SECHSUNDZWANZIG
Bettini hatte den argentinischen Botschafter überredet, die chilenischen Oppositionsführer zu einer Veranstaltung zu Ehren des großen Filmregisseurs Armando Bo und seiner Lieblingsschauspielerin Isabel Sarli einzuladen. An ausgewählte Gäste waren Einladungen zu einer Vorführung seines Spielfilms Carne versendet worden, mit anschließender Verkostung eines Pinots aus der Andenregion Mendoza und eines neuen Cabernet Sauvignon von einem Weingut eines chilenischen Industriellen, der von den Bankiers liebevoll »Der Demokrat« genannt wurde.
Bettini wollte alle politischen Führer der gegen Pinochet antretenden Parteien beisammen haben, um ihnen vorab den Werbefilm vorzuführen, der ihm so viele Magenschmerzen bereitete. Wenn alle kommen würden, hätte er die bestmögliche Jury, die – anstatt des sinnlichen Kinofilms mit der Sarli – die ersten Bilder seiner ›Nein‹-Kampagne vorgeführt bekommen würde.
Der argentinische Botschafter begrüßte seine Gäste in Anspielung auf Fellinis La strada mit »È arrivato il ›no‹«.
Eigentlich hatte Olwyn der Voraufführung der ›Nein‹-Kampagne fernbleiben wollen; er wusste, dass er unter Beobachtung stand, und war auf der Hut. Ein Besuch in der Botschaft war riskant, und er wollte auf keinen Fall seinen Rivalen einen vorzeitigen Einblick in die »Nein«-Kampagne geben. Aus demselben Grund hatten auch die Vorsitzenden der Parteien zunächst gezögert und ihre Vertreter aus der zweiten Reihe angemeldet.
Doch Bettini hatte nichts so sehr gefürchtet wie Olwyns Absage. Wenn der Mann, der bei ihm »Lebensfreude« in Auftrag gegeben hatte, nicht bei der Vorführung dabei sein würde, wie sollte er dann den hartgesottenen Kämpfern der Linken Florcita Motudas Nein-Walzer nahebringen? Würden sie seine Strategie überhaupt verstehen, seinen Kniff, einen Todesstoß als etwas Fröhliches zu verkaufen?
Trotzdem wollte er die fünfzehnminütige Kampagne vorführen, falls ihm irgendeine Kleinigkeit entgangen war; er wollte sichergehen, dass nicht einzelne missglückte Bilder die Fernsehausstrahlung zum Debakel machen würden.
Man musste klug vorgehen. Anklagen, aber nicht unnötig provozieren. Pinochet für seinen mutigen Entschluss loben, sich international demokratisch legitimieren zu wollen. Wenn ihm irgendetwas Ehrenrühriges unterlaufen sein sollte, würde Pinochet zu einem Gegenschlag ausholen, notfalls die Zensur einschalten, und damit seinen Kopf aus der Schlinge ziehen.
Und so hatte er den Botschafter überredet, Olwyn eine Einladung zu einer Vorführung des Films mit der Sarli zu schicken. Perfekt, dachte der. Die Spitzel des Innenministers würden melden, Olwyn sei zu einer kulturellen Veranstaltung in die diplomatische Vertretung des befreundeten Landes gegangen. Und siehe da, der Diplomat hatte tatsächlich ein Videoband von Carne besorgt.
»Sie sind wirklich ein Perfektionist, Herr Botschafter. Wenn Sie zu einer Taufe eingeladen sind, wollen Sie wahrscheinlich vorher ein Baby gezeigt bekommen, und wenn man Ihnen bei einer Beerdigung keine Leiche vorführt, werden Sie ärgerlich.«
Bettini erblickte Olwyns Gesandtschaft in den Sesseln in der ersten Reihe. Der Botschafter reichte holländische Zigarillos, Patricia stellte ihnen Bänkchen hin, damit sie die Beine ausstrecken konnten, und Raúl Alarcón alias Florcita Motuda verbeugte sich vor ihnen im Vorbeigehen.
Che Barrios verkabelte die Lautsprecher. Als er fertig war, winkte Bettini ihn zu sich. Er wollte den jungen Techniker, den sie in letzter Minute aufgetrieben hatten, in Reichweite haben, falls es notwendig sein sollte, die Vorführung zu unterbrechen.
Der Botschafter sprach ein paar einleitende Worte zu dem Film mit Isabel Sarli. Er wolle sich, so sagte er, von diesen Künstlern aufs Schönste überraschen lassen. Außerdem wolle er den anwesenden Freunden mitteilen, dass der chilenische Innenminister am Montag angerufen und versichert habe, General Pinochet werde, wie auch immer das Plebiszit ausfiele, das Ergebnis der Stimmenauszählung respektieren.
»Na ja«, räumte der Botschafter ein und bereitete damit die Zuhörer auf den vulgären Ausdruck vor, den er nun mit blendendem Lächeln wortwörtlich wiedergab, »er sagte mir auch, ›wenn Sie verlieren, haben sie es verschissen‹.«
Der Botschafter schloss seine Begrüßung zu dieser »ökumenischen« Veranstaltung – seine originelle Adjektivwahl garnierte er mit einem weiteren Lächeln – mit den Worten: »Die Verfassung von 1980 verpflichtet Pinochet zu diesem Plebiszit, doch wir alle wissen, dass das Militär die Macht besitzt, sich um die Verfassung einen Sie wissen schon zu scheren. Aber wir müssen nicht immer den Teufel an die Wand malen. Gehen wir davon aus, dass der General sein Wort halten wird.«
Er zeigte mit dem Zigarillo auf Bettini, auch wenn seine Worte an alle gerichtet waren.
»Um die Wahrheit zu sagen, ich erwarte einen Geniestreich, denn wir alle kennen den Lebenslauf dieses talentierten Werbemanns. Ein Mann, ›bittersüß wie das Leben‹, den der Innenminister eigentlich für seine ›Ja‹-Kampagne buchen wollte. Er, der sich selbst als ein David sieht, der gegen Goliath antritt, hat sich trotz aller Risiken, die das bedeutet, entschieden, Gegner des Präsidenten zu sein. Das ist sein Recht. Und ich bin jetzt gespannt, was er sich ausgedacht hat, damit die Chilenen sich schweren Herzens von ihrem General trennen.«
Der Botschafter nahm mit einer Hand das Video von Carne und mit der anderen das Band von No, dann beugte er sich zu den Parteiabgeordneten herunter und fragte sie, ob sie in diesem Fall auf die Sarli verzichten könnten, trotz »der beiden gewichtigen Gründe, die sie mitbringt, um die Leinwand einzunehmen«.
Alle lachten herzlich, und der junge Chilene, der kürzlich aus Argentinien zurückgekommen war, Héctor Barrios, drückte auf »Play«. Der Botschafter dämpfte das Licht, und es begann die Vorstellung der fünfzehnminütigen »Nein«-Kampagne.