VIERTES KAPITEL
Normalerweise kümmerte Jane sich nicht groß um Rick Sedletter. Normalerweise kam sie mit Rick Sedletter so gut aus wie ein Interface-Designer mit einem beknackten ProgrammSchuster von einem Techie nur auskommen konnte. Dies war jedoch kein normaler Tag. Sie waren bereits seit Stunden miteinander unterwegs, und Rick zappelte am Haken der patentierten Jane-Unger-Schweige-Behandlung.
Beide wußten sie, worum es bei der Auseinandersetzung ging: um Alex. Jane war sich sicher, daß Rick bereits bedauerte, ihren Bruder schikaniert zu haben. Doch während die Stunden und Kilometer verstrichen, hatte Jane jede Menge Zeit, darüber nachzugrübeln, wie leichtsinnig es von ihr gewesen war, Alex überhaupt zur Truppe zu bringen. Er hatte schon angefangen, Ärger zu machen, und das war noch gar nichts im Vergleich zu dem, wozu er noch fähig sein mochte. In gräßlichen, wiederkehrenden Visionen sah sie vor sich, wie Alex Martha und Bussard mit einer Kollektion mexikanischer Lungennarkotika auf die Nüsse ging.
Sie war ein großes, blödsinniges Risiko eingegangen, als sie Alex gerettet hatte, und seine Erfolgsaussichten waren so gering. Angenommen, Alex überstand den ersten langen, harten Tag auf der Straße. Angenommen, Alex kam mit den Troupern zurecht und lernte zum erstenmal in seinem Leben, Verantwortung zu übernehmen, ohne zusammenzuklappen und in kleine Stücke zu zerbrechen. Es würde ihr trotzdem wenig nützen. Es konnte sehr gut sein, daß sie ihm das Leben gerettet hatte, doch Alex würde ihr niemals dankbar dafür sein, nicht einmal in hundert Jahren.
Charlie gab pfeifend und klingelnd einen nicht unbedingt notwendigen Alarm und fuhr einen Kartenschirm aus dem Armaturenbrett aus. Darauf war Jerrys neuester Lagebericht dargestellt. Rick hielt an, tippte auf seinem Laptop herum und bekundete nachhaltiges professionelles Interesse an den auf der Karte abgebildeten farbigen Konturlinien unterschiedlich schneller Luftmassen.
Rick tat sein Bestes, um es ihr heimzuzahlen. Beiden war klar, daß im Moment keine Aussicht auf Besserung bestand.
Draußen, in nördlicher Richtung, ragte drohend der hinterdreinzottelnde Turm der Gewitterfront auf, wogte im heißen, nachmittäglichen Sonnenschein und saugte heftig adiabatischen Saft in sich ein. Jerry hatte ihnen das ganze Spektrum regulärer Updates geschickt; Satellitenbilder, den Wanderweg der Pseudokaltfront, SESAMEs Windschätzungen, große, geschwollene, von den Doppler-Geräten aufgezeichnete Regengüsse. Die Front spie Niederschläge aus, warf lemonen-große Hagelkörner ab und blies eindrucksvolle Böenfronten vor sich her. Von Zacken war jedoch nichts zu sehen.
Die Truppe hatte früh am Tag einen F-2 aufgeschreckt. Der Zacken war ganz unvermittelt, ziemlich unerwartet und gewissermaßen aus dem Nichts aufgetaucht. Und das war auch gut so, denn so hatte die Truppe den Zacken ganz für sich allein. Greg und Carol hatten die gesamte Entwicklungsphase von der Wolkenwand bis zum Ausfasern aus der Nähe vom Boden aufgezeichnet. Bussard und Martha hatten sie mit Düppeln bepflastert, so daß Peter und Joanne im Radarbus ein paar gute interne Daten bekommen hatten. Das mußte man als Erfolg bezeichnen.
Nun erreichte die Aufladung durch die nachmittägliche Sonneneinstrahlung ihren Höhepunkt, und die Aussichten auf einen größeren F-4 oder gar einen F-5 waren gewachsen. Die Gewitterfront bewegte sich auf die Grenze zwischen Texas und Oklahoma zu, in raschem Tempo und mit dem mittelhohen Jet im Schlepptau. Die Jagdsituation würde sich jetzt grundlegend ändern. Mittlerweile hatte die Truppe die verlassenen Landstriche hinter sich gelassen und eine Gegend erreicht, wo das Grundwasser stellenweise noch nicht versiegt war und wo noch eine Menge Leute lebten.
Wenn sie erst einmal die unfruchtbaren Ebenen von King und Stonewall County hinter sich gelassen und die weite, flache Hochwasserebene des Red River erreicht hätten, würde jeder Zacken von Sturmbeobachtern nur so wimmeln. Neben den Umweltdaten der nationalen Sturmwarnungszentren stünde ihnen reichlich Netzwerkunterstützung zur Verfügung. Die örtliche Polizei und Feuerwehr würden sich dort herumtreiben, vielleicht sogar Ranger und die Nationalgarde von Oklahoma. Nachrichtenteams vom Fernsehen. Und Hobbysturmjäger, die sich mit allen erdenklichen selbstgebastelten Geräten vor ihre Städte wagten. Außerdem die übliche Versammlung der im Hintergrund lauernden Irren: Trümmerfreaks, Vandalen und professionelle Plünderer.
Und natürlich die Leute, die sich dort aufhielten, weil sie nicht anders konnten; die stinknormalen, bedauernswerten Bürger, die sich solange um ihren eigenen Kram kümmerten, bis irgendein Zacken ihre Stadt auseinandernahm.
Die Helfer würden sich als letzte zeigen: Hubschrauber, die über dem verwüsteten Gebiet Nahrungsmittel abwarfen, Rettungstrupps der Bundesbehörden, staatliche Flüchtlingsmanager mit der unsentimentalen offiziellen Barmherzigkeit der Suppenküchenzelte und Papierkleider. Irgendwann würde schließlich auch Hilfe eintreffen. Man konnte auf die Hilfe der Regierung nicht verzichten. Nach so vielen Jahren der Naturkatastrophen war nicht mehr viel spontane Hilfsbereitschaft übriggeblieben, aber die Helfer verfügten wenigstens über eine Menge Übung.
»Um Himmels willen, Janey, jetzt mach nicht so ein Gesicht«, platzte Rick plötzlich heraus. »Es ist doch nicht so, daß wir den Jungen umgebracht hätten.«
Jane schwieg.
»Er hat sich viel besser gehalten, als du denkst!«
Bevor sie sich Jerry und der Truppe angeschlossen hatte, war es Jane schwergefallen, den Mund zu halten. Mittlerweile war sie eine begnadete Schweigerin.
Darin hatte sie eine Menge Übung. Sie hatte im zweiten Monat bei der Truppe gelernt, den Mund zu halten, nach der häßlichen, lautstarken und handgreiflichen Auseinandersetzung mit Martha Madronich. Jerry hatte ihr wegen des Kampfes keine Vorwürfe gemacht. Er hatte nicht Partei ergriffen, hatte kein Urteil gefällt und sie nicht kritisiert. Statt dessen hatte er Jane gebeten, sich zu einer Woche Schweigen zu verpflichten.
Jerrys Führungsstil unterschied sich wesentlich von den üblichen Psychopraktiken des öffentlichen Niedermachens und der Erniedrigung vor der Gruppe. Jerry hob nur selten die Stimme, und selbst bei den offiziellen Gruppenzusammenkünften gab er meistens nur kurze Statements ab oder teilte gelegentlich ein knappes Lob aus. Bei privaten Unterredungen jedoch war er hervorragend. Vor dem Kampf hatte er Jane kein einziges Mal zu einem Vieraugengespräch einbestellt. Sie hatte jedoch mitbekommen, wie er unauffällig einzelne Leute beiseitenahm - sogar welche vom harten Kern wie beispielsweise Carol, Greg oder Ellen Mae -, und sie hatte gesehen, wie sie nach etwa einer Stunde erschüttert, ernst, irgendwie breitschulterig und mit leuchtenden Augen wieder zum Vorschein gekommen waren.
Ein Schweigegelöbnis zu leisten, war eine höchst seltsame Bitte. Sie hatte Jerry jedoch noch nie ernster erlebt. Es lag auf der Hand, daß er sie vor eine Herausforderung stellte, daß er sie einem Akt ritueller Disziplin unterzog. Am schlimmsten aber war die Erkenntnis, daß Jerry ernsthaft bezweifelte, sie verfügte über die nötige Charakterstärke, es auch zu schaffen.
Darum hatte Jane das Versprechen bereitwillig geleistet, ohne Murren und ohne jede Debatte. Sie war wortlos aus dem Zelt gegangen, und sieben endlose Tage lang hatte sie mit niemandem ein Wort gesprochen. Keine Gespräche, keine Telefonanrufe, keine Funkverbindungen. Sie hatte nicht einmal Kommentare ins Netz getippt.
Es war ihr unglaublich schwer gefallen, weitaus schwerer, als sie es sich vorgestellt hatte. Nachdem sie mehrmals beinahe instinktiv herausgeplatzt wäre, hielt sie die oberen und die unteren Zähne insgeheim mit einer Metallklammer zusammen. Die Klammer war ein blöder Einfall und eine Art Selbstbetrug, doch sie half ihr jedesmal, wenn Martha vorbeigehumpelt kam, sie angrinste und in ein Gespräch zu verwickeln versuchte.
Das Schweigen war für Jane wirklich schmerzhaft und schwierig gewesen. Es war wie ein Drogenentzug. Wie Fasten. Wie ein Marathonlauf. Es hatte sie innerlich stark verändert.
Innerhalb der Gruppe war es kein Geheimnis, daß sie sich heftig für Jerry interessierte, und sie merkte, daß er davon wußte und daß er in Versuchung war. Er hatte sie in die Gruppe aufgenommen. Er hatte ihr Verantwortung übertragen. Er hatte sich ihre Ratschläge und Kommentare immer höflich angehört. Aber er hatte sorgsam darauf geachtet, Abstand zu halten.
Jerry war in Versuchung, aber die Versuchung war nicht stark genug. Das war der wahre Grund, warum er sie vor die Herausforderung gestellt hatte. Wie alles, was Jerry Mulcahey wirklich interessierte, war die Versuchung subtil, schwierig und mit großen Risiken behaftet. Die übrigen Gruppenmitglieder mochten sie als Bestrafung auslegen, doch Janey wußte es besser: es war ein ganz persönliches Auf-die-Probe-Stellen, und es ging um Sieg oder Niederlage. Jerry wollte, daß sie ihm ein ernsthaftes Versprechen gab und daß sie es brach. Als Vorwand dafür, sie höflich aus seinem Leben hinauszudrängen. Darum war sie nicht drum herumgekommen, die Verpflichtung einzugehen.
Jane hatte ihr Versprechen jedoch nicht gebrochen. Sie hatte es gehalten. Natürlich hatte sie niemandem aus der Gruppe davon erzählt. Sie war einfach aus dem Zelt hinausspaziert und hatte den Mund gehalten. Bei dem engen Zusammenleben waren die anderen allerdings sehr bald dahintergekommen. Ihr Schwur war eine schwere Bürde für sie gewesen, hatte jedoch eine tiefgreifende und erstaunliche Wirkung auf die anderen Trouper gehabt. Auch schon vorher hatten sie ihr grollend Respekt gezollt, ihr allerdings keine offene Sympathie entgegengebracht. Sie wußten, daß Jane die Hölle durchmachte, und griffen ihr unter die Arme. Als die Schweigewoche zu Ende ging, behandelten die Trouper sie zum erstenmal so, als gehörte sie wirklich dazu.
Und hinterher wurde zwischen ihr und Jerry bald alles mega-anders.
»Okay, er ist ohnmächtig geworden«, jammerte Rick. »Der harte Survivaltyp ist er jedenfalls nicht. Aber hast du gewußt, daß er ein Kannibale ist?«
»Was?« entfuhr es Jane.
»Yeah, er hat damit geprahlt, er hätte Menschenfleisch gegessen! Nicht, daß ich persönlich etwas gegen Kannibalismus hätte…« Rick zögerte und suchte nach Worten. »Weißt du, der Junge hat was. Er ist ein häßlicher, schlaksiger, verrückter kleiner Typ, aber ich glaube, bei dem läuft was. Ehrlich, irgendwie mag ich ihn!«
»Also, er kann unmöglich Menschenfleisch gegessen haben«, sagte Jane. »Er ist doch erst zwanzig. Na ja, einundzwanzig.«
»Shit, wir wußten doch alle, daß er uns verarscht! Aber deshalb mußten Peter und ich ihn halt ein bißchen durch die Mangel drehen. So was lassen wir nicht mit uns machen! Oder? Und wenn er tausendmal dein Bruder ist. Komm schon, Janey!«
»Na ja, er ist mein Bruder, Rick, da hast du verdammt noch mal recht.«
Rick klappte den Laptop heftig zu. »Na ja, du kannst ihn nicht immer beschützen! Die Truppe ist schließlich kein Kindergarten! Wir machen hier draußen Jagd auf Tornados! Warum hast du deinen Bruder eigentlich hergebracht?«
»Na ja«, meinte Jane bedächtig, »kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
Rick machte ein langes Gesicht. Er blickte sie wachsam an. »Worum geht's?«
»Ich bin pleite, Rick. Und Alex nicht.«
Rick schnitt eine Grimasse. Sie hatte das Thema Geld angesprochen; das absolute Tabu der Truppe. Ricks rundlichem, verstoppeltem Gesichtsausdruck nach zu schließen, schien er wahre seelische Qualen zu durchleiden. Sie hatte gewußt, daß es ihm vor Verlegenheit die Sprache verschlagen würde.
Jane blickte versonnen zu der Zwanzigtausend-MeterGewitterwolke hinaus, die vor ihr am Horizont aufragte, und fragte sich, ob es wohl jemals eine Zeit gegeben hatte, in der man sich seines Reichtums nicht hatte zu schämen brauchen. Vielleicht damals, bevor die schweren Unwetter angefangen hatten, als es auf der Welt noch ruhig und geordnet zugegangen war. Bevor die ›Informationswirtschaft‹ genau wie zuvor der Kommunismus nach hinten losging und ihren gierigen, fanatischen Erschaffern um die Ohren flog. Als es noch stabile und funktionsfähige nationale Währungen gab. Und Banken, die einzelnen Ländern gehörten und die Gesetze respektierten, anstatt weltweit operierender Piratenbanken, die nicht mehr dingfest zu machen waren und die aus durchlässigem Maschendraht, Verschlüsselungscodes und Spucke ihre eigenen Gesetze formten.
Juanita Unger war zufällig eine Erbin. Wenn sie hundert Jahre früher zur Welt gekommen wäre, überlegte Jane, wäre vielleicht eine nette, altmodische Durchschnittserbin aus ihr geworden. Mit Familiengeld, das aus einer seltsamen, altmodischen, industriellen und ladyliken Quelle stammte, so wie Waschmittel oder Kaugummi. Und wäre sie in glühender Liebe zu irgendeinem Wissenschaftler entbrannt, hätte sie ihm beispielsweise eine diskrete Stiftungsförderung zukommen lassen können. Und sie hätte dreimal die Woche zu seinem Forschungslabor hinausfahren und sich auf einem sofagroßen Rücksitz um den Verstand vögeln können.
Vielleicht hatte irgendeine Frau des zwanzigsten Jahrhunderts dies alles irgendwo, irgendwie, irgendwann tatsächlich getan. Falls ja, so hegte Jane keinen Groll gegen sie. Vielmehr wünschte sie, diese Erbin hätte ihren Spaß gehabt, während sie die Ressourcen des Planeten gedankenlos plünderte und ein Leben führte wie eine Made im Speck. Jane hoffte, es habe ein gutes Ende für die Frau genommen und sie sei friedlich gestorben und begraben worden, bevor sie erkannte, was ihre Lebensweise dem Planeten angetan hatte. Unter den gegebenen Umständen mochte ihr Leben durchaus interessant und angenehm gewesen sein. Doch es hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Leben, das Jane Unger kannte.
Jane war ein Storm Trouper. Ein Storm Trouper, der zufällig Geld hatte, und sie war noch nie irgendwelchen Leuten mit einer so negativen Einstellung zum Geld begegnet. Die Trouper glaubten wirklich, Unwettertrümmer, ein bißchen Schrott, ein paar vergammelte Computer, Wirgefühl, Shareware, billiger Prickel und Jerrys Charisma wären genug zum Leben. Ging man davon aus, daß ihre Vorstellungen von Selbstversorgung hoffnungslos unpraktikabel waren, war es bisher erstaunlich gut gelaufen. Sie hatten ihre Reparaturaufträge und halfen hin und wieder bei Bergungsarbeiten. Die meisten hatten im Winter Zeitjobs in der Stadt, und ein paar, darunter auch Jane, blickten auf ehemals vielversprechende Karrieren zurück. So kratzten sie etwas Geld zusammen. Und angesichts der Tatsache, daß die meisten in Städten aufgewachsen waren, kamen sie ganz gut damit zurecht, das zu verspeisen, was sie jagten und/oder aus dem Boden holten.
Aber weil es ihnen an Kapital mangelte, leisteten sie keine erstklassige Forschung. Bis Jane Unger kam.
Jane hatte den ersten Hinweis auf Dr. Gerald Mulcaheys Arbeit in einer obskuren Nische des Wissenschaftsnetzes von Santa Fe entdeckt, sehr seltsam, sehr geheimnisvoll und kunstvoll unter nichtlinearen atmosphärischen Gleichungen vergraben, die auf der ganzen Welt vielleicht nur fünf Leute verständlich waren. Jane war nicht die erste Designerin, die auf Mulcaheys Arbeit gestoßen war. Die Kunde davon hatte gerade angefangen, sich in ihren Netzwerkkreisen zu verbreiten. Was man sich erzählte, klang zwar recht abstrus - aber Jane hatte ein Gespür für das, worauf es ankam.
Die schiere Gewalt dieser Grafiken hatte sie verblüfft. Es war ein virtuoses Spektakel, und der Typ hatte sich nicht einmal angestrengt. Er hatte eine hypnotisierende Virtualität aus sich windenden Flüssigkeiten erschaffen, während er zugleich ernsthaft bemüht war, das Verhalten der realen Welt wissenschaftlich zu beschreiben. Wenn er ein geeignetes Interface benutzt, ein wenig Sorgfalt aufs Editieren verwandt, die Farben und den Blickwinkel besser gewählt und sich mehr Mühe mit den Einzelheiten gegeben hätte, wäre die Arbeit bestimmt kommerziell verwertbar gewesen.
Und so hatte Jane, mit einigem Aufwand an NetzwerkZauberei, Dr. Gerald Mulcahey erfolgreich aufgespürt. Sie hatte sein Camp am Arsch der Welt besucht, mit ihm gesprochen und einen Deal mit ihm geschlossen. Sie hatte die Grafik eigenhändig überarbeitet und sie mit einem neuen Front End in ein Kunstverbreitungsnetz eingespeist. Und obwohl das ganze moderne Gefüge des Copyrights und geistigen Eigentums ein einziger Witz war - während des Ausnahmezustands war es vollständig zerschlagen und nie wieder neu aufgebaut und stabilisiert worden -, hatte Jane tatsächlich ein wenig Geld damit verdient. Und sie hatte Mulcahey Tantiemen gezahlt.
Natürlich hatte Mulcahey seine ganzen Tantiemen sogleich in neue Hardware investiert. Und dann hatte er auch noch ihren Anteil an dem Geld ausgegeben. Und dann hatten sie sich in freundschaftlicher, kollegialer Weise daran gemacht, noch viel mehr Geld auszugeben.
Und nun war ihr Geld praktisch verschwunden. Obwohl sie ein verdammt gutes Jagdteam versammelt hatten. Vielleicht würde sie ihr Geld eines Tages sogar wieder zurückbekommen.
Falls sie einen F-6 fanden.
Jane war nicht so naiv zu glauben, die Truppe würde den F-6 ganz für sich allein beanspruchen können. Sie hatte Jerrys Simulationen gesehen, und wenn Jerry mit seinen Annahmen über die Natur des Monsters nur halbwegs richtig lag, würde der F-6 verdammt auffällig sein, eine spektakuläre Naturkatastrophe, die nicht zu übersehen wäre. Falls die Truppe jedoch einen F-6 fand, würde sie einen großen Vorteil vor den anderen Medienkonkurrenten haben. Die Trouper würden nämlich die einzigen sein, die die ganze Gewalt und den Schrecken dessen, was sie beobachteten, tatsächlich begriffen. Weil niemand sonst auf der ganzen Welt glaubte, daß ein F-6 überhaupt möglich war.
»Rick«, sagte sie.
»Ja?«
»Ich habe beschlossen, dir zu verzeihen, Mann.«
»Oh.«
»Unter der Bedingung, daß du Alex ab sofort in Ruhe läßt.«
»Okay, okay«, meinte Rick säuerlich. »Von mir aus kann er bleiben. Ich werde ihn bestimmt nicht aus der Truppe rausschmeißen! Jerry schmeißt Leute raus, Greg schmeißt Leute raus, Carol schmeißt Leute raus. Ich, ich bin bloß ein einfacher Programmierer, ich komme mit jedermann aus. Ist mir sogar egal, wenn er mir Geld gibt - Scheiße, ich habe keinen Stolz. Na los, gebt mir Geld, du und dein Bruder! Ist mir echt egal.«
»Hast du gewußt, daß Jerry einen Bruder hat?«
»Yeah, hab ich gewußt«, sagte Rick. Er schien sich über den Themenwechsel nicht sonderlich zu wundern. »Ich bin seinem Bruder nie begegnet oder so… Ich glaube, er ist bei der Regierung, im Außenministerium, beim Militär, halt so was. Jerry versteht sich nicht mit ihm.«
»Hat Jerry jemals von seinem Bruder gesprochen, bevor ich aufgetaucht bin?«
»Na ja, du kennst Jerry ja«, sagte Rick. »So was hängt er nicht an die große Glocke… Ich hab ihn mal drüber reden hören, als er mit Valerie Schluß gemacht hat. Valerie, die Seismographin, weißt du.«
»Über Valerie weiß ich Bescheid«, sagte Jane gepreßt.
»Yeah«, meinte Rick und nickte abwesend. »Valerie stand auf kollabierten Wasseradern, Erdsenkungen und so Zeug, sie hing immer mit der Truppe herum und machte Echomessungen… Machte äußerlich nicht viel her, aber eine hochintelligente Frau, ja wirklich. Bis Jerry sie schließlich rausschmiß, wurde es zum Ende richtig fies. Sie hackte dauernd auf seiner Familie herum.«
»Ach, wirklich«, sagte Jane in möglichst uninteressiertem Ton.
»Yeah!« Durch das stundenlange Schweigen hatte sich bei Rick einiges aufgestaut. »Schon komisch, worüber Männer und Frauen sich streiten… Ich meine, ich war ja nie verheiratet, aber mir scheint, es gibt da drei Hauptthemen - Sex, Geld und Verantwortung. Hab ich recht?«
Jane gab keine Antwort.
»Bei Valerie drehte es sich also um Verantwortung. Zum Beispiel, was bedeutet dir mehr - ich oder deine Arbeit, ich oder deine Freunde, ich oder deine Familie, ich oder dein Verstand? Mir ist völlig schleierhaft, wie eine Frau Jerry so was fragen kann. Der Typ ist ja ein Fanatiker! Der läßt nicht eher locker, bis er gefunden hat, wonach er gesucht hat! Bei so einem Typ klinkt man sich entweder ein und hilft ihm, oder man macht schleunigst, daß man ihn wieder loswird! Sonst legt man sich bloß mit ihm an. Das ist ein Naturgesetz.«
Jane schwieg.
Rick rückte seine Brille zurecht und breitete weit die Arme aus. Seine sonnengebräunten Unterarme steckten in Manschetten aus Hirschleder. »Ich begreife nicht«, sagte er, »nur vom Verstand her, natürlich - warum eine Frau Jerry attraktiv finden sollte. Ich meine, er ist groß und kräftig, in gewisser Weise sieht er auch gut aus, und er ist wirklich INTELLIGENT. Und er ist weder gemein noch unehrlich. Skrupellos, das ja, aber grausam ist er nicht. Und er hat natürlich den starken Sex-Appeal eines Outsiders, weil er den Leithammel für diese ganzen irren Typen macht. Auf so was stehen die Frauen. Daher kann ich nachvollziehen, warum eine Frau Lust kriegen könnte, auf den Rücksitz von Jerrys Motorrad zu steigen, die Titten an ihm zu reiben und ihm die Hose aufzuknöpfen oder zu ihm in den Schlafsack zu kriechen. Aber verdammt noch mal! Ihn heiraten? Kinder mit ihm kriegen? Ihn hinter einem Lattenzaun einsperren? Ich meine, wozu das alles?«
Jane lachte.
»Lach ruhig, Janey«, meinte Rick, »aber darauf war Valerie aus. Ich glaube nicht, daß ihr das jemals klar wurde. Ich meine, bewußt. Das war nichts weiter als ein genetischer Imperativ, mehr nicht. Hatte irgendwas mit weiblichen Chromosomen zu tun.«
Jane seufzte. »Rick - du bist das größte Arschloch aller Zeiten.«
»Oh«, meinte Rick schockiert. »Okay. Tut mir leid.«
»Ich habe nicht vor, ihn zu heiraten. Ich habe keinen Lattenzaun. Ich will ihn der Truppe nicht wegnehmen. Ich mag es, bei der Truppe zu leben. Das gefällt mir wirklich. Es ist meine Truppe.«
»Klar, sicher.« Rick nickte hastig. »Von dir hab ich nicht geredet, Janey. So gut müßtest du mich inzwischen eigentlich kennen.«
»Ich habe meine eigenen Gründe, warum ich scharf auf den F-6 bin. Und wenn Jerry tot umfallen sollte, dann werde ich ihn finden. Ich werde ihn aufspüren und dokumentieren und die Daten in jedes einzelne Netzwerk auf diesem Planeten speisen. Okay?«
»Okay, Janey.« Rick grinste. »Ganz wie du willst.«
»Du hast noch nicht mit seinem Bruder geredet, oder?«
»Nein. Ich weiß nicht mal, wo der lebt. Aber wenn ich's rausfinden wollte« - er schaute sie an -, »dann würde ich erst mal Jerrys Mom fragen.«
Unmittelbar östlich der Grenze von Foard County, neben dem Bundeshighway Nr. 70, stießen sie auf Zacken. Beide Seiten des Highways waren mit den Wagen der Zuschauer vollgeparkt, darunter Polizisten, endlose Schlangen von Amateuren mit billigen Ferngläsern und Videokameras, ein unförmiger Lidar-Bus des SESAME-Netzes mit abgestimmten Lasern und mehreren Parabolantennen.
SESAME und der truppeneigene Radarbus hatten bereits seit einer Stunde einen größeren Strömungsausläufer auf den Monitoren, und es hieß, die Polizei sei bereits ausgeschwärmt und der Katastrophenalarm sei ausgelöst. Bislang war jedoch noch keine Wolkenwand zu sehen, und der regenfreie Schelf wirkte erstaunlich beengt und wenig vielversprechend.
Dann tauchten um 17 Uhr 30 zwei Zacken gleichzeitig auf; nicht in der Vordertasche des Ausläufers, wie man eigentlich hätte erwarten sollen, sondern an der Rückseite des Unwetters.
Rick fing den ersten Alarm auf, als er den Funkverkehr eines überraschten und aufgeregten TV-Teams abhörte. Er informierte unverzüglich die Truppe und bootete die Teleskopkameras an Charlies vorderer Geschützlafette.
Wenn alles gut ging, würden die mit der Bodenverfolgung beauftragten Trouper den Weg des wandernden Zackens vorausahnen und sich rechts vor ihn setzen, so daß sich die Silhouette des sich nähernden Zackens gegen die hellere Luft abhob. Im Idealfall würden sie eine Reihe von Meßgeräten so plazieren, daß der Zacken den Raster durchwanderte. Dies war die übliche Forschungsstrategie, um die eindeutigsten, umfangreichsten Datensammlungen zu bekommen, und die SESAME-Leute mit ihrer schweren Computerausrüstung hatten ursprünglich den gleichen Plan gehabt.
Bei diesen neuen Zwillingszacken mußten sie sich jedoch etwas anderes einfallen lassen. Da sie sich hinter dem Unwetter befanden, würde die Hagelfront unmittelbar über sie hinwegziehen.
Jane zeigte den Amateuren ausgelassen, womit sie es zu tun hatten, und befahl Charlie, den Highway zu verlassen und über Zäune und Gräben hinweg in wilder Jagd querfeldein zu rasen. Der Wagen hüpfte über eine vollgesogene Weide mit jungen Sonnenblumen und kniehohem Johnsongras. Die auf einem reaktiven Podest montierten Teleskopkameras bewegten sich mit der unerschütterlichen technischen Sanftheit, die ursprünglich für moderne Maschinengewehre Kaliber fünfzig entwickelt worden war. Janes Nerven summten vor Erwartung. Sie war dorthin unterwegs, wo sie sich am wohlsten fühlte: im Zentrum des Geschehens. Hellwach, lebendig und in Gefahr.
Zacken waren sehr gefährlich. Sie führten extrem hohe Winde mit sich und schleuderten häufig große, tödliche Trümmerstücke umher. Bei einer Verfolgung ging die größte Gefahr jedoch nicht vom Trichter aus. Ein modernes Verfolgungsfahrzeug vermochte einem sichtbaren Trichter, der bereits Bodenkontakt hatte, fast immer auszuweichen. Die größten Gefahren für die Truppe waren schwerer Hagel, Blitze und Kollisionen.
Hagelschauer waren schwer vorherzusagen, und sie deckten ein viel größeres Gebiet ab als die Spitze eines Zackens. Meistens war der Hagel lediglich unangenehm, entweder graupelartig, breiig oder körnig, aber Jane hatte schon Unwetter gejagt, die steinharte, apfelsinengroße Hagelkörner zu wadentiefen Haufen getürmt hatten.
Großer Hagel fiel nicht so wie Regen oder Schnee oder kleiner Graupelhagel. Großer Hagel ähnelte scharfrandigen, massiven Eisbrocken, die vom Dach eines dreitausendstöckigen Gebäudes fielen. Im texanischen Fortsatz hatte Jane im Frühjahr 2030 von einem Hagelkorn eine solche Rippenprellung abbekommen, daß sie sich eine ganze Woche lang mit Salbe hatte einschmieren und einen elastischen Verband tragen müssen. Dasselbe Unwetter hatte zwei der frühen Strandbuggies der Truppe dermaßen erwischt, daß sie hinterher mit Hunderten faustgroßer Dellen übersät gewesen waren.
Trotzdem konnte man dem Hagel ausweichen, wenn man sich vom Unwetterzentrum fernhielt und das Radar aufmerksam im Auge behielt. Blitze waren anders. Blitzen konnte man nicht ausweichen; das war reine Glückssache. Bevor sie zur Truppe gestoßen war, hatte Jane den üblichen gutgemeinten Zivilschutz-Nonsense gehört, daß man sich von ungeschützten Höhen fernhalten und sich flach auf den Boden werfen solle, wenn man spürte, daß das Haar zu knistern begann, aber seitdem hatte sie eine Menge Unwetter erlebt, mit denen nicht zu spaßen gewesen war, und mittlerweile wußte sie über deren Beschaffenheit im wesentlichen Bescheid. Blitze waren ein im höchsten Grade nichtlineares Phänomen. Die meisten Blitze erweckten zwar den Anschein, den physikalischen Standardgesetzen zu gehorchen, Jane hatte jedoch häufig erlebt, wie selbst aus kleineren Gewittern auf einmal ein gewaltiger knisternder Feuerstrahl exzentrischer Naturgewalten hervorgebrochen war, der irgendeinen kleinen Flecken Erde heimsuchte, der aber auch nicht das geringste mit der ganzen Sache zu tun hatte. Blitze waren im Grunde eine verrückte Angelegenheit, und wenn man zufällig von einem getroffen wurde, konnte man verdammt wenig dagegen tun.
Was Kollisionen anging, nun, Charlie, war ein megacooles Gerät, aber sein Programm umfaßte achthundertsiebenundfünfzig Millionen Zeilen. Ein gutes, solides, eingehend getestetes Programm, ausgespuckt über Parallelprozessoren, die weit schneller und präziser arbeiteten als das Nervensystem jedes menschlichen Fahrers. Aber Programm war und blieb Programm, und ein Programm konnte abstürzen. Sollte das Programm abstürzen, während Charlie gerade in einer bitverschlingenden Querfeldeinverfolgung begriffen war, dann würde Charlies Absturz das gleiche bedeuten wie ein Zusammenstoß mit einem präcybernetischen Fahrzeug: schnelles, hartes, dummes Metall gegen weiches, feuchtes, menschliches Fleisch.
Sie umrundeten eine brodelnde rückseitige Abscherung und erblickten zwei Zacken, die sich wie ein riesenhaftes Paar Antilopenhörner aus der Rückseite des Nimbusschelfs wanden. Die Zwillingszacken besaßen eine bizarre Schönheit und lösten bei Jane ein Gefühl tiefer Dankbarkeit und Ehrfurcht aus, wirkten aber höchstens wie zwei F-2. Es kam nur selten vor, daß einem ein unorthodoxer Gewitterteil einen richtig großen Zacken bescherte.
Nun, da das Ziel in Sicht war, machte Charlie sich ernsthaft an die Arbeit und kam ihm in kurzer Zeit ein beträchtliches Stück näher. Auf einmal war die Schleppe in der kühlen, feuchten Luft um sie herum spürbar. Nur ein Tornado erzeugte eine solche Schleppe. Wer die Schleppe einmal gehört hatte, konnte sie nie wieder vergessen.
Jane liebte die Schleppe. Die elementare Lärmflut sprach etwas in ihr an, das tief und ursprünglich war und so zart wie ihr Zahnfleisch. Sie stellte etwas mit ihr an, das erfüllender war als Sex. Ein Schwall rein ästhetischer Kampfeslust stieg ihr den Rücken hoch, daß sie meinte, sie werde jeden Moment aus der Haut fahren und ihre Feuerschwingen entfalten.
»Welchen willst du?« rief sie Rick zu.
Rick schob sich die mit Gummi eingefaßten Okulare des Verbindungskabels zu den Teleskopkameras in die Stirn. Ohne Brille wirkten seine Augen wie wahnsinnig, geweitet und fiebrig. »Nimm dir den vor, der zuerst Bodenberührung kriegt!«
Das Horn zur rechten schien das dominantere zu sein. Der komplizierten Maserung der dahinterliegenden Wolkenmasse nach zu schließen waren beide Zacken verzweifelt bemüht, auf einen langsamen Orbit umeinander einzuschwenken. Ricks Empfehlung klang vernünftig: der Zacken, der als erster den Boden berührte, würde wahrscheinlich eine bessere Aufwärtsströmung bekommen. Im Laufe der nächsten Minuten würde der Zwilling mit mehr Saft wahrscheinlich hungrig werden und den anderen auffressen.
Aber man wußte nie. Zacken waren auf dem Gebiet turbulenter Instabilität zu Hause, und manchmal reichte schon das kleinste Fitzelchen zusätzlicher Energie, sie in eine Monsterphase umkippen zu lassen… Jane stand kurz vor einer Entscheidung. Sie bremste den Wagen ab und blickte nach oben.
»Verdammt!« rief sie. »Der linke rotiert verkehrt rum!«
»Was?«
»Das ist ein Antizyklon! Guck mal, wie das verdammte Ding rotiert!«
Rick drehte den Kopf herum, wodurch die angeschlossenen Kameras auf der Stoßstange ebenfalls herumschwenkten. »Allmächtiger!« sagte er. Die Zacken rotierten in entgegengesetzte Richtungen.
Die Drehrichtung eines Wirbelsturms war vor dem Hintergrund des dräuenden, schwarzen Schelfs schwer zu bestimmen, aber Jane hatte die Bewegung gesehen, da gab es kein Vertun. Jane war platt. Zum letztenmal war ein antizyklonischer Zacken in den späten Neunzigerjahren dokumentiert worden. Auf der Nordhalbkugel auf einen im Uhrzeigersinn rotierenden Wirbelsturm zu stoßen, war ebenso verrückt, als träfe man auf der Straße jemanden mit zwei linken Füßen.
»Wir folgen dem Anomalen!« verkündete Jane. Sie griff unter den Sitz und holte kabellose Kopfhörer und ein Mikrofon hervor.
»Eine gute Wahl!« meinte Rick mit vor Unglauben gepreßter Stimme.
Jane schrie Charlie Befehle zu, wurde des verbalen Interfaces müde und zog das Lenkrad herunter. Sie schaltete in den computerunterstützten manuellen Modus, wobei ein Zerren am Lenkrad das Softwareäquivalent eines Ruckens am Zügel darstellte. Das war eine hervorragende Methode, einen Wirbelsturm zu verfolgen, vorausgesetzt, beim Pferd handelte es sich um eine intelligente Maschine, die tausendmal stärker und schneller war als man selbst. Eine ausgezeichnete Methode sogar, solange das Programm des Pferdes nicht beim Wechsel zwischen verschiedenen Modi abstürzte. Und solange man nicht vergaß, daß man eigentlich gar keinen Wagen steuerte, sondern vielmehr indirekt auf Richtung, Geschwindigkeit und Taktik des Fahrzeugs Einfluß nahm. Auf jeden Fall war es erheblich sicherer, als zwei Tornados manuell zu folgen. Trotzdem war es eine ausgezeichnete Methode, sich umzubringen.
Rick gab der Truppe lautstark einen Lagebericht durch, während er gleichzeitig den Antizyklon mit den Teleskopkameras photometrisch vermaß. Jane dachte besorgt an die Düppel-Bazooka im Kofferraum. Die Bazooka-Salven waren so verflucht teuer, daß sie nie Gelegenheit gehabt hatte, sich wirklich vertraut damit zu machen. Rick hielt sich unglücklicherweise für einen hervorragenden Schützen, als wäre es ein Mordsspaß, bei dem man Rehe mit einer lautlosen, elektrischen Schnellfeuerwaffe mit Laserzielvorrichtung erlegte. Rick war jämmerlich schlecht im Umgang mit der Bazooka und zu sehr von sich eingenommen, während sie jämmerlich schlecht, sich dessen aber zumindest bewußt war.
Sie stupste Rick gegen die Schulter. »Wo sind die Thopter?«
»Sind unterwegs. Wird noch eine Weile brauchen.«
»Dann muß ich den Antizyklon vom Boden aus mit Düppeln bombardieren«, sagte sie.
»Das ist doch zwecklos, Janey! Der Radarbus hat gerade erst die Stangen aufgestellt, die Daten werden nur an SESAME gehen!«
»Dann soll SESAME eben die Daten kriegen, wir müssen ihn jetzt festnageln, das verdammte Ding ist ein Linkshänder! Im Dienst der Wissenschaft!« Sie ließ Charlie auf freiem Feld anhalten, öffnete die Tür und sprang ins kniehohe Gras hinaus.
Aus der Deckung von Charlies Dach hervor war das Geräusch der Schleppe gewaltig, markerschütternd, kosmisch. Jane rannte um den Wagen herum, wühlte im Kofferraum und löste die Klettverschlüsse der Bazooka. Es war noch zu früh, die Zacken in Augenschein zu nehmen. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt schon aus der Fassung bringen zu lassen.
Sie fand die Düppel-Rakete, schnallte sie los. Entfernte den gelben Sicherheitsstreifen. Drehte die Rakete herum, um sie scharf zu machen. Klappte das Visier der Bazooka hoch. Schaltete die Bazooka ein. Bootete den Flugbahnrechner der Bazooka. Charlie vibrierte vom Geräusch der Schleppe, und heftige Windböen nachfolgender Aufwärtsströmungen zerrten am Gras.
Die Bestückung der Bazooka mit Düppeln war ein äußerst komplizierter Vorgang. Die Tätigkeit hatte einen großen, intellektuellen Reiz, was einem Zustand starker emotionaler Erregung entsprach. Es war, als konzentrierte man sich ganz bewußt darauf, jemand anders langsam zum Orgasmus zu bringen.
Jane trat ins Freie hinaus, verschaffte sich einen sicheren Stand, hob die Mündung an und spähte in die Zielvorrichtung der Bazooka. Sie drückte den ersten Auslöser. Ein rotes Lämpchen flammte auf. Sie gabelte den Tornado auf dem Zielbildschirm ein. Das rote Lämpchen ging aus, und ein grünes ging an. Jane drückte den zweiten Auslöser.
Die Rakete startete mit einem die Waden versengenden Hitzerückstoß und flog direkt auf den Zacken zu. Sie sackte in den Turbulenzen ein paarmal kurz ab und verschwand dann unmittelbar in der rotierenden Düsternis; nicht unbedingt mitten ins Schwarze getroffen, aber gar nicht so schlecht. Jane beobachtete glücklich die Anzeige und wartete auf das Detonationssignal vom Explosivkanister der Düppel.
Nichts. Sie wartete.
Nichts. Schon wieder so ein gottverdammter Blindgänger.
Jane senkte tiefenttäuscht die qualmende Bazooka und bemerkte zu ihrer Rechten auf einmal etwas Bewegtes und Farbiges. Unmittelbar rechts von ihr, vielleicht in zehn Metern Entfernung, hatte ein TV-Team mit einem Geländefahrzeug gehalten. Eine Korrespondentin mit Kopfmikrofon und einem reizenden gelben Regenmantel mit Armgelenken aus Messing war herausgesprungen. Sie machte gerade eine Aufnahme.
Nicht von den Tornados. Von Jane.
Jane war live im Fernsehen. Als sie es merkte, wurde sie von heftiger, irrationaler Wut überwältigt. Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig beherrschen, sonst hätte sie die Mündung herumgeschwenkt und damit gedroht, die Reporter in die Luft zu jagen, bloß um die Scheißkerle davonrennen zu sehen. Die Bazooka war jedenfalls ungeladen, und sie hatte keine Düppel mehr, und das war auch gut so, denn sonst wären die Typen mitsamt ihrem Allerweltsspot in die Luft geflogen. Jane wandte sich von den Kameras ab, biß die Zähne zusammen, verstaute die Bazooka mit professioneller Gründlichkeit, rannte um den Wagen herum, stieg wieder ein und knallte die Tür zu.
»Das war Klasse!« rief Rick. »Verdammt noch mal, Janey, du bist gut mit dem Ding!«
»Das war ein Blindgänger!« schrie Jane zurück.
»Oh, Shit!«
Jane schaltete die Geräuschunterdrückung der Kopfhörer ein. Das Tosen der Schleppe verstummte abrupt, jede einzelne Schallwelle wurde von einem Sound-Chip im Kopfhörer ausgelöscht. Das widerhallende Donnern wurde von einer unheimlichen, künstlichen, eigenartig feucht klingenden Stille ersetzt, als hätte sie den Kopf in einen großen, ausgehöhlten Kürbis gesteckt.
Als Rick ihr wieder etwas zurief, war seine Stimme ein flaches, gefiltertes Dröhnen. »Rechts haben wir einen Staubwirbel! Wir werden den Antizyklon noch verlieren.«
»Hab ich mir schon gedacht«, murmelte Jane, der die eigene Stimme laut in den Ohren klang. Rick hob seine Brille an, bemerkte, daß Jane die Geräuschunterdrückung eingeschaltet hatte, nickte erwartungsvoll, holte seinerseits einen Kopfhörer unter dem Beifahrersitz hervor und setzte ihn auf.
»Man kann sie halt nicht alle festnageln«, murmelte Rick feucht über Kopfhörer. »Jedenfalls bekomme ich hervorragende photometrische Daten rein. Geh näher an den linken ran.«
Der Zacken zur Rechten hatte jetzt Bodenberührung und versuchte sich zu stabilisieren. Er pflügte in einem Kilometer Entfernung durch einen Flecken hohen Grases und wirbelte eine Wolke aus Dreck und Stroh auf. Noch keine größeren Brocken, aber das Stroh war kein Witz; Tornado-Stroh, das waren fliegende, hochbeschleunigte Nadeln, die in der Lage waren, Bretter und selbst Baumstämme zu durchbohren.
Sie befahl Charlie, die Verfolgung fortzusetzen, wobei sie dem rechten Zacken auswich und näher an den Antizyklon heranging. Er hatte noch keine Bodenberührung, und es schien fraglich, ob er jemals welche bekommen würde. Der hintere Tornado wurde allmählich hinter die Front gezogen, in den Windschatten seines größeren Bruders hinein, wobei er vor Empörung ausschlug und sich krümmte.
Tornados waren keine Lebewesen. Tornados hatten keinen eigenen Willen, sie empfanden weder Freude noch Schmerz. Im Grunde waren Tornados lediglich mächtige Stürme. Bloße atmosphärische Wirbel, natürliche Gebilde aus sich rasch bewegender Luft, die blindlings den Gesetzen der Physik gehorchten. Einige dieser Gesetze waren allerdings seltsam, kompliziert und nichtlinear, daher war das Verhalten der Wirbelstürme bisweilen unberechenbar, aber Tornados hatten nichts Magisches oder Mystisches an sich, sie gehorchten den Naturgesetzen, und Jerry verstand diese Gesetze. Er hatte Jane deren Wirkungsweise in stundenlangen Computersimulationen geduldig demonstriert. Jane wußte dies alles mit rationaler Gewißheit.
Aber dennoch tat Jane der Antizyklon unwillkürlich leid. Dieses mutierte, linkshändige, arme kleine Ding… das gewaltige, böse, wunderschöne Ding…
Der rechte Wirbelsturm hob vom Boden ab, schnürte sich ein und vollführte auf einmal ein größeres und entscheidendes Manöver. Er riß sich aus seiner ursprünglichen Verankerung an der Rückseite des Unwetters los und stürmte Hals über Kopf voran. Das ganze Gebilde der Wolkenbasis brach vor ihm zusammen wie eine einstürzende Decke und wurde in nebliges Chaos geschleudert. Das hinterherschleifende, gebogene Ende, das der Antizyklon war, bockte, schrumpfte und wurde aufgesogen.
Eine blendende Sturzflut nahezu horizontalen Regens ging auf die Landschaft nieder. Der Zacken verschwand dahinter.
Jane wirbelte augenblicklich herum und machte sich daran, den rechten Rand des Unwetters zu umfahren. Das Ausweichmanöver erforderte zwölf lange Minuten rasender Verfolgungsjagd und eine bedenkliche Menge Batteriestrom. Unterwegs begegneten sie einer dahinstürmenden Armada von drei Fernsehteams, fünf Gruppen vor Hobbyzuschauern in schrottreifen Bussen und zwei Hilfssheriffs.
Vor dem Tornado war der Himmel bedeckt, eine endlose Prärie feuchter, instabiler Golfluft, Zunder vor einem Buschfeuer. Als Jane den Zacken wieder sichtete, war er ein gedrungener, massiver, brüllender Keil, der unmittelbar in der Tasche des Strömungsausläufers saß und wie ein Schwerlaster vorwärtsstürmte. Sie legte SESAME auf den Monitor und schaltete Mikrofon und Kopfhörer auf den allgemeinen Truppenkanal. »Hier Jane in Charlie. Wir haben den Zacken wieder gesichtet! Das ist ein Mega-F-4 am Boden und im Ausläufer! Da ist noch eine Menge drin, Ende!«
»Hier spricht Joe Brasseur von der Navigation. Verstanden, Jane. Vor eurem Zacken liegt bewohntes Gebiet - Quanah, Texas. Verfolger, achtet auf flüchtende Fahrzeuge! Achtet auf Zivilisten! Achtet auf Trümmer in der Luft oder am Boden! Vergeßt nicht, Leute, ein Tornado geht vorbei, aber ein Anwalt läßt niemals locker. Ende.«
Was die Einwohner von Quanah bewerkstelligt hatten, war schon beeindruckend. Am Rande des Ödlands begegnete man allen möglichen Leuten, meistens ziemlich unzivilisierten, aber die Einwohner von Quanah waren ein ganz besonderer Schlag. Viel mehr als dreitausend waren es nicht. Die meisten hatten sich im Gefolge des schweren Wetters dort niedergelassen. Es waren harte, gewitzte und ausdauernde Leute, und sie besaßen eine Art Zivilcourage, die man nur als Pioniergeist bezeichnen konnte.
Sie bewässerten keine ungeschützten Felder mehr, denn angesichts des sinkenden Grundwasserspiegels war das illegal und außerdem sinnlos. Aber sie bauten genmanipuliertes Getreide mit verbessertem Chlorophyll an und hatten mit Gewächshäusern beachtliche Erfolge erzielt. Riesige, wunderschöne Gewächshäuser mit mächtigen, geschwungenen Holmen aus Schaummetall und ausgedehnten gerippten Flächen aus taubesetzter durchsichtiger Membran, Gewächshäuser, so groß wie Kornfelder, Gewächshäuser, die im Grunde Kornfelder waren. Riesige Ansammlungen sorgfältig konstruierter, moderner, feuchtigkeitsundurchlässiger Gewächshäuser, dicht an dicht ordentlich über die Landschaft verteilt, wie eine gewaltige Decke aus Bubblepak.
Der F-4 wanderte mitten in die Ansammlung aus Gewächshausblasen hinein und richtete ein Chaos an. Er zerstampfte einfach die großen Kuppeln aus Bubblepak und riß sie auf, was jedesmal einen scharfen Knall zur Folge hatte, den man noch in einer Meile Entfernung in den Knochen spürte. Die Unmengen feuchter Luft im Innern der geborstenen Kuppeln strömten augenblicklich als dicke, brodelnde Wolken kondensierenden Nebels nach oben, und aufmerksam beobachtet von der verblüfften Jane, schlürfte der F-4 den köstlichen Brodem warmer, feuchter Luft in sich hinein wie ein Tequilas pichelnder Trinker.
Er legte jedes einzelne Gewächshaus in Trümmer, das sich ihm in den Weg stellte, und zerstörte sämtliche darin befindlichen Gewächse.
Die Einwohner von Quanah waren nicht bloß Farmer. Sie waren moderne Biolandwirte. Sie hatten eine Silageraffinerie aufgebaut: mit Schornsteinen, Türmen, Fermentationskammern. Sie brachten die schlechteste Ernte der ganzen Welt ein: wildwachsende Pflanzen, Büsche, Mesquit, Kakteen, was sich gerade anbot - und verarbeiteten sie zu nützlichen Produkten, zu Zucker, Stärke, Öl, Zellulose. Silageraffinierung war ein dermaßen komplizierter, mühseliger Prozeß, daß er kaum Gewinn abwarf. Er bot jedoch einigen ehrbaren Bürgern Arbeit. Und er machte ehrenvollen Gebrauch von den ausgedehnten verlassenen Landstrichen der westtexanischen Hochebene. Silageraffinierung bedeutete, etwas unter denkbar schlechtesten Voraussetzungen aus dem Boden zu stampfen.
Der F-4 wanderte in die Silageraffinerie hinein und zerfetzte sie. Er hob die Rohrleitungen hoch, knipste sie säuberlich an den Nahtstellen ab und verformte sie, als würden sie mit Ultraschallkeulen bearbeitet. Er bog die Raffinerietürme, bis sie entzweibrachen und auf den Boden krachten, und er verteilte ein giftiges, warmes Gemenge aus genmanipulierter Hefe und Pilzen kilometerweit im Umkreis. Er zerschmetterte Fenster, deckte Dächer ab, brachte Betonfundamente zum Bersten und schloß Generatoren kurz. Im Handumdrehen tötete er drei Raffineriearbeiter, die sich aus Pflichtgefühl und Starrsinn nicht in Sicherheit gebracht hatten. Nachdem der Tornado die halbe Raffinerie zertrümmert und den Rest aufgerissen hatte, traf sein Verbündeter, der Regen, ein und durchweichte alles, was der frischen Luft ausgesetzt war.
Anschließend pflügte der Tornado durch das flache Schachbrettmuster der Straßen von Quanah, zertrümmerte Häuser und Läden, zerschmetterte die alten Bäume rund um das Gerichtsgebäude und zerstörte einen Tanzsaal.
Als er mit dem Städtchen Quanah, Texas, fertig war, stürmte er mit unverminderter Gewalt auf den Red River und die Einwohner von Oklahoma zu.
Als Jane zurück zum Lager kam, war es fünf Uhr morgens. Während der langen Rückfahrt hatte sie ein wenig auf dem Fahrersitz geschlafen, aber eigentlich hatte sie viel zuviel Adrenalin im Leib, um Ruhe zu finden.
Sie steuerte den Wagen unter eines der Garagenzelte und rüttelte Rick wach. Rick erhob sich schlaftrunken und stolperte wortlos zu seinem Wigwam.
Jane ging steifbeinig und zitternd zur Kommandojurte. Jerry war nirgends zu sehen, und alle Geräte waren abgeschaltet.
Sie ging zu ihrem Lieblingswigwam, das normalerweise für Stelldicheins benutzt wurde.
Jerry lag in einem Schlafsack auf dem Bubblepak-Boden und schlief.
Jane legte ihre durchgeschwitzten Klamotten ab und schlüpfte zu ihm in den Schlafsack.
»Du zitterst ja«, sagte er.
»Yeah«, meinte Jane und begann noch heftiger zu zittern. »Wenn es Todesopfer gibt, kriege ich immer das große Zittern.«
»Da können wir nichts dran ändern«, sagte er sanft. »Wir legen bloß Zeugnis ab.«
Jane blickte in die dunkle Kegelspitze des Wigwams hoch. Durch den Rauchabzug sah sie die Sterne. Sie fühlte sich zerschlagen, zitterte vor Anspannung und roch wirklich übel.
»Mein Leben hat sich vollkommen verändert, seit ich dir begegnet bin«, sagte sie. »Du verrückter Hurensohn.«
Jerry lachte und legte ihr die Hand auf die rechte Brust. »Yeah?«
»Wirklich. Ich habe Menschen umkommen sehen… Ich bin mit zweihundert Stundenkilometern über Highways gerast. Ich bin aus Flugzeugen abgesprungen. Ich bin auf einen Sendemast raufgeklettert und davon heruntergesprungen, und ich habe die Frau zusammengeschlagen, die mir das beigebracht hat.«
»So schlimm war das nicht«, sagte Jerry. Er drückte sein verstoppeltes Gesicht an ihren Hals.
Jane zitterte noch heftiger. »Ich würde gern ein einziges Mal mit dir in einem Bett vögeln«, sagte sie. »Auf einer Matratze und mit sauberen Laken. Nachdem wir beide geduscht haben. Und ich trüge irgendeinen Fummel und hätte vielleicht etwas Parfüm aufgelegt. Würde dir das gefallen, Jerry? Parfüm?«
»Ich würde lieber wissen, wo die Kondome sind. Hast du eine Ahnung?«
»Die müßten unter dem Utensilienbeutel stecken, es sei denn, jemand anders hat sie alle aufgebraucht.«
Jerry stieg nackt aus dem Schlafsack, fand nach längerer Suche ein Kondom und kroch wieder in den Schlafsack. Seine Haut hatte sich in der Nachtluft abgekühlt. Jane erschauerte heftig.
Jerry drehte sie auf den Bauch und machte sich mit seinen kräftigen Händen über ihre Schultern her. »Dich hat's heute schlimm erwischt«, meinte er.
Sie nickte. »Das tut gut. Mach weiter. Vielleicht überleb ich's dann.«
Schweigend und energisch arbeitete Jerry sich von den Schultern die Wirbelsäule und den Brustkasten entlang nach unten und folgte ihren Nerven, die wie verknotete Angelschnüre waren. Es tat so gut, sich von jemandem berühren zu lassen, dem sie vertraute. Von jemandem, der weder aufhörte noch zögerte, der genau wußte, was er tat, und der ihr noch nie weh getan hatte. Er löste die Verkrampfungen, und das fühlte sich an, als triebe er kleine Teufel aus ihrer Haut aus. Jane streckte sich bäuchlings lang, und Glieder und Lider wurden ihr schwer.
Irgendwann wälzte sie sich herum und streckte einladend die Arme aus. Er küßte sie flüchtig, streifte das Kondom über, stieg über sie und stützte sich auf die Ellbogen. Mit einem Stoß glitt er auf einem öligen Latexfilm in sie hinein.
Sie stemmte die Füße in seine Kniekehlen. »Kurz und zärtlich, okay?« wisperte sie. »Ich bin echt müde, Schatz. Hinterher schlafe ich auf der Stelle ein, das versprech ich dir.«
»Ist gut«, sagte er und nahm seinen Lieblingsrhythmus auf.
»Besorg's mir, aber nicht so, daß die Erde bebt.«
Er gab keine Antwort.
Er war nicht grob, und er war niemals leichtsinnig, aber er war ein großer Mann, anderthalb Köpfe größer als sie, und er war wirklich kräftig. Auf dem Rücken hatte er Muskelstränge, wo andere Leute gar keine Muskeln hatten. Er war weder akrobatisch noch besonders raffiniert, machte allerdings auch nie zu früh schlapp. Und wenn er richtig auf Touren kam, fand er in den Groove und blieb auch drin.
Sie biß die Zähne zusammen, warf den Kopf in der sanften Dunkelheit hin und her und hatte einen Orgasmus. Sie tauchte keuchend und vollkommen entspannt daraus hervor, alle Anspannung war aus Kiefer und Schläfen verschwunden, und ihre Arme waren erschlafft.
Er hörte auf, verharrte über ihr und ließ sie wieder zu Atem kommen. Unter ihrem Hals war ein großer Stein, unter dem Schlafsack und dem Bubblepak, und sie wand sich auf dem Rücken hin und her, bis der Druck aufgehört hatte. Eben noch war sie hundemüde gewesen, doch nun war sie in die heiße, lebensspendende Energie ihrer Libido gehüllt, und alle Mühsal und die Schrecken des Tages waren etwas, das irgendwo einer anderen Frau zugestoßen war. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme rauh und leise.
»Das mit der Erde hab ich mir anders überlegt.«
Er lachte. »Das sagst du jedesmal.«
»Wenn du mich nicht auf dich raufläßt, werd ich ein bißchen schreien müssen.«
»Na los, schrei nur«, sagte er und bewegte sich heftig. »So laut schreist du nun auch wieder nicht.«