3. Kapitel
„Erzähl was über deinen Drachentick!“
„Danke, das klingt wirklich verlockend. Deine Formulierung zeigt auch ganz klar, was du davon hältst.“ Ich schnaubte empört, aber Rosi prostete mir unschuldig mit ihrem Hugo-Prosecco zu. Mit dem Getränk konnte sie sich so dermaßen zuschütten, dass sie nach unserem Mädchentreffen immer mit dem Taxi nach Hause fahren musste.
„Ach, bitte! Sei doch nicht so empfindlich! Das letzte Mal hast du von einem weißen Drachen erzählt mit grünen Augen und einem leicht golden schimmernden Bauch. Mit ihm hast du deine Wohnung geschützt oder so. Oder hast du mit ihm die Elemente beherrscht? Mist. Ich habe doch glatt vergessen, was das Vieh gekonnt hat.“
„Und ich habe doch glatt vergessen, warum ich dir jemals davon erzählt habe.“
„Kommt schon Mädels! Wir sind zum Feiern da und nicht etwa zum Streiten. Rosi hat es nicht so mit der Spiritualität, aber mich interessiert sehr wohl, was sich so bei dir tut. Deine Therapie hast du ja, glaube ich, jetzt beendet, oder?“ Ich verdrehte die Augen, weil es bei den beiden Mädels immer so ankam, als wären meine Drachenerlebnisse eine Folge von Medikamentenentzug.
„Also gut, Martina.“ Ich versuchte es nicht persönlich zu nehmen. Schließlich war nicht jeder für solche Themen offen. „Ich gehe nicht mehr so oft zur Therapie, nehme keine Medikamente mehr und habe derzeit auch keinen direkten Draht mehr zu meinen Drachen.“ Das Bedauern in meiner Stimme war dabei nicht zu überhören, aber nach meinen Worten hätte man plötzlich eine Stecknadel fallen hören können.
„Was ist?“, fragte ich verwundert, weil mich beide Freundinnen ansahen, als wäre ich nun geradewegs vom Mond geflattert. Offenbar hatte ich sie verblüfft. Rosi fasste sich als Erste und fing an zu lächeln.
„Juhu, das heißt du bist jetzt endlich gesund? Ich freue mich so für dich“, grinste sie weiter und tätschelte liebevoll meine rechte Hand. „Bravo, Siena!“
„Ich gratuliere dir ebenfalls“, ergänzte Martina und tätschelte mir sogleich die andere Hand. Hätte ich die beiden nicht so gerne gehabt und ihre Worte als Kompliment erkannt, hätte ich ihnen wohl die Zunge herausgestreckt. Für sie war man offenbar nur gesund, wenn man nichts wirklich Ungewöhnliches erlebte oder gar etwas gegen seine psychische Erkrankung unternahm.
„Mädels! Lassen wir doch das Thema! Wir wollten doch über dich reden, Martina“, lenkte ich ab und auch irgendwie ein, denn die Ignoranz der beiden ärgerte mich mit jedem Treffen mehr. Martina begann sofort bis über beide Ohren zu grinsen.
„Ich heirate im Sommer“, sagte sie und zeigte mir stolz ihren Verlobungsring. Groß, klobig, mit sehr vielen Edelsteinen.
„Toll“, schwindelte ich und fragte mich allmählich, warum ich zwei Freundinnen hatte, denen ich etwas vorspielen musste. Ja, ich bin nicht mehr verrückt und ja, ich finde den Ring toll und deinen Mann auch. Dabei war der Typ ein Kotzbrocken. Macho durch und durch und offenbar nur für das Eine halbwegs zu gebrauchen. Zumindest war Martina mit ihm regelrecht sexsüchtig geworden. Nun ja, wenn man auf Rollenspiele stand ...
Ich mahnte mich in Gedanken zu mehr Freundlichkeit. Rosi und Martina waren seit Jahren meine Freundinnen. Lediglich in der tiefsten und schlimmsten Phase meines Lebens, hatten sie mir den Rücken zugekehrt, wie alle zu dem Zeitpunkt. Doch das konnte man ihnen nicht zum Vorwurf machen, denn ich hatte wirklich professionelle Hilfe gebraucht. Und bekommen. Zum Glück.
„Wann poltern wir und wie weit darfst du gehen?“, fragte Rosi und ihren rosigen Wangen konnte ich sofort ansehen, dass sie an viel Alkohol und Männer dachte. Martina zwinkerte uns beiden ausgelassen zu.
„Stellt euch vor, mein lieber Hannes hat mir einen Freibrief für diesen Abend gegeben. Ich kann sogar mit einem wildfremden Mann schlafen und am nächsten Tag ist alles vergeben und vergessen.“
„Was?“ Ich war irgendwie sprachlos. Bis auf das was? eben.
„Is nich war?“, staunte Rosi und bekam den Mund gar nicht mehr zu.
„Warum nicht?“, antwortete Martina mit einer Gegenfrage. „Wir sehen das nicht so eng. Er kann an diesem Tag getrost mit anderen Frauen vögeln und ich dafür mit Männern. Das ist so quasi das letzte Aufbäumen vor dem Finale. Zum letzten Mal eine kleine Orgie oder so.“ Martina lächelte, aber ihre Augen sprangen unruhig umher und zeigten mir, dass sie damit nicht so ganz klar kam.
„Aber ihr liebt euch doch“, protestierte ich und Martina wurde ärgerlich. Sie hatte dem Deal mit ihrem Zukünftigen schließlich zugestimmt und da musste sie seine Vorstellungen ganz klar verteidigen. Vermutlich hielt sie mich gerade für total altmodisch oder auch verklemmt.
„Na und? Wir geloben uns ja eh am nächsten Tag Treue. Das passt schon! Ich kann mir noch mal so richtig Vergleiche holen und er auch.“
„Vergleich-e?“, hakte ich nach, weil ich automatisch an einen sehr promiskuitiven Abend dachte. Dabei war ich in den letzten Jahren wahrlich zur heiligen Jungfrau mutiert. Seit meiner Scheidung hatte ich keinen Mann mehr an mich herangelassen, mich nur auf Entfernung an manchen ergötzt, aber eher Bestätigungen gesucht, um nie wieder lieben oder Sex haben zu müssen. So richtig bewusst wurde mir das allerdings erst jetzt, wo Rosi schon fast sabberte und Martina diesen unruhigen Blick zeigte. Einen Blick, der zwar Neugier spiegelte, aber auch eine versteckte Angst. Und das war nicht weiter verwunderlich, denn wenn sie guten Sex mit ihrem Zukünftigen hatte (und sie hatte es oft genug betont), konnte doch kein Interesse an Vergleichen bestehen. Gesättigt ist nun einmal gesättigt, dachte ich mir. Aber vermutlich wollte sie einfach keine Spielverderberin sein oder versuchte krampfhaft ihrem Mann ebenbürtig zu sein. Der ließ nämlich mit Sicherheit auch nach der Ehe nichts anbrennen. Alleine wie er mich bisher immer angesehen hatte, obwohl Martina an seiner Seite war, zeigte mir, wie wenig er in Wahrheit von Treue hielt.
„Gott, das ist doch nicht schlimm! Jeder tut mal was Ungewöhnliches und wir haben uns immerhin versprochen nur geschützten Sex mit anderen zu haben. Hannes hat mir das vor kurzem richtig schmackhaft gemacht und alles schön mit den richtigen Worten ausgeschmückt ...“, plapperte sie und ich dachte mir nur ein: Ja klar hat er das! Er wollte schließlich auch mal ganz offiziell mit anderen rumvögeln.
„... und gemeint, dass wir so doch nur noch mehr zueinander finden würden. Dadurch wüssten wir erst so richtig, was wir mit dem anderen haben.“
„Du meinst, es ist ein Art Liebesbeweis?“ Damit wollte ich sie eigentlich total aus der Reserve locken, denn wie blöd musste man sein, diesen Freibrief als so etwas zu sehen?
„Ja genau“, strahlte sie jedoch und ließ ihre angespannten Schultern endgültig sinken. Ihrer Meinung nach hatte ich offenbar endlich kapiert, was sie meinte. Ich war fassungslos! Da machte ich den totalen Spaß und wollte sie provozieren und sie glaubte tatsächlich, dass ich doch noch im letzten Moment verstanden hätte. Allmählich wurde mir richtig übel von dem Getue.
„Super“, rief Rosi inzwischen und verstärkte damit auf ganz natürliche Weise meine Übelkeit. „Dann sind wir uns ja einig! Wann startet der lastervolle Abend?“