20.
Schneeflöckchen, Weißröckchen
Ehe ich mich’s versah, ging es stramm auf Weihnachten zu. Ute und ich verstanden uns wieder prima, wir hatten die alte Lässigkeit im Umgang wiedergefunden. Zu Nikolaus hatte ich mir etwas ganz Besonderes für sie ausgedacht: Ich schenkte ihr einen Gutschein für ein Wellness-Wochenende im «Savoy Hotel Köln». Das «Savoy» ist ein legendäres Künstlerhotel, und an der Bar dieses charmanten Hauses trifft man zu jeder Zeit bekannte Vertreter des fahrenden Volkes: Schauspieler, Musiker, Schriftsteller. Sag einen – war da! Mit wem hatte ich an der gemütlichen Hotelbar nicht schon alles unvergessliche Momente des Glücks erlebt! Von Olli Dittrich, dem großen Charakterdarsteller und Vogelstimmenimitator, bis hin zur bezaubernden Ulrike Folkerts, die an der Theke Kostproben aus ihrer herrlich verschrobenen Detektivserie «Bella Block» darbot. Es gibt immer ein großes Hallo, wenn es sich die beiden hochattraktiven Chefinnen der Künstlerherberge mal wieder nicht nehmen lassen, eine exklusive Runde «Berliner Weiße mit Schuss» zu spendieren.
Auch der Wellnessbereich in den beiden Untergeschossen ist eine Klasse für sich. Man fühlt sich dort wie in einer luxuriösen japanischen Tempelanlage. Tolle Massagen, Beauty-Kuren und ein edles Ambiente, das seinesgleichen sucht. Ja, das würde meiner Ute guttun. Ein Wochenende nur für sie zum Genießen! Jede alleinerziehende Mutter wird das verstehen. Ich habe wirklich den größten Respekt vor Frauen, die berufstätig sind und sich in der Erziehung ihrer Brut alleine durchschlagen müssen. Das kostet viel Kraft und Energie.
Wie immer in der Adventszeit lief Ute auf der letzten Rille. Das machte mein Geschenk noch attraktiver. Außerdem hatte ich einen Joker in der Hinterhand: Ich hatte mir vorgenommen, höchstpersönlich auf meinen kleinen Freund Philipp aufzupassen. Er sollte bei mir übernachten, dafür war er jetzt alt genug. Wurde Zeit, dass der Junge mal aus dem Frauenhaushalt rauskam, sonst würde er noch irgendwann anfangen, «Filly»-Pferdchen zu sammeln oder sich beim Ballett anzumelden.
Stolz stand ich also am Nikolausabend in Utes Küche und präsentierte ihr meinen selbstgemalten Gutschein. Sie war erst außer sich vor Freude. Aber sofort verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck, weil ihr einfiel, dass sie ja nicht wusste, wer auf den Kleinen aufpassen sollte. Darauf hatte ich gewartet: «Uuute, das ist ja gerade der Clou. Der Bengel pennt bei mir! Wir machen mal ein richtig schönes Männerwochenende ohne Mama!»
«Ja, gut gemeint, Atze, aber Philipp muss am Sonntagmorgen zum Adventssingen auf den Weihnachtsmarkt.»
«Ja und? Ist doch kein Problem. Alles easy. Das regel alles ich. Da brauchst du dich gar nicht drum zu kümmern.»
Ute blieb skeptisch, aber mein Angebot war einfach zu verlockend. Philipp war ja auch kein Baby mehr. Der Junge war mit seinen viereinhalb Jahren wirklich ein Pfundskerl und total unkompliziert. Ob Oma Maria, Kati, Hajo – ja selbst bei Gomera-Gerd fühlte der Junge sich pudelwohl und brachte in allen nur das Beste zum Vorschein.
«Ute, ich kenn das Kind jetzt von Geburt an und bin nach seiner Oma und dir ja wohl ganz klar die Nummer drei in seinem Herzen. Jetzt bleib mal locker und lass auch mal los.»
Damit war die Sache gebongt. Am nächsten Wochenende sollte die Sache steigen. Philipp freute sich wie ein Schneekönig und schlief vor Aufregung kaum noch. Er zählte die Tage und fragte Ute hundertmal, wann sie denn endlich fahren würde. Auch ich war ein bisschen aufgeregt und bereitete akribisch den Staatsbesuch meines kleinen Freundes vor. Ich ließ es mir nicht nehmen, in der Schreinerei Siebert ein Porsche-911-Kinderbett bauen zu lassen. Ausnahmsweise nutzte ich mal meinen Promistatus aus und bestellte bei der Sony-Zentrale in Berlin die neue PlayStation 6.
Bei der Metzgerei Ummelmann orderte ich zwanzig Frikadellen und zwölf panierte Schnitzel. Der Junge sollte sich endlich mal wieder richtig satt essen. Bei Ute kriegte der doch nur Tofu-Nogger und zugluftgedünstete Gemüsemedaillons.
Kaum saß Mama Ute im Zug nach Köln, stand mein kleiner Freund breitbeinig in seinem Sponge-Bob-Schlafanzug bei mir in der Küche und verkündete: «Atze, ich hab Hunger!»
«Kein Problem, ich hab ein schönes Jägerschnitzel für dich.»
«Iiih, Jäger. So was kann man doch nicht essen!»
«Richtig, mein Junge. Deshalb kommt der ja auch in die Mikrowelle, da machen wir den warm.»
«Mikrowelle darf ich nicht essen, sagt Mama.»
Mein kleiner Freund war etwas verunsichert, also erklärte ich ihm geduldig die Sachlage: «Eben, deshalb essen wir ja auch nur das Schnitzel.»
«Schnitzel darf ich auch nicht. Mama sagt, wir sind Veganer. Wir essen nichts vom Tier, auch nicht Milch und Eier.» Na, das konnte ja heiter werden.
«Keine Milch und keine Eier? Wie willst du denn dann ein Schnitzel panieren? Aber egal, ich hab auch was Vegetarisches da: lombardisches Haselnuss-Pesto. Besser bekannt als Nutella. Hier hast du das Glas und ’nen Löffel.»
Das war ganz nach dem Geschmack meines kleinen Ehrengasts. Begeistert futterte er drauflos.
Herrlich, wie der Kurze mit Nutella-verschmiertem Gesicht vor der PlayStation saß und zockte wie ein Alter. Ich konnte mich gar nicht sattsehen. Irgendwann gegen neun wurde er von alleine müde. «Atze, ich kann nicht mehr. Ich geh ins Bett.»
«Kein Problem, Philipp. Kannst ruhig gehen, wir haben hier keinen Gruppenzwang.»
Brav trottete Monsieur ins Badezimmer, wischte dreimal mit der Zahnbürste durch den Mund, kloppte mit viel Hingabe einen Köttel olympischen Ausmaßes in die Keramik und haute sich nach dem Händewaschen wohlig in sein neues Bett. Beim Beten gab es noch kleine Irritationen, weil ich seiner Ansicht nach die Hände nicht richtig gefaltet hatte und angeblich im «Vaterunser» nirgendwo von AC/DC die Rede sei.
Danach schlief er selig ein, flüsterte mir aber vorher noch verschwörerisch zu: «Atze, komm mal her. Ich muss dir noch ein Geheimnis ins Ohr sagen: Ich hab dich ganz, ganz doll lieb.» Ehe ich mich’s versah, landete ein dicker, feuchter Schmatzer auf meiner Wange. Beim Verlassen des Gästezimmers wischte ich mir verstohlen eine Träne aus dem Auge. Was war das doch für ein feines Kerlchen!
Von da an schaute ich alle fünf Minuten ins Zimmer und kontrollierte, ob alles in Ordnung war. Dann schnappte ich mir meine Isomatte und legte mich neben Philipps Bett. Erschöpft stellte ich mir den Wecker für das Adventssingen und schlief zufrieden ein.
Am nächsten Morgen klingelte der Wecker pünktlich. Was uns nicht störte, denn wir waren schon seit drei Stunden wach und hörten gemeinsam eine Yakari-Kassette, lasen Philipps Lieblingsbuch «Zehn kleine Gummienten» und spielten «Ich rieche was, was du nicht siehst». Zum Frühstück gab es Leberwurststullen, dänischen Gurkensalat, Schoko-Croissants und jede Menge warmen Kakao, den wir mit einem dicken Strohhalm geräuschvoll aus großen Bechertassen schlürften. Danach rülpsten wir um die Wette. Philipp hatte Spaß wie ein Schnitzel. Nach einer ordentlichen Waschaktion schauten wir uns noch seine Lieblingssendung «Löwenzahn» an und räumten gemeinsam die Bude auf. Dann zogen wir uns warme Jacken an und fuhren zum Adventssingen auf den Essener Weihnachtsmarkt. Dort sollte Philipp mit dem Kinderchor der Musikschule ein Medley der schönsten Weihnachtslieder auf der großen Bühne vor dem Karstadt singen. Machen wir uns nix vor: Ich war aufgeregter als mein kleiner Kumpel. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal auf einem Weihnachtsmarkt gewesen war. Mit einem Kind ist so ein Weihnachtsmarkt tausendmal schöner. Plötzlich ergaben die Karussells und kandierten Früchte wieder Sinn. Und diese Gerüche! Herrlich. Allein wegen der Gerüche lohnt sich ein Besuch: Es riecht nach Zimt, Bratapfel, Glühwein, Bier, Wurst und Erbrochenem. Wunderbar.
Auf der großen Bühne standen dann dicht gedrängt neunzig Kinder inklusive meines Philipp. Alle wuselten durcheinander. Vor der Bühne drängten sich 180 Eltern – dasselbe Chaos wie auf der Bühne. Und kaum war der erste Ton erklungen, rissen alle ihre Fotohandys aus der Tasche, und 180 Arme reckten sich unisono in den sonnigen Winterhimmel. Als dann endlich der Chor auf der Bühne anfing zu singen, klang es, als würden in der Nachbarschaft Katzen totgetreten. Es war schauerlich. Aber je schlimmer es wurde, desto mehr Leben kam in die Eltern dieser Supertalente. Neben mir brüllte ein Asi mit Handy überm Kopf direkt los: «Jason, lauter! Jason! Jaaason, lauter. Lauter, ich hör nix. Ich hör nix! Jaaason!»
Ich konnte es nicht glauben.
«Mann, hast du es gut. Dein Jaust jallert uns ja noch den Heiland aus der Krippe. Der soll lieber aufhören!», sagte ich zu ihm.
Zwecklos. Der Idiot brüllte weiter. Wahrscheinlich hatte er mich noch nicht mal gehört, geschweige denn bemerkt.
Auf der anderen Seite echauffierte sich völlig enthemmt eine fettleibige Schweinemett-Tinkerbell. Zarte 135 Kilo in schmucken «Takko»-Leggins.
«Shania, Shania, schön nach die Mama gucken. Nimm den Finger aus der Nase … aus der eigenen! Shania! Shaaania! Nache Mama gucken!»
Es kam noch besser. Direkt vor mir fing ein gefühlsseliger Russe an zu dröhnen: «Valeria, Valeria, singst du sa schän für die Papa. Schnäääflokchen, kommst du gäääschneit! Sa schän!»
Unglaublich. Nach zehn Minuten war der Spuk vorbei, und wir konnten die Kinder neben der Bühne abholen. Rüde schubste mich der Asi zur Seite und brüllte seinem armen Kind direkt ins Gesicht: «Jason, du Versager! Du musst lauter singen! So kommste nie zum Bohlen!»
Der Russe hatte Tränen der Rührung im Gesicht.
«Valeria, hast du sa schän gesungen. Schnäääflokchen, kommst du gäääschneit! Schnäääflöckchen, Röckchen kommst gäääschneit! Sa schän. Valeria, warst du Beste von allen bei Schnäääflöckchen, kommst du gäääschn…»
Seine lautstark vorgetragenen Lobeshymnen nervten so ziemlich alle Umstehenden. Die Dicke blaffte ihn säuerlich von der Seite an: «Hören Se mal, dat ist falsch, was Sie der Kurzen da erzählen. Wir sind hier in Deutschland. Dat heißt hier: Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit. Nicht ‹kommst du geschneit›, sondern ‹wann kommst du geschneit›. Genau wie es unsre Shania gesungen hat.»
Der Russe guckte die Matrone fragend an und meinte nur achselzuckend:
«Sag ich doch. Schnäääflöckchen, kommst du gäääschneit.»
Das war zu viel für Miss Piggy. Wie von der Tarantel gestochen schwallerte sie auf den Iwan ein und wiederholte unablässig ihre absurde Forderung, er solle den Text endlich richtig aufsagen. Das konnte nicht gutgehen. Irgendwann verliert selbst der leidgeprüfteste Russe seine Geduld.
«Dicke Frau, was weißt du von Schnäääflöckchen? Guck dich an, singst du besser von Glääätscherspalte.»
Das bedeutete Krieg. Die Dicke schlug wie wild auf den Russen ein, der seinerseits versuchte, sich den prügelnden Schwartenbagger vom Leibe zu halten. Mehrere Eltern mischten sich ein, bekamen sich auch in die Köppe und bölkten lautstark durcheinander. Was für ein Theater! Tumulte, Vorwürfe, Gebrüll und Niedertracht direkt vor der festlich geschmückten großen Krippe mit dem Tannenbaum.
Ich brachte Philipp erst einmal in Sicherheit und ließ ihn zwanzig Runden Autoscooter fahren. Dann verputzten wir jeder eine Crêpe mit dick Nutella drauf, bevor ich den glücklichen Strahlemann schließlich nach Hause brachte. Ute war mittlerweile frisch erholt aus Köln wiedergekommen und total begeistert, wie problemlos alles geklappt hatte.
Ich trank eine schnelle Tasse Kaffee mit ihr in der Küche, dann machte ich mich wieder auf den Weg. Ich wollte noch zur Party von meinem alten Kumpel Birkel, dem Geschäftsführer des «69».
Da ich aber etwas früh dran war und mir zugegebenermaßen das Fell juckte, dachte ich bei mir: «Schröder, fahr doch noch mal auf den Weihnachtsmarkt. Es sind ja nicht nur Familien unterwegs. Das ein oder andere Stöckelwild steht bestimmt ganz alleine und verloren an der Glühweintränke. Da gehört es sich für den mächtigen 16-Ender, mal an der Krippe nach dem Rechten zu sehen.»
Nach all dem Adventsgejodel wurde es höchste Zeit für etwas FSK 18.
Schon an der Currywurstbude fiel mir eine grazile Heidschnucke auf, die mit ihrem geborenen Verlierer an einer Bockwurst zuzelte. Ich stellte mich einen Tisch weiter und bestellte eine «Curry extra scharf». Die beiden beobachteten mich und tuschelten. Gleich würde der Typ rüberkommen und nach einem Autogramm fragen, so läuft es meistens ab. Aber weit gefehlt: Beide kamen an meinen Tisch, und Miss Bockwurst kam ohne Umschweife zur Sache:
«Na, hast du Bock auf ’nen Dreier?»
Hilfe! Das fehlte mir gerade noch – zuzugucken, wie der Heini seine schrundige Dackelflöte aus der schlabbrigen Unterhose beförderte. Ich blieb ganz ruhig und ließ das Traumpaar mit einem lässigen «Nein danke, ich fahr lieber Porsche» stehen. Bloß weg hier! Ich folgte dem geselligen Lärm und verzog mich schnell in die «Marktschänke». Gute Idee, denn mitten im Gedränge stand eine Vollgranate an der Theke. Ich war entzückt. So etwas sah man nicht alle Tage. Eine echte Augenweide, eine Cremeschnitte, so süß wie Milch und Honig, die Haut, so zart wie Samt und Seide. Aber Vorsicht, Männer! So einen Diamanten kannst du nicht einfach stumpf anbaggern. Da ist Stil gefragt, Stil und Finesse. Savoir-vivre, eine goldrichtige Melange aus Philosophie, Lebenserfahrung und Herzblut. Die richtigen Worte wollen wohlüberlegt sein, um eine Königin zu erobern. Wer nur seinem schlichten Instinkt folgt, kommt nicht ans Ziel. Wie sagte schon Voltaire so treffend: Die Ehrgeizigen und die Wollüstigen haben selten Zeit zu denken. Oh Frankreich, l’amour, toujours, à Paris, dans la nuit … au sacre cœur! Natürlich, das war die Lösung! Mit Französisch würde ich mein knuspriges Baguette am schnellsten in den Ofen befördern.
Ich flüsterte ihr mit heiserem Raunen von hinten ins linke Ohr: «Bonjour, mon amour. Mon petit dejeuner. Moi, le président du défloration, je t’adore! Baise moi … ce soir!»
Erschrocken drehte sie sich um.
«Was soll der Mist? Was willst du?»
Na bitte. Klappt doch. Siegesgewiss setzte ich zum finalen Todesstoß an: «Zu dir oder zu mir?»
Sie grinste über beide Ohren und zeigte mir den Ring an ihrem Finger.
«Tut mir leid, du edler Lockenritter, aber mir geht’s wie der Ado-Gardine. Goldkante, seit sechs Jahren betreutes Wohnen, verheiratet.»
Das durfte doch nicht wahr sein! Okay, manchmal muss man deutlich werden.
«Mich stört es nicht, Chérie!»
Sie lächelte wie eine Sphinx. Da ging vielleicht doch noch was.
«Aber mich. Ich glaub noch an Werte wie Ehe, Treue und gegenseitiges Vertrauen.»
Ich seufzte resigniert.
«Du hast Langeweile vergessen.»
Rums, da war die Tür zu. Das war wohl ein Wort zu viel. Für alle Fälle gab ich ihr meine Karte und schob hastig ein versöhnliches «Falls du doch mal Lust bekommst» hinterher. Ich trank noch in Ruhe meinen Kakao aus und machte mich auf den Weg. Als ich gerade auf der A2 Richtung Oberhausen fuhr, klingelte mein Handy: «Lady Goldkante hier. Wo bist du denn geblieben? Erst einen auf Grandseigneur de Camembert machen, und dann haust du plötzlich beleidigt ab. Also, falls du gerne halten möchtest, was du mir versprochen hast, dann komm zum Mozartweg 7a. Hier wird gleich die Zauberflöte in drei Akten aufgeführt … mit dir in der Hauptrolle.»
Zehn Minuten später hatte ich Birkel auf nächsten Sonntag vertröstet und parkte meinen dampfenden Boliden im Mozartweg. Spießercity, Endstation Reihenhaussiedlung. Aber immerhin ganz nett gemacht. Ich griff ins Handschuhfach: Bingo. Seit «Shades of Grey» hatte ich immer ein kleines Erste-Hilfe-Lustpaket im Wagen – ein paar Wäscheklammern, Kabelbinder und eine edle Flasche Stolzenfels Sekt, halbtrocken. Jetzt konnte es von mir aus losgehen. Wie ein schwarzer Panther sprang ich mühelos die zwei Treppenstufen hoch. Die Haustür war nur angelehnt. Ich glitt ins Halbdunkle. Gedämpfte Musik. «Sadeness», Enigmas musikalische Referenz an den Marquis de Sade. Mir kräuselten sich die Nackenhaare. Eine Teelichterstraße führte mit getrockneten Nelken- und Rosenblättern bis ins Schlafzimmer. Ich jubilierte innerlich. Das alles roch ja nach einem gepflegten Exorzismus. Na warte, du Luder. Ein diabolisches Grinsen huschte über mein Gesicht, und ich dachte: Schröder, du Satanas Erotica. Wieder alles richtig gemacht!
Als ich ins Schlafzimmer kam, lag sie nur mit einem Hauch von schwarzem Seidentuch bedeckt auf dem Bett, schön und verführerisch wie Aphrodite, die Schaumgeborene, bereit, mit mir den Lustpfad bis zum Hades hinunterzuschreiten. Kaum lag ich in meiner ganzen Pracht neben ihr und fing auf ihren ausdrücklichen Wunsch an zu fummeln, hörte ich eine leise Stimme: «Mama, Mama!» Ich schaute sie verwundert an.
«Hast du mich gerade Mama genannt?»
«Nein, das ist nur das Babyphon. Der Kleine schläft nebenan.»
Ich zuckte nervös zusammen.
«Waaas? Ein Kind, nebenan? Ja, äh, musst du da nicht hin?»
Sie antwortete nicht und wanderte mit dem Mund Richtung tropischer Regenwald. Ich erschauerte. Endlich ein würdiger Gegner! Ich wollte gerade inbrünstig aufstöhnen, da tönte es lauter aus dem Babyphon:
«Mama, Mama! Maaamaaa!»
Ich war irritiert und schaltete automatisch auf halbhart.
«Willst du nicht lieber hingehen? Ich kann so nicht, das macht mich nervös.»
«Jetzt stell dich nicht so an, da passiert nix. Mein Mann liegt doch daneben. Wenn der gleich singt, schläft die Kleine sofort wieder.» Ihr Kopf verschwand wieder unter der Bettdecke. Ich zog sie wieder hoch.
«Hömma, dein Mann liegt auch nebenan? Das ist doch krank! Und was ist, wenn der uns hört?»
«Der hört uns nicht. Jetzt stell dich nicht so an, wir sind doch hier nicht im Streichelzoo! Gib Gas, ich will Spaß!»
Wenn sie nicht so scharf gewesen wäre, dann … ich versuchte mich zu konzentrieren. Aber irgendwie hatte sich meine Lust in Luft aufgelöst. Die ganze Nummer hier war doch völlig absurd und infam! Da rief es wieder aus dem Babyphon: «Mama, Mama!» Nach drei Sekunden ertönte eine tiefe Männerstimme aus dem Gerät und fing schief an zu singen: «Schnäääflöckchen, Weißröckchen, kommst du gäääschneit.»
Ich verließ fluchtartig das Haus.