PARTNERTAUSCH
Double-Cross
Irgendwann dieser Tage werden Sie meinen Namen in der Zeitung lesen. Was mich ärgert, ist, daß Sie ihn wahrscheinlich gar nicht erkennen werden.
Schließlich kann ich nicht annehmen, daß Sie in der Lage sind, die Namen sämtlicher Direktoren der großen Fernseh-stationen, zu denen ich gehöre, auswendig aufzusagen.
Das Wichtigste ist, daß die Leute hier springen, wenn sie den Namen Willis T. Millaney hören. Bei Mutnal hat mein Name eine Menge Gewicht, und das ist es schließlich, was zählt.
Aufmerksamkeit heischen die meisten Leute, die in der TV-Industrie beschäftigt sind. Der einzige, der sich den Teufel darum zu scheren schien, war Buzzie Waters.
Ja, Buzzie Waters.
Seinen Namen kennen Sie natürlich. Kein Wunder, ich habe während der letzten drei Jahre Tag und Nacht hinter den Kulissen geschuftet, um ihn aufzubauen. Und natürlich kennen Sie ihn auch vom Beliebtheitsbarometer her. Dieser fette Schinken wäre kein Häufchen trockene Bohnen wert, wenn ich nicht gewesen wäre. Buzzie und sein mieses Repertoire aus dem Hinterwald!
Soll ich Ihnen was sagen? Komiker wie Buzzie sind auf dem freien Markt kaum den Dreck unter ihren Fingernägeln wert. Er wäre nie aus der Herde des billigen Fußvolkes herausge-kommen, wenn ich nicht gewesen wäre, und das wissen alle.
Alle außer Buzzie, wie es scheint. Der ganze Ärger begann, als er es vergaß.
Es war ein heißer Nachmittag. Ich saß in meinem Büro, als das Telefon klingelte. Es war Sid Richter, der mich aus dem Theater anrief, wo die Probe für die erste Buzzie-Waters-Show 19
der Herbstsaison stattfinden sollte. Sie gehört genau zu der Sorte Produzenten, die alles bis ins Kleinste mit hundert-prozentiger Sicherheit planen, und als mir das Mädchen am Telefon seinen Namen nannte, konnte ich schon förmlich riechen, daß irgend etwas schiefgelaufen war.
»Also«, sagte ich, »schieß los.«
»Willst du’s wirklich hören?« fragte Sid. »Es wird weh tun.«
»Sag’s noch nicht, antwortete ich. »Laß mich raten. Buzzie paßt das Drehbuch nicht.«
»Nein.«
»Ihm paßt die Rolle nicht.«
»Versuch’s noch einmal.«
»Er ist besoffen angetreten.«
»Schlimmer.«
»Wieviel schlimmer?«
Ich hörte, wie Sid am anderen Ende der Leitung tief Luft holte. »Er ist überhaupt nicht gekommen.«
»Aber das kann doch nicht…«
»Ich habe über eine Stunde auf ihn gewartet. Und nicht nur ich, sondern auch ein vierzehnköpfiges Ensemble plus die gesamte Technik, alle gewerkschaftlich organisiert, und ein Zwanzig-Mann-Orchester.«
»Und was ist nun? Habt ihr versucht, ihn aufzuspüren?«
»Ich hätte dich nicht angerufen, wenn wir das nicht schon versucht hätten. Er wußte genau Bescheid, und gestern abend war er auch noch da. Irgend jemand hat ihn bei Lindy gesehen.«
»Betrunken oder nüchtern?«
»Halb und halb. Er bewarf den Ober gerade mit Käsekuchen.«
»Der gute, alte Buzzie, immer zu Scherzen aufgelegt.«
»Nun, jedenfalls scheint er’s heute nicht zu sein. Wir haben’s in der ganzen Stadt versucht. Heute morgen hat er sein Hotel verlassen, und seitdem hat ihn niemand mehr gesehen.
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Sein Agent hat keine Ahnung, sein Autor weiß von nichts …«
Ich hatte einen schrecklichen Verdacht. »Habt Ihr’s bei seinem Psychiater probiert?«
Sid ließ ein freudloses Lachen vernehmen. »Bei welchem?
Du weißt doch, wie er seit einiger Zeit ist. Er wechselt die Psychiater schneller als seine Autoren.«
»Und was ist mit seiner Freundin, dieser Melody Morgan?«
»Eben mit ihr gesprochen. Behauptet, er hätte sich eine Woche lang nicht mehr bei ihr blicken lassen.«
»So.« Ich zögerte einen Augenblick. »Du baust die übrige Show doch trotzdem auf, nicht wahr? Ihr müßt eben vorläufig um ihn herumschießen.«
»Was können wir denn anderes tun? Ich erreiche ja nicht einmal das Double, das er angeheuert hat, diesen Wie-heißt-er-denn-gleich.«
»Joe Traskin«, sagte ich. »Der springt ein, obwohl mir Buzzie letzte Woche gesagt hat, daß er ihn feuern würde.«
»Großartig! Wir können nicht mal unsere Stars im Griff behalten. Und morgen sollten wir voll proben.«
»Sag’ die Probe nicht ab«, sagte ich. »Ich werde Buzzie für dich finden, und wenn ich die ganze Stadt umdrehen muß.«
»Würde ich dir nicht raten«, murmelte Sid. »Könnte mir vorstellen, daß ein paar ziemlich komische Käfer darunter hervorkämen.« Er machte eine Pause. »Nun mal allen Ernstes: Glaubst du, daß du ihn auftreibst?«
»Das ist meine verdammte Pflicht«, gab ich ehrlich zurück.
»Mach dir keine Sorgen. Schließlich ist das mein Job.«
Kopfschüttelnd legte ich den Hörer auf. Weiß Gott, das war mein Job, mir Sorgen wegen Buzzie Waters zu machen. Den ganzen Sommer über hatte er mir schon nichts als Ärger gemacht. Er weigerte sich, für die Herbstserie zu unterschreiben, erschien nicht zu Terminen bei den Auftraggebern, der Agentur, den Reportern. Und ich konnte nicht mal etwas dagegen tun. Buzzie war ganz oben, und er wußte das. Er 21
konnte bei jedem Sender des Landes seinen Hut übers Mikrophon hängen.
Zu allem Überfluß hatte sich auch noch einer dieser zweitklassigen Schreiberlinge seiner bemächtigt, um so eine miese Biographie über ihn zu schreiben. Sie wissen schon, so eine Story über das arme, vernachlässigte Kind, das seine schlimme Kindheit dadurch im Obermaß kompensiert, daß es sich zu einem großmäuligen Komiker auswächst, nur weil das arme Kerlchen so unsicher ist.
Nein, diese Story vom armen, kleinen Komiker ist etwas, das ich einfach nicht fresse. Eine Menge Leute, ganz gleich ob im Show-Geschäft oder in anderen Berufen, sind unsicher. Aber sie schlachten es nicht aus, haben keine massiv goldenen Monogramme auf den Sockenhaltern und verprügeln keine Kolumnisten.
Sehen wir den Dingen ins Auge: Buzzie war ein Nichtsnutz.
Aber wo war er?
Auf meiner Privatleitung rief ich ein paar Nummern an.
Einen Buchmacher, einen Unternehmer, der eine schwimmende Spielhölle besaß, ein mütterliches, spätes Mädchen namens Maggie, die bekannt dafür war, daß sie einem alles liefern konnte, was man gerade so brauchte, einschließlich Shetlandponies.
Dann, als letzte Hoffnung, rief ich Buzzies Wohnung an –
nicht das Appartement im Hotel, sondern das große Haus draußen auf der Insel. An sich hielt er sich nach dem Labour Day dort nie mehr auf, aber mir gingen die Telefonnummern aus, und irgend etwas mußte ich schließlich tun.
Tatsächlich meldete sich auch jemand.
»Sherwood Forest«, sagte eine Stimme. »Robin Hood am Apparat.«
»Buzzie! Hier spricht Millaney. Was, zum Teufel, soll das?
Weißt du nicht, daß du jetzt auf der Probe sein solltest?«
»Wir sind in keiner Weise amüsiert. Der König hat einen 22
Feiertag proklamiert, und auf den Straßen ist Tanz.«
Der Kerl war voll bis zum Stehkragen.
»Kommst du jetzt freiwillig, oder soll ich persönlich kommen und dich herbeizerren?«
»Es tut mir schrecklich leid, aber Sie haben die Frage nicht korrekt beantwortet. Zum Dank dafür, daß Sie zu uns gekommen sind, möchte ich Ihnen hiermit einen Trostpreis überreichen. Wir haben da eine schöne Packung Zäpfchen, die Sie sich gern in den …«
»Bleib, wo du bist«, bedeutete ich ihm. »Ich bin gleich bei dir.«
Und schon war ich unterwegs. Ich rief Sid nicht mehr an, sagte nicht einmal den Mädchen, wohin ich ging, sondern hastete durch meinen Privatausgang über die Straße zum Parkplatz.
Es war nicht gerade eine Vergnügungsfahrt. Ich kämpfte gegen den Verkehr, gegen die Hitze und gegen die Wut, die mir in den Kopf stieg.
Eigentlich war es doch gar nicht so schlimm. Komiker haben auch früher schon Proben versäumt und sind besoffen gewesen.
Normalerweise wälzt man das irgendwie auf die Firma ab, auf deren Kosten die Show produziert wird und vergißt das Ganze wieder. Aber Buzzie war diese Woche nicht mein erstes Problem. Da war dieses achtjährige kleine Monster, das in unserer Quiz-Show mitmachte und die Erfolge aller berühmten Baseballspieler seit 1908 hersagen konnte. Es wollte aus der Show aussteigen. Dann war da die rauhe Auseinandersetzung mit unserem Cowboystar gewesen, der aus Liebeskummer versucht hatte, sich die Pulsadern durchzuschneiden. Ich hatte ihm gleich gesagt, er solle sich nicht gleich mit einem von den Chorknaben einlassen. Dann war da …
Aber warum weiter davon sprechen? Das ist eben mein Job.
Ich bin Irrenwärter, Kindermädchen, Feuerwehr und Psychiater in einer Person. Jede Woche einmal frage ich mich: Warum 23
überhaupt weitermachen? Und immer wieder bekomme ich die richtige Antwort in Form hübscher, runder Summen.
Ich nehme an, es war die alte Geschichte, die Sie sicher auch kennen. Buzzie pflegte sie gern zu erzählen, und ich fand sie immer ziemlich lustig. Sie handelt von dem alten Knaben, dessen Wagen kaputtgeht und der sich nun von seinem geizigen Nachbarn ein Pferd und einen Buggy leihen will. Auf dem Weg zum Haus des Nachbarn überlegt er, wie geizig dieser Bursche doch ist, und daß er sich ganz sicher weigern wird, ihm etwas zu leihen. Schließlich kann er sich schon ganz genau vorstellen, wie das Gespräch verlaufen wird. Als der Nachbar auf sein Klingeln hin die Tür öffnet, schreit er ihn bloß wütend an: »Na schön, ich werde dir sagen, was du mit deinem Gaul und dem Buggy machen kannst …«
Das war etwa die Stimmung, in der ich mich befand, während ich zu Buzzie fuhr. Allen Ernstes. Vielleicht war er schon vor mir weggelaufen. Als ich klingelte und mir niemand öffnete, war ich dessen schon halbwegs sicher. Dann wurde ich wütend und fing an, mit dem großen Türklopfer aus Messing zu klopfen, und das war mein Fehler. Das Ding war glühend heiß von der Sonne, und ich verbrannte mir zwei Finger.
Das war der Moment, als ich anfing zu fluchen und gegen die Tür zu treten. Und dann stand ich ziemlich dämlich da, als sie sich plötzlich öffnete.
Ich ging hinein. Drinnen war es bedeutend kühler. Ich selbst jedoch war in keiner Weise kühler. Da half auch die Klimaanlage nichts. Ich bebte vor Wut.
»Buzzie«, brüllte ich, »du kannst ‘rauskommen! Ich weiß, daß du da drinnen bist!«
Das war vielleicht ein Dialog. Ich hörte mich wie ein zehnjähriges Kind an. Außerdem stellte ich fest, daß es mich in keiner Weise erleichterte. Ich rannte durch die Halle und in die Bibliothek, vielmehr den Raum, der früher mal die Bibliothek gewesen war, ehe Buzzie das Haus übernommen und eine Bar 24
daraus gemacht hatte.
Man sah, daß es eine Bar war. Überall standen Flaschen und Gläser herum, und als ich hineinkam, glitschte ich erst mal durch eine Alkoholpfütze. Buzzie schien sich prächtig unterhalten zu haben.
Nun, im Augenblick jedenfalls unterhielt er sich nicht mehr.
Er lag ausgestreckt auf dem Sofa und war völlig hinüber.
Er trug einen verschmutzten Sportanzug und hatte sich zwei Tage lang nicht mehr rasiert. Außerdem stank er penetrant nach Alkohol, stellte ich fest, als ich mich über ihn beugte und ihn schüttelte.
»Ha?« murmelte er. »Wer sind Sie? Millaney, wie? Hau ab!«
Ich zwang ihn, sich aufzusetzen.
»Gib’s auf«, sagte ich. »Du kommst mit mir.«
»Nein. Warum soll ich kommen?«
»Probe. Deshalb.«
»Will keine Probe. Brauch’ keine Probe.«
»Verdammt noch mal! Ich laß’ mir einfach nicht mehr alles von dir bieten! Du stellst dich jetzt unter die Dusche und siehst zu, daß du einigermaßen nüchtern wirst. In zwanzig Minuten erwarte ich dich hier – angezogen und abmarschbereit. Ist das klar?«
»Laß mich in Ruhe! Du bist nicht mein Boß.«
Ich schlug ihn ins Gesicht.
Er knurrte mich an: »Ah, du …«
Dann war er plötzlich auf den Beinen und sprang auf mich zu. Er fuhr mit der Hand über den Ecktisch und wischte ein Glas herunter. Seine Finger schlossen sich um den Hals einer Flasche. Er packte sie und schwang sie nach mir.
Es gab nur eines zu tun, und genau das tat ich. Meine Faust fuhr hoch und krachte gegen sein Kinn. Er stürzte rücklings über den Ecktisch und riß ihn mit sich. Die Gläser flogen und klirrten auf den Marmorboden neben dem Teppich, aber ich hörte nur das häßliche Geräusch, das sein Kopf machte, als er 25
landete.
Nun, jedermann weiß, daß man einem Betrunkenen nicht ernstlich wehtun kann. Ich wußte es auch, also beugte ich mich über ihn und schüttelte ihn. Dann war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher. Er war ganz schlaff, und es war, als schüttelte ich einen Leichnam. Seine Augen standen offen und waren verdreht und ich konnte sie nicht ansehen.
Ich nahm sein Handgelenk. Seine Haut war so weiß wie Marmor und hätte, was den Puls anbelangt, den ich fühlte, auch wirklich aus Marmor sein können.
Es war plötzlich sehr still im Zimmer. Ich konnte mich selbst atmen hören – ihn aber nicht.
Und dann wußte ich es …
Drei Stunden später, als mein Besucher eintraf, war es noch stiller. Die Sonne ging schnell unter, aber im Zwielicht konnte ich sein Gesicht erkennen. Er sah eher wie Buzzie Waters aus, als Buzzie Waters selbst.
»Joe Traskin«, sagte ich und erhob mich. »Sie erinnern sich an mich. Ich bin Willis Millaney.«
Er grinste mich lustig an.
»Buzzies Boß«, sagte er.
»War ich. Bis heute nachmittag.«
»Was ist denn …«
Ich ließ ihn seinen Satz nicht beenden, sondern nahm ihn beim Arm und zog ihn hinter das Sofa. Er starrte auf Buzzie Waters.
»Unglücksfall«, sagte ich. Dann erzählte ich ihm, was sich ereignet hatte. Ich brauchte nicht sehr lange, und ich wußte genau, was ich sagen wollte. Ich wußte alles bis ins Kleinste.
Alles außer dem Wichtigsten: wie er es aufnehmen würde.
»Ja, sicher, verstehe«, sagte Joe Traskin. »Aber warum erzählen Sie mir das alles? Sollten Sie nicht mal mit der Polizei reden?«
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Ich starrte ihn an und schüttelte langsam den Kopf.
»Ich glaube nicht, Joe.«
»Aber …«
»Ich hätte die Polizei schon vor drei Stunden anrufen können, als die Sache passiert war. Ich hätte meine Geschichte erzählt, und sie hätten mich eingelocht. Oh, vielleicht käme ich mit Totschlag oder so davon. Zwei Jahre vielleicht, bei guter Führung. Und wenn ich dann wieder herauskäme, könnte ich mich nach einem anderen Job umsehen. Nicht genau das, was ich jetzt mache, aber etwas Ähnliches. Toilettenmann eines kleinen Hotels in der Downtown zum Beispiel.«
»Es tut mir leid, aber ich verstehe einfach nicht, was ich mit all dem zu tun haben sollte.«
»Hören Sie, Joe …« Ich legte meine Hand auf seine Schulter. »Sie verstehen noch nicht, worauf ich hinaus will. Ich rede nicht von meinen Schwierigkeiten. Sicher, ich gebe zu, das war das erste, was mir durch den Kopf geschossen ist, als ich gemerkt hatte, was passiert war. Aber das ist nicht so wichtig. Als ich feststellte, daß Buzzie Waters tot war, vergaß ich mein Selbstmitleid und fing wieder an, wie der Direktor einer Fernsehanstalt zu denken. Und wissen Sie, wie ein solcher Direktor denkt, Joe?«
»Tun die das?«
Er schoß die Frage ab, genau wie Buzzie es getan hätte, und das half. Ich drückte seine Schulter.
»Ja, Joe, das tun sie. Das ist nämlich ihr Job. Das ist mein Job. Nachzudenken und mir Sorgen zu machen. Nicht über mich selbst, aber über andere Leute. Über alle Leute in unseren Shows. Bei Buzzies Show zum Beispiel sind fünfundzwanzig beschäftigt. Da hat jeder seine Aufgabe. Und diese Leute sind es, an die ich jetzt denke. Buzzie Waters töten ist eine Sache, und das ist schlimm genug. Aber ihre Chancen gleich mitzu-töten, ihnen Beruf und Brot zu nehmen, das ist etwas ganz anderes. Ich bin fest entschlossen, Joe. Ich kann es nicht tun.«
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»Aber was …«
»Passen Sie auf, Joe. Es gibt einen ganz einfachen Ausweg, eine ganz klare Lösung. Sie liegt ganz offen vor uns.«
»Wovon reden Sie?«
»Von Ihnen, Joe. Sie sind von jetzt an Buzzie Waters.«
»Aber …«
»Unterbrechen Sie mich nicht, Joe. Lassen Sie mich ausreden. Ich hab’ mir alles genau überlegt. Hier, setzen Sie sich.« Er warf mir einen eigenartigen Blick zu, aber er setzte sich. Und genau da wußte ich, daß ich ihn soweit hatte.
Ich begann, ihm alles zu erklären.
»Überlegen wir doch mal«, begann ich, »wie alles zusammenpaßt. Zunächst einmal wußte niemand, daß Buzzie hier draußen war. Wie es aussieht, muß er gestern Nacht allein hierher gefahren sein und seitdem gesoffen haben. Sid sagte, jemand hätte ihn bei Lindy getroffen. Ich werde das überprüfen und uns alle Informationen verschaffen – wer bei ihm war und was er getrieben hat. Sie brauchen nichts anderes zu tun, als von da an den Faden aufzunehmen.«
»Aber …«
»Hören Sie mir zu.« Ich zündete mir eine Zigarette an und stellte dabei fest, daß meine Hände nicht mehr so sehr zitterten.
»Ich habe mich im Zimmer umgesehen. Es gibt überhaupt kein Blut, und hier sieht es lediglich nach einer wüsten Sauferei aus.
Warum sollten wir überhaupt Ordnung machen? Es wird ohnehin kein Mensch Verdacht schöpfen, denn schließlich ist Buzzie Waters ja immer noch da.«
»Das stimmt.« Joe nickte. »Da ist er. Und was wollen Sie damit anfangen?«
»Wir werden etwas tun«, bedeutete ich ihm. »Gleich hinter der Steilküste gibt es einen tiefen Steinbruch, und die Nacht ist dunkel. Ein paar schwere Felsbrocken, und das Problem existiert nicht mehr.«
»Kein Problem mehr. Und Buzzie Waters existiert weiter.«
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Er überlegte. »Aber was passiert mit Joe Traskin?«
Ich hielt seinem forschenden Blick stand. »Nichts«, sagte ich. »Seien wir doch ehrlich. Was war denn mit Ihnen, ehe Sie letztes Jahr Buzzie trafen? Sie waren nichts als einer unter vielen namenlosen Arbeitern. Sie haben einen Lastwagen gefahren, hatten keine Familie, nicht einmal eine Krawatte.«
»Sie haben meine Post gelesen«, murmelte er.
»Ich habe sie überprüft. Das ist mein Beruf. Aber machen Sie sich nichts draus. Also zurück zum Thema. Buzzie hat Sie wegen Ihrer Ähnlichkeit aufgegabelt. Sie ist auch verblüffend, und das war Ihr Durchbruch. Sie haben als sein Double gearbeitet. Er ließ Sie statt seiner in der Öffentlichkeit auftreten, und ich glaube, daß er Sie ein- oder zweimal angerufen hat, damit Sie sich den Fotografen stellten, wenn er etwas anderes am Abend vorhatte.« Joe sagte nichts und grinste nur.
»Na schön, Sie haben also ein Jahr lang seine Person gespielt. Und letzte Woche hat er Sie entlassen. Was haben Sie dann gemacht?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe mein Hotelzimmer aufgegeben und habe mir eine Unterkunft außerhalb der Stadt gemietet. Ich habe dort die ganze Zeit seither verbracht.«
»Und als Ihr Zaster knapp wurde, haben Sie was gearbeitet«, fuhr ich fort. »Sie wurden wieder Lastwagenfahrer. Vielleicht hat Ihnen seitdem einmal jemand gesagt, daß Sie Buzzie Waters ähnlich sehen, aber das war auch alles. Ich hasse es zu sagen, daß Sie entbehrlich sind, Joe. Ohne Ihre Double-Tätigkeit sind Sie ein Niemand. Niemand in der ganzen Industrie hier hat sich auch nur gefragt, was aus Ihnen geworden ist, seit Buzzie Sie gefeuert hat. Sie sind einfach verschwunden, untergetaucht. Nun, Sie haben nicht einmal einen Anwalt, nicht wahr? Und auch keine Familie, die sich um Sie kümmern könnte.«
»Jedenfalls haben Sie mich verdammt schnell aufgespürt«, bemerkte er.
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»Glück.« Ich zog ein Stück Papier aus der Tasche. »Ihr Name und Ihre Adresse standen auf diesem Schmierzettel, den ich auf dem Schreibtisch gefunden habe.«
Joe nickte. »Das stimmt. Ich erinnere mich daran, daß ich ihn angerufen habe, als ich umzog, um ihm für alle Fälle meine neue Nummer zu geben. Vielleicht wollte er mich heute anrufen.«
»Das werden wir nie mehr erfahren«, sagte ich. »Und es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist nur, daß Sie von der Bildfläche verschwinden können, ohne daß jemand neugierig wird. Sie haben eben einfach die Stadt verlassen, und das ist alles.«
»Für mich klingt das alles immer noch ziemlich riskant.«
»Unsinn. Erinnern Sie sich an den Kerl, der vor sieben oder acht Jahren in vielen Shows auftrat, weil er ein Doppelgänger von Harry Truman war? Wie oft haben Sie sich wohl gefragt, was aus ihm geworden ist?« Ich ließ meine Worte einwirken.
»Nein, es besteht überhaupt keine Gefahr. Das verspreche ich Ihnen. Und glauben Sie mir, für mich steht mehr auf dem Spiel als für Sie. Aber in dem Augenblick, als ich Ihren Namen und Ihre Telefonnummer auf dem Telefonzettel fand, wußte ich, daß das Problem gelöst war.«
»Na schön.« Joe zündete sich eine von seinen eigenen Zigaretten an. »Vielleicht kann ich ohne Schwierigkeiten untertauchen. Aber das bedeutet noch lange nicht, daß ich mich mit Buzzie Waters messen kann.«
Ich zuckte die Schultern. »Wenn ich Sie wäre, würde ich darüber nachdenken, Joe. Es rentiert sich immerhin.«
»Wieviel?«
Jetzt war es an mir, zu grinsen, als ich sein Gesicht sah und die Vorfreude in seiner Stimme bemerkte.
»Ich werde Ihnen keinen einzigen Cent anbieten«, erklärte ich. »Nicht einen Cent. Alles, was ich Ihnen biete, ist Buzzie Waters’ Name. Und dieses Haus hier, seine Wohnung in der Stadt, seine Autos, sein Bankkonto und sein augenblickliches 30
wöchentliches Einkommen. Dazu seinen Vertrag, seine Bekanntheit, seine Zukunft. Das alles – auf einem silbernen Tablett. Und Sie müssen nichts dazu tun, als ›ja‹ sagen.«
»Das ist alles, wie?« Joe packte die Armlehnen seines Stuhls. »Haben Sie nicht ein paar Kleinigkeiten vergessen?
Buzzie Waters ist – war ein großer Komiker. Jede Woche muß er eine neue Show bringen – und man ist es gewohnt, daß er die Menschen begeistert.«
»Sie wissen doch selbst, daß das nicht so schlimm ist, Joe.
Wir haben vier Autoren, die die ganzen Scherze schreiben.
Buzzie hat sich in der letzten Saison nicht einmal die Mühe gemacht, zu den Manuskriptbesprechungen zu erscheinen.
Nicht einmal die Routinegags hat er sich gemerkt. Er hat das Zeug einfach vom ›Neger‹ abgelesen. Natürlich mit seiner eigenen Mimik und seinen bekannten Gesten. Aber seine Stimme, seine Gebärden und seine Art, sich zu geben, haben Sie in weniger als einer Woche gelernt. Ich werde dafür sorgen, daß Sie Aufzeichnungen seiner alten Shows zu sehen bekommen. Gesungen oder getanzt hat er nie, darum brauchen wir uns also nicht zu kümmern. Buzzie ist ein synthetisches Produkt, Joe – eine gelungene Kombination der richtigen Autoren und des richtigen Aufbaus. Wenn ich so aussehen würde wie Sie, könnte ich selbst für ihn auftreten.«
Joe nickte. »Sie haben wohl nichts von ihm gehalten, Millaney?«
»Wer tat das überhaupt?« Ich stand auf. »Seien wir doch ehrlich. Wenn seine Freunde wüßten, was heute hier geschehen ist, würden sie das Haus stürmen und mir eine Medaille verleihen. Sie tun es natürlich nicht, und überdies bezweifle ich, daß er überhaupt Freunde hatte.«
»Vielleicht sind Sie voreingenommen.« Joe zögerte. »Aber eines ist sicher: Er kannte eine ganze Menge Leute. Vielleicht kann ich vor der Kamera als Buzzie Waters agieren. Aber was ist mit dem Privatleben? Mit all den Leuten, die ihn kannten?«
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Da war es wieder an mir, zu grinsen.
»Darin haben Sie doch schon einige Erfahrung. Sie sind für ihn vor den Pressefotografen aufgetreten, und kein Mensch hat den Unterschied bemerkt. Der Rest ist lediglich eine Angelegenheit des Eingewöhnens in die neue Rolle – des Erlernens wichtiger Einzelheiten seines Lebens und seiner Bindungen.
Ich werde Ihnen jeden Zeitungsausschnitt zugänglich machen, in dem jemals etwas über Buzzie geschrieben wurde. Ich werde Ihnen alle unsere Unterlagen über ihn zugänglich machen, und ich verspreche Ihnen, wir haben eine ziemlich komplette Geschichte. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich wie ein Direktor denke, Joe. Ich habe mir all das von dem Augenblick, als ich beschloß, Sie anzurufen, genau überlegt, und ich habe keine Einzelheit außer acht gelassen. Buzzie hatte keinen festen Manager. Befreundet war er mit keinem Menschen, außer mit ein paar komischen Kollegen und Saufkumpanen. Noch ein Plus für uns – ich weiß auch, daß er bei Psychiatern war. Es gibt also niemanden, der wirklich mit diesem Burschen intim war. Und was die Details anbelangt, so bin ich sicher, sie Ihnen lückenlos liefern zu können. In einer Woche werden Sie Buzzie mehr ähneln als Buzzie selbst. Mit der Ausnahme, daß Sie nicht so viel saufen, kein solches Großmaul und bei weitem nicht so egoistisch sind.«
»Sie haben ihn gehaßt, nicht wahr?«
Ich seufzte. »Wie, glauben Sie, hat sich wohl der alte Doktor Frankenstein gefühlt, als er feststellte, was für ein Monster aus dem Kind geworden war, das er geschaffen hatte?«
»Und ich soll also jetzt das neue Monster werden.«
»Was haben Sie zu verlieren?«
Joe sah mich starr an. »Nun gut«, sagte er, »was habe ich zu verlieren?«
Ich streckte ihm meine Hand entgegen.
Er mußte sich etwas nach vorn beugen, um sie zu ergreifen, denn wir standen zu beiden Seiten der Leiche.
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Glücklicherweise gab es keine größeren Schwierigkeiten. Die Leiche bei Dunkelheit in dem Steinbruch verschwinden zu lassen, war kein Problem. Natürlich war es nicht gerade ein Picknickausflug, aber schließlich mußte es getan werden. Und als wir es erst einmal hinter uns hatten, war das Schlimmste vorüber – zumindest für mich. Von nun an fiel die Hauptlast Joe zu, und ich war sehr zufrieden, zu sehen, daß er sich einfügte und den Job schaffte. All die Kleinigkeiten wie Wohnung kündigen, persönliche Habseligkeiten loswerden und in Buzzies Haus übersiedeln, gingen reibungslos vonstatten.
Für Sid Richter hatte ich schon eine Story parat, wie ich Buzzie gefunden und aus seinem Rausch geweckt hatte, und am nächsten Tag ging die Probe wie geplant über die Bühne.
Wenn Joe irgendwelche Fehler machte, hielt man sie wahrscheinlich einem Kater zugute. Und ich selbst konnte keinerlei Fehler entdecken.
In den folgenden zwei Wochen verbrachte ich eine Menge Zeit mit ihm; ich vermittelte ihm alle Daten, die er brauchte und brachte ihm Namen, Verbindungen, Referenzen bei und zeigte ihm die Freunde – oder das, was in Buzzies Welt für Freundschaften gegolten haben mochte. Als er sich erst einmal eingefunden hatte, schien alles erstaunlich leicht zu gehen. Wir machten sogar Schreibübungen; in wenigen Tagen konnte er die Unterschrift perfekt nachahmen, anhand von Fernsehauf-zeichnungen erfuhr er alles, was er über Buzzie, den Komiker, wissen mußte.
Natürlich schwitzte ich oftmals, und als der Termin für die erste Show näher rückte, war meine Stirn keinen Augenblick mehr trocken. Trotzdem – selbst in den schlimmsten Situationen schien es immer noch wesentlich leichter zu sein, als wenn der echte Buzzie dagewesen wäre. Welcher Art die Schwierigkeiten waren, mit denen wir konfrontiert wurden, ich wußte zumindest, daß ich jemanden hatte, der bereit war, sie zusammen mit mir zu überwinden. Wir arbeiteten, wie ein 33
gutes Team zusammenarbeiten muß.
Mit Buzzie hatte ich die ganze Zeit nichts als Streitereien gehabt. Joe arbeitete gut. Er lernte schnell, und ich hielt ihn beschäftigt und hielt ihm lästige Frager und Besucher vom Hals. Wir hatten ja auch die großartige Ausrede, daß wir uns auf die Herbstsaison vorbereiten mußten. Und ich hatte das Gefühl, daß wir richtig im Geschäft waren, wenn wir erst einmal die Hürde der ersten Show genommen hatten.
Nun, er schwitzte Kugeln und ich ganze Atombomben, und endlich war der große Abend da – und dann war meine Stirn wieder trocken.
Er war so gut, wie Buzzie immer gewesen war. Nein, er war besser als Buzzie. Es gab keinerlei Pannen oder Pfusch. Er spulte eine prima Show ab.
Und als es vorbei war, ging er nach Hause in sein Appartement, um zu schlafen, statt wie Buzzie auszugehen und mit Käsekuchen nach Kellnern zu werfen.
Um die Wahrheit zu sagen, ich war derjenige, der ausging und feierte. Ich hatte das Gefühl, daß ich es verdient hatte.
In den folgenden Wochen lief alles wie am Schnürchen.
Keinerlei Probleme. Ich konnte Joe schon ziemlich oft sich selbst überlassen; es schien, als könne er mit seinem neuen Leben ganz gut allein fertig werden. Ich behielt ihn natürlich an den Zügeln und wir trafen oft zusammen, aber es gab keinen Anlaß zur Kritik.
»Wie gefällt es Ihnen?« fragte ich ihn.
»Mir hat in meinem ganzen Leben noch nie etwas solchen Spaß gemacht«, erklärte er, und ich sah ihm an, daß er die Wahrheit sagte.
Also hörte ich auf, mir Sorgen zu machen. Schließlich waren schon zwei Monate vergangen, und ich hatte beinahe vergessen, wie alles geschehen war. Ich weiß, es klingt verrückt, aber es ist die Wahrheit: der wirkliche Buzzie Waters verschwand aus meinem Gedächtnis, wie jener schreckliche 34
Nachmittag immer mehr verblaßte. Dann kam die Katze zurück.
Genau genommen war es keine Katze. Eher ein Kanarienvogel …
Sie zwitscherte eines Morgens an meiner Sekretärin vorbei und benahm sich, als sei mein Privatbüro ihr eigener Käfig.
»Melody Morgan!« rief ich mit einer Begeisterung in der Stimme, die ich weiß Gott nicht fühlte.
Aber da war sie nun – Melody Morgan, Buzzies kleine Spielgefährtin.
Im gleichen Augenblick, als ich sie sah, fing das Schwitzen wieder an. Für gewöhnlich kommt so ein kleines Vögelchen nie so weit; Tatsache ist, daß sie es normalerweise nie wagen würde, dem Boß einfach einen Besuch abzustatten, sich bis ins Büro zu wagen, einfach hinzusetzen und die Beine über die Armlehne meines bestbezogenen Sessels baumeln zu lassen.
Aber – hier war sie.
»Kann ich irgend etwas für Sie tun?« fragte ich.
»Nun, ja, Mr. Millaney, ich glaube schon.« Sie blinkerte mit ihren falschen Wimpern und warf mir einen verschwörerischen Blick zu. »Ich möchte einen Job.«
»Einen Job. So.«
»Ich bin Sängerin, wissen Sie.«
»Ja, ich weiß«, bestätigte ich mit gekräuselten Lippen. »Aber das ist nicht meine Abteilung. Sie müssen Loomis sprechen, in der Hörfunkabteilung, oder Seagrist.«
»Nein, Mr. Millaney. Ich habe schon mit ihnen gesprochen.
Sie haben nichts für mich.«
»Ziemlich schwierig, wie?«
Sie lächelte. »Nicht gerade. Um ganz ehrlich zu sein, Mr.
Millaney, ich glaube nicht, daß sie mich für eine besonders gute Sängerin halten. Deshalb engagieren sie mich nie.«
»Oh.«
»Und, um bei der Wahrheit zu bleiben, ich glaube selbst 35
nicht, daß ich gut singe.«
»Und trotzdem glauben Sie, ich würde Sie engagieren.«
»Genau, Mr. Millaney.«
»Irgendwelche Gründe?«
»Ja. Ich bin sehr gut mit Buzzie Waters befreundet.«
»Ich weiß.«
»Ich habe ihn in den letzten Wochen ziemlich oft gesehen.«
»Das – das wußte ich nicht.« Ich wußte es wirklich nicht, und ich verfluchte mich innerlich deswegen.
»Sie sind ein sehr beschäftigter Mann, Mr. Millaney. Sie können schließlich nicht alles wissen.«
»Das stimmt.« Es stimmte. Aber das hier war eine Sache, von der ich unbedingt gewußt haben sollte. Selbstverständlich würde sich Joe früher oder später an Buzzies Freundin heran-gemacht haben. Aber warum hätte das nicht ein klein wenig später sein können?
»Nun, jedenfalls möchte ich, daß Sie mich engagieren.«
»Haben Sie eine besondere Show im Auge?«
Sie zuckte die Schultern. »Das ist mir eigentlich egal. Sie können mir einen Pauschalvertrag mit dem Sender geben.«
Melody Morgans falsche Wimpern hörten auf zu blinkern. Sie sah mich ganz ruhig an. »Ich will Sie nicht in Verlegenheit bringen, da ich wirklich eine lausige Sängerin bin. Ich werde nicht darauf bestehen, aufzutreten. Geben Sie mir einfach den Vertrag, und ich bin zufrieden.«
»Nun …« Ich zögerte. »Wir haben da natürlich einen Vertrag für ein festes Engagement. Die übliche Laufzeit ist sechs Monate. Aber …«
»Bitte.« Sie erhob sich. »Ich möchte einen Vertrag für fünf Jahre. Und zwar unkündbar. An die kürzeste Laufzeit habe ich wirklich nicht gedacht. Und ich dachte auch nicht an die niedrigste Gage.«
»Was hatten Sie sich denn da so vorgestellt?«
»Tausend die Woche«, sang sie in perlenden Tönen. Ihr 36
Auftritt war wirklich perfekt.
Ich stand da. Ich hatte eine Menge Antworten auf Lager, aber keine davon war wirklich gut. Ich hätte sie fragen können, ob sie verrückt geworden sei, ob sie durchgedreht habe, wer sie sich eigentlich einbildete zu sein, mit wem sie wohl glaubte zu sprechen. Aber ich wußte, daß so etwas nicht helfen würde.
Nicht einmal Buzzie Waters’ vier Autoren wäre in diesem Augenblick etwas Vernünftiges eingefallen.
Ich räusperte mich und sagte: »Weiß Buzzie, daß Sie hier sind?«
Sie lachte. »Natürlich nicht. Das wissen wir doch beide.
Buzzie weiß überhaupt nichts mehr. Oder, Mr. Millaney?« Sie sah meinen Gesichtsausdruck und lachte noch einmal auf. »Ich bestehe nicht auf einer Antwort auf diese letzte Frage. Es könnte peinlich für Sie sein. Antworten Sie mir lediglich auf meine Bitte um den Job.«
»Und wenn ich das nicht tue?«
»Dann, fürchte ich, muß ich Ihnen die letzte Frage noch einmal stellen. Und noch eine Menge weiterer Fragen. Zum Beispiel, was aus diesem Knaben geworden ist, den Buzzie gefeuert hatte, diesem Joe Traskin. Ich habe ihn in letzter Zeit überhaupt nicht mehr gesehen. Sie vielleicht?«
Ich beugte mich vor. »Wie sind Sie …«
»Bitte! Jetzt wird es mir peinlich. Wenn ein Mädchen mit Buzzie so intim befreundet ist wie ich, dann müssen einem doch gewisse Dinge auffallen, oder? Kleine Veränderungen.
Unterschiede. Und dann zählt man zwei und zwei zusammen, und schon hat man das Ergebnis.«
»Und zu welchem Ergebnis sind Sie gelangt?«
»Tausend die Woche«, sang sie wieder. Und es gab nur einen Weg, dieses Singen abzustellen.
»Na, schön«, sagte ich. »Aber ich muß Ihnen wohl nicht sagen, was das für ein Geschäft ist. Sie müssen Ihren Mund halten.«
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»Mit Vergnügen.«
Es würde einer Menge Umwege und Beziehungen und riesiger Erklärungen bedürfen, um den Leuten begreiflich zu machen, warum ich so einem zweitklassigen Flittchen einen Fünfjahresvertrag gegeben hatte. Und wahrscheinlich mußte ich die tausend pro Woche letzten Endes doch aus meiner eigenen Tasche bezahlen. Aber es gab keinen anderen Ausweg.
Jetzt nicht. Nicht, bis ich mit Joe gesprochen hatte …
Joe konnte mir nicht helfen.
»Ich sage Ihnen, ich weiß überhaupt nichts davon«, erklärte er. »Ich habe nie den leisesten Verdacht geschöpft, daß sie irgend etwas vermuten könnte.«
»Aber warum mußten Sie unbedingt bei ihr herumhängen?«
»Die Antwort darauf müßte Ihnen doch selbst einfallen. Weil sie und Buzzie so eng befreundet waren. Ich konnte sie nicht fallenlassen, sonst hätten die Schwierigkeiten augenblicklich angefangen. Sie wissen, daß er ihr dieses Appartement finanziert hatte. Sie hätte ein Getöse veranstaltet…«
»Wie nennen Sie das?« unterbrach ich ihn. »Tausend Dollar die Woche! Das stinkt zum Himmel!«
»Harte Geschichte. Aber so spielt das Schicksal.«
»Es müßte aber nicht so weiterspielen.«
»Was meinen Sie damit?«
Ich blickte zur Decke. »Nehmen Sie mal an, Sie haben ein Haustier, Joe. Sagen wir, einen Kanarienvogel. Und Sie werden seiner überdrüssig. Vielleicht wollen Sie ihn einfach nicht mehr singen hören. Was tun Sie dann?«
Er starrte nicht zur Decke. Er starrte mich nur an und schüttelte den Kopf. »Eins müssen Sie sich merken, Kumpel«, sagte er. »Ich mag Haustiere sehr gern. Und ganz besonders dieses. Und ich mag die Dinge genau so, wie sie sind. Wenn ich Buzzie Waters sein soll, dann muß ich alles haben, was er gehabt hatte. So war es ausgemacht.«
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»Ja, aber was ist denn an dieser Dame so Besonderes? Ich meine, Sie können alles haben, was Sie wollen. Meine Freundin Maggie würde Ihnen …«
»Ich bin nicht an Shetlandponies interessiert. Dieser Kanarienvogel genügt mir vollauf. Und Sie wollen doch, daß ich zufrieden bin, nicht wahr, Kumpel?«
»Sicher will ich das, Joe.«
»Nennen Sie mich Buzzie. Das tun alle.« Er beugte sich über den Schreibtisch. »Und wenn Sie wollen, daß sie mich weiterhin Buzzie nennen, dann sollten Sie lieber nichts durcheinanderbringen. Einmal sind Sie davongekommen, aber ein zweites Mal werden Sie nicht so viel Glück haben. Lassen Sie’s lieber, wie es ist.«
»Na, gut.«
Aber es war durchaus nicht gut, und ich wußte das. Die tausend Dollar waren schlimm genug, aber Joes neue Einstellung war noch viel schlimmer. Er hatte nie zuvor versucht, sein neues Gewicht in die Waagschale zu werfen, und das war ein schlechtes Zeichen.
Noch ehe die Woche zu Ende war, kam es noch schlimmer.
Er rief mich an und bat mich, ihn zu einer Unterredung in seinem Appartement in der Stadt zu besuchen. »Wie wär’s mit neun Uhr heute abend?« Ich willigte ein. Ich würde da sein, und ich würde pünktlich sein. Es war höchste Zeit, endlich klare Verhältnisse zu schaffen. Joe erwartete mich. Es hatte den Anschein, als fühle er sich sehr zu Hause. Er trug einen von Buzzies Hausmänteln mit dem protzigen Monogramm und Buzzies breites Grinsen im Gesicht. Und ich sah ihm an, daß er sich auch einige von Buzzies Lieblingsschnäpsen zum Nach-tisch genehmigt hatte. Der Kaffeetisch strotzte vor Flaschen.
»Willkommen in meinem bescheidenen Heim«, begrüßte er mich. »Nehmen Sie doch Platz.«
»Lassen Sie die Routine ruhig weg«, bedeutete ich ihm. »Ich habe Ihnen einiges zu sagen, und ich möchte, daß Sie mir 39
genau zuhören. Es ist höchste Zeit, daß wir einmal einiges klarstellen. Offen gestanden, ich mag diese unabhängige Art, die Sie an den Tag legen, überhaupt nicht. Von jetzt an werde ich die Befehle erteilen. Und so werden wir in Zukunft arbeiten.«
»Sparen Sie sich das«, sagte er. »Es wird nicht nötig sein.«
»Warum nicht?«
»Weil wir in Zukunft nicht mehr zusammenarbeiten werden.« Er ging hinter seinen Schreibtisch. »Ich sagte, daß ich ein paar Neuigkeiten für Sie habe. Sehen Sie sich das an.« Er warf mir ein Bündel Papiere zu.
Ich warf einen Bück auf den Briefkopf. »Ein Vertrag? Und mit diesem verdammten …«
»Bitte, Sie sprechen von meinen künftigen Arbeitgebern.
Und das werden sie schon in etwa fünf Wochen sein.«
»Sie gehören zu uns.«
»Auf der Basis von Vierteljahres-Optionen und mit einer lächerlichen Kündigungszeit von einem Monat.«
»Sie würden doch unsere Show nicht im Stich lassen.«
»Natürlich nicht. Die Show nehme ich mit. Und die meisten meiner Leute werden mit mir gehen.«
»Ihrer Leute? Was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind?«
»Buzzie Waters. Und die anderen meinen das auch. Alle. Sie haben das schließlich arrangiert, nicht wahr?«
Meine Kehle schmerzte. Ich konnte kaum sprechen. »Aber Sie können doch nicht so einfach abhauen …«
»Für siebentausend mehr die Woche kann ich alles. Mit solchen Beträgen können Sie nie mithalten.«
»Natürlich nicht.« Ich starrte auf den Kaffeetisch. »Das muß ich auch nicht. Wir sitzen in dieser Sache in einem Boot. Und wir bleiben gemeinsam drin. Ich habe Sie gemacht, und ich kann Sie auch wieder vernichten.«
»Das verstehe ich nicht.«
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»Dann werde ich es Ihnen erklären.« Ich lächelte ihn an. Es tat weh, jetzt lächeln zu müssen, aber ich schaffte es. »Als ich Sie an jenem Nachmittag in Buzzies Haus rief, habe ich Ihnen erklärt, daß ich ein Manager bin und mir alles genau überlegt habe. Nun, das stimmte natürlich. Ich wußte genau, was ich tat und warum ich es tun mußte.
Ich hätte mich seiner Leiche gleich entledigen und Sie später herzitieren können. Aber ich hatte meine Gründe, warum ich Sie gleich dabei haben wollte und warum Sie mir helfen mußten. Nicht weil ich Ihrer Assistenz bedurfte, sondern weil Sie das zum Mordkomplizen machte. So jedenfalls wird es das Gericht sehen, wenn Sie versuchen sollten, mich zu hintergehen.«
»So ist das also!«
Ich nickte. »Vielleicht glauben Sie, daß ich niemals gestehen würde. Aber wenn Sie mir eine Grube zu schaufeln versuchen, dann werde ich es tun. Weil Sie wissen, was geschieht. Wenn diese Show fällt, dann fällt auch mein Kopf. Sie werden mich kreuzigen. Wenn ich Sie weggehen lasse, bin ich für diesen Sender und jedes andere Unternehmen in der Branche gestorben. Ich habe mein Leben diesem Job geopfert. Wenn ich ihn verliere, dann ist es auch um den Rest nicht mehr schade.
Ich warne Sie also – wenn Sie gehen, werde ich reden. Und wenn sie mich dann auf den elektrischen Stuhl setzen, werden Sie neben mir sitzen.«
»Sie lassen sich auf keine Kompromisse ein, wie?«
»Genau.«
»Sie sind ein Mörder«, murmelte er. »Und das ist der wahre Grund, warum ich diesen Vertrag unterzeichnet habe. Sehen Sie, ich hatte mir das alles etwas anders vorgestellt.«
»Was meinen Sie damit?«
»Denken Sie jetzt mal zurück«, sagte er. »Als ich Sie draußen in dem Haus aufsuchte, sagten Sie mir, daß es sich um einen Unfall handelte. Ich war damals bereit, Ihnen das 41
abzukaufen. Und ich sah tatsächlich einigen Sinn darin, Sie zu decken und noch mehr, all die anderen Leute zu beschützen, die an der Show mitarbeiten. Schließlich und endlich wäre niemandem damit geholfen gewesen, wenn ich Sie angezeigt hätte. Also ließ ich mich dazu überreden, mitzumachen. Dann fand ich aber heraus, daß Sie wirklich ein Killer sind. Es wurde mir an jenem Tage klar, als Sie mich baten, Ihnen dabei zu helfen, Melody loszuwerden. Nur ein echter Mörder kann so denken, Millaney. In jenem Augenblick beschloß ich, Sie zu verlassen. Und genau das werde ich tun.«
»Sie sollten das lieber nicht versuchen«, flüsterte ich. »Ich werde reden.«
Er schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie das. Ich habe ein Alibi.«
Ich starrte ihn an.
»Ja, ein Alibi. Melody. Sie wird beschwören, daß ich jenen Nachmittag mit ihr verbracht habe. Ich bin aus dem Schneider.« Er grinste. »Tatsache ist, daß ich wirklich einen Teil jenes Nachmittags bei ihr verbracht habe. Und ein paar Leute haben mich hineingehen sehen. Glücklicherweise sah mich niemand herauskommen.«
Mit Mühe gelang es mir, hervorzustoßen: »Sie wollen aus dem Schneider sein? Sie waren nicht bei Melody. Sie kannten Melody damals ja noch gar nicht. Sie haben sie ja erst kennengelernt, nachdem Buzzie gestorben war.« Er grinste wieder.
»Ich hab’ eine Neuigkeit für Sie«, sagte er. »Buzzie war nie tot.«
»Aber …«
»Sie haben Joe Traskin umgebracht«, murmelte er. »Ich bin Buzzie Waters.«
Ich stand einfach da und starrte auf den Kaffeetisch. Er drehte sich.
»Und jetzt drehen wir mal den Spieß um«, fuhr er fort. »Ich 42
war draußen in meinem Haus, als Sie mich anriefen und losbrüllten. Mir war nicht nach einer Probe zumute, und mir war auch nicht danach, mich auf Ihr Gezänk einzulassen. Sie sagten, Sie würden gleich herüberkommen.
Da kam mir die großartige Idee für diesen Gag. Ich rief Joe an und bestellte ihn her. Er kam mit einem Taxi. Ich bot ihm seinen alten Job wieder an – unter der Bedingung, daß er statt mir im Haus bliebe und sich Ihr Getobe anhörte. Wir nahmen ein paar Drinks miteinander, und er erklärte sich einverstanden.
Aber er war in Sorge um seine paar Habseligkeiten, denn er nahm an, daß seine Vermieterin sich daran vergreifen würde, weil er schon seit einiger Zeit mit der Miete im Rückstand war.
Ich sagte ihm, das sei überhaupt kein Problem, wenn er mir den Schlüssel gäbe. Ich würde dann bei ihr bezahlen und das Zeug zurück zum Haus bringen. So machten wir es dann auch aus.
Auf dem Hinweg machte ich kurz Station bei Melody. Wir hatten einen Mordsspaß, jedesmal, wenn wir uns vorstellten, wie Sie auf den armen Joe einbrüllten. Dann verließ ich sie und begab mich zu seiner Wohnung. Das war kurz, bevor Sie dort anriefen.
Ich konnte mir natürlich nicht vorstellen, was passiert war.
Nicht ehe ich ins Haus kam und Sie – und Joe sah. Der arme Kerl muß sich ganz schön an die Flasche gehalten haben, nachdem ich ihn allein gelassen hatte. Ich kann’s ihm nicht verdenken. Er wollte Sie wohl nicht sehen. Nun, der Schuß ging für ihn nach hinten los, nicht wahr?
Aber als Sie mir erzählten, es sei ein Unfall gewesen, beschloß ich, daß der Gag weitergespielt werden sollte. Und da wurde es wirklich großartig – als Sie mir vorschlugen, mich selbst zu spielen. Das war das Komischste, was ich je in meinem Leben gehört hatte. Nie im Leben würde mir das jemand glauben, oder? Und genau deshalb war ich nie in irgendwelchen Schwierigkeiten. Wer in aller Welt sollte wohl glauben, daß ich geholfen habe, meinen Doppelgänger zu 43
beseitigen, nur um mich selbst zu spielen? Es ist völlig sinnlos, ganz einfach, weil ich keinerlei Motiv hatte. Sie sind der Mann mit dem Motiv. Was mich anbelangt – ich habe Melody und mein Alibi.«
Er fing an zu lachen.
Ich stand wie versteinert.
»Und Melody! Das war wirklich der Gipfel, als ich mit ihr ausmachte, daß sie sich den Vertrag bei Ihnen holen sollte. Sie sagte, sie hätte geglaubt, Sie würden platzen!«
Ich versuchte, mich zu bewegen, aber ich konnte es nicht.
»Sie haben sie dazu veranlaßt?« wisperte ich. »Sie gaben sich nicht mit dem zufrieden, was Sie getan hatten – Sie ließen auch Melody mich quälen?«
Er nickte. »Es war ein Gag, wie ich schon sagte. Mein bester Gag. Ein ziemlich boshafter zwar, aber – Sie haben ja keinen Sinn für Humor, nicht wahr? Sie verstehen nicht, was einen Komiker ausmacht, ganz einfach, weil Sie ein Managertyp sind
– beziehungsweise waren.« Er winkte mit dem Vertrag.
»Nachdem ich Sie verlassen habe, werden wir weitersehen. Sie haben keinerlei Möglichkeit, mich aufzuhalten – Sie und Ihr Managergehirn…«
»O ja, die habe ich«, sagte ich, und plötzlich konnte ich wieder laut sprechen und mich auch blitzschnell bewegen. Ich packte eine der Flaschen, die auf dem Kaffeetisch standen, am Hals und schwang sie auf und nieder, immer wieder auf und nieder, und als sie zerbrach, machte ich mit dem zerbrochenen Stück in meiner Hand weiter.
Es war die gleiche Szene wie damals in jenem Haus, genau die gleiche. Mit einem einzigen Unterschied: diesmal hatte ich kein Double, das ich anrufen konnte. Und daß ich nicht mehr in der Lage war, wie ein Manager zu denken.
Buzzie Waters hatte am Ende die Wahrheit gesagt: Ich bin ein Mörder.
Und was kann ein Mörder jetzt tun?
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