6. Kapitel

Auf das Schlimmste gefasst stürmte Ronan in sein Schlafzimmer, nur um dort zu einem schlitternden, würdelosen Halt zu kommen. Weit entfernt davon, gerettet werden zu müssen, kniete Lady Gelis, ihren wohlgerundeten Po in die Luft gereckt, auf dem Bärenfell vor dem Kamin und stocherte mit einem Schüreisen in dem gerade erst aufflackernden Feuer.

Ronan riss verblüfft die Augen auf, starrte sie an und merkte, wie ihm die Kinnlade herunterklappte und ihm der Atem buchstäblich in der Kehle stecken blieb, was ihm das Denken sehr erschwerte. Am schlimmsten war jedoch, dass ihr rotes Haar den Feuerschein einfing und es ihm in den Fingern zuckte, die seidig glänzenden Strähnen zu berühren.

Ein Mann konnte sich verlieren in diesem wundervollen Haar.

Sich verlieren und noch viel mehr.

Der Rabe runzelte die Stirn.

Nur gut, dass sie sich noch nicht ausgezogen hatte.

Trotzdem kostete es ihn seine ganze Kraft, den Blick von ihrem verführerisch hin und her wackelnden derrière abzuwenden.

Als er endlich dazu in der Lage war, stieß er den angehaltenen Atem heftig aus.

»Was geht hier vor?« Den Blick auf den Schürhaken in ihrer Hand gerichtet, trat er vor. »Wer ...«

»Wir wissen beide, wer dafür verantwortlich ist.« Kühl wie ein Frühlingsregen legte sie das Schüreisen beiseite und richtete sich auf. »Ein Blick genügte mir, um das zu wissen«, erklärte sie mit einer weit ausholenden Handbewegung. »Obwohl ich mir sicher bin, dass auch jeder andere darauf gekommen wäre, wenn er gesehen hätte ...«

Sie brach ab und erstarrte, den ausgestreckten Arm noch in der Luft erhoben. »Ach du liebe Güte!« Sie schnappte nach Luft und riss die Augen auf. »Du bist ja nackt!«

»Bah. Ich ...« Ronan, der schon widersprechen wollte, schloss den Mund schnell wieder.

Sie hatte recht. Er war nackt.

Und so schob er, so würdevoll er konnte, das Kinn vor und straffte seine Schultern. Mit jedem Atemzug wurde er sich des schweren Plaids in seiner Hand und der trockenen Binsenstreu unter seinen nackten Füßen bewusster.

Und ihrer Blicke.

Aber er konnte sich weder bewegen noch etwas sagen.

Er hielt das Plaid in der Hand, das den Boden berührte. Statt es sich überzuwerfen, hatte er es sich einfach nur geschnappt und war losgerannt, weil er es so eilig gehabt hatte, zu ihr zu kommen und für ihre Sicherheit zu sorgen.

Und jetzt stand er da wie ein kompletter Narr.

»Du hast vergessen, dein Plaid anzulegen«, erinnerte sie ihn unnötigerweise.

»Nein«, log Ronan, »ich wollte nur keine Zeit mit solchen Belanglosigkeiten verschwenden in meiner Eile, heraufzukommen und zu sehen, was hier passiert ist.«

Ihre Augen funkelten. »Hier ist nichts passiert, was sich nicht leicht wieder in Ordnung bringen ließe.«

Irgendetwas in ihrem Tonfall warnte ihn.

Wider besseres Wissen blickte er an sich herab und sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

Ihr wackelnder Po hatte ihn stärker aus der Fassung gebracht, als ihm bewusst gewesen war.

Hitze stieg in seinem Nacken auf, und ein scharfes Ziehen ging durch seine Lenden. Schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass eine so begehrenswerte Frau seine edlen Körperteile anstarrte. Und er konnte sich auch nicht entsinnen, je eine amüsierter dreinblickende Frau gesehen zu haben.

Oder eine, die so triumphierend ausgesehen hatte.

Doch er war zu stolz, sich hastig das Plaid umzulegen, deshalb räusperte er sich und sagte: »Du dürftest Mühe haben, einen Highlander zu finden, der nicht so schläft, wie Gott ihn geschaffen hat.« Beim Sprechen sah er ihr in die Augen und zwang sich zu langsamen, gelassenen Bewegungen, als er sich das Plaid umlegte.

Nachdem das erledigt war, hatte Ronan auch seine Fassung wiedergefunden. »Anice hat mich geweckt«, begann er und verstummte wieder, als er den Hundeblick zu spüren schien, der ihn von der Tür her zu durchbohren schien.

Buckie lag quer über der Schwelle, den zottigen Kopf auf die Pfoten gebettet, und seine trüben alten Augen blickten klarer, als Ronan sie seit Jahren gesehen hatte.

Auf jeden Fall war es ein fester, vielleicht sogar ein wenig anklagender Blick.

Ronan stieß einen tiefen Seufzer aus. »Anice und mein Hund haben mich geweckt«, begann er noch einmal und wurde mit einem anerkennenden Schwanzwedeln von Buckie belohnt. »Anice sagte, das Essen, das ich dir heraufbringen ließ, sei nicht mehr da gewesen und ...«

»Du gibst also zu, dass das Essen für mich bestimmt war?« Gelis tat so, als betrachtete sie ihre Fingernägel. Jetzt hatte sie ihn. »Nicht für uns beide?«

»Ich wüsste nicht, was für einen Unterschied das macht.« Er strich sein Plaid glatt und sah ertappter aus, als hätte sie ihn mit einer Zwölf-Fuß-Lanze in eine Ecke gedrängt.

»Für mich schon.«

Er zog die Brauen zusammen, sagte aber nichts.

Gelis spürte, dass ihre Mundwinkel zuckten.

»Du brauchst gar nicht so grimmig dreinzuschauen«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln.

Doch sein Gesicht verfinsterte sich nur noch mehr.

»Ich bin dir nicht böse. Auch wenn ich es nicht gewöhnt bin, festzustellen, dass mein Abendessen aus dem Fenster geworfen wurde.« Sie zuckte leicht die Schultern und zwang sich, eine heitere Miene aufzusetzen. »Ehrlich gesagt fühle ich mich sogar sehr wohl.«

Der Rabe schnaubte.

»Das, Mylady, fällt mir schwer zu glauben.« Er sah sie an und zog die dunklen Brauen hoch. »Es ist unmöglich, dass du dich hier wohl fühlst. Hier, an diesem Ort«, betonte er, während er die Fäuste in die Hüften stemmte, »und mit mir.«

Sie lachte leise. »Nein, vor allem mit dir«, erwiderte sie und vergaß darüber fast zu atmen.

Ihr Herz begann wie wild zu pochen, und irgendein Teufelchen in ihr veranlasste sie, die Entfernung zwischen ihnen zu überbrücken und mit einem Finger an seine stolze, plaidbedeckte Brust zu tippen. »Denn die Wahrheit ist, dass ich Herausforderungen liebe«, verkündete sie und stieß bei jedem Wort noch fester mit dem Finger zu. »Ich wäre nicht die Tochter meines Vaters, wenn es nicht so wäre. Und deshalb ...«, sie hob eine Falte seines Tartans an und strich mit dem Finger über dessen weiche Wolle, »werde ich mit der Frage beginnen, wo du hinwolltest?«

»Hier gibt es Herausforderungen, die selbst deinen gefürchteten Papa erschrecken würden.« Ohne auf ihre Frage einzugehen, erkundigte er sich mit schmalen Augen, ob die Fensterläden verriegelt oder offen gewesen, als Anice sie heraufgebracht hatte.

»Sie standen weit offen, und der Wind trieb den Regen in das Zimmer«, antwortete Gelis.

»Und du hast sie geschlossen?«

»Ja.«

An der Tür bewegte sich sein Hund und drehte sich ächzend auf die andere Seite.

Der Rabe warf ihm einen irritierten Blick zu. »Die Fensterläden ...«, fuhr er fort, als Buckie wieder Ruhe gab. »Ist dir etwas Ungewöhnliches an ihnen aufgefallen, als du sie geschlossen hast«?

»Du meinst, außer dem wabernden Nebel, der so dicht war, wie ich noch keinen gesehen habe, und meinem schönen Abendessen unten auf dem Kopfsteinpflaster?«

»Ich meine ... irgendetwas.«

»Vielleicht die Dauben, die von einem zerbrochenen Badezuber zu stammen scheinen?«

»Der Badezuber auch?« Ronans Brauen zogen sich zusammen. »Bist du sicher?«

Statt zu antworten, schob Gelis streitlustig das Kinn vor und fixierte ihn mit ihrem besten Du-glaubst-mir-wohl-nicht-Blick. Mit einem Blick, den sie auf den Knien ihres Vaters gelernt hatte und der einen weniger mutigen Mann hätte erzittern lassen.

Der Rabe blieb jedoch ungerührt.

»Du hast Asche im Gesicht«, sagte er nur und strich mit dem Daumen über ihre Wange.

Was ein schwerer Fehler war, wie sich herausstellte, denn kaum berührte er sie, stieg der Duft ihres Rosenöls wieder auf, um ihn zu verwirren. Ronan schluckte hart und versuchte, nicht zu atmen, bis er den Fleck entfernt hatte.

Aber der Duft war einfach zu verführerisch.

Ronan unterdrückte ein Stöhnen, als dieser betörende Rosenduft ihn in seine Träume zurückversetzte, und er Gelis' warmen, anschmiegsamen Körper wieder an seinem spüren konnte. Und ihre weichen Lippen unter seinen, die sie bereitwillig teilte, um ihre Zunge in einem leidenschaftlichen Kuss mit seiner zu vereinen.

Die versengende Hitze, die ihn durchflutet hatte und seine Abwehr erlahmen ließ, bis nichts anderes mehr zählte als der ungeheure Reiz, den sie auf ihn ausübte, und der Taumel ihrer Leidenschaft.

Wie in seinem Traum hörte er auch jetzt das sanfte Plätschern der Wellen gegen das Seeufer und spürte den sanften Nachmittagswind in seinen Haaren. Die angenehme Wärme der Frühlingssonne ... und ein so starkes Verlangen, wie er es noch nie zuvor empfunden hatte.

Nicht einmal bei seiner vor langer Zeit verstorbenen ersten Frau Matilda.

Entsetzt zog er die Hand zurück und wandte sich von Gelis ab. Dabei fiel sein Blick auf das große Bett, und seine Nervosität nahm zu, als er seine sorgsam gefaltete Reisekleidung darauf liegen sah.

Seinen eleganten schwarzen Umhang und seine offene, halb gepackte Reisetasche.

Rosendüfte und erotische Träume waren vergessen, als er wieder herumfuhr und irgendwie ganz und gar nicht überrascht war, dass seine Braut mit in die Hüften gestemmten Händen dastand und ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen herausfordernd betrachtete.

»Deine Geldbörse und der Weinschlauch sind dort drüben«, sagte sie und wies hinter ihn.

Als er in diese Richtung blickte, sah er einen ordentlichen kleinen Stapel seiner anderen Sachen. Sein Kettenpanzer, dessen silberne Maschen im Kerzenlicht schimmerten, war über einen Stuhl gelegt worden, während sein zweites Schwert und das Schwertgehenk halb verborgen im Dunkeln auf dem Boden lagen.

Er zwang sich, sie nicht anzustarren.

Und auf gar keinen Fall würde er den harten, kalten Klumpen, zur Kenntnis nehmen der sich zwischen seinen Schultern bildete.

Aber er ballte die Fäuste.

Mit Ausnahme der eher lästigen als bedrohlichen Nebelfetzen, die sich über die Fenstersimse hereinzuschlängeln pflegten und manchmal sogar in den Burgsaal eindrangen und über die Tische krochen, hatte keiner der mit dem Fluch Maldreds des Schrecklichen einhergehenden Teufeleien es je gewagt, in Castle Dares Mauern einzudringen.

Bis jetzt, wie er sich zu seiner Beklemmung eingestehen musste.

»Diese Kleider und die anderen Sachen sind meine Reiseausrüstung.« Mit einem, wie er wusste, falschen Optimismus sah er Gelis an und hoffte, dass sie seinen Verdacht entkräften und ihm das Gegenteil beweisen würde. »Aber sie lagen in meiner verschlossenen Truhe, und mein zweites Schwert lag unter dem Bett versteckt.«

»Das hat Anice auch gesagt, als wir die Sachen überall im Raum verstreut vorfanden.« Gelis erwiderte seinen Blick, und ihre Worte nahmen ihm die Hoffnung. »Sie sagte auch, nur du hättest einen Schlüssel zu der Truhe.«

Was zutraf, aber alles nur noch schlimmer machte.

Da er jedoch nicht vorhatte, ihr das zu verraten, verschränkte er die Arme vor der Brust und sagte: »Und wenn es so ist?«

»Dann warst du hier, bevor ich nach oben kam«, beschied sie ihn und warf einen Blick auf Buckie, der inzwischen die gesamte Türschwelle in Anspruch nahm.

Das Schnarchen des Hundes ließ den Schluss zu, dass er schlief, aber mit einem nur halb geöffneten Auge dennoch jede Bewegung seines Herrn verfolgte. Und auch eines seiner Ohren war aufgestellt, damit ihm keines der Worte entging.

Ronan verzog den Mund.

Gelis beobachtete ihn jetzt genauso aufmerksam wie Buckie, und er zweifelte nicht daran, dass ihre Ohren genauso gut waren.

»Du bestreitest also nicht, dass du hier drinnen warst?«, fragte sie und betrachtete ihn aus schmalen Augen.

Ronan machte eine abwehrende Handbewegung, weil er seiner Stimme noch nicht traute.

Er war vorher in diesem Raum gewesen.

Aber nur, um sich zu vergewissern, dass alles da war, was sie brauchte. Ein warmes Feuer, ein frisch bezogenes Bett und sein so sorgfältig geplantes Abendessen für eine Person auf dem hübsch gedeckten Tisch.

Was wie ein Schlag ins Gesicht für sie war, der sie dazu hatte bringen sollen, am nächsten Morgen mit ihrem Vater heimzureiten.

Aber jetzt bereute Ronan diesen lächerlichen Plan und wünschte, er könnte ihr einfach die ganze schauerliche Wahrheit sagen. Aber diese Schrecken in Worte zu fassen könnte gefährlich sein, konnte seine Gedanken auf Pfade lenken, die er nicht zu betreten wagte.

»Nun?«, fragte sie mit erhobener Augenbraue. »Gib wenigstens zu, dass du für eine Reise gepackt hast.«

»Sei vorsichtig ...« Mehr sagte er nicht, weil er wusste, dass es schon zu spät war.

Weil das Wort ›Reise‹ schon gefallen war.

Und Buckie hatte es natürlich auch gehört, wie ein Blick zur Tür bewies. Der Hund hatte nun beide Augen geöffnet und wedelte erwartungsvoll mit seinem Schwanz.

Ronan ignorierte ihn.

Lady Gelis dagegen schenkte dem Tier ein Lächeln.

»Ermutige ihn nicht.« Ronan runzelte die Stirn. Es wäre nicht gut für Buckie, sie zu sehr ins Herz zu schließen oder sich auf Ausflüge zu freuen, die er seines Alters wegen nicht mehr unternehmen konnte. »Seine Zeit der Abenteuer ist vorbei. Er hat Probleme mit den Hüften, und manchmal fällt er hin, weil seine Beine ihn nicht mehr tragen. Buckie verlässt die Burg nicht mehr.«

»Wirklich?« Sie warf ihm einen Blick zu, der so ausgelegt werden konnte, dass Buckies Problem Ronans Schuld war und ganz und gar nichts mit den schwachen Hinterläufen des Tieres zu tun hatte.

Während Ronan gegen das absurde Gefühl ankämpfte, sich verteidigen zu müssen, fragte er sich, wie das alles so seiner Kontrolle hatte entgleiten können. Er war in dieses Zimmer gekommen, um herauszufinden, was geschehen war, oder um Lady Gelis gegen wen oder was auch immer zu verteidigen. Stattdessen hatte er sie in einem schon wieder aufgeräumten Zimmer beim Anzünden des Kaminfeuers angetroffen.

Und was noch schlimmer war - sie hatte Fragen gestellt, die er nicht beantworten wollte, und ihm Blicke zugeworfen, die ihn sich fühlen ließen wie einen dummen Jungen, der mit seiner Hand im Mieder einer Küchenmagd erwischt worden war.

Als wüsste sie das, lächelte sie ihn an.

Aber es war kein warmes, liebevolles Lächeln, wie sie es Buckie geschenkt hatte, sondern ein selbstzufriedenes, überlegenes.

»Dass du ein gewisses Wort in Gegenwart deines Hundes nicht erwähnen willst, ändert nichts daran, dass ich weiß, dass du bei den Vorbereitungen für eine du-weißt-schon-was warst.« Ihre Worte erklärten ihre Selbstzufriedenheit.

Sie ging zum Bett, hob eine seiner gefalteten Tuniken auf und legte sie eine Spur zu sorgfältig in seine offene Reisetasche.

»Auf Eilean Creag herrscht viel Betrieb«, sinnierte sie und griff nach einer weiteren Tunika. »Das Kommen und Gehen hört das ganze Jahr über nicht auf. Einige Männer kommen, um den Rat meines Vaters einzuholen oder um mit ihm zu verhandeln, während andere um Hilfe bitten oder ein Bündnis anbieten. Der Besucherstrom hört niemals auf.«

Sie legte auch die zweite Tunika in die Ledertasche. »Halte mich nicht für ein dummes kleines Ding, das das Gepäck eines Mannes für das, was ich nicht sagen darf, nicht zu erkennen weiß. Oder«, schloss sie mit einen vielsagenden Blick, »wenn jemand in Eile ist und verschwinden muss, bevor er seine Aufgabe erledigt hat.«

Ronans Brauen zogen sich zusammen. »Ein MacRuari lässt keine Aufgabe unerledigt. Und wir laufen auch vor nichts davon.«

In seinem Stolz gekränkt ging er zum Bett - und zu ihr - hinüber.

Glen Dare und seine Familie mochten vom Unglück überschattet und verflucht sein, aber er liebte beide sehr.

Und nicht umsonst erhielt jedes Neugeborene der MacRuaris als erste Nahrung ein Löffelchen von der Erde, auf der sein Clan lebte. Wie Torcaill während des Festes in seiner Rede vorgetragen hatte, besiegelte diese Tradition die lebenslange Bindung des Kindes an sein heimatliches Tal.

So war es und so blieb es.

Und es gab keinen lebenden, toten oder noch ungeborenen MacRuari, der die Faszination dieses Tals bestreiten würde. Von den fernen Anfängen des Clans an bestand eine unauflösliche Bindung der MacRuaris an Glen Dare; eine immerwährende Liebe zu den dunklen Wäldern und Sümpfen, zu den unendlichen Heideflächen und den steilen, nebelverhangenen Bergen.

Die unwandelbar und allen heilig waren.

So wie ihre Ehre - die Ronan immer schwerer zu belasten schien, je länger er sich in der verführerischen Gegenwart seiner nach Rosen duftenden Braut aufhielt.

Er schloss die Augen und atmete tief durch.

Dann, obwohl er wusste, dass es unklug war, er aber gar nicht anders konnte, legte er ihr die Hände auf die Schultern. »Wenn du es hören willst, werde ich dir von den MacRuaris von Glen Dare erzählen.«

»Ach ja?« Ihre Stimme klang wie das Schnurren einer zufriedenen Katze. »Vielleicht gibt es ja auch Dinge, die ich dir erzählen könnte!«

Ronan, der mehr als sicher war, dass sie das konnte, setzte eine ausdruckslose Miene auf.

Denn er war sicher, dass er nichts von all dem hören wollte.

Er durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick und beschwor sie im Stillen, ihn zu verstehen. »Alles, was ein MacRuari tut, geschieht mit Überlegung und Entschlossenheit und immer nur zum Besten unseres Clans.« Wie um die Wahrheit seiner Worte zu unterstreichen, verstärkte er seinen Griff um ihre Schultern. »Du irrst dich, falls du etwas anderes glaubst.«

»Was du nicht sagst.« Ihre Augen blitzten. »Wir wissen beide, dass es keinen Chieftain in den Highlands gibt, der das von sich nicht auch behaupten würde. Ich bin mehr daran interessiert zu hören, warum es zu den Gewohnheiten der MacRuaris gehört, ihre Bräute zu verschmähen.«

»Nun, das gehört keineswegs zu den ...« Von Schuldgefühlen überwältigt unterbrach sich Ronan.

Denn schließlich hatte er sie verschmäht, wenn auch nur zu ihrem Besten.

»Die Wahrheit ist, dass ich heute Abend einen Grund hatte, dir fernzubleiben«, gab er zu, während Frustration und Bedauern auf ihn einstürmten und ihn zwangen, so ehrlich zu sein, wie er es für richtig hielt.

»Doch ungeachtet dessen«, fuhr er in seinem überzeugendsten Tonfall fort, »hatte ich nichts mit dem Durcheinander zu tun, das du beim Betreten dieses Zimmers vorgefunden hast.«

Nichts außer dem Wunsch, sie möge wieder fortgehen.

Was ihm noch immer das Liebste war.

Doch jähe Reue ließ ihn so schnell von ihr zurücktreten, als hätte sie sich in eine zweiköpfige Viper verwandelt, die begierig war, ihre Giftzähne in ihn zu schlagen.

Er unterdrückte ein bitteres Auflachen.

Die Giftschlange war er.

Ronan erstarrte, als die zunehmende Kälte des Zimmers an seinem Körper hinaufkroch und sich so fest um seine Brust schloss, dass er kaum noch atmen konnte.

»Ich vermute«, begann er mit Hilfe einer aus langer Übung entstandenen Kraft, »dass deine Ankunft hier das wieder aufgerührt hat, was von Maldreds Schlechtigkeit geblieben ist.«

Lady Gelis winkte ab.

»Es ist allgemein bekannt, dass jeder Clan und jedes Tal in Schottland irgendeinen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit hat«, entgegnete sie. »Das lieblichste Tal weicht den schwärzesten Torfmooren, und von einigen unserer schönsten Seen heißt es, dass sie Schlupfwinkel der Furcht erregendsten Drachen und Ungeheuer sind.«

Sie holte tief Luft, was Ronans Blick auf den Ansatz ihrer Brüste lenkte. »Selbst in meinem schönen Kintail sind alle möglichen Gemeinheiten und der böse Blick nichts Unbekanntes! Es gibt viele Geschichten darüber - würdest du gern eine hören?«

Ronan ging an ihr vorbei und lehnte sich an dem Kaminsims.

»Glen Dares dunkle Punkte, wie du sie nennst, sind anders.«

Sie wandte sich ihm zu. »Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet vielleicht nicht. Robert Bruce hat einmal zu meinem Vater gesagt, dass ein Mann jede Falle und jeden Hinterhalt umgehen kann, wenn er seinen Verstand und die Gegebenheiten des Landes zu seinem Vorteil nutzt.«

Ronan furchte die Stirn.

Dem konnte er nichts entgegenhalten. Er hatte nicht vor, die Klugheit von Schottlands größtem König anzuzweifeln.

Nichtsdestotrotz hatte er die Wahrheit über Dares traurige Wirklichkeit gesagt.

Zumindest so viel, wie er mit seiner Braut teilen wollte.

Doch leider wirkte sie alles andere als zufrieden.

Sie machte im Gegenteil ein Gesicht, als würde sie am liebsten ihre Faust um sein Herz schließen und so lange zudrücken, bis er bereit war, all seine Geheimnisse preiszugeben.

Jede ihrer wohlgeformten Rundungen reizte und lockte. Der sanfte Schwung ihrer vollen, roten Lippen, die zum Küssen einluden. Einer ihrer Zöpfe hatte sich gelöst, und das Haar fiel in weichen rotgoldenen Locken über ihre Brüste, die der tiefe Ausschnitt ihres Kleids so verführerisch hervorhob.

Ronan biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste.

Sein tiefstes Inneres sehnte sich nach ihr, und ihn erfüllte ein fast unbezähmbares Verlangen. Er schluckte mühsam, als ihm die Anspannung seines Körpers bewusst wurde, als er spürte, wie schmerzhaft hart sein Herz gegen die Rippen pochte. Und sein Blut rauschte ihm so laut in den Ohren, dass er meinte, es würde selbst das Heulen des Windes übertönen.

Noch nie hatte er eine begehrenswertere Frau als sie gesehen.

Und noch nie hatte er eine Frau weniger gewollt.

Selbst wenn es ihn den Rest seines Lebens verfolgen würde, sie abgewiesen zu haben.

Der Bursche begehrte sie.

Das war nicht zu übersehen.

Der Mann, der in einen dunklen Umhang gehüllt vor der Burgmauer stand, stieß einen tiefen Seufzer aus. Er war froh, dass er lange genug geblieben war, um die Früchte seiner Arbeit zu genießen.

Für jemanden in seinem Alter war es nicht leicht gewesen, einen Zauber zu bewirken, der stark genug war, nicht nur ein ganzes Festmahl, sondern auch noch einen bis an den Rand mit Wasser gefüllten Zuber aus dem Turmfenster zu werfen.

Diese Aufgabe hatte ihn enorme Kraft gekostet.

Aber er hatte es geschafft, und seine große Befriedigung darüber brachte selbst die dunklen Äste der hohen Kiefern und Erlen Glen Dares in Bewegung, als er einen leichten Wind über sie hinwegstreichen ließ. Die stolzen, von den MacRuaris so geliebten Berge jedoch gaben vor, als hörten sie nichts und verschlossen ihre Ohren vor dem schadenfroh säuselnden Wind.

Und durch die weite Ebene des mondbeschienenen Tals rauschte und schäumte das dunkle Wasser des Bachs, das von eisigerer, schneidenderer Kälte war, als die Alten je beabsichtigt hatten.

Die Alten, deren Namen schon seit Langem in Vergessenheit geraten waren.

Bis auf einige wenige, die beharrlich waren.

Er war einer dieser wenigen. Jetzt trat er aus dem dichten Nebel heraus und schlich so nahe an Castle Dares Mauern heran, wie die Vorsicht es erlaubte. Er hatte sein weises, würdevolles Alter nicht erlangt, indem er dumm gewesen war. Seine heutige Leistung hatte ihn angestrengt, weil die Rückwirkung von Maldreds Zaubern selbst nach so vielen Jahren immer noch sehr stark war.

Quälender als er oder seine Gefährten geglaubt hatten, saß der Schmerz noch tief in seinen Knochen, verlangsamte seine Schritte und trübte ihm die Sinne.

Seine Augen waren rot vor Müdigkeit und brannten von der Anstrengung.

Aber was machte das schon.

Diese Gecken und Narren, die Dare ihr eigen nannten, würden schon bald für ihre Sünden bezahlen. Sie würden den Schatz, der ihnen nicht gehörte, ahnungslos hergeben, und danach würde ihnen nichts als Asche und Staub bleiben.

Bei diesem Gedanken hätte der Mann fast gelächelte.

Die MacRuaris hatten einen Schatz in ihrem Besitz, und sie würden kämpfen, um ihn zu behalten.

Der alte MacRuari, weil er ein weiches Herz hatte. Und der junge - er war die einzig ernstzunehmende Gefahr für sie -, weil er das Mädchen haben wollte.

Wenn der Rabe auch noch sein Herz verlor, wären ihre Möglichkeiten grenzenlos.

Er musste nur abwarten.

Diesmal lächelte der Mann.

Von einem angenehmen Gefühl durchströmt hob er eine knochige, langfingrige Hand und richtete die Kapuze seines Umhangs. Die Nacht war kalt und nass, der scharfe Wind nicht gut für seine längst nicht mehr bestimmbaren Jahre. Und trotz seiner Zauberkräfte musste er erst noch lernen, die Elemente zu beherrschen.

Aber auch das würde bald möglich sein.

Wie alles möglich sein würde, sobald der Stein des Raben sich wieder in seinem Besitz befand.

Er legte den Kopf ein wenig schief und spähte durch den Dunst hinauf zu den dunklen Umrissen des Turmes. Arrogant wie seine Besitzer ragte er hoch über den soliden Mauern der Burg auf. Dichte Nebelschleier - zum größten Teil von ihm erschaffen - krochen über die kalten Steine. Die schmalen Fenster waren klugerweise geschlossen worden, ihre Läden starrten wie schwarze Augen in die Nacht.

Alle bis auf eines.

Auch vor diesem Fenster waren die Läden geschlossen, doch durch deren Ritzen schimmerte schwacher Lichtschein.

Während der Mann in dem dunklen Umhang sich auf diese schmalen Lichtstreifen konzentrierte, schlug sein Herz vor Erwartung schneller, und er atmete tief ein, weil sein hervorragender Geruchssinn ihn sogar hier draußen einen Hauch von Rosenöl wahrnehmen ließ.

Das und den stärkeren Geruch eines Mannes.

Sie waren eindeutig zusammen.

Mehr als erfreut über diese Schlussfolgerung blinzelte der Alte nicht einmal, als eine Windbö ihm die Kapuze vom Kopf riss und ihm die langen weißen Haare über das Gesicht und in die Augen peitschte.

Er hatte heute Nacht zu viele Erfolge zu verzeichnen, um sich an solch kleinen Belästigungen zu stören. Er strich sich das Haar aus dem Gesicht, setzte die Kapuze auf und wandte sich von der Burgmauer ab, um sich zu seiner wohlverdienten Nachtruhe zu begeben.

Er hatte das Gefühl, dass seine Träume heute sehr angenehm sein würden.

Der Untergang der MacRuaris war besiegelt.

Es war nur noch eine Frage der Zeit.