III
Sie mußten viel lernen und sich erklären lassen. Während der nächsten Tage war es die Aufgabe des Denkers, mit dem Professor zusammenzuarbeiten.
»Wie stellt man die Kontrollen ein? Ist das hier zum Lenken?«
»Sie lenken nicht – Sie setzen nur die Computer in Gang.
Hier, ich zeige es Ihnen noch einmal.«
»Und man kann sich jede beliebige Zeit in der Vergangenheit aussuchen?« fragte der Denker.
»Theoretisch ja. Das größte Problem ist die genaue Berechnung. Bedenken Sie, daß wir und unsere Erde nicht statisch sind. Unsere Lage im Raum ist nicht die gleiche wie vor einem Augenblick, ganz zu schweigen von einem längeren Zeitraum. Man muß die Geschwindigkeit des Lichts mit einbeziehen, die Bewegung der Planeten, die Beugung und …«
»Das wird Ihr Ressort sein. Aber Sie können auf mathe-matischem Weg die Vergangenheit genau ermitteln und den Computern entsprechend eingeben?«
»Ich bin ziemlich sicher.«
»Dann bleibt nur noch, zu entscheiden, wohin – oder besser, in welche Zeit wir wollen.«
Sammy, Nunzio und Mush besprachen das Problem unter 148
sich.
»Vielleicht brauchen wir bloß ein paar Wochen zurück-zugehen, ehe der Professor seine Wetten abgeschlossen hat.
Dann sind wir doch schon nicht mehr pleite.«
»So? Und was ist mit den Steuerschulden?«
»Dann gehen wir eben so weit zurück, daß wir sie noch nicht haben.«
»Das ist genau die Zeit, als wir mit dem Geschäft angefangen haben, Idiot. Da waren wir pleite.«
»Na ja, wenn wir schon in jede Zeit zurückgehen können, die uns gefällt, wie wär’s dann, wenn wir ganz weit zurückreisen, zu den alten Ägyptern zum Beispiel? Ich hab’ mal ein paar Bilder gesehen. Da rannten die duften Puppen alle in der Unterwäsche ‘rum.«
»Kannst du Ägyptisch, du Idiot? Und außerdem – wir wollen doch nicht für immer sonst wo bleiben. Ich stell mir vor, daß wir uns Zeit lassen, um einen einträglichen Fischzug zu machen und dann wieder zurückzukommen.«
»Das ist eine Idee. So müßte es gehen. He, wie wär’s mit dem großen Goldrausch?«
Der Professor unterbrach sie. »Ich fürchte, der Goldrausch wird den Herren nicht viel nützen. Schließlich ist das im Jahre 1849 passiert.«
»Aber Sie können uns doch nach achtzehnhundertneun-undvierzig zurückschicken, oder?«
»Das ist denkbar, wenn meine Theorie stimmt. Aber dann wären Sie noch lange nicht in Kalifornien. Sie wären immer noch hier in Philadelphia, und zwar auf dem Feld, auf dem später irgendwann dieses Haus errichtet wurde.«
»Dann müssen wir den Zaster in Philly auftreiben, wie?
Irgendwann in der Vergangenheit?«
»Ich fürchte ja.«
»Meine Güte. Und wir können mit der Maschine doch auch nicht plötzlich auf offenem Feld auftauchen.«
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Dann schaltete sich der Denker ein. »Ich sehe unser Problem schon ziemlich klar«, erklärte er. »Professor, ich muß mich einen Tag lang mit Ihrer Bibliothek beschäftigen. Vielleicht finde ich heraus, wann in Philadelphia Gold zu haben war.«
»Die Münze war schon immer da.«
»Zu gut bewacht. Die könnten wir nie ausrauben, denn in der Vergangenheit ist es ja nie jemandem gelungen.«
»Banken?« strahlte Sammy plötzlich. »Mit unseren Feuer-spritzen könnten wir doch mit Leichtigkeit einen von den großen Läden ausnehmen – sagen wir mal vor hundert Jahren.«
»Und dann mit einem Haufen Dollarnoten zurückkommen?
Mit dem Geld könnten wir doch heute überhaupt nichts anfangen. Es würde Verdacht erregen. Nein, was ich suche, ist Gold.«
Schließlich fand der Denker den entscheidenden Hinweis in einer Ausgabe von Berkeleys History of the Revolution. Er erklärte es den anderen, die den Professor bewachten.
»Da haben wir die Lösung!« rief er. »Wißt ihr, was in Philadelphia am vierten Juli 1776 los war?«
»Das ist doch ein Feiertag, nicht?« strahlte Nunzio.
»Klar, Mann«, sagte Sammy. »Damals haben sie Washington zum Präsidenten gemacht.«
»Nein, da war die Unabhängigkeitserklärung«, korrigierte ihn Mush.
»Richtig. Der Kongreß, der in der jetzigen Independence Hall versammelt war, verabschiedete die Unabhängigkeitserklärung. Und so weiter. Aber da ist noch eine weitere, weniger bekannte Tatsache, die wir nicht übersehen dürfen: Am gleichen Tag und am selben Ort wurde einer kleinen Gruppe zur vorläufigen Aufbewahrung der Revolutionsschatz übergeben. Er bestand aus über dreißigtausend Pfund Sterling in Form von Barren. Das sind ungefähr hundertfünfzigtausend Dollar in Gold.«
»Bruder!« Sammy pfiff durch die Zähne. »Das ist eine Art, 150
den vierten Juli zu feiern!« Dann verdüsterte sich sein Gesicht.
»Ich wette, die hatten eine Menge Wachen aufgestellt.«
»Nein. Gerade das ist ja der springende Punkt. Es war ein Geheimnis. Nur wenige Leute wußten bis zu jenem Tag davon.
Gegen Mittag hatten Soldaten den Schatz in einem Wagen herangeschafft. Sie wußten nicht, was sie transportierten. Die Kisten wurden nach oben geschafft, und um keinen Verdacht zu erregen, stellte man keine Wachen auf. Außer Benjamin Franklin, Thomas Jefferson und ein oder zwei weitere Personen – vermutlich John Hancock und wahrscheinlich auch Charles Thomson, der Kongreßsekretär – wußten davon. Das Gold war für die Löhnung der Soldaten und den Einkauf von Vorräten bestimmt.«
»Und es würde sicher reichen, um Mike Tarantino und das Finanzamt zufriedenzustellen. Da würde uns noch eine Menge übrigbleiben.«
»Genau das habe ich vor, meine Herren.« Der Denker lächelte. »Wir müssen nur noch die Details ausarbeiten. Ich werde mich der historischen Aspekte annehmen, und der Professor wird die notwendigen mathematischen Berechnungen anstellen.«
Professor Cobbett erbleichte. »Berechnungen? Aber Sie verlangen das Unmögliche. Schließlich war das vor rund hundertachtzig Lichtjahren. Milliarden verschiedenster Größen müssen berücksichtigt werden, und der kleinste Fehler kann schwerwiegende Folgen haben.«
»Es wird keine Fehler geben«, bedeutete ihm Sammy.
»Sonst werden die Folgen wirklich schwerwiegend. Für dich.«
Er zeigte dem Professor seinen Revolver. »Und jetzt mach dich an die Arbeit. Wir müssen dringend verreisen.«
»Verreisen.« Mush sah ihn an. »Und das Zeug war alles in der Independence Hall. Die Maschine hier ist aber im Keller.
Wahrscheinlich werden wir am vierten Juli auf irgendeiner Kuhweide ‘rauskommen, oder?«
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»Das ist dein Job«, sagte Sammy. »Schau dir den Laden an.
Wieviel Wachen nachts da sind. Alarmsystem und alles. Schau dir’s an, als ob du ‘ne Bank ausnehmen willst. Wenn wir’s dann geschafft haben, mieten wir uns einen Lastwagen, karren die Maschine bis zur Halle und starten von da. Klar?«
»Das wird ein verdammt harter Job.«
»Das ganze Leben ist hart«, meinte Sammy. »Und jetzt hau ab.«
Also haute Mush ab, und auch der Professor machte sich an die Arbeit, und der Denker war sowieso schon dabei. Und noch ehe die erste Woche verstrichen war, hatten sie alles vorbereitet.
Mush berichtete. Das Eindringen in die Independence Hall würde kaum Schwierigkeiten machen. Natürlich würden sie Geld für den Lastwagen ausgeben müssen, und es würde vielleicht auch Verfolger geben, aber die könne man sicher abwimmeln.
Und angesichts ihrer gegenwärtigen, hoffnungslosen Situation – und der zu erwartenden Beute – war es das Risiko wirklich wert, befand Sammy.
Der Professor weihte sie in die aufgrund seiner Berechnungen eingestellten Kontrollen ein.
»Bist du sicher, daß uns das Ding hinbringt?« fragte Sammy.
»Und auch wieder zurück?«
»Sehen Sie nach«, sagte der Professor. »Sehen Sie selbst nach.«
»Es ist in Ordnung«, erklärte der Denker. »Ich habe es selbst überprüft. Ihr müßt wissen, daß wir keine feste Rückkehrzeit haben. Nach unserem Plan müssen wir uns das Gold verschaffen und so früh wie möglich am Nachmittag zurückkehren. Also hat der Professor über den ganzen Nachmittag verteilt Rückkehrmöglichkeiten in Fünf-Minuten-Abständen programmiert. Es ist so narrensicher, daß wir hoffen dürfen, es ohne Panne zu schaffen.«
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»Na schön, wenn du das sagst«, meinte Sammy schulter-zuckend. »Aber was ich wissen möchte, ist, was wir eigentlich tun, wenn wir hinkommen?«
»Auch das habe ich ausgearbeitet«, erklärte der Denker. »Ich habe alle Bücher und Nachschlagwerke studiert, die ich bekommen konnte. Historische Abhandlungen. Biographien, besonders über Franklin und Jefferson. Und ich habe auch schon einen Plan. Die ersten, die an jenem Morgen eintrafen, waren offensichtlich Jefferson, Thomson, Franklin und John Hancock.
Es ist nicht ganz klar, ob nicht sogar einer von ihnen die ganze Nacht dort verbracht hat. Wichtig ist, daß sie offenbar an jenem Morgen ganz früh noch eine Besprechung abgehalten haben, bei der sie die Unabhängigkeitserklärung noch einmal durchgingen, die sie später dem Kongreß präsentierten. Wenn wir also früh genug eintreffen, haben wir es nur mit vier Männern zu tun. Übrigens den einzigen, die von dem Gold wissen.«
»Kapiert«, sagte Sammy. »Wir kommen ‘rein, ziehen die Knarren und übernehmen.«
»Nicht ganz so einfach«, sagte der Denker. »Denk daran, daß an diesem Morgen auch der Kongreß zusammenkommt. Wir dürfen nicht glauben, daß wir diese vier Figuren bis Mittag mit unseren Waffen in Schach halten können, geschweige denn, daß es uns gelingt, so lange Zeit in der Menge unentdeckt zu bleiben.«
Als Sammy den Mund öffnete, unterbrach er sich kurz; dann fuhr er hastig fort: »Ich weiß, was du jetzt denkst, und das klappt auch nicht. Wir können nicht erst gegen Mittag auftauchen und das Gold mitnehmen. Nicht vor fünfzig oder mehr Männern und mit den Soldaten vor der Tür.«
»Aber was sollen wir denn tun?«
Der Denker holte tief Luft, und dann sagte er es ihnen.
»O nein!« schrie Sammy.
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»Ich – ich soll John Hancock mimen?« keuchte Mush.
»Ich soll mit einer von diesen Perücken ‘rumlaufen?«
stöhnte Nunzio.
Der Denker blieb ruhig. »Begreift ihr denn nicht, daß es die einzige Lösung ist? Die Perücken sind eine ausgezeichnete Tarnung. Ich habe Bilder von all diesen Männern, und wir können uns mühelos einen Schminkkasten besorgen. Ich bin glücklicherweise kahl und habe in etwa Franklins Statur. Was das Aussehen anbelangt, so schaffen wir es leicht. Und davor, die Rolle eines Politikers zu spielen, braucht ihr auch keine zu große Angst zu haben.«
»Hm«, machte Mush nachdenklich. »Was ist schließlich so ein Politiker überhaupt? Bloß ein Kerl, der gelernt hat, wie man Babies küßt.«
»Wir werden aber an diesem Morgen keine Babies küssen«, erinnerte ihn Sammy. »Ich habe auch ein bißchen gelesen. Die vier Burschen haben an dem Morgen eine Menge erledigt.
Ansprachen gehalten, versucht, die restlichen Kongreßmit-glieder zur Unterschrift zu bewegen und alles mögliche sonst.
Und sie kannten jeden Menschen und jeder kannte sie. Wenn wir versuchen, das zu tun, was sie getan haben, fliegen wir garantiert auf.«
»Das ist ja der springende Punkt«, sagte der Denker triumphierend. »Wir müssen nicht tun, was sie getan haben.
Dadurch, daß wir in der Zeit zurückgehen, verändern wir, was geschehen ist. Ich glaube, ich bin mit Franklins Persönlichkeit ziemlich vertraut. Wenn nötig, kann ich reden. Sammy, ich werde dich unterstützen. Die beiden anderen können abwesend sein, wenn nötig – und es könnte ja schließlich sein, daß wir unsere Maschine und die Gefangenen im Nebenzimmer bewachen müssen. Wir werden einen historischen Vorgang nicht einfach nachstellen, sondern die Geschichte verändern –
zu unseren Gunsten, versteht sich. Habt ihr das jetzt verstanden?«
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Sie verstanden es schließlich doch, weil es ihnen der Denker gründlich in die Gehirne hämmerte.
Und so arbeiteten sie den Plan in allen Einzelheiten aus, besorgten sich einen Lastwagen und beluden ihn am Abend vor der Abreise vorsichtig mit der Maschine.
Erst als sie zum letztenmal in dem nun unverschlossenen Kellereingang standen, wagte es Professor Cobbett, einen letzten schwachen Protest einzulegen.
»Ich sage es ungern«, meinte er, »weil Sie wahrscheinlich Zweifel an meinen Motiven haben. Sie werden glauben, daß ich Angst um mein Eigentum habe und daß es nur ist, weil Sie mich gegen meinen Willen in ein Verbrechen verwickeln. Sie werden vielleicht meinen, daß ich aus patriotischen Gründen gegen Ihren Plan bin, die Geschichte zu verändern.«
»Bist du das etwa nicht?« fragte Sammy.
»Doch, das gebe ich zu.«
Sammy warf Nunzio einen bedeutungsvollen Blick zu und sah dann wieder zum Professor hinüber, als dieser fortfuhr.
»Aber was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, sage ich in meiner Eigenschaft als Wissenschaftler. In dieser Eigenschaft warne ich Sie wie schon am ersten Abend. Die Zeitreise ist ein risiko-reiches Abenteuer. Die Möglichkeit, daß Sie die Vergangenheit durch Ihre Anwesenheit verändern, darf nicht unterschätzt werden. Es ist durchaus möglich, daß Sie sich mit unvorher-gesehenen Faktoren, mit unerwarteten Problemen konfrontiert sehen werden. Deshalb habe ich es nie gewagt, selbst den Versuch zu machen – nicht einmal eine Reise von zwei Minuten, ganz zu schweigen von beinahe zwei Jahrhunderten.
Sollte Ihr Plan fehlschlagen, so muß ich jegliche Verant-wortung ablehnen. Ich werde Ihre Rückkehr mit äußerster Unruhe erwarten.«
»Keine Bange«, bedeutete ihm Sammy. »Das haben wir uns auch schon alles überlegt. Du willst uns wohl mit einem Haufen Bullen empfangen, wenn wir wiederkommen, wie?«
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Der Professor erbleichte. »Das soll doch nicht etwa bedeuten, daß Sie erwarten, daß ich mitkomme?« murmelte er.
»Das könnte ich nicht. Ich könnte es einfach nicht. Ich – ich hätte Angst. Offen gesagt, die Gefahren einer ungenauen Reise und der Veränderung der Vergangenheit schrecken mich mehr als der Tod.«
»Ich bin froh«, sagte Sammy langsam, »daß es nur entweder oder heißt. Du hast uns eben eine Entscheidung abgenommen.«
Der Denker befand sich bereits in dem Lastwagen, aber Mush und Nunzio standen neben Sammy im Keller.
Nunzio zog seine Waffe und Mush grinste.
»Na«, sagte er, »sieht so aus, als ob unsere Reise gleich mit einem Knall anfangen würde.«