13. Kapitel

Bei Kathrin konnte ich mich immer so gut entspannen, doch heute hatte sie mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ohne Vorankündigung war auch eine Hexe anwesend und das machte mich natürlich nervös. Von dieser Frau ging eine unterschwellige Macht aus, die ich nicht zuordnen konnte. Kathrin hatte sie mir nur als Luise, Wahrsagerin und Frau fürs Außergewöhnliche vorgestellt, weil es ihrer Meinung nach an der Zeit war mit meiner Ausbildung zur Hexe anzufangen. Kurz entschlossen hatte sie also diese Dame mit zu unserer Therapiestunde eingeladen, ohne mir vorher Bescheid zu geben. Was mich im Prinzip ziemlich sauer machte, weil ich mich überrumpelt und bevormundet fühlte. Sie bemerkte es natürlich.

„Komm schon! Das war so spontan und kurzfristig, da hätte ein schneller Anruf vor zehn Minuten auch nichts gebracht, oder? Wir plaudern ja nur mal, was du für Möglichkeiten hast“, zwitscherte Kathrin, die durchaus wusste, wie sehr sie mich hier gerade überrollte. „Ganz unverbindlich. Du verlierst ja keine Therapiestunde, sondern gewinnst neue Perspektiven und Möglichkeiten.“ Was für mich nichts anderes war als Klugscheißen im Therapeutenjargon. Aber so unfreundlich wollte ich das natürlich nicht sagen.

„Aber ich weiß doch noch gar nicht, was ich wirklich will“, protestierte ich und warf einen schrägen Seitenblick auf Luise, die eigentlich recht hübsch anzusehen war, obwohl ihre Augen von einem stechenden blau mit einem Hauch von Lavendel waren. Und die soll mich unterrichten? Die Dame war ja gut zehn Jahre jünger als ich und bedeutend besser gebaut. Ups. Das sollte doch wohl kein Kriterium für oder gegen sie sein.

„Siena! Keine Angst! Luise ist sehr einfühlsam. Am besten du erzählst ihr von deinen Drachenerlebnissen und dann wird sie schon wissen, was zu tun ist“, beschwichtigte Kathrin, die durchaus merkte, wie unwohl ich mich fühlte. Immerhin hatte sie zu einem vertraulichen Gespräch eine fremde Person dazu geholt.

„Ich finde Drachen aufregend“, stellte die Fremde mit den seltsamen Augen fest. Vermutlich, um mich lockerer zu machen. Doch sie lächelte kein bisschen bei ihren Worten und ich spürte, wie sich erste Alarmglocken in meinem Innersten regten. Vielleicht war es auch nur Unsicherheit oder sogar Neugierde. Denn, wenn die Dame wirklich etwas über Drachen wusste, konnte sie mir vielleicht doch irgendwo auch den richtigen Weg weisen. Mein Gefühl sagte zwar etwas anderes, aber vielleicht hatte Kathrin ja Recht. Sie war schließlich diejenige, die in Sachen Psyche geschult war und oft genug wusste, was ich brauchte oder nicht. Womöglich sollte ich mich wirklich einmal für eine Stunde auf ein Gespräch mit dieser Hexe einlassen.

„Wann hattest du denn erstmals Kontakt?“, fragte die Hexe frei heraus und starrte mich aus ihren lavendelfarbenen Augen an. Ihre Haare waren blond und kurz und im Gegensatz zu meinen heller und sehr dünn. Ich hatte dunkelblondes Haar, das mir bis über die Schultern reichte. Meine Augen waren nicht blau sondern grün und ich hatte eine große Oberweite, war von mittlerer Größe und immer noch leicht übergewichtig. Wobei ich das mittlerweile als Bonus sah. Knochig und hart wollte ich einfach nicht sein. Komisch? Warum überlegte ich mir das gerade jetzt? Steuerte ich etwa auf ein bescheuertes Konkurrenzverhalten zwischen Frauen zu? So etwas sah mir doch gar nicht ähnlich.

„Äh, das war in Hongkong. Vor ein paar Jahren war ich dort auf Kurzurlaub – mit meinem Ex. Damals kriselte es schon sehr und ich fühlte mich in dem Hotelzimmer überhaupt nicht wohl. Kulturschock sagt man wohl dazu, denn ich hatte das Gefühl am völlig falschen Kontinent zu sein. Vielleicht lag es auch an dem Vorurteil, dass Chinesen uns angeblich nicht mögen und als stinkende Langnasen bezeichnen. Offenbar ist es erwiesen, dass wir mehr schwitzen als die gelbe Rasse. Aber das gehört jetzt hier nicht her.“ Ich bemerkte, dass ich plapperte, aber es war nicht so einfach es effizient auf den Punkt zu bringen. „Vielleicht lag es auch nur an der vielen Elektronik, die direkt neben meinem Kopf ins Bett eingebaut war.“

„Siena! Bitte komm zum Punkt“, mahnte mich Kathrin, die mich bisher nur schwafelnd erlebt hatte, wenn ich unsicher war. Trotzdem wollte ich mich nicht hetzen lassen. Mit nur einem Blick gab ich ihr das zu verstehen. Doch dieses Mal verstand sogar die Hexe schneller als meine Therapeutin.

„Schon gut, erzählen Sie ruhig weiter. Ich bin sehr interessiert“, meinte sie und versuchte sogar ein Lächeln.

„Also gut!“ Ich nickte ihr leicht zu. „Jedenfalls war das Zimmer eine Katastrophe. Oder besser: Die Atmosphäre darin war es. Und deswegen konnte ich natürlich nicht einschlafen. Es war zum Haare raufen, denn ich war vom langen Flug wirklich erledigt und wollte für den morgigen Tag fit sein. Also lag ich in dem Bett, hörte meinem Ex beim Schlafen zu und hatte plötzlich die Idee mich wie ein chinesischer Drache zu fühlen. Es war wie eine Eingebung oder auch nur ein momentaner Tick, aber ich atmete wie ein Drache, bewegte mich wie einer, sah wie einer ... und dann passierte etwas Seltsames.“

„Und was?“, fragte plötzlich Kathrin, weil wir über mein erstes Drachenerlebnis nie genauer gesprochen hatten. Komisch eigentlich.

„Es folgte ein lautloser Knall, eine Explosion auf anderer Ebene. Ein greller, gelber Schein. Als würde ein plötzlicher Blitz die ganze vergiftete Atmosphäre des Hotelzimmers reinigen ... oder auch nur mein Innerstes. So genau kann ich das schließlich nicht sagen. Aber es war extrem ungewöhnlich und deutlich spürbar, denn mit einem Mal war die aggressive Missstimmung im Zimmer verschwunden. Wie von einer spirituellen Bombe weggefegt, die nichts anderes übrig ließ als einen Neubeginn. Mit einem Mal öffnete sich etwas wie eine Türe und zeigte mir lauter interessante Bilder, die ich offenbar im Laufe meines Lebens zu China gespeichert hatte, oder die vielleicht auch einfach nur so in dieser Atmosphäre herumschwirrten. Buddhas, Kraniche, chinesische Schriftzeichen und vieles mehr.“ Ich holte tief Luft und bemerkte, wie seltsam mich beide Frauen ansahen. Tief bewegt, vielleicht sogar beeindruck. Als hätte ich gerade von einem riesengroßen Schatz erzählt.

„Oh“, keuchte die junge Hexe und wandte sich mir nun noch deutlicher zu. „Das heißt der Drache hat sich dir zu erkennen gegeben. Das ist ... das ist ungewöhnlich ... ein richtiges Geschenk. So etwas erlebt man wirklich selten, wenn überhaupt. Dein magisches Tier hat sich dir also aufgedrängt, dir geholfen und den Weg gewiesen. Ich bin beeindruckt. Der Drache ist offenbar ...“ Sie hustete kurz in ihre Faust, als hätte sie zu viel Spucke in ihrem Mund. „... dein Totem.“

„Mein Totem?“

„Oder Krafttier.“

„Wie bei den Indianern?“, fragte ich unsicher und Luise nickte mir zu.

„Die Schamanen jeden Volkes können verschiedenste Krafttiere benennen und jedes von ihnen hat eine eigene Bedeutung. Ich bin jetzt nicht so bewandert in Schamanismus, aber der Drache steht – soweit ich weiß – für Transformation, große Macht und Weisheit. Meiner Meinung nach war er schon immer das stärkste aller Krafttiere.“ Dabei sah sie mich an, als würde sie nicht glauben, dass ausgerechnet ich solch einen Zugang zu dem Tier hatte. Offenbar herrschte hier gerade tatsächlich eine Art Konkurrenz zwischen uns. Was ich nicht so ganz nachvollziehen konnte und daher zu ignorieren versuchte.

„Aber bitte! Erzähle doch weiter!“ Sie versuchte freundlich zu lächeln.

„Also gut. In dieser Vorstellung war ich tatsächlich ein Drache. Aggressiv und wirklich chinesisch, aber ich schaffte es mit dieser Vorstellung einzuschlafen und ab diesem Zeitpunkt hatte ich in Hongkong kein Problem mehr mit dem Schlafen. Das Zimmer war wie gereinigt und ich hatte sogar den Eindruck, dass ein paar der chinesischen Gäste des Hotels plötzlich mit anderen Augen ansahen. Als hätten sie von meinem nächtlichen Erlebnis gewusst oder eine Schwingung aufgefangen, die ich ja selber noch nicht einmal verstehen konnte.“

„Interessant!“

„Wie bitte?“ Mit einem Mal dachte ich wieder an diesen Thomas, der genau das gleiche Wort zu Francesko gesagt hatte. Ein Zittern ging durch meinen Körper. Alleine die Erinnerung an den Mann wühlte mich auf.

„Egal“, meinte die Hexe und warf mir einen schiefen Blick zu, als könnte sie meine Gefühlsauflösung spüren, aber gerade nicht zuordnen. Ablenken wollte sie sich aber offenbar nicht lassen. „Erzähl einfach weiter!“

„Okay.“ Ich mochte ihren Ton nicht, aber im Prinzip war ich ihr dankbar für die Ablenkung von dem blonden Hünen in meinem Kopf. „Das war also mein erstes Erlebnis“, setzte ich fort. „Dann hatte ich für Jahre keinen Kontakt oder Zugang mehr. Doch als ich mit meinem zweiten Mann dann in Österreich in einem sehr verschrobenen Ort namens St. Kathrein Skifahren war, passierte es erneut. Wir bekamen ein Zimmer, indem wir nicht und nicht einschlafen konnten, obwohl wir total müde waren und das Zimmer absolut in Ordnung war. Da wir mit dem Einschlafen aber nie Probleme gehabt hatten, war dieser Umstand wirklich ungewöhnlich und für mich durchaus eine Überlegung wert, es noch einmal wie in Hongkong zu probieren. Ich erinnerte mich also daran, was ich vor Jahren in Hongkong gemacht hatte und schwor erneut einen Drachen herauf.“

„DU hast einen Drachen heraufbeschworen?“, fragte die Hexe ungläubig und ich nickte ihr wie selbstverständlich zu.

„Ja und?“

„Ja und!!!“, fuhr sie mich an und in ihren Augen schienen kleine Blitze zu explodieren. „Dafür braucht man jahrelange Erfahrung, gute Bücher und eine genaue Anleitung. Niemand kann nur einfach so einen Drachen heraufbeschwören. Wenn er sich dir aufdrängt, wird das schon seinen Grund haben, aber BESCHWÖREN??? Nein, das kann ich nicht glauben!“ Sie war entrüstet wie ein Pfarrer, der Blasphemie witterte oder dessen Welt man schlicht auf den Kopf gestellt hatte. Doch ihre übertriebene Emotion ließ mich überraschend kalt. Sie brachte mich sogar eher zum Lächeln, was vermutlich einem gewissen Maß an Hochmut entsprang. Ich wusste schließlich was ich erlebt hatte und was ich konnte. Diese Hexe sollte sich also nicht ihren schönen Mund verbrennen. Mein Blick wurde kälter und ich wandte mich dem kleinen Hexchen direkt zu.

„Du wolltest hören, was ich erlebt habe, also solltest du vielleicht nicht gleich dazwischen quatschen oder vorschnelle Bewertungen abgeben. Es ist nicht so, dass ich Rituale und Regeln nicht respektiere. ES IST NUR SO, DASS ICH SIE NICHT BRAUCHE!“ Und das sagte ich mit einer Intensität, die ihr klar machen musste, dass ich Frechheiten nicht dulden wollte. Die Augen der kleinen Hexe wurden doppelt so groß. Selbst Kathrin verändert ihren Blick und ihre Haltung. Beide spürten wohl die Wut in mir und beide wollten offenbar keine direkte Konfrontation. Gut so, dachte ich mir und lehnte mich wieder zurück. Am besten ich erzähle einfach weiter.

„Gut, also wie gesagt ... ich BESCHWOR einen Drachen, doch der in St. Kathrein unterschied sich von dem in Hongkong ganz deutlich. Etwas, das ich aber nicht bewusst gesteuert oder gewollt hatte, letztendlich aber verstanden hatte. Andere Länder, andere Gepflogenheiten und andere Tiere. So auf die Art halt. Das Land, die Geschichte, die Menschen und ihre Vorstellungen waren also offenbar von Bedeutung für das Aussehen und die Art eines Drachen. Dennoch war ich richtig überrascht in welch neuer Gestalt er sich präsentierte, denn er war weiß mit leuchtend grünen Augen, größeren Flügeln und einem golden schimmernden Bauch. Der Drache war wahrlich fantastisch! Dabei hatte ich bis zu dem Zeitpunkt gar nicht gewusst, dass es überhaupt so etwas wie weiße Drachen gibt.“ Ich grinste verträumt bei der Erinnerung, weil das Tier einfach wunderschön gewesen war. Dieser Drache hatte mich und Georg mit seinen riesigen Flügeln beschützt und abgeschirmt, vor ... was auch immer. Und ab dem Zeitpunkt war das Schlafen in diesem Zimmer kein Problem mehr gewesen.

Als ich zu den beiden Damen blickte, sah ich in zwei völlig verblüffte Gesichter.

„Habe ich dir das nie erzählt, Kathrin? Der weiße Drache war doch ausschlaggebend für meine Internetrecherche“, erklärte ich und Kathrin räuspert sich.

„Nein, du hast nur erzählt, dass du über weiße Drachen im Netz recherchiert hast, mehr nicht.“

„Oh! Naja. Vielleicht war ich damals noch nicht so überzeugt, dass dieses Erlebnis real gewesen sein könnte. Egal. Ich hatte Kontakt mit diesem weißen Drachen und war dieses Tier zu dem Zeitpunkt auch irgendwie selbst. Erst zuhause habe ich dann versucht über Drachen mehr herauszubekommen und durch ein Drachenbuch festgestellt, dass es – neben den Drachen des Feuers, der Erde, der Luft und des Wassers auch die zwei Drachen im Zentrum gibt und die sind wie bei Yin und Yang schwarz und weiß.“

„Ha!!!“, zischte die Hexe. „Du hast das alles in einem magischen Buch über Drachen gelesen!“

„Um ehrlich zu sein, habe ich aus dem dicken Wälzer ganze fünf Seiten gelesen, denn mit den Ritualen, die da drinnen standen, konnte ich nichts anfangen. Mir ging es um Fakten und die standen eben in diesen fünf Seiten. Wie gesagt: Ich wusste vorher nicht einmal, dass es unterschiedliche Drachen gibt.“

„Blödsinn! Du hast das alles aus einem Buch. Niemand kann ohne Ritual einen Drachen rufen. Niemand“, wiederholte sie total fuchtig und ich ging so derart in Saft, dass ich aufsprang und mich wütend zu ihr beugte.

„WER sagt das und wieso, verflucht, will mir ständig jemand sagen wo meine Begrenzungen anfangen?“ Ich war total sauer und in Gedanken nahe daran meine Zähne in den Hals dieser lächerlichen Hexe zu schlagen, ... als Kathrin auf ihre übliche Weise mit den Nägeln auf den Tisch trommelte. DAS funktionierte mittlerweile wie eine Konditionierung, denn damit holte sie mich immer gut aus müßigen Gedanken, dunklen Fantasien oder purer Aggressivität.

„Ganz ruhig, Süße“, beruhigte sie mich mit ihrer tiefen Stimme. „Luise kennt diese Möglichkeit des Kontaktes eben nicht. Gib ihr ein wenig Zeit! Sie wird schon sehen, was du alles so drauf hast, Schätzchen.“

„Danke!!!“, mischte sich nun die Hexe ein. „Ich schätze ich weiß jetzt, dass die Dame das pure Nitroglyzerin ist“, ätzte sie und sah mich an, als wäre ich Luzifer höchstpersönlich.

„Ganz ruhig, Luise! Siena ist eine sehr temperamentvolle Frau und ich denke es ist IHRE Stunde, also lassen wir sie doch einfach weitererzählen und ganz am Schluss sagst du uns dann was für ein Bild du gewonnen hast.“ Kathrin grinste wissend, weil sie wusste was als Nächstes kam. Ihr hatte ich bereits von meinem intensiven Erlebnis mit dem schwarzen Drachen erzählt und sie sah dieses Erlebnis offenbar als das Tüpfelchen auf dem I.

„Gut, dann fahre ich fort“, zischte ich, warf noch einen halbgiftigen Blick in die lavendelfarbenen Augen und nahm wieder Platz. Wenigstens hatte das Hexchen begriffen, dass ich kein einfacher Zauberlehrling war. „Es gibt also zwei mächtige Drachen. Der weiße steht, laut diesem Buch, für das Licht und der schwarze für die Dunkelheit. Beide Drachen gemeinsam sind wie das Zentrum, das die Elementar-Drachen beherrscht. Durch ihre Farben, aber natürlich auch durch die Qualität ihrer Energie, werden sie sehr oft mit Gut und Böse verglichen, obwohl genau dieser Vergleich falsch wäre. Beide Qualitäten sind wohl eher neutral und notwendig, um zur wahren Kraft zu gelangen. Trotzdem war ich natürlich sehr stolz darauf den weißen Drachen erwischt zu haben und hielt mich insgeheim für die Gute im Universum.“ Die Hexe schnaubte und Kathrin trommelte wie wild mit ihren Fingernägeln auf die Tischplatte. Aber mittlerweile hatte ich schon kapiert, dass ich mit meiner Erzählung die Weltordnung der Hexe auf den Kopf stellte und Kathrins Sinn für die Normalität und Realität ziemlich überstrapazierte.

„Aber dann kam eine schwere Zeit auf mich zu und ich habe das mit den Drachen wieder aus den Augen verloren. Mein Mann ...“ Ich würgte kurz, weil ich mit Georg wohl nie wieder ins Reine kommen würde. „... war nicht gerade ein nettes Kerlchen während unserer Scheidung. Auf jeden Fall war ich sehr mit der Trennung beschäftigt und danach war ich ... ziemlich am Ende und nach Wochen der Enthaltsamkeit, auch total frustriert.“ Die Hexe zeigte zum ersten Mal Verständnis in ihrem Blick. Aber auch das mochte ich nicht sonderlich an ihr. Aus irgendeinem Grund, wollte ich dennoch weitererzählen. Vermutlich gab es wirklich so ein Konkurrenzdingsbums zwischen uns und ich wollte sie mit meiner Geschichte ein klein wenig beeindrucken.

„Als ich dann wieder einmal wie das heulende Elend in meinem Bett gelegen hatte, mit dieser unglaublichen Sehnsucht nach Nähe und vielleicht auch nach einem Mann, tauchte plötzlich dieser mächtige, beeindruckende und durch und durch schwarze Drache auf. Zuerst war ich vollkommen von den Socken und hatte echt Bedenken, vielleicht sogar Angst. Doch dann konnte ich plötzlich ganz klar sehen, wie interessant dieses riesige Biest doch eigentlich war.“ Wobei ich das Wort ‚Biest‘ wie eine Liebkosung aussprach. Der schwarze Drache hatte mich damals mit seiner gigantischen Ausstrahlung schlicht von den Socken gehauen. Dunkel oder böse traf es nicht annähernd was diesem mächtigen Wesen innewohnte. Es war einfach viel zu wenig der Beschreibung von dem, was diese Kraft alles anstellen konnte.

Die Hexe gab ein komisches Geräusch von sich und ich deutete es als ein Zeichen der ... Bewunderung? Verblüfft starrte ich in ihre seltsamen Augen. Ihr ganzer Widerwille und ihre Arroganz schienen mit einem Mal aus ihrem schönen Gesicht gewischt worden zu sein. Dabei hatte ich noch nicht einmal angefangen wirklich über mein Erlebnis zu reden! Aber ich konnte mich natürlich schon daran erinnern, dass die Beschwörung eines schwarzen Drachen in dem Buch als das gefährlichste und schwierigste Ritual beschrieben worden war. Warum wusste ich nur zu gut! Der Drache war das mächtigste Wesen, das ich mir je hatte vorstellen können und er jagte einem im Normalfall mit Sicherheit eine Heidenangst ein. Doch ich hatte ihn binnen Sekunden absolut schön und auf eine sehr leidenschaftliche Art interessant gefunden. Ich grinste, weil ich den beiden Grazien nicht unbedingt alles erzählen musste.

„Nun, was soll ich sagen?“ Ich klang ein wenig arrogant, aber das bisschen primitive Emotion gönnte ich mir. „Der Drache hat sich mir vollkommen offenbart und ich wusste in dem Moment, dass ich nichts Fantastisches oder Spirituelles jemals mehr fürchten würde, weil es nichts Gigantischeres oder Furchteinflößenderes geben konnte, als diesen wunderbaren Drachen. Ich hatte sogar irgendwann ganz klar das Gefühl, selbst dieser Drache zu sein. Oder zumindest ein Teil von ihm.“

„Du?“ Die Hexe schluckt laut.

„Ja. Es war rein spirituell und geknüpft an die Erkenntnis, dass nichts schlimmer und finsterer sein konnte als dieser mächtige, schwarze Drache. Es war auch die Erkenntnis, nie mehr Angst haben zu müssen, weil ICH einfach stärker und noch finsterer sein könnte.“ Luise zuckte wie unter einem Hieb zusammen.

„Das ist ... nicht möglich. Das würde dich ja zu einer ... heiligen Drachenreiterin machen.“

„Vielleicht“, erwiderte ich unbekümmert, obwohl ich davon noch nie etwas gehört hatte. „Immerhin habe ich danach noch die Drachen der Elemente gerufen, um mit ihnen ins Reine zu kommen. Zum Teil waren die ganz schön hitzig, die Schlingel.“

„Wie bitte?“

„Sexuelle Schwingungen, wenn du verstehst was ich meine.“ Und damit wackelte ich so provokant mit meinen Augenbrauen, dass Kathrin glockenhell auflachte. Für sie war es immer eine kleine Sensation, wenn sie neues über meine Drachenwelt erfuhr.

„Dachte ich es mir doch!“, zischte sie, als hätte sie endlich nach so vielen Wochen das Wesentliche aus mir herausgeholt. „Jeder weiß wie mächtig Drachen sind und wie ... leidenschaftlich. Kein Wunder, dass hier auch was Sexuelles schwingt.“ Luise hingegen sagte gar nichts mehr.

Zu dumm nur, dass dies alles nur auf diffuse spirituelle Ebenen zutraf und einen ganz normalen Mann, mit – zugegeben – überdurchschnittlich ansprechenden Attributen, nicht miteinschloss. Denn wenn ich eines kapierte bei diesem Gespräch, dann war es die Tatsache, dass ich zwar vielleicht den größten Teil meiner Angst erledigt hatte, aber einen ganz simplen, bodenständigen und doch entscheidenden Teil meines Lebens immer noch fürchtete. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Spirituelle Glanzleistungen änderten eben nicht zwangsweise etwas an elementaren Lebensbarrieren.

Außerdem hatte ich kapiert, dass ich keinen Konkurrenzkampf brauchte und wollte und, dass ich von der arroganten Hexe nichts lernen konnte.