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12.

Heftig, Alter!

Was ’ne Scheißidee. Achtzig Liegestütze. Zwei Stunden später keuchte ich immer noch wie ein waidwundes Walross und war kaum in der Lage, der klopfenden Ute die Tür zu öffnen. Bewaffnet mit Babyphon und Laptop, setzte sie sich an den großen Küchentisch, klappte das Gerät auf und kam ohne Umschweife zur Sache.

«So, Dr. Love, jetzt zeig mir mal, wo dein berühmter Frosch die Locken hat. Wo sind denn deine Traumtypen im Internet?»

Ich schenkte uns Prosecco ein und prostete ihr zu.

«Ja, gib’ doch mal Elite-Akademiker.de ein, da wirst du dich wundern.»

Ruck, zuck waren wir auf dem Portal. Der vielversprechende Slogan dieser hochseriösen Seite lautete: «Partner über Niveau».

«Na bitte, Ute, mehr geht doch nicht. ‹Über Niveau›. Hier findest du garantiert keinen aus deinem Lehrerkollegium.»

«Was soll das denn heißen? Sind wir Waldorflehrer etwa keine Elite-Pädagogen?»

«Ich will dir wirklich nichts Böses, aber Clausthaler ist ja auch kein richtiges Bier.»

Das war wohl etwas zu offensiv für Madame.

«Sag mal, spinnst du jetzt? Wir haben alle ganz normal studiert. Das darf doch wohl nicht wahr sein!»

Ich ruderte unauffällig zurück.

«Na siehste, so gefällst du mir. Jetzt hast du endlich mal richtig Puls. Dieses deprimierte Durchhängen passt ja auch gar nicht zu dir. Noch ’n Sektchen?»

«Sei bloß vorsichtig, Freundchen. Ich bin keine von deinen blonden Lamettatanten.»

«Was soll das denn jetzt heißen? Komm mal runter, Frau Nachbar. Du suchst doch was zum Poppen – nicht ich!»

Sie sprang mir fast an die Gurgel.

«Bitte??? Ich suche gar nichts! Weißt du was, mir wird das hier echt zu blöde, ich geh jetzt ins Bett.»

«NEIN! Jetzt, bleib doch hier, Ute. So hab ich es doch gar nicht gemeint. Komm, bitte – Frieden jetzt. Lass uns doch erst mal deine Daten hier in das Formular eingeben und dann in Ruhe abwarten, was passiert.»

In der nächsten Stunde füllten wir den Fragebogen von Elite-Akademiker.de aus. Das war vielleicht ein Akt! Das Schlimme an Ute ist, dass sie auch nicht einen Moment bereit ist, die Wahrheit ein bisschen zu schönen. Sie trug ihr korrektes Alter, ihre richtigen Maße und sogar ihre tatsächlichen Hobbys ein. Ich wollte nicht unhöflich sein und sie auf keinen Fall unnötig reizen – aber in meinen Augen las sich das wie eine Tragödie: «Normal aussehende 37-jährige Waldorfpädagogin, durchschnittliche Figur, Nichtraucherin mit kulturellem Interesse». Um Gottes willen, langweiliger ging’s doch nun wirklich nicht! Ich redete auf sie ein wie auf ein krankes Pferd. Was sollte dabei denn rumkommen? Das klang doch, als würde Kardinal Lehmann ’ne neue Haushälterin suchen. Ich verzweifelte fast an ihrem Mangel an Sachverstand. Vorsichtig versuchte ich ihr klarzumachen, dass Männer im Internet nicht nach dem Typ «Fräulein Rottenmeier» suchen, sondern eher ein Date mit einem Topmodel Marke «Heidi Klum» bevorzugen. Sie konterte bockig mit: «Ja, Männer wie du vielleicht!» Der Fall war hoffnungslos, und ich beschloss, die Taktik zu ändern.

«So, Ute, ich bin müde. Ich muss morgen früh raus.»

Als sie gegangen war, entschloss ich mich zu handeln. Wenn das Glück nicht von selbst an die Tür klopft, muss man die Tür eintreten. Eins war klar – so wie Ute sich beschrieben hatte, würde sich höchstens das Priesterseminar Hodenhagen bei ihr melden. Was für ein Jammer! So würde sie nie in von göttlicher Erotik durchtränkten Laken erwachen, Worte ohne Zusammenhang stammeln, um im Strom der Begierde flussabwärts gerissen zu werden. Feuchtgebiete, Shades of Grey, Lady Chatterley’s Lover. Niemals liebestrunken auf die Room-Service-Taste drücken – keine Champagnerbäder, abgerissenen Duschvorhänge, Delirien der Wollust und danach ’ne schöne Tasse warmen Nesquik. Das durfte ich nicht zulassen. Gott sei Dank hatte ich mir ihr Passwort notiert. Als ob ich geahnt hätte, dass diese Frau meinen rationalen Argumenten nicht zugänglich sein würde.

Umgehend machte ich mich an die Arbeit, schaltete meinen eigenen Computer ein und ging auf die Seite von Elite-Akademiker.de. Es wurde höchste Zeit, in Utes Profil von Schwarzweiß auf Farbe umzuschalten. Nachdem ich ihre Grunddaten etwas modernisiert hatte, tauschte ich ihr uraltes, biederes Führerscheinfoto gegen ein Bild von Heidi Klum aus. Es war leider ein Foto mit Seal, den ich aber gar nicht gebrauchen konnte – da ging es mir genau wie Heidi. Also verfremdete ich den Schnappschuss mit «Photoshop» ein wenig. Seal machte ich schwarz, und Heidis Gesicht tauschte ich durch Utes aus. Zusammen mit den High Heels und dem üppigen Dekolleté erstrahlte meine Miss Waldorf in ganz neuem Glanz. Toll.

Ich nahm mir vor, das getürkte Foto wieder gegen das alte zu tauschen, wenn sich die ersten zehn gemeldet hatten. Bis dahin würde Ute die Trickserei ja gar nicht mitbekommen, weil ich zur Sicherheit noch ein neues Passwort installierte.

Nach einer Woche hatte ich nur eine Zuschrift erhalten, und zwar vom Administrator der Partnerbörse, der mir sachlich mitteilte, dass er das Profil aufgrund unseriöser Angaben gelöscht habe. Was für ein Arschloch! Was soll bitte schön an «Riesenoberweite» unseriös sein?

Auch Ute wunderte sich, weil sie keinen Zugang mehr zu ihrer Seite bekam. «Du mit deinem Internet. Alles Blödsinn. Und überhaupt, ich such sowieso keinen. Es kommt, wie es kommt», maulte sie.

Was soll’s, wer nicht will, der hat schon … Ich war ab morgen sowieso mehrere Wochen auf Tournee und hatte dann keine Zeit mehr, Utes Liebesboten zu spielen.

Selbst an Philipps Geburtstag am 7. März konnte ich nur anrufen und dem kleinen Mann fest versprechen, bald wieder zurück zu sein. Was freute sich der Kurze, als ich ein paar Tage später wieder zur Tür reinkam! Unterwegs hatte ich ein Bobby-Car von Porsche gekauft und in Schmittis Lackbude genauso lackieren lassen wie meinen: RS-Orange, mit schwarzen Streifen und einer weißen 94 auf der Tür. Freude pur, alles richtig gemacht: Der Bengel schnappte sich das Dingen und stieg die nächsten drei Tage nur noch zum Schlafen ab. Zahleiche Opfer säumten seinen Weg: Flöcki wurde mehrfach frontal über den Haufen gefahren, Kati konnte eine Woche nicht arbeiten gehen, weil ihr der kleine Geisterfahrer im Hausflur über die frisch pedikürten Zehen gebrettert war. Kein Mitleid! Wer läuft auch im März barfuß durch das Treppenhaus?

Auch Ute sah gut aus und strahlte über das ganze Gesicht. Ich sagte: «Na, meine kleine anthroposophische Tulpenzwiebel, was siehst du so hübsch erblüht aus? Ist es die Freude über unser Wiedersehen?»

Es sprudelte nur so aus ihr raus: «Ja, ich freu mich wirklich, dich wiederzusehen. Mir geht es saugut. Du wirst es nicht glauben, ich bin frisch verliebt!»

Mein Gehirn befahl meinem Gesicht, nicht zu entgleisen, und wie durch eine Käseglocke hörte ich mich sagen:

«Mensch, toll, Ute. Suuuper. Das freut mich aber für dich.» Ich fing mich innerhalb weniger Sekunden und strahlte mein berühmtes Bühnenlächeln: «Herzlichen Glückwunsch. Wer ist denn die Glückliche?»

Utes gute Laune war durch nichts zu erschüttern.

«Hihi», stupste sie mich in die Seite, «das hättest du wohl gerne. Waldorflesbe liebt Biotonne! Hihi. Von wegen, der ist echt ein Supertyp. Der wird dir gefallen, er war auch mal Musiker und hat in einer Essener Band getrommelt. Er sagt, er kennt dich noch von früher. Ach Mensch, wie hieß die Band noch mal … irgendwas mit Zwerchfell, ach … egal. Jedenfalls heißt er Heiko. Er hat die Apotheke am Markt. Heiko Müller.»

Es fühlte sich an, als würde aus einem fliegenden Hubschrauber auf mich geschossen. Und zwar aus allen Rohren. Heiko Müller! Das durfte doch nicht wahr sein. Von allen miesen Wichsern dieser Welt war Heiko mit Abstand der mieseste und das dümmste Stück DNA, das ich kannte: dreimal geschieden, ehemaliger Schützenkönig und bekennender Resthaar-Pferdeschwanzträger. Baggerte alles an, was nicht bei drei auf dem Baum saß, und anschließend den Baum selber. Wurde sogar neulich von Rolex-Frankie als leidenschaftlicher Swinger geoutet. Normalerweise bin ich nicht bereit, solche Verdächtigungen zu glauben, aber bei Heiko mach ich gern mal ’ne Ausnahme.

«Heiko Müller, der Heiko Müller? Da freu ich mich aber.»

Ute schaute mich etwas irritiert an.

«Dann erzähl das doch mal deinem Gesicht. Das sieht nämlich nicht so aus!»

In meinem Schädel gab es plötzlich einen Kurzschluss, und es platzte aus mir heraus.

«Um ehrlich zu sein, Ute: Ich kenn kein größeres Arschloch als Heiko!»

Ich war selbst erstaunt über meine heftigen Worte. Zu meiner Überraschung lächelte sie mich nur siegesgewiss an.

«Genau das hat Heiko vorausgesagt. Er hat gewusst, dass du so reagieren würdest. Er hat mir nämlich alles erzählt, was in seinem Leben so schiefgelaufen ist. Mir kannst du nichts erzählen. Der Arme hat einfach nur viel Pech gehabt.»

«Ja, klar, Ute. So kann man es auch ausdrücken. Man nennt das ja auch wirklich Pech, wenn die Ehefrau zufällig früher nach Hause kommt und ihren Mann mit zwei Apothekergehilfinnen im Bett vorfindet. Der Arme.»

«Ach Atze, das ist doch überhaupt nicht wahr. Die Geschichte ist uralt und außerdem erstunken und erlogen. Du bist doch einfach nur eifersüchtig, weil ‹Milzbrand› damals ihn als Trommler genommen haben und nicht dich.»

Wie sie so dastand, die Arme vor der Brust verschränkt und sich ihrer Sache so sicher, und dann noch den Mist von diesem Idioten wiederkäute – das machte mich rasend vor Wut.

«Ey Ute, hör auf, mir so einen Scheiß zu erzählen, sonst flipp ich aus! Mach, was du willst, aber sollte mir dieser Lappen hier übern Weg laufen, dann hau ich ihm so was von aufs Maul, dass ihn seine eigene Mutter nur noch an der Stimme erkennt.»

Sie bebte vor Zorn und Enttäuschung. Hochrot im Gesicht ging sie auf mich los.

«Du bist ja völlig verrückt! Du hast sie doch nicht mehr alle. Der tolle Herr Schröder, unser großer Star, kann es wohl nicht ertragen, wenn andere Leute auch mal glücklich sind und er mal nicht die erste Geige spielt. Das hätte ich nie von dir gedacht!»

Sie riss die Tür auf und schob mich in den Flur. Außer sich vor Wut, brüllte sie mich an: «Auf Wiedersehen, aber es eilt nicht. Du bist ein richtiges Arschloch, weißt du das? Ein Arschloch!»

In dem Moment ging unten die Haustür auf, und Utes Mutter kam mit Philipp auf dem Arm vom Spielplatz wieder.

«Was ist denn hier los? Atze, wie siehst du denn aus? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?»

Ich schaute an ihr vorbei und murmelte: «Heiko Müller.» Dann drehte ich mich auf dem Absatz um und stürmte die Treppe hoch zu meiner Wohnung.

Nachdem ich eine Stunde im Dunkeln auf dem Küchenboden gesessen hatte, ging ich rüber zu Gerd und klopfte. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür, und vor mir stand Essens Bauminister mit einer Riesentüte in der Hand. Ohne ein Wort zu sagen, nahm ich ihm den Jolly ab, schmiss mich auf sein indisches Kifferkissen und pfiff mir drei dicke Züge in die Lungenflügel. Gerd blickte mich mitfühlend an und sagte nur: «Sorry, ich hab alles gehört. War ja auch nicht zu überhören. Ist es so heftig, Alter?»

«Yo, Gerd. So richtig heftig, Alter.» Ich nahm noch einen tiefen Lungenhieb. Ungerührt holte er aus seinem Goa-Holzkästchen einen neuen Jolly, rauchte ihn an, setzte sich neben mich und legte seinen Arm um meine Schulter: «Heftig, Alter.»

Und dann kam Ute
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