die ihr nicht zu gehören schien und die kaum mehr als ein raues Flüstern war. Die Hände auf ihr Herz gelegt starrte Gelis ihn an, und ihre Augen weiteten sich, während sie erneut zu Boden sank. »Ihr seid der Rabe!«
Das silbrige Flimmern, von dem er umgeben war, flackerte wie zur Bestätigung, und er trat näher. Der Spalt in der Dunkelheit öffnete sich gerade weit genug, um ihn ihr in seiner ganzen Pracht zu offenbaren. Denn prachtvoll war er, ein Mann von sagenhafter Schönheit, der aussah, als stammte er aus einer der vielen gälischen Legenden. Ein dunkelhaariger, reinblütiger Kelte und so unwiderstehlich verführerisch, dass es fast wehtat, ihn anzusehen, so stark war seine Wirkung auf sie. Er war ein Highlandkrieger, wie sie ihn in ihren schönsten Träumen gesehen hatte, und Gelis wusste, dass er Furcht erregend sein würde im Kampf und unersättlich in der Liebe.
Und sie wusste auch, dass er sie begehrte.
Oder, besser gesagt, sie brauchte.
Und das in einer Weise, die weit über das brennende sinnliche Verlangen hinausging, das sie durch seinen mächtigen Körper rasen spüren konnte. Seine Augen machten ihn verwundbar. Dunkel wie die des Raben und ebenso bezwingend wichen sie nicht von den ihren, und irgendetwas in ihnen beschwor sie, ihm zu helfen.
Und ließ sie die Schatten sehen, die sein Herz verdunkelten.
Dann, als er so nahe herankam, dass Gelis eine zitternde Hand ausstreckte, um ihn zu berühren, verschwand er, als wäre er nie da gewesen.
Ließ sie allein auf dem von der Brandung ausgespülten kleinen Strand zurück, wo nur die hohen Gipfel von Kintail und die glitzernden Wasser des Loch Duich die einzigen Zeugen des Geschehenen waren.
»O Gott, o mein Gott«, flüsterte Gelis und setzte sich auf einen kalten, feuchten Felsbrocken. Ihr war kaum bewusst, dass sie sich das zerzauste Haar zurückstrich und das Gesicht in den schneidend kalten Wind hielt, um ihre brennenden Wangen zu kühlen, über die jetzt ungehindert heiße Tränen liefen.
Tränen, die sie trotz ihres stolzen Namens nicht mehr unterdrücken würde.
Trotz der eisernen Stärke ihres unbeugsamen Geschlechts. Eines Erbes, das offenbar weit mehr für sie bereithielt, als sie je geahnt hatte.
Mehr, als sie oder jemand in ihrer Familie je erraten hätte.
Noch immer am ganzen Körper zitternd legte sie den Kopf zurück und blickte zu dem strahlend blauen Himmel auf. Natürlich war der Rabe nirgendwo mehr zu sehen, und der Tag, der sich nun schon dem Mittag näherte, erstreckte sich so schön um sie wie jeder andere späte Oktobertag im Herzen von Kintail.
Und dennoch hatte dieser Tag sich zu einen gewandelt, wie es keinen zweiten gab.
Und Gelis wusste jetzt zwei Dinge, die sie heute Morgen beim Aufstehen noch nicht gewusst hatte.
Das Herz voller Erstaunen, gestand sie sich die Wahrheit ein. Wie ihre Mutter war sie eine taibhsear; sie hatte nicht nur Linnet MacKenzies rotgoldenes Haar geerbt, sondern auch ihre taibhsearachd.
Ihre hellseherische Gabe.
Eine Gabe, die bis heute Morgen in Gelis geschlummert hatte, um jetzt mit aller Heftigkeit über sie hereinzubrechen, sich ihr zu offenbaren und ihr das Gesicht ihres Geliebten zu zeigen.
Ihres zukünftigen Gemahls, ihrer einzig wahren Liebe.
Denn das ist er ohne jeden Zweifel, dachte Gelis, als sie sich langsam erhob, ihre Röcke ausschüttelte und den Umhang gegen den kalten Wind schützend zusammenzog.
»Ich hatte mich geirrt«, flüsterte sie, als sie nach Eilean Creag und zum hinteren Tor zurückkehrte und an die magische Wasserschüssel dachte. Die Magie war keineswegs verschwunden.
Sie war nur verstummt.
Und hatte darauf gewartet, auf wundersamste Art zurückzukehren.
Auf eine völlig unerwartete Art und Weise, musste Gelis zugeben, als sie den mittlerweile sehr belebten Burghof betrat. Sie besaß die Gabe ihrer Mutter, und da sie wusste, wie zutreffend solche Visionen waren, musste sie nur noch abwarten, bis ihr Rabe kam, um sie zu holen.
Dann würde sie wahres Glück erfahren.
Dessen war sie sich ganz sicher.
Etwa um die gleiche Zeit stand Duncan MacKenzie, der gefürchtete Schwarze Hirsch von Kintail, in einem von Eilean Creags oberen Turmzimmern am offenen Fenster und ballte die Fäuste, weil das Zucken an seinem linken Auge ihn verrückt zu machen drohte. Mit einem Stirnrunzeln, wie nur er es zustande brachte, biss er so fest die Zähne zusammen, dass es ihn wunderte, wieso sie nicht zerbrachen.
Er spürte das Gewicht seiner Jahre, die ihn niederdrückten wie noch nie zuvor.
Die Last seiner Jahre und seiner Erbitterung.
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich, und finster starrte er auf die funkelnden Gewässer des Loch Duich, die schönen Berge seines geliebten Kintail und die schier unerträglich grelle Helligkeit des wolkenlosen Herbsthimmels hinaus. Die hohen Kliffs und Landspitzen auf der anderen Seite des Sees erregten sein besonderes Missvergnügen. Zu ausdruckslos starrten sie herüber, zu gleichgültig schien der hoch aufragende Fels, der hätte weinen müssen.
Aber auch er würde nicht weinen. Als einer der gefürchtetsten und mächtigsten Clanführer war eine solche Schwäche unter seiner Würde.
Auch wenn er zutiefst bekümmert war.
»Bei allen Heiligen, Maria und Josef«, fluchte er und schloss die Hand um seinen Schwertgriff, um ihn gleich wieder loszulassen. Seine zuverlässige Waffe würde ihm in dieser Prüfung keine Hilfe sein. Ehrlich gesagt wagte er so etwas nicht einmal in Betracht zu ziehen. Er erlaubte sich allerdings einen weiteren finsteren Blick auf die wilde Berglandschaft, die er sein Eigen nannte, auf diese hohen, schier grenzenlosen Berge, die die Dreistigkeit besaßen, so friedlich, ruhig und unbesorgt zu wirken.
Während er vor Wut kaum Luft bekam.
Noch nie in seinem Leben hatte er sich derart in die Ecke gedrängt, so sehr in einer Falle gefangen gefühlt.
Wütend stieß er den Atem aus und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Dass ein solcher Tag ihn mit seiner Schönheit auch noch verhöhnte, goss zusätzlich Öl ins Feuer. Der Nachmittag müsste düster und trüb sein, mit einem kalten Wind, der um die Ecken des Turmes pfiff, an den Fensterläden rappelte und den Geruch von Regen mitbrachte. Oder, was noch besser wäre, das Prasseln eisigen Schneeregens.
Oh ja, ein solches Wetter würde ihm besser passen.
Stattdessen schien die Sonne mit einem Strahlen, das dem schönsten Sommertag gleichkam und damit Duncans Frustration auf ein nahezu unerträgliches Maß steigerte. Als er sich vom Fenster abwandte, ignorierte er die Pergamentrolle, die so frech auf seinem so kunstvoll geschnitzten Eichenschreibtisch lag und dessen aufgebrochenes Siegel ebenso verhängnisvoll war wie die Worte darin, und richtete seinen Zorn auf die eine Person, die ihn hätte warnen müssen.
»Du!«, fauchte er trotz seines großen Respekts für seine schöne Gemahlin, die heute noch ebenso begehrenswert war wie an dem Tag, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Aber sie war auch die siebte Tochter einer siebten Tochter und als solche mit einer hellseherischen Gabe gesegnet - oder auch gestraft.
Sie hätte es kommen sehen müssen.
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«, herrschte er sie an, während er zum Schreibtisch ging, um das verhasste Pergament zu holen. Er schwenkte es vor ihr herum, und sein Zorn schien das ganze Zimmer zu erfüllen. »Ich werde dir nicht glauben, dass du es nicht wusstest. Nicht etwas von dieser Wichtigkeit.«
Es sprach für seine Frau, dass sie angesichts seiner Wut keinen Schritt zurückwich. Wie immer blieb seine geliebte Linnet stehen, wo sie war, die Hände verschränkt, mit ruhigem, festem Blick und das Kinn mit dem kleinen bisschen Eigensinn erhoben, den er insgeheim so an ihr schätzte.
»Gerade du solltest besser als jeder andere wissen, dass ich keinen Einfluss darauf habe, was meine taibhsearachd mich sehen lassen will«, sagte sie und trat vor, um ihm das Pergament abzunehmen und es wieder auf den Tisch zu legen. »Hätte ich es gewusst, hättest du davon erfahren. Aber ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum du dich so aufregst.« Sie unterbrach sich, um ihren dicken roten Zopf über die Schulter zu werfen. »Dies ist wahrlich nicht der erste Antrag, und du warst nie erfreut, wenn einer kam, aber du hast sie immer nur vom Tisch gewischt und sie abgelehnt. Noch nie habe ich es derart in dir gären sehen.«
»Gären?« Duncan ging zum Tisch zurück, wo er sich ein paar Fingerbreit von dem guten, starken uisge beatha einschenkte und den starken Highlandschnaps in einem Zug hinunterstürzte. »Gären ist keine angemessene Beschreibung für das, was in mir vorgeht«, versicherte er ihr, als er den Becher auf den Tisch zurückstellte, und fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund. »Nicht einmal annähernd.«
Zu seinem Schrecken erkannte er Mitgefühl in den Augen seiner Frau. Da sie den Anlass seiner Wut anscheinend missverstand, wechselte ihr Verhalten zu dem der Heiligen Linnet, und sie begann zärtlich und beruhigend auf ihn einzureden, während sie sein Plaid zurechtzog und ihm das schulterlange, vom Wind zerzauste Haar glatt strich.
Glänzendes schwarzes, mit nur wenigen silbernen Strähnen durchsetztes Haar, das ein Anlass großen Stolzes für ihn war. Nicht, dass er je zugeben würde, wie froh er darüber war, sich sein jugendliches gutes Aussehen bewahrt zu haben. Oder seinen hochgewachsenen, muskulösen Körperbau, seine unumstrittene Geschicklichkeit und Fähigkeit, auch heute noch jeden Herausforderer zu besiegen, egal, wie alt, aufgeblasen oder stark er war. Und natürlich war er insgeheim auch stolz darauf, dass Frauen sich noch immer nach ihm umsahen und er manchmal sogar noch ein paar Ohs und Ahs über seine Turniererfolge erntete.
Oh nein, er würde selbstverständlich niemals zugeben, dass solche Dinge ihm gefielen.
Deshalb presste er die Lippen zusammen, setzte eine finstere Miene auf und verschränkte seine Arme vor den Verhätscheleien seiner Frau.
»Wenn dir der Gedanke so zuwider ist, Gelis heiraten zu lassen, warum schlägst du dann nicht Arabella vor?«, meinte Linnet mit einem aufmunternden Lächeln. »Sie ist schließlich die Älteste.«
Duncan schnaubte. »Du hast die Botschaft gelesen. Sie wollen Gelis und keine andere. Offenbar haben sie von ihrem Temperament gehört«, sagte er und schloss für einen Moment die Augen. »Und sie werden auch wissen, wie ruhig Arabella ist. Ob es sich geziemt oder nicht, es muss Gelis sein. Ihr feuriges Blut hat wie ein Signalfeuer gelodert und die Aufmerksamkeit des Teufels selbst geweckt!«
Duncan holte tief Luft und funkelte seine Frau verärgert an. »Und jetzt soll ich eine Tochter verlieren und die andere kränken!«
»Arabella wird es verstehen. Und du solltest aufhören, dich verrückt zu machen.« Linnet begann wieder an seinem Plaid herumzuzupfen, und das verdammte Mitgefühl in ihrem Blick verschlimmerte noch das Zucken an seinem Auge.
»Hör auf damit, Herrgott noch mal«, knurrte er. »Ich will kein Mitleid von dir.«
»Du hast meine Liebe«, erwiderte sie, während sie sanft seine Arme entfaltete und ihre Finger mit seinen verschränkte. »Und meine unablässige Bewunderung. Obwohl wir zwei erwachsene Töchter im heiratsfähigen Alter haben, hat mein Verlangen nach dir nie nachgelassen, und das wird es auch nie tun.« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. Der leichte Geruch nach Heidekraut in ihrem Haar umhüllte ihn und ließ ihn seinen inneren Aufruhr fast vergessen. Dann trat sie zurück, und ihr abschätzender Blick brach den Zauber. »Du wirst nicht älter werden, nur weil Gelis heiratet. Sie wird immer noch deine Tochter sein, und du wirst immer ...«
»Denkst du, ich bin so wütend wegen meines Alters?« Duncans Brauen fuhren in die Höhe, als er seine Frau anstarrte und sich unangenehm der in seinem Nacken aufsteigenden Hitze bewusst war. »Weder mein Alter noch das von Gelis hat etwas damit zu tun!«
»Ach nein?«, erhob sich eine tiefe Stimme mit englischem Akzent im Hintergrund. »Warum glaubst du dann, uns daran erinnern zu müssen? Gott und die Heiligen sind meine Zeugen, dass du jedes Mal, wenn ein neuer Freier kam, davon gesprochen hast.«
Da sein Tag nun völlig ruiniert war, presste Duncan die Lippen zusammen und drehte sich mit ärgerlicher Miene zu dem Sprecher herum. Dieser war ein hoch gewachsener Ritter mit narbigem Gesicht, der mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand lehnte und eine so große Gelassenheit ausstrahlte, dass Duncan das Gefühl hatte, die Hitze in seinem Nacken könnte jeden Moment als Dampf aus seinen Ohren schießen.
»Dieser Freier ist ein völlig anderer.« Duncans Schläfen pochten vor Wut, die sich noch steigerte, als der andere Mann sich aufrichtete und sich mit geübter Anmut, die Duncan als ganz besonders aufreizend empfand, in einem Sessel niederließ.
Vor allem, da dieser Sessel Duncans war.
Mit drei großen Schritten durchquerte er den Raum, stemmte die Hände in die Hüften und starrte empört auf seinen langjährigen Freund herab. Auf den einzigen Menschen, der sich eine solche Unverfrorenheit erlauben konnte und sie überlebte.
»Was willst du eigentlich hier?« Duncan trat noch näher. »Ist es an den südlichen Grenzen meiner Ländereien so ruhig geworden, dass du Balkenzie verlassen konntest, um herzukommen und mich zu ärgern?«
Sir Marmaduke Strongbow lehnte sich in dem Sessel zurück und tippte sich mit aneinandergelegten Fingerspitzen an das Kinn. Als hoch geschätzter Ritter und treuer Anhänger des Hauses MacKenzie setzte er, soweit sein narbiges Gesicht es ihm erlaubte, eine gekränkte Miene auf.
»Du beleidigst mich«, sagte er und streckte seine langen Beine zum Feuer aus. »Balkenzie wird immer gut bewacht für dich. Und wenn ich woanders zu tun habe, ist meine reizende Gemahlin eine bessere Wächterin als die meisten Männer, wie du sehr wohl weißt.«
Der Schwarze Hirsch brummelte etwas vor sich hin.
Sir Marmaduke bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick.
»Ich werde Lady Caterines zahlreiche Talente nicht in Zweifel ziehen«, räumte Duncan schließlich mühsam beherrscht ein. »Trotzdem wüsste ich gern von dir, warum du immer in den unpassendsten Momenten auftauchst?«
Vielleicht, um dir zu helfen und dich zu beruhigen?
Duncan blinzelte, beinahe sicher, dass er den Burschen diesen Unsinn hatte raunen hören. Aber sein Freund und Schwager betrachtete nur mit einem leisen Lächeln um die Lippen seine Fingerknöchel.
Es war ein Lächeln, das darauf hinwies, dass er schon bald irgendeine Weisheit von sich geben würde, von der Duncan jetzt schon wusste, dass er sie nicht hören wollte.
»Wir sind einen langen Weg zusammen gegangen, und es fällt mir nicht leicht, dir das zu sagen«, begann Sir Marmaduke auch schon. »Aber vielleicht solltest du dich tatsächlich um dein Alter sorgen, wenn dein Gedächtnis schon so nachlässt. Ich bin hier, um die von dir versprochenen Wintervorräte für Devorgilla abzuholen. Caterine und ich segeln in einer Woche nach Doon, und du hast angeboten ...«
»Ich weiß, was ich angeboten habe!« Verärgert, dass er es vergessen hatte, begann Duncan hin und her zu gehen. »Nicht, dass diese Alte irgendetwas bräuchte. Ich würde mein Schwert darauf verwetten, dass diese Frau Porridge aus Mondschein und Bier aus den Sonnenschatten auf den Bergen zaubern kann.«
Überzeugt, dass es so war, blieb er vor einem der mit Rundbögen versehenen Fenster stehen und blickte über das glitzernde blaue Wasser des Loch Duich hinweg zu einem gewissen, wenig besuchten Ort Kintails hinüber.
Dem einzigen unheilvollen Ort seiner Ländereien.
Er hatte den anderen den Rücken zugewandt und schluckte hart, um sich die Furcht nicht anmerken zu lassen, die ihn durchströmte, ihm die Brust zusammenpresste und den Atem raubte. Erst als er wusste, dass nichts von dieser Furcht mehr in seinem Gesicht zu erkennen sein würde, drehte er sich um und runzelte sogleich wieder die Stirn, als er sah, dass seine Frau dem Engländer einen Teller mit Haferkeksen und Käse vorsetzte.
So wie sie auch schon den Überbringer des verdammten Pergaments mit gutem Bier und einem heißen Mahl bewirtet hatte, ja, ihm sogar einen weichen Strohsack vor dem Feuer im großen Saal angeboten hatte.
Ohne auch nur das Unheil zu erahnen, das der Mann nach Eilean Creag gebracht hatte.
Verdrossener denn je verschränkte Duncan die Arme vor der Brust. »Vielleicht sollte ich mitkommen, wenn ihr nach Doon segelt«, sagte er mit einem düsteren Blick auf seinen Freund und ohne das Kopfschütteln seiner Frau zu beachten. »Vielleicht kann die cailleach ja ein paar Krötenwarzen und Molchaugen in ihren Kessel werfen, ein paar Zauberworte sprechen und mich von meinen Problemen befreien?«
Seine Frau hörte augenblicklich auf, den Kopf zu schütteln. »Ach, Duncan, du schaffst dir deine Probleme doch nur selbst.«
»Es spielt wohl kaum eine Rolle, ob ich das tue oder nicht. Oder ob ich nach Doon fahre.« Duncan legte den Kopf in den Nacken, um an die von schweren Balken getragene Decke zu starren, bevor er wieder seine Frau ansah. »Ich bezweifle, dass selbst die großartige Devorgilla die Vergangenheit ungeschehen machen kann.«
Linnets Augen weiteten sich. »Die Vergangenheit?«
Duncan nickte. »Die Vergangenheit. Meine und die des Clans MacRuari.«
»Der Heiratsantrag für Gelis kommt also von den MacRuaris«, stellte Sir Marmaduke fest, während er sich erhob. »Der Bote, der sich unten in der Halle den Bauch mit Fleischpasteten und Aal vollschlägt, ist einer dieser Leute. Ich habe den Namen gehört, bevor ich heraufkam.«
Duncan runzelte die Stirn. »Das mag ja sein, aber diesmal bist du ausnahmsweise einmal nicht in meine Angelegenheiten eingeweiht. Also sei vorsichtig, bevor du diesen Namen so leichtfertig aussprichst.«
»Es ist ein Name, den ich noch nie gehört habe.« Der Sassenach warf Linnet einen Blick zu, aber sie zuckte nur die Schultern und sah ebenso ratlos aus wie er.
»Ich wusste auch nichts von diesen MacRuaris«, sagte sie mit einem Blick auf das auf dem Tisch liegende Pergament. »Oder zumindest nicht, bis der Bote des Clanführers heute Morgen durch unsere Tore ritt.«
»Nur sehr wenige Menschen kennen diese Leute.« Duncan nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf und war nicht überrascht, als zwei seiner ältesten Hunde sich aufrappelten, um ihm zu folgen. Telve und Troddan, die nach zwei uralten Wehrtürmen in der Nähe von Glenelg benannt waren, spürten immer, wann seine Stimmungen am schlimmsten waren. »Soviel ich hörte, will der Clan das so, und es ist auch das Beste, ihnen aus dem Weg zu gehen«, sagte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Pah!«, schnaubte Sir Marmaduke. »Ich verstehe deine Sorge nicht, mein Freund. Wenn dir die MacRuaris so unsympathisch sind, dann schick ihren Mann doch einfach wieder weg, so wie du es mit all den anderen getan hast.«
Duncan seufzte, als seine Welt zu einem dumpfen kleinen Ort des Jammers schrumpfte.
Seinen Schritt verlangsamend, um sich dem Tempo seiner steifbeinigen alten Hunde anzupassen, warf er einen Blick auf seinen langjährigen Freund und die Frau, die er mehr liebte als das Leben, und scherte sich nicht mehr darum, ob sie ihm ins Herz schauen und die darin schwelenden Ängste sehen konnten.
Gott und die Heiligen wussten, dass er allen Grund für diese Ängste hatte.
»Ich habe euch gesagt, dass dieser Freier anders ist«, begann er, an den Sassenach gewandt. »Er ist ein Mann wie kein anderer und der Letzte, mit dem ich eines meiner Mädchen verheiratet sehen möchte.« Duncan machte eine Pause und presste die Fingerspitzen an seine Schläfen. »Und leider ist er auch der einzige Mann, dessen Antrag ich nicht ablehnen kann.«
Linnet zog überrascht die Luft ein.
Sir Marmaduke dagegen erdreistete sich, völlig ungerührt zu bleiben. Sein Blick glitt zu Duncans großartigem Schwert und dem juwelenbesetzten Dolch an seinem Gürtel. »Seit wann fehlt dir der Mut, einen unerwünschten Heiratsantrag für eine deiner Töchter abzuweisen?«
»Sie nennen ihn den Raben«, sagte Duncan, ohne auf die Frage seines Freundes einzugehen. »Sein richtiger Name ist Ronan MacRuari. Er ist der Sprössling eines unseligen Clans und sein Haus das verteufelste im ganzen Land.«
Duncan hielt inne und räusperte sich, um die nächsten Worte herausbringen zu können. »Ich müsste mein Land sagen, da sie verborgen in einer öden, verlassenen Ecke Kintails leben. Castle Dare ist ihr Zuhause, ein Ort, den ich seit vielen Jahren nicht mehr aufgesucht habe. Kein Mensch, der den nächsten Sonnenaufgang erleben will, würde freiwillig einen Fuß dorthin setzen.«
»So schlecht sind sie?« Linnet ließ sich in einen Sessel sinken.
»So verflucht sind sie«, berichtigte Duncan, auch wenn er wusste, dass die Wortwahl kaum einen Unterschied machte. »Es heißt, dass sie in ferner Vergangenheit einen Zauberer unter ihren Vorfahren hatten. Maldred der Schreckliche war ein Druide von solch grenzenloser Schlechtigkeit, dass sein Vermächtnis den Clan gezeichnet hat und ihm über Jahrhunderte hinweg Unheil und Kummer eingetragen hat.«
»Oh mein Gott!« Linnet legte erschrocken eine Hand auf ihr Herz.
Sir Marmaduke runzelte die Stirn und griff bereits nach seinem Schwert. »Dann musst du diesen Antrag unbedingt zurückweisen. Ich werde die Reise nach Doon verschieben.« Er trat vor und klopfte auf die Klinge seines Schwerts. »Mein Schwertarm gehört dir, wie immer.«
»Dein Schwertarm ist das Letzte, was ich auf die MacRuaris loslassen würde«, sagte Duncan, gerührt über die Treue seines Freundes, aber auch wohl wissend, dass er sie nicht nutzen konnte. »Dieser Weg ist mir verschlossen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das würdest du, wäre ich deutlicher geworden.«
»Dann sprich doch«, bat ihn seine Frau. »Sag uns, was du hast.«
Schweren Herzens ging Duncan zum Tisch und schenkte sich diesmal einen Becher von dem schon lauwarmen Bier ein. Dann hob er das zusammengerollte Pergament auf, nur um es sogleich wieder fallen zu lassen, als wäre es eine Schlange und hätte ihn gebissen. »Der Heiratsantrag für Gelis kam nicht von dem Raben selbst, sondern von dessen Großvater, dem Clanchef der MacRuaris. Er ist der Mann, den ich nicht abweisen kann, nicht sein Enkel und Erbe.«
»Und warum nicht?«, fragte Linnet, die zu ihm getreten war und ihn umarmte. »Warum solltest du nicht Nein sagen können?«
»Weil meine Ehre es mir verbietet«, erwiderte Duncan aufrichtig.
»Deine Ehre?« Linnet trat zurück, um ihn mit großen Augen anzusehen. »Wie kannst du von Ehre reden, wenn das Leben deiner Tochter auf dem Spiel steht?«
»Weil ich ohne die Tapferkeit des alten MacRuari keine Tochter hätte«, antwortete Duncan mit gebrochener Stimme. »Weder Gelis noch Arabella. Und auch dich hätte ich nicht. Valdar MacRuari hat mir das Leben gerettet, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich stehe seit vielen Jahren in seiner Schuld, und jetzt will er sie einfordern.«
»Oh.« Linnet erblasste. »Jetzt verstehe ich.«
Und Duncan sah ihr an, dass sie es tat.
Seine Ehre war alles für einen MacKenzie. Selbst der Tod war besser, als ihr zu entsagen.
»Ja, jetzt verstehe ich endlich auch.« Sir Marmaduke seufzte. »Du hast keine Wahl.«
»So ist es«, bestätigte Duncan und wünschte, es wäre anders. »Sobald die nötigen Arrangements getroffen sind, muss Gelis den Raben heiraten. Aber Gott helfe dem Mann, falls ihr irgendetwas zustößt!«