26

Es war später Nachmittag, als ich das Haus der Brenners erreichte. Der Tag war dunstig geworden, ein leichter Nebelschleier hatte sich über den vorher noch strahlend blauen Himmel gelegt. Ich blieb am Ende des Weges stehen und schaute auf das baufällige Haus. Es kam mir diesmal noch heruntergekommener vor als bei meinem letzten Besuch. Keine Menschenseele war zu sehen. Nach einer Weile wurde mir klar, dass ich die Sache bewusst verzögerte. Ich legte einen Gang ein und holperte langsam über den ausgefahrenen Weg.

Nachdem ich mir einen Plan zurechtgelegt hatte, fiel es mir am schwersten, Geduld zu bewahren. Im tiefsten Inneren hatte ich sofort handeln und direkt zum Haus hinausfahren wollen. Doch ich wusste, dass ich nur dann Erfolg haben würde, wenn Carl Brenner nicht da war. Ben hatte gemeint, ich sollte bis später warten, wenn man davon ausgehen konnte, dass er entweder ins Lamb oder zum Jagen gegangen war. »Er ist ein Wilderer. Er ist entweder am frühen Morgen oder am späten Abend unterwegs. Deswegen lag er noch im Bett, als du das letzte Mal dort warst. Er war bestimmt bis nach Morgengrauen mit seinen Fallen beschäftigt.«

Doch ich konnte den Gedanken nicht ertragen, so lange zu warten. Jede Stunde, die verstrich, verringerte die Chance, Jenny lebend zu finden. Am Ende traf ich eine lächerlich einfache Entscheidung: Ich rief bei den Brenners an und fragte, ohne mich zu erkennen zu geben, ob Carl da war. Beim ersten Mal ging seine Mutter ans Telefon. Als sie sagte, ich solle einen Moment warten, und ihn holen wollte, legte ich auf.

»Was willst du machen, wenn ihr Telefon deine Nummer speichert und er zurückruft?«, fragte Ben.

»Das spielt keine Rolle. Ich könnte behaupten, dass ich mit ihm sprechen will. Das wird er sowieso ablehnen.«

Doch Brenner rief nicht zurück. Nach einer Weile rief ich erneut an. Dieses Mal war Scott dran. Nein, Carl wäre unterwegs, sagte er mir. Er hätte keine Ahnung, wann er zurückkommen würde. Ich dankte ihm und legte auf.

»Wünsch mir Glück«, sagte ich zu Ben und machte mich auf den Weg.

Er hatte mich begleiten wollen, aber ich war dagegen gewesen. So gerne ich ihn an meiner Seite gehabt hätte, es hätte nur Ärger heraufbeschworen. Ein Aufeinandertreffen von ihm und den Brenners war schon brisant genug, ohne dass er eine halbe Flasche Whisky getrunken hatte. Und was ich im Sinn hatte, erforderte Überzeugungskünste und keine Konfrontation.

Ich hatte in Erwägung gezogen, Mackenzie in meinen Plan einzuweihen, diesen Gedanken jedoch schnell wieder abgetan. Ich konnte meinen Verdacht jetzt nicht besser untermauern, als vorher bei meinem Telefonat mit ihm. Und Mackenzie hatte bereits sehr deutlich gemacht, dass er meine Einmischung nicht guthieß. Ohne Beweise würde er überhaupt nichts unternehmen.

Und genau die versprach ich mir von meinem Besuch bei den Brenners.

Aber nun war ich nicht mehr so zuversichtlich. Meine letzte Zuversicht verebbte, als ich vor der Tür parkte. Bei dem Motorengeräusch kam wieder der Hund bellend um die Ecke gelaufen. Doch dieses Mal war er mutiger und zog sich nicht gleich wieder zurück. Vielleicht lag es daran, dass ich allein war. Es war ein großer Mischling mit einem eingerissenen Ohr. Mit gesträubtem Fell baute er sich zwischen mir und dem Haus auf. Ich nahm meinen Erste-Hilfe-Koffer aus dem Wagen und hielt ihn wie ein Schild vor mich, falls er angreifen sollte. Der Hund kläffte wütend, als ich näher kam. Ich blieb stehen, und er knurrte mich an.

»Jed!«

Der Hund schenkte mir einen letzten, warnenden Blick und trottete dann zu Mrs. Brenner, die in der Tür erschienen war. Ihr schmales Gesicht war feindselig. »Was wollen Sie?«

Ich hatte mir eine Geschichte zurechtgelegt. »Ich möchte mir Scotts Fuß noch einmal anschauen.«

Sie musterte mich misstrauisch. Vielleicht interpretierten es auch nur meine Nerven so. »Sie haben ihn doch schon untersucht.«

»Da hatte ich nicht alles dabei, was ich brauche. Ich möchte sicherstellen, dass er sich nicht entzündet. Aber wenn Sie nicht wollen, dass ich mich darum kümmere …«

Ich tat so, als wollte ich zurück zu meinem Wagen gehen. Sie seufzte. »Sie haben ja Recht, kommen Sie herein.«

Ich versuchte nicht zu zeigen, wie erleichtert — und nervös — ich war, und folgte ihr ins Haus. Scott lag im Wohnzimmer auf einem schmuddeligen Sofa vor dem Fernseher. Sein verletztes Bein war auf die Kissen gebettet.

»Der Doktor ist nochmal wegen dir gekommen«, sagte seine Mutter, als wir eintraten.

Er drückte sich hoch und sah mich überrascht an. Und schuldbewusst, dachte ich. Aber auch das könnte ich mir nur eingebildet haben. »Carl ist noch nicht zurück.«

»Kein Problem. Ich war gerade in der Nähe und dachte, ich schaue mir noch einmal Ihren Fuß an. Ich habe einen antibakteriellen Verband mitgebracht.« Ich versuchte, entspannt zu wirken, doch meine Stimme klang in meinen Ohren schrecklich falsch.

»Haben Sie vorhin angerufen und nach Carl gefragt?«, fragte seine Mutter mit neu entflammter Feindseligkeit.

»Ja, die Verbindung wurde unterbrochen. Ich habe vom Handy aus angerufen.«

»Was wollten Sie von ihm?«

»Ich wollte mich entschuldigen.« Die Lüge hei mir überraschend leicht. Ich ging hinüber und setzte mich auf einen Stuhl neben Scott. »Doch jetzt bin ich mehr an Ihrem Fuß interessiert. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ihn untersuche?«

Er schaute seine Mutter an und zuckte dann mit den Achseln. »Nein.«

Ich begann, den Verband abzuwickeln. Seine Mutter stand in der Tür und schaute zu.

»Entschuldigen Sie, aber könnte ich wohl eine Tasse Tee bekommen?«, fragte ich, ohne aufzublicken.

Einen Augenblick dachte ich, sie würde meine Bitte ablehnen. Dann ging sie mit einem eingeschnappten Seufzer in die Küche. Nachdem sie verschwunden war, war nur noch das Gebrabbel aus dem Fernseher und das Rascheln des Verbandes zu hören. Mein Mund war trocken. Ich riskierte einen Blick zu Scott. Er beobachtete mich mit leicht besorgter Miene.

»Erzählen Sie mir noch einmal, wie es passiert ist«, forderte ich ihn auf.

»Ich bin in eine Falle getreten.«

»Wo?«

»Weiß ich nicht mehr.«

Ich zog den Verband weg. Die Stiche darunter waren so hässlich wie vorher. »Sie hatten Glück, dass Sie den Fuß nicht verloren haben. Wenn sich die Wunde infiziert, könnten Sie ihn immer noch verlieren.« Ich war zwar der Meinung, dass keine Gefahr mehr bestand, doch ich wollte ihn durcheinander bringen.

»Es war nicht mein Fehler«, sagte er mürrisch. »Ich bin nicht absichtlich reingetreten.«

»Vielleicht nicht. Aber wenn die Nerven beschädigt sind, werden Sie den Rest Ihres Lebens hinken. Sie hätten den Fuß untersuchen lassen sollen.« Ich schaute hoch zu ihm. »Oder wollte Carl das nicht?«

Er wandte den Blick ab. »Wieso das denn?«

»Es ist allgemein bekannt, dass er wildert. Er will natürlich auf keinen Fall, dass die Polizei Fragen stellt, warum sein Bruder in eine Falle getreten ist.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es keine von unseren war«, brummte er.

»Na gut«, sagte ich, als wäre es mir egal. Übertrieben genau untersuchte ich die Wunde und bog seinen Fuß vor und zurück. »Aber Sie haben es bei der Polizei nicht angezeigt, oder?«

»Als sie gekommen sind und mich gefragt haben, habe ich ihnen alles erzählt«, sagte er abwehrend.

Ich erwähnte nicht, dass ich es gewesen war, der Mackenzie davon berichtet hatte. »Was hatte Carl dazu zu sagen?«

»Was meinen Sie?«

»Als die Polizei zu Ihnen kam. Hat er bestimmt, was Sie den Beamten sagen sollen?«

Plötzlich zog er seinen Fuß weg. »Was geht Sie das an, verdammt nochmal?«

Ich versuchte ruhig zu klingen, obwohl mir ganz anders zumute war. »Carl hat die Polizei belogen, oder?«

Er starrte mich an. Ich wusste, dass ich zu weit gegangen war. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich sonst weiterkommen sollte.

»Raus hier! Na los, verpissen Sie sich!«

Ich stand auf. »Okay. Aber fragen Sie sich doch mal, warum Sie jemanden decken, der es riskiert, dass Sie Wundbrand kriegen, anstatt Sie ins Krankenhaus zu bringen.«

»Das ist Schwachsinn!«

»Tatsächlich? Und warum hat er Sie dann nicht gleich in die Notaufnahme gefahren? Warum ist er zu mir gekommen, um Sie zusammenflicken zu lassen, wo er doch sehen konnte, wie schlimm Ihre Verletzung war?«

»Sie waren eben näher dran.«

»Und er wusste, dass ein Krankenhaus den Vorfall der Polizei melden würde. Er wollte Sie nicht mal dann hinbringen, als ich sagte, das müsse genäht werden.«

Eine Regung in seinem Gesicht ließ mich innehalten. Ich schaute hinab auf die unbeholfenen Stiche in seinem Fuß. Plötzlich verstand ich.

»Er hat Sie tatsächlich nicht ins Krankenhaus gebracht, richtig?«, sagte ich erstaunt. »Deswegen wurde der Verband auch nie gewechselt. Sie sind nie im Krankenhaus gewesen.«

Scotts Wut hatte sich in Luft aufgelöst. Er konnte mich nicht anschauen. »Er sagte, es würde in Ordnung kommen.«

»Und wer hat die Wunde dann genäht? Er?«

»Mein Cousin Dale.« Jetzt, wo ich es herausgefunden hatte, klang er verlegen. »Er war früher bei der Army Er kennt sich mit so was aus.«

Das war der gleiche Cousin, den ich neulich Abend mit Carl an der Straßensperre gesehen hatte. »Und hat er sich sein Werk später noch einmal angeschaut?«

Scott schüttelte unglücklich den Kopf. Er tat mir Leid, aber nicht genug, um aufzuhören.

»Hilft er Carl auch bei den anderen Sachen? Beim Wildern zum Beispiel?«

Widerwillig nickte er. Ich wusste, dass ich auf etwas gestoßen war. Zwei Männer. Zwei Jäger, einer mit einer Armeevergangenheit.

Zwei verschiedene Messer.

»Und was noch?«

»Nichts«, sagte er stur, doch sein Versuch, den Unwissenden zu spielen, war schwach.

»Die beiden haben Sie gefährdet. Das ist Ihnen doch klar, oder?«, sagte ich ihm. »Was war so wichtig, dass die beiden Ihren Fuß dafür aufs Spiel gesetzt haben?«

Jetzt wand er sich. Mit Bestürzung sah ich, dass er den Tränen nahe war. Aber ich konnte mich davon nicht aufhalten lassen.

»Ich möchte die beiden nicht in Schwierigkeiten bringen«, sagte er so leise, dass es fast ein Flüstern war.

»Die beiden stecken bereits in Schwierigkeiten. Und um Sie haben die sich nicht solche Sorgen gemacht.« Ich wollte ihn weiter unter Druck setzen, doch eine innere Stimme befahl mir, lockerzulassen. Ich wartete und ließ Scott um eine Entscheidung kämpfen.

»Sie fangen Vögel«, sagte er schließlich. »Seltene Vögel. Auch Tiere, wie Otter und so weiter, wenn sie die kriegen können. Carl meinte, es gibt bestimmt einen Markt für lebende Tiere und Eier. Um sie an Sammler zu verkaufen, verstehen Sie.«

»Da stecken beide drin?«

»So in etwa. Aber um die Fallen kümmert sich vor allem Carl. Er hält die Tiere draußen im Sumpf, in der alten Windmühle.«

Meine Gedanken rasten so schnell, dass sie ins Schleudern zu geraten schienen. Die Windmühle war völlig verfallen, abgelegen und seit langem verlassen. Anscheinend aber nicht.

Ich begann seinen Fuß neu zu bandagieren. »Und dort sind Sie in die Falle getreten«, sagte ich und erinnerte mich an ihre Geschichte, als sie an jenem Abend ins Lamb gestolpert waren. Und wie Carl Brenner seinen Bruder unterbrochen hatte, damit er nicht zu viel sagte.

Er nickte. »Als die Polizei begann, nach diesen Frauen zu suchen, hat Carl Angst gekriegt, dass sie dort gucken könnten. Er will sonst nicht, dass ich ihn begleite. Er sagte, ich sollte mich um meine eigenen Sachen kümmern und mich aus seinen raushalten. Aber Dale war in der Woche weg, deshalb musste ich ihm helfen, alles wegzuschaffen.«

»Wohin?«

»Überallhin. An verschiedene Stellen. Die meisten Tiere brachten wir hierher, in die Außengebäude. Meine Mum fand das gar nicht gut, aber es war nur für ein paar Tage, bis die Polizei die Windmühle durchsucht hatte. Doch dann bin ich in die Falle getreten und er musste sie alle selbst wieder da hinbringen.« Er sah niedergeschlagen aus. »Er wurde stinksauer. Aber ich habe es ja nicht mit Absicht gemacht.«

»Also war es eine von seinen Fallen?«

Er schüttelte den Kopf. »Er sagte hinterher, es muss eine von diesem Wahnsinnigen gewesen sein, der all die Frauen umbringt.«

Ich hielt meinen Kopf abgewandt und gab vor, mit seinem Fuß beschäftigt zu sein. »Hat er jetzt noch Tiere da draußen?«

»Ja. Er wusste nicht, wohin sonst damit. Und Dale wollte nicht riskieren, sie jetzt bei den ganzen umherschnüffelnden Bullen wegzuschaffen.«

»Und geht Carl immer noch raus zur Mühle?«

»Jeden Tag. Er muss die Tiere ja am Leben halten, bis er sie verkaufen kann.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber ich weiß nicht, wie lange er noch Lust hat, sich darum zu kümmern. Viele sind sie noch nicht losgeworden.«

Es kostete Mühe, normal zu reagieren. Ich sprach so gleichgültig, wie ich konnte.

»Haben Sie Carl vor der Polizei gedeckt?«

Er schaute mich verwirrt an. »Was?«

Meine Hände zitterten, als ich mit dem Verbinden seines Fußes zu Ende kam. »Als die Beamten nach den vermissten Frauen fragten. Er konnte als Alibi ja schlecht sagen, er wäre wildern gewesen, oder?«

Scott brachte es tatsächlich fertig zu lächeln. »Nee. Wir haben einfach gesagt, er wäre die ganze Zeit hier gewesen.« Sein Lächeln erstarb. »Sie erzählen ihm aber nicht, was ich gesagt habe, oder?«

»Nein«, sagte ich. »Ich erzähle ihm nichts.«

Ich hatte ihm schon zu viel gesagt. Ich musste daran denken, was ich Carl Brenner beim letzten Mal erzählt hatte. Er hält sie drei Tage lang gefangen, ehe er sie tötet. Jetzt wusste er, dass die Polizei seinen Zeitplan kannte. Durch meine Schuld hatte Jenny vielleicht nicht einmal mehr diese kleine Überlebenschance.

Gott, was hatte ich getan?

Ich stand auf und packte ungeschickt meine Sachen ein, als Scotts Mutter mit einem Becher Tee zurückkehrte.

»Tut mir Leid, ich muss los.«

Sie presste verärgert die Lippen zusammen. »Ich dachte, Sie wollten eine Tasse Tee?«

»Tut mir Leid.«

Ich eilte bereits aus dem Zimmer. Scott schaute mich unsicher an, als würde er schon bereuen, was er gesagt hatte. Mit einem Mal wollte ich nur noch weg von hier, denn ich befürchtete, dass Carl plötzlich auftauchen und mich zurückhalten könnte. Ich warf meinen Erste-Hilfe-Koffer in den Landrover und drehte schnell den Zündschlüssel herum. Als ich den Weg zurückholperte, spürte ich, dass Mrs. Brenner in der Tür stand und mir hinterherschaute.

Sobald ich außer Sichtweite war, griff ich nach meinem Telefon. Doch als ich Mackenzie anrufen wollte, flackerte das Signal, ehe es vollständig erstarb.

»Komm schon, komm schon!«

Ich raste zur Straße, bog in Richtung der alten Windmühle ab und wartete darauf, wieder Empfang zu haben. Als das Signal endlich da war, wählte ich erneut Mackenzies Nummer.

Sein Anrufbeantworter schaltete sich ein. Scheiße, Scheiße! »Carl Brenners Familie hat ihm ein falsches Alibi gegeben«, sagte ich ohne Vorrede. »Er war …«

Abrupt ertönte Mackenzies Stimme. »Sagen Sie mir nicht, dass Sie bei ihm gewesen sind, um mit ihm zu sprechen.«

»Nicht mit ihm, mit seinem Bruder, aber …«

»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen sich da raushalten!«

»Hören Sie mir einfach zu!«, schrie ich. »Brenner hat Vögel und Tiere gefangen, um sie zu verkaufen. Gemeinsam mit seinem Cousin. Der Name ist Dale Brenner, ein ehemaliger Berufssoldat. Sie halten die Tiere draußen in der verfallenen Windmühle, ungefähr eine Meile südlich des Dorfes. Da, wo Scott Brenner in die Falle getreten ist.«

»Warten Sie.« Jetzt, wo ich seine Aufmerksamkeit erregt hatte, kam er in Bewegung. Im Hintergrund hörte ich gedämpfte Stimmen. »Gut, ich weiß, wo Sie meinen. Aber die Windmühle haben wir überprüft, da ist nichts gefunden worden.«

»Die Tiere wurden weggeschafft, als Sie die Gegend nach Lyn Metcalf abgesucht haben, und dann wieder zurückgebracht. Dabei ist Brenners Bruder verletzt worden. Carl Brenner war es so wichtig, die Polizei rauszuhalten, dass er ihn nicht einmal ins Krankenhaus gebracht hat.«

»Er ist ein Wilderer, das wissen wir bereits«, entgegnete Mackenzie stur.

»Aber Sie wussten noch nicht, dass seine Familie gelogen hat, um ihn zu decken. Oder dass ein Jäger und ein ehemaliger Soldat Tiere fangen und sie in einem verlassenen Gebäude halten und dass zumindest einer von ihnen kein Alibi hat. Muss ich es Ihnen buchstabieren, oder was?«

Das Schimpfwort, das ich ihn knurren hörte, verriet mir, dass ich es nicht musste. »Wo sind Sie jetzt?«

»Ich bin gerade von den Brenners weggefahren.« Ich erzählte ihm nicht, dass ich auf dem Weg zur Windmühle war.

»Wo ist er?«

»Keine Ahnung.«

»Okay, passen Sie auf, ich bin in der mobilen Einsatzzentrale im Dorf. Kommen Sie her, so schnell Sie können.«

Das war in der entgegengesetzten Richtung. »Weshalb? Ich habe Ihnen alles gesagt, was Sie wissen müssen.«

»Und ich würde es gerne detaillierter wissen. Ich möchte nicht, dass jemand etwas Unbeherrschtes tut, haben Sie mich verstanden?«

Ich antwortete nicht. Ich fuhr mit dem Handy an mein Ohr gepresst, unter den Wagenrädern heulte die Straße und brachte mich mit jeder Sekunde dem Ort näher, wo, da war ich mir sicher, Jenny gefangen gehalten wurde.

»Haben Sie mich verstanden, Dr. Hunter?«

Jetzt war Mackenzies Stimme unerbittlich. Ich nahm den Fuß vom Gaspedal. Noch nie im Leben war mir etwas so schwer gefallen.

»Ich habe Sie verstanden«, sagte ich zähneknirschend.

Und dann drehte ich um und fuhr zurück.

___________

Der Himmel hatte einen ungesunden Glanz angenommen. Vor der Sonne hatten sich Schleierwolken gebildet, die das Licht trübten. Zum ersten Mal seit Wochen wehte die leichte Brise etwas anderes als überhitzte Luft heran. In nicht weiter Ferne sah es bedrohlich nach Regen aus, doch im Moment machte die zunehmende Feuchtigkeit die Hitze nur noch unerträglicher.

Sogar bei geöffneten Fenstern schwitzte ich, als ich an dem Polizeiwohnwagen ankam, der als Einsatzzentrale diente. Es waren mehr Leute dort als sonst. Mackenzie stand mit einer Gruppe ziviler und uniformierter Polizeibeamten an einem Tisch über einer Landkarte, als ich hereinkam. Die Beamten in Uniform trugen zudem schusssichere Westen. Als er mich sah, löste er sich von seinen Kollegen.

Er kam mit einer Miene zu mir, die alles andere als freundlich war. »Ich werde nicht so tun, als wäre ich glücklich darüber, was Sie getan haben«, sagte er mit aggressiv vorgeschobenem Kiefer. »Ich weiß die Hilfe zu schätzen, die Sie uns vorher geleistet haben, aber dies ist eine polizeiliche Ermittlung. Zivilisten haben dabei nichts zu suchen.«

»Ich habe versucht, Sie über Brenner zu informieren, aber Sie wollten mir nicht zuhören. Was sollte ich tun?«

Ich konnte sehen, dass er etwas erwidern wollte, aber er hielt sich zurück. »Der Superintendent möchte mit Ihnen sprechen.«

Er führte mich zu den Beamten am Tisch und stellte mich vor. Ein hoch gewachsener Mann mit einer humorlosen und selbstbeherrschten Aura streckte die Hand aus. »Ich bin Detective Superintendent Ryan. Ich habe gehört, Sie haben neue Informationen, Dr. Hunter?«

Ich fasste zusammen, was Scott Brenner mir erzählt hatte, und versuchte, mich dabei an die nackten Tatsachen zu halten. Nachdem ich fertig war, wandte sich Ryan an Mackenzie.

»Sie kennen diesen Carl Brenner, nehme ich an?«

»Er wurde bereits vernommen, ja. Er passt ins Profil, aber er hatte ein Alibi, als Lyn Metcalf und Jenny Hammond verschwanden. Seine Familie hat es beide Male bestätigt.«

»Da ist noch etwas«, meldete ich mich zu Wort. Mein Herz hämmerte, aber sie mussten es wissen. »Ich habe Brenner heute Morgen erzählt, dass Sie wissen, dass die Opfer nicht gleich getötet wurden.«

»Himmel«, schnaubte Mackenzie.

»Ich wollte ihm klar machen, dass es um mehr geht als um ihn und Ben Anders.«

Dieser Versuch einer Rechtfertigung klang selbst in meinen Ohren schwach. Die Polizisten starrten mich mit einer Mischung aus Entrüstung und Feindseligkeit an. Ryan nickte knapp.

»Danke, dass Sie gekommen sind, Dr. Hunter«, sagte er kühl. »Jetzt müssen Sie uns entschuldigen. Wir haben eine Menge zu tun.«

Er wandte sich bereits ab. Mackenzie lotste mich weg. Er hielt sich im Zaum, bis wir draußen waren.

»Was zum Teufel ist in Sie gefahren, Brenner davon zu erzählen?«

»Ich wusste, dass Sie den falschen Mann verhörten! Und glauben Sie mir, egal, was Sie jetzt sagen, ich kann es nicht noch heftiger bereuen, als ich es bereits tue.«

Seine Wut ließ etwas nach, als er verstand warum. »Vielleicht macht es nichts. Solange sein Bruder nichts sagt, weiß er noch nicht, dass er ein Verdächtiger ist.«

Dadurch fühlte ich mich kein Stück besser. »Werden Sie jetzt die Windmühle durchsuchen?«

»So schnell es geht. Aber wir können nicht einfach in eine mögliche Geiselsituation stürmen.«

»Es sind nur Brenner und sein Cousin!«

»Beide möglicherweise bewaffnet, und einer mit militärischer Ausbildung. So eine Sache muss vorher geplant werden.« Er seufzte. »Hören Sie, ich weiß, dass es schwer für Sie ist. Aber wir wissen, was wir tun, in Ordnung? Vertrauen Sie mir.«

»Ich möchte mitkommen.«

Mackenzies Gesicht wurde hart. »Keine Chance.«

»Ich werde bei den Wagen bleiben. Ich werde Ihnen nicht in die Quere kommen.«

»Vergessen Sie’s.«

»Sie ist Diabetikerin, verdammt nochmal!« Angesichts meiner erhobenen Stimme drehten sich die Leute zu uns um. Ich wurde wieder leiser. »Ich bin Arzt. Sie wird sofort Insulin brauchen. Sie könnte verletzt oder bewusstlos sein.«

»Wir werden einen Krankenwagen und Rettungssanitäter in der Nähe haben.«

Ich versuchte es noch einmal. »Ich muss dabei sein. Bitte!«

Doch er ging bereits zurück zum Wohnwagen. Als wäre ihm noch etwas eingefallen, drehte er sich zu mir um.

»Und kommen Sie ja nicht auf den Gedanken, auf eigene Faust dort rauszufahren, Dr. Hunter. Ihrer Freundin zuliebe. Wir können uns keine weiteren Ablenkungen mehr leisten.«

Er musste nicht aussprechen, was wir beide dachten. Sie haben bereits genug Schaden angerichtet.

»Versprechen Sie mir das?«

Ich holte tief Luft. »Ja.«

Seine Miene hellte sich graduell auf. »Versuchen Sie bitte ruhig zu bleiben. Ich werde Sie anrufen, sobald es etwas Neues gibt.«

Dann ließ er mich stehen und ging wieder hinein.