5. Kapitel
- Thor -
Verblüfft hielt ich inne.
Das Netz schwankte ein wenig, doch der Nachhall war deutlich zu spüren. Eine fremde Macht hatte es benutzt, war eingedrungen und hatte es mit einer Heilung gespeist, die nur kurz angedauert hatte, aber auch jetzt noch eine Menge Eindruck hinterließ. Zumindest bei mir, einem der wenigen interessierten Götter auf dieser Ebene. Diese Energie erfreute mich und nährte mich sogar.
Niemand kann einen Gott so nähren, dass der es auch spürt, hatte mein Vater einmal gesagt und sich auf den Wandel der Menschheit bezogen und deren Verlust der ursprünglichen Magie. Diese Kraft war über die Jahrhunderte einfach verschwunden oder so sehr verblasst, dass das riesige Potential eines Gottes derart kleine Impulse nicht mehr wahrnehmen konnte. Und doch hatte ich dieses Vorkommnis eben gespürt, den Impuls eines reinen Herzens wahrgenommen und die Freude eines Menschen am Göttlichen gespürt. Eines einzelnen Menschen!
Ja, ich war verblüfft und natürlich auch neugierig. Sehr sogar, denn auch mich erfüllte ein Quäntchen dieser elementaren Freude und vielleicht sogar eine gewisse Erregung, weil es so neu war und anders und ... eben beinahe vergessen. Seit Jahren, wenn nicht seit Jahrhunderten.
So blickte ich durch das Netz bis tief hinunter zur Erde, wo ich viele Schichten durchdringen musste, Hindernisse übersprang und letztendlich in einem winzigen Land mit vielen Bergen hängen blieb. Kein Meer weit und breit. Der Funke, der mich erreicht hatte kam aus einer Stadt namens Wien und war bereits wieder am Verblassen, obgleich er immer noch eine interessante Note hatte. Sehr interessant, sogar.
„Oh, bei Odin! Es ist eine Frau!“ Die Erkenntnis traf mich wie eine doppelschneidige Axt und ich schrie meine Worte förmlich in die Weite des Universums, lachte und ärgerte mich zugleich. Nicht nur, dass der Funke neu war, so hatte er auch die Qualität einer reifen, fruchtbaren und sehr betörenden Frau. Ihre sexuelle Schwingung war nicht zu ignorieren und erinnerte mich automatisch an die Freuden meiner irdenen Leben vor einer halben Ewigkeit. Und diese Freuden waren zahlreich gewesen und ausschweifend. Ein Grinsen zog sich über mein Antlitz.
FRAU.
Wie lange war es her, seit ich die pure Weiblichkeit konsumiert und sexuelle Freuden mit solch einem mystischen Wesen geteilt hatte? Und wie eindringlich war die Erinnerung nun selbst in dieser kosmischen Weite! Ich hatte die Frauen geliebt und jeden Zentimeter ihrer Körper, ihrer Wesen und ihrer Weiblichkeit genossen. Frauen waren ein Geschenk der Götter an die Männer und doch hatte ich diese Qualität bis zu dem Moment des Funkens nicht mehr wirklich wahrgenommen oder vermisst. Wie gesagt ... als Gott war man in Vielem gesättigt und zufrieden. Eins mit sich und dem Kosmos. Doch dieser kleine, glimmende Funke war so interessant und so verdammt verlockend, wie zehn Straßen der Gemeinsamkeit zusammen. Es war die Erinnerung an eine Erinnerung, vielleicht auch mehr, aber ich verspürte erstmals wieder das Bedürfnis nach heiliger Sexualität, fühlte diese lustvolle Gier in mir, die die Welt beflügeln oder vernichten konnte. Gier war teuflisch, gefährlich und allzu oft resultierte daraus etwas Verwerfliches. ABER! Es gab auch etwas Essentielles, das gewonnen werden konnte ... Liebe, Verbundenheit und Kraft. Und das war nun einmal das Um und Auf im Lebenszyklus aller Wesen. Sexuelle Kraft war das Bindeglied der Urzeit, vereinte Wesen, ordnete Universen neu und konnte so gut wie alle Grenzen überwinden. Und heilige Sexualität war viel mehr als nur die kurze, körperliche Befriedigung zweier Körper. Sie war die Ehrung durch Gesang und Schwingung, das Vollziehen eines göttlichen Aktes, das Erschaffen eines neuen kleinen Universums. So etwas gab es auch zu meiner Zeit selten und wurde oft mit Mythen aus dem Feenreich verglichen, aber ich war schon damals immer der Überzeugung gewesen, dass dies, neben der elementaren Fortpflanzung, der eigentliche Sinn des sexuellen Aktes sein musste: Göttliche Vereinigung. Der Akt der Paarung war das größte Gebet, das größte Lob und die größte Verehrung zu der ein menschliches oder ein anderes Wesen fähig war.
Hm. Ich wunderte mich gerade, warum ich dem als Gott bisher nicht mehr Beachtung geschenkt hatte. Doch offenbar hatte Vollkommenheit und das Gefühl gesättigt zu sein auch den Verlust diverser Triebe zur Folge. Nur, dass ich diesen Verlust bisher nie wirklich wahrgenommen hatte. Gerade dieser kleine Funke aber hatte mich daran erinnert, denn er ließ mein Innerstes mehr leuchten. Nein, eigentlich prickelte es. Wie interessant! Kleine Flammen züngelten durch meine Göttlichkeit, machten mich heiß und drückten mich förmlich mit der Nase auf eben diesen Funken, der so fleißig weiter glomm, obwohl der Akt der Heilung längst beendet war. Diese Frau hatte einen Mann gerettet. Oder besser seine Seele und das mit solch einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, dass ich erstaunt war. Dabei spürte sich der Funke nicht wie eine geschulte Magierin an, oder nach einem Menschen mit überdimensionaler Zauberkraft. Nein, hier war nur der richtige Wille zum richtigen Zeitpunkt am Werke gewesen.
Wahrlich entdeckenswert ... murmelte ich und wollte nicht Thor heißen, wenn ich diesem Funken nicht vollständig auf den Grund gehen würde! Der Frau wegen, aber auch der Magie wegen. Derartige Funken konnten womöglich die Straße der Gemeinsamkeit wieder in den richtigen Rhythmus bringen und das universelle System retten oder seine Lebensdauer zumindest verlängern. Und das von nur einem Menschen! Ich war erstaunt. Unglaublich, aber ... interessant!
Ich wusste noch nicht wie oder wann, aber mir war klar, dass ich diese Frau unbedingt finden musste. Sie war etwas völlig Neues und hatte nicht nur das Potenzial eine neue Ära einzuleiten, sondern mich – den Gott und den ehemaligen Mann in mir – neugierig zu machen.
Meinem Vater oder den anderen Göttern würde ich davon jedoch nur das Notwendigste berichten. Nicht auszudenken, wenn der griechische Zeus etwas von einer Menschenfrau mit interessanten Schwingungen erfuhr, die sich noch dazu bewusst Zutritt zum kollektiven Netz verschaffen konnte! Der Kerl war schon immer ein Herzensbrecher gewesen und hatte nie Skrupel gezeigt, menschliche Frau zu verführen. Sein Einfallsreichtum war legendär, obwohl auch er bereits mehr als gesättigt war und schon lange nicht mehr von der Seite seiner schönen Göttin Hera wich. Ein weiterer Beweis dafür, wie erfüllt wir alle waren, wie sehr wir zur Ruhe gekommen waren und alles Weltliche (oder Menschliche?) aus unseren Köpfen verbannt hatten. Als wären wir Senioren, die zwar glücklich, agil und durchaus lernwillig waren, letztendlich aber von den wirklich spannenden Dingen des Lebens nichts mehr wissen wollten.
Ich wunderte mich gerade über meine Gedanken und schob sie auf die Tatsache, dass die Erinnerung an meine alten Leben mit einer Heftigkeit zurückgekehrt war, die ich nicht erwartet hatte.
FRAUEN. Ich lachte laut. Die hatten aber auch so etwas Eigentümliches an sich. So verlockend und faszinierend. Als wären sie die pure Herausforderung und Verlockung zugleich. Ständig wirkte diese Anziehungskraft wie ein Katalysator auf Empfindungen und Entwicklungen. Ständig! Sofern man eben nicht zu weit entfernt war oder zu gesättigt.
Ein wenig verärgert schüttelte ich den Kopf. Nein, den anderen würde ich nichts sagen oder nur sehr wenig, denn das süße Menschlein wollte ich alleine finden. Danach würde ich sie zur Rede stellen, auf das Kollektiv aufmerksam machen und vielleicht sogar um ihre Hilfe bitten. Aber allem voran würde ich sie wohl mit Haut und Haar verschlingen.